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Der Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuches: Rechtspolitische Illusion oder zukünftige Rechtswirklichkeit?

Eine Untersuchung der materiell-rechtlichen Vorschriften des Entwurfs

von Anna Schnitzer (Autor:in)
©2016 Dissertation 313 Seiten

Zusammenfassung

Dieses Buch befasst sich mit der Einführung des Unternehmensstrafrechts in Deutschland. Neben der grundsätzlichen Diskussion um die Schuldfähigkeit von Verbänden steht die Untersuchung der materiell-rechtlichen Vorschriften des Entwurfs eines Verbandsstrafgesetzbuches im Mittelpunkt. Die Autorin prüft die Vorschriften unter Berücksichtigung strafrechtsdogmatischer und verfassungsrechtlicher Grundsätze im Hinblick auf ihre konkrete Ausgestaltung. Im Ergebnis zeigt die Autorin, dass die Kernstraftatbestände und die im Entwurf vorgeschlagenen Sanktionen erhebliche Probleme in der Rechtsanwendung aufweisen und grundlegender Überarbeitung bedürfen. Hierfür schlägt die Autorin die Vornahme konkreter Änderungen bei den jeweiligen Vorschriften vor.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Kapitel 1: Historische Entwicklung in Deutschland und Europa
  • A. Die Entwicklung vom Mittelalter bis in das Zeitalter der Industrialisierung.
  • B. Entwicklung nach 1945
  • C. Die Entwicklung und Reformbestrebungen seit 1990
  • D. Europäische und internationale Einflüsse
  • E. Regelungen in an Deutschland angrenzenden Ländern
  • F. Rechtsprechung zum Verbandsstrafrecht
  • 1. Entscheidung des BGH
  • 2. Entscheidung des BVerfG
  • 3. Entscheidung des BVerwG
  • G. Zusammenfassung
  • Kapitel 2: Zentrale Kritikpunkte an der Einführung eines Unternehmensstrafrechts
  • A. Fehlende Straffähigkeit
  • 1. Abschreckung und Resozialisierung durch die Bestrafung von Verbänden
  • 2. Aufrechterhaltung des Normvertrauens durch die Bestrafung von Verbänden
  • 3. Vergeltung durch die Bestrafung von Verbänden
  • B. Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung
  • C. Bestrafung Unschuldiger
  • D. Ausreichendes Regelungssystem im Ordnungswidrigkeitenrecht
  • E. Keine Erforderlichkeit wegen rückläufiger Wirtschaftskriminalität
  • F. Stellungnahme
  • Kapitel 3: Untersuchung des materiell-rechtlichen Teils des Gesetzesentwurfs zum Verbandsstrafgesetzbuch
  • A. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich nach § 1 VerbStrG-E
  • 1. Legaldefinition des § 1 Abs. 1 VerbStrG-E
  • 1.1 Vorgesellschaften, fehlerhafte Gesellschaften und Gesellschaften in Liquidationsphase
  • 1.2 Nicht rechtsfähige Vereine
  • 1.3 Stellungnahme zur juristischen Person des öffentlichen Rechts
  • 1.4 Einschränkung des Anwendungsbereichs?
  • 2. Bestimmung der verbandsbezogenen Zuwiderhandlung
  • 2.1 Definition
  • 2.2 Anforderungen an die Zuwiderhandlung nach § 130 OWiG
  • 2.3 Verbandsbezogenheit
  • 2.4 Einschränkung der zu verwirklichenden Straftaten?
  • 2.5 Eigenhändige Delikte als verbandsbezogene Zuwiderhandlung..
  • 3. Entscheidungsträger
  • 4. Rechtsnachfolger
  • 5. Zusammenfassung
  • B. Verbandsstraftat nach § 2 VerbStrG-E
  • 1. Regelungsinhalt
  • 2. Handlungsfähigkeit von Verbänden
  • 2.1 Akzessorisches Handlungsmodell
  • 2.2 Originäres Verbandsunrecht
  • 2.3 Stellungnahme unter Bezugnahme des Gesetzesentwurfs
  • 3. Schuldfähigkeit von Verbänden
  • 3.1 Der Schuldgrundsatz
  • 3.2 Verbandsschuld kraft Zurechnung
  • 3.3 Originäre Verbandsschuld
  • 3.4 Von der Schuld losgelöste Modelle
  • 3.5 Stellungnahme zur vorgeschlagenen Regelung
  • 4. Zuwiderhandlung als objektive Bedingung der Strafbarkeit?
  • 4.1 Allgemeine Anforderungen an objektive Bedingung der Strafbarkeit
  • 4.2 Stellungnahme zu vorgeschlagener Formulierung in § 2 VerbStrG-E
  • 5. Begriff „eine“ verbandsbezogene Zuwiderhandlung in § 2 Abs. 1 und 2 VerbStrG-E
  • 6. Merkmal „in Wahrnehmung der Angelegenheiten“ gem. § 2 Abs. 1 und 2 VerbStrG-E
  • 7. Aufsichts- und Überwachungsverschulden
  • 7.1 Taugliche Täter der verbandsbezogenen Zuwiderhandlung
  • 7.2 Rechtsprechung zum Organisationsverschulden.12
  • 7.2.1 Lederspray-Entscheidung des BGH vom 6.7.1990
  • 7.2.2 Mauerschützen-Entscheidung des BGH vom 26.7.1994
  • 7.2.3 Übertragung auf das Verbandsstrafgesetzbuch
  • 7.3 Zumutbarkeit der Aufsichtsmaßnahmen
  • 7.3.1 Begriff der Zumutbarkeit
  • 7.3.2 Begriff der wesentlichen Erschwernis
  • 7.3.3 Einhaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes
  • 7.3.4 Stellungnahme
  • 7.3.5 Folgen der Risikoerhöhung
  • 8. Konzerndurchgriff
  • 9. Konkrete Ausgestaltung des § 2 Abs. 2 VerbStrG-E
  • 10. Wirkung der Verbandsstraftat für den Rechtsnachfolger nach § 2 Abs. 4 VerbStrG-E
  • 10.1 Übertragung der Grundsätze zu § 30 OWiG auf das VerbStrG-E
  • 10.2 Konkrete Ausgestaltung des § 2 Abs. 4 VerbStrG-E
  • 11. Auslandstaten
  • 11.1 Territorialitätsprinzip
  • 11.2 Sitz eines Verbandes i.S.d. § 2 Abs. 3 S. 1 VerbStrG-E
  • 11.3 Anwendbarkeit der §§ 3 bis 7 StGB
  • 11.4 Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 GG
  • 12. Zusammenfassung
  • C. Allgemeine Bestimmungen, § 3 VerbStrG-E
  • 1. Generalverweis auf den Allgemeinen Teil des StGB
  • 1.1 Geltung der Regelungen über Täterschaft und Teilnahme
  • 1.1.1 Mittäterschaft nach § 25 Abs. 2 StGB
  • 1.1.2 Mittelbare Täterschaft nach § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB
  • 1.1.3 Anstiftung nach § 26 StGB
  • 1.1.4 Beihilfe nach § 27 StGB
  • 1.1.5 Nebentäterschaft.18
  • 1.1.6 Stellungnahme
  • 1.2 Geltung der Regelungen über die Rechtfertigung
  • 1.3 Geltung des § 35 StGB
  • 1.4 Handeln für einen anderen nach § 14 StGB
  • 1.4.1 Grundsätze
  • 1.4.2 Auswirkungen der Regelungen im VerbStrG-E auf die Zurechnungsnorm des § 14 StGB
  • 1.5 Irrtumsregelungen
  • 1.5.1 Tatbestandsirrtum
  • 1.5.2 Irrtum nach § 17 StGB
  • 1.6 Strafmündigkeit, § 19 StGB
  • 1.7 Zusammenfassung
  • 2. Verjährung
  • 3. Weitere Strafverfolgungshindernisse
  • D. Verbandssanktionen, § 4 VerbStrG-E
  • 1. Sanktionensystem in Deutschland
  • 2. Verbandsgeldstrafe, § 6 VerbStrG-E
  • 2.1 Allgemeines zur Einführung einer Verbandsgeldstrafe
  • 2.2 Konkrete Ausgestaltung des § 6 VerbStrG-E
  • 2.2.1 Keine Freiheitsstrafe?
  • 2.2.2 Strafzumessung nach § 6 Abs. 3 VerbStrG-E
  • 2.2.3 Bestimmung der Höhe eines Tagessatzes
  • 2.2.3.1 Mindest- und Höchstgrenze des Tagessatzes
  • 2.2.3.2 Begriffe Ertragslage und Gesamtumsatz
  • 2.2.3.3 Schätzung der Ertragslage und des Gesamtumsatzes
  • 2.3 Verhältnis zur Vermögensabschöpfung
  • 2.4 Verhältnis zur Geldbuße nach § 30, 130 OWiG.
  • 2.5 Verhältnis zur Geldbuße nach § 81 Abs. 4 GWB
  • 2.6 Abwälzung der Verbandsgeldstrafe auf den Entscheidungsträger
  • 2.7 Zusammenfassung
  • 3. Verbandsverwarnung mit Strafvorbehalt
  • 3.1 Konkrete Ausgestaltung des § 7 VerbStrG-E
  • 3.1.1 Rechtsnatur
  • 3.1.2 Verwirkungsgrenze
  • 3.1.3 Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 VerbStrG-E
  • 3.1.4 Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 VerbStrG-E
  • 3.2 Bewährungszeit nach § 8 Abs. 1 VerbStrG-E
  • 3.3 Auflagen und Weisungen nach § 8 Abs. 2 VerbStrG-E
  • 3.3.1 Schadenswiedergutmachung
  • 3.3.2 Zahlung eines Geldbetrages
  • 3.3.3 Personelle Maßnahmen und „Compliance-Monitor“
  • 3.4 Zusammenfassung
  • 4. Öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung
  • 4.1 Regelungsgehalt
  • 4.2 Unbestimmter Rechtsbegriff „große Zahl von Personen“
  • 4.3 Art der Bekanntmachung
  • 4.4 Stellungnahme zur vorgeschlagenen Regelung
  • 5. Ausschluss von Subventionen
  • 5.1 Notwendigkeit der Regelung
  • 5.2 Charakterisierung als Maßregel oder Strafe?
  • 5.3 Kompetenz der Strafgerichte?
  • 5.4 Ausnahme: Rechtsanspruch auf Subvention
  • 6. Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge
  • 6.1 Notwendigkeit der Regelung
  • 6.2 Verhältnis zu anderen Vergaberegelungen
  • 6.3 Charakterisierung als Maßregel oder als Strafe?
  • 7. Verbandsauflösung
  • 7.1 Ausgestaltung als Maßregel
  • 7.2 Sanktionsadressat des § 12 VerbStrG-E
  • 7.3 Merkmal der Beharrlichkeit
  • 7.4 Folgen der Verbandsauflösung in der Praxis
  • 7.5 Vereinbarkeit mit Art. 9 GG
  • 7.6 Vereinbarkeit mit Art. 14 GG
  • 7.7 Stellungnahme zur Vorschrift in der derzeitigen Fassung
  • E. Absehen von Sanktionen, § 5 VerbStrG-E
  • 1. Gegenstand der Regelung – Unterschied zu § 46 a StGB
  • 2. Absehen nach § 5 Abs. 1 VerbStrG-E
  • 2.1 Ausreichende organisatorische oder personelle Maßnahme
  • 2.2 Bestimmung des Begriffs eines bedeutenden Schadens
  • 2.2.1 Erforderlichkeit des Merkmals
  • 2.2.2 Wertgrenze
  • 2.3 Wiedergutmachung des Schadens zum überwiegenden Teil
  • 3. Abschließender Formulierungsvorschlag
  • 4. Absehen nach § 5 Abs. 2 VerbStrG-E
  • 4.1 Beitrag des Verbandes an der Aufdeckung der Verbandsstraftat
  • 4.2 Eignung der Beweismittel
  • 5. Maßstab für Glaubhaftmachung des § 5 Abs. 3 VerbStrG
  • 6. Verhältnis zu § 7 VerbStrG-E
  • 7. Verhältnis zu §§ 30, 130 OWiG
  • Kapitel 4: Fazit
  • Anhang
  • Literaturverzeichnis

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Einleitung

Die Vorstellung des Gesetzesentwurfs für ein Verbandsstrafgesetzbuch1 durch den Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Thomas Kutschaty, auf der Justizministerkonferenz im November 2013 hat die Debatte um die Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen in eine neue Runde geführt. Im Mittelpunkt der Diskussion steht nicht mehr allein die – bereits in zahlreichen wissenschaftlichen Abhandlungen problematisierte – Schuldfähigkeit und die damit verbundene grundsätzliche Frage der Strafbarkeit von Verbänden, sondern auch die konkrete Ausgestaltung der vorgeschlagenen materiell- und prozessrechtlichen Vorschriften und die damit einhergehenden Folgen in der Praxis. Das Handelsblatt titelte im Juli 2014 „Alptraum Zerschlagung“2 und verbildlicht dadurch eine der größten Ängste der Unternehmen in der Praxis. Die Einführung scheint für viele als Erstes mit dem Gedanken einer sog. „Todesstrafe“ für Unternehmen verbunden zu sein. Praktiker verbinden mit der Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verbände auch die Besorgnis, dass sich „am Ende niemand mehr persönlich verantwortlich fühlt, wenn man statt der Vorstände die Firmen bestraft“.3 Die mit der Einführung eines Verbandsstrafrechts verbundene Überreglementierung fürchten auch einige Vertreter der Literatur, was plakativ durch folgende Überschriften verdeutlicht werden kann: „Die aktuelle Forderung eines Verbandsstrafrechts – ein kriminalpolitischer Zombie“4 oder „Deutschland braucht kein (solches) Unternehmensstrafrecht“5. Verteidigende Haltung hierzu nimmt der Justizminister Nordrhein-Westfalens ein, indem er die Auflösung von Verbänden zwar als ultima ratio bezeichnet, dennoch nach seiner Ansicht „manche Unternehmen einfach weg müssen“6. Eine Existenzberechtigung solcher Unternehmen, die z. B. ihr Geld mit Autoschiebereien verdienen, gibt es nach seiner Auffassung nicht. Diese zwei Gegenpositionen werden durch Vertreter, die für eine konstruktive Diskussion offen sind, ergänzt. Zum Ausdruck bringt dies Wessing, indem er betont, dass „Totgesagte länger leben“7 oder sich die Frage stellt „Braucht Deutschland ein Unternehmensstrafrecht?“8. Auch in der politischen Diskussion gibt es Gegner ← 15 | 16 → des Vorhabens, die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Verbänden einzuführen. Thomas Strobl, der Unionsfraktionsvize, beruft sich hierbei auf ein Zitat von Montesquieu, in dem sich seine Meinung deutlich widerspiegelt: „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen“9. Verbildlicht gesprochen: Der Gesetzgeber könnte auch den Bananenanbau am Nordpol regeln, wenn er wollte, tut dies aber nicht.10 Die Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen wird schlichtweg für unnötig gehalten. Das im Dezember 2014 veranstaltete Symposium zur Verbandsverantwortlichkeit illustriert die Wichtigkeit der Offenheit zur Diskussion über den Gesetzesentwurf. Dies bekräftigt Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko Maas, in seiner Eröffnungsrede und weist zudem darauf hin, dass „der Ehrliche am Ende nicht der Dumme sein dürfe“11. Dem ist zu entnehmen, dass es auch in der Politik ein Anliegen ist, nicht durch den Erlass eines Verbandsstrafgesetzbuches „überzogene“ Sanktionen einzuführen, sondern das Ziel ist, wirksame Sanktionen als Reaktion des Staates auf Verstöße von Verbänden hin verhängen zu können. Maas deutet hiermit auch an, dass Unternehmen, die sich um die Aufklärung der Straftaten, die aus dem Unternehmen heraus begangen worden sind, durch Mitwirkung bei den Ermittlungen durch die Strafverfolgungsbehörden bemühen, nicht „doppelt bestraft“ werden dürfen. Ziel soll es also sein, dieses Verhalten auf irgendeine Weise bei der Bestrafung positiv berücksichtigen zu können. Auch ein vorgelagertes Verhalten der Unternehmen durch das Ergreifen von Vorkehrungen, um Straftaten innerhalb des Unternehmens zu vermeiden, kann bei der Bestrafung positiv berücksichtigt werden. Dem Thema der Compliance und seiner gesetzlichen Ausgestaltung kommt bei der Debatte deshalb ebenfalls eine entscheidende Rolle zu.

Die durch den Gesetzesentwurf verursachte aktuelle Diskussion berührt vor allem auch neue Aspekte, die mit der konkreten Ausgestaltung eines möglichen Verbandsstrafgesetzbuches zusammenhängen, die bei dieser Darstellung schwerpunktmäßig behandelt werden sollen. Ziel ist es, die einzelnen Vorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit strafrechtsdogmatischen und verfassungsrechtlichen Grundsätzen zu überprüfen. Sofern es von Bedeutung ist, wird auch die Notwendigkeit der Regelungen beleuchtet. Der Fokus bei der Betrachtung liegt darauf die „Schwachstellen“ der jeweiligen Norm ausfindig zu machen und Verbesserungsvorschläge zu präsentieren. Die Untersuchung gestaltet sich im Einzelnen wie nachfolgend beschrieben. Zunächst widmet sich diese Arbeit der historischen Entwicklung des Verbandsstrafrechts in Deutschland und Europa sowie den existierenden ← 16 | 17 → Regelungen in an Deutschland angrenzenden Ländern, um dessen Bedeutung in einen Gesamtkontext zu stellen und zu verdeutlichen, welche Rolle die strafrechtliche Verantwortung von Verbänden im europäischen Kontext zugeschrieben wird. Des Weiteren wird auf die in der Literatur zentral vorgetragenen Argumente gegen die Einführung eines Verbandsstrafrechts eingegangen, mit der Absicht diese weitestgehend zu entkräften. Im Anschluss erfolgt eine Untersuchung der konkreten Regelungen des materiell-rechtlichen Teils des Gesetzesentwurfs zu einem Verbandsstrafrecht. In diesem Rahmen werden die einzelnen Normen hinsichtlich ihrer strafrechtsdogmatischen und verfassungsrechtlichen Wirksamkeit analysiert. Vergleichsmaßstab hierfür bildet zum einen das Individualstrafrecht, insbesondere die Einhaltung des in Art. 3 GG verankerten Gleichbehandlungsgrundsatzes ist hierbei von besonderer Bedeutung. Zum anderen werden bei der Auslegung von unbestimmten Begriffen die zu den Vorschriften der Geldbuße nach §§ 30, 130 OWiG entwickelte Rechtsprechung und das dem Gesetzesentwurf als Vorbild dienende österreichische Verbandsverantwortlichkeitsgesetz zur genaueren Interpretation herangezogen. ← 17 | 18 →


1 Siehe Anhang.

2 Handelsblatt vom 22.7.2014, S. 13.

3 Hans Richter, Handelsblatt vom 22.7.2014, S. 13.

4 Schünemann, ZIS 2014, 1.

5 Rübenstahl, ZRFC 2014, 26.

6 Der Titel des Interviews mit Thomas Kutschaty, Juve 06/2014, 74 lautet „Manche Unternehmen müssen einfach weg“.

7 Wessing, Gastbeitrag Management-Blog, abrufbar unter http://blog.wiwo.de/management/2014/01/25/das-unternehmensstrafrecht-soll-tot-sein-was-fur-ein-irrtum-gastbeitrag/ (zuletzt abgerufen am 11.2.2015).

8 Wessing, ZWH 2012, 301.

9 Die Welt vom 26.11.2014, Union wehrt sich gegen härtere Strafen für Firmen, abrufbar unter: http://www.welt.de/wirtschaft/article134761662/Union-wehrt-sich-gegen-haertere-Strafen-fuer-Firmen.html (zuletzt abgerufen am 11.2.2015).

10 Schmitt-Leonardy, ZIS 2015, 11.

11 Maas, Rede zur Eröffnung des Symposiums zur Verbandsverantwortlichkeit am 1.12.2014 in Berlin, abrufbar unter: http://www.bmjv.de/SharedDocs/Reden/DE/2014/20141201_Verbandsverantwortlichkeit.html?nn=1468636 (zuletzt abgerufen am: 11.2.2015).

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Kapitel 1: Historische Entwicklung in Deutschland und Europa

Um die in Deutschland abneigende Haltung gegen die Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Verbänden in einen Gesamtkontext stellen zu können, sind zunächst die historische Entwicklung der Verbandsstrafe und die dazu geführte wissenschaftliche Diskussion aufzuzeigen. Die fehlende Überwindung des deutschen Gesetzgebers ein Gesetz einzuführen, welches die Strafbarkeit von Unternehmen in Deutschland regelt, wird vor allem auf die strafrechtsdogmatischen Bedenken zurückgeführt.12 Ein Blick in die deutsche Historie zeigt hingegen, dass der Gedanke der Strafbarkeit von Personenverbänden jedenfalls nicht gänzlich fremd ist und „dogmatische Grundsätze nicht in Stein gemeißelt sind“.13

A.  Die Entwicklung vom Mittelalter bis in das Zeitalter der Industrialisierung

Wieweit Ansätze hinsichtlich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Personenverbänden tatsächlich zurückreichen, lässt sich nach den in der Literatur zu findenden Darstellungen nicht eindeutig ermitteln. So kann nach dem heutigen Erkenntnisstand nicht entschieden werden, ob bereits das Römische Recht eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Personenverbänden vorsah oder ob zu dieser Zeit der Grundsatz „societas delinquere non potest“ galt.14 Feststeht jedoch, dass sich seit dem Mittelalter, als die Strafe den Charakter der privaten Genugtuung verlor, Entwicklungen nachvollziehen lassen, bei denen Verbände, etwa Markgenossenschaften, Bauernschaften, Land- und Stadtgemeinden, Gilden, Zünfte oder sonstige Berufsgenossenschaften, bei Rechtsstreitigkeiten bestraft wurden.15 Als Rechtsgrundlage hierfür dienten z. B. der Sachsenspiegel, die Stadtrechte und ab dem 15. Jahrhundert die deutschen Territorialgesetze.16 Geahndet wurden die Personenverbände mit Strafen in Form von Geldstrafen, der Konfiskation des Vermögens, ← 19 | 20 → der Entziehung von Privilegien, der Aberkennung der Korporationsrechte, der Auflösung des Verbandes oder sogar der Zerstörung der Stadt.17 Das Erfordernis der Bestrafung der Verbände im Mittelalter ist allein den Bedürfnissen der Durchsetzung der Reichsgewalt und später landesherrlicher Gewalt gegenüber dem zunächst monarchisch organisierten Burgverband und den städtischen Gemeinden sowie anderen untergeordneten Körperschaften geschuldet.18 Als Anknüpfungspunkt für das Vorliegen einer kollektiven Straftat verlangte man zu dieser Zeit ein Handeln in korporativen Formen wie beispielsweise eine Mitgliederversammlung, also eine gemeinsam begangene strafbare Handlung der Gesamtheit.19 Ausnahmsweise kam auch eine Zurechnung des Verhaltens Einzelner, wie z. B. im Fall des Stadtrats, für die Begründung der Strafbarkeit des Verbandes in Betracht.20 Erst die Kanonisten übernahmen im 12. Jahrhundert den Gedanken der Trennung der Rechtsfähigkeit des Verbandes („universitas“) von der seiner Mitglieder und zerstörten somit die Identifikation der Körperschaft mit ihren Mitgliedern.21 Durch diese vorgenommene Trennung des Verbandes von der Summe seiner Mitglieder befürchtete man die Bestrafung Unschuldiger, welche man versuchte zu vermeiden, indem man z. B. Kindern, Abwesenden oder Schuldunfähigen Privilegien einräumte, wenn sie der Straftat widersprochen hatten.22 Im Laufe des Mittelalters, in etwa von 1314 bis 1357, setzte sich jedoch die Lehre von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verbände des Bartolus de Sassoferato durch, die in Deutschland bis zum 18. Jahrhundert Grundlage für Rechtslehre, Gesetzgebung und Rechtsprechung blieb.23 Sein Ansatz ging dahin, zwischen zwei Gruppen von Körperschaftsdelikten zu differenzieren. Die erste Gruppe der sog. eigentlichen Körperschaftsdelikte, die nur die universitas proprie begehen kann, und die sog. uneigentlichen Körperschaftsdelikte, die nur der Mensch begehen kann.24 Wird ein Delikt der ersten Gruppe begangen, so ist die universitas Täter und sein Mitglied Mittäter oder Anstifter, beim uneigentlichen Körperschaftsdelikt hingegen ist das Mitglied Täter und die universitas Mittäter oder Anstifter.25

Die politische Bedeutung der Verbände schwand jedoch mit der Zeit des Absolutismus und der Aufklärung, in welcher der Gedanke um das Individuum in der Gesellschaft vorherrschte.26 Zugleich trat hiermit das staatspolitische Bedürfnis die Verbände zu bestrafen immer mehr zurück bis hin zur Aufgabe der Notwendigkeit ← 20 | 21 → der Verbände als notwendiges Strafrechtssubjekt.27 In der Literatur gab jedenfalls den äußeren Anlass für diesen Wandel eine im Jahr 1793 veröffentlichte Abhandlung des Erlanger Professors Julius Friedrich von Malblanc, der in dieser die Strafempfänglichkeit der Verbände bestritt und die Bestrafung Unschuldiger kritisierte.28 Auch wenn dieser Gedanke von Julius Firedrich von Malblanc keineswegs neue Erkenntnisse brachte, so entfachte er jedoch bei Strafrechtswissenschaftlern der liberalistisch-individualistischen Zeit wie Paul Johann Anselm von Feuerbach29 den Entschluss, die mittelalterliche Lehre von der Deliktsfähigkeit von Verbänden aufzugeben.30 Durch die Fiktionstheorie des Romanisten Friedrich Carl von Savigny, nach der der juristischen Person ein Wille nur durch die dahinterstehenden Personen zugerechnet werden kann, was für die Begründung einer Strafbarkeit aufgrund der Wesensfremdheit der Vertretung im Strafrecht nicht ausreiche, wurde diese Auffassung untermauert.31 Dies hatte zur Folge, dass sich dem Gedanken auch die Gesetzgebung anschloss, weshalb sich weder im bayerischen Strafgesetzbuch von 1813 noch dem hannoverschen Strafgesetzbuch von 1840 oder dem hessischen Strafgesetzbuch von 1841 eine Möglichkeit der Bestrafung von Verbänden finden lässt, vielmehr noch schließen diese eine solche sogar aus.32 Dennoch lassen sich auch zu dieser Zeit Stimmen finden, die eine Bestrafung des Verbandes befürworteten wie z. B. Otto von Gierke mit seiner „Theorie der realen Verbandspersönlichkeit“33. Nach dieser sind juristische Personen keine Fiktionen, sondern „natürliche Gebilde“, unabhängig von den Individuen, aus denen sie sich zusammensetzen, weswegen es für von Gierke keine Zweifel an der Straffähigkeit juristischer Personen gab.34 Von von Gierke ließ sich auch Franz von Liszt inspirieren, der sich seit der ersten Auflage seines Strafrechtslehrbuchs (1881) stets für die Wiedereinführung der Verbandsstrafe einsetzte.35 Dieser Einsatz für die Verbandsstrafe ist insbesondere auf die Entwicklung der Wirtschaft zurückzuführen, in der die Verbände während des Zeitalters der Industrialisierung eine Renaissance erfuhren.36 Von den zuvor genannten Strafrechtswissenschaftlern sah ← 21 | 22 → sich auch Max Ernst Mayer37 beeinflusst und sprach sich für eine Verbandsstrafbarkeit aus, ohne jedoch die in Rechtsprechung und Lehre gefestigte ablehnende Haltung wirklich zu ändern.38

Trotz allem ließen sich im Nebenstrafrecht Bemühungen um eine Verbandsstrafe finden: So sah § 357 (später § 393) Reichsabgabenordnung die Verhängung einer Geldstrafe gegen juristische Personen und Personenvereinigungen vor, wenn Steuervergehen begangen wurden, bei denen ein individuelles Verschulden gerade nicht festgestellt werden musste.39 Ob durch diese Regelung allerdings die traditionelle Doktrin zur Verbandsbestrafung durchbrochen werden sollte, wird von der Gesetzesbegründung unbeantwortet gelassen.40 Allerdings kam der Vorschrift nur eine geringe Bedeutung zu, was an dem geringen Anwendungsbereich der Vorschrift selbst lag und der Rechtsprechung des Reichsgerichts zu verdanken ist, nach welcher die Bestrafung des Organs die Sanktionierung der juristischen Person ausschlösse.41 Letztlich wurde der Vorschrift mit der Abschaffung der Vermutungstatbestände und der Einführung eines Schulderfordernisses auch für die Bestrafung wegen Steuerordnungswidrigkeiten durch das Gesetz zur Änderung der Reichsabgabenordnung vom 4. Juli 1939 vollständig die Grundlage entzogen.42 Es ermöglichten jedoch auch andere Vorschriften des Nebenstrafrechts in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhundert die Verhängung von sog. Ordnungsstrafen gegen juristische Personen, die ähnlich der heute geltenden Geldbuße ausgestaltet waren.43 Hier sind insbesondere die Bereiche des Devisenstrafrechts und das Institut der Subsidiärhaftung44 von Verbänden vor Inkrafttreten der Reichsabgabenordnung von 1919 zu nennen.45 ← 22 | 23 →

B.  Entwicklung nach 1945

Auch wenn sich Richard Busch46 Anfang der 30er Jahre in seiner Monographie umfassend mit dem Thema der Strafbarkeit von Verbänden befasst und für diese plädiert hat, so bestand zu der Zeit, in der das nationalsozialistische Gedankengut vorherrschte, so gut wie kein praktisches Bedürfnis an der Bestrafung von Verbänden, da diesen im Machtapparat die Selbstständigkeit nahezu abgesprochen wurde.47 Jedoch entflammte der Rechtsstreit um die Strafbarkeit von Verbänden nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund der besatzungsrechtlichen Vorschriften des Devisen- und Kartellrechts erneut.48 Damit einhergehend war die Streitfrage zu entscheiden, ob die deutschen Gerichte an die Vorschriften der Alliierten gebunden waren und aufgrund dessen auch Kriminalstrafen gegen juristische Personen verhängen dürften oder sogar müssten.49 Der BGH sprach sich zu diesem Streit in seiner Grundsatzentscheidung des „Berliner Stahlprozesses“50 für die Verantwortlichkeit von Verbänden aus. Seine Entscheidung begründete der BGH unter Verweis auf § 31 BGB und nahm Bezug auf das Bedürfnis der juristischen Person oder der Personenvereinigung den Gewinn zu entziehen, der ihr durch eine strafbare Handlung ihres Vertreters zuteil geworden sei. In der Literatur wurde dieser Auffassung des BGH nicht gefolgt, sondern eine Strafbarkeit von Verbänden mit dem Argument verneint, dass persönliche Qualitäten für die strafrechtliche Verantwortlichkeit, insbesondere die Schuldfähigkeit, vermisst würden, was sich insbesondere auf dem 40. Deutschen Juristentag 1953 zeigte.51 Auf diesem befürwortete man vielmehr den Vorschlag, unmittelbar gegen juristische Personen im Rahmen eines Maßregelrechts vorzugehen, auch wenn man ein praktisches Bedürfnis nach der Verhängung von wirksamen Sanktionen gegenüber juristischen Personen noch weitgehend anerkannte.52 Die zahlreichen Sondervorschriften über die Verhängung von Geldbußen gegen juristische Personen wurden im Jahr 1968 durch die Einführung des § 26 OWiG (ab 1975: § 30 OWiG) aufgehoben.53 Damit schuf man einen Ausgleich dafür, dass die juristische Person bei Rechtsverstößen selbst keine Sanktionen zu erwarten hatte, jedoch von den Rechtsverstößen der natürlichen Personen andererseits auch profitiert.54 Indem man die Vorschrift als „Nebenfolge“ betitelte, vermied man den Sanktionscharakter überhandnehmen zu lassen. Um alle Bedenken gegen die Missachtung des ← 23 | 24 → Grundsatzes „ne bis in idem“ nach Art. 103 Abs. 2 GG auszuräumen, behandelte man die juristische Person wie einen Einziehungsbeteiligten nach § 88 Abs. 3 OWiG.55 Nach Verabschiedung des 2. Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ist die Verhängung der Verbandsgeldbuße gem. § 30 Abs. 4 OWiG selbstständig gegen die juristische Person möglich und nicht mehr bloße Nebenfolge, wenn ein Verfahren gegen die natürliche Person nicht eingeleitet oder eingestellt worden ist. Damit galt die Problematik der Verantwortlichkeit der Verbände zunächst als abgeschlossen und wurde nur noch vereinzelt von Autoren behandelt.56

C.  Die Entwicklung und Reformbestrebungen seit 1990

Erst mit Beginn der 90er Jahre gewann die Debatte um die Strafbarkeit von Verbänden wieder an Bedeutung, als im Rahmen der Umwelt- und Wirtschaftskriminalität das Störungspotential der Verbände erneut verstärkt zu Tage trat und weltweit Gesetze erlassen wurden, in denen eine Verbandsstrafbarkeit geregelt wurde.57 So wurden in den Niederlanden bereits 1976, in Schweden im Jahr 1986, in Norwegen 1991, in Frankreich 1994, in Finnland 1995, in Dänemark 1996, in der Schweiz 2002 und in Österreich 2006 entsprechende Regelungen zur Bestrafung von Verbänden eingeführt.58 Und auch im angloamerikanischen Rechtskreis, so in England, USA, Kanada und Australien, ist die Strafbarkeit seit langem anerkannt.59 In Deutschland bildete man 1993 einen „Arbeitskreis Strafrecht-Deutsche Wiedervereinigung“, welcher im März 1993 den Entwurf eines „Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“60 vorlegte. In diesem Entwurf sah man unter anderem die Unternehmenskuratel als Maßnahme gegen Unternehmen im Falle der Begehung einer Straftat durch einen Unternehmensangehörigen, der dem Leitungsbereich des Unternehmens angehörte, vor.61 Im August 1997 legte das Land Hessen auf der 68. Justizministerkonferenz einen Diskussionsentwurf62 vor, welcher die ← 24 | 25 → Einführung eines achten Titels im StGB (§§ 76 b ff.) beabsichtigte, in dem juristische Personen und Personenvereinigungen ausdrücklich unter das Kriminalstrafrecht gestellt werden sollten. Bereits bei diesem Vorhaben sah man als Sanktionsmöglichkeiten die Verbandsgeldstrafe und die Verbandsauflösung vor. Daraufhin stellte die SPD im Januar 1998 eine große Anfrage, woraufhin sich letztlich im November 1999 eine vom Bundesjustizministerium eingesetzte Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems mit diesem Thema befasste.63 Im Abschlussbericht entschied sich die Kommission jedoch gegen die Einführung einer Verbandsstrafe und führte zur Begründung an, dass die Sanktionierung der Unternehmen durch die Geldbuße nach § 30 OWiG als ausreichendes Instrumentarium angesehen, das Strafrecht ohnehin schon überlastet sei und Bedenken hinsichtlich des Schuldprinzips und der Bestrafung Unschuldiger bestünden.64 Trotz der ablehnenden Haltung aus der Politik verstummten die Stimmen in der Wissenschaft diesmal nicht, sodass ein ständiger Diskurs um die Verantwortlichkeit von Verbänden existierte. Dieser bekam neuen Aufwind, als im November 2006 in einer renommierten Tageszeitung die Titelseite „200 Millionen Schwarzgeld bei Siemens“ lautete.65 Mit dem Skandal der Schmiergeldzahlungen von Siemens, von denen nach den Angaben in der Presse66 auch die Konzernspitze informiert war, wurde erneut deutlich, dass es sich bei Schmiergeldzahlungen immer noch um sog. Kavaliersdelikte handelte und gerade große Konzerne diese oft auch als notwendiges Übel hinnehmen.67 Um solchen Schmiergeldzahlungen wirksam zu entgegnen, fehlte es also offensichtlich an einer entsprechenden Sanktionierung. Auch die Erweiterung der Vorschrift des § 30 OWiG im Jahr 2002 durch das Gesetz zur Ausführung des Zweiten Protokolls vom 19. Juni 1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vom 22. August 2002 und die damit einhergehende Ausweitung der Anwendbarkeit auf rechtsfähige Personengesellschaften und die Anhebung der Höchstgrenzen der Geldbuße schienen nicht ausreichende Warnung für Unternehmen zu sein.68 Die Debatte um die Strafbarkeit von Unternehmen wurde in der Wissenschaft weiterhin diskutiert69, fand jedoch erst ihren Eingang in der Politik wieder im November 2013 auf der Herbstkonferenz, als der Justizminister ← 25 | 26 → von Nordrheinwestfalen, Thomas Kutschaty, seinen Gesetzesentwurf vorstellte.70 Auf dieser fand die Einführung eines Strafgesetzes über die Verantwortlichkeit von Unternehmen weitgehend Zustimmung71, nur an dem konkreten Vorschlag des Gesetzes, der in den Bundesrat eingebracht werden soll, wird noch weiter gearbeitet.72 Durch diese erneute Initiative der Länder gerät nahezu in Vergessenheit, dass die Vorschrift des § 30 OWiG durch die 8.GWB-Novelle73, zum 30. Juni 2013 in Kraft getreten, erst kürzlich geändert worden ist, um einer OECD-Empfehlung zu entsprechen.74 Durch diese Reform wurde es ermöglicht, dass Geldbußen von bis zu 10 Millionen verhängt werden können und diese nach § 30 Abs. 2 a OWiG75 ebenfalls den Rechtsnachfolger treffen können. Eine Aussage, ob diese Änderungen die gewünschte Effektivität mit sich bringt, kann zu dem heutigen Zeitpunkt aufgrund der Kürze der Existenz der Regelung noch nicht getroffen werden. Der Bundesregierung liegen hierzu auch noch keine aktuellen Erkenntnisse vor, was sich der Antwort der Bundesregierung vom 22. Juni 201476 auf eine Kleine Anfrage der Bündnis 90/Die Grünen-Fraktion77 zur wirksamen Sanktionierung von Rechtsverstößen in ← 26 | 27 → Unternehmen, entnehmen lässt. Im Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode78 wird die Prüfung einer Unternehmensstrafbarkeit für multinationale Konzerne angedacht.79 Zuletzt nahm die Bundesregierung in der zuvor genannten Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bündnis 90/Die Grünen-Fraktion zur wirksamen Sanktionierung Stellung. Im Ergebnis lässt sich dieser Beantwortung entnehmen, dass die gestellten Fragen im Zusammenhang mit dem von Justizminister Nordrhein-Westfalens, Thomas Kutschaty, vorgelegten Gesetzesentwurfs eines Verbandsstrafgesetzbuches von der Bundesregierung geprüft werden sollen. Insbesondere sollen tatsächliche Erkenntnisse über die Wirksamkeit der Sanktionierung im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts erhoben sowie die Einführung des Legalitätsprinzips (auch im Ordnungswidrigkeitenrecht) und das Schulderfordernis im Strafrecht geprüft werden.

D.  Europäische und internationale Einflüsse

Nicht zu vernachlässigen ist, dass die Entwicklung in Europa sowohl in politischer als auch in rechtlicher Hinsicht einen enormen Einfluss auf Deutschland hat. Inzwischen hat auch Österreich ein Verbandsverantwortlichkeitsgesetz im Jahr 2006 erlassen, welches die Strafbarkeit von Verbänden regelt. Jüngst hat die Tschechische Republik zum 1. Januar 2012 ein gesondertes Gesetz zur Strafbarkeit juristischer Personen erlassen. Somit können alle an Deutschland angrenzenden Länder Strafen gegen Verbände verhängen.80 Ebenso hat Deutschland als Mitgliedstaat der EU die vom Europäischen Rat erlassenen Rechtsakte in nationales Recht umzusetzen bzw. dessen Anforderungen aufzunehmen. Im Jahr 1988 forderte der Europarat noch, die umfassende Verantwortlichkeit von Unternehmen für Straftaten, die in Ausübung ihrer Tätigkeit begangen werden, sicherzustellen.81 Hingegen enthielt das Zweite Protokoll zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaft vom 19. Juni 199782 eine konkrete Verpflichtung für die Mitgliedstaaten, einen gewissen Mindeststandard bei Unternehmenssanktionen einzuhalten.83 Regelungsgegenstand nach Art. 3 des Zweiten Protokolls ist, dass die Mitgliedstaaten erforderliche Maßnahmen treffen, um Verbände für bestimmte Straftaten, die zu ihren Gunsten begangen worden sind, ausreichend sanktionieren zu können. Darunter sind vor allem solche Straftaten wie Bestechung eines Beamten der Europäischen Gemeinschaften, die eine Gefährdung der finanziellen Interessen der EU zur Folge hat, sowie Betrug und Subventionsbetrug zum Nachteil eines von ← 27 | 28 → den Europäischen Gemeinschaften oder in ihrem Auftrag verwalteten Haushalts erfasst.84 Die hierfür notwendige Anknüpfungstat kann hierbei von jeder Person begangen werden, die aufgrund einer Vertretungs-, Entscheidungs-, oder Kontrollbefugnis eine Führungsposition innehat. Eine bestimmte Sanktion und zwar in Form der Geldstrafe, die wirksam, angemessen und abschreckend sein muss, schreibt das Protokoll in Art. 4 Abs. 1 in den vorgenannten Fällen vor. Des Weiteren werden im Protokoll Regelungen zum Ausschluss öffentlicher Zuwendungen, das Verbot der Handelstätigkeit, richterliche Aufsicht und richterlich angeordnete Auflösung vorgeschlagen. In der Gemeinsamen Maßnahme zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor vom 22. Dezember 199885 wurden die Regelungen des Zweiten Protokolls übernommen. Das Gleiche gilt für eine Reihe von Rahmenbeschlüssen des Rates86, wie z. B. für den Rahmenbeschluss des Rates vom 29. Mai 2000 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro87. All die vom Rat erlassenen Rahmenbeschlüsse verpflichten die Mitgliedstaaten zur Einführung wirksamer und abschreckender Sanktionen, eine Forderung, dies mit strafrechtlichen Vorschriften durchzusetzen, enthalten die Beschlüsse hingegen nicht. Den Mitgliedstaaten bleibt es vielmehr, so auch nach der Rechtsprechung des EuGH88, selbst überlassen, ob sie Sanktionen strafrechtlicher Art wählen oder nicht. Jedoch zeigt der Entwurf einer Expertengruppe von Strafrechtswissenschaftlern zu einem Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union der Europäischen Kommission, beauftragt von der Europäischen Kommission, dass eine Strafbarkeit von Verbänden gerade auch in Bezug auf die Harmonisierung der Strafrechtsordnungen in der EU eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielt.89 Dieser Entwurf, der in Art. 1490 eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Verbänden vorsieht, wurde von einer Gruppe von Strafrechtslehrern angezweifelt, die deshalb einen Alternativentwurf91 zum Corpus Juris vorlegten. In diesem Alternativentwurf sind Sanktionen gegen Unternehmen als Maßnahmen eigener Art konzipiert, welche allerdings dem Sanktionenkatalog des Corpus Juris entsprechen.92 ← 28 | 29 →

Auch auf internationaler Ebene wird der Thematik der Strafbarkeit von Verbänden nachgegangen. So verpflichten sich die Vertragsparteien auf Ebene der OECD nach Art. 2 des Übereinkommens vom 17. Dezember 1997 über die Bekämpfung der Bestechung im internationalen Geschäftsverkehr93 in Übereinstimmung mit ihren nationalen Rechtsgrundsätzen, eine Verantwortlichkeit juristischer Personen einzuführen. Nach diesem sind zwingend wirksame, angemessene und abschreckende Geldsanktionen für die Verantwortlichkeit von Verbänden vorzusehen. Ebenfalls für eine strafrechtliche Verbandshaftung sprechen sich die Konvention der Vereinten Nationen gegen Korruption (Art. 26) und das UN-Übereinkommen gegen transnationale organisierte Kriminalität (Art. 10) aus. Diese sind von Deutschland zwar im Jahre 2003 und 2005 unterzeichnet, bislang jedoch noch nicht ratifiziert worden. Auch in anderen Themenbereichen finden sich Forderungen nach der strafrechtlichen Haftung von Verbänden, so z. B. in der Richtlinie der EU zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern vom 15. November 2011.94 In einem Entwurf einer Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen für Insider-Geschäfte und Marktmanipulationen vom 20.10.2011 wird die Forderung nach einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen erneut durch Art. 7 und 8 der Richtlinie verdeutlicht.95 In diesen wird ebenfalls gefordert, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, um sicherzustellen, dass juristische Personen für die geregelten Straftaten zur Verantwortung gezogen werden und dabei „wirksame, angemessene und abschreckende“ Sanktionen verhängt werden können.96

E.  Regelungen in an Deutschland angrenzenden Ländern

In nahezu allen europäischen Ländern finden sich Regelungen über die Verantwortlichkeit von Verbänden.97 In England ist die Verantwortlichkeit von Unternehmen nach der sog. verbreiteten Identifikationstheorie, nach der ein Unternehmen dann bestraft werden kann, wenn eine Straftat durch ein Organ des Unternehmens in Ausübung seiner Tätigkeit begangen wird, bereits lange anerkannt.98 Deutschland gehört zu den wenigen Ländern weltweit, die noch keine strafrechtlichen Vorschriften erlassen haben, zuletzt haben sogar Liechtenstein, im Jahr 2011 durch die Einführung der §§ 74 a-g in das Liechtensteinische StGB und die Tschechische Republik zum 1. Januar 2012 durch den Erlass eines gesonderten Gesetzes, die Möglichkeit geschaffen strafrechtliche Sanktionen gegen juristische Personen zu verhängen.99 ← 29 | 30 → Die Regelungen der an Deutschland angrenzenden Länder werden im Folgenden überblicksartig dargestellt.

In den Niederlanden, den Vorreitern der Regelungen über die Verantwortlichkeit von Unternehmen, wurde, neben den im niederländischen Strafgesetzbuch enthaltenen Vorschriften, bereits 1951 das Gesetz über Wirtschaftsstraftaten (Wet Economischen Delicten) erlassen, welches spezielle Delikte (sog. Wirtschaftsstraftaten) unter Bezugnahme auf weitere Gesetze unter Strafe stellt.100 Diese dort in Art. 15 normierte Strafbarkeit wurde aufgrund der im Jahre 1966 zusammengekommenen niederländischen Juristenvereinigung, die sich für die „Einführung von Bestimmungen über die Verantwortlichkeit von anderen als natürlichen Personen in das StGB“ aussprach, 1976 in das niederländische Strafgesetzbuch übernommen.101 Die Strafbarkeit von sog. „Rechtspersonen“102 wird nach dem niederländischen Gesetzbuch durch zurechenbares Handeln begründet, wobei auch Vorsatz und Schuld einer natürlichen Person als zurechenbar angesehen werden.103 Ausreichend hierfür ist, dass das Unternehmen auf die unmittelbar handelnde Person die Möglichkeit hat einzuwirken. Nicht erforderlich ist hingegen, dass ein Unternehmensorgan gehandelt hat.104 Darüber hinaus muss die juristische Person Kenntnis von der Straftat gehabt haben, wobei es ausreicht, dass es bereits zu Vorfällen in der Vergangenheit kam, die vom Unternehmen geduldet wurden.105 Als Sanktionen kommen die Geldstrafe, die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung, der Verfall von illegal erzielten Gewinnen, die Beschlagnahme bestimmter Gegenstände und die Wiedergutmachung des angerichteten Schadens in Betracht.

Im Nachbarland Frankreich existiert seit dem 1. März 1994, mit Inkrafttreten des sog. Nouveau Code Pénal (NCP), eine Regelung über die Verantwortlichkeit von juristischen Personen für strafbare Handlungen.106 Ausgenommen von der Bestrafung sind der Staat selbst sowie die regionalen Gebietskörperschaften hinsichtlich Taten, die bei der Erfüllung nicht übertragbarer Verwaltungsaufgaben begangen worden sind.107 Den Mittelpunkt bildet hierbei die Vorschrift des Art. 121–2 NCP, ← 30 | 31 → wonach gegen diese Geldstrafen verhängt werden können, wenn deren Organe oder Vertreter strafbare Handlungen zu deren Gunsten begehen („pour leur compte“). Hierbei ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung notwendig, dass ein subjektives Element (sog. l’élément intentionnel) bei der natürlichen Person, nicht hingegen bei der juristischen Person, gegeben ist.108 Darüber hinaus sind als Sanktionen die Auflösung der Gesellschaft, ein umfassendes oder partielles Berufsverbot oder die Schließung von Betriebsstätten vorgesehen. Auch kann die natürliche Person gem. Art. 121–2 NCP neben dem Unternehmen als Mittäter bestraft werden.

Das Rechtssystem Dänemarks kennt ebenfalls schon seit längerer Zeit die Möglichkeit strafrechtlich gegen juristische Personen vorzugehen. Nachdem dieses Gebiet zunächst nicht im Kernstrafrecht geregelt worden ist, sammelten sich ca. 200 verbandsstrafrechtliche Sondervorschriften an.109 Im Jahr 1996 reformierte der dänische Gesetzgeber diese Sondervorschriften und nahm die Regelungen über die Verantwortlichkeit von Verbänden in das dänische Strafgesetzbuch in Form der Vorschriften §§ 25 bis 27 DänStGB auf. Nach § 26 DänStGB können alle juristischen Personen, auch die des öffentlichen Rechts, mit einer Geldstrafe – als einzig mögliche Form der Strafe – belegt werden. Selbst die Ein-Mann-Gesellschaft ist nach § 26 Abs. 2 DänStGB straffähig, wenn sie nach ihrer Größe und Organisation den juristischen Personen wie den Handelsgesellschaften, Genossenschaften, Vereinen und Fonds vergleichbar ist. Eine Bestrafung des Verbandes kommt sowohl für eigene Gesetzesverstöße des Verbandes, wie für Organisationsfehler, die Straftaten zur Folge haben, als auch für das strafbare Handeln von Angestellten, das sich der Verband zurechnen lassen muss, in Betracht.110 Eines Nachweises, welche der natürlichen Personen des Verbandes die strafbare Handlung ausgeführt hat, bedarf es nicht. Eine parallele Bestrafung des Verbandes und des Individualstraftäters ist nach dänischem Recht nicht ausgeschlossen.

Auch Belgien führte im Jahr 1999, nach vorheriger ablehnender Haltung gegenüber der Verantwortlichkeit von juristischen Personen, durch Erlass der Art. 5 bis 7 in das Belgische Strafgesetzbuch die Strafbarkeit derselben ein.111 Nach Art. 5 Abs. 1 BelStGB haften juristische Personen oder ihr gleichgestellte Organisationen für alle Gesetzesverstöße, die mit der Verwirklichung des Unternehmenszwecks oder mit dem Schutz ihrer Interessen untrennbar verbunden sind und für Zuwiderhandlungen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass sie auf deren Rechnung begangen worden sind.112 Eine Haftung von Unternehmensangehörigen ist ausgeschlossen. Ausnahme hierzu bildet der Unternehmensleiter, der nach belgischem Recht die Schuld trägt, die daran zu messen ist, ob der Unternehmensleiter ← 31 | 32 → ausreichend geprüft hat, ob die ihm obliegenden Pflichten von den Mitarbeitern erfüllt wurden.113

Das an Deutschland angrenzende Polen revolutionierte das polnische Rechtssystem, in dem es im Jahre 2003 das Gesetz über die Verantwortlichkeit von Kollektivsubjekten für die unter Strafe verbotenen Taten (JurPerG), welches am 28. November 2003 in Kraft trat, erließ.114 Eine Besonderheit in den polnischen Regelungen besteht darin, dass die juristische Person erst dann bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit der handelnden natürlichen Person durch Urteil, Strafbefehl, rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über die freiwillige Unterwerfung des Täters unter eine Strafe oder durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über die bedingte Verfahrenseinstellung festgestellt ist.115 Auch können juristische Personen in Polen nicht für alle Taten bestraft werden, da sich ein Deliktskatalog in Art. 16 JurPerG findet. Nach dieser Vorschrift sind vor allem Wirtschaftsstraftaten sowohl aus dem PolStGB als auch den Nebenstrafgesetzen, Umweltstraftaten, Steuerstraftaten und Wettbewerbsstraftaten erfasst.116 Als Ahndung kommt eine dynamische Geldbuße in Betracht, die sich an den Vorsteuergewinnen und Aufwendungen der juristischen Personen orientiert.117 Nebenstrafen sind das Verbot der Inanspruchnahme von Zuschüssen oder Subventionen, der Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen und das Verbot der Ausübung einer bestimmten Geschäftstätigkeit.

In der Schweiz können Unternehmen seit dem 1. Oktober 2003 unter bestimmten Voraussetzungen strafrechtlich belangt werden, sofern eine unternehmenszugehörige Person eine Straftat begeht. Unternehmen sind nach Art. 102 Abs. 4 Schweizerisches StGB juristische Personen des Privatrechts und öffentlichen Rechts (mit Ausnahme der Gebietskörperschaften), Gesellschaften und Einzelfirmen. Nach schweizerischem Recht ist zwischen zwei Formen der Strafbarkeit zu differenzieren: Nach der subsidiären Unternehmensstrafbarkeit kann ein Unternehmen gem. Art. 102 Abs. 1 Schweizerisches StGB strafrechtlich verurteilt werden, wenn es trotz aller Anstrengung nicht gelingt, die fehlbare natürliche Person zu ermitteln. Zwar stellt diese Strafbarkeit den Grundtatbestand dar, hat jedoch in der Praxis bisher wenig Relevanz entfaltet.118 Wesentlich wichtiger ist die konkurrierende strafrechtliche Verantwortlichkeit des Unternehmens nach Art. 102 Abs. 2 Schweizerisches StGB, wonach ein Unternehmen für einen abschließenden Katalog von Anlasstaten natürlicher Personen im Unternehmen unabhängig davon bestraft werden kann, ← 32 | 33 → ob ein Einzeltäter ermittelt und bestraf wird oder nicht. Diese Strafbarkeit von Unternehmen basiert auf einem Mechanismus der Zurechnung, da das Verhalten einer natürlichen Person dem Unternehmen zugerechnet wird.119 Sanktion ist eine Buße bis zu einer Höhe von 5 Millionen Franken.

Österreich führte nach langwieriger Diskussion in Wissenschaft und Politik120 im Jahre 2006 das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz ein, welches die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Verbänden zum Gegenstand hat. Nach § 3 Abs. 1 VbVG ist ein Verband für eine Straftat dann verantwortlich, wenn die Tat zu seinen Gunsten begangen worden ist oder durch die Tat Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen. Dann wird für die Strafbarkeit des Verbandes als Zusatzvoraussetzung in § 3 Abs. 2 VbVG festgelegt, dass ein Entscheidungsträger die Tat schuldhaft begangen haben muss. Des Weiteren regelt die Vorschrift § 3 Abs. 3 VbVG, dass ein Verband strafrechtlich verantwortlich ist, wenn ein Mitarbeiter den objektiven Tatbestand eines Delikts erfüllt und dabei rechtswidrig gehandelt hat, was dadurch ermöglicht oder erleichtert worden ist, dass ein Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Das österreichische Verbandsverantwortlichkeitsgesetz basiert daher auf dem Zurechnungsmodell121, bezeichnet die zu verhängende Strafe in § 4 VbVG als Verbandsgeldbuße, die nach dem Tagessatzsystem bemessen wird.

Im Jahr 2011 führte Liechtenstein mit dem Erlass der 74 a-g Liechtensteinisches StGB die Verantwortlichkeit von juristischen Personen ein. Die Vorschriften basieren ebenfalls auf dem Zurechnungsmodell, erachten für die Strafbarkeit juristischer Personen eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhaft begangene Anlasstat einer Leitungsperson als ausreichend. Wird die Anlasstat von einem Mitarbeiter tatbestandsmäßig und rechtswidrig, jedoch nicht schuldhaft, begangen, so ist die juristische Person nach § 74 a Abs. 4 Liechtensteiner StGB nur dann verantwortlich, wenn die Begehung der Tat dadurch ermöglicht oder wesentlich erweitert worden ist, dass Leitungspersonen es unterlassen haben, die erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zur Verhinderung solcher Anlasstaten zu ergreifen. Bei diesen getroffenen Regelungen wird von der originären Verbandsverantwortlichkeit122 ausgegangen.123

Zuletzt führte Tschechien mit dem Gesetz über die strafrechtliche Verantwortung von juristischen Personen (GSJP), seit dem 1. Januar 2012 in Kraft, Regelungen über die Strafbarkeit von juristischen Personen in Form eines Nebenstrafgesetzes, ← 33 | 34 → welches eng mit dem tschechischen StGB und der tschechischen StPO verbunden ist, ein.124 Als Straftatbestände kommen u.a. Korruptions-, Umwelt-, IT- und Betrugsdelikte in Betracht, welche in § 7 GSJP enumerativ und abschließend aufgezählt sind.125 Bemerkenswert ist, dass sich im GSJP weder eine Differenzierung zwischen Handlung und Unterlassen noch das Erfordernis von der Verletzung oder Nichterfüllung von allgemeinen und speziellen Rechtspflichten findet. Der Gesetzgeber setzt deshalb voraus, dass Unternehmen grundsätzlich spezielle Pflichten obliegen, welche bei Nichterfüllung und zusätzlicher Verwirklichung von Tatbestandsmerkmalen eines Straftatbestandes zur Täterschaft der juristischen Person führen.126 Als Ahndung kommen nach dem GSJP sowohl Strafen als auch Schutzmaßnahmen in Betracht, wobei die Auflösung der juristischen Person als schwerwiegendste Strafe anzusehen ist.127 Des Weiteren ist die Verhängung einer nach Tagessätzen bemessenen Geldstrafe nach § 18 GSJP möglich.

Den Regelungen der verschiedenen Länder ist allen – unabhängig von der konkreten Bezeichnung der jeweiligen Sanktion – gemein, dass gegen das Unternehmen selbst eine Geldstrafe verhängt werden kann. Vermehrt sind auch weitergehende Sanktionen in den Vorschriften vorgesehen, die sich im Wesentlichen auf die Auflösung des Unternehmens, die Verhängung von Tätigkeitsbeschränkungen, insbesondere im Rahmen öffentlicher Aufträge, und den Ausschluss von öffentlichen Subventionen begrenzen. Unterschiedlich ausgestaltet sind in den an Deutschland angrenzenden Ländern aber vor allem die konkreten Straftatbestände. Teilweise wird eine subsidiäre, teilweise eine parallele Verantwortlichkeit des Individualstraftäters und des Unternehmens statuiert. Ebenfalls variieren die Anforderungen an die jeweilige Anknüpfungstat. Letztlich zeigen diese unterschiedlichen Regelungen, worauf es bei dem Erlass von Vorschriften zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Verbänden maßgeblich ankommt. Zentrale Fragen sollten daher sein: Ist die Strafbarkeit von Unternehmen auf einer Zurechnung des Verhaltens der Mitarbeiter zu konstruieren? Welche Anforderungen sind an die Anknüpfungstat zu stellen? Kann der Individualstraftäter neben dem Verband bestraft werden? Welche Strafen kommen als Sanktionen in Betracht? Jedenfalls wird durch den Überblick der Reglungen in den an Deutschland angrenzenden Ländern deutlich, welche Bedeutung der Thematik der Strafbarkeit von Verbänden in diesen europäischen Ländern zukommt. Auch ist herauszustellen, dass sich diese Länder, sofern sie Mitglied der Europäischen Union sind, für eine Implementierung der europarechtlichen Vorgaben in strafrechtlichen Vorschriften entschieden haben. Ob dieser Trend im Ergebnis zur Folge hat, dass auch in Deutschland ein Verbandsstrafrecht eingeführt wird, ist eine rechtspolitische Entscheidung und bleibt in letzter Instanz dem Gesetzgeber überlassen.128 ← 34 | 35 →

F.  Rechtsprechung zum Verbandsstrafrecht

Details

Seiten
313
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653065558
ISBN (ePUB)
9783653953534
ISBN (MOBI)
9783653953527
ISBN (Paperback)
9783631670439
DOI
10.3726/978-3-653-06555-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
Schuldfähigkeit Verbände Strafen Unternehmen Verbandsmaßregeln Unternehmensstrafrecht
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 313 S.

Biographische Angaben

Anna Schnitzer (Autor:in)

Anna Schnitzer studierte Rechtswissenschaften an der Universität Passau. Sie wurde dort promoviert und arbeitet als Rechtsanwältin in einer deutschen Wirtschaftskanzlei im Bereich Arbeitsrecht.

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Titel: Der Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuches: Rechtspolitische Illusion oder zukünftige Rechtswirklichkeit?
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