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Steuerung von Corporate Social Responsibility durch Recht

Der normative Rahmen der Unternehmensverantwortung im europäischen und globalen Raum

von David Wolfmeyer (Autor:in)
©2016 Dissertation XXVIII, 370 Seiten

Zusammenfassung

Der Appell an Unternehmen, ihrer «Verantwortung» gerecht zu werden, ist ebenso alt wie aktuell. Bereits seit einiger Zeit wird über Ausmaß und Konzeption unternehmerischer Verantwortungsübernahme unter dem Begriff «Corporate Social Responsibility» (CSR) diskutiert. CSR wurde dabei lange in einem nicht-rechtlichen, weil «freiwilligen» Bereich verortet und gerade als (globale) Alternative zur hoheitlichen Regulierung verstanden. Zuletzt haben jedoch auch staatliche und überstaatliche Stellen die Dynamik der Thematik aufgegriffen, sodass vermehrt von einer «Verrechtlichung» der CSR gesprochen wird. Diese These greift das Buch auf, indem es das vielfältige Normenmaterial der CSR-Politik identifiziert und strukturiert und damit einen Zugang zu einer rechtlichen Betrachtung der Thematik schafft.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • B. Verantwortung im Kontext von Globalisierung und Privatisierung
  • I. Globalisierung
  • 1. Begriffsbestimmung
  • 2. Formen und Folgen wirtschaftlicher Globalisierung
  • 3. Unternehmen als Akteure der Globalisierung
  • 4. Globalisierung des Rechts
  • II. Privatisierung
  • III. Verantwortung
  • C. Begriff, Entwicklung und wirtschaftliche Rahmenbedingungen der CSR
  • I. CSR als entwicklungsoffenes Konzept
  • II. Begriffsbestimmung und Definition der CSR
  • 1. Systematisierungen und Definitionen
  • a. Systematisierungen
  • aa. Stufen der Verantwortung
  • bb. Bereiche der Verantwortung
  • b. Definitionen
  • aa. Europäische Kommission
  • bb. ISO
  • cc. Konstituierende Begriffsmerkmale
  • 2. Begrifflichkeiten und Abgrenzungen
  • a. CSR als unternehmerische Verantwortung
  • b. CSR und Nachhaltigkeit
  • c. CSR und Corporate Citizenship
  • d. CSR und Corporate Governance
  • e. CSR und Compliance
  • aa. Corporate Compliance
  • bb. Social Compliance
  • f. CSR und Menschenrechte
  • 3. Zwischenergebnis: CSR als ganzheitlicher Ansatz
  • III. Entwicklung der CSR
  • 1. Frühformen unternehmerischer Verantwortung
  • 2. 1950er und 1960er Jahre
  • 3. 1970er und 1980er Jahre
  • 4. 1990er und 2000er Jahre
  • 5. Jüngste Entwicklungen
  • IV. (Betriebs-)Wirtschaftliche Rahmenbedingungen der CSR
  • 1. Zielrichtung unternehmerischer Verantwortung
  • a. Shareholder Value-Theorie
  • aa. Grundlagen
  • bb. Argumentation
  • cc. Kritik
  • b. Stakeholder-Theorie
  • aa. Grundlagen
  • bb. Argumentation
  • cc. Kritik
  • c. Stellungnahme
  • 2. Der wirtschaftliche Nutzen unternehmerischer Verantwortung
  • a. Erfolgswirkungen unternehmerischer Verantwortung
  • aa. Vorökonomische Erfolgswirkungen
  • (1) Reputation
  • (2) Unternehmenskultur
  • (3) Abbau von Bestandsrisiken
  • (4) „license to operate“
  • bb. Ökonomische Erfolgswirkungen
  • (1) Wettbewerbsfähigkeit
  • (2) Effizienzsteigerung
  • (3) Kostensenkung
  • (4) Kapitalzugang
  • b. Kritik
  • D. Der rechtliche Rahmen der CSR
  • I. Ausgangsdiskussion: Normativ bindend oder freiwillig?
  • 1. Freiwilligkeit
  • 2. Verbindlichkeit
  • 3. Bewertung der Diskussion
  • a. Kein dichotomischer Zugang
  • b. Stattdessen: CSR als hybride Steuerungsform
  • II. CSR als Steuerungsinstrument zwischen Recht und Moral
  • 1. Recht und Moral
  • a. „Recht“
  • b. „Moral“
  • c. CSR zwischen Recht und Moral
  • d. CSR als Rechtsbegriff?
  • 2. Funktionen des Rechts
  • a. Steuerungsfunktion
  • aa. Der Wandel der Steuerungsfunktion
  • bb. CSR als Ausdruck moderner Steuerung durch Recht
  • b. Gestaltungsfunktion
  • III. Systemtheoretische Erklärungsansätze
  • 1. Luhmann: Steuerungsskepsis
  • 2. Teubner: Reflexives Recht und Lex Mercatoria
  • 3. Willke: Dezentrale Kontextsteuerung
  • 4. Amstutz: CSR als globales Recht
  • 5. Zum Wert der systemtheoretischen Modelle für den CSR-Diskurs
  • IV. Systematisierung der Steuerungsbedingungen der CSR
  • 1. Steuerungsziel
  • 2. Steuerungssubjekte
  • a. Staaten
  • b. Internationale Organisationen
  • c. Zivilgesellschaft
  • d. Unternehmen
  • e. Mischformen
  • 3. Steuerungsobjekte
  • a. Multinationale Unternehmen
  • aa. Begriff des multinationalen Unternehmens
  • bb. Multinationale Unternehmen im Fokus der CSR
  • b. Kleine und mittlere Unternehmen
  • 4. Steuerungsinstrumente einer hoheitlichen CSR-Politik
  • a. Leitprinzipien eines „Rechts der CSR“
  • aa. Kooperationsprinzip
  • bb. Nachhaltigkeitsgrundsatz
  • cc. Vorsorgeprinzip
  • b. Direkte Verhaltenssteuerung als Ausnahme
  • c. Indirekte Verhaltenssteuerung als Regel
  • aa. Steuerung durch ökonomische Anreize
  • (1) Abgaben
  • (2) Direkte und indirekte Subventionen
  • (3) Vergabe öffentlicher Aufträge
  • (4) Zertifikats- und Kompensationslösungen
  • (5) Unternehmenshaftung
  • bb. Steuerung durch Information
  • (1) Aktiv: Hoheitliche Informationspolitik
  • (2) Passiv: Zugang zu hoheitlichen Informationen
  • cc. Steuerung durch Betriebsorganisation
  • (1) Offenlegungspflichten
  • (2) Unternehmensbeauftragte
  • (3) Audit-Verfahren
  • dd. Steuerung durch Konsens
  • (1) Verträge
  • (2) Absprachen
  • ee. Steuerung durch „regulierte Selbstregulierung“
  • (1) Begriff der Selbstregulierung
  • (2) Bedeutung der Selbstregulierung
  • (3) Verhaltenskodizes als prägende Form der unternehmerischen Selbstregulierung
  • (a) Begriff und Arten
  • (b) Inhalt
  • (c) Rechenschafts- und Kontrollmechanismen
  • (d) Kritik
  • (4) Regulierte Selbstregulierung
  • d. Instrumentenwahl
  • V. Zwischenergebnis: CSR und Recht
  • 1. Binnenrecht: CSR als globale Lex Mercatoria
  • 2. Außenrecht: CSR als hoheitliche Steuerung von Unternehmensverantwortung
  • VI. Exkurs: Die gesellschaftsrechtliche Diskussion um das „Unternehmensinteresse“
  • 1. Aktienrechtliche Ausgangslage
  • a. Leitungsverantwortung des Vorstands
  • b. Weisungsfreiheit und Ermessensspielraum des Vorstands
  • 2. Begriff und Bedeutung des Unternehmensinteresses
  • a. Historische Entwicklung
  • b. Interessen „im“ Unternehmen
  • aa. Aktionärsinteressen
  • bb. Arbeitnehmerinteressen
  • c. Interessen „am“ Unternehmen
  • aa. Gläubigerinteressen
  • bb. Gemeinwohlinteressen
  • (1) Zulässigkeit der Berücksichtigung
  • (2) Zurückhaltungsgebot?
  • d. Unternehmensinteresse als Interessenausgleich
  • e. Rezeption in der Rechtsprechung
  • 3. Diskussion um die Orientierung des Unternehmensinteresses
  • a. Grundsatz: Bestandserhaltung und Rentabilität
  • b. Monistische Zielkonzeption
  • c. Pluralistische Zielkonzeption
  • d. Stellungnahme
  • E. Der internationale CSR-Diskurs
  • I. Steuerungsansätze Internationaler Organisationen
  • 1. OECD: Leitsätze für multinationale Unternehmen
  • a. Rahmenbedingungen
  • b. Inhalt
  • aa. Anwendungsbereich
  • bb. Materielle Vorgaben
  • cc. Menschenrechte
  • c. Rechtswirkungen und Umsetzungsverfahren
  • aa. Grundsatz: Freiwilligkeit
  • bb. Umsetzungs- und Kontrollverfahren
  • cc. Praktische Bedeutung
  • 2. ILO: Dreigliedrige Grundsatzerklärung
  • a. Rahmenbedingungen
  • b. Inhalt
  • c. Rechtswirkungen
  • 3. Vereinte Nationen
  • a. UNCTC
  • aa. Rahmenbedingungen
  • bb. Inhalt
  • b. Global Compact
  • aa. Rahmenbedingungen
  • bb. Inhalt
  • cc. Rechtswirkungen
  • c. UN Draft Norms
  • aa. Rahmenbedingungen
  • bb. Inhalt
  • (1) Materielle Bestimmungen
  • (2) Implementation
  • cc. Rechtswirkungen
  • d. VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte
  • aa. Rahmenbedingungen
  • bb. Inhalt
  • (1) Staatliche Schutzpflicht
  • (2) Unternehmerische Achtungsverantwortung
  • (3) Zugang zu Abhilfe und Wiedergutmachung
  • cc. Rechtswirkungen
  • e. Rio+20 und die „Group of Friends of Paragraph 47”
  • 4. Zur Bedeutung der Steuerungsbeiträge Internationaler Organisationen
  • II. Multi-Stakeholder-Initiativen und private Steuerungsinstrumente
  • III. International Framework Agreements
  • IV. Die Entwicklung der europäischen CSR-Politik
  • 1. Vorläufer und Frühformen europäischer CSR-Steuerung
  • a. Südafrika-Kodex der EG-Staaten
  • aa. Rahmenbedingungen
  • bb. Inhalt
  • cc. Rechtswirkungen
  • b. Entwurf eines Rahmenkodex für europäische Unternehmen des Europäischen Parlaments
  • aa. Rahmenbedingungen
  • bb. Inhalt
  • cc. Bewertung
  • 2. Formalisierung und Politisierung unternehmerischer Verantwortung: Die CSR-Politik der Kommission
  • a. Grünbuch zur sozialen Verantwortung von Unternehmen.259
  • b. Erste Mitteilung zur sozialen Verantwortung der Unternehmen
  • c. Zweite Mitteilung zur sozialen Verantwortung der Unternehmen
  • d. Dritte Mitteilung zur sozialen Verantwortung der Unternehmen
  • 3. Verrechtlichung: Zum gegenwärtigen Stand der europäischen CSR-Debatte
  • 4. Die europäische CSR-Politik im Kontext des primären Unionsrechts
  • a. Zielbestimmungen der Union (Art. 3 EUV)
  • aa. Binnenziele
  • (1) Nachhaltige Entwicklung
  • (2) Wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft
  • (3) Umweltschutz
  • bb. Außenpolitische Ziele
  • (1) Globale nachhaltige Entwicklung
  • (2) Freier und gerechter Handel
  • (3) Schutz der Menschenrechte
  • cc. Bindungswirkung der Zielvorgaben
  • b. Soziale Querschnittsklausel (Art. 9 AEUV)
  • aa. Inhalt
  • bb. Bedeutung
  • F. Nichtfinanzielle Offenlegungspflichten als Beispiel des regulatorischen Rahmens für CSR im Europarecht
  • I. Der rechtspolitische Hintergrund
  • II. Rechnungslegung und die Offenlegung nichtfinanzieller Informationen
  • 1. Sinn und Zweck der Rechnungslegung
  • a. Dokumentation
  • b. Ausschüttungsbemessung
  • c. Information
  • aa. Selbstinformation
  • bb. Fremdinformation
  • (1) Aktionäre und Gläubiger
  • (2) Stakeholder
  • 2. Formen der Offenlegung
  • a. Gesetzlich angeordnete Offenlegung
  • b. Freiwillige Offenlegung
  • 3. Nichtfinanzielle Informationen
  • 4. Darstellung nichtfinanzieller Informationen
  • a. Nachhaltigkeits- / CSR-Berichterstattung
  • b. Lageberichterstattung
  • c. Integrierte Berichterstattung
  • aa. Inhalt
  • bb. Zweck
  • cc. Formalisierung
  • 5. Exkurs: Die „Global Reporting Initiative“ als Referenzmodell
  • a. Entwicklung und Konzept der GRI
  • b. Leitlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung
  • aa. Berichterstattungsgrundsätze
  • bb. Standardangaben
  • (1) Allgemeine Standardangaben
  • (2) Spezifische Angaben
  • c. Anwendung und Bedeutung
  • III. Die geltenden Offenlegungspflichten des europäischen Bilanzrechts
  • 1. Die Entwicklung des Europäischen Bilanzrechts
  • a. Publizitätsrichtlinie
  • b. Bilanzrichtlinie
  • c. Konzernbilanzrichtlinie
  • d. Offenlegungspflichten in anderen gesellschaftsrechtlichen Richtlinien
  • e. Modernisierungsrichtlinie
  • aa. Zielsetzung
  • bb. Reform der Lageberichterstattung
  • cc. Berücksichtigung nichtfinanzieller Leistungsindikatoren
  • (1) Aufstellungspflichtige Unternehmen
  • (2) „Umweltbelange“
  • (3) „Arbeitnehmerbelange“
  • (4) Sonstige Belange
  • (5) Anwendung auf weltweite Gesellschaftsaktivitäten
  • (6) Keine Anwendung auf Zulieferunternehmen
  • 2. Kritik am geltenden nichtfinanziellen Berichtsrahmen
  • IV. Erweiterte Berichtspflichten: Die Richtlinie im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Gesellschaften und Konzerne
  • 1. Begründung des Richtlinienvorschlags
  • 2. Adressaten der Offenlegungspflicht
  • a. Große Unternehmen
  • b. Unternehmen von öffentlichem Interesse
  • c. Unternehmen im Konzernverbund
  • 3. Inhalt der nichtfinanziellen Offenlegungspflicht
  • a. Umwelt- und Arbeitnehmerbelange
  • b. Sozialbelange
  • c. Achtung der Menschenrechte
  • d. Bekämpfung von Korruption und Bestechung
  • e. Leitlinien zur Berichterstattung der Kommission
  • 4. Umfang der nichtfinanziellen Offenlegungspflicht
  • a. Geschäftsmodell
  • b. Nichtfinanzielle Unternehmensstrategie
  • c. Ergebnisse der nichtfinanziellen Unternehmensstrategie
  • d. Nichtfinanzielle Risikopolitik
  • e. Unternehmensspezifische Bewertung nichtfinanzieller Indikatoren
  • 5. Relevanzkriterium
  • 6. Öffnungsklausel für die integrierte Berichterstattung
  • 7. Öffnungsklausel für nationale, unionsbasierte und internationale Rahmenwerke
  • 8. Das „comply-or-explain“-Erfordernis
  • 9. Befreiungstatbestände
  • a. Gesonderter publizierter Bericht
  • b. Ernsthafte Schädigung der Geschäftslage des Unternehmens
  • 10. Berichtsprüfung
  • 11. Umsetzung
  • 12. Zusammenfassung und Kritik
  • G. Zusammenfassung und Ausblick
  • Literaturverzeichnis

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A.  Einleitung

Fragen nach der Verantwortung von Unternehmen in Zeiten einer sich zunehmend globalisierenden Wirtschaft sind von großer Aktualität. Am 24. April 2013 ereignete sich in Sabhar die bislang schwerwiegendste Industriekatastrophe in der Geschichte von Bangladesch, als der Gebäudekomplex des „Rana Plaza“ einstürzte und dabei mehr als 1.120 Menschen starben und weitere 2.400 verletzt wurden. Bei den Opfern handelte es sich überwiegend um Arbeiterinnen, die in einer der vielen im Gebäude untergebrachten Textilfabriken Kleidung für zumeist amerikanische und europäische Modeunternehmen produziert hatten. Unter dem massiven öffentlichen und politischen Druck sahen sich diese international agierenden Unternehmen dazu gedrängt, kurzfristig ein „Abkommen zum Brand- und Gebäudeschutz in Bangladesch“1 zu unterzeichnen, das die meisten von ihnen vor der Katastrophe noch abgelehnt hatten.

Der Einsturz des Rana Plaza reiht sich ein in eine Kette von in der Öffentlichkeit stark wahrgenommenen und diskutierten Skandalen, bei denen es zumeist um ein unter sozialen oder ökologischen Aspekten fragwürdiges Unternehmenshandeln in Schwellen- und Entwicklungsländern geht. In besonders gravierenden Fällen sehen sich Unternehmen gar dem Vorwurf der Verletzung von Menschenrechten ausgesetzt. Ähnlich wie vergleichbare frühere Fälle löste auch die Katastrophe von Sabhar eine intensive Diskussion über die weltweiten Arbeits- und Produktionsbedingungen und über die damit verbundene „Verantwortung“ multinationaler Unternehmen aus.

Jenseits der öffentlichen Diskussion über „unverantwortliches“ unternehmerisches Handeln schlägt sich die Forderung nach „Unternehmensverantwortung“ vor allem im Konzept der Corporate Social Responsibility (CSR) nieder. „CSR“ hat sich dabei in den vergangenen Jahren zu einem in Unternehmenspraxis und Wissenschaft international anerkannten Schlüsselbegriff entwickelt, unter dem Fragen des sozial- und umweltverträglichen Handelns von Unternehmen in einer globalisierten Welt diskutiert werden. Gerade große Unternehmen stellen heute zum Teil bedeutende finanzielle und personelle Ressourcen bereit, um Fragen der Unternehmensverantwortung (öffentlichkeitswirksam) zu begegnen. Aber auch kleine und mittlere Unternehmen sehen sich verstärkt mit der Thematik der Verantwortung konfrontiert. In der Forschung werden disziplinübergreifend Wege und Möglichkeiten diskutiert, wie die Interessen von Unternehmen und Gesellschaft miteinander in Einklang gebracht werden können. Auch staatliche Stellen und die Politik treten immer häufiger in einen intensiven Dialog mit Vertretern der Unternehmen und der ← 1 | 2 → „Zivilgesellschaft“ über Fragen der Unternehmensverantwortung ein und entwerfen eigene CSR-Programme.

Nicht selten ist dabei jedoch unklar und zwischen den Beteiligten sogar umstritten, worüber genau gesprochen wird, wenn über Fragen der Unternehmensverantwortung diskutiert wird. Ein Kunde wird etwa ein anderes Verständnis von der „Verantwortung“ eines Unternehmens haben, von dem er seine Waren erwirbt, als das betreffende Unternehmen selbst oder dessen Mitarbeiter. Das Verantwortungsverständnis eines Eigentümers unterscheidet sich in der Regel von dem einer Nichtregierungsorganisation (NGO). Gerade aufgrund der Vielzahl (und nicht selten der Diskrepanz) dieser an die Unternehmen im Hinblick auf deren Verantwortung gestellten Erwartungen ist die „Gemengelage“ rund um die Thematik der CSR sehr komplex. Erschwerend kommt hinzu, dass die gesellschaftlichen Erwartungen an ein verantwortliches Unternehmenshandeln einem laufenden Wandlungsprozess ausgesetzt sind. Während es früher als ausreichend erachtet wurde, die Definition von Unternehmensverantwortung dem „ehrbaren Kaufmann“ zu überlassen, nehmen heute auch (höchstens) mittelbar mit dem Unternehmen verbundene Interessengruppen Einfluss auf dessen CSR-Politik. Wie zu zeigen sein wird, stellt gerade die Zusammenführung der widersprüchlichen Interessen und Erwartungen der verschiedenen Stakeholder-Gruppen eine der größten Herausforderungen des CSR-Diskurses dar.

Die so beschriebene Unbestimmtheit und Interpretationsoffenheit der Thematik gestaltet sich als besonders problematisch aus Sicht der an Klarheit und Bestimmtheit orientierten Rechtswissenschaften. Geradezu offensichtlich sind dabei die Skepsis und die Zurückhaltung, die „der“ CSR als einem einheitlichen Konzept der Unternehmensverantwortung in der juristischen Literatur entgegengebracht werden. Neben der inhaltlichen Unbestimmtheit lässt sich diese Reserviertheit auch auf den dem Konzept der CSR vermeintlich zugrunde liegenden Gedanken der „Freiwilligkeit“ zurückführen, weshalb die Thematik der Unternehmensverantwortung in ihrer Gesamtheit schnell in einem nicht-rechtlichen Bereich verortet wird. Hinzu kommt, dass die CSR Fragen der (Unternehmens-) Moral berührt, die von solchen des Rechts zu unterscheiden sind. Und schließlich weist die Materie vermehrt einen internationalen Bezug auf, wohingegen das Recht einen nationalstaatlichen Fokus besitzt.

Dass es trotz dieser grundlegenden Einwände zu kurz greift, die CSR pauschal einer rechtswissenschaftlichen Untersuchung zu entziehen, belegt schon das Beispiel aus Bangladesch. In Anbetracht der durch den Einsturz des Rana Plaza ausgelösten Katastrophe sahen sich die im Land produzierenden (oder dort einkaufenden) „westlichen“ Unternehmen dazu gedrängt, eine Form der rechtlichen Verpflichtung einzugehen, um ihrer „Verantwortung“ öffentlich Ausdruck zu verleihen. Zugleich wurden auf Ebene der nationalen und internationalen Politik als Reaktion auf das Unglück vermehrt Forderungen erhoben, der Thematik der Unternehmensverantwortung im Wege einer rechtlichen Normierung ihrer Rahmenbedingungen eine ← 2 | 3 → größere Bindungswirkung zu verleihen.2 Eine „Verrechtlichung“3 der CSR soll dabei – so die Prämisse – von den Unternehmen das verbindlich einfordern, was die Mehrzahl von ihnen bereits in unverbindlichen unternehmensinternen Leitlinien und in jährlich veröffentlichten „Nachhaltigkeits-“ bzw. „CSR-Berichten“ kommuniziert. Recht wird in dieser Konstellation letztlich als Instrument zur Glaubwürdigkeitssteigerung gesehen. Dies aber legt den Schluss nahe, dass Fragen des Rechts und der Unternehmensverantwortung eng miteinander verzahnt sind und es jedenfalls unmöglich ist, diese voneinander zu trennen.

Inwieweit sich diese Annahme bestätigen lässt, ob das Unternehmenshandeln im Bereich der CSR tatsächlich zunehmend regulativ gesteuert wird und wenn ja, wie dies konkret erfolgt, soll im Folgenden geklärt werden. Entgegen einer pauschalen Qualifizierung der CSR als „rechtlich“ bzw. „nicht-rechtlich“ baut diese Arbeit auf dem Verständnis auf, dass es Aufgabe rechtswissenschaftlicher Dogmatik ist, gesellschaftliche Entwicklungen – als die sich die Forderung nach Unternehmensverantwortung verstehen lässt – aufzugreifen und diese im Wege einer „Systembildung“ zu durchdringen. Dabei erfordert gerade die Durchdringung des Normenmaterials neuer Phänomene – wie es Dreier treffend formuliert hat – „[…] bei aller Stabilisierungsfunktion Flexibilität, um sich neuen Herausforderungen und tatsächlichen Wandlungsprozessen gewachsen zu zeigen.“4 Ohne die Ergebnisse der vorzunehmenden Analyse vorwegzunehmen, lässt sich feststellen, dass sich gerade im Falle der CSR unter Zugrundelegung eines entsprechenden Maßes an „Flexibilität“ zahlreiche Anknüpfungspunkte einer juristischen Betrachtung der Thematik ergeben. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob (und wenn ja wie) im Wege des Rechts ein „verantwortliches“ Unternehmenshandeln aktiviert und stimuliert werden kann.

Eine Beantwortung dieser Fragen erfordert es, sich sowohl mit dem Begriff der Verantwortung (allgemein und im Unternehmenskontext) als auch mit der Funktion und der Wirkungsweise des Rechts vor dem Hintergrund eines globalisierten Unternehmensumfelds zu befassen. Einzugehen ist dabei insbesondere auch auf Impulse, die der Diskurs um die CSR von internationaler Ebene erhält. So liegt es nahe anzunehmen, dass eine rechtliche Aktivierung unternehmerischer Verantwortung heute in der Regel Formen der internationalen Koordination voraussetzt. Ein besonderes Maß an einer solchen Koordination ist auf Ebene der Europäischen Union (EU) zu finden, weshalb ein Schwerpunkt der folgenden Ausführungen auf der Untersuchung der rechtlichen Rahmenbedingungen für CSR in der EU liegt. Gerade ← 3 | 4 → das vergleichsweise innovative und komplexe Vorgehen, mit dem auf europäischer Regelungsebene das Ziel verfolgt wird, eine Aktivierung der Unternehmensverantwortung durch Recht zu erreichen, macht es möglich, aus den gewonnenen Erkenntnissen Rückschlüsse auf die rechtlichen Rahmenbedingungen zu ziehen und letztlich die Frage zu beantworten, ob die CSR insgesamt einem Prozess der „Verrechtlichung“ unterliegt.


1 Der „Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh” vom 13. Mai 2013 ist abrufbar unter: http://www.industriall-union.org/sites/default/files/uploads/documents/2013-05-13_-_accord_on_fire_and_building_safety_in_bangladesh.pdf (Stand: 21.01.2016).

2 Siehe etwa den Analogieschluss in The New York Times International Weekly, 10.05.2013, S. 2: „In the United States, lawmakers began improving safety after the 1911 fire at New York’s Triangle Shirtwaist factory, which killed 146 workers and horrified the nation. The collapse of Rana Plaza should play a similarly galvanizing role.”

3 Verwendung des Terminus der „Verrechtlichung“ im Kontext der CSR zuletzt etwa bei Schrader, ZUR 2013, S. 451 (458); Spießhofer, NZG 2014, S. 1281 (1287); Voland, BB 2015, S. 67 (67); Kroker, CCZ 2015, S. 120 (120); Eufinger, EuZW 2015, S. 424 (425).

4 Dreier, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1993, S. 647 (667).

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B.  Verantwortung im Kontext von Globalisierung und Privatisierung

Das Konzept der CSR umfasst Vorgaben für ein verantwortliches unternehmerisches Handeln. Was im Einzelfall unter einem „verantwortlichen unternehmerischen Handeln“ zu verstehen ist und welchen Erwartungen sich ein Unternehmen dabei ausgesetzt sieht, ist das Ergebnis der das unternehmerische Handeln jeweils bestimmenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Maßgeblich verändert und gleichzeitig geprägt haben das Bild von unternehmerischer Verantwortung vor allem die unter den Begriffen „Globalisierung“ und „Privatisierung“ zusammengefassten gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen. Sie bilden damit die Ausgangslage für eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Konzept der CSR. Zentral für das Verständnis der CSR ist auch der Begriff der „Verantwortung“, der – wenngleich er sich „durch Unschärfe auszeichnet“5 – Inhalt und Grenzen der CSR bestimmt.

I.  Globalisierung

Eine der wichtigsten Entwicklungen, die in den vergangenen Jahrzehnten einen nachhaltigen Wandel der Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns bewirkt hat, ist die Globalisierung. Besondere Relevanz entfaltet der Prozess der Globalisierung für das Konzept der CSR vor allem in zweifacher Hinsicht: Erstens durch eine Schaffung zusätzlicher unternehmerischer Entfaltungsmöglichkeiten in wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Hinsicht und zweitens aufgrund einer damit zusammenhängenden Veränderung der rechtlichen Steuerungsoptionen des Staates.

1.  Begriffsbestimmung

Ein Konsens darüber, was unter dem Begriff der Globalisierung genau zu verstehen ist, besteht bislang nicht.6 Gemeinhin wird Globalisierung als „Phänomen“7 bezeichnet. Dieses Phänomen wiederum wird im Kern als offener Prozess verstanden, der zu einer Zunahme grenzüberschreitender sozialer Verflechtungen im Weltmaßstab ← 5 | 6 → und einem damit einhergehenden Bedeutungsverlust staatlicher Grenzen führt.8 Die zentrale, in der öffentlichen Diskussion vorherrschende Dimension der Globalisierung stellt dabei die zunehmende Verflechtung der Weltwirtschaft dar.9 In dieser wie in allen anderen Dimensionen10 unterscheidet sich die Globalisierung nach heutigem Verständnis von älteren Formen globalen und internationalen Austausches vor allem durch ihre Intensität. So existierten zwar auch in der Vergangenheit Formen des Wirtschaftens, die über geografische und politische Grenzen hinaus reichten. Zu den Treibern und Kennzeichen moderner Globalisierung zählen jedoch vor allem verbesserte Kommunikationsmöglichkeiten, moderne Formen des Transports, eine kontinuierliche Effizienzsteigerung in Wissenschaft und Technologie sowie die weltweite Verfügbarkeit verschiedenster Medien.11 All diese Elemente haben insgesamt den Grad und die Qualität der Verflechtungsmöglichkeiten deutlich steigen lassen.

2.  Formen und Folgen wirtschaftlicher Globalisierung

Die wirtschaftliche Dimension der Globalisierung umfasst das Bemühen um den Abbau von Handelsbeschränkungen, die Zunahme globaler Investitionen, die weltweite Arbeitsteilung in der Produktion sowie die Integration der Kapitalmärkte.12 Ziel ist es insoweit, nationale Marktwirtschaften zunehmend zu einer gemeinsamen „globalen Marktwirtschaft“ bzw. zu einem „globalen Binnenmarkt“ zu verschmelzen.13 Neben dem Abbau von Zöllen zielen heutige Liberalisierungsbemühungen auf eine Eindämmung anderer potentiell handelshemmender Maßnahmen, wie etwa Quotenregelungen, Lizenzen, Abgaben, Importbeschränkungen, Exportzuschüssen und staatlichen Zins- und Währungsmanipulationen.14 Wesentliche Folge dieser ← 6 | 7 → Bemühungen ist ein deutlicher Anstieg des Umfangs von Direktinvestitionen, womit wiederum eine wachsende Bedeutung grenzüberschreitend agierender Konzerne einhergeht. Multinationale Unternehmen machen dabei Gebrauch von ihrer Mobilität und ihrer Fähigkeit, Kapazitäten jeweils dort zu schaffen und zu nutzen, wo sie die größten Gewinnmöglichkeiten erwarten.15 Einzelne Produktionsschritte werden immer häufiger auf verschiedene Produktionsstandorte in unterschiedlichen Staaten und Kontinenten aufgeteilt. Gerade diese Fragmentierung unternehmerischen Handelns löst zum Teil komplexe Folgewirkungen aus, so etwa in Bezug auf die geltenden Umwelt-, Arbeits- und Sozialstandards. Staaten, die sich in einem globalen Wettbewerb befinden, operieren zunehmend in jenen wirtschaftlichen Bereichen, in denen sie spezifische Vorteile besitzen, etwa bei bestimmten Kosten, bei der Qualifikation der Arbeitskräfte oder bei der Verfügbarkeit von Energie und Rohstoffen.16 Dies führt einerseits zu einer Beschränkung, andererseits aber auch zu einer Spezialisierung wirtschaftlichen Handelns. Gleichzeitig löst der zwischenstaatliche Wettbewerb einen Anpassungsdruck auf Arbeitsmärkte und soziale Sicherungssysteme aus.17

Gerade aufgrund dieser Folgewirkungen bleibt die Bewertung des Phänomens der wirtschaftlichen Globalisierung in Wissenschaft, Medien und breiter Öffentlichkeit umstritten.18 Während einerseits die Chancen auf wirtschaftliche Entwicklung und Armutsreduzierung betont werden, berufen sich andererseits „Globalisierungsgegner“ auf eine Vergrößerung der „Schere zwischen Arm und Reich“ im globalen Maßstab. Im Zentrum der Kritik stehen dabei zumeist große, weltweit agierende Konzerne. Deren wirtschaftliche Macht führe zu Gefahren für die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte und behindere die Verbreitung demokratischer Grundwerte.19

3.  Unternehmen als Akteure der Globalisierung

Wichtigster Träger und zugleich Nutznießer der sich aus der Globalisierung ergebenden wirtschaftlichen Möglichkeiten sind diejenigen Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell internationalisieren.20 Gerade multinationale – also in verschiedenen ← 7 | 8 → Staaten operierende – Unternehmen werden in die Lage versetzt, ihr Geschäftsmodell so zu gestalten, dass es global gesehen einerseits möglichst große Gewinne verspricht und andererseits entstehende Kosten und Risiken gering hält.21 Immer stärker ermöglicht es die integrierte globale Marktwirtschaft den Unternehmen, strategische (Investitions-)Entscheidungen aufgrund von Faktoren wie dem Zugang zu technischer und professioneller Expertise, den Lohnkosten, dem Marktpotential und sozialer und politischer Stabilität zu treffen.22 Hinzu kommen staatliche Anreize von Regierungen, etwa in Form von günstigeren Unternehmenssteuerraten oder geringeren Kosten für Arbeits- und Umweltschutz. Um Unternehmen und Direktinvestitionen anzuziehen, versuchen einzelne (Entwicklungs-) Länder, Nachteile bei der Qualifikation der Bevölkerung durch steuerliche Anreize, ein geringeres Lohnniveau oder „weichere“ Arbeits- und Umweltschutzstandards zu kompensieren. Dieses staatliche Verhalten lässt sich insgesamt als Beleg für eine tatsächlich gestiegene wirtschaftliche und politische Macht der Unternehmen verstehen.23 Vor allem große Unternehmen greifen die staatlichen Angebote auf und nutzen diese zunehmend für die Differenzierung ihrer Wertschöpfungsketten. Ein Großteil des globalen Handels erfolgt so heute innerhalb von multinationalen Unternehmen, also zwischen Konzernzentralen und ihren ausländischen Standorten und Zulieferern.24

Aus der wirtschaftlichen und politischen Macht multinationaler Unternehmen resultiert ein großer Einfluss auf die Gestaltung der sozialen und wirtschaftlichen Lebensrealitäten zahlreicher Menschen.25 Dieser Einfluss wird in vielen Fällen positiv genutzt. So etwa dann, wenn sich die Unternehmen an der Schaffung von Arbeitsplätzen, an der Bereitstellung von Infrastruktur und an der Ermöglichung eines Technologietransfers beteiligen oder Steuern und Abgaben zahlen. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen Unternehmen schädliche Einflüsse auf die Menschen an ihren Produktionsstandorten, die Umwelt oder geltende Sozialstandards ausüben. Gerade die Globalisierung hat es Unternehmen erleichtert, im Sinne eines „race to the bottom“ von schwächeren Arbeitsstandards und niedrigeren Arbeitslöhnen zu profitieren.26 In diesen Fällen versuchen Unternehmen aus Industrieländern, strengere arbeits-, umwelt- und steuerrechtliche Vorgaben in ihren Heimatstaaten zu umgehen, indem sie direkt, mittels Tochtergesellschaften oder durch Zulieferunternehmen in Staaten mit einem schwächer ausgeprägten Regulierungsniveau tätig werden. ← 8 | 9 →

4.  Globalisierung des Rechts

Die steigende Bedeutung nichtstaatlicher wirtschaftlicher Akteure im globalen Raum geht einher mit einer sinkenden Steuerungsfähigkeit des nationalen Rechts. Einzelstaatliche Hoheitsträger sehen sich aufgrund ihres begrenzten territorialen Einflusses zunehmend außerstande, die ökonomischen, ökologischen, technischen und gesellschaftlichen Prozesse der Globalisierung regulativ zu bewältigen.27 Dieser „Verlust der Steuerungsfähigkeit des Staates“28 schlägt sich zudem in der Tatsache nieder, dass private Interessenorganisationen und einzelne Unternehmen heute zunehmend selbst Regeln entwickeln, denen eine quasi-rechtliche Wirkung zugesprochen wird. Die seit den 1970er Jahren in immer größer werdender Zahl formulierten Verhaltenskodizes (codes of conduct), die etwa Vorgaben für unternehmerisches Handeln in den Bereichen Umwelt, Menschenrechte oder Arbeitsbedingungen normieren, sind nur ein Beispiel für einen Prozess der Pluralisierung der Normgeber. Die so geschaffenen Normen finden dabei weltweite Anwendung. Staatliche Regulierung wird hingegen durch vereinzelte Marktteilnehmer als negativ empfunden. Anstatt einer Regulierung durch „harte“ Gesetze wird auf „weiche“ Steuerung mittels freiwilliger und nicht-bindender Richtlinien und Prinzipien gesetzt. Die Umsetzung des durch diese Steuerungsinstrumente geschaffenen „globalen Rechts“ obliegt den Betroffenen dabei zumeist selbst.29 Der Staat, dem zwar nach wie vor eine „wichtige Funktion“30 als Steuerungsakteur in der internationalen Ordnung zukommt, ist aufgrund der Globalisierung eingebunden in ein „System multipler Rechtssetzung und Herrschaftsgewalt“31. Resultate einer Globalisierung des Rechts sind damit ein Bedeutungsverlust staatlicher Grenzen und eine „Entterritorialisierung von Problemen und rechtlichen Zugriffsmöglichkeiten“32, die zu einem Entstehen eines Mehrebenensystems von Hoheits- und Entscheidungsträgern führt.33 ← 9 | 10 →

II.  Privatisierung

Ebenfalls beigetragen zu einer Erweiterung der unternehmerischen Handlungsspielräume haben die in den vergangenen Jahrzehnten stattgefundenen Privatisierungsprozesse, bei denen staatliche Aktivitäten insgesamt zurückgefahren und auf den privaten Sektor übertragen wurden.34 Während bis in die 1980er Jahre Privatisierungen nur begrenzt vorgenommen wurden und sich weitestgehend auf staatliche Industriebeteiligungen konzentrierten, erfassen neuere Privatisierungsinitiativen spätestens seit den 1990er Jahren zunehmend auch Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge.35 Zu den Gründen für derartige Aufgabenverlagerungen zählt neben der Erschließung von Einnahmequellen für die öffentliche Hand auch ein gewandeltes Staatsverständnis. Privatisierung, die oft mit Maßnahmen der Liberalisierung und Deregulierung einhergeht und Bestandteil eines übergreifenden Reformprogramms bildet, wird dabei zielgerichtet als Instrument zum Abbau von Aufgaben eines als überfordert angesehenen Staates eingesetzt.36 Neben den Industrieländern wurden bzw. werden auch Entwicklungsländer von den Privatisierungswellen erfasst, wobei die Öffnung öffentlicher Märkte zugunsten privater Anbieter dort zumeist auf Druck der internationalen Finanzinstitutionen (v.a. IWF und Weltbank) erfolgt.37 Die sich aus der Aufgabe staatlicher Monopole und der Öffnung der Kerninfrastruktur ergebenden zusätzlichen Handlungsspielräume werden durch private Akteure zumeist gewinnbringend besetzt. Nicht selten haben sich so Effizienzsteigerungen, eine erhöhte Dienstleistungsbereitschaft und ein aus Sicht der Verbraucher günstigeres Preisniveau ergeben. Gleichzeitig hat die Privatisierung jedoch auch die Abhängigkeit staatlicher Stellen von privaten Leistungserbringern erhöht. Dies gilt insbesondere dort, wo Unternehmen Aufgaben übernommen haben, die der Grundversorgung der Bevölkerung dienen, wie etwa im Bereich der Daseinsvorsorge. Hier wird die ohnehin schon große wirtschaftliche und politische Machtposition privater Unternehmen nochmals erweitert, gerade dann, wenn die Unternehmen monopolartige Marktstrukturen „übernommen“ haben und als (faktisch) einzige Marktanbieter agieren können. ← 10 | 11 →

III.  Verantwortung

Die erweiterten Handlungsoptionen privater Unternehmen geben zunehmend Anlass für weltweit erhobene Forderungen, nach denen die Privatwirtschaft ihrem gestiegenen Einfluss durch eine Ausweitung ihrer Verantwortungssphäre Rechnung zu tragen habe. Einen wesentlichen Transmissionsriemen für diese Forderungen bildet das Konzept der CSR, das auf dem Begriff der (Unternehmens-) „Verantwortung“ aufbaut. Der Verantwortungsbegriff ist zentral sowohl für das Verständnis der mit dem Konzept verbundenen Möglichkeiten als auch seiner Grenzen. Gerade aus juristischer Sicht ist der Appell an die unternehmerische Verantwortung jedoch problembehaftet, was insbesondere mit der „Unschärfe“ und „Mehrdeutigkeit“ des Verantwortungsbegriffs zusammenhängt.38 Was der Verantwortungsbegriff im Einzelfall umfasst, ist inhaltlich nicht festgelegt. Hinzu kommt, dass das Verständnis von Verantwortung zumeist durch subjektive und individuelle Wertungen (vor-)geprägt ist. So kann etwa eine Bewertung darüber, ob und unter welchen Bedingungen ein Unternehmen seiner Verantwortung in der globalen Produktionskette gerecht geworden ist, sehr unterschiedlich ausfallen.39 Die Forderung nach einem verantwortungsbewussten Handeln allein kann daher nur sehr eingeschränkt als klare und kohärente Handlungsaufforderung dienen.

Um aus juristischer Sicht eine tatsächliche Wirkung zu entfalten, bedarf der Verantwortungsbegriff vielmehr einer „Übersetzung in institutionelle und normative Arrangements“.40 Insofern ist auch der im Konzept der CSR enthaltene Appell an die „unternehmerische Verantwortung“ zunächst nur als allgemeine Erwartung zu verstehen, dass Unternehmen für ihre Handlungen und Entscheidungen einstehen. Umfassen kann dies sowohl eine primäre „Aufgabenverantwortung“ als auch eine sekundäre „Rechenschaftsverantwortung“ und als tertiäre Verantwortungsebne eine „Haftungsverantwortung“. Diese drei Verantwortungsebenen stehen dabei jeweils in einem Bezug zueinander.41 Wie noch zu zeigen sein wird, ist die Überlegung, dass auch Unternehmen – als juristische Personen – Träger von Verantwortung ← 11 | 12 → sein können, weder besonders neu42 noch kontrovers.43 Zudem ist die Zuschreibung von Verantwortung an Unternehmen auch „sinnvoll“, denn gerade im arbeitsteilig funktionierenden System der Unternehmung, das durch eine starke „Fragmentierung der Aufgabenverantwortung“ gekennzeichnet ist, kann ein spezifisches Verantwortungssubjekt im Einzelfall oftmals nicht identifiziert werden.44 Dem tritt das Konzept der Unternehmensverantwortung entgegen, indem es dem Unternehmen als Ganzes die Verantwortung für sein Tun oder Unterlassen zuweist. Das spezifische Merkmal der Unternehmensverantwortung ist dabei ihr umfassender Charakter, der verschiedenste Verantwortungsdimensionen miteinander verbindet und zu einem umfassenden Gesamtkonzept integriert. Auch im Kontext der CSR ist es daher zutreffend, den Begriff der Verantwortung als einen „Brückenbegriff zwischen Recht, Moral und Politik“ zu kennzeichnen, der mitunter „die Grenze zwischen Faktizität und Normativität“ überspielt.45 Falsch wäre es jedoch, die Weite des Verantwortungsbegriffs mit einer inhaltlichen Beliebigkeit gleichzusetzen. So baut gerade auch die Unternehmensverantwortung auf einem „Fundament von ‚objektiven‘ Werten, Gütern und Pflichten“ auf, die es ermöglichen, ein Abgleiten des Verantwortungsbegriffes im Kontext wirtschaftlichen Handelns in „subjektive Beliebigkeit“ und Inhaltsleere zu verhindern.46 Artikuliert wird dieses Fundament mit Hilfe der CSR, die somit versucht, dem Begriff der Verantwortung im Unternehmensumfeld einen Mindestgrad an Verbindlichkeit zu vermitteln. Nichtsdestotrotz sollte eine juristische Auseinandersetzung mit dem Wesen und der Funktion der unternehmerischen Verantwortung stets deren Offenheit für Wertungen, Interpretationen und Zuschreibungen im Blick behalten.


5 Höffe, in: Aßländer/Löhr, Corporate Social Responsibility, S. 35 (35).

6 Eine Übersicht zu bisherigen Definitionsversuchen findet sich etwa bei Kumar, Ind. J. Global Legal Stud. 2003, S. 87 (90 ff.).

7 Boulle, S. 2; Hobe, Duq. L. Rev. 2002, S. 655 (655); Ruffert, S. 12; Delbrück, SZIER 2001, S. 1 (14); Nowrot, Normative Ordnungsstruktur, S. 425; Mégret, MPEPIL, Globalization, Rn. 1; Scherer/Palazzo, in: Crane et al., Oxford Handbook, S. 413 (419).

8 Ruffert, S. 12; Mégret, MPEPIL, Globalization, Rn. 8. Delbrück, SZIER 2001, S. 1 (14) spricht gar von einem ganzen Bündel von Prozessen.

9 Bhagwati, S. 3; Frowein, DÖV 1998, S. 806 (806) sowie Kadelbach, in: Assmann/Sethe, Recht und Ethos, S. 37 (38), für den Globalisierung zunächst ein wirtschaftswissenschaftlicher Begriff ist,

10 Zu den weiteren Dimensionen der Globalisierung zählen etwa die „soziale Globalisierung“ oder die „politische Globalisierung“. Die „rechtliche Globalisierung“ umfasst die Internationalisierung von Gesetzgebung und Rechtsprechung, der Harmonisierung nationaler Gesetze und die Standardisierung rechtlicher Prozesse, siehe Boulle, S. 6 f.; Ruffert, S. 13 f.

11 Boulle, S. 3; siehe auch Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 7 und Hobe, AVR 1999, S. 253 (254). Den besonderen Stellenwert des Internets in der Beschleunigung der heutigen Globalisierungsprozesse betonen u.a. von Bogdandy, ZaöRV 2003, S. 853 (856) und Walker/Fox, Ind. J. Global Legal Stud. 1996, S. 375 (379); Hobe, Duq. L. Rev. 2002, S. 655 (656).

12 Vgl. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 7.

13 Hobe, AVR 1999, S. 253 (254).

14 Boulle, S. 15 f.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 7; Delbrück, SZIER 2001, S. 1 (15).

15 Scherer/Palazzo, in: Crane et al., Oxford Handbook, S. 413 (418).

16 Empt, S. 183.

17 Kadelbach, in: Assmann/Sethe, Recht und Ethos, S. 37 (38).

18 Ruffert weist zu Recht darauf hin, dass durch die politisch-emotionale Aufladung des Begriffs der Globalisierung die Grenzen zwischen wissenschaftlicher Analyse und politischer Stellungnahme zunehmen verschwimmen, vgl. Ruffert, S. 11.

Details

Seiten
XXVIII, 370
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653069112
ISBN (ePUB)
9783653961669
ISBN (MOBI)
9783653961652
ISBN (Hardcover)
9783631672938
DOI
10.3726/978-3-653-06911-2
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Juni)
Schlagworte
CSR Indirekte Steuerung Social Compliance Nichtfinanzielle Informationen
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. XXVIII, 370 S.

Biographische Angaben

David Wolfmeyer (Autor:in)

David Wolfmeyer ist promovierter Jurist. Er studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Konstanz, Berlin und Krakau, forschte am Viadrina Compliance Center der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und lehrte an der Universität Szeged.

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Titel: Steuerung von Corporate Social Responsibility durch Recht
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