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Unbeschränkte Gesellschafterhaftung und Gläubigerschutz

Eine ökonomische Betrachtung des Haftungssystems der Personengesellschaften

von Lisa Pfaffinger (Autor:in)
©2016 Dissertation XX, 310 Seiten

Zusammenfassung

Das Haftungssystem der Personengesellschaften gehört zu den umstrittensten Fragen des deutschen Gesellschaftsrechts. Unter zentraler Berücksichtigung ökonomischer Erkenntnisse geht die Autorin im Rahmen einer tiefgreifenden und detaillierten Analyse und Bewertung des Haftungssystems der Personengesellschaften der Frage nach, ob die unbeschränkte, persönliche Haftung der Gesellschafter ein allgemeingültiges Modell für alle Personengesellschaften darstellt, um opportunistisches Verhalten von Gesellschaftern zu Lasten von Gesellschaftsgläubigern zu verhindern. Die Untersuchung umfasst die Fragen, wie sich gesetzliche und privatautonome Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten zu einem derartigen Modell verhalten und welche Auswirkungen eine ökonomische Betrachtung der Haftung auf das Innenverhältnis der Gesellschafter hat.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungen
  • Kapitel 1: Einleitung und Grundlagen
  • § 1 Anlass und Ziel der Untersuchung
  • § 2 Methodische Vorgehensweise und ökonomische Grundannahmen
  • I. Die Ökonomische Theorie des Rechts als rechtswissenschaftliche Methode und ihr Erkenntnisgewinn
  • II. Begriffe und Grundlagen der Neuen Institutionenökonomik
  • 1. Neue Institutionenökonomik
  • 2. Das Verhaltensmodell des Homo oeconomicus
  • a. Eigennutzentheorem
  • b. Rationalitätsprinzip
  • c. Die Kritik am Verhaltensmodell des Homo oeconomicus durch die Verhaltensökonomik
  • 3. Transaktionskosten
  • § 3 Aufbau der Arbeit
  • Kapitel 2: Verselbständigung des Gesellschaftsvermögens und persönliche Haftung der Gesellschafter
  • § 1 Die Verselbständigung und Abschirmung des Gesellschaftsvermögens bei Personengesellschaften
  • A. Die originäre Funktion des Gesellschaftsrechts als Organisationsrecht
  • I. Das Gesellschaftsrecht als effiziente, vertragliche Standardregelung der Beziehungen der Gesellschafter
  • II. Verselbständigung eines Haftungsfonds als originäre Aufgabe des Gesellschaftsrechts
  • 1. Affirmative asset partitioning – Vermögenssonderung durch Gesellschaftsrecht
  • 2. Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung
  • 3. Der Effizienzgewinn der Abtrennung und Abschirmung eines Haftungsfonds
  • a. Senkung von Überwachungskosten
  • b. Vereinfachte Kapitalgewinnung und Kapitaldiversifizierung
  • c. Senkung von Insolvenzkosten
  • 4. Haftungssonderung und rechtliche Verselbständigung – das abgeschirmte Sondervermögen in der deutschen Rechtswissenschaft
  • B. Die Verselbständigung und Abschirmung eines Haftungsfonds bei den Personengesellschaften
  • I. Gesetzliche Ausgangslage und das traditionelle Gesamthandsverständnis
  • II. OHG, KG und PartG
  • 1. Rechtsfähigkeit und Verselbständigung des Gesellschaftsvermögens als Haftungsfonds für die Gesellschaftsgläubiger
  • 2. Abschirmung des Gesellschaftsvermögens vor einem Zugriff von Privatgläubigern
  • a. Einzelzwangsvollstreckung
  • b. Liquidation
  • c. Insolvenz
  • 3. Zusammenfassung
  • III. BGB-Gesellschaft
  • 1. Die rechtsfähige BGB-Gesellschaft und das Gesellschaftsvermögen
  • 2. Einzelzwangsvollstreckung
  • 3. Liquidation
  • 4. Insolvenz
  • 5. Zusammenfassung
  • § 2 Die persönliche Haftung der Gesellschafter bei Personengesellschaften
  • I. Die Haftung der Gesellschafter nach dem traditionellen Gesamthandsverständnis
  • II. Doppelverpflichtungslehre
  • III. Akzessorietätslehre
  • 1. Haftung der Gesellschafter für vertragliche Verbindlichkeiten
  • 2. Die Haftung neu eintretender Gesellschafter
  • 3. Haftung der Gesellschafter für gesetzliche, insbesondere deliktische Verbindlichkeiten
  • a. § 31 BGB analog
  • b. Haftung für deliktische Verbindlichkeiten
  • c. Haftung für sonstige gesetzliche Verbindlichkeiten
  • IV. Zusammenfassung
  • Kapitel 3: Ökonomische Betrachtung der unbeschränkten Gesellschafterhaftung
  • § 1 Traditionelle Erklärungsansätze für die persönliche Gesellschafterhaftung
  • I. Der Grundsatz des Gleichlaufs von Herrschaft und Haftung
  • II. Der Grundsatz der unbeschränkten Verbandsmitgliederhaftung
  • III. Die persönliche Haftung als zwingendes, funktionales Substitut fehlender Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsvorschriften
  • IV. Die traditionell der persönlichen Haftung zugeschriebenen Funktionen
  • 1. Leistungserzwingung
  • 2. Kreditsicherung durch Erweiterung des Haftungspools
  • 3. Verhaltenskontrolle
  • V. Ergebnis
  • § 2 Gesellschafteropportunismus und Gesellschafterhaftung
  • A. Freiwillige Gesellschaftsgläubiger
  • I. Gesellschafter – Gläubiger – Agenturproblem – The Agency Costs of Debt
  • II. Opportunismus im Verhältnis von Gesellschaftern und Gesellschaftsgläubigern
  • 1. Vermögensverschiebungen zu Lasten der Gläubiger
  • 2. Veränderung der Risikostruktur
  • 3. Exzessive Erhöhung der Schuldenlast
  • 4. Weitere Formen von Gesellschafteropportunismus
  • 5. Opportunistisches Verhalten und andere Risikofaktoren der Gesellschaftsgläubiger
  • III. Schutzmechanismen zur Vermeidung opportunistischen Gesellschafterverhaltens
  • 1. Grundlagen – Wege des Gläubigerschutzes
  • a. Gegenstrategien des Gesellschaftsgläubigers
  • b. Gegenstrategien der Gesellschaft und der Gesellschafter
  • c. Das Zusammenspiel verschiedener Gläubigerschutzmechanismen – institutioneller und privatautonomer Gläubigerschutz
  • 2. Privatautonome Regelungen – Covenants und Kreditsicherheiten
  • 3. Institutioneller Gläubigerschutz
  • a. (Mindest-)Garantiekapital
  • b. Pflichtversicherung
  • IV. Die Gesellschafterhaftung als Schutz der Gläubiger vor opportunistischem Gesellschafterverhalten
  • 1. Vermögensverschiebungen zu Lasten der Gläubiger
  • 2. Veränderung der Risikostruktur
  • 3. Exzessive Erhöhung der Schuldenlast
  • 4. Opportunistisches Verhalten und die Einflussmöglichkeit der Gesellschafter auf das Verhalten ihrer Mitgesellschafter
  • 5. Die Unvollständigkeit des Gläubigerschutzes und die Grenzen der persönlichen Haftung als potentielle Kritikpunkte
  • a. Vermögensverschiebungen auf Nichtgesellschafter
  • b. Relativierung der persönlichen Haftung durch Zwischenschalten von Kapitalgesellschaften
  • c. Begrenztheit des persönlichen Vermögens der Gesellschafter
  • d. Typisierende Lösung und die Absicherung gegen besondere Risiken
  • 6. Die Wahl der persönlichen Haftung als glaubwürdiges Signal und ihre Auswirkungen
  • V. Die Vervollständigung der Opportunismusvermeidung durch das Haftungskonzept der Personengesellschaften
  • 1. Persönliche Haftung der Gesellschafter, § 128 S. 1 HGB
  • a. Unmittelbare, primäre Haftung
  • b. Akzessorische Haftung
  • c. Gesamtschuldnerische Haftung
  • 2. Die einseitige Unabdingbarkeit der persönlichen Haftung, § 128 S. 2 HGB
  • 3. Die Haftung des eintretenden Gesellschafters nach § 130 HGB
  • 4. Die Nachhaftungsbegrenzung der §§ 159, 160 Abs. 1 HGB, § 736 Abs. 2 BGB
  • a. Die Zielsetzung der §§ 159, 160 Abs. 1 HGB, § 736 Abs. 2 BGB
  • b. § 160 Abs. 1 HGB, § 736 Abs. 2 BGB
  • c. § 159 HGB
  • 5. Die Haftung der mittelbar beteiligten Gesellschafter
  • a. Meinungsstand
  • b. Anreizorientierte Betrachtung
  • 6. Haftungsinhalt
  • B. Unfreiwillige Gläubiger
  • I. Die Haftung der Gesellschafter für deliktisch verursachte Schäden
  • 1. Die Funktionen des Deliktsrechts
  • 2. Die Gefährdungslage der unfreiwilligen Gläubiger durch eine Haftungsbegrenzung auf das Gesellschaftsvermögen
  • 3. Risikoaversion und Risikodistribution
  • 4. Haftung der Gesellschafter für Ansprüche aus Gefährdungs- und Produkthaftung
  • 5. Die Haftung der Gesellschaft und der Gesellschafter für deliktisch verursachte Schäden als Verhaltenssteuerungsmechanismus
  • a. Ökonomik der deliktsrechtlichen Verantwortlichkeit für Drittverhalten
  • b. Haftung der Gesellschaft
  • c. Haftung der Gesellschafter als Hintermänner
  • II. Sonstige gesetzliche Verpflichtungstatbestände
  • C. Zusammenfassung
  • § 3 Opportunismusvermeidung und das Innenverhältnis der Gesellschafter
  • I. Möglichkeiten und Grenzen der Einwirkungsmacht der Gesellschafter
  • 1. Gesellschafterliche Einwirkungsmacht nach dem gesetzlichen Leitbild
  • 2. Dispositivität der gesetzlichen Regeln und Grenzen der Einwirkungsmacht
  • 3. Die persönliche Haftung als Selbstbindung der Gesellschafter
  • 4. Die Verantwortlichkeit der Gesellschafter für eine adäquate Regelung des Innenverhältnisses
  • II. Minderheitenschutz im Lichte der persönlichen Haftung als Mechanismus zur Vermeidung gesellschafterlichen Opportunismus
  • 1. Die Funktion des Minderheitenschutzes
  • 2. Minderheitenschutz im Personengesellschaftsrecht
  • 3. Die Mitgliedschaftliche Treuepflicht als Mechanismus des Minderheitenschutzes
  • 4. Opportunistisches Verhalten als Verletzung der Treuebindung
  • III. Gesellschafteropportunismus und Funktionsschutz bei strukturgestaltenden Satzungsregelungen (am Beispiel von Hinauskündigungsklauseln)
  • 1. Der zwangsweise Ausschluss von Gesellschaftern nach dem gesetzlichen Leitbild und abweichende gesellschaftsvertragliche Regelungen
  • 2. Die Zulässigkeit von Hinauskündigungsklauseln in Rechtsprechung und Literatur
  • 3. Hinauskündigungsklauseln und die Funktion der persönlichen Haftung zur Vermeidung gesellschafterlichen Opportunismus
  • Kapitel 4: Schutz vor Gesellschafteropportunismus und Haftungsbeschränkungen bei Personengesellschaften
  • § 1 Einleitende Gedanken
  • § 2 Gesetzlich vorgesehene Haftungsbeschränkungen bei Personengesellschaften
  • A. OHG und BGB-Gesellschaft
  • B. Kommanditgesellschaft
  • I. Das Haftungssystem der KG
  • II. Die Haftung des Komplementärs und die Vermeidung von Gesellschafteropportunismus
  • III. Geschäftsführende Kommanditisten und andere atypische Gestaltungen
  • C. Partnerschaftsgesellschaft
  • I. Die Handelndenhaftung des § 8 Abs. 2 PartGG
  • 1. Die Voraussetzungen einer Haftungskonzentration auf die handelnden Partner
  • 2. Opportunismusvermeidung und Handelndenhaftung
  • II. Die neue PartG mit beschränkter Berufshaftung
  • 1. Das Haftungssystem der neuen PartG mit beschränkter Berufshaftung
  • 2. Der Gläubigerschutz durch die Berufshaftpflichtversicherung und ergänzende Institute
  • a. Die Kompensationswirkung der Berufshaftpflichtversicherung und die Grenzen ihrer Anreizwirkung
  • b. Alternative Gläubigerschutzmechanismen
  • (1) Pflicht zur angemessenen Versicherung
  • (2) Ergänzender Gläubigerschutz durch die Anwendung der Existenzvernichtungshaftung
  • (3) Verantwortlichkeit der Gesellschafter im Innenverhältnis
  • § 3 Rechtsgeschäftliche Haftungsbeschränkungen bei Personengesellschaften
  • A. Einvernehmliche Haftungsbeschränkungen
  • I. Ausdrückliche Haftungsvereinbarungen
  • II. Konkludente Haftungsvereinbarungen
  • III. Praktische Realisierbarkeit ausdrücklicher Haftungsvereinbarungen
  • B. Haftungsbeschränkung in AGB
  • I. Materielle Inhaltskontrolle nach § 307 BGB
  • II. AGB und die Vermeidung gesellschafterlichen Opportunismus
  • C. Haftungsbeschränkung durch Beschränkung der Vertretungsmacht
  • I. Beschränkung der Haftung durch eine Beschränkung der Vertretungsmacht im Rahmen der Doppelverpflichtungslehre
  • II. Beschränkung der Vertretungsmacht und die persönliche Gesellschafterhaftung nach der Akzessorietätslehre
  • 1. Problemstellung und Meinungsspektrum
  • 2. Anreizorientierte Betrachtung
  • § 4 Atypische Erscheinungsformen und die Beschränkbarkeit der persönlichen Haftung
  • A. Die Vielgestaltigkeit der BGB-Gesellschaften als vermeintliches Problem
  • B. Institutionelle Haftungsbeschränkung und formularvertragliche Lösungsansätze
  • I. Begründungansätze für eine institutionelle Haftungbeschränkung
  • II. Formularvertragliche Lösungsansätze
  • C. Atypische Erscheinungsformen
  • I. Publikums-BGB-Gesellschaften
  • 1. Begriffsbestimmung
  • 2. Privilegierungsbedürftigkeit der Anleger
  • 3. AGB-rechtliche und institutionelle Haftungsbeschränkungen bei Publikums-BGB-Gesellschaften
  • 4. Publikumspersonengesellschaften und die Gefahr opportunistischen Verhaltens
  • II. Gemeinnützige BGB-Gesellschaften
  • 1. Begriffsbestimmung
  • 2. Privilegierungsbedürftigkeit der Gesellschafter bei der Ideal-BGB-Gesellschaft
  • 3. Institutionelle Haftungsbeschränkung
  • 4. Gemeinnützige BGB-Gesellschaften und der Schutz vor opportunistischem Gesellschafterverhalten
  • III. Gelegenheitsgesellschaften
  • 1. Begriffsbestimmung
  • 2. Funktionale Betrachtung der persönlichen Haftung bei Gelegenheitsgesellschaften
  • Kapitel 5: Zusammenfassung der Ergebnisse
  • Literatur

← XVI | XVII →

Abkürzungen

← XX | 1 →

Kapitel 1:  Einleitung und Grundlagen

§ 1  Anlass und Ziel der Untersuchung

Eine der vielleicht umstrittensten Fragen des deutschen Gesellschaftsrechts war fast 100 Jahre lang die nach der Rechtsfähigkeit und dem Haftungsregime der BGB-Gesellschaft.1 Einen „Schlusstein“2 in dieser Diskussion schienen zwei Entscheidungen des BGH gesetzt zu haben: zum einen die Entscheidung vom 27.9.19993 gegen die Möglichkeit einer einseitigen Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen sowie gegen die Geltung der Doppelverpflichtungstheorie in der BGB-Gesellschaft und zum anderen das Urteil vom 29.1.20014, in dem der BGH die Rechtsfähigkeit der Außen-GbR sowie die akzessorische Haftung der Gesellschafter anerkannte.5 Dennoch bleiben viele Aspekte weiterhin umstritten und die Diskussion um das Haftungsregime der Personengesellschaften dauert an.6 Dabei geht es nicht nur um die Reichweite der persönlichen Gesellschafterhaftung nach § 128 HGB (analog)7, insbesondere die Haftung für gesetzliche Verbindlichkeiten oder die Zulässigkeit von Haftungsbeschränkungen durch AGB. In den letzten Jahren wird wieder vermehrt die allgemeine Geltung der persönlichen Gesellschafterhaftung bei Personengesellschaften jeder Art in Zweifel gezogen. Vor allem Ansätze, die eine institutionelle Beschränkung der Haftung der Gesellschafter für bestimmte Arten von BGB-Gesellschaften befürworten, sind im Vordringen begriffen.8 Solche institutionellen Einschränkungen nimmt der BGH bisher grundsätzlich nicht vor, auch wenn die Entscheidung des II. Zivilsenats in Bezug auf die sog. Bauherrengemeinschaften 9 ← 1 | 2 → ausnahmsweise die Annahme einer institutionellen Haftungsbeschränkung für die Gesellschafter einer solchen Gesellschaft nahelegt.10

In diesem Kontext ist die gesetzliche Neuschöpfung der „Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung“ zu sehen, einer gesetzlichen Variante der Partnerschaftsgesellschaft, die die persönliche Haftung der Partner durch eine Haftpflichtversicherung substituiert, und die einen allgemeinen Trend zum erleichterten und breiteren Zugang zu haftungsbeschränkten Gesellschaften zu untermauern scheint.11

Seit einigen Jahren hat die ökonomische Analyse bzw. Theorie des Rechts12 in der deutschen Rechtswissenschaft als grundsätzlich akzeptierte Methode Eingang gefunden.13 Gerade das Gesellschaftsrecht ist prädestiniert für eine ökonomische Analyse. In Deutschland konzentrierte sich ihre Anwendung bisher im Wesentlichen auf das Recht der Kapitalgesellschaften; das Recht der Personengesellschaften wurde hingegen wenig beachtet,14 obwohl über das Haftungsregime und Haftungsbeschränkungen ← 2 | 3 → bei Personengesellschaften extensiv geschrieben wurde.15 In Bezug auf die Haftungsbeschränkung der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft hat die ökonomische Analyse bereits den wichtigen Beitrag geleistet, die Vorteile haftungsbeschränkter Gesellschaftsformen aufzuzeigen, ja sogar ihre Notwendigkeit zu begründen.16 Da die persönliche Haftung als grundsätzlich geltendes Prinzip des Verbandsrechts und die Beschränkung der persönlichen Haftung als die begründungsbedürftige Ausnahme gesehen wird,17 unterbleibt jedoch häufig eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Funktion und Wirkungsweise der persönlichen Haftung.

Diese Erwägungen bilden den Anlass und Rahmen für diese Arbeit. Es soll daher, unter zentraler Berücksichtigung ökonomischer Erkenntnisse, die Haftung der Gesellschafter von Personengesellschaften für Verbindlichkeiten der Gesellschaft untersucht werden.18 Anknüpfend an die Erkenntnisse Trögers19, soll der Frage nachgegangen werden, ob die unbeschränkte persönliche Haftung der Gesellschafter ein allgemein gültiges Modell für alle Personengesellschaften ist und wie sich gesetzliche und privatautonome Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten zu einem derartigen Modell verhalten. Außerdem sollen die Auswirkungen einer ökonomischen Betrachtung der Haftung auf das Innenverhältnis der Gesellschafter in den Blick genommen werden. Ziel ist es, im Rahmen der dogmatisch ausgiebig analysierten Problem- und Fragestellungen durch die Einbeziehung der aus einer ökonomischen Betrachtung gewonnen Erkenntnisse, dogmatisch hergeleitete Ansichten kritisch zu hinterfragen, neue Argumente zu gewinnen und vorhandene zu konkretisieren. ← 3 | 4 →

§ 2  Methodische Vorgehensweise und ökonomische Grundannahmen

I.  Die Ökonomische Theorie des Rechts als rechtswissenschaftliche Methode und ihr Erkenntnisgewinn

Um nicht Gefahr zu laufen, in Bezug auf das Haftungsregime der Personengesellschaften eine rein abstrakte Deduktion einer allgemeinen Haftungstheorie bzw. eines allgemeinen Grundsatzes der Gesellschafterhaftung oder eine begriffsjuristische Analyse eines gesellschaftsrechtlichen Gesamthandsprinzips vorzunehmen, sind maßgeblich die Interessen der Beteiligten in den Blick zu nehmen und zu untersuchen. Die Anwendung des ökonomischen Instrumentariums, insbesondere im Rahmen einer positiven Analyse rechtlicher Fragestellungen, kann durch die Konkretisierung der durch eine Regelung (als Restriktion menschlichen Verhaltens) geschaffenen Anreize helfen, die konkreten Interessenslagen und –konflikte herauszuarbeiten, die Auswirkungen möglicher Regelungen aufzuzeigen und einer Bewertung zuzuführen. Dabei muss diese Bewertung nicht nur am Maßstab der Effizienz erfolgen – im Rahmen einer Interessenabwägung können andere Ziele, wie bspw. Verteilungsgerechtigkeit als höherrangig bewertet werden.20

Insbesondere in Bezug auf die undurchsichtigen Begriffe des „Gläubigerschutzes“ oder des „Minderheitenschutzes“ kann durch eine Fokussierung auf konkrete „opportunistische“21 Verhaltensweisen, durch die näher bestimmte Interessen der Gesellschaftsgläubiger oder der Minderheitsgesellschafter in Gefahr geraten, Argumente für die angemessene Gestaltung des institutionellen Rahmens zur Steuerung der benannten Gefahren gefunden werden.22

II.  Begriffe und Grundlagen der Neuen Institutionenökonomik

Für die ökonomische Herangehensweise an rechtliche Fragestellungen kommen verschiedene Ansätze in Betracht. Hier soll als Grundlage der ökonomischen Betrachtung die sog. Neue Institutionenökonomik dienen. Nachfolgend wird eine kurze Einführung in die maßgeblichen Begriffe und Grundlagen der Neuen Institutionenökonomik gegeben, besonders in das ihr zugrunde liegende Verhaltensmodell des Homo oeconomicus und den Begriff der Transaktionskosten. Diese Begriffe sind die Basis für weitere ökonomische Konzepte, vor allem das des Opportunismus, die im Rahmen der Arbeit relevant werden. 23 ← 4 | 5 →

1.  Neue Institutionenökonomik

Konkret befasst sich die Neue Institutionenökonomik mit der ökonomischen Analyse von Institutionen.24 Dabei handelt es sich um keine einheitliche Theorie, sondern vielmehr um eine Sammelbezeichnung, die verschiedene Theorieansätze umfasst, wie u. a. die Transaktionskostenökonomik, die Property-Rights-Theorie, die Prinzipal-Agenten-Theorie und die ökonomische Theorie der Verfassung.25 Die Neue Institutionenökonomik lässt sich in einen positiven und einen normativen Teilbereich untergliedern.

Die positive Ökonomik gibt dem Juristen keine normativen Kriterien an die Hand. Es wird vielmehr untersucht, wie sich Institutionen auf das Verhalten von Akteuren auswirken.26 Institutionen als wichtige Einflussgrößen des Wirtschaftslebens werden anhand des sog. ökonomischen Paradigmas analysiert.27 Unter der Annahme der Ressourcenknappheit28 wird auf Basis eines methodologischen Individualismus29, dessen Grundlage der Homo oeconomicus als überwiegend eigennützig handelndes Wesen ist, das Verhalten von Individuen in Entscheidungssituationen untersucht. Für die Charakterisierung der Entscheidungssituation sind zwei Faktoren relevant: Restriktionen und Präferenzen.30

Methodologischer Individualismus bedeutet, dass Ausgangspunkt und Träger aller Entscheidungen das Individuum selbst ist. Es gibt in einem sozialen Aggregat weder ein von den Interessen der es ausmachenden Individuen zu unterscheidenes kollektives Interesse noch ein eigenständiges Handeln dieses Kollektivs.31 Folglich müssen soziale ← 5 | 6 → Prozesse und Institutionen unter Rückgriff auf theoretische Aussagen über individuelles Verhalten erklärt werden.32 Dies ist von Bedeutung, wenn innerhalb einer Gruppe von Individuen Entscheidungsbefugnisse delegiert werden und dies mit Informationsasymmetrien verbunden ist. Das besondere Verhältnis des Delegierenden (Prinzipal) zum Geschäftsführer (Agent) ist Gegenstand der Prinzipal-Agenten-Theorie.33

Eine einheitliche Definition des Begriffs der Institution findet sich in der Literatur nicht.34 Allgemein werden Institutionen verstanden als „soziale Phänomene, die sowohl das Produkt menschlichen Handelns sind als auch bestimmend für dieses“35. Genauer definiert sind Institutionen Regelungs- und Vollzugssysteme, die Handlungen von Individuen lenken.36 Prämisse dabei ist, dass das menschliche Verhalten durch Institutionen als Restriktionen und Anreize beeinflusst werden kann.37 Insbesondere (sanktionsbewehrte) rechtliche Regelungen können als Institutionen verstanden werden.38 Dabei stellt das Recht einen Mechanismus dar, der Verhalten verbilligen oder verteuern kann. Im Ergebnis geht es bei der positiven ökonomischen Analyse des Rechts um die ex ante Beschreibung, Erklärung und Prognose menschlichen Verhaltens, das beeinflusst wird durch das Recht als Institution, als Restriktion oder Anreiz. Es kann auf dieser Grundlage beispielsweise gezeigt werden, welche Regelungsmöglichkeit unter mehreren Alternativen die effizienteste ist. Insofern bildet die positive Ökonomik die Grundlage für die normative ökonomische Theorie des Rechts.39

Die normative ökonomische Theorie versucht theoretisch denkbare Normgestaltungen für die Lösung eines Problems zu bewerten.40 Es geht um die Fragen, wie das ← 6 | 7 → Recht ausgestaltet sein soll und welche Ziele mit dem Recht verfolgt werden sollen.41 Verfolgtes Ziel kann dabei wohlfahrtsökonomische Effizienz42 sein. Wenn die positive Ökonomik aufgezeigt hat, wie Menschen auf verschiedene Regelungsalternativen reagieren, dann folgert die normative Ökonomik, dass die Regelung, die zu einem effizienten Zustand führt, die erstrebenswerte und daher beste Regelung ist.43

Neben dem wohlfahrtsökonomischen Effizienzkriterium findet sich in der Neuen Institutionenökonomik auf Grundlage eines normativen Individualismus als zentraler Bewertungsmaßstab des Vertragsrechts der hypothetische Konsens der Parteien.44 Gesetzliche Regelungen werden daran gemessen, was die Parteien in der Abwesenheit von Transaktionskosten und Informationsasymmetrien vereinbart hätten. Ziel rationaler Parteien ist es am Markt durch einen freiwilligen Tausch einen auf die Parteien zu verteilenden Kooperationsgewinn zu generieren.45 Dieser Kooperationsgewinn resultiert daraus, dass durch den Vertrag eine für beide Parteien nutzensteigernde, d. h. effizientere Verteilung von Ressourcen erwirkt wird.46 Den kumulierten Präferenzen der Betroffenen entspricht daher eine Regelung, die ihre ursprünglich angestrebten Ziele gegen die Gefahren des ex post Opportunismus optimal absichert, da sie aus einer ex ante Perspektive nicht wissen können, ob sie sich in der Zukunft opportunistischem Verhalten des Vertragspartners ausgesetzt sehen werden.47

Zum gleichen Ergebnis kommt das wohlfahrtsökonomische Effizienzkriterium. Für das Gesellschaftsrecht, insbesondere wenn es sich um Außenrecht handelt, ist es schwer zu bestreiten, dass es ein gesamtgesellschaftliches Ziel ist, allokativ effiziente Transaktionen zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Dem Gesellschaftsrecht kann neben dem allgemeinen Vertragsrecht und insbesondere dem Leistungsstörungsrecht48 die Funktion zugeschrieben werden, durch eine rechtliche Absicherung, Kooperationen am Markt und darüber hinaus als Organisationsrecht auch ← 7 | 8 → innerhalb von Hierarchien zu fördern. Die persönliche Gesellschafterhaftung dient der Absicherung der mit dem unvollständigen Vertrag durch Gesellschaftsgläubiger und Gesellschaft als Ergebnis dezentraler Entscheidungen am Markt angestrebten, effizienten Ressourcenallokation gegen ex post Opportunismus der Gesellschafter, sowie der Senkung von Transaktionskosten.49

2.  Das Verhaltensmodell des Homo oeconomicus

Das Verhaltensmodell des Homo oeconomicus dient sowohl der ex ante Prognose als auch ex post Erklärung50 menschlicher Verhaltensweisen in Entscheidungssituationen. Dabei handelt es sich beim Homo oeconomicus nicht um ein umfassendes Menschenbild, sondern um ein rein theoretisches Konstrukt, das als möglichst realitätsnahes und gleichzeitig operables, d. h. auf wesentliche Eigenschaften reduziertes Modell zur Verhaltensprognose dienen soll.51

Grundlage des Verhaltensmodells des Homo oeconomicus sind zwei Verhaltensannahmen: die Maximierung des Eigennutzens (Eigennutzentheorem) sowie die Rationalität der getroffenen Entscheidung.

a.  Eigennutzentheorem

Die ökonomische Theorie nimmt an, dass Akteure in Entscheidungssituationen diejenige Entscheidung treffen, die aus ihrer Sicht und entsprechend ihrer Präferenzen52 die größte Mehrung ihres Nutzens verspricht (Eigennutztheorem).53 Die Präferenzen der Akteure werden dabei nicht grundsätzlich auf Präferenzen materieller Natur reduziert. Berücksichtigt werden kann prinzipiell jedwede Art von Nutzen. ← 8 | 9 → Eine Steigerung des Eigennutzens kann folglich auch in einem altruistischen oder missgünstigen Verhalten liegen.54

Problematisch an einem solch offenen und weiten Verständnis von Präferenzen ist, dass der Homo oeconomicus als Verhaltensmodell seine Erklärungskraft, insbesondere in Bezug auf eine ex ante Prognose einzubüßen droht.55 Daher wird häufig eine Beschränkung auf egoistisches und an materiellen Werten interessiertes Handeln vorgenommen.56 Diese Einschränkung erscheint insbesondere bei einer wirtschaftlichen Betätigung der Akteure plausibel, da der Wettbewerb nicht eigeninteressiert57 handelnde Akteure aus dem Markt drängen würde, da ein solches Verhalten nicht profitabel erscheint.58 In Bezug auf nichtwirtschaftliche Tätigkeiten wird in dieser Arbeit jedoch ein weites Verständnis von Präferenzen zu Grunde gelegt, was folglich keine Beschränkung auf materielle Werte und Interessen beinhaltet.

b.  Rationalitätsprinzip

Details

Seiten
XX, 310
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653069549
ISBN (ePUB)
9783653956849
ISBN (MOBI)
9783653956832
ISBN (Hardcover)
9783631676134
DOI
10.3726/978-3-653-06954-9
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Juni)
Schlagworte
Gesellschafterhaftung Treuepflicht Opportunismus Ökonomische Analyse des Rechts
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. XX, 310 S.

Biographische Angaben

Lisa Pfaffinger (Autor:in)

Lisa Pfaffinger hat Rechtswissenschaften an der Universität Passau und dem King’s College London, England, studiert. Sie war Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, an der sie auch promoviert wurde.

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