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Kulturelle Evolution und die Rolle von Memen

Ein Mehrebenenmodell

von Karim Baraghith (Autor:in)
©2015 Dissertation 117 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch untersucht die Mechanismen der kulturellen Evolution, insbesondere die Rolle von Memen – kulturelle Muster also, die von Generation zu Generation weitergereicht werden. Gesellschaften durchlaufen einen evolutionären Prozess, Prinzipien wie Variation, Selektion und Reproduktion können als abstrakte Eigenschaften dynamischer Systeme verstanden werden. Sie finden sowohl Anwendung bei der Entwicklung von Organismen als auch bei kulturell erworbenen Verhaltensweisen. Dies ist der Erklärungsansatz einer interdisziplinären verallgemeinerten Evolutionstheorie. Was aber evolviert genau innerhalb der kulturellen Evolution? Der Autor versucht Einheiten der kulturellen Entwicklung (Meme) möglichst exakt zu definieren, um spezifische kulturelle Phänomene zu erklären.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Erkenntnis- und Argumentationsziel
  • 1. Evolution auf mehreren Ebenen
  • 1.1 Natur und Kultur
  • 1.2 Kulturelle Evolution
  • 1.3 Der evolutionäre Algorithmus
  • 1.4 Belege für einen autonomen kulturellen Evolutionsprozess (KE)
  • 1.4.1 Nichtreduzierbarkeit der kulturellen auf die biologische Evolution
  • 1.4.2 Nichtreduzierbarkeit der KE auf individuelle kognitive Leistungen oder soziale Rollentheorien
  • 1.5 Zwischenfazit
  • 2. Die KE und der Begriff des Mems
  • 2.1 Gene und Meme als Replikatoren
  • 2.2 Begriffsgeschichte
  • 2.3 Imitation als Reproduktionsmechanismus
  • 2.4 Probleme der Lokalisation und Identifikation kultureller Replikatoren
  • 2.5 Der Membegriff als bloße Metapher?
  • 3. Die Theorie der „Epidemiology of Representations“
  • 3.1 Mentale und öffentliche Repräsentationen
  • 3.2 Interpretation statt Imitation
  • 3.3 Transformative Mechanismen der Ausbreitung öffentlicher Repräsentationen
  • 3.4 Interpretation als gerichtete Variation innerhalb der KE
  • 3.5 „Attraction-Modell“ und „Baldwin-Effekt“
  • 3.6 Zwischenfazit
  • 4. Das Mehrebenenmodell (MM) der verallgemeinerten Evolutionstheorie
  • 4.1 Das „Big-Bang Problem“
  • 4.2 Das „Origin-of-Life“ Problem
  • 4.3 Das „Mind- Body“ Problem
  • 4.4 Das „Mind-Culture“ Problem
  • 4.5 Das MM als instrumentalistische Hypothese
  • 4.6 Meme als behaviorale Einheiten im Rahmen des MM
  • 4.7 Memetische Teleosemantik
  • 4.8 Epimemetische Regulation
  • 4.8.1 Generelle Definition epimemetischer Faktoren
  • 4.8.2 Verhaltensorientierte soziale Kognition
  • 4.9 „Phänotypische Erweiterung“ auf jeder Ebene des MM
  • 4.9.1 Der erweiterte Phänotyp
  • 4.9.2 Der erweiterte Geist
  • 4.9.3 Der erweiterte Soziotyp
  • 4.10 Zwischenfazit: Die „chattende Cathy“
  • Schlussbetrachtung und Forschungsausblick
  • Abbildungs- und Literaturverzeichnis

Einleitung

Der Gedanke, die Entwicklung von Lebewesen und die Entwicklung von Gesellschaften ließe sich auf sehr ähnliche Weise beschreiben, reicht zurück bis in die Antike. An sprachlichen Metaphern und Analogien zwischen sozialen und biologischen Systemen mangelte es dabei nie. Seit der Begründung der Evolutionstheorie kann dieser alte Gedanke innerhalb einer neuen Fragestellung umformuliert werden: Durchlaufen auch Gesellschaften eine echte Evolution, eine kulturelle Evolution (KE)? Dass sich Kulturen auf bestimmte Art und Weise entwickeln und dass dabei sowohl Mikro- als auch Makromechanismen untersucht werden können, steht außer Frage. Wie hoch aber ist der explanatorische Wert evolutionärer Erklärungen für sich innerhalb der Kultur entwickelnde Systeme wirklich einzuschätzen?

Die Evolutionstheorie Charles Darwins ist eine mächtige Theorie bezüglich der Erklärung historischer Phänomene in den Lebenswissenschaften. In der theoretischen Biologie wird seit langer Zeit nicht mehr darüber debattiert, ob die biologisch-genetische Evolution (BE) eine akademisch akzeptable Theorie ist – dies wird im Allgemeinen vorausgesetzt. Seit einigen Jahren jedoch wird die Evolutionstheorie von vielen sich außerhalb der klassischen Naturwissenschaften befindlichen Fachrichtungen so verallgemeinert und formalisiert, dass sie in gänzlich neuen Gebieten Anwendung findet. Funktionale Prinzipien wie Variation, Selektion und Reproduktion können als abstrakte Eigenschaften dynamischer Systeme verstanden werden und sind somit multirealisierbar. Besonders in der Anthropologie, Psychologie, den Sozial- und Kulturwissenschaften, aber auch der theoretischen Hirnforschung, der Philosophie des Geistes und der Wissenschaftsphilosophie existieren mittlerweile zahlreiche Arbeiten und Kritiken zu diesem neuen Paradigma, welches der Philosoph und Naturwissenschaftler Gerhard Schurz als verallgemeinerte Evolutionstheorie bezeichnet. Disziplinen wie die Soziobiologie, evolutionäre Erkenntnistheorie, evolutionäre Psychologie und evolutionäre Spieltheorie sind letztlich allesamt Spielarten eines allgemeinen Grundmodells, eines mittlerweile interdisziplinären Paradigmas. Philosophisch betrachtet ist die Evolutionstheorie ein theoretisches Modell, auf dass mittels Abduktion geschlossen wurde. ← 7 | 8 → Sie ist gegenwärtig die beste Erklärung, welche wir für die Entwicklung des Lebens im Allgemeinen und der genetischen Entwicklung im Besonderen haben. Es muss sich zeigen, ob dieses Faktum auch im Bereich kultureller Phänomene zutreffend ist. ← 8 | 9 →

Erkenntnis- und Argumentationsziel

Die folgende Arbeit wird sich in der Hauptsache mit den Mikromechanismen der kulturellen Evolution auseinandersetzen, wobei der Begriff Kultur dabei sehr weit gefasst ist und keinerlei normativen Beigeschmack aufweist. Kultur ist – in dieser Lesart – kein Zeichen menschlichen Fortschritts oder anderer humanistisch-aufklärerischer Ideale. Kultur ist schlicht ein sehr komplexer kumulativer Prozess, in welchem Informationen zwischen Akteuren ausgetauscht werden und bei Letzteren auf diese Information zurückführbare Überzeugungen und vor allem Verhaltensweisen begründen. Bestimmte Verhaltensweisen scheinen dabei erfolgreicher, also zahlreicher, zu sein als andere. Warum dies so ist und ob es eine evolutionäre Erklärung dafür geben könnte, wird Gegenstand der Untersuchung sein. Der Erkenntnisziel lautet demnach: Finden wir in der menschlichen Kultur einen evolutionären Prozess? Um diese Frage zu klären wird, wie sich zeigt, einiges an begrifflicher Definitionsarbeit nötig werden. Es sei bereits angemerkt, dass sich dieser Frage primär auf epistemisch-explanatorischem Wege genähert werden wird; weniger wird es um die Beantwortung einer ontologischen Fragestellung oder der Beschreibung einer naturgesetzlichen Notwendigkeit gehen. Die Frage kann also bescheidener umformuliert werden: Ist es uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt möglich, uns an einer theoretischen Erklärung kultureller Phänomene zu versuchen, welche eine evolutionäre Struktur aufweist? Ob in der Welt an sich tatsächlich eine kulturelle Evolution stattfindet, kann und soll nicht Teil der Beantwortung sein, vielmehr jedoch, ob es auf explanatorische Art Sinn macht, eine solche als Hypothese für darauf aufbauende (empirische) Forschung anzunehmen. Nur in einem Zusammenspiel aus Theorie und Empirie kann eine valide Erklärung für kulturelle Phänomene abgegeben werden. Es genügt nicht, eine in sich widerspruchsfreie Theorie zu entwickeln, sie muss auch anwendbar, ferner müssen die in ihr erarbeiteten theoretischen Begriffe empirisch identifizierbar sein – je konkreter sie werden, desto besser.

Ich werde dafür argumentieren, dass wir einen in der Kultur stattfindenden Prozess beobachten und beschreiben können, welcher die Auflagen für einen echten evolutionären Prozess erfüllt. ← 9 | 10 →

Details

Seiten
117
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653059175
ISBN (ePUB)
9783653951967
ISBN (MOBI)
9783653951950
ISBN (Hardcover)
9783631666104
DOI
10.3726/978-3-653-05917-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juni)
Schlagworte
evolutionärer Algorithmus Evolutionstheorie Selektion
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 117 S., 8 s/w Abb.

Biographische Angaben

Karim Baraghith (Autor:in)

Karim Baraghith studierte Geschichte und Philosophie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.

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