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Amerikanische Herausforderungen

Deutsche Großunternehmen in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg

von Corinna Ludwig (Autor:in)
©2016 Dissertation 284 Seiten

Zusammenfassung

Der Prozess der Internationalisierung stellt Unternehmen vor vielfältige Herausforderungen. Die Autorin untersucht deutsche Großunternehmen in den USA von 1945 bis in die 1980er Jahre mit dem Fokus auf Kommunikations- und Markenstrategien. Als ehemalige Kriegsgegner und vor dem Hintergrund der Enteignungen waren deutsche Global Player auf dem amerikanischen Markt vor besondere Hürden gestellt, was den Aufbau des Geschäftes sowie den Aufbau einer Corporate Reputation anging. Die Studie verfolgt einen transnationalen Ansatz, indem sie die Transfers in der Entwicklung von Werbung und Kommunikationsansätzen auf beiden Seiten des Atlantiks untersucht. Vier Fallstudien geben einen spannenden Einblick in die Internationalisierung multinationaler Unternehmen in verschiedenen Branchen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einleitung
  • 1.1. Thema und Fragestellung
  • 1.2. Forschungsstand
  • 1.3. Quellenbestände
  • 1.4. Gang der Untersuchung
  • 2. Stunde Null? Rahmenbedingungen für das US-Geschäft deutscher Unternehmen
  • 2.1. Die westdeutsche Wirtschaft nach 1945
  • 2.2. Die Rückkehr Westdeutschlands auf den Weltmarkt
  • 2.3. Die Bedeutung des US-Marktes für die deutsche Außenwirtschaft
  • 3. Herausforderung I: Enteignungen – Die Trading with the Enemy-Politik der USA
  • 3.1. Politischer und rechtlicher Hintergrund des Trading with the Enemy Act
  • 3.2. Verlust der Markenmacht: Die Enteignungen von Bayer, Beiersdorf und Siemens
  • 3.3. Die Rückkehr der deutschen Lobby nach dem Zweiten Weltkrieg
  • 4. Herausforderung II: Formen der Internationalisierung auf dem US-Markt
  • 4.1. Volkswagen als Exportschlager in den USA
  • 4.2. Bayer als „Allrounder“ und frühe Direktinvestitionen
  • 4.3. Beiersdorfs Diversifizierung als Alternative zum Nivea-Geschäft
  • 4.4. Siemens als „Late Comer“ in den USA
  • 4.5. Formen der Internationalisierung in der „Höhle des Löwen“
  • 5. Herausforderung III: Public Relations und der Umgang mit der amerikanischen Öffentlichkeit
  • 5.1. Die öffentliche Wahrnehmung deutscher Unternehmen und erste „Klimawerbung“ nach dem Krieg
  • 5.2. Public Relations durch Agenten: Bayer in den USA und der General Julius Klein
  • 5.3. Firmenwahrnehmung im Wandel: Volkswagen in den USA
  • 5.4. PR-Strategien auf dem amerikanischen Markt
  • 6. Herausforderung IV: Konsumentenwerbung in den USA
  • 6.1. Werbetraditionen und -kulturen in den USA und in Deutschland im Vergleich
  • 6.2. „Fremdwerbung“ I: Bayer und Aspirin
  • 6.3. „Fremdwerbung“ II: Nivea
  • 6.4. Der Fall Siemens
  • 6.5. It’s Ugly But it Gets You There: Volkswagens Werbestrategie in den USA und transatlantische Transfers
  • 6.6. Werben im transatlantischen Kontext
  • 7. Herausforderung V: Global versus local. Die Frage nach der Corporate Identity
  • 7.1. Corporate Identities am Beginn der zweiten Globalisierungswelle
  • 7.2. Siemens’ Direktinvestitionen in den USA und erste Konzepte einer Corporate Identity
  • 7.3. Bayers Balanceakt mit dem Firmennamen in den USA
  • 7.4. Beiersdorfs Marken- und Image-Integration nach dem Rückerwerb
  • 7.5. Vom Beetle zum Rabbit. Volkswagen in den 1970er Jahren
  • 7.6. Unternehmenskommunikation zwischen globaler Identität und lokaler Anpassung
  • 8. Fazit
  • 9. Anhang
  • 9.1. Abkürzungsverzeichnis
  • 9.2. Tabellenverzeichnis
  • 9.3. Abbildungsverzeichnis
  • 9.4. Quellen- und Literaturverzeichnis
  • 10. Dank

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1. Einleitung

1.1. Thema und Fragestellung

Bei dem Begriff „amerikanische Herausforderungen“ denkt man zunächst an den gleichnamigen Bestseller von Jean-Jacques Servan-Schreiber Ende der 1960er Jahre.1 Der französische links-liberale Journalist warnte vor einer ökonomischen Dominanz amerikanischer Unternehmen in Europa. In einer öffentlichen Debatte diskutierten Vertreter von Politik und Wirtschaft über die Auswirkungen der sogenannten „Amerikanisierung“ und spekulierten bis hin zu einem möglichen „Untergang des Abendlandes“.2 Servan-Schreiber verwies auf die technologische und organisatorische Fortschrittlichkeit amerikanischer Unternehmen, die über besondere Schlüsselqualifikationen zur Erschließung des europäischen Marktes verfügten:

„Die Filialen der amerikanischen Konzerne legen Wendigkeit und Anpassungsfähigkeit an den Tag, indem sie sich auf örtliche Gegebenheiten einstellen und sich gegen Rückschläge absichern, die sie durch politische Entscheidungen innerhalb oder außerhalb des gemeinsamen Marktes erleiden könnten.“3

Der Erfolg eines Unternehmens auf einem ausländischen Markt hängt stark von seiner Anpassungsfähigkeit ab. Die hier vorliegende Dissertation befasst sich ebenfalls mit amerikanischen Herausforderungen, dreht die Perspektive jedoch um, indem sie das Wirken westdeutscher Unternehmen auf dem amerikanischen Markt untersucht.4 Denn nicht nur amerikanische Konzerne drängten nach Europa, auch europäische Multinationals zielten auf den amerikanischen Markt und wurden dort ihrerseits mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert. In den USA herrschte allgemein ein äußerst starker Wettbewerb. Ein ← 9 | 10 → Bestehen erforderte daher etwa das Besetzen einer Marktlücke und die Anpassung an amerikanische Wettbewerbsmethoden.

Generell birgt die Internationalisierung von Unternehmen zahlreiche Herausforderungen – von der Entwicklung globaler Handels- und Finanzströme bis hin zu politischen und institutionellen Kontexten. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf ausgewählte Aspekte. Herausforderungen sind hier zu verstehen als Probleme der Unternehmenskommunikation und des Marketings in Bezug auf die Reputation, die öffentliche Wahrnehmung und die Umsetzung konkreter Kommunikations- und Werbemaßnahmen. Als ehemaliger Kriegsgegner ergaben sich für deutsche Unternehmen besondere Herausforderungen auf dem US-Markt. Rechtliche Bedingungen stellten große Hindernisse dar. Auch die Perzeption in der amerikanischen Öffentlichkeit und der Aufbau von Kunden- und Geschäftsbeziehungen machten vertrauensfördernde Maßnahmen erforderlich. Die Untersuchung interessiert sich daher vor allem für die „soft skills“ deutscher Unternehmen in den USA. Sie fragt nach dem Image und den Strategien, die von den hier untersuchten Fallbeispielen zur Bildung von Vertrauen und letztendlich einer Corporate Identity umgesetzt wurden.

Das internationale Geschäft deutscher Firmen wurde durch den Zweiten Weltkrieg massiv unterbrochen. In den USA, wie in zahlreichen anderen Auslandsmärkten, sahen sich deutsche Unternehmen mit einem enormen politischen Risiko konfrontiert. Als politisches Risiko gilt nach der Definition der Politologen Ian Bremmer und Preston Keat „any political event that can (directly or indirectly) alter the value of an economic asset“.5 Krieg, Gesetze für die Enteignung privaten Eigentums oder für die Regulierung ausländischer Investitionen sowie terroristische Handlungen sind Beispiele für ein politisches Risiko, dem Unternehmen ausgesetzt sein können. Die Trading with the Enemy-Politik der amerikanischen Regierung im Zweiten Weltkrieg war nicht neu. Tatsächlich handelte es sich um eine Wiederholung der Ereignisse aus dem vergangenen Weltkrieg. Es trat die aus Unternehmensperspektive schlimmste Folge politischen Risikos ein: Die US-Regierung enteignete jegliches „Feindeigentum“ auf amerikanischem Boden. Nach 1945 mussten deutsche Unternehmen ihr Geschäft neu aufbauen. Der US-Markt übte dabei eine große Anziehungskraft aus. Jedoch bargen die Enteignungen, rechtliche Erwägungen, der herrschende Wettbewerb und die öffentliche Meinung für deutsche Firmen große Herausforderungen in der amerikanischen „consumer’s republic“. ← 10 | 11 →

Im Fokus der Untersuchung steht die externe Unternehmenskommunikation, also die Public Relations und Werbestrategien. Der Begriff der Unternehmenskommunikation bezeichnet die Gesamtheit der Kommunikationsinstrumente und -maßnahmen, die ein Unternehmen einsetzt, um sich und seine Leistungen den relevanten Zielgruppen zu vermitteln. Werbung und Public Relations gelten in der Forschung als externe Unternehmenskommunikation.6 Während Werbung in erster Linie den Einsatz von Kommunikationsinstrumenten zur Darstellung von unternehmerischen Produkten gegenüber Kunden bezeichnet, wird Public Relations als das Bemühen definiert, die Öffentlichkeit bzw. Teilöffentlichkeiten durch die Selbstdarstellung von Interessen zu beeinflussen.7 Organisatorisch waren und sind die Bereiche Public Relations und Werbung im Unternehmen meist getrennt. Während Public Relations häufig unmittelbar dem Vorstand unterstellt war, gehörte der Werbebereich meist der Verkaufsabteilung an. Dennoch sind die Begriffe Werbung und Public Relations nicht immer trennscharf voneinander zu unterscheiden, da als Werbung nicht nur die Werbung von Produkten gelten kann, sondern sie auch Teil der generellen Außendarstellung des Unternehmens ist, zum Beispiel als Firmenwerbung. In der Dissertation verstehe ich Werbung und Public Relations als Kommunikationspolitik innerhalb des Marketing-Mixes der „vier Ps“ product (Produktpolitik), price (Preispolitik), place (Vertriebspolitik) und promotion (Kommunikationspolitik).8 Am Fall der deutschen Unternehmen lässt sich allerdings festhalten, dass für eine Ausrichtung auf den Auslandsmarkt USA zwei weitere „Ps“ hinzugefügt werden müssen: property rights und politics. Für die Außenkommunikation deutscher Unternehmen spielten diese Faktoren eine grundlegende Rolle.

Die Unternehmenskommunikation stellt einen Bereich der Firmenstrategie dar, der stark von sozio-kulturellen Faktoren abhängig ist. Ihr Ziel ist die Schaffung von Vertrauen. Als ehemaliger Kriegsgegner stellte der Aufbau einer Reputation eine besondere Herausforderung dar. Es wird der Frage nachgegangen, welche Rolle die nationale Identität als Element der Public Relations und Werbung deutscher Unternehmen spielte. „Deutsch sein“ konnte in der Nachkriegszeit in ← 11 | 12 → den USA einen ambivalenten Faktor darstellen, der einen Balanceakt und gezielte Unternehmensstrategien erforderte. Zum einen wurden die Unternehmen als ehemalige Kriegsgegner teilweise mit deutschfeindlichen Ressentiments konfrontiert. Zum anderen versuchten manche Unternehmen jedoch – direkt oder indirekt – das Stereotyp der deutschen Qualitätsarbeit als Imagefaktor für sich nutzbar zu machen. In der Arbeit gilt es zu klären, welche Bedeutung nationale Klischees und Identitäten für die externe Unternehmenskommunikation hatten und wie sich mögliche Assoziationen und damit auch die Strategien vor dem Hintergrund der steigenden Globalisierung im Untersuchungszeitraum von 1945 bis in die 1980er Jahre änderten.

Der Umgang deutscher Unternehmen mit amerikanischen Herausforderungen wird anhand von vier Fallstudien untersucht: dem Chemiekonzern Bayer, dem Kosmetikhersteller Beiersdorf, dem Elektrounternehmen Siemens und dem Automobilhersteller Volkswagen. Der Vergleich ermöglicht es, branchenspezifische Unterschiede zu identifizieren. Während die Chemie- und die Elektroindustrie auf eine lange Tradition auf dem amerikanischen Markt zurückblickten und in Folge des Zweiten Weltkrieges (wie auch des Ersten) hohe Verluste hatten, war die Automobilindustrie der neue Aufsteiger des deutschen Exports nach 1945.9 Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen der einzelnen Unternehmen führten dazu, dass die vier Fallbeispiele unterschiedliche Strategien der Marktbearbeitung wählten. Während Volkswagen sich ganz auf den Export und Vertrieb konzentrierte, tätigte Bayer bereits in den 1950er Jahren neben dem Export auch Direktinvestitionen in ein Joint Venture mit einem amerikanischen Unternehmen. Beiersdorf war durch den Verlust der Markenrechte an Nivea in den USA von seinem Hauptgeschäft abgeschnitten und erhielt sich zunächst mit dem Export von Alternativprodukten ein kleines Standbein in den USA. Der hoch diversifizierte Elektrokonzern Siemens wiederum war nur in einem Nischenmarkt der Medizintechnik eigenständig aktiv und überließ große Teile des US-Geschäfts zunächst dem Konkurrenten Westinghouse, mit dem 1954 ein Vertrag unterzeichnet wurde, dessen Vorläufer bis in die 1920er Jahre zurückreichten. Trotz dieser unterschiedlichen Marktbearbeitungsstrategien und Abläufe standen alle vier Unternehmen vor der Herausforderung, eine Unternehmenskommunikation jenseits des Heimatmarktes aufbauen zu müssen. Sie stellten sich die Frage, welches Image ← 12 | 13 → sie in den USA hatten und welche Strategien der Unternehmenskommunikation sie zum Aufbau oder zur Veränderung dieses Images einsetzen konnten.

1.2. Forschungsstand

Die Arbeit knüpft an zwei Forschungsfelder an: die Internationalisierung von Unternehmen und die historische Marketingforschung. Die Internationalisierung von Unternehmen ist ein etablierter Bereich der Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte.10 Der Unternehmenshistoriker Geoffrey Jones geht von der Grundannahme aus, dass multinationale Unternehmen wegen ihres grenzüberschreitenden Agierens und des Wissenstransfers die wichtigsten Motoren weltweiter Verflechtungen sind. Hinsichtlich der modernen Globalisierung nimmt er eine Periodisierung vor, die keineswegs linear, sondern wellenartig verlief. Der Phase der um 1880 einsetzenden „First global economy“ mit einem hohen Grad der Internationalisierung von Unternehmen folgte in den 1920er Jahren eine „Desintegration“ des Auslandsgeschäftes. Protektionistische Maßnahmen, die Große Depression und Abwertungskonkurrenz implementierten Barrieren im internationalen Handel.11 Der Faktor Nationalität wurde in dieser Phase zu einem konstituierenden Momentum. In einer Zeit, in der nationalstaatliche Schranken aufgebaut und sich politische internationale Krisen auch auf die Wirtschaft auswirkten, begannen multinationale Unternehmen damit, das politische Risiko als Faktor in die Firmenstrategie zu integrieren.12 Ab den 1950er Jahren begann ein jahrzehntelanger ← 13 | 14 → Prozess des sukzessiven Abbaus internationaler Handelsschranken, der Ende der 1970er Jahren schließlich mit einem zweiten Globalisierungsschub die „New global economy“ einleitete. In der Analyse deutscher Unternehmen in den USA wird auf diese Periodisierung im Laufe der Untersuchung zurückzukommen sein.

Eine detaillierte Studie über ausländische Investitionen in den USA sowie über amerikanische Investitionen in Europa liegt von der Wirtschaftshistorikerin Mira Wilkins vor. Sie stellt fest, dass sich die USA von einer Schuldnernation zu Beginn des Ersten Weltkrieges zu einem Gläubigerstaat mit der weltweit stärksten Wirtschaft am Ende des Zweiten Weltkrieges entwickelte.13 Diese Wirtschaftsmacht stellte eine große Herausforderung für deutsche Unternehmen dar, die auf dem amerikanischen Markt investieren wollten. Eine Fallstudie dazu bietet die Firmengeschichte der Deutschen Bank in den USA von dem Finanzhistoriker Christopher Kobrak.14

Die Forschung zur Internationalisierung von Unternehmen schließt häufig an Theorien aus den Betriebswirtschafts- und Managementdisziplinen an und erklärt die Existenz grenzüberschreitender Unternehmen durch sogenannte „ownership“ und „location advantages“ sowie Transaktionskostentheorien.15 Unter den „ownership advantages“, den Vorteilen, die Unternehmen aufgrund der Erfahrungen und Ressourcen in ihrem Heimatland besitzen, ist der Zugang zu Technologien und Managementmodellen intensiv diskutiert worden.16 ← 14 | 15 →

Vor dem Hintergrund des Paradigmas der Kostenvorteile liegen erste Arbeiten zu deutschen Unternehmen auf internationalen Märkten vor.17 Insgesamt stellt die Forschung zur Internationalisierung deutscher Firmen ein vielseitiges Feld dar. Es erstreckt sich über die Expansion von Großunternehmen in spezifischen Märkten18 bis hin zur Untersuchung mittelständischer Unternehmen.19 Auch betrachten immer mehr Arbeiten deutsche Firmen vor dem Hintergrund ihrer globalen Marktbearbeitung. Dabei stellt sich heraus, dass die Globalisierung kein neues Phänomen darstellt, sondern bereits zum Geschäftsmodell multinationaler Akteure im 19. Jahrhundert gehörte.20

Ausgehend von der Annahme, dass durch die Distanz zum Heimatmarkt Kosten für ein Unternehmen entstehen, gibt es in der Forschung zu multinationalen Unternehmen Ansätze, die sich mit der „Liability of Foreignness“ auseinandersetzen.21 Nachteile gegenüber einheimischen Unternehmen könnten demnach ← 15 | 16 → unter anderem durch Kosten aufgrund der Distanz, des fehlenden Marktverständnisses, des Fremdseins, fehlender Legitimität bzw. bestimmter Regularien auf dem Markt entstehen. Allerdings birgt dieser Ansatz eine Dichotomie zwischen einheimischen und ausländischen Unternehmen ohne das jeweilige Herkunftsland der multinationalen Firmen zu berücksichtigen. Aus diesem Grund entwickelten die Management-Theoretiker Charles E. Stevens und Oded Shenkar das Konzept der „Liability of Home“.22 Danach spielt das Herkunftsland eines Unternehmens eine wichtige Rolle auf einem fremden Markt. Friktionen können zwischen Mutter- und Tochterunternehmen sowie zwischen dem Konzern und dem fremden Markt aufgrund unterschiedlicher moralischer und ethischer Perzeptionen und Regularien entstehen, die mit der Dichotomie „foreign“ versus „local“ nicht erklärt werden. Ebenso setzt auch der Ansatz des „Country of Origin Effect“ der Konsumforschung beim Heimatmarkt an. Ein Konsument assoziiert ein Produkt mit seinem Herkunftsland, welches verschiedene Bewertungen beinhalten kann.23 In der hier vorliegenden Untersuchung wird darauf einzugehen sein, inwieweit „Made in Germany“ einen Vorteil in den USA bedeutete oder aber die Herkunft aus Deutschland den Unternehmen Probleme bereitete.

Insgesamt haben marketingbezogene Aspekte, die sich insbesondere auf die Kommunikation beziehen und die Anpassung an fremde Märkte untersuchen, in der Forschung zur Internationalisierung von Unternehmen bisher weniger Aufmerksamkeit erfahren.24 Die Arbeit schließt daher gleichzeitig an die historische Marketingforschung an, die in den letzten Jahren sowohl theoretisch als auch empirisch große Fortschritte gemacht hat.25 Neben anderen ← 16 | 17 → Schwerpunkten war auch die Unternehmenskommunikation Thema verschiedener unternehmenshistorischer Arbeiten.26 Clemens Wischermann vertritt die These, dass sich die Intention von Public Relations-Strategien im Laufe des 20. Jahrhunderts deutlich verändert hat. Während Public Relations zunächst vornehmlich einen defensiven Charakter besaßen und vor allem der Konfliktvermeidung galten, gingen Unternehmen seit den 1960er Jahren dazu über, eine aktive Selbstdarstellung aufzubauen, da der Faktor des Images in der Öffentlichkeit als immer wichtiger empfunden wurde.27 Wichtige Orientierungshilfe für deutsche Unternehmen boten die USA. Christian Kleinschmidt zeigt in seiner Arbeit, wie Unternehmer und Manager von Großunternehmen ab den 1950er Jahren einen „produktiven Blick“ in die USA warfen, der Entscheidungen und Veränderungsprozesse in den Unternehmen prägte.28 Kleinschmidt knüpft mit seiner Arbeit an die Debatte über die sogenannte „Amerikanisierung“ deutscher Unternehmen an, die in den 1980er Jahren von Volker Berghahn eingeleitet wurde. Der Wirtschaftshistoriker konstatierte eine Teilamerikanisierung ← 17 | 18 → der westdeutschen Industriekultur nach 1945.29 Auf der Managementebene untersucht, ähnlich wie Kleinschmidt, auch Susanne Hilger den amerikanischen Einfluss auf deutsche Unternehmen. Sie kommt zu dem Schluss, dass die „Amerikanisierung“ westdeutscher Unternehmen nicht das Aufgeben nationaler Werte und Erfahrungen sowie die einfache Adaption amerikanischer Managementmethoden bedeutete, sondern vielmehr als Spannungsverhältnis zwischen interessierter Aufgeschlossenheit und skeptischer Zurückhaltung zu verstehen sei.30 Insgesamt stellt die Amerikanisierungsdebatte einen ausführlichen Forschungsdiskurs dar, der sowohl auf makroökonomischer als auch auf mikroökonomischer Ebene ansetzt, sich nicht nur auf Deutschland beschränkt, sondern Europa umfasst und auch in anderen Disziplinen wie der Kulturgeschichte ausführlich diskutiert wird.31 Die Konsumhistorikerin Viktoria de Grazia beschreibt in ihrer Publikation „Irresistable empire“ die hegemoniale Macht der amerikanischen Konsumkultur im 20. Jahrhundert, die sich in einer „passiven Revolution“ in Europa durchsetzte.32 In diesem Zusammenhang spielten amerikanische Einflüsse eine besondere Rolle für die Entwicklung der Werbung. Amerikanische Agenturen expandierten auf den europäischen Markt und übten dabei Einfluss zum einen auf die Professionalisierung einer eigenen Werbebranche aus als auch auf die Managementmethode der Werbung in den ← 18 | 19 → Unternehmen.33 Die hier vorliegende Untersuchung wird mit dem Perspektivwechsel von Deutschland auf die USA die Debatte verkomplizieren, indem sie Wechselwirkungen auf beiden Seiten des Atlantiks beleuchtet. Bei diesem Prozess spielte die Dynamik zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften eine wichtige Rolle.

Werbung und Public Relations dienen der Außenkommunikation eines Unternehmens. Mit dem aktiven Aufbau der Reputation34 deutscher Firmen auf dem Heimatmarkt befasst sich auch der amerikanische Unternehmenshistoriker Jonathan Wiesen. Er zeigt, wie Unternehmen im Nachkriegsdeutschland in einer „Werbung um öffentliches Vertrauen“ gezielt PR-Strategien entwickelten, um ihre angeschlagene Reputation gerade auch vor dem Hintergrund der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse zu verbessern.35 Weitergehend zeigt Wiesen anhand einer Untersuchung von Industriemessen und Werbung von Unternehmen, dass in Zusammenhang mit dem deutschen Wirtschaftswunder der 1950er Jahre eine nationale Identität beworben wurde, die auf das ins 19. Jahrhundert zurückreichende Idiom des „Made in Germany“ rekurrierte.36 ← 19 | 20 → Der Aufbau einer Reputation in Wiesens Studie bezieht sich auf Westdeutschland. In der hier vorliegenden Untersuchung wird zu überprüfen sein, welche Assoziationen und nationale Stereotype für die Kommunikationspolitik deutscher Unternehmen in den USA eine Rolle spielten, und welche Entwicklungstrends diese Prozesse im Laufe der Zeit durchliefen.

Mit der Analyse des internationalen Geschäftes bricht die Dissertation die Fokussierung auf den Heimatmarkt in der historischen Forschung zur Unternehmenskommunikation auf. Die Kommunikationsforschung hat erst in den letzten Jahren begonnen, sich mit dem Thema der internationalen Unternehmenskommunikation zu beschäftigen.37 Dies ist darauf zurückzuführen, dass sie Globalisierung als ein neues Phänomen betrachtet, welches erst seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts unternehmerisches Handeln massiv beeinflusst habe. Sicher hat die Internationalisierung von Unternehmen in den letzten Jahrzehnten im Zuge der Verbesserungen im Kommunikations- und Transportwesen noch einmal deutlich an Durchschlagkraft gewonnen. Jedoch sind weder die Globalisierung noch die internationale Unternehmenskommunikation neue Phänomene. Die Untersuchung deutscher Unternehmen in den USA zeigt exemplarisch, mit welchen Herausforderungen multinationale Unternehmen auf einem fremden Markt unter erschwerten politischen Bedingungen konfrontiert sein können und welche Konsequenzen sich für die Außenkommunikation daraus ergeben.

1.3. Quellenbestände

Die Grundlage der Arbeit bildet das Material aus den Firmenarchiven der vier Fallbeispiele. Es handelt sich um die Unternehmensarchive der Bayer AG in Leverkusen (BAL), der Volkswagen AG in Wolfsburg (VWA), der Beiersdorf AG in Hamburg (BEI) und der Siemens AG in München (SAA) sowie das Archiv der medizinischen Technik von Siemens in Erlangen (SMED). Aufgrund abweichender Quellenüberlieferung in den einzelnen Archiven sind in der Arbeit unterschiedliche Schwerpunkte in den einzelnen Kapiteln gesetzt worden. So ← 20 | 21 → konnten bei Bayer und Volkswagen die Protokolle der Vorstandssitzungen eingesehen werden, während dies bei Siemens und Beiersdorf nicht möglich war.

Für das Kapitel „Trading with the Enemy“ diente der Nachlass des Washingtoner Anwalts David Ginsburgh in der Library of Congress in Washington, D.C. als wichtige Informationsquelle. Auch die Bestände des Alien Property Custodian und des amerikanischen Geheimdienstes in den National Archives in College Park, Maryland (NARA) boten Einblicke in die Konfiskationspolitik der US-Regierung. Für die Recherchen konnte zudem auf die digitalen Unterlagen der U.S. Military Records in der Online-Datenbank FOLD3.com zurückgegriffen werden. Einsicht in die deutsche Perspektive lieferten die Akten des Politischen Archives des Auswärtigen Amtes in Berlin. Vereinzelt finden sich hier auch Unterlagen, die sich mit Gemeinschaftswerbung in den USA auseinandersetzen.

Zum Thema Public Relations und dem Umgang mit der amerikanischen Öffentlichkeit enthält das Bundesarchiv Koblenz den Bestand der Gesellschaft für deutsch-amerikanischen Außenhandel. Die German-American Chamber of Commerce in New York wiederum archiviert sämtliche Publikationen der Handelskammer seit den 1950er Jahren.

Die Herausforderung der Werbung konnte thematisch mit den Beständen amerikanischer Unternehmen untermauert werden, die einen Bezug zu den deutschen Fallbeispielen hatten. Das Archives Center des National Museum of American History der Smithsonian Institution in Washington, D.C. überliefert in seiner Außenstelle in Suitland, Maryland Unterlagen zu der Sterling Drug Inc. Einen Teil des Bestandes übernahm vor wenigen Jahren jedoch die Bayer AG und er ist folglich nun in Leverkusen einzusehen. Die Überlieferung von Sterling in Suitland enthält keine internen oder externen Korrespondenzen oder Sitzungsprotokolle, sondern umfasst vor allem Geschäftsberichte und Werbematerialien. Über die Miles Laboratories und die Markengeschichte von Alka Seltzer, die in den 1970er Jahren von Bayer aufgekauft wurden, liegt im Archives Center eine Kollektion vor, die unter anderem auch Zeitzeugeninterviews mit Werbefachleuten der Marke Alka Seltzer umfasst. Zum Thema Werbung und Corporate Identity konnte zusätzlich aus dem Hagley Archive in Wilmington, Delaware der Nachlass des Motivforschers Ernest Dichter herangezogen werden. Auch das John W. Hartman Center for Sales, Advertising & Marketing History an der Duke University in Durham, North Carolina, enthält einen großen Quellenfundus, der Aufschluss über amerikanische Werbetraditionen liefert.

Details

Seiten
284
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653068078
ISBN (ePUB)
9783653950311
ISBN (MOBI)
9783653950304
ISBN (Hardcover)
9783631672433
DOI
10.3726/978-3-653-06807-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Juni)
Schlagworte
Internationalisierung Corporate Reputation Unternehmenskommunikation Marketinggeschichte
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 284 S., 20 s/w Abb., 10 Tab.

Biographische Angaben

Corinna Ludwig (Autor:in)

Corinna Ludwig studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Mittlere und Neuere Geschichte und Deutsche Philologie in Göttingen. Anschließend forschte sie am Deutschen Historischen Institut in Washington, D.C.

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Titel: Amerikanische Herausforderungen
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