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Die Haftung des Hauptversammlungsleiters

von Sebastian Pliquett (Autor:in)
©2015 Dissertation XX, 165 Seiten

Zusammenfassung

Ergeben sich durch Fehler des Hauptversammlungsleiters monetäre Schäden der Aktiengesellschaft, wirft dies die Frage nach der Haftung auf. Ob und wie der Hauptversammlungsleiter als oberste Leitungsinstanz von der Gesellschaft in Regress genommen werden kann, ist Gegenstand des Buches. Sebastian Pliquett überprüft sowohl die Organhaftungsregelungen des AktG als auch die schuldrechtlichen Schadenersatznormen des BGB auf ihre Einschlägigkeit. Außerdem gibt er Hinweise für eine Vermeidung, Reduzierung sowie Versicherbarkeit des Haftungsrisikos.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Einführung und Problemaufriss
  • II. Abgrenzung
  • III. Relevanz der Thematik und Bestandsaufnahme
  • IV. Gang der Untersuchung
  • B. Grundsätzliches zum Hauptversammlungsleiter
  • I. Notwendigkeit einer Hauptversammlungsleitung
  • II. Einordnung anhand des Wortlauts
  • III. Begründung und Beendigung des Amtes
  • 1. Begründung des Amtes
  • a) Gesetzliche Regelungen
  • b) Satzungsbestimmungen
  • c) Geschäftsordnung
  • d) Wahl durch Hauptversammlung
  • 2. Pflicht zur Übernahme des Amtes
  • 3. Ende der Amtsstellung
  • a) Ende der Hauptversammlung
  • b) Amtsniederlegung
  • c) Absetzung des Hauptversammlungsleiters
  • aa) Begründung des Amtes durch Wahl
  • bb) Begründung des Amtes durch Satzung
  • cc) Prozedere der Abwahl und deren Folgen
  • IV. Der Hauptversammlungsleiter in der Praxis
  • 1. Aufsichtsratsmitglieder
  • 2. Aktionäre
  • 3. Externe/professionelle Leiter
  • C. Aufgaben und Befugnisse des Hauptversammlungsleiters
  • I. Einführung
  • II. Das Spannungsfeld zwischen Teilnahmerecht und Leitung
  • 1. Das Teilnahmerecht
  • 2. Verhältnis von Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters zum Teilnahmerecht der Aktionäre
  • a) Einschränkung des Teilnahmerechts durch Leitungsmaßnahmen
  • b) Doppelwirkung des Hauptversammlungsleiterhandelns auf das Teilnahmerecht
  • III. Schranken für das Handeln des Hauptversammlungsleiters
  • IV. Aufgaben/Befugnisse
  • 1. Leitungsaufgaben
  • a) Eröffnung der Hauptversammlung
  • b) Erledigung der Tagesordnung
  • aa) Aussprache
  • bb) Die Beschlussfassung durch Abstimmung
  • (1) Teilnehmerverzeichnis
  • (2) Das Abstimmungsprozedere
  • (3) Die Abstimmung
  • (4) Feststellung der Beschlussfassung
  • (5) Wiederaufgreifen von Tagesordnungspunkten
  • c) Beendigung der Hauptversammlung
  • 2. Ordnungsaufgaben
  • a) Kontrollen am Einlass
  • b) Beschränkung der Redezeit
  • aa) Generelle Beschränkungen
  • (1) Beschränkung der Redezeit aller nachfolgenden Redner
  • (2) Schluss der Rednerliste oder Debatte
  • bb) Individuelle Beschränkungen
  • (1) Grundsatz
  • (2) Einzelfälle
  • cc) Beschränkung des Auskunftsrechts
  • c) Sonstige individuelle Maßnahmen gegen Aktionäre
  • d) Der Saalverweis gegen einen Aktionär
  • aa) Saalverweis gegen den (weiter-)redenden Aktionär
  • bb) Saalverweis bei sonstigen Störungen
  • cc) Durchsetzung des Saalverweises
  • e) Sonstige Ordnungsmaßnahmen
  • aa) Störung durch Gesellschaftsfremde
  • bb) Störung durch äußere Einflüsse
  • V. Pflichten
  • D. Folgen des Handelns des Hauptversammlungsleiters
  • I. Rechtliche und tatsächliche Folgen
  • 1. Ergebnis der Hauptversammlung
  • a) Beschlüsse als Ergebnis und Folge der Hauptversammlung
  • b) Einfluss des Hauptversammlungsleiters auf die Beschlüsse
  • c) Rechtliche Relevanz der Hauptversammlungsleitung
  • d) Zwischenergebnis: Beschlüsse als mittelbare Folge des Hauptversammlungsleiterhandelns
  • 2. Bestandsabhängigkeit der Beschlüsse
  • a) Gerichtliche Überprüfung von Hauptversammlungsbeschlüssen
  • b) Fehler des Hauptversammlungsleiters als Verfahrensfehler im Anfechtungsprozess
  • c) Zwischenergebnis
  • 3. Tatsächliche Auswirkungen der nachträglichen Bestandsabhängigkeit
  • a) Auswirkungen des schwebenden Anfechtungsverfahrens
  • b) Auswirkungen bei bereits entschiedenem Anfechtungsverfahren
  • aa) Auswirkungen bei rechtmäßigem Handeln
  • bb) Auswirkungen bei rechtswidrigen Handeln
  • c) Auswirkungen rechtswidrigen Verhaltens bei nicht erfolgter Anfechtung
  • d) Einfluss des Freigabeverfahrens
  • aa) Grundsätze bezüglich des Freigabeverfahrens
  • bb) Auswirkung des Freigabeverfahrens auf die tatsächlichen Folgen des Hauptversammlungsleiterhandelns
  • e) Zwischenergebnis
  • 4. Ausnahmesituation der fehlenden Beschlussfassung
  • 5. Sonstiges Vorgehen gegen rechtswidrige Maßnahmen des Hauptversammlungsleiters
  • II. Beispiele aus der Rechtsprechung
  • 1. Beispiel 1
  • a) Sachverhalt
  • b) Entscheidung
  • c) Analyse
  • 2. Beispiel 2
  • a) Sachverhalt
  • b) Entscheidung
  • c) Analyse
  • 3. Beispiel 3
  • a) Sachverhalt
  • b) Entscheidung
  • c) Analyse
  • E. Organhaftung
  • I. Direkte Anwendung
  • 1. Anspruchsgegner
  • a) Organmitgliedern als Haftungsadressaten
  • b) Hauptversammlungsleitung als organhaftungsbegründende Tätigkeit
  • aa) Trennung von Hauptversammlungsleitung und Aufsichtsratstätigkeit
  • (1) Grundsatz
  • (2) Satzungsregelung als Bindeglied
  • bb) Hauptversammlungsleitung als Organaufgabe aufgrund entsprechender Satzungsanordnung
  • (1) Wortlaut der Satzungsanordnungen als Anhaltspunkt für Aufgabenverknüpfung
  • (2) Zulässigkeit der Kompetenzerweiterung durch Satzung
  • (a) Sinn und Zweck des Verbotes der Kompetenzerweiterung
  • (b) Erweiterung im Hinblick auf Hauptversammlungsleitung zulässig
  • (c) Zwischenergebnis
  • (3) Tatsächliche Betrachtungen bezüglich Aufgabenerweiterung
  • (4) Zwischenergebnis
  • cc) Konsequenz der These von der Aufgabenerweiterung für die Haftung
  • c) Zwischenergebnis
  • 2. Pflichtverletzung
  • a) Konkretisierung der Pflichten des Hauptversammlungsleiters
  • aa) Pflicht zur Übernahme
  • bb) Pflicht zur sachgerechten und rechtmäßigen Leitung
  • b) Auswirkung des Ermessens des Hauptversammlungsleiters auf die gerichtliche Überprüfung
  • c) Bedeutung der Business Judgement Rule für den Hauptversammlungsleiter
  • d) Zwischenergebnis
  • e) Auswirkungen im Prozess
  • aa) Bindungswirkung bezüglich der Rechtswidrigkeit des Handelns des Hauptversammlungsleiters
  • bb) Bindungswirkung über § 248 AktG
  • cc) Bindungswirkung durch Streitverkündung
  • dd) Ergebnis betreffend die Frage der Bindungswirkung
  • f) Sonderkonstellation der nicht eröffneten Hauptversammlung
  • 3. Verschulden
  • a) Grundsatz
  • b) Bedeutung des Verschuldens bei der Organhaftung
  • c) Das Verschuldenselement bei der Haftung des Hauptversammlungsleiters
  • 4. Schaden/Kausalität
  • 5. Haftungsbeschränkungen
  • a) Gesetzliche Haftungsbeschränkungen
  • aa) Anwendbarkeit des § 708 BGB
  • bb) Anwendbarkeit der §§ 31a und b BGB
  • (1) Direkte Anwendbarkeit
  • (2) Analoge Anwendbarkeit
  • cc) Ergebnis
  • b) Fürsorgepflicht in Verbindung mit den Grundsätzen der beschränkten Arbeitnehmerhaftung
  • c) Vereinbarte Haftungsbeschränkung
  • aa) Vereinbarung betreffend Haftungsbegrenzung für bestimmte Arten des Verschuldens
  • bb) Vereinbarung einer Haftungshöchstgrenze
  • d) Zwischenergebnis
  • 6. Beweislast
  • a) Grundsatz der Beweislastverteilung im Organhaftungsprozess
  • b) Anwendung der Sonderregelungen zur Beweislast auf die Haftung des Hauptversammlungsleiters
  • c) Zwischenergebnis
  • 7. Möglichkeit des Haftungsausschlusses aufgrund Beschlusses der Hauptversammlung
  • 8. Zusammenfassung
  • II. Analoge Anwendung
  • 1. Hauptversammlungsleiter als Organ der Gesellschaft
  • a) Herrschende Meinung
  • b) Stellungnahme zur Organqualität des Hauptversammlungsleiters
  • aa) Organbegriff
  • bb) Anwendbarkeit des Organbegriffs auf den Hauptversammlungsleiter
  • (1) Kein unmittelbares Tätigwerden des Hauptversammlungsleiters für die Gesellschaft
  • (2) Keine Organstellung aufgrund weitreichender Rechte des Hauptversammlungsleiters
  • (3) Fehlende Selbstständigkeit
  • (4) Fazit
  • cc) Zwischenergebnis
  • 2. Vergleichbare Interessenlage trotz fehlender Organstellung
  • a) Sinn und Zweck der Organhaftung
  • b) Anwendung des Sinn und Zwecks der Organhaftung auf den Hauptversammlungsleiter
  • c) Vergleich von Regress aufgrund eines Vertragsverhältnisses und des auf der Organstellung beruhenden Regresses
  • d) Zwischenergebnis
  • 3. Ergebnis
  • III. Ergebnis zur Organhaftung
  • F. Schuldrechtliche Haftung
  • I. Haftung aufgrund eines bestehenden Schuldverhältnisses
  • 1. Vorfrage: Schadensersatz statt oder neben der Leistung
  • a) Verschiedene Schadensarten
  • b) Beispiel
  • aa) Sachverhalt
  • bb) Lösungen
  • cc) Zwischenergebnis
  • dd) Verzugsschaden
  • c) Zwischenergebnis
  • 2. Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB
  • a) Schuldverhältnis
  • aa) Schuldverhältnis bei entlohnter Hauptversammlungsleitung
  • bb) Schuldverhältnis bei Hauptversammlungsleitung ohne Entlohnung
  • (1) Leitung durch satzungsmäßig bestimmtes Aufsichtsratsmitglied
  • (a) Existenz eines Schuldverhältnisses zwischen einzelnem Aufsichtsratsmitglied und Gesellschaft
  • (b) Verhältnis schuldrechtlicher Haftung zur Organhaftung
  • (2) Schuldverhältnis bei unentgeltlicher Leitung durch eine in der Hauptversammlung gewählte Person
  • (3) Sonderfall: Gerichtlich bestellter Hauptversammlungsleiter
  • (a) Vergleich mit anderen gerichtlich bestellten Personengruppen
  • (b) Vergleichbare Situation beim gerichtlich bestellten Hauptversammlungsleiter
  • (c) Unterschied zum korporationsrechtlichen Verhältnis
  • (4) Zusammenfassung zu den Schuldverhältnissen bei unentgeltlicher Tätigkeit
  • cc) Ergebnis
  • b) Pflichtverletzung
  • c) Vertretenmüssen
  • d) Schaden/Kausalität
  • e) Haftungsbeschränkungen
  • aa) Gesetzliche Haftungsbeschränkungen
  • (1) Anwendbarkeit der existierenden gesetzlichen Haftungsbeschränkung aufgrund Vertragstypus
  • (a) Unentgeltliche Übernahme der Leitungsverantwortung
  • (b) Entgeltliche Übernahme der Leitungsverantwortung
  • (c) Zwischenergebnis
  • (2) Haftungsbeschränkung aufgrund bestehender gesellschaftsrechtlicher Regelungen
  • (a) Anwendbarkeit der Haftungsbeschränkung des GbR-Rechts
  • (b) Anwendbarkeit der Haftungsbeschränkungen des Vereinsrechts
  • (c) Zwischenergebnis zur Anwendbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Haftungsbeschränkungen
  • (3) Ergebnis zur Anwendbarkeit der bestehenden gesetzlichen Haftungsbeschränkungen
  • bb) Sonstiger Inhalt des Schuldverhältnisses
  • (1) Direkte Anwendung der Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung
  • (2) Analoge Anwendung der Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung
  • (a) Grundgedanken der beschränkten Arbeitnehmerhaftung
  • (b) Anwendbarkeit der Grundgedanken der beschränkten Arbeitnehmerhaftung auf den Hauptversammlungsleiter
  • (c) Ergebnis und Konsequenz
  • cc) Möglichkeit der vertraglichen Beschränkung der Haftung
  • (1) Zustandekommen von beschränkenden Abreden
  • (a) Grundsätze der stillschweigenden Haftungsbeschränkung
  • (b) Auswertung der bestehenden Rechtsprechung
  • (c) Anwendung der Grundsätze auf den Hauptversammlungsleiter
  • (d) Zwischenergebnis
  • (2) Rechtmäßigkeitskontrolle der Haftungsklausel
  • (a) Relevanz der AGB-Kontrolle
  • (b) Auswirkungen der AGB-Kontrolle
  • (3) Zwischenergebnis
  • dd) Zwischenergebnis
  • ee) Haftungsbeschränkung zugunsten eines gerichtlich bestellten Hauptversammlungsleiters
  • f) Beweislastverteilung
  • g) Ergebnis
  • 3. Haftung nach § 280 Abs. 3 BGB in Verbindung mit § 281 BGB
  • 4. Haftung nach § 280 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 286 BGB
  • II. Deliktische Haftung
  • 1. § 823 Abs. 1 BGB
  • 2. § 823 Abs. 2 BGB
  • 3. § 826 BGB
  • 4. Ergebnis
  • G. Versicherung des Haftungsrisikos
  • I. Grundsätzliche Versicherbarkeit des Hauptversammlungsleiterhandelns
  • II. Notwendigkeit des Versicherungsschutzes
  • III. Bestehende D&O-Versicherung und Hauptversammlungsleitung
  • 1. Umfang des durch D&O-Versicherungen gewährten Schutzes
  • 2. Hauptversammlungsleitung als Organtätigkeit auch betreffend D&O-Versicherung
  • 3. Ergebnis
  • H. Zusammenfassung der Ergebnisse/Fazit
  • I. Haftung von Mitgliedern der Gesellschaftsorgane
  • 1. Gewonnene Erkenntnisse
  • 2. Fazit
  • II. Haftung von sonstigen Personen
  • 1. Gewonnene Erkenntnisse
  • 2. Fazit
  • III. Ausblick/Empfehlung
  • Literaturverzeichnis

A.   Einleitung

I.   Einführung und Problemaufriss

Der Leiter einer Hauptversammlung steht im Zentrum der alljährlich stattfindenden Aktionärsversammlungen deutscher Aktiengesellschaften. Seine Position ist schon seit jeher besonders wichtig für das Gelingen der Hauptversammlung. Als Leiter der Versammlung ist er die zentrale Schaltstelle im Hauptversammlungsgeschehen und tritt gegenüber den teilnehmenden Aktionären als Aushängeschild der Verwaltung in Erscheinung. Damit einhergehen sowohl im Hinblick auf die Leitung als auch auf die Ordnung der Versammlung weitreichende Kompetenzen, die erhebliche Folgen für alle an der Hauptversammlung Beteiligten entfalten.

Die Relevanz der Leitungsposition und der damit verbundenen Aufgaben und Befugnisse hat sich in neuerer Zeit noch erheblich gesteigert. Denn spätestens seitdem die Aktionäre begonnen haben, ihre Rechte auf der Versammlung aktiv einzufordern und auszuüben, steht der Hauptversammlungsleiter als Organisator dieser von verschiedenen Interessen und Motivationen bestimmten Versammlung noch mehr im Zentrum des Geschehens. Unter Berücksichtigung der Belange und Interessen der auf der Hauptversammlung vertretenen Aktionäre hat der Hauptversammlungsleiter die Versammlung so zu organisieren, dass diese effektiv die gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben als Organ der Gesellschaft abarbeiten und erledigen kann. Weiter muss er auch dafür sorgen, dass die auf der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse nicht rechtswidrig sind und infolge eines von Aktionären eingeleiteten Anfechtungsverfahrens für nichtig erklärt werden. Er hat das allgegenwärtige Anfechtungsrisiko zu minimieren. Diese Aufgabe kann besonders herausfordernd sein, wenn auf sogenannten kritischen Hauptversammlungen Aktionäre lautstark und penetrant auftreten und dadurch versuchen, die Anfechtbarkeit von Beschlüssen gezielt zu provozieren.1

In Anbetracht dieser Aufgabenfülle und der immer schwieriger werdenden Begleitumstände einer regulären Hauptversammlung erscheint es durchaus plausibel, dass dem Hauptversammlungsleiter in Wahrnehmung seiner Tätigkeit Fehler unterlaufen. Zwar steht ihm für die Erledigung seiner Aufgabe meist ein vorher erarbeiteter, umfangreicher Leitfaden zur Verfügung,2 doch kann ein solcher nicht jede unvorhergesehene Situation der Hauptversammlung beinhalten. Mit einem Fehlverhalten ist in Anbetracht der vielfältigen Herausforderungen und der notwendigen Spontaneität der Handlungen grundsätzlich immer zu rechnen. ← 1 | 2 →

Von der Erkenntnis einer gewissen Fehleranfälligkeit der Hauptversammlungsleitung gelangt man schnell zu den Folgen, die solche Fehler des Hauptversammlungsleiters haben können. Unstrittig ist, dass aufgrund der entscheidenden und einflussreichen Position des Versammlungsleiters Fehler erhebliche Konsequenzen für alle an der Hauptversammlung Beteiligten haben können. Führen diese letztendlich zu finanziellen Nachteilen, rückt insbesondere die persönliche Haftung für das die Nachteile auslösende Verhalten ins Blickfeld. Dies gilt umso mehr, als die Haftung von Leitungspersonen im Gefüge der Kapitalgesellschaften in neuerer Zeit an Relevanz gewonnen hat.3 Dies zeigen nicht zuletzt einige prominente Organhaftungsfälle der letzten Jahre und sich daran anschließende Diskussionen in der Literatur.4

Aber auch allgemein wird ein erheblicher Anstieg der Organhaftungsprozesse registriert.5 Auf den Hauptversammlungen ist die Frage der Inanspruchnahme von Organen ebenfalls ein Thema.6 Nicht zuletzt zeugt das von Bachmann auf dem Deutschen Juristentag 2014 vorgelegte Gutachten zur Organhaftung von der neuen Bedeutung dieser Materie.7

Vereint man nun gedanklich die Themenkomplexe der persönlichen Haftung von Leitungspersonen einer Gesellschaft auf der einen und der immer komplizierter werdenden und damit fehlerträchtigeren Hauptversammlung auf der anderen Seite, ergibt sich daraus das Thema dieser Arbeit. Es soll im Nachfolgenden um die Haftung des Hauptversammlungsleiters für Fehler bei der Hauptversammlungsleitung gehen. Die Arbeit versteht sich damit als ergänzender Baustein zum Themenkomplex der Haftung von leitenden Personen der Aktiengesellschaft.

II.  Abgrenzung

Mit Haftung ist die monetäre Inanspruchnahme für Vermögensschäden der Gesellschaft gemeint. Das heißt, es wird allein die sogenannte Innenhaftung – also die Haftung des Hauptversammlungsleiters gegenüber der Gesellschaft – und nicht die Haftung gegenüber Aktionären oder Dritten (Außenhaftung) Gegenstand der Untersuchung sein. Weiter wird nur die Haftung eines Hauptversammlungsleiters einer Aktiengesellschaft Gegenstand dieser Arbeit sein. Es bleibt einer gesonderten Untersuchung überlassen, inwiefern die nachfolgenden Erkenntnisse auf die Leiter einer GmbH-Gesellschafterversammlung entsprechend angewendet werden können. ← 2 | 3 →

III. Relevanz der Thematik und Bestandsaufnahme

Bisher hat das Thema der persönlichen Haftung eines Hauptversammlungsleiters für Verfehlungen bei der Hauptversammlungsleitung wenig Beachtung in der wissenschaftlichen Literatur gefunden. Nur am Rande fand dieses Thema Erwähnung bei Bachmann8 im Jahre 1999. Gleiches gilt für eine Äußerung von Rose9 zu dieser Thematik. Auch in einem Beitrag von Marsch-Barner10 war die Haftung des Hauptversammlungsleiters nur ein kleiner Teilaspekt der Untersuchung. Eine erste tiefergehende Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung leistete von der Linden11 im Jahr 2013. Auf diesen Aufsatz antwortet Mutter12 mit einem kurzen kritischen Kommentar im gleichen Jahr. Auch Besse erkennt die Relevanz der Thematik, jedoch ohne sich sich näher damit zu beschäftigen.13 Aktuell hat die Haftung des Hauptversammlungsleiters mit Beiträgen von Schürnbrand,14 von der Linden,15 Drinhausen/Marsch-Barner,16 Wardenbach17 und Theusinger/Schilha18 vermehrt Aufmerksamkeit erfahren.

Die Kommentarliteratur ließ das Thema der Haftung des Hauptversammlungsleiters in der Vergangen weitgehend unbeleuchtet.19 In neuerer Zeit findet die Thematik – angestoßen durch den Aufsatz von der Lindens – aber auch bei den Kommentatoren Beachtung, wie die Ausführungen im neuesten Kommentar von Heidel zeigen.20

Neue Entwicklungen zeigen sich auch in der gerichtlichen Praxis. Bis vor Kurzem lagen keine veröffentlichten Entscheidungen der Gerichte zum Thema der Haftung des Hauptversammlungsleiters vor.21 Am 8. Mai 2014 entschied allerdings das LG Ravensburg rechtskräftig über die Haftung eines die Hauptversammlungsleitung übernehmenden Aufsichtsratsmitgliedes.22 ← 3 | 4 →

Aus diesem bislang eher spärlichen Fundus tiefgehender wissenschaftlicher Untersuchungen und dem vollständigen Fehlen von obergerichtlichen Entscheidungen darf aber nicht geschlossen werden, dass die Haftungsthematik im Zusammenhang mit der Hauptversammlungsleitung keine praktische oder wissenschaftliche Relevanz aufweist. Vom Gegenteil zeugt die Vielzahl von Besprechungen des bislang einzigen in dieser Sache einschlägigen Urteils.23 Auch aus der Sicht der Entscheidungsträger von Aktiengesellschaften (und deren Beratern) ist die aufgeworfene Haftungsfrage von Bedeutung. Immerhin bietet sich der Gesellschaft in diesem Zusammenhang eine Gelegenheit, für monetäre Schäden Ersatz zu erlangen und so wirtschaftliche Nachteile auszugleichen. Dies ist in Zeiten kostenbewusster Entscheidungen und dem vorherrschenden Gedanken der Gewinnmaximierung von besonderer Bedeutung und hat in Anbetracht wachsamer und wirtschaftlich denkender Aktionäre auch bezüglich der „Investor Relations“ einen hohen Stellenwert.

Infolge der ARAG-Entscheidung des BGH24 stellt sich darüber hinaus auch die Frage, ob die Gesellschaftsorgane zur Verfolgung eventueller Schadensersatzansprüche nicht sogar verpflichtet sind und sich bei einem Unterlassen selbst Regressansprüchen ausgesetzt sehen. Insofern verwundert es auch nicht, dass es eher Autoren der Praxis sind,25 die ein Interesse an Haftungsfragen im Zusammenhang mit dem Hauptversammlungsleiter zeigen. Immerhin sind sie es, die möglicherweise an einem Regress interessierte Gesellschaftsorgane beraten beziehungsweise den potenziell haftenden Hauptversammlungsleiter vertreten.

Das bis ins Jahr 2014 reichende gänzliche Fehlen gerichtlicher Entscheidungen zu diesem Thema ist zudem damit zu erklären, dass es aufgrund fehlender wissenschaftlicher Aufarbeitung bislang für die zur Geltendmachung berufenen Instanzen der Gesellschaften noch nicht beurteilbar war, ob ein Regressverfahren gegen den Hauptversammlungsleiter im Ansatz überhaupt Aussicht auf Erfolg haben kann. Das Fehlen grundsätzlicher Untersuchungen erklärt auch, warum das Thema bislang nicht im Bewusstsein der entscheidenden Personen verankert ist. Zudem ist durch die Aufsätze der aktuellen Zeit bereits ein Umdenken hin zu einer Berücksichtigung dieser speziellen Haftungsthematik zu erkennen. Erste Öffentliche Überlegungen zur tatsächlichen Inanspruchnahme gibt es in der Praxis bereits.26 Im konkreten Fall droht der Großaktionär mit Regress gegenüber dem Hauptversammlungsleiter und ← 4 | 5 → seinen Beratern in Höhe der Kosten der zu wiederholenden Hauptversammlung.27 Insofern möchte diese Arbeit einen Beitrag zur Klärung dieses bislang wenig beleuchteten Bereichs der Innenhaftung bei Aktiengesellschaften leisten.

IV.  Gang der Untersuchung

Nachfolgend soll zunächst ein komprimierter Blick auf den Hauptversammlungsleiter an sich und die dahinterstehenden Personen geworfen werden. Weiter erfolgt eine kurze Zusammenstellung der Aufgaben, Befugnisse und Pflichten des Leiters sowie eine Erläuterung zu den Folgen seines Handelns. Anschließend soll die Haftung als Schwerpunkt der Arbeit ins Blickfeld der Untersuchung rücken.

Um die Frage beantworten zu können, ob der Hauptversammlungsleiter persönlich haftet, bedarf es zunächst der Identifikation von einschlägigen Haftungstatbeständen. Hierfür ist nach Anspruchsnormen zu forschen, welche eine persönliche Haftung als Rechtsfolge vorsehen und tatbestandlich die Verhaltensweisen eines Hauptversammlungsleiters umfassen.

Dies könnten zunächst die Haftungstatbestände der Organhaftung sein, wie sie in § 93 Abs. 2 und § 116 AktG normiert sind. Aufgrund der Spezialität des Aktienrechts gegenüber dem allgemeinen Zivilrecht werden diese vorrangig auf eine Einschlägigkeit zu überprüfen sein. Die ebenfalls möglicherweise einschlägigen Haftungstatbestände des allgemeinen Schuldrechts und diejenigen des Deliktrechts werden davon getrennt in einem weiteren Kapitel untersucht.

Abschließend soll eine kurze Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Versicherbarkeit eines möglichen Haftungsrisikos erfolgen, bevor ein Schlussfazit zu ziehen ist. ← 5 | 6 →

← 6 | 7 →

                                                   

1    Butzke, Die HV der AG, Kap. D, Rn. 6; Theusinger/Schilha, BB 2015, S. 131; vgl. dazu bereits früher schon Max, AG 1991, S. 77. Statistiken über die in 2013 geltend gemachten Beschlussmängelklagen liefern Bayer/Hoffmann, AG 2014, R163.

2    Ek, Praxisleitfaden für die HV, Rn. 280 f.; Butzke, Die HV der AG, Kap. D, Rn. 16 f.; Theusinger/Schilha, BB 2015, S. 131 (133).

3    Vgl. die empirischen Befunde bei Bachmann, DJT-Gutachten, S. E11 ff.

4    Vgl. nur Koch, AG 2012, S. 429; Schöne/Petersen, AG 2012, S. 700; Grunewald, AG 2013, S. 813; Hoffmann, NJW 2012, S. 1393.

5    Vgl. die Einführung m.w.N. aus Literatur und Rechtsprechung bei Hopt, ZIP 2013, S. 1793.

6    Besse, GWR 2014, S. 54.

7    Für eine knappe Zusammenfassung des Gutachtens vgl. Bachmann, NJW-Beilage 2014, S. 43 ff.

8    Bachmann, EWiR § 131 AktG 1/2000, S. 157 (158).

Details

Seiten
XX, 165
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653060218
ISBN (ePUB)
9783653949575
ISBN (MOBI)
9783653949568
ISBN (Paperback)
9783631665787
DOI
10.3726/978-3-653-06021-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juli)
Schlagworte
Aktienrecht Haftung Organhaftung Gesellschaftsrecht Hauptversammlung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. XX, 165 S.

Biographische Angaben

Sebastian Pliquett (Autor:in)

Sebastian Pliquett absolvierte sein Studium in Freiburg und Berlin (FU). Nach dem Assessorexamen arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Anwalt bei verschiedenen deutschen Großkanzleien, bevor er in den Dienst des Landes Berlin wechselte. Dort ist er in der Finanzverwaltung tätig.

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