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Der Blinde sucht das Licht: Die Auswahl des Sachverständigen durch den Richter im Strafverfahren

von Christina Hund (Autor:in)
©2016 Dissertation XII, 166 Seiten

Zusammenfassung

Die Autorin untersucht die Problematik der fehlenden fachspezifischen Sachkunde des Richters im Rahmen der Sachverständigenauswahl im Strafprozess. Mangelndes Fachwissen der Richterschaft und fehlende gesetzliche Bestimmungen lassen die Praxis der Gutachterauswahl willkürlich wirken und führen dazu, dass immer wieder ungeeignete Sachverständige zum Verfahren hinzugezogen werden. Der Band zeigt verschiedenartige Lösungsansätze für die dargestellten Schwierigkeiten auf und nimmt hierbei besonders auf den öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen Bezug.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung und Problemstellung
  • Kapitel 1 – Die Auswahl des Sachverständigen
  • I. Die Sachkunde des Richters
  • II. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Sachverständigen
  • 1. Bestimmung der Notwendigkeit durch Gesetz
  • 2. Bestimmung der Notwendigkeit durch den Richter
  • III. Die Auswahlkriterien
  • 1. Richtiges Fachgebiet
  • 2. Sachkunde
  • 3. Vorgehen nach den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen
  • 4. Akzeptanz der gesetzlichen Grundlagen
  • 5. Rhetorische Fähigkeiten
  • 6. Objektivität und persönliche Eignung
  • 7. Anzahl der Sachverständigen
  • 8. Fazit zu den Auswahlkriterien
  • Kapitel 2 – Die Hilfsmittel bei der Auswahl des Sachverständigen
  • I. Gesetzliche Hilfestellungen – § 73 Abs. 1 S. 1 StPO
  • II. Das Sachverständigenwesen
  • 1. Öffentlich bestellte Sachverständige – § 73 Abs. 2 StPO
  • a) Bestellungsvoraussetzungen
  • aa) Sachgebiet
  • bb) Sachkunde
  • cc) Objektivität und persönliche Eignung
  • dd) Bedarfsprüfung
  • b) Pflichten
  • c) Vorteile der öffentlichen Bestellung als Hilfsmittel bei der Sachverständigenauswahl
  • d) Schwachpunkte der öffentlichen Bestellung als Hilfsmittel bei der Sachverständigenauswahl
  • aa) Überprüfung der Bewerber
  • bb) Bestellung nur bei Bedarf
  • cc) Keine Abdeckung des medizinischen Bereiches
  • dd) Verzeichnisse der Bestellungsbehörden
  • (1) Vereinbarkeit mit § 73 Abs. 1 S. 1 StPO
  • (2) Das bundesweite Sachverständigenverzeichnis der Industrie- und Handelskammern
  • (a) Fehlende Angaben zur Spezialisierung
  • (b) Fehlende Angaben zum öffentlich bestellten Sachverständigen
  • (c) Fehlende Definitionen der Sachgebiete
  • (d) Ungleichmäßige Verteilung auf die bestellungsfähigen Sachgebiete
  • (3) Das bundeseinheitliche Sachverständigenverzeichnis des Handwerks
  • ee) Kein „Monopol“ der öffentlich bestellten Sachverständigen bei der Erstattung von Gerichtsgutachten
  • ff) Uneinheitliche Bestellungspraxis
  • e) Fazit zum öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen
  • 2. Amtlich anerkannte Sachverständige
  • 3. Verbandsanerkannte Sachverständige
  • 4. Zertifizierte Sachverständige
  • 5. Sachverständige privater Organisationen
  • 6. Fazit zum Sachverständigenwesen
  • III. Behörden, Kammern und Universitäten
  • IV. Die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren
  • 1. Nr. 70 Abs. 2 RiStBV
  • 2. Nr. 70 Abs. 3 RiStBV
  • 3. Fazit zu den RiStBV
  • V. Fazit zu den Hilfsmitteln
  • Kapitel 3 – Sachverständigenauswahl in der Praxis
  • I. Die „Hausgutachter“
  • II. Der Sachverständige aus dem Ermittlungsverfahren
  • III. Zufällige Auswahl
  • IV. Fazit zur Sachverständigenauswahl in der Praxis unter Berücksichtigung der Folgen für den Angeklagten
  • Kapitel 4 – Konsequenzen der Auswahlpraxis: Fehlerhafte Gutachten
  • I. Art der Fehler
  • II. Ursachen
  • 1. Mangelhafte Fachkompetenz
  • 2. Verständnisschwierigkeiten
  • III. Gegenwärtig existierende Vorschläge zum Erkennen von Fehlern
  • IV. Fazit zu den Konsequenzen der Auswahlpraxis
  • Kapitel 5 – Lösungen für die Auswahlproblematik
  • I. Sachkunde auf der Richterbank
  • 1. Die Einführung von Gerichten und Spruchkörpern mit besonderem Zuständigkeitsbereich
  • 2. Der Sachverständige auf der Richterbank
  • 3. Ausbildung der Richter
  • 4. Fazit zur Sachkunde auf der Richterbank
  • II. Sachverständigengremien
  • III. Bindende Listen
  • IV. Verbesserungen und Ausbau des bereits bestehenden Systems
  • 1. Vereinheitlichung der Bestellungspraxis
  • 2. Monopolisierung
  • 3. Aufnahme der medizinischen Sachverständigen in das System der öffentlichen Bestellung
  • 4. Optimierung der Verzeichnisse
  • 5. Abschließendes Fazit
  • Literaturverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis

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Einleitung und Problemstellung

Die Anzahl der Publikationen, die sich mit der Figur des Sachverständigen im Strafprozess auseinandersetzen, ist kaum mehr zu überblicken. Der Grund dafür liegt darin, dass der Sachverständigenbeweis mit vielfältigen Schwierigkeiten verknüpft ist, über die bereits seit langer Zeit diskutiert wird. So entstanden in der Vergangenheit beispielsweise Kontroversen über die Stellung, die der Sachverständige im Prozess einnimmt und ob er nun als „Gehirn“, „Gehilfe“ oder „Berater“ des Richters bezeichnet werden kann. Nach wie vor ungelöst, ist auch das Problem der Abhängigkeit des Richters vom gerichtlichen Gutachter.

Diese Arbeit aber soll einen ganz anderen, sehr speziellen Bereich der der Sachverständigenproblematik behandeln: die Auswahl des richtigen Sachverständigen durch den Richter im Strafprozess.

Ein Gutachter kommt in einem Verfahren immer dann zum Einsatz, wenn dem Gericht, die zur Beurteilung des Falles notwendige Sachkunde fehlt.1 Der Sachverständige soll dem Richter Kenntnisse vermitteln, die er aufgrund seiner Ausbildung bzw. seiner Tätigkeit, beispielsweise auf einem Gebiet der Geistes- oder Naturwissenschaften, Technik, Kunst oder auch im Rahmen eines Handwerksberufs, erlangt hat und die zur sachgerechten Beurteilung des konkreten Falles notwendig sind.2 Die Anzahl der Verfahren, in denen Gerichte auf Spezialisten mit besonderem, fachgebietsbezogenem Wissen angewiesen sind, hat in der Vergangenheit immer weiter zugenommen. Der Auslöser für diese Entwicklung, die sich auch weiterhin fortsetzt, ist der Fortschritt in Wissenschaft und Technik, der unaufhaltsam und immer schneller voranschreitet. Neue Technologien und wissenschaftliche Erkenntnisse verändern unsere Welt beinahe täglich, sorgen für Fortschritt, aber verursachen auch wieder neue Schwierigkeiten, die es zu bewältigen gilt. Zudem verzweigen sich Forschungs- und Fachgebiete zusehends und bringen zum Teil ganz neue, eigene Fachbereiche hervor. Zusätzlich wird durch die zunehmende Spezialisierung ein Lebensbereich nach dem anderen zum Objekt fachwissenschaftlicher Untersuchungen.3 Diese Entwicklungen beeinflussen auch die Rechtspraxis in den Gerichtssälen. Sie führen dazu, dass ← 1 | 2 → dem Richter, der einen Sachverhalt aus einer sich immer weiter entwickelnden und spezieller werdenden Welt zu beurteilen hat, zunehmend das ausreichende Maß an Sachkunde fehlt, um ein angemessenes Urteil treffen zu können. Die Folge ist die, dass externes Wissen in den Prozess mit einbezogen werden muss. Dies geschieht regelmäßig und in immer umfangreicherem Maße durch die Heranziehung von Sachverständigen.

Proportional zur Anzahl der Fälle, die der Richter nicht mehr ohne das Wissen eines Spezialisten entscheiden kann, steigt aufgrund des wissenschaftlichen Fortschritts auch die Menge der Fachgebiete, die in einem Strafverfahren Relevanz erlangen können. Die Notwendigkeit der Bestimmung des Alters einer Kugelschreiberabschrift durch einen Spezialisten kann für die Aufklärung eines Falles ebenso notwendig sein, wie die Untersuchung von Sperma- oder Speichelspuren, die Identifizierung von Reifenabdrücken oder die Begutachtung von Klebebandrückständen.4 Ganz herausragende Bedeutung hat in der Strafrechtspraxis auch die Begutachtung der Schuldfähigkeit erlangt, die grundsätzlich von psychiatrischen oder psychologischen Gutachtern vorgenommen wird.5

Aufgrund des Wissensvorsprungs, den der Sachverständige gegenüber dem Richter und in der Regel auch gegenüber den anderen Prozessbeteiligten innehaben wird, erlangt er zwangsläufig einen enormen Einfluss auf den Ausgang des Strafverfahrens. Da seine Ausführungen die Grundlage für das künftige Urteil bilden,6 findet sich in einigen Publikationen gar die Aussage, dass es der Sachverständige ist, der letztendlich den Prozess entscheidet.7 Selbst wenn man eine derart weitreichende Machtposition des Sachverständigen ablehnt, ist es unumstritten, dass die Richtung, in die sich der Strafprozess entwickeln und die Basis auf der der Richter schließlich sein Urteil errichten wird, vom Bericht des Gutachters abhängt.

Wenn es um den Ausgang eines Strafverfahrens geht, ist nicht nur die Verhängung einer Freiheits- oder Geldstrafe denkbar. Da insbesondere die Begutachtung der Schuldfähigkeit in einer Vielzahl von Prozessen relevant wird,8 geht es in den Fällen in denen ein Sachverständiger hinzugezogen wird häufig um die Frage, ← 2 | 3 → ob überhaupt verurteilt werden kann oder ob der Täter aufgrund von § 20 StGB freizusprechen ist bzw. ob eine Milderung des Strafrahmens gem. § 21 StGB in Betracht kommt.9 Besonders empfindlich für den Täter ist auch die Anordnung von Maßregeln der Sicherung und Besserung nach §§ 61 ff. StGB, die den Zweck haben, gefährliche Täter zu bessern oder die Allgemeinheit zu schützen. Zu ihnen gehören gemäß § 61 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, in einer Erziehungsanstalt oder in der Sicherheitsverwahrung, die Anordnung der Führungsaufsicht, die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Erteilung eines Berufsverbots. Auch die Verhängung eines Fahrverbotes nach § 44 StGB ist möglich. Die Folgen für den Angeklagten, auf die der Gutachter Einfluss ausübt sind demnach zahlreich. Gleichzeitig muss jedoch klar sein, dass der Richter mangels eigener Fachkunde, die Ausführungen des Sachverständigen nur bedingt kontrollieren kann. Deren Überprüfung wird sich in den meisten Fällen auf eine Plausibilitätskontrolle beschränken müssen,10 in denen der Richter allenfalls logische Fehler erkennen kann. Sachliche Widersprüchlichkeiten wird er aus Mangel an Sachkunde in der Regel nicht aufdecken können. Manche Fallkonstellationen, in denen Fachfragen zu beantworten sind, können weiterhin so komplex sein, dass der Richter sie auch bei intensiver Aufklärung durch einen Sachverständigen nicht zu durchdringen vermag.11 Daher kann es zulässig sein, dass der Richter den Ausführungen des Sachverständigen ohne vorherige sachliche Überprüfung einfach folgt, wenn die Beweisfrage eine besonders komplizierte Materie umfasst.12 Diese Ohnmacht des Richters hinsichtlich der Kontrolle des Sachverständigengutachtens lässt sich nur ertragen, wenn die Auswahl des Sachverständigen einwandfrei und nachvollziehbar durchgeführt worden ist.13 Dies hat auch der BGH anerkannt und ausgeführt, dass sich der Richter bei der Kontrolle des Sachverständigenbeweises ggf. darauf beschränken könne einen würdigen Vertreter des jeweiligen Faches auszuwählen; sei dies geschehen, könne es auch zulässig sein, dass der Richter sich dem Sachverständigen einfach anschließe.14 ← 3 | 4 →

Aus diesen Gründen kommt der Auswahl des gerichtlichen Sachverständigen große Bedeutung zu.15 Der Richter muss hierbei größte Sorgfalt walten lassen, um einen geeigneten Fachvertreter ausfindig machen zu können.

Hierbei steht der Richter jedoch vor einem Dilemma, da er, ohne selbst sachkundig zu sein, einen Sachverständigen aussuchen muss, dessen Sachkunde und Geeignetheit er vor Hinzuziehung zum Verfahren überprüfen muss.16 Die Sachkunde eines Spezialisten als Laie zu beurteilen ist in der Regel jedoch unmöglich.17 Daher bräuchte der Richter zur Auswahl des richtigen Sachverständigen im Grunde genommen selbst fachkundiges Wissen.18 Auch Dippel führte schon 1986 aus, dass die Auswahl des Sachverständigen ohne Grundkenntnisse des Richters auf dem entsprechenden Gebiet nicht möglich sei.19 Dieses Problem hat sich im Laufe der Zeit freilich noch verstärkt, da Wissenschaften und Berufsbilder sich fortentwickelt und weiter ausdifferenziert haben. Der Umfang, der zur Auswahl notwendigen Kenntnisse, ist daher mit der Zeit stetig angewachsen.

Es stellen sich also die Fragen, welche Kriterien ein geeigneter Sachverständiger überhaupt zu erfüllen hat, ob es dem Richter nach der gegenwärtigen Gesetzeslage möglich ist, einen solchen Sachverständigen zu finden, ob ihm für diese Aufgaben möglicherweise bereits geeignete Hilfsmechanismen zur Verfügung stehen oder ob ggf. Reformen notwendig sind, um den Vorgang der Sachverständigenauswahl zu optimieren. Auf diese Fragen eine Antwort zu finden, soll Gegenstand der folgenden Ausführungen sein.


1 LR-Krause, StPO, § 73, Rdn. 2.

2 BGHSt 7, 239; Boppel, Beweisantrag und Sachverständiger, S. 76 ff.; Erb, ZStW 121 (2009), 882 (883); LR-Krause, StPO, § 73, Rdn. 2; Zuschlag, Das Gutachten des Sachverständigen, S. 8.

3 Mayer, in: FS-Mezger, S. 455 (469).

4 Artkämper, Blutalkohol 2001, 7 (9).

5 Artkämper, Blutalkohol 2001, 7 (10).

6 Artkämper, Blutalkohol 2001, 7; Dippel, Die Stellung des Sachverständigen im Strafprozeß, S. 54; Lürken, NJW 1968, 1161; Schmidt, in: FS-Geerds, S. 541; Tondorf/Waider, StV 1997, 493.

7 Barton, StV 1983, 73 (78); Detter, NStZ 1998, 57; Dölp, DS 2004, 366 (367); Jessnitzer/Frieling, Der gerichtliche Sachverständige, S. 76; Schreiber, in: FS-Wassermann, S. 1007 (1010); Krauß, ZStW 85 (1973), 320 (335).

8 Artkämper, Blutalkohol 2001, 7 (10).

9 Barton, StV 1983, 73.

10 Franzki, DRiZ 1991, 314 (318); Lilie, in: Eine epistemische Anthologie anlässlich der Emeritierung, S. 167 (175), Schreiber, in: FS-Wassermann, S. 1007 (1010).

11 Erb, ZStW 121 (2009), 882 (883).

12 BGHSt 7, 238 (239); 12, 311 (314); Detter, NStZ 1998, 57 (59).

13 Franzki, DRiZ 1991, 314 (318).

Details

Seiten
XII, 166
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653062700
ISBN (ePUB)
9783653953350
ISBN (MOBI)
9783653953343
ISBN (Paperback)
9783631670569
DOI
10.3726/978-3-653-06270-0
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (September)
Schlagworte
Gerichtsgutachter Sachkunde Sachverständigenauswahl Sachverstand
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. XII, 166 S.

Biographische Angaben

Christina Hund (Autor:in)

Christina Hund studierte Rechtswissenschaften an der MLU Halle-Wittenberg.

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