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Musik an den Welfenhöfen

von Reinmar Emans (Band-Herausgeber:in) Sven Hiemke (Band-Herausgeber:in) Oliver Huck (Band-Herausgeber:in)
©2016 Dissertation 260 Seiten

Zusammenfassung

Der Musik an den Welfenhöfen kam im 17. und 18. Jahrhundert eine überregionale Bedeutung zu, wie die in diesem Band vereinten Beiträge unterstreichen. Insbesondere in Wolfenbüttel und Hannover wirkten bedeutende Musiker, darunter Michael Praetorius, Heinrich Schütz, Antonio Sartorio, Agostino Steffani und Georg Friedrich Händel. Beide Höfe leisteten sich eine glänzende Hofhaltung, bei der neben Kunst, Literatur und Philosophie die Musik eine tragende Rolle zur Repräsentation der Herzöge spielte, von denen einige selber musizierten, Libretti schrieben oder komponierten. Als Liebhaber der venezianischen Oper und Bewunderer der Hofführung von Ludwig XIV. brachten sie im ausgehenden 17. Jahrhundert von ihren Reisen nach Italien und Frankreich Musik und Musiker mit und etablierten im Norden eine geradezu europäisch geprägte Musikszene.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Musiker in Wolfenbüttel/Braunschweig. Ein prosopografischer Versuch
  • „Carmina gratulatoria cum notis musicis“ für Herzog August zu Braunschweig und Lüneburg
  • Eine Herzog August gewidmete Suite für Harfe von Wolfgang Teubener
  • Johann Sigismund Kussers Ariadne im Kontext des Sommeil d’Atys
  • Johann Friedrich’s other agent: Abate Michele Colomera (1605?–1676) and music recruiting in Rome
  • Gefühltes Theater – Theater-Gefühle
  • Steffani’s Orlando Generoso: Drama and Music
  • Das Collegium Musicum der Universität Helmstedt
  • Reihenübersicht

Reinmar Emans

Musiker in Wolfenbüttel/Braunschweig. Ein prosopografischer Versuch

For the first time, this article registers in its first part all musicians that have been employed at the court of Wolfenbüttel between 1571 and 1634. In a second section, comprising the period between 1680 and 1700, the libretti of operas and ballets are consulted, at least to denominate the composers and singers that have been working at the court at this time. Since further archival material is missing almost completely, this is the only way of getting some information about the court’s musicians.

Obwohl wir über die Frühgeschichte der Wolfenbütteler Hofkapelle insbesondere dank der gründlichen und immer noch Standards setzenden Studien von Friedrich Chrysander1 und Werner Flechsig2 gut informiert sind, bleiben etliche Desiderate zu konstatieren. Weil beide Studien in aller Regel darauf verzichten, die Quellen anzugeben, aus denen sie ihr Wissen schöpfen, sind ihre Erkenntnisse nur sehr bedingt verifizierbar oder vielleicht auch falsifizierbar.3 Damals wie heute lässt sich der Archivdschungel nur mithilfe von Findbüchern, heute freilich in digitalisierter Form, ein wenig lichten. Ihre Natur bringt es allerdings mit sich, dass nur einigermaßen „prominente“ Akten detailliert aufgeschlüsselt werden. Auch das Archivinformationssystem Niedersachsen (Arcinsys) bleibt meist an der Aktenoberfläche. Dies ist ihr gutes Recht, und aufgrund des gewaltigen Aktenbestandes, der zu bewältigen ist, wohl auch kaum anders zu machen. Allerdings suggeriert die Digitalisierung eine gegenüber den Findbüchern einfachere und verbesserte Suchmöglichkeit, die de facto so nicht gegeben ist. Jedenfalls können längst nicht alle der von Chrysander und Flechsig herangezogenen Dokumente heute nachgewiesen werden. Auf der anderen Seite lässt sich ← 9 | 10 → allerdings ein veritabler Zuwachs an bislang unbekannten einschlägigen Quellen verzeichnen, die eine erneute Beschäftigung mit der Musikorganisation in Wolfenbüttel nahelegen.

Wenn im Folgenden der Versuch unternommen wird, das Musikerpersonal des Wolfenbütteler Hofes erstmals möglichst vollständig – also einschließlich der Trompeter und Pauker, Tanzmeister, Organisten, Kantoren,4 Chorpräfekten und Opfermänner der verschiedenen Stadtkirchen (die ebenfalls für musikalische Aufführungen herangezogen werden konnten) – aufzulisten und zu benennen, so ist dies wegen der Lückenhaftigkeit der im Wolfenbütteler Staatsarchiv verwahrten Dokumente ebenso wie wegen der meist nur mit dem Familiennamen bezeichneten Musiker mit zahlreichen Problemen verbunden. Diese lassen sich zwar nicht vermeiden, wohl aber besser in den Griff bekommen, wenn man die Blütezeit der Hofkapelle in einzelne kleinere Zeitsegmente aufteilt, wie dies bereits Chrysander tat. Dabei bietet es sich an, die Amtszeiten der regierenden Herzöge als Basis für eine zeitliche Gliederung zu nehmen, um die Ergebnisse überschaubarer zu machen. Denn bei fast allen Herrscherwechseln verändert sich das Interesse an der Musik und mithin auch die Größe und Besetzung der Hofkapelle. Zugleich lassen sich so Brüche besser erkennen, die für die Hofmusiker von entscheidender Bedeutung für ihr weiteres Leben waren. Gleichwohl können spätere Dokumentenfunde die in dieser Studie vorgelegten Ergebnisse verändern.

Für die Geschichte der Wolfenbütteler Hofkapelle, die unter Herzog Karl Wilhelm Ferdinand ihren Dienstort freilich ausschließlich in Braunschweig hatte, sind folgende Amtszeiten der Herzöge zu berücksichtigen:

Herzog Julius (1528–1589) – Amtszeit 1568–1589

Herzog Heinrich Julius (1564–1613) – Amtszeit 1589–1613

Herzog Friedrich Ulrich (1591–1634) – Amtszeit 1613–1634

Herzog August II. (1579–1666) – Amtszeit 1635–1666

Herzog Rudolf August (1627–1704) – Amtszeit 1666–1704

Herzog Anton Ulrich (1633–1714) – Amtszeit 1685–1714

Herzog August Wilhelm (1662–1731) – Amtszeit 1714–1731

Herzog Ludwig Rudolf (1671–1735) – Amtszeit 1731–1735

Herzog Ferdinand Albrecht II. (1680–1735) – Amtszeit 1735

Herzog Karl I. (1713–1780) – Amtszeit 1735–1780

Herzog Karl Wilhelm Ferdinand (1735–1806) – Amtszeit 1780–1806 ← 10 | 11 →

Angesichts der schier unübersehbaren Menge an Dokumenten und der Vielzahl der zu berücksichtigenden Musiker beschränkt sich diese Studie5 in ihrem ersten Teil auf die Amtszeiten der ersten drei Welfenherrscher. Für die Regentschaft von Herzog August Wilhelm und Herzog Ludwig Rudolf habe ich an anderer Stelle bereits eine ähnliche Untersuchung publiziert.6 Für die Zeit zwischen diesen recht gut dokumentierten Perioden geben die bislang ermittelten Archivalien nur ganz vereinzelte Informationen. Im zweiten Teil soll dennoch ein Ausblick auf die quellenmäßig ganz unzureichend belegbaren musikalischen Verhältnisse während der gemeinsamen Amtszeit von Herzog Rudolf August und Herzog Anton Ulrich versucht werden, da wider Erwarten einige neue Erkenntnisse vorgelegt werden können.

I.  Die Zeit von 1571 bis 1634

Die Amtszeit Herzog Julius’ (1568–1589)

Mit guten Gründen lässt sich die Gründung der Wolfenbütteler Hofkapelle auf das Jahr 1571 ansetzen. Bis zu diesem Zeitpunkt scheint die Musik alleine vom Organisten Nikolaus Ammerbach und wahrscheinlich einigen Chorschülern bestritten worden zu sein, doch war Herzog Julius offenkundig bemüht, die Funktionstüchtigkeit der Kapelle auch auf repräsentative Aufgaben auszudehnen, indem er am 21. Dezember die Sänger Wolfgang Zirckel, Paul Köler, der spätestens ab 1573 als Kapellmeister bezeichnet wird,7 und wohl auch Georg Bernhart, von dem allerdings kein Bestallungsbrief überliefert zu sein scheint, einstellte. In den nächsten beiden Jahren erreichte die Kapelle offenbar ihre angestrebte Sollstärke (siehe hierzu die nachfolgende Tabelle). Als Problem erweist sich, dass im fraglichen Zeitraum häufig unklar bleibt, ob die Musiker für Gröningen (Herzog Heinrich Julius) oder für Wolfenbüttel (Herzog Julius) eingestellt wurden; auch bleibt meist unklar, ← 11 | 12 → wann sie die Kapelle wieder verließen. Auch wenn in einigen Dokumenten von Instrumentalisten die Rede ist, so ist doch keiner namentlich bekannt. Da die Hofbesoldungsregister der Zeit häufig nur pauschale Angaben machen, ohne die Musiker einzeln zu benennen, bleibt in vielen Fällen fraglich, ob sie nach ihrer letzten Erwähnung noch weiterbeschäftigt waren. Dennoch lässt sich erkennen, dass die Hofkapelle bereits um 1582 auf ein Minimum geschrumpft war, was darauf hindeutet, dass der Herzog zu diesem Zeitpunkt – sei es aus finanziellen oder aus organisatorischen Gründen – seiner Hofkapelle kein wirkliches Interesse mehr entgegenbrachte. Dass er ab 1587 wieder neue Musiker einstellte (wofür Thomas Mancinus als Kapellmeister mitverantwortlich zeichnete), steht hierzu nicht zwangsläufig im Widerspruch: Möglicherweise wurde diese Einstellungswelle bereits durch Herzog Julius’ Nachfolger Heinrich Julius initiiert. Schließlich expandierte die Kapelle zu Beginn von dessen Amtszeit im Jahre 1589 derart markant, dass dies nur mit einem massiv verstärkten Interesse an einer florierenden Hofkapelle begründet werden kann. Da er zudem alle der 1587 neu eingestellten Musiker im Amt übernahm, drängt sich der Verdacht auf, dass diese nicht primär auf Veranlassung von Herzog Julius, sondern auf Wunsch seines Sohnes Heinrich Julius in die Hofkapelle aufgenommen wurden.

Tabelle 1: Musiker

Zur Tabelle: Die Anordnung der Tabelle folgt der Chronologie der Einstellungen; bei Einstellungen mehrerer Musiker zum gleichen Zeitpunkt werden diese alphabetisch aufgelistet. Durch die Tabelle soll eine insgesamt schnellere synchrone Übersicht gewährleistet werden, als dies in einem Fließtext möglich wäre. Aus Gründen der Raumersparnis erfolgt am Kopf der Tabelle die Angabe der Jahreszahlen in verkürzter Form, wobei die zweite Zeile die einzelnen Jahre des (darüberliegenden) Jahrzehnts enthält.

1. Spalte: Die Nummern beziehen sich auf die im Anhang wiedergegebene alphabetische Liste der Musiker, in der weitergehende Informationen zu den Musikern mitgeteilt werden. Als Abkürzungen der Funktionen dienen „Hm“ für Hausmann, „Instrum.“ für Instrumentalist, „KM“ für Kapellmeister; „Om“ für Opfermann, „Org.“ für Organist, „TM“ für Tanzmeister, „Tromp.“ für Trompeter. In den nachfolgenden Spalten, die chronologisch jeweils auf 5 Jahre bemessen sind, bedeutet: x = eindeutiger dokumentarischer Nachweis in dieser Funktion; - = Anwesenheit in der Funktion nicht dokumentarisch nachgewiesen, aber höchstwahrscheinlich; ? = Beschäftigung möglich, aber nicht nachgewiesen, doch gibt es in den Dokumenten Indizien für die weitere Beschäftigung; & = nachweisbar, aber in einer anderen Funktion; s = Erwähnung nur anlassbezogen (singulär); e = entlaufen; † = gestorben. Die genaueren Daten, soweit bekannt, können der alphabetischen Liste im Anhang entnommen werden; Zahlen (1–12) = Monat des Beschäftigungsbeginns oder -endes, soweit bekannt. ← 12 | 13 →

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Die Amtszeit Herzog Heinrich Julius’ (1589–1613)

Mit seinem deutlich stärkeren Interesse an einer funktionierenden Hofkapelle sorgte Herzog Heinrich Julius nicht nur für die Weiterbeschäftigung der bereits 1587 eingestellten Musiker, sondern verstärkte das Personal in den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit mit Sängern und Instrumentalisten. 1590 war er dann primär auf der Suche nach neuen Trompetern. Viele von ihnen finden dokumentarisch nur einmal Erwähnung; dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass sie danach wieder den Hof verlassen haben. Denn die Aufstellungen zu den Trompetern sind in den nachfolgenden Jahren ausgesprochen rar oder aber pauschal gehalten, so dass im Einzelnen nicht erkennbar wird, um welche Musiker es sich handelt. Die Vollständigkeit eines Hofzettels vom 9. Juni 15908 ist leider singulär; doch darf die dortige Rubrik „Cantores“ nicht wörtlich genommen werden, da hierunter auch unzweifelhafte Instrumentalisten aufgenommen sind. Eine zweite größere Einstellungswelle in den Jahren 1594/95 lässt vermuten, dass eine Reihe von Musikern ihren Dienst – aus welchen Gründen auch immer – bereits wieder quittiert hatte. Leider teilen die Dokumente nur in Ausnahmefällen Stimmlage bzw. Instrument der neu eingestellten Kapellmitglieder mit, sodass meist unklar bleibt, für welchen der abgegangenen Musiker sie als Ersatz eingestellt wurden. Ab dieser Zeit nahm die Fluktuation der Musiker deutlich ab, und viele scheinen nun über längere Zeit am Wolfenbütteler Hof beschäftigt gewesen zu sein. Das führte allerdings zugleich dazu, dass gegenüber der üppigen Besetzung im Jahre 1606/07 Einbußen in Kauf genommen wurden, so dass in den letzten Regierungsjahren des Herzogs bereits einige Musiker weniger die Kapelle formierten. Dennoch ← 14 | 15 → ist zum Zeitpunkt des Ablebens von Herzog Heinrich Julius die Kapelle offenkundig nicht nur hochrangig, sondern auch noch recht stark besetzt.9

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Die Amtszeit Herzog Friedrich Ulrichs (1613–1634)

Anders als Herzog Heinrich Julius, der mit und z. T. wohl sogar vor seinem Amtsantritt die Hofkapelle umstrukturiert und erweitert hatte, ließ sein Nachfolger, Herzog Friedrich Ulrich, die Dinge offenbar erst einmal auf sich beruhen. Weder finden sich ab 1613 Entlassungen, noch wurden, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, neue Musiker eingestellt. Den Sängerbrüdern Daniel und Christoph Selner war allerdings gestattet worden, zumindest zeitweilig an den Kopenhagener Hof zu gehen,10 doch kann dies nicht als eine Kündigung gewertet werden. Chrysanders Urteil, „schon 1614 finden wir die Wolfenbüttler Capelle sehr zusammen geschmolzen“11 verwundert insofern, als der Musikerbestand – sieht man von den beiden Selners ab – gegenüber den letzten Lebensjahren von Herzog Heinrich Julius ziemlich stabil geblieben war. Natürlich war Chrysander auch daran gelegen, mit dieser Bewertung die von Michael Praetorius wohl vergeblich angegangene Kapellreorganisation im Jahre 1614 aufzuwerten. Doch nur einige wenige der von ihm vorgeschlagenen Wunschkandidaten12 für Neubesetzungen wurden tatsächlich auch eingestellt – darunter der nachmalige Kapellmeister Stephan Körner.

Details

Seiten
260
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653066555
ISBN (ePUB)
9783653951394
ISBN (MOBI)
9783653951387
ISBN (Paperback)
9783631671825
DOI
10.3726/978-3-653-06655-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Juni)
Schlagworte
Huldigungskompositionen Henrico Leone Orlando generoso Hofkapelle
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 260 S.

Biographische Angaben

Reinmar Emans (Band-Herausgeber:in) Sven Hiemke (Band-Herausgeber:in) Oliver Huck (Band-Herausgeber:in)

Reinmar Emans hat von 2011 bis 2014 gemeinsam mit Sven Hiemke das DFG-Projekt «Musikorganisation an den Welfenhöfen» geleitet. Sven Hiemke ist Professor für Historische Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Oliver Huck ist Professor für Historische Musikwissenschaft an der Universität Hamburg.

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Titel: Musik an den Welfenhöfen
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