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Unterricht im Fach Deutsch

Fachdidaktische Potentiale eines kritischen Blickes in Bildungspolitik, Forschung und berufsbildende Schule

von Cordula Häntzsch (Autor:in)
©2015 Dissertation XII, 394 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch entwickelt Potentiale des Faches Deutsch als Bildungsbeitrag, die fachlich begründet, schülerorientiert und anschlussfähig sind. Hintergrund ist die Tatsache, dass Unterricht im Fach Deutsch keineswegs als einfach anzusehen ist. Dies zeigen die Diskussionen um den Beitrag zur Bildung der Lernenden, um die Gegenstände des Faches und um die zu vermittelnden Fähigkeiten, welche Ebenen der schulischen Praxis, der fachdidaktischen Forschung und der Bildungspolitik umfassen. Nicht nur Lernende, sondern auch Lehrende bewältigen mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlicher Aussagen zu den Vermittlungszielen des Faches und müssen eine Vermischung von fachdidaktischen und fachwissenschaftlichen Ansätzen durchschauen. Cordula Häntzsch zeigt hier Möglichkeiten auf, um Bildungsdebatten konstruktiv fortzuführen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • 1 Und wieder eine Arbeit zum Unterrichtsfach Deutsch
  • 1.1 Gibt es Probleme?
  • 1.2 Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit
  • 1.3 Aufbau der Arbeit
  • 2 Bildungsstandards und Kompetenzorientierung in Deutschland
  • 2.1 Bildungsstandards und ihre Konzeption
  • 2.1.1 Kompetenzorientierung innerhalb des Bildungssystems
  • 2.1.2 Der Terminus Kompetenz oder eine begriffliche Vielfalt?
  • 2.2 Bildungsmonitoring im deutschen Bildungssystem
  • 2.3 Konsequenzen für schulische Praxis und fachdidaktische Forschung
  • 2.4 Zum Wort Bildung über Bildungsstandards hinaus
  • 2.4.1 Zum Bildungsverständnis innerhalb der Bildungsberichterstattung
  • 2.4.2 Bildung im Kontext von Erziehung und Sozialisation
  • 2.4.3 Bildung – ein diachroner Blick auf die Verwendung des Begriffs
  • 3 Fachdidaktik im Fadenkreuz der Bildungsstandards und der Kompetenzorientierung?
  • 3.1 Fachdidaktik als eigenständige wissenschaftliche Disziplin
  • 3.2 Einblicke in die Praxis fachdidaktischer Forschung
  • 3.3 Empirische Forschungen zum Unterrichtsfach Deutsch
  • 3.4 Kriterien zur Beurteilung der Qualität empirischer Forschungsergebnisse
  • 4 Berufsbildende Schulen innerhalb des deutschen Bildungssystems
  • 4.1 Allgemeine Bemerkungen
  • 4.1.1 Daten und Zahlen im Überblick
  • 4.1.2 Bildungsgänge innerhalb berufsbildender Schulen
  • 4.1.3 Berufliche Schwerpunkte und Zielsetzungen einzelner Schulformen
  • 4.2 Heterogenität als ein wesentliches Merkmal berufsbildender Schulen
  • 4.3 Zum Stellenwert des Unterrichtsfaches Deutsch
  • 5 Schreiben im Deutschunterricht
  • 5.1 Forschungen zum Schreiben
  • 5.2 Zum Aufbau konzeptioneller Schriftlichkeit
  • 5.3 Schreiben als Facette der Fähigkeit zur Teilnahme an Diskursen
  • 5.4 Schriftlichkeit und Persönlichkeitsbildung
  • 6 Zur Notwendigkeit der Frage, was Schülerinnen und Schüler im Unterrichtsfach Deutsch schreiben – nicht nur in berufsbildenden Schulen
  • 7 Zur Ausrichtung des Unterrichtsfaches Deutsch
  • 7.1 Inhalte, Lernbereiche und Kompetenzen: Ausgangspunkt oder Ziel der Unterrichtsgestaltung?
  • 7.2 Deutsche Sprache als ein Gegenstandsbereich des Deutschunterrichts
  • 7.3 Deutschsprachige Literatur im Fokus des Deutschunterrichts
  • 7.4 Medien und weitere Gegenstände des Deutschunterrichts
  • 8 Resümee
  • Anhang
  • Literaturverzeichnis

← viii | ix → Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Kompetenz – Begriffsvarianten nach Klieme (vgl. 2004, S. 10)

Abbildung 2: Kriterien von Bildungsstandards nach Klieme (hier zitiert nach Zeitler et al., 2010, S. 25-26)

Abbildung 3: Kernbereiche des Faches Deutsch (vgl. von Brand, 2010)

Abbildung 4: Kompetenzstufen in Anlehnung an Becker-Mrotzek und Böttcher (vgl. ebd.)

Abbildung 5: Gegenstandsbereich der Didaktik nach von Martial (vgl. ebd.)

Abbildung 6: Quantitative und qualitative Gütekriterien (vgl. Hussy, 2010, S. 24, auch Lamnek, 2005, S. 146-147)

Abbildung 7: Grundzüge der Schulformen an kaufmännisch ausgerichteten berufsbildenden Schulen (stark vereinfachte, eigene Darstellung)

Abbildung 8: Kategorisierung von Heterogenität in Anlehnung an Wenning (vgl. 2007, S. 25-26). Eigene Zusammenstellung

Abbildung 9: Einteilung der Textlinguistik nach Adamzik; eigene Zusammenfassung auf Basis von Stede (vgl. ebd.) ← ix | x →

← x | xi → Abkürzungsverzeichnis

← xii | 1 → 1. Und wieder eine Arbeit zum Unterrichtsfach Deutsch

1.1 Gibt es Probleme?

„Dem Fach Deutsch kommt in der Schule über die Vermittlung ästhetischer, literatur- und kulturgeschichtlicher Bildung hinaus eine Schlüsselrolle zu, da die Beherrschung der deutschen Sprache, der Erwerb grundlegender Lese- und Schreibfähigkeiten und der situationsangemessene, sachgerechte und zielgerichtete Gebrauch von Wort und Schrift Voraussetzungen für den Lernerfolg auch in nahezu allen anderen Unterrichtsfächern sind.1

So heißt es auf einer Internetseite der Kultusministerkonferenz (KMK) zu Allgemeines zum Unterricht in Fach Deutsch. Auf dem ersten Blick bereitet diese Aussage keine Probleme und deckt sich mit dem, was fachdidaktische Forschungsliteratur preisgibt (vgl. beispielsweise Matthiesen, 2011 oder auch Steets, 2011 in Kämper-van den Boogaart, 2011). Dem Unterricht im Fach Deutsch wird somit nicht nur innerhalb des Faches, etwa hinsichtlich der Wichtigkeit der deutschen Sprache und des sicheren Gebrauchs von Wort und Schrift, eine weitreichende Relevanz beigemessen, sondern auch für das erfolgreiche Gelingen des Lernens in anderen Unterrichtsfächern. Damit geht eine hohe Verantwortung auf Ebene der Schulen, für Forschung und auch hinsichtlich zu treffender Bildungsentscheidungen einher.

Bei genauerem Hinsehen ergibt sich jedoch einiges Nachdenkenswerte: Die Vermittlung von ästhetischer, literatur- und kulturgeschichtlicher Bildung scheint durch die Kultusministerkonferenz nicht in Frage gestellt zu werden und ist aus dieser Perspektive als ein legitimierter Bestandteil des Unterrichtsfaches anzusehen. Auch ein Blick in Abhandlungen, in denen Unterrichtsgegenstände im Fach Deutsch reflektiert werden, zeigt, dass nicht nur literarische Werke aus vergangenen Jahrhunderten (vgl. beispielsweise Bekes, 2009, S. 4), sondern auch aus der Gegenwart (vgl. beispielsweise Hobrebe, 2012, S. 34) zum Unterricht gehören. Es handelt sich um ein als fest anzunehmendes Element des Unterrichtsfaches Deutsch.

Inwieweit dem so ist, welche Funktion Literatur zugeschrieben wird und welches Verständnis von Literatur zugrunde liegt, gilt es dennoch zu überprüfen. ← 1 | 2 → Denn wie Leubner et al. (vgl. 2010, S. 22) feststellen, treten zunehmend Begriffe wie Lesefähigkeit oder gar Lesekompetenz in literaturdidaktischen Überlegungen auf. Diese Entwicklung ist – diesen Autoren (vgl. ebd., S. 22-23) folgend – als eine Konsequenz der PISA-Studie zu sehen. Das bedeutet konkret, dass im Jahre 2003/2004 erste nationale Bildungsstandards festgelegt wurden, welche verbindliche Kompetenzen enthalten, über die Schülerinnen und Schüler verfügen sollen. Da diese Kompetenzen inzwischen von Amts wegen als Bildungsziele verstanden werden, geht es im Unterricht, der sich an Kompetenzen zu orientieren hat, demnach nicht um die Vermittlung von Literatur und Sprache, sondern um Kompetenzen etwa in den Bereichen des Lesens und des Schreibens, die mit diesen Gegenständen erworben beziehungsweise übermittelt werden sollen. Der Stellenwert von Literatur und Sprache ist so besehen in erster Linie ein funktionaler.

Der Begriff Kompetenz zieht sich nicht nur durch aktuelle fachdidaktische Abhandlungen; er wird bereits seit Jahrzehnten in bildungspolitischen und unterschiedlichen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen gebraucht. Bis heute sind Diskussionen in allgemeiner, beruflicher wie auch in hochschulischer Bildung betroffen. Mittlerweile leiten nicht nur Fragen, was Kompetenz umfasst und wie sie festzustellen ist, damit zusammenhängende Überlegungen. Es steht einstweilen ebenso zur Debatte, wie Bildungsgänge und Lernen kompetenzorientiert strukturiert werden können. Denn mit der Orientierung an Kompetenzen ist die Vorstellung verbunden, Bildungsgänge im Wesentlichen einerseits im Hinblick auf Anforderungen des Arbeitsmarktes und weiterführender Bildungsgänge auszurichten. Andererseits ergibt sich eine Gelegenheit, durch die Formulierung von geforderten Lernergebnissen, einen Anschluss an internationale Zielsetzungen zu ermöglichen (vgl. Gillen, 2013, S. 1).

Daraus resultierende Auswirkungen sind nicht nur in wissenschaftlichen Abhandlungen festzustellen; sie sind zugleich in Bildungsgängen für angehende Lehrerinnen und Lehrer, für Studierende wie auch für Schülerinnen und Schüler in den Schulen unverkennbar. Wie beispielsweise Meyer (vgl. 2014, S. 27) bemerkt, gehe es dabei weniger um den Aufbau von Wissen, sondern von Kompetenzen, die, „wenn es darauf ankommt, ab[zu C. H.]rufen und entsprechend [zu C. H.] kombinieren und aus[zu C. H.]führen“ (ebd.) sind.

Kompetenz ist sowohl zu einem weitreichenden Gegenstand als auch zu einem wesentlichen Bezugspunkt für Schule, Bildungspolitik, Forschung sowie für damit zusammenhängende Einrichtungen geworden. Dieser Begriff scheint in gegenwärtigen Bildungsdebatten nicht nur unausweichlich, sondern eine unabdingbare Referenz mit gravierenden Konsequenzen zu sein. Inwieweit dabei Apriori von ein und demselben Kompetenzverständnis ausgegangen werden kann und mit welcher Intention dieser jeweils gebraucht wird, ist zu hinterfragen.

← 2 | 3 → Trotz kritischer Stimmen zur internationalen PISA-Studie und zu den verabschiedeten nationalen Bildungsstandards ist es zum Beispiel nun eine Aufgabe des Institutes für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), mittels eigens konzipierter Testverfahren das Erreichen dieser Standards zu überprüfen. Es geht also ebenso darum, eine angestrebte Steigerung schulischer Leistungen mithilfe dieser Untersuchungen zu steuern. Für die Fachdidaktiken ist dabei die Entwicklung von Kompetenzmodellen vorgesehen, die alle relevanten Kompetenzen für ihr Unterrichtsfach berücksichtigen (vgl. Leubner et al., 2010, S. 22-23). Auswirkungen auf fachdidaktische Forschung für das Unterrichtsfach Deutsch lassen nicht lange auf sich warten: So legt Ossner schon im Jahre 2006 ein Kompetenzmodell vor, welches innerhalb der Fachdidaktik heftige Diskussionen auslöst, die insbesondere Fragen zum Verhältnis von Literatur und Bildung sowie zur vermeintlichen Aussagekraft dieser Kompetenzen im Deutschunterricht hervorrufen (vgl. Didaktik Deutsch 22/2007 und 23/2007).

Eine Klärung derartiger Fragen steht bis heute nicht nur aus, diese Situation verweist zugleich auf die Notwendigkeit, fundamentale Aspekte, wie sie zuvor lediglich angedeutet sind, im Zusammenhang mit dem Unterrichtsfach Deutsch und innerhalb der Fachdidaktik hinsichtlich ihrer Grundannahmen, ihrer Zielsetzung und ihrer Konsequenzen für Forschung und schulische Praxis ausführlich zu diskutieren. Dies erfordert im Wesentlichen zum einen, einen differenzierten Einblick in fachdidaktische Abhandlungen vorzunehmen, um neben dem Überblick über die Forschungslage kritische Gesichtspunkte herauszustellen. Zum anderen steht die Frage im Mittelpunkt, welche konkreten Auswirkungen sich für amtliche Vorgaben und dementsprechend auch für schulische Praxis ergeben. Es ist jedoch ebenso anzumerken, dass es sich bei den genannten Bereichen nicht um isolierbare Bereiche handelt, es liegt vielmehr die Annahme zugrunde, dass diese miteinander in Beziehung stehen und sich somit wechselseitig beeinflussen. Im Zentrum des Interesses stehen dabei zunächst also das Unterrichtsfach Deutsch und konkrete Probleme durch die amtlich vorgegebene Kompetenzorientierung.

Denn der Einfluss einer forcierten Orientierung an Kompetenzen ist trotz der oben angeführten Kritik aus der Perspektive der Fachdidaktik deutlich: Gailberger und Wietzke (vgl. 2013) bezeichnen beispielsweise kompetenzorientierten Deutschunterricht in ihrem Handbuch als

„einen Paradigmenwechsel in der fachdidaktischen Diskussion[. Kompetenzorientierter Deutschunterricht C.H.] […] rückt mit folgenden Fragen die Herausforderungen an die schulische Praxis in den Fokus:

• Was sind sprachliche Kompetenzen eigentlich?

← 3 | 4 → • Wie finden sie im Rahmen des Unterrichts Berücksichtigung, sodass Schülerinnen und Schüler von Beginn ihrer schulischen Laufbahn an sprachlich gefördert werden und sprachliche Kompetenzen erwerben können?

• Und wie werden Kompetenzen schließlich überprüft bzw. diagnostiziert, um auf der Basis dieser Diagnose binnendifferenziert der „Heterogenität des Klassenzimmers“ gerecht werden zu können?“ (ebd., S. 8)

Ein zweiter Blick auf die Aussagen Gailbergers und Wietzkes führt Folgendes vor Augen: Die amtlich insistierte Kompetenzorientierung, die sowohl schulische Praxis als auch fachdidaktische Forschung tangiert, führt offensichtlich dazu, dass ohne Rücksicht auf manifestierte Bedenken und Vetos innerhalb der Fachdidaktik ein Konstrukt verbreitet wird, welches Deutschunterricht als kompetenzorientierten Unterricht preisgibt. Dieser umfasst, wenn die konsultierten Ausführungen von Gailberger und Wietzke näher betrachtet werden, insbesondere sprachliche Kompetenzen, nach deren Definition einerseits gefragt wird. Andererseits stellen diese eine besondere Rolle ab Beginn des schulischen Werdeganges dar, so dass sprachliche Kompetenzen nicht nur zum elementaren Gegenstand des Unterrichts deklariert werden. Das Augenmerk der Schilderungen wird vielmehr auf den Kompetenzbegriff an sich gerichtet, da Kompetenzen zum einen abgefragt werden. Zum anderen dient dies dafür, unterschiedlichen Voraussetzungen auf Seiten der Schülerinnen und Schüler innerhalb von Lerngruppen entgegenzukommen (vgl. ebd.). Gemäß Gailbergers und Wietzkes Darstellungen bezieht sich kompetenzorientierter Deutschunterricht im Kern auf sprachliche Kompetenzen, deren Beschreibung nicht klar ist, was die Verwendung eines Fragesatzes erkennen lässt. Obgleich die Frage, was sprachliche Kompetenzen ausmacht, auch innerhalb fachdidaktischer Forschung – dies sei angedeutet und im Verlauf der vorliegenden Arbeit zu diskutieren – nicht einvernehmlich beantwortet ist, handelt es sich um ein Ziel des Unterrichts, welches einem Anspruch auf Überprüfbarkeit standhalten muss – so erklären es die Verfasser (vgl. ebd.).

Nicht nur vor dem Hintergrund des zuvor kritisch Betrachteten, sondern auch aus der weiterhin angeführten Absicht Gailbergers und Wietzkes, den ungleichen Vorbedingungen, die Schülerinnen und Schüler in den Unterricht mitbringen, zu genügen, ist bereits an dieser Stelle Folgendes kritisch zu hinterfragen: Inwieweit können kompetenzorientierter Deutschunterricht in diesem Sinne und daraus abgeleitete Beurteilungen überhaupt der Heterogenität des Klassenzimmers gerecht werden, wenn

• unklar ist, was sprachliche Kompetenzen sind,

• schon aufgrund der Dauer der schulischen Bildung ein differenzierter Blick notwendig ist, um das genau zu beschreiben, was in jeweiligen Bildungsgängen ← 4 | 5 → zu verschiedenen Zeitpunkten zu fördern ist und auf welchen Voraussetzungen dies beruht, und

• eine Diagnose als Ausgangspunkt von Unterrichtsentscheidungen dient

oder ist zunächst die Frage nach einem konsensfähigen Maßstab innerhalb der Fachdidaktik zu klären, was ebenso beinhaltet, Gründe zu erwägen, die in fachdidaktischen Diskussionen aufzeigen, warum gegenwärtig nicht von einer allgemein anerkannten Grundlage ausgegangen werden kann. Mit anderen Worten: Auch wenn – oder besser ausgedrückt – gerade weil administrative Vorgaben auf eine Kompetenzorientierung im Unterricht beharren, die zudem in der Fachdidaktik wiederzufinden ist und diese offensichtlich beeinflusst, ist ein kritischer Standpunkt in fachdidaktischer Forschung umso bedeutender.

Denn dass mit einer Änderung curricularer Vorgaben Aufforderungen an schulische Praxis verbunden sind, ist nicht von der Hand zu weisen. Ob es sich aber um Herausforderungen handelt, die ausschließlich Schule betreffen und nur in diesem Zusammenhang zu ermessen sind, ist zu hinterfragen. Diesbezügliche Diskussionen gehen also fachdidaktische Forschung ebenso an wie schulische Praxis. Das bedeutet, dass auch abzuwägen ist, wie sich der von Gailberger und Wietzke angesprochene Paradigmenwechsel innerhalb der Fachdidaktik konkretisiert und ob dieser überhaupt allgemeine Anerkennung findet. Wie diese damit umzugehen vermag, ist vielmehr ebenfalls gezielt in den Blick zu nehmen. Als Frage ausgedrückt: Handelt es sich bei kompetenzorientiertem Deutschunterricht um eine Maxime für oder um einen Gegenstand fachdidaktischer Forschung?

Der Nachvollzug des angeführten Zitats von Gailberger und Wietzke gibt einige Anhaltspunkte für weitere Unsicherheiten. Es ist nämlich eine vornehmliche Fokussierung auf den Ausdruck sprachliche Kompetenzen vorgenommen. Durch die explizierte Fragestellung nach dessen Bedeutung, liegt die Vermutung nahe, dass dies gebraucht wird, ohne zu wissen, was sprachliche Kompetenzen tatsächlich ausmachen. Liegt das Zentrum der Betrachtung auf dem Substantiv Kompetenzen oder auf dem Adjektiv sprachliche? Wie gestaltet sich die Beziehung zwischen beiden Bestandteilen des Satzgliedes und welche Aspekte werden durch die Konzentration auf das Bezugswort Kompetenzen ausgegrenzt?

Die vorgenommenen Überlegungen unterstreichen zum einen die Frage nach der Relevanz von Literatur, die an dieser Stelle gar nicht erwähnt wird, aber auch von Sprache. Wird diese aufgrund ihrer Berücksichtigung in Form eines Adjektivattributs lediglich als eine Beifügung betrachtet, während Literatur schon keiner expliziten Benennung mehr bedarf? Zum anderen wird mit kompetenzorientiertem Unterricht suggeriert, dass es um eine durchgängige Entwicklung ← 5 | 6 → der Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im Laufe ihrer Schulzeit geht, die überprüft und diagnostiziert werden sollen, um Verschiedenheiten auf Seiten der Lernenden zu begegnen. Mit dem Schlagwort Binnendifferenzierung ist ein Hinweis auf die Umsetzung gegeben. Es liegt somit bereits ein erkennbarer Unterschied zu den zuvor skizzierten amtlichen Bestrebungen vor. Während aus der betrachteten fachdidaktischen Perspektive eher schulischer Unterricht und Lernen in den Fokus geraten, konzentrieren sich administrative Vorhaben auf nationale und internationale Vergleichsarbeiten als Beitrag zur Qualitätsentwicklung des Bildungswesens. Obgleich beide von Kompetenzen sprechen, zeichnet sich bereits an dieser Stelle ab, dass dahinterstehende Absichten nicht gleichzusetzen sind.

Nichtsdestoweniger sehen die Verfasser des konsultierten Handbuches die nationalen Bildungsstandards als Ausgangspunkt an, die zuvor gestellten Fragen zu beantworten (vgl. Gailberger & Wietzke, 2013, S. 8). Das Inhaltsverzeichnis weist auf, dass das Handbuch die Abschnitte Lesen/Literarisches Verstehen, Schreiben, Sprachbewusstheit und Deutsch als Zweitsprache sowie Sprechen und Zuhören enthält (vgl. ebd., S. 5-6). Die Autoren werden den Bereich der Literatur in ihrem Nachschlagewerk wahrscheinlich nicht außer Acht lassen. Es ist zu vermuten, dass dieser in dem Kapitel Lesen/Literarisches Verstehen aufgegriffen wird, so dass nach Konsequenzen der Funktionalisierung von Literatur und von Sprache zu fragen ist.

Ein Blick in fachdidaktische Beiträge zeigt, dass es sich bei kompetenzorientiertem Unterricht um keine einheitliche Bezeichnung des Deutschunterrichts und bei der von Gailberger und Wietzke vorgenommenen Aufteilung um keine alleinige Einordnung innerhalb der Fachdidaktik handelt. Denn eine andere Vorgehensweise wählt Kämper-van Boogaart (vgl. 2011), indem er Deutschdidaktik in Sprach- und Literaturdidaktik unterteilt. Seine Gliederung weicht augenscheinlich von der im vorherigen Handbuch vorgestellten ab und stellt beim ersten Hinsehen keinen der beiden Bereiche (Literatur und Sprache) in den Hintergrund. Somit stehen sich aus fachdidaktischer Perspektive im Wesentlichen kompetenzorientierter Deutschunterricht und Deutschdidaktik, aufgeschlüsselt in Sprach- und Literaturdidaktik, gegenüber.

Außerdem ist vor diesem Hintergrund auf einen Aspekt hinzuweisen, der sich auf die Strukturierung des Bildungssystems bezieht. So sprechen Gailberger und Wietzke von Schule im Allgemeinen. Demgegenüber differenzieren die Ausführungen in dem Leitfaden von Kämper-van Boogaart diesbezüglich zwischen Sekundarstufe I und Sekundarstufe II. Zu denken ist in diesem Zusammenhang an allgemein bildende Schulen wie das Gymnasium oder auch an ← 6 | 7 → Haupt- und Realschulen. Der in diesem Beispiel nicht angeführte Primarbereich ist zwar nicht außen vor zu lassen, doch dessen Bedeutsamkeit wird nicht in Frage gestellt. Damit ist ein komplexes Bildungssystem mit unterschiedlichen Schulen – wie es in Deutschland tatsächlich vorliegt – angesprochen. Es verwundert dementsprechend nicht, dass alle diese Bezeichnungen von der Kultusministerkonferenz in der Rubrik der allgemeinen Bildung überblicksartig eingeordnet und erläutert sind2. Dass Deutsch als Unterrichtsfach in allen diesen Schulen unterrichtet wird, ist anzunehmen und Gegenstand fachdidaktischer Forschung.

Doch wie sieht es mit dem Unterrichtsfach Deutsch an berufsbildenden Schulen aus? Eine derartige Frage erscheint irritierend. Dass Deutsch auch für Schülerinnen und Schüler in berufsbildenden Schulen relevant sein könnte, wird möglicherweise erst nach weiterem Überlegen nachvollziehbar. Denn das Fach steht in diesem Umfeld seit jeher zwischen Ansprüchen beruflicher Verwertbarkeit und allgemeiner Bildung und veranschaulicht eine Besonderheit des deutschen Bildungssytems: Gemeint ist die eingangs bereits erwähnte Unterscheidung zwischen beruflicher und allgemeiner Bildung (vgl. Grundmann, 2001).

Das Unterrichtsfach Deutsch ist zwar nur selten Gegenstand fachdidaktischer Forschung (vgl. ebd.), was vor dem Hintergrund der Tatsache, dass berufsbildende Schulen zum deutschen Bildungssystem gehören und aufgrund des Potentials des Deutschunterrichts als allgemein bildendes Fach in einem heterogenen und stark beruflich ausgerichteten Umfeld für kritische Reflexionen und Veranschaulichungen mehr als erstaunlich erscheinen mag. Hilmar Grundmann (vgl. 2010, S. 139) stellt überdies insbesondere für die Berufsschule heraus, dass es das „übergeordnete Ziel der beruflichen Ausbildung ist, dem sich der berufsschulischen Unterricht zu unterwerfen hat“ (ebd., S. 140). Das ist zweifelsohne eine provokante Ansicht, die er jedoch hinsichtlich des Deutschunterrichts und seiner Gegenstände konkretisiert, indem er dessen vornehmliche Ausrichtung an betrieblichen Produktionsprozessen und an auf dem Arbeitsmarkt Verwertbarem kritisiert und hinsichtlich dahinterstehender Bildungsvorstellungen fundiert diskutiert (vgl. ebd., S. 139). Es handelt sich mittlerweile auch aus allgemein bildender Sicht um keine unbedeutende Diskussionsgrundlage mehr.

Details

Seiten
XII, 394
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653060416
ISBN (ePUB)
9783653952247
ISBN (MOBI)
9783653952230
ISBN (Hardcover)
9783631665916
DOI
10.3726/978-3-653-06041-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juli)
Schlagworte
Bildungsstandards Medien Kompetenzen Fachdidaktik Bildungssystem
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. XII, 394 S., 9 s/w Abb.

Biographische Angaben

Cordula Häntzsch (Autor:in)

Cordula Häntzsch studierte an der Georg-August-Universität Göttingen. Seit dem Abschluss des Vorbereitungsdiensts in Niedersachsen ist sie Studienrätin an einer berufsbildenden Schule und unterrichtet Deutsch in unterschiedlichen Schulformen sowie Lernbereiche im beruflichen Schwerpunkt Wirtschaft.

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