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Peter Hoffmann – Studien zur Kultur- und Wissenschaftsgeschichte sowie zu den deutsch-russischen Beziehungen des 18. und 19. Jahrhunderts

Gesammelte Aufsätze, anlässlich des 90. Geburtstages

von Lothar Kölm (Band-Herausgeber:in) Michael Schippan (Band-Herausgeber:in)
©2015 Sammelband XL, 350 Seiten

Zusammenfassung

Anlässlich seines 90. Geburtstages vereinigt dieser Band 16 bisher unveröffentlichte Aufsätze und acht Rezensionen des Osteuropahistorikers Peter Hoffmann zur Kultur- und Wissenschaftsgeschichte sowie zu den deutsch-russischen Beziehungen im 18. und 19. Jahrhundert. Das Schriftenverzeichnis erfasst seine Publikationen von 1951 bis 2015. Im Mittelpunkt der Studien steht die Zeit der Aufklärung. Persönlichkeiten wie Zar Peter I. sowie die Wissenschaftler G. F. Müller und J. Beckmann werden vorgestellt. Besonderes Augenmerk gilt dem aus Russland nach Berlin zurRussland nach Berlin zurückgekehrten Pädagogen und Geographen A. F. Büsching. Mehrere Beiträge zeugen von dem Interesse Peter Hoffmanns für die Buchgeschichte. Der Autor geht auf Probleme des Übersetzens und der Auswertung historischer Korrespondenzen ein.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • A. Würdigung
  • Zum 90. Geburtstag des Russlandhistorikers Peter Hoffmann
  • Begegnungen mit Peter Hoffmann
  • B. Studien
  • Vorbemerkung
  • 1. Briefwechsel als Quelle zur Wissenschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts
  • 2. Übersetzen als Problem der Aufklärungsforschung
  • 3. Ernst Glück und die Forschungen Eduard Winters über die Russlandkontakte des Kreises um August Hermann Francke
  • 4. Anton Friedrich Büsching – ein deutscher Russlandkenner der Aufklärungszeit (Probleme der Forschung)
  • 5. Territorium und Verwaltung in historischer Sicht
  • 6. Anton Friedrich Büsching (1724–1793) als Schilderer Berlins und der Mark Brandenburg
  • 7. Anton Friedrich Büsching und der preußische Hof
  • 8. Die Sammlungen des Geographen und Theologen Anton Friedrich Büsching in der Russischen Nationalbibliothek in St. Petersburg
  • 9. Mülleriana
  • 10. Bibliophiles in Johann Beckmanns „Beyträge zur Geschichte der Erfindungen“ (1782–1801)
  • 11. Das Kriegsreglement 1716 und die „Vollständige Sammlung der Gesetze des Russischen Reiches“
  • 12. Krieg und Frieden im Zeitalter des Absolutismus Beispiel: Der Teschener Kongress 1779
  • 13. Radiščevs Übersetzungen
  • 14. Bemerkungen zum Gesamtkatalog der in fremden Sprachen in Russland im 18. Jahrhundert gedruckten Bücher
  • 15. Druck und Verlag russischer Bücher in Berlin im 19. Jahrhundert
  • 16. Bruno Widera (1900–1975) als Historiker und Kollegee
  • 17. Rezensionen
  • Немировсий, Евгений Львович: По следам первопечатника
  • Altrussisches Hausbuch „Domostroi“
  • Lorenz Lange: Reise nach China
  • Henry Troyat: Peter der Große. Eine Biographie
  • Brigitte Klosterberg: Die Bibliothek der Franckeschen Stiftungen
  • Нерсесов, Г. А.: Политика России на Тешенском конгрессе (1778–1739)
  • Manfred Hildermeier: Bürgertum und Stadt in Rußland 1760–1870. Rechtliche Lage und soziale Struktur
  • Edith Stallmann: Martin Stallmann – Pfarramt zwischen Republik und Führerstaat/Martin Stallmann – Ein westfälischer Pfarrer im Kirchenkampf (1934–1948)
  • C. Schriftenverzeichnis
  • Register

A. Würdigung

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Michael Schippan

Zum 90. Geburtstag des Russlandhistorikers Peter Hoffmann

Am 9. November 2014 beging der Berliner Historiker Dr. sc. Peter Hoffmann seinen 90. Geburtstag. Seine Freunde und Kollegen haben an diesem Tag an die gemeinsam verbrachte Zeit erinnert. Jahrzehntelang arbeiteten sie mit ihm an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin/Akademie der Wissenschaften der DDR zusammen, sie trafen ihn bei Lehrveranstaltungen an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie in anderen wissenschaftlichen Einrichtungen der DDR. Sie saßen zeitweise in Moskau und in Leningrad in der gleichen Bibliothek wie er, wohnten dort mit Peter Hoffmann in einem Hotel und tauschten sich häufig mit ihm über ihre Arbeitsergebnisse aus. Davon berichtet in diesem Band der über Jahrzehnte mit dem Jubilar verbundene Leipziger Literaturwissenschaftler Erhard Hexelschneider. Und diese Zeit des engen schöpferischen Kontakts mit Peter hält zur Freude der Herausgeber und anderer Kollegen auch heute noch an.

Peter Hoffmann war es vergönnt, mehr als 65 Jahre ohne größere Unterbrechungen ein großes wissenschaftliches Rahmenthema zu bearbeiten: die Geschichte Russlands und der deutsch-russischen Beziehungen in der Neuzeit, vor allem im 18. Jahrhundert, dem Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung. Ist dies schon bemerkenswert, so versetzt noch mehr in Erstaunen, dass zahlreiche seiner Publikationen, darunter elf Bücher, erst nach seinem 70. Geburtstag, nach 1994 erschienen sind beziehungsweise zum Druck vorbereitet wurden.

Das vorliegende Buch ist ein Zeugnis der bis ins hohe Alter anhaltenden Schaffenskraft des Forschers, der immer wieder Neues auf seinen breit gefächerten Interessengebieten zu erfahren suchte, der stets bereit war, bisherige Erkenntnisse zu durchdenken und gegebenenfalls auch zu korrigieren. Es vereint 16 bisher aus unterschiedlichen Gründen nicht veröffentlichte Aufsätze, Vorträge und Miszellen, acht Buchbesprechungen sowie ein sicher von vielen lang erwartetes Verzeichnis der Publikationen Peter Hoffmanns von 1951 bis 2015, das allein annähernd ein halbes Hundert Seiten umfasst.← XI | XII →

An der Zusammenstellung des vorliegenden Bandes, in dem vielfach neues Material und neue Erkenntnisse dargeboten werden, nahm Peter Hoffmann selbst zu einer Zeit regen Anteil, da er zugleich mit der Erarbeitung einer Biographie des russischen Schriftstellers Aleksandr Nikolaevič Radiščev (1749–1802) beschäftigt war, die im Januar 2015 erschienen ist. Mit dieser ersten umfassenden Lebensbeschreibung Radiščevs in deutscher Sprache, der Biographie des Autors der sozialkritischen „Reise von Petersburg nach Moskau“, kehrte Peter Hoffmann in den Jahren 2013/14 zu einem Thema zurück, dem seine 1953, also vor mehr als sechzig Jahren, verteidigte Staatsexamensarbeit im Fach Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität galt: den Leipziger Studienjahren A. N. Radiščevs von 1767 bis 1771. Peter Hoffmanns wissenschaftlicher Betreuer, der 1950 aus Halle nach Berlin übergesiedelte Professor Eduard Winter (1896–1982), der einen prägenden Einfluss auf den jungen Wissenschaftler ausüben sollte, bewertete diese Examensarbeit mit „sehr gut“.1

Wenn man Peter Hoffmann als einen „Berliner Historiker“ bezeichnet, so macht man darauf aufmerksam, dass seine gesamte Entwicklung von der Kindheit und Jugend an bis zum Übergang in das Rentenalter mit seiner Geburts- und Heimatstadt verbunden war. Wenn er sich auch 1993 dauerhaft in Nassenheide, einem nördlich von Oranienburg und Berlin gelegenen Ort, niedergelassen hatte, so fährt er doch noch immer regelmäßig in die Hauptstadt, um die dortigen Bibliotheken aufzusuchen, sich mit Kollegen beim Kaffee über wissenschaftliche Neuigkeiten auszutauschen und – wenn auch nicht mehr so häufig – an wissenschaftlichen und kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen, die vor allem mit der Russlandthematik verbunden sind. Der Aufenthalt in Nassenheide ermöglichte ihm zwar ein weitgehend ungestörtes Arbeiten. Jedoch bedeuteten für ihn die Fahrten mit den Nahverkehrsmitteln nach Berlin immer auch einen hohen zeitlichen Aufwand und im fortgeschrittenen Alter körperliche Anstrengung.

Für Peter Hoffmann war Berlin sowohl der Studienort als auch über Jahrzehnte hinweg sein Arbeitsort. Von einigen Reisen abgesehen, die ihn vor allem in die Sowjetunion führten, lebte und arbeitete er in der Hauptstadt. Damit kommt ein Umstand seiner Biographie ins Spiel, der häufig ← XII | XIII → nicht ausreichend von Menschen verstanden wird, die in den westlichen Bundesländern des bis 1990 geteilten Deutschlands aufgewachsen sind. Dort war und ist es üblich, nacheinander an mehreren Orten zu studieren, nach Möglichkeit während der Ausbildung und danach für längere Zeit ins Ausland zu gehen und den Arbeitsort mehrfach zu wechseln. Das hat den Vorteil, Persönlichkeiten, Institutionen und Herangehensweisen in verschiedenen Ländern aus eigenem Augenschein kennenzulernen und Vergleiche anzustellen.

In der 1949 gegründeten Deutschen Demokratischen Republik war das nur in wenigen Ausnahmefällen möglich. Peter Hoffmann begann sein Studium am Ende des Gründungsjahres des zweiten deutschen Staates. Er konnte sich nach seiner Tätigkeit als Elektriker noch selbst zum Studium bewerben und hatte das Glück, neben dem Hauptfach Geschichte auch Slawistik studieren zu können, was ihm die nötigen sprachlichen Voraussetzungen für die Beschäftigung mit der Geschichte Russlands gab.

In späteren Jahren wurden die Studenten der geisteswissenschaftlichen Fächer in bestimmte Studienrichtungen „gelenkt“, viele von Einrichtungen der herrschenden Partei und des Staates, aber auch von volkseigenen Betrieben zum Studium delegiert. Das Studium war auf ein Fach begrenzt, für das sie ihr Abschlussexamen machen konnten. Der mit den Jahren immer mehr angefüllte Studienplan, in dem die obligatorischen Lehrveranstaltungen überwogen, ließ es nicht mehr zu, als Gasthörer Vorlesungen an anderen Fakultäten und in anderen das Hauptfachstudium ergänzenden Lehrfächern zu besuchen.

Der Wissenschaftler Peter Hoffmann blieb bis zum Eintritt ins Rentenalter an Berlin als Arbeitsort gebunden. Eine solche Biographie war zwar in der DDR nicht selten. Sie bot, das sollte durchaus beachtet werden, Möglichkeiten einer kontinuierlichen Forschungsarbeit auf einem doch relativ begrenzten Wissenschaftsgebiet. Eine solche Biographie führte jedoch zu Irritationen, als nach 1990 im Westen Deutschlands aufgewachsene Menschen – häufig erstmals – mit den Lebensläufen ihrer im Osten tätigen Kollegen konfrontiert wurden.

*

Peter Hoffmann lernte als Zeitzeuge mehrere Gesellschaftsordnungen in Deutschland aus eigener Anschauung kennen: die Weimarer Republik, die ← XIII | XIV → Nazidiktatur, die unterschiedlichen Verhältnisse in der US-amerikanischen und der sowjetischen Besatzungszone, die Deutsche Demokratische Republik sowie die 1990 durch deren Beitritt erweiterte Bundesrepublik Deutschland.

Die Kindheit des am 9. November 1924 in der Berliner Stadtmitte, in unmittelbarer Nähe des Alexanderplatzes Geborenen fiel anfänglich noch in die Zeit der Weimarer Republik.2 Sein linksbürgerlich-national orientierter Vater Otto-Martin Hoffmann (1900–1983) hatte zunächst für kurze Zeit Theologie, dann Volkswirtschaft studiert, sich mit dem Anarchismus befasst und noch 1932, auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, ein 96 Seiten umfassendes Buch über Lenin herausgeben können, den er „unvoreingenommen“ dem Lesepublikum vorstellen wollte.3 Diese Publikation kann heute noch in den Bibliotheken in Berlin, Bremen, Göttingen, Halle und Jena eingesehen werden. Peter Hoffmanns Mutter war in der Wandervogel-Bewegung aufgewachsen. In der Familie herrschte Gleichgültigkeit gegenüber religiösen Fragen, ihre Bindungen an die lutherisch-protestantische Kirche waren weitgehend formal.

In der Zeit nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 erlebte der heranwachsende Peter Hoffmann, dass auch enge Familienangehörige in die Fänge des Sicherheitsapparates gerieten und in Konzentrationslager eingeliefert wurden. Die in den Jahren der Weimarer Republik herrschende kulturell-politische Vielfalt, die seinem Vater die Publikation eines Buches über Lenin ermöglicht hatte, wich 1933 der Unterordnung des geistigen Lebens unter die Ideologie des Rassenwahnes, durch die alles „Fremde“ aus der „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen und schließlich sogar vernichtet werden sollte. Die Bevölkerung wurde auf eine bald bevorstehende rücksichtslose Kriegführung vorbereitet und eingestimmt. Das wirkte sich auch auf die Entwicklung von Peter Hoffmann aus, der viele Thesen der nazistischen Ideologie übernahm – trotz kritischer Bemerkungen seiner Eltern. 1942 kam er als 17-jähriger Freiwilliger zur Waffen-SS. Während der Rekrutenausbildung wurde er Zeuge geistlosen Drills, im Fronteinsatz verbrecherischer Handlungen einzelner SS-Leute. Nach einer schweren Verwundung im November 1943 nicht mehr fronttauglich, diente← XIV | XV → er bis Kriegsende in Ausbildungseinheiten. In Polen, in Frankreich und in Russland wurde er mit dem Leid der Menschen, aber auch mit ihrem Widerstandswillen konfrontiert. Hier entstanden Wurzeln einer kritischen, anfangs weitgehend unbewussten Sicht auf das Kriegsgeschehen und die begleitenden Zerstörungen, die nach dem Zusammenbruch des faschistischen Regimes Grundlage eines allmählichen Umdenkens werden sollten, das ihn zur der Erkenntnis „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ führte.

Peter Hoffmann hat seinen Dienst in der Waffen-SS zu keiner Zeit verschwiegen. In der DDR waren ihm damit jegliche Leitungsfunktionen versperrt. Diese Tatsache hat Peter Hoffmann immer akzeptiert und im Titel seiner Autobiographie „In der hinteren Reihe“ zum Ausdruck gebracht.

Nach dem Krieg in US-amerikanischen Kriegsgefangenen- und Internierungslagern inhaftiert, kehrte Peter Hoffmann im August 1947 in sein Berliner Elternhaus im sowjetischen Sektor der Stadt zurück und begann seine Lehre als Starkstrommonteur, nach der Gesellenprüfung März 1949 als Kabelmonteur. Damit beteiligte er sich an der Beseitigung der Kriegszerstörungen in seiner Heimatstadt. Diese Arbeiten waren angesichts der Entbehrungen und der mangelhaften Ernährung nicht nur anstrengend, sondern mitunter auch lebensgefährlich: Kabelpläne waren nur teilweise vorhanden, erwiesen sich oft als ungenau; in Ruinen waren Hausanschlüsse abzuklemmen, der Materialmangel zwang dazu, vorhandene noch brauchbare Kabel, Schalter und Armaturen auch in Ruinen zur Wiederverwendung auszubauen.

1949 nahm er ein Studium der Geschichte an der Humboldt-Universität auf. Als Berufsziel hatte Peter Hoffmann in seinem Studienantrag wissenschaftlicher Bibliothekar angegeben.4 Damit zählte er zu der großen Gruppe von Studierenden, die als ehemalige Kriegsteilnehmer zunächst am Produktionsprozess in der Wirtschaft teilgenommen hatten und anschließend direkt an die Universitäten und Hochschulen gelangten. Von den Hochschulpolitikern der DDR wurde schon zu dieser Zeit der Zugang von Arbeitern zum Studium und zur Wissenschaft bewusst gefördert, weil man sich davon ← XV | XVI → die Heranbildung einer neuen sozialistischen Intelligenz erhoffte.5 Im vorliegenden Band stellt Peter Hoffmann in einem Gedenkbeitrag einen dieser aus der Arbeiterschaft stammenden Wissenschaftler vor, den ehemaligen Walzwerker und aktiven Gewerkschafter Bruno Widera (1900–1975). Im gleichen Jahr 1949 wie er bewarb sich Bruno Widera an der Humboldt-Universität zu Berlin um ein Geschichtsstudium, wurde aber auf Grund seiner ungewöhnlichen Allgemeinbildung und umfassenden Spezialkenntnisse zur russischen Geschichte ohne reguläres Studium sofort als Doktoraspirant immatrikuliert. Die zu jener Zeit am Institut für Geschichte der UdSSR Tätigen erinnern sich, wie Bruno Widera, seinen alten Gewohnheiten im Betrieb gemäß, jeden Morgen zur gleichen Zeit mit der Frühstücksstulle in der Blechbüchse im Arbeitszimmer erschien und mit gleichbleibender Pünktlichkeit begann, auf die große Schreibmaschine einzuhämmern.

Peter Hoffmann begann sein Geschichtsstudium mit dem klaren Ziel, über das im Krieg Erlebte Klarheit zu gewinnen. In diesem Sinne weckten besonders die Geschichte und die Kultur Polens und der Völker der Sowjetunion sein Interesse. Beide Länder, deren Bevölkerung von den Nationalsozialisten als „Untermenschen“ abgestempelt worden war, hatte er im Krieg kennengelernt. Sie hatten durch ihren Kampf seine Achtung erworben.

In seinem Berufsleben hatte Peter Hoffmann viele persönliche Begegnungen mit Wissenschaftlern vor allem in der Sowjetunion, die seine Haltung in der Folgezeit stark prägten. Er konnte viele Freunde und Bekannte gewinnen, mit denen er sich teilweise bis heute verbunden fühlt, so etwa mit Ėngel’ Petrovič Karpeev, der längere Zeit die berühmte „Kunstkammer“ der Akademie der Wissenschaften in Leningrad/St. Petersburg und das dort bestehende Lomonosov-Museum als Direktor geleitet hatte.

1950 wurde Peter Hoffmann Hilfsassistent am Institut für Geschichte der UdSSR der Humboldt-Universität zu Berlin, das 1902 als Seminar für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde gegründet worden war.6 Der aus ← XVI | XVII → Österreich in die sowjetische Besatzungszone und 1950 von der Universität Halle nach Berlin übergesiedelte Theologe und Historiker Eduard Winter wurde zu jener Hochschullehrerpersönlichkeit, die auf Peter Hoffmann einen prägenden Einfluss ausüben sollte.

Sein Interesse für das Buch war Grundlage seines Berufswunsches wissenschaftlicher Bibliothekar gewesen. Als Hilfsassistent wurde die Erfassung und Ordnung der Bibliothek des Seminars, deren Bestände den Krieg überdauert hatten, deren Katalog aber vernichtet war, seine wesentliche Aufgabe. Hier wurde eine Grundlage für seine umfassenden buchgeschichtlichen Kenntnisse gelegt, denen er ständig weiter nachging und die auch in mehreren Beiträgen des vorliegenden Bandes erkennbar werden. Anregungen für die Beschäftigung mit bibliothekarischen Fragen, mit der Transkription aus dem Russischen und zur bibliographischen Titelaufnahme vermittelte ihm Günter Mühlpfordt, Assistent Eduard Winters in Halle, der in dessen Auftrag Lehrveranstaltungen in Berlin übernommen hatte.

*

Zu den besonders markanten Umständen bei der Herausbildung der Geschichtswissenschaft in der DDR zählte, dass mit Eduard Winter ein von der katholischen Kirche gemaßregelter ehemaliger Geistlicher, der geheiratet und vier Kinder hatte,7 zum Begründer einer wissenschaftlichen Schule von ← XVII | XVIII → Historikern und Slawisten in der DDR werden konnte. Seine österreichische Staatsbürgerschaft, die er 1945 nach seiner Ausbürgerung aus der Tschechoslowakei angenommen hatte, hat Winter nicht aufgegeben. Nachdem 1945 das nationalsozialistische Besatzungsregime in der Tschechoslowakei zerschlagen worden war, hatte Winter, der zuvor als Professor an der deutschen Universität in Prag tätig war, endgültig mit der Papstkirche gebrochen. Er wurde deswegen von klerikalen Kreisen angefeindet. In seinen religions- und ideengeschichtlichen Studien hatte er sich schon länger mit den jahrhundertelang andauernden Auseinandersetzungen der römischen Papstkirche mit der russisch-orthodoxen Kirche beschäftigt.8 Als im Frühjahr 1945 sowjetische Truppen in die Tschechoslowakei einrückten, kam er mit Offizieren der Roten Armee ins Gespräch und entdeckte zahlreiche Gemeinsamkeiten. Eduard Winter wurde zu einem Anhänger der Sowjetunion, zunächst in Österreich, dann in der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR. In „Moskau“ sah er den natürlichen Verbündeten in seinem persönlichen Kampf gegen die römische Kirchenhierarchie, und er verfasste die Trilogie „Russland und das Papsttum“ (Bd. 3: „Die Sowjetunion und der Vatikan“).

Eduard Winter wandte sich als Professor und Rektor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gegen die in der Bundesrepublik vertretene „Abendland“-Ideologie und die Vorstellung von einem „west-östlichen Kulturgefälle“, wenn er der Geschichte der deutsch-slawischen Wissenschafts- und Kulturbeziehungen als seinem zentralen wissenschaftlichen Thema nachzuspüren begann.9 Zusammen mit dem in Leningrad tätigen Literaturwissenschaftler Pavel Naumovič Berkov (1896–1969) entwickelte Eduard Winter das Konzept der „deutsch-slawischen Wechselseitigkeit“, das seinerseits von Ján Kollárs Skizze „Über die literarische Wechselseitig ← XVIII | XIX → keit zwischen den verschiedenen Stämmen und Mundarten der slawischen Nation“ (1836) angeregt wurde.

Geleitet von dem Wunsch, trotz seiner für die Verhältnisse in der DDR ungewöhnlichen Herkunft „dazu zu gehören“, zu den Erbauern einer neuen Gesellschaftsordnung, bezeichnete sich Eduard Winter selbst als „sozialistischen Internationalisten“. Mit der Kennzeichnung als „bürgerlicher, dem Marxismus gegenüber aufgeschlossener Wissenschaftler“ ist Eduard Winter in der DDR zugleich anerkannt und ausgegrenzt worden. Die damit gegebene Sonderstellung und die Möglichkeit, sich immer wieder nach Tirol zurückziehen zu können, hat er durchaus ausgenutzt. War Winter aufgrund seiner vorwiegend theologischen und philosophischen Ausbildung vor allem Ideenhistoriker geblieben, so suchte er sich doch in Berlin auch mit den Grundlagen der sowjetischen Wirtschafts- und Sozialgeschichtsforschung vertraut zu machen. Aus jener Zeit hat sich ein Verzeichnis von Autoren erhalten, deren Schriften er studierte (u. a. von L. V. Čerepnin, N. I. Pavlenko, M. N. Tichomirov), um für die Darlegung der ideengeschichtlichen Entwicklungen in seinen Vorlesungen und Arbeiten eine „sozialgeschichtliche Basis“ zu gewinnen.10

Eduard Winter betraute Peter Hoffmann und seine anderen jungen Hilfsassistenten und Aspiranten frühzeitig mit verantwortungsvollen Aufgaben bei der Durchsicht eigener Manuskripte, der Organisation internationaler Konferenzen und der Drucklegung der Protokollbände, die während des von ihm selbst als „Goldenes Jahrzehnt“ bezeichneten Zeitraumes von 1955–1965 in rascher Folge vor allem in der Reihe „Quellen und Studien zur Geschichte Osteuropas“ erschienen sind. Zu seinen zahlreichen Schülerinnen und Schülern zählten neben Peter Hoffmann der schon erwähnte Günter Mühlpfordt und unter anderen die Historiker Joachim Tetzner, Günter Rosenfeld, Erich Donnert, Heinz Lemke, Conrad Grau, Martin ← XIX | XX → Zöller und Gerd Voigt, die Slawisten Helmut Graßhoff, Ludwig Richter, Ulf Lehmann, Liane und Wilhelm Zeil.

Charakteristisch für die Forschungen zur deutsch-slawischen Wechselseitigkeit besonders in der Zeit der Aufklärung war die Zusammenarbeit von Fachhistorikern und Literaturwissenschaftlern, die sich auch später an der Akademie der Wissenschaften der DDR zu Berlin bis zu den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts fortsetzen sollte. Peter Hoffmann hatte mit Helmut und Annelies Graßhoff, Harald Raab, Ulf Lehmann, Erhard Hexelschneider und Horst Schmidt literaturwissenschaftlich orientierte Slawisten als Gesprächspartner, mit denen er die Geschichte der russischen Literatur des 18. Jahrhunderts erforschte.

Mehr als vier Jahrzehnte, von 1958 bis 1989, war die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, später Akademie der Wissenschaften der DDR, Peter Hoffmanns Arbeitsstätte. Unter der Leitung Eduard Winters war Peter Hoffmann in Kooperation mit Wissenschaftshistorikern aus Moskau und aus Leningrad, vor allem mit Adol’f Pavlovič Juškevič (1906–1993), an der Herausgabe der Quelleneditionen „Die Berliner und die Petersburger Akademie der Wissenschaften im Briefwechsel Leonhard Eulers“ (3 Teile, Berlin 1959, 1961, 1976) sowie „Leonhard Euler und Christian Goldbach. Briefwechsel 1729–1764“ (Berlin 1965) beteiligt. Wohl konnte Peter Hoffmann die Tätigkeit der an der Korrespondenz beteiligten Gelehrten historisch einordnen – so war der Mathematiker Christian Goldbach in der Dechiffrierabteilung des russischen Kollegiums der auswärtigen Angelegenheiten tätig – und zahlreiche Details klären, doch war die Unterstützung von sowjetischen und deutschen Naturwissenschaftlern und Mathematikern nötig, um fachspezifische Inhalte der Korrespondenzen zu bewerten und kommentieren zu können.

*

Ende der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts erhielt Peter Hoffmann von Eduard Winter Fotokopien des Briefwechsels zwischen dem aus dem niedersächsischen Stadthagen stammenden Anton Friedrich Büsching (1724–1793) und seinem in Herford in Westfalen gebürtigen, fast zwanzig Jahre älteren Freund Gerhard Friedrich Müller (1705–1783), die entscheidend an der Herausbildung der historischen und geographischen Russlandkunde im 18. Jahrhundert beteiligt waren. Diese beiden Gelehrten waren ← XX | XXI → unermüdliche Sammler auf verschiedenen Wissenschaftsgebieten, wobei sie keine historischen Gesamtdarstellungen entwarfen, wie ihr Zeitgenosse, der auch als Herausgeber von politischen Zeitschriften tätige Publizist August Ludwig Schlözer (1735–1809).11 Diese Fotokopien hatte Winter auf Empfehlung P. N. Berkovs anfertigen lassen.

1959 promovierte Peter Hoffmann zum Dr. phil. mit einer Arbeit zum Thema „Gerhard Friedrich Müller. Die Bedeutung seiner geographischen Arbeiten für das Russlandbild des 18. Jahrhunderts“. Jahrzehnte sollten vergehen, bis aus dieser Dissertationsschrift zwei Bücher entstanden waren: die Biographie Gerhard Friedrich Müllers sowie eine Studie zur europaweit geführten Diskussion in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts über die Ausdehnung Asiens.12

Details

Seiten
XL, 350
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653060249
ISBN (ePUB)
9783653949636
ISBN (MOBI)
9783653949629
ISBN (Hardcover)
9783631665749
DOI
10.3726/978-3-653-06024-9
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juli)
Schlagworte
Verlagsgeschichte Briefwechsel Übersetzungen Buchgeschichte
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. XL, 350 S.

Biographische Angaben

Lothar Kölm (Band-Herausgeber:in) Michael Schippan (Band-Herausgeber:in)

Peter Hoffmann, Osteuropahistoriker, ist Autor von Arbeiten zur Geschichte Russlands im 18. Jahrhundert.

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Titel: Peter Hoffmann – Studien zur Kultur- und Wissenschaftsgeschichte sowie zu den deutsch-russischen Beziehungen des 18. und 19. Jahrhunderts
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