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inklings – Jahrbuch für Literatur und Ästhetik

Geister – Einblicke in das Unsichtbare. Internationales Symposium 1. bis 3. Mai 2015 in Leipzig

von Dieter Petzold (Band-Herausgeber:in)
©2016 Dissertation 262 Seiten
Reihe: inklings, Band 33

Zusammenfassung

«Inklings» nannte sich eine Gruppe von Schriftstellern und Geisteswissenschaftlern in Oxford, deren bekannteste Mitglieder J.R.R. Tolkien und C.S. Lewis waren. Die Inklings-Gesellschaft e.V. widmet sich seit 1983 dem Studium und der Verbreitung der Werke dieser und ihnen nahestehender Autoren sowie der Analyse des Phantastischen in Literatur, Film und Kunst allgemein. Ihre Jahrestagungen werden in Jahrbüchern dokumentiert. Dieser Band enthält zehn Vorträge der Tagung «Ghosts – A Conference on the (Nearly) Invisible», die 2015 in Leipzig stattfand, sowie drei weitere Beiträge und zahlreiche Rezensionen.
«Inklings» was the name of a group of Oxford scholars and writers; its best-known members were J.R.R. Tolkien and C.S. Lewis. The German Inklings-Gesellschaft, founded in 1983, is dedicated to the discussion and dissemination of the works of these authors and of writers commonly associated with them and to the study of the fantastic in literature, film and the arts in general. The proceedings of the annual Inklings conferences are published in yearbooks. This volume contains ten papers presented at the 2015 conference entitled «Ghosts – A Conference on the (Nearly) Invisible». In addition, there are three general articles and numerous reviews.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Vorwort
  • Beiträge zur Tagung “Ghosts – A Conference on the (Nearly) Invisible”
  • Josef Schreier - Die Situation des Subjekts: Zwiespältige Identitäten bei E.T.A. Hoffmann und Henry James
  • Jochen Petzold - Raising Ghosts or Laying Them to Rest? Ghost Stories in Two Victorian Magazines for ‘Boys’
  • Joanna Kokot - Where Do the Ghosts Dwell? William Hope Hodgson’s Carnacki the Ghost-finder and the Function of the Embedded Tale Convention
  • Maria Fleischhack - The Undead and the Unseen: Ghosts and Ghostlike Characters in Tolkien’s The Lord of the Rings
  • Markus Janka - Von simulacra functa sepulcris zu fliegenden Lateinschülern: Die Transformation prototypischer Geister aus der antiken Epik zu abenteueraffinen Protagonisten in der postmodernen Fantasy
  • Michael Stierstorfer - Vom fliehenden Schatten zur abenteuerlustigen Gefährtin: Transformationen des Unterweltschattens Eurydike in der Populärkultur
  • Isabel Achsel - Verlangen und Tugend: Konstruktion der weiblichen Gender-Identität im Liaozhai zhiyi
  • Matthias Hurst - Medienspuk: Geister und moderne Medien im populären Film
  • Julia Franzkoch - I ain’t afraid of no ghost: Humor als Renormalisierungsstrategie in Ivan Reitmans Ghostbusters und Tim Burtons Beetlejuice
  • Elena Schewtschenko - Königsberg / Kaliningrad: Geister der Vergangenheit
  • Varia
  • Karl Hepfer - Erinns Erzählkunst
  • Eva Oppermann - Not so “Good for Food”? Temptation and Abjection in “Genesis B” and C.S. Lewis’ Perelandra
  • Werner Bies - “‘Twas in the darkest depths of Mordor …” Phantastisches Erzählen in der Rockmusik
  • Besprechungen
  • Klenke, Pascal, et al., Hg. Writing Worlds: Welten- und Raummodelle der Fantastik (Dieter Petzold)
  • Hartmann, Heiko, und Werner Röcke. Utopie im Mittelalter: Begriff – Formen – Funktionen (Raimund B. Kern)
  • Dillinger, Johannes. Uchronie: Ungeschehene Geschichte von der Antike bis zum Steampunk (Johannes Rüster)
  • Sedlmayr, Gerold, and Nicole Waller, eds. Politics in Fantasy Media (Dieter Petzold)
  • Fastitocalon, vol. 4, issues 1&2 (2014): Crime and the Fantastic (Thomas Fornet-Ponse)
  • Schmid, Sonja. In Netz der Filmgenres: “The Lord of the Rings” und die Geschichtsschreibung des Fantasygenres (Klaudia Seibel)
  • Bennett, Phillippa. Wonderlands: The Last Romances of William Morris (Dieter Petzold)
  • Curry, Patrick. Deep Roots in a Time of Frost: Essays on Tolkien (Thomas Fornet-Ponse)
  • Anderson, Douglas A., et al., eds. Tolkien Studies: Volume X; Drout, Michael D.C., et al., eds. Tolkien Studies: Volume XI (Thomas Fornet-Ponse)
  • McGrath, Alister. C. S. Lewis: A Life; McGrath, Alister. The Intellectual World of C. S. Lewis (Raimund B. Kern)
  • Feinendegen, Norbert, und Arend Smilde, eds. The ‘Great War’ of Owen Barfield and C.S. Lewis (Josef Schreier)
  • Linguaculture: International Journal of the Iaşi LINGUACULTURE Centre For (Inter)cultural and (Inter)lingual Research 5:2 (2014) (Eva Oppermann)
  • Webb, Caroline. Fantasy and the Real World in British Children’s Literature (Maren Bonacker)
  • Weiß, Harald, Hg. 100 Jahre Biene Maja: Vom Kinderbuch zum Kassenschlager (Maren Bonacker)
  • Lötscher, Christine. Das Zauberbuch als Denkfigur: Lektüre, Medien und Wissen in zeitgenössischen Fantasy-Romanen für Jugendliche (Maren Bonacker)
  • Grzegorczyk, Blanka. Discourses of Postcolonialism in Contemporary British Children’s Literature (Jochen Petzold)
  • Fabricius, Johannes. Alchemie: Ursprung der Tiefenpsychologie (Elmar Schenkel)
  • Spreen, Dierk. Upgrade Kultur: Der Körper in der Enhancement-Gesellschaft (Johannes Rüster)
  • Weitere eingegangene Schriften
  • Die Beiträger
  • Personenindex

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Vorwort

Das diesjährige Symposium der Inklings-Gesellschaft fand in Zusammenarbeit mit dem Institut für Anglistik der Universität Leipzig vom 1. bis 3. Mai 2015 in Leipzig statt und trug den Titel “Ghosts – A Conference on the (Nearly) Invisible”. Eine Auswahl aus den insgesamt 27 Vorträgen – insbesondere der deutschsprachigen Beiträge – wird im vorliegenden Jahrbuch veröffentlicht; eine weitere Auswahl, ausschließlich in englischer Sprache, erscheint in einer separaten Publikation als Band 9 in der Reihe “ALPH: Arbeiten zur Literarischen Phantastik / ALPH: Approaches to Literary Phantasy” ebenfalls im Peter Lang Verlag.

Die relativ große Anzahl der Vorträge – und erst recht die völlig unermessliche Menge einschlägiger Texte, Bilder und Filme – reflektiert die Allgegenwart des Themas in allen Kulturen der Welt. Wohin man blickt, haben sich die Menschen von jeher geweigert, den Tod als ein endgültiges Verschwinden ihrer Persönlichkeit aus der Welt zu akzeptieren oder sich auch nur mit dem Gedanken eines von dieser Welt völlig separaten Totenreiches abzufinden. Über die Gründe hierfür ließe sich trefflich spekulieren; dass es deren viele gibt, legen auch die hier versammelten Beiträge nahe, die naturgemäß nicht mehr als einige kleine Schlaglichter auf ein riesiges und notorisch dunkles Terrain werfen können.

Einige philosophische Gedanken hierzu bietet der Beitrag von Josef Schreier, der den ‘Geist’, sehr grundsätzlich, als “das Instrument, mit dem sich der Mensch seiner Kongruenz mit der Welt vergewissert” interpretiert und an den Beispielen des deutschen Romantikers E.T.A. Hoffmann und des amerikanischen ‘Realisten’ Henry James vorführt, “dass […] Gespenstergeschichten implizit Reflexionen über das Schicksal des Subjekts in der Neuzeit sind”, d.h. die für die Neuzeit typische “Zwiespältigkeit des Subjekts” thematisieren.

In der Darstellung von Geistererscheinungen haben sich in den einzelnen Kulturen feste Strukturen und Konventionen herausgebildet, die zumindest in der westlichen Welt im Spannungsfeld von (Aber-)Glauben und aufklärerischer Skepsis stehen. Jochen Petzold zeigt anhand von Gespenstergeschichten in viktorianischen Jugendmagazinen, wie sich dieses Spannungsfeld in der simplen Frage “aufregendes Faktum oder banale Illusion?” konkretisiert, ← 9 | 10 → Joanna Kokot geht einer ähnlichen Dichotomie in den edwardianischen Detektiv-/Geister-Geschichten William Hope Hodgsons nach. Im Vergleich hierzu erweist sich die Grenze zwischen den Lebenden und den (Un-)Toten in Tolkiens Lord of the Rings als sehr viel unkonventioneller und komplexer, wie Maria Fleischhack in ihrem Beitrag demonstriert. Wiederum anders sind die Vorstellungen vom Totenreich und die Möglichkeiten, dessen Grenzen zu überwinden, in der antiken Mythologie. Markus Janka stellt diese systematisch dar und öffnet zugleich den Blick auf Versuche in der gegenwärtigen Kinder- und Jugendliteratur, die klassischen Sagen von solchen Grenzüberschreitungen in die Jetztzeit zu übertragen – ein Ansatz, den Michael Stierstorfer in seinem Beitrag weiter diversifiziert. Für westliche Konsumenten noch sehr viel fremder sind die chinesischen Vorstellungen von ‘Fuchsgeistern’, die mit den Menschen in handfeste – sogar sexuelle – Kontakte treten. Wie solche Geschichten aus dem 17. Jahrhundert zugleich die bis dahin geltenden Geschlechterrollen in Frage stellen, zeigt der Aufsatz von Isabel Achsel.

Matthias Hurst widmet sich den visuellen Medien und legt sowohl in grundsätzlichen Überlegungen wie auch anhand zahlreicher Beispiele dar, wie die Fotografie und der Film, die ja in der Regel eine ‘täuschend echte’ Illusion von Wirklichkeit erzeugen wollen, mit dem (fast) Unsichtbaren der Geistererscheinungen umgehen. Dass selbst in Filmkomödien trotz der respektlosen Behandlung des Themas die Ambivalenz des Geisterspuks ein Stück weit erhalten bleiben kann, zeigt anschließend der Beitrag von Julia Franzkoch an zwei Filmen der 1980er Jahre. Elena Schewtschenko schließlich weist darauf hin, dass Geistererscheinungen viel mit Erinnerung zu tun haben: So ‘beschwören’ z.B. sowohl der Erzähler Jurij Buida als auch der Filmemacher Alexander Kaidanowski die Vergangenheit des ‘alten’ Königsbergs der Vorkriegszeit in den Mauern des heutigen Kaliningrad, u.a. indem sie in ihren Werken Geister und andere Jenseitsboten auftreten lassen.

Weit in die Vergangenheit, nämlich in die Sagenwelt des alten Irlands, führt uns der erste Beitrag in der Varia-Abteilung. Der Aufsatz von Karl Hepfer bietet jedoch nicht nur einen Überblick über die Zeugnisse einer längst vergangenen Kultur, sondern zeigt auch, wie dieses kulturelle Erbe im 20. Jahrhundert nicht nur gesammelt und ediert, sondern auch kreativ weiterverarbeitet worden ist. Mit einem ähnlich alten Text, nämlich der in der Fachwelt unter dem Namen “Genesis B” bekannten altenglischen Nachdichtung der biblischen Schöpfungsgeschichte, beschäftigt sich der Aufsatz ← 10 | 11 → von Eva Oppermann, wiederum im Vergleich mit einer modernen Gestaltung des Stoffes, nämlich des Fantasy/SF-Romans Perelandra des Inklings-Autors C.S. Lewis, wobei als tertium comparationis die Theorie des “Abjekten” von Julia Kristeva herangezogen wird. Ganz in die Gegenwart zurück bringen uns schließlich Werner Bies’ Beobachtungen zur Rockmusik des 20. und 21. Jahrhunderts, die sich in erstaunlich vielgestaltiger Weise der Traditionen der fantastischen Literatur bedient, indem sie diese zitiert und umgestaltet.

Wie immer ist abschließend allen zu danken, die – direkt oder indirekt – an der Entstehung dieses Bandes mitgewirkt haben. Insbesondere geht unser Dank an die Organisatoren des Leipziger Symposiums, Elmar Schenkel und Maria Fleischhack und ihre zahlreichen Helfer, für die ausgezeichnete Vorbereitung und Durchführung der Tagung sowie an die Universität Leipzig für die Bereitstellung der Tagungsräume in der glanzvollen Universitätsbibliothek. Und natürlich an die Beiträger und Rezensenten für ihr Engagement und ihre geduldige Mitarbeit.

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Beiträge zur Tagung “Ghosts – A Conference on the (Nearly) Invisible”

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Josef Schreier

Die Situation des Subjekts

Zwiespältige Identitäten bei E.T.A. Hoffmann und Henry James

Gespenstergeschichten werden hier auf einem philosophischen Hintergrund interpretiert. Das Genre der Gespenstergeschichte reagiert unter diesem Aspekt auf Inkonsistenzen in Wahrnehmung und Erfahrung der Subjektivität in der Neuzeit. Hierauf wiederum beruht die zunehmend als fraglich empfundene zureichende Motivation menschlicher Handlungen. Die beiden Hinsichten werden mit Beispielen aus den Werken von E.T.A. Hoffmann resp. Henry James erörtert.

In this essay, ghost stories are interpreted from a philosophical point of view. In this context, the genre ‘ghost story’ can be seen as responding to inconsistencies in the modern perception and experience of subjectivity which, in turn, is the basis for the increasingly felt scepticism concerning the motivation of human actions. The two aspects are discussed by looking at examples from the works of E.T.A. Hoffmann and Henry James.

Die Fragestellung dieses Aufsatzes fällt vielleicht etwas aus dem Rahmen. Ich möchte nämlich anhand meiner literarischen Beispiele eigentlich einer philosophischen Frage nachgehen. Ich schließe mich dabei an einige meiner früheren Beiträge im Inklings-Jahrbuch an, wo ich mehrfach Gelegenheit hatte, literarische Konstellationen unter philosophischem Aspekt zu interpretieren.

Im jetzigen Falle habe ich mich gefragt: Wie kann man eigentlich philosophisch von Gespenstern, von ‘Geistern’ reden? Sind sie überhaupt – und wenn ja, in welcher Weise – ein philosophischer Gegenstand? Der ‘Geist’ jedenfalls – im Singular – scheint ja unfraglich ein Terminus und ein Gegenstand der Philosophie zu sein, wenn freilich auch, wie es zunächst scheinen mag, in einem erheblich unterschiedlichen Hinblick. Aber selbst wenn das so wäre, müsste das in der Philosophie Gemeinte mit dem hier Verhandelten doch wohl irgendwie zusammenhängen. Zunächst daher die Frage: Was, welchen Inhalt, beabsichtigt man in der Philosophie, mit dem Terminus ‘Geist’ zu bezeichnen? Der Geist, so könnte man überlegen, ist das Instrument, mit dem sich der Mensch seiner Kongruenz mit der Welt vergewissert. Spräche man gar vom ← 15 | 16 → ‘heiligen Geist’, so wäre dem noch hinzuzufügen, dass in diesem Fall (und womöglich gradweise auch im vorigen) der Mensch sich durch diesen Geist eher – gewissermaßen passiv – emporgehoben fühlt zu jenem erwähnten Zusammenklang mit der Welt und dann auch mit Gott. Man kann dabei nun an die berühmte, vor allem von Thomas von Aquin beanspruchte Formel denken von der “adaequatio intellectus et rei”. Somit wäre der Geist das Element der Reflexion, der Spiegelung, aber auch der Vereinigung, der Integration dessen, was ihm als seiend entgegentritt. Und damit markiert sich für den Menschen im Geist eine Art Seinsgewissheit, eine Seinszuversicht, in der das ‘Sein’, alles, was ist, als dem Menschen innig zugehörig sich zu erweisen scheint. Analog einer anderen berühmten Formel wäre der Geist “quodammodo omnia” – in gewisser Weise alles – wenigstens insofern, als alles, was ist, ihm grundsätzlich zugänglich, ihm zugewiesen ist.

Freilich versteht sich die angedeutete Seinsgewissheit keineswegs von selbst. Zu Beginn der Neuzeit stellt sie sich jedenfalls sehr in Frage. Aber auf die aufkommende Seins-Skepsis formte sich doch alsbald eine andere Art der Antwort heraus; eine andere Instanz machte sich geltend, die vielleicht als eine Art Ableger jener ersten zu verstehen wäre. Nämlich wenn alle Sicherheiten wanken, wenn eine Gewissheit zusammenbricht, so bleibt – so schien es jedenfalls Descartes, jenem “Anfänger der neueren Philosophie” (Schelling) – das reflektierende, das (sich) fragende Subjekt als ein fundamentum inconcussum denn doch übrig. Das versuchte Descartes klarzumachen. Aber wie immer auch diese Descartes’sche Instanz des Genaueren zu beschreiben wäre – es zeigte sich doch, dass jedenfalls der konkrete, existierende Träger einer solchen unhinterfragbaren Größe wenn schon nicht als dennoch hinterfragbar, so doch als fragil, als inkonsistent – oder wenn nicht gar, in einem vielleicht etwas drastischen Wortspiel gesagt, als ‘in-kontinent’ – sich herausstellte. Das unhinterfragbare Ich, das ‘Subjekt’, erwies sich jedenfalls als befindlich in jeweils durchaus befragbaren und zwiespältigen ‘Situationen’1 in Konstellationen, in denen sich die frühere Seins-Gewissheit als Zu-Fügung zwar durchaus okkasionell ← 16 | 17 → einstellen konnte, die aber dennoch seltsame Brüche, Spalten, Hinter-Gründe offenbarten, die das Subjekt als etwas zeigte, das anscheinend nicht “Herr […] im eigenen Hause” ist – nach der berühmten Formulierung von Sigmund Freud (11). Es stellten sich gleichsam Leerstellen heraus, Löcher in der Struktur des Ich, die so etwas entstehen ließen wie ein dunkles, zumeist verschwiegenes, verborgenes, unbewusstes Gegenbild des Ich. Im Horizont der Inklings habe ich das einmal für MacDonald unter den Phänomenen Spiegel und Schatten zu beschreiben versucht (Schreier, J., “Spiegel und Schatten”). Auch diese beiden Phänomene sind Gegenbilder, Verfremdungen des Ich, das dadurch in einen Schwebezustand gebracht wird, der nachgerade es selbst als jenes fundamentum inconcussum zur Dispositon stellt. So wird eine Zwiespältigkeit des Subjekts thematisiert, die gerade parallel zum sich ausformenden Subjektivismus in der Neuzeit eine ungeahnte Virulenz entwickelt.

Meine These oder mein hermeneutischer Ansatz im gegebenen Zusammenhang lautet nun einfach so, dass dieses angedeutete inkonsistente dunkle Gegenbild des Ich literarisch – auch – als Gespenst erscheint, dass also Gespenstergeschichten implizit Reflexionen über das Schicksal des Subjekts in der Neuzeit sind. Es kann ja auch durchaus auffallen, dass in der Neuzeit dieses Genre der Gespenstergeschichte geradezu überhaupt erst auftritt. Dass ich hierfür Beispiele aus den Werken von E.T.A. Hoffmann und Henry James nehme, mag zunächst wie ein Zufall aussehen, falls und soweit es sich – auch – um persönliche Vorlieben handelt. Zu hoffen ist indes, dass ein sachhaltiger Zusammenhang ersichtlich wird. Beide Autoren präsentieren in ihrem Werk das Phänomen ‘Geist/Gespenst’ selber ausdrücklich und eindrucksvoll, aber zusammen mit einer impliziten Reflexion über dieses Phänomen. Es handelt sich dabei für beide Autoren nicht um eine singulär-rätselhafte Kuriosität, sondern um ein Phänomen mit Signaturcharakter, um etwas, das eine grundsätzliche Befindlichkeit des Subjekts in allerdings auffallender Weise zum Ausdruck bringt. Hoffmann spricht ausdrücklich vom “Phantom des Ich”; James hinterfragt – oder zieht eher ins Ungewisse, Unwägbare – jene Antriebe, Motivationen, “Gründe” (“reasons”) dessen, was vordergründig sich im Subjekt abspielt, um so anzudeuten (wenn auch kaum je auszusprechen), welcher Art diese Ab-Gründe sind und welcher Art dasjenige ist, was man etwa dagegen setzen kann.

Details

Seiten
262
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653065329
ISBN (ePUB)
9783653951592
ISBN (MOBI)
9783653951585
ISBN (Hardcover)
9783631671641
DOI
10.3726/978-3-653-06532-9
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Januar)
Schlagworte
Geistererscheinungen Jenseitsdarstellungen Irische Sagen Rockmusik Darstellungen des Sündenfalls
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 262 S.

Biographische Angaben

Dieter Petzold (Band-Herausgeber:in)

Dieter Petzold lehrte englische Literatur an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er ist seit 1996 Herausgeber des Inklings-Jahrbuchs und hat Bücher über die englische Nonsensliteratur, das englische Kunstmärchen im 19. Jahrhundert, Robinson Crusoe und J.R.R. Tolkien sowie zahlreiche Fachartikel veröffentlicht, vor allem zu verschiedenen Gattungen der fantastischen Literatur und zur Kinderliteratur. Dieter Petzold has taught English literature at the University of Erlangen-Nuremberg. He has been the editor of the Inklings Yearbook since 1996 and has published books on English nonsense literature, on 19th-century English literary fairy tales, on Robinson Crusoe and on J.R.R. Tolkien as well as numerous articles, mainly on various types of fantastic fiction and on children’s literature.

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