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Bildungspolitik im Kaiserreich: Die Thun-Hohenstein’sche Universitätsreform insbesondere am Beispiel der Juristenausbildung in Österreich

Die Thun-Hohenstein´sche Universitätsreform insbesondere am Beispiel der Juristenausbildung in Österreich

von L. M. Graf von Thun und Hohenstein (Autor:in)
©2015 Dissertation 244 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch untersucht das Reformwerk ebenso wie die Person des österreichischen Reformers Leo Thun-Hohenstein und widmet sich auch den gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der Epoche. Noch während der Revolution von 1848 erkannte das österreichische Kaiserhaus, dass nur eine fundamentale Reform des Bildungssystems die revolutionäre Stimmung an den Universitäten befrieden könnte. Leo von Thun-Hohenstein setzte die ihm vom Kaiser gestellte Aufgabe als Unterrichtsminister von 1849–1860 trotz teils heftiger Widerstände um. Bis heute beeinflusst die Reform des Leo Thun-Hohenstein das österreichische Bildungswesen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einleitung
  • 1.1. Einführung
  • 1.2. Ausgangslage und Ziel der Arbeit
  • 1.3. Aufbau der Arbeit
  • 2. Bildung in der österreichischen Monarchie bis 1792
  • 2.1. Bildungspolitik in Folge der theresianischen Reformen
  • 2.1.1. Hintergründe der theresianischen Reformen
  • 2.1.2. Die Theresianischen Bildungsreformen
  • 2.1.3. Die theresianischen Justizreformen
  • 2.1.4. Theresianische Reformen der Juristenausbildung
  • 2.1.4.1. Ziel der Reformen
  • 2.1.4.2. Einzelne Elemente der theresianischen Reform des juridischen Studiums
  • 2.1.4.3. Studienplan und Prüfungswesen
  • 2.2. Die Bildungspolitik unter Joseph II.
  • 2.2.1. Ziele der josephinischen Bildungspolitik
  • 2.2.2. Einfluss der Toleranzpatente auf die josephinische Bildungspolitik
  • 2.2.3. Die Reform der Gymnasien und Einrichtung der Lycees
  • 2.2.4. Änderungen der juristischen Ausbildung unter Joseph
  • 2.3. Der Einfluss Leopolds auf die Bildungspolitik
  • 2.3.1. Die Selbstverwaltung der Hochschulen unter Leopold
  • 2.3.2. Änderungen der juristischen Ausbildung unter Leopold
  • 3. Bildungspolitik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
  • 3.1. Staatsrechtlicher und politischer Hintergrund
  • 3.2. Das Gefahrenpotential der Bildung für den Staat des Vormärz
  • 3.2.1. Die Karlsbader Beschlüsse
  • 3.2.2. Der Einfluss des Monarchen auf das Bildungswesen des Vormärz
  • 3.2.3. Reformversuche im Vormärz
  • 3.3. Das juridische Studium bis Mitte des 19. Jahrhunderts
  • 3.3.1. Die juristische Ausbildung unter Franz II./I. und Ferdinand
  • 3.3.2. Einfluss politischer Entwicklungen auf die Ausbildungsinhalte
  • 3.4. Die Preußische Universitätsreform und ihre Rahmenbedingungen
  • 3.4.1. Politische Voraussetzungen
  • 3.4.2. Die unterschiedlichen Ebenen eines „preussische Liberalismus“
  • 3.4.2.1. Ökonomischer Liberalismus
  • 3.4.2.1.1. Grundlagen des Wirtschaftsliberalismus
  • 3.4.2.1.2. Beschränkung
  • 3.4.2.1.3. Die Lebenswirklichkeit im Preußen des 19. Jahrhundert
  • 3.4.2.2. Politischer Liberalismus
  • 3.4.2.2.1. Politischer Liberalismus in den Reformansätzen nach 1806
  • 3.4.2.2.2. Die politische Repression in Preussen nach 1806
  • 3.4.2.2.3. Die Verschärfung der Repression nach 1819
  • 3.4.3. Die Freiheit an preußischen Hochschulen
  • 3.4.3.1. Die Bedeutung der Humboldt’schen Universitätsreformen für Thun
  • 3.4.3.1.1. Die Bewertung der Vorbilder der Thun’schen Reformen
  • 3.4.3.1.2. Die Diskussion um die Existenz des „Humboldt’schen Modells“
  • 3.4.3.1.3. „Humboldt“ als Legitimation des demokratischen Deutschland
  • 3.4.3.1.4. „Humboldt“ als Bezugspunkt Thun-Hohensteins
  • 3.4.3.2. Wilhelm von Humboldt und die preußische Universitätsreform
  • 3.4.3.2.1. Die Elemente der Humboldt’schen Universitätsreform
  • 3.4.3.2.2. Humboldts Anteil an der Humboldt’schen Universitätsreform
  • 3.4.3.2.3. Schleiermacher Einfluss auf Humboldts Universitätsreform
  • 3.4.4. Die juristische Ausbildung in Preußen bis Mitte des 19. Jahrhunderts
  • 3.4.5. Die Entwicklung des deutschen Zivilrechts im 19. Jahrhundert
  • 3.4.6. Zwischenergebnis
  • 4. Grundlagen der Thun-Hohenstein’schen Bildungsreform
  • 4.1. Die vorrevolutionäre Entwicklung in Österreich
  • 4.1.1. Wien vor der Märzrevolution 1848
  • 4.1.2. Die wirtschaftliche Lage der Studentenschaft im Vormärz
  • 4.1.3. Die Beteiligung der Arbeiter an der Revolution
  • 4.1.4. Die Machtverhältnisse im Kaiserreich des Vormärz
  • 4.2. Die Wiener Studentenschaft im Frühjahr 1848
  • 4.2.1. Die Petition Wiener Studierender an den Kaiser vom 12.03.1848
  • 4.2.2. Die Unruhen vom 13.03.1848
  • 4.2.3. Das weitere Schicksal der Revolution
  • 4.3. Österreichischer Konstitutionalismus in den Revolutionsjahren
  • 4.3.1. Die Pillersdorf’sche Verfassung und die „Sturmpetition“
  • 4.3.2. Nachgeben als Taktik des Kaiserhauses
  • 4.3.3. Der Reichsrat im Jahr 1848
  • 4.3.4. Das Ende der Revolution und der Kremsierer Entwurf
  • 4.3.5. Die Entwicklung zum österreichischen Neoabsolutismus
  • 4.4. Exkurs: Verfassungsentwicklung in Österreich und Preußen
  • 4.4.1. Zusammenfassung der Entwicklung in Österreich
  • 4.4.2. Die rechtliche Einordnung der Paulskirchenverfassung
  • 4.4.3. Das Grundrechtsverständnis der Paulskirchenverfassung
  • 4.4.4. Verfassungsentwicklung in Preussen
  • 4.4.5. Entwicklung des preußischen Grundrechtsverständnisses nach 1848
  • 4.4.6. Nachwirkungen der Grundrechtediskussion
  • 4.5. Die Notwendigkeit von Bildungsreformen aus Sicht des Hofes
  • 4.5.1. Die Haltung des Hofs zur Studentenschaft
  • 4.5.2. Studenten als Gegner des Hofs im Revolutionsjahr 1848
  • 4.5.3. Die Haltung des Kaisers zum Parlamentarismus
  • 4.6. Zwischenergebnis
  • 5. Die Umsetzung der Bildungsreform
  • 5.1. Die bildungspolitischen Maßnahmen des Jahres 1848
  • 5.1.1. Der Auftakt zur Bildungsreform im Frühjahr 1848
  • 5.1.2. Der „Entwurf der Grundzüge des öffentlichen Unterrichtswesens“
  • 5.1.3. Reformarbeiten während der Revolution
  • 5.1.4. Zentrale Personen der Bildungsreform
  • 5.1.4.1. Leo Thun-Hohenstein
  • 5.1.4.2. Franz Seraphin Exner
  • 5.1.4.3. Hermann Bonitz
  • 5.1.4.4. Karl Ernst Jarcke
  • 5.1.4.5. George Philipps
  • 5.2. Die Thun-Hohensteinschen Bildungsreformen
  • 5.2.1. Überblick über wesentliche Einzelakte der Reformen
  • 5.2.2. Die Auswirkungen der neuen Hochschulstrukturen
  • 6. Die Reform der juristischen Ausbildung
  • 6.1. Die Entwicklung der Studienordnung für die juristische Fakultät
  • 6.1.1. Die unmittelbaren Folgen der ersten Reformschritte
  • 6.1.2. Ziele des neuen Prüfungssystems
  • 6.1.3. Die Prüfungsordnungen nach den Erlässen vom Sommer 1850
  • 6.1.3.1. Die juristische Prüfungsordnung nach dem Erlass vom 30.07.1850
  • 6.1.3.2. Berufsprüfungen nach der Verordnung vom 7. August 1850
  • 6.2. Die Kritik an der Studienordnung 1850
  • 6.2.1. Die Vorbehalte gegen die Lernfreiheit an den Hochschulen
  • 6.2.2. Die Vorbehalte gegen die Reform im konservativen politischen Umfeld
  • 6.3. Gutachten und Denkschriften zur Reform
  • 6.3.1. Die Diskussion des Reichsrats
  • 6.3.2. Die Antworten Thuns auf den Fragekatalog des Reichsrats
  • 6.3.3. Vorschläge zur Reform der juristischen Prüfungsordnung
  • 6.3.4. Die endgültige Entscheidung des Kaisers
  • 6.3.5. Thuns Einsatz für das Pandektenrecht
  • 6.3.6. Der Ministererlass vom 13. September 1854
  • 6.3.7. Die Studienordnung 1855
  • 6.4. Der inhaltliche Wandel des unterrichteten Rechts
  • 6.4.1. Die Österreichische Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert
  • 6.4.1.1. Die Wiederannäherung österreichischen Rechts an das römische Recht
  • 6.4.1.2. Die Kodifikation „deutschen Rechts“ im österreichischen Recht
  • 6.4.2. Thuns Haltung zum Streit der Rechtsschulen
  • 7. Zusammenfassung und Fazit
  • Literaturverzeichnis

← 16 | 17 → 1. Einleitung

„Thun war der Mann, dieses Werk, welches darum zu Recht seinen Namen trägt, kühnen Mutes zu erfassen, im Wirrsal bewegter Zeiten es durchzuführen und (…) gegen den Ansturm widerstrebender Mächte siegreich zu behaupten“1.

1.1. Einführung

Bei genauer Betrachtung des Begriffs führen Studentenunruhen seit Jahrhunderten zunächst vor allem zu Unruhe bei denen, die in der jeweils betroffenen Gesellschaft Macht ausüben. Selten war dies so unmittelbar wahrzunehmen wie im Jahr 1848, als in Wien, neben anderen gesellschaftlichen Gruppen, vor allem auch Studenten zur Revolution aufriefen und am 13. März 1848 unter der Führung eines renommierten Wiener Rechtsprofessors dem Kaiser persönlich eine Petition überreichten, in der sie neben zahlreichen anderen Forderungen wie etwa der Gewährung von Pressefreiheit vor allem eine Konstitution und, im akademischen Bereich, die Lehr- und Lernfreiheit geltend machten. Das Kaiserhaus reagierte, unter Berücksichtigung der damaligen Kommunikationsmittel, unverzüglich. In prompter Entsprechung einer ebenfalls lautstark vorgetragenen Forderung wurde noch am Abend des 13. März 1848 Metternich, dass verhasste Symbol des repressiven Staates des Vormärz, aus dem Amt entlassen; in den folgenden Tagen wurde die Gewährung einer Konstitution wie umfangreicher Reformen des Studiums versprochen und durch entsprechende administrative und personelle Maßnahmen die Umsetzung dieser Versprechen auch eingeleitet. Nach dem Ende der Revolution wurden die mit Schaffung des „Kremsierer Entwurfes“ weit vorangeschritten Arbeiten an einer durchaus fortschrittlichen Verfassung eingestellt und diese durch eine vom Kaiser oktroyierte Konstitution ersetzt, die in weiterer Folge bald wieder aufgehoben wurde. Die im März 1848 eingeleiteten Arbeiten an einer Reform der Studien waren jedoch über die gesamte Revolutionszeit hinweg weitergegangen und wurden auch nach Beginn des Neoabsolutismus, der schon auf das Jahr 1849 datiert werden kann, gegen teils heftigen Widerstand der Kräfte des Vormärz, die sich als „Sieger“ der Revolution fühlten, weitergeführt und bewirkten im Ergebnis eine Reform, die bis heute untrennbar mit dem Namen Leo Thun-Hohenstein verbunden und als ← 17 | 18 → zentrale Reform der österreichischen Bildungsgeschichte zu verstehen ist2. Ogris schreibt dem Grafen nicht weniger zu, als die „Rahmenbedingungen für ein Jahrhundert universitären Lebens in Österreich“ geschaffen zu haben3.

Ausgehend von den Verwaltungs- und Justizreformen unter Maria Theresia über die josefinische Ära hatte sich in der Habsburgermonarchie ein streng utilitaristisches Unterrichts- und Studiensystem entwickelt, das vor allem darauf abzielte, den für die Organisation des Staates notwendigen Bedarf an akademisch gebildetem Personal zu decken, wozu schulisch strukturierte Ausbildungsanstalten, die staatlich vorgegebene Inhalte lehrten und den Schülern und Studenten deren Rezeption detailliert vorschrieben, nicht nur vollkommen ausreichten4, sondern gerade durch die Verhinderung der Entwicklung geistiger Eigenständigkeit sicherstellten, dass kein kritischer Geist das Staatswesen des aufgeklärten Absolutismus störte5. Der weitgehende Ausschluss der Störung von Innen konnte jedoch nicht verhindern, dass schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts, besonders aber in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Störungen von Außen auf die Monarchie einwirkten6. Die Entwicklungen in Teilen Deutschlands blieben in den universitären Kreisen der Habsburgermonarchie, aber auch am Hof selbst, nicht unbemerkt. Vor allem an den protestantischen preußischen Universitäten entwickelte sich ein akademisches Leben, das mit den Schlagworten der Lehrfreiheit und der Lernfreiheit belegt wurde und auch im kaiserlichen Österreich an den Universitäten den Wunsch nach einem Studentenleben im deutschen Sinne weckten. Damit war die Hoffnung auf die Entwicklung wissenschaftlicher und nicht der bloßen Wissensvermittlung dienenden Arbeitsweisen und insgesamt nach staatsfern autonom verwalteten Hochschulen verbunden. Diese „Infizierung“7 durch eine aus Sicht des Kaiserreichs die Autorität des Staates gefährdende geistige Selbstständigkeit versuchte die österreichische Monarchie im Vormärz durch weitgehende Abschottung des Landes und Maßnahmen wie der ← 18 | 19 → Einschränkung der Reisefreiheit von Studierenden, die bis hin zu einem vollständigen Aus- und Einreiseverbot führte, zu verhindern. In der so entstehende Enge des akademischen Lebens, die durch Bespitzelung und strikte Kontrolle der Studierenden noch verschärft wurde, war es zumindest aus der Ex-Post Beurteilung eine Frage der Zeit, bis sich die über Jahrzehnte gewachsene Unzufriedenheit in der Studentenschaft, stark gefördert durch die trotz Abschottung der Grenzen aus den anderen Staaten des Deutschen Bundes dringende Nachrichten über das dort herrschende akademische Leben, das wohl auch im Kontrast zur Realität des Studentenlebens in der Habsburgermonarchie idealisiert worden sein mag, von der vorherrschenden Resignation in Gewalt umschlagen würde. Den Funken, der dazu erforderlich war, erzeugten die weite Teile Europas in unterschiedlicher Intensität betreffenden Unruhen des Revolutionsjahrs 1848; insbesondere der französischen Februarrevolution wird eine unmittelbare auslösende Wirkung auf die Anfang März 1848 im Kaiserreich ausgebrochene Revolution zugeschrieben8. Als die Revolution niedergeschlagen und die unmittelbare Gefährdung der Monarchie beseitigt war hielt der im November 1848 auf den Thron gelangte Kaiser Franz Josef am Vorhaben einer vollständigen Reform des Bildungssystems fest und ernannte am 28. Juli 1849 den Grafen Leo Thun-Hohenstein, der schon eine Vielzahl von Aufgaben im Dienst der Monarchie erledigt hatte und dessen Loyalität zum Kaiser außer Frage stand, zum Unterrichtsminister9. Zu diesem Zeitpunkt musste Thun nicht von Null beginnen; wichtige Vorarbeiten der Bildungsreform waren insbesondere von Exner bereits geleistet worden. Die schwierigste Aufgabe aber, die Konzepte gegen die Bildungselite des Vormärz, die in den Reformen das verhasste „Kind der Revolution10 sahen, durchzusetzen, war noch zu bewältigen. Dies trotz zahlreicher Abstriche an den ursprünglichen Reformvorhaben im Ergebnis erfolgreich bewältigt zu haben wurde, wie die einführend zitierten Worte von Hartel unterstreichen, zum bleibenden Verdienst des Grafen Leo von Thun-Hohenstein.

1.2. Ausgangslage und Ziel der Arbeit

Leben, Werk und Wirkung des Grafen Leo Thun-Hohenstein sind seit langem Gegen-stand der Forschung, wobei das unverändert umfassendste und grundlegende Werk von Hans Lentze aus dem Jahr 1962 stammt. Ein im Jahr 2010 an ← 19 | 20 → der Universität Innsbruck initiiertes Projekt widmet sich der profunden Erforschung bisher weniger geklärter Fragen zur Person des Leo Thun-Hohenstein wie dessen Wirkung auf die österreichische Bildungslandschaft sowie der Digitalisierung seines Nachlasses. Im Rahmen einer im Juni 2013 abgehaltenen, Leo Thun-Hohenstein gewidmeten, Tagung mit dem programmatischen Titel „Für Geist und Licht!… Das Dunkel schwand.“ Die Thun-Hohensteinschen Universitätsreformen 1849–1860. Konzeption – Umsetzung – Nachwirkungen“ wurden die bisher erzielten Forschungsergebnisse präsentiert; die Digitalisierung des Nachlasses wird permanent fortgeführt11. Dieses aufwendige Projekt, das auf die Erforschung der Wirkung Thun-Hohensteins auch in anderen Ländern der Monarchie zielt, illustriert die Bedeutung, die der Person und dem Werk von Leo Thun-Hohenstein auch mehr als 125 Jahre nach seinem Tod im Dezember 1888 beigemessen wird.

Die vorliegende Arbeit zielt in

→ erster Linie darauf, das mit dem Namen Thun-Hohenstein verbundene Reformwerk in die Entwicklung der Bildungspolitik im Kaiserreich seit Maria Theresia einzuordnen und legt den Schwerpunkt auf die Entwicklung der Juristenausbildung. In diesem Zusammenhang werden auch die unterschiedlichen Entwicklungen der Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert erörtert. Gezeigt werden soll auch, dass die allgemein mit Bildungspolitik und insbesondere mit der Juristenausbildung verbundenen staatlichen Ziele untrennbar auch mit den jeweiligen Staatszielen selbst verbunden sind.

Beispielhaft dargelegt werden soll aber auch, dass aus der ex-post Beurteilung als bahnbrechend gewürdigte Entwicklungen nicht gleichsam von selbst oder als zwingende Folge politischer Verhältnisse entstehen, sondern auch auf dem entschiedenen Kampf eines Einzelnen und seiner Unterstützer beruhen können, die ihre Überzeugung mit Geschick und Zähigkeit umsetzen. Die vorliegende Arbeit zielt daher in

→ zweiter Linie darauf die Persönlichkeit und, davon ausgehend, die wesentlichen Motive Leo Thun-Hohensteins wie seiner wesentlichen „Mitstreiter“ zu untersuchen und festzustellen, welche besonderen persönlichen Eigenschaften, aber auch Haltungen und Erfahrungen, aus einem konservativen Katholiken einen engagierten Kämpfer für die Reform der Bildungspolitik im katholischen Kaiserreich werden ließen, der sich trotz heftiger Anwürfe nicht scheute, ← 20 | 21 → Verantwortung auch an Protestanten zu übertragen. Mit Blick auf die Wirkung Leo Thun-Hohensteins soll in

→ dritter Linie ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit auf der Untersuchung der Umstände liegen, unter denen es dem Grafen Leo Thun-Hohenstein gelingen konnte gegen die oft heftige Gegenwehr des im Vormärz ausgebildeten und sozialisierten akademischen und politischen „Establishments“ des Kaiserreichs den Kaiser selbst weitgehend von seinen bildungspolitischen Konzepten zu überzeugen.

Da die Auseinandersetzung um die Thun-Hohensteinschen Reformen auch eine Auseinandersetzung zwischen der österreichischen Ausprägung des Katholizismus und den akademischen Errungenschaften des preußischen Protestantismus war und die Thun-Hohenstein’schen Reformen in diesem Zusammenhang nicht selten ohne kritische Reflexion als Umsetzung der preußischen „Humboldt’schen Reformen“ in Österreich verstanden werden soll in

→ vierter Linie in Grundzügen die wesentliche verfassungsrechtliche und privatrechtliche Entwicklung in Preußen beleuchtet und deren Bedeutung in den Diskussionen um den österreichischen Weg der Bildungspolitik im Kaiserreich und der Ausrichtung der österreichischen Rechtswissenschaft in der Mitte des 19. Jahrhundert untersucht werden. Ausgangspunkt dabei ist die Frage, ob und in gegebenfalls welcher Bedeutung des Begriffs das Preußen des 19. Jahrhunderts als liberal verstanden und insofern von der österreichischen Monarchie abgegrenzt werden kann.

1.3. Aufbau der Arbeit

Kapitel 2 als erster Hauptteil der Arbeit skizziert die bildungspolitischen Entwicklungen im Kaiserreich bis zum Jahr 1792. Nach Darstellung der staatsrechtlichen Hintergründe der Theresianischen Reformen wird die Reform der Juristenausbildung unter Joseph II wie der Einfluss seines Nachfolgers Leopold beleuchtet.

Kapitel 3 als zweiter Hauptteil der Arbeit untersucht die Bildungspolitik und insbesondere das juridische Studium in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Gezeigt wird, wie in dieser Epoche spätestens im Vormärz die Umstände geschaffen wurden, die 1848 zur österreichischen Märzrevolution führten.

Kapitel 4 als dritter Hauptteil der Arbeit untersucht die revolutionären Ereignisse des Jahres 1848, die zum Auslöser der noch im selben Jahr begonnenen Bildungsreformen wurden. Dabei wird auch die Haltung des Hofs zur Studentenschaft erörtert. In einem Exkurs wird rechtsvergleichend die Entwicklung des preußischen Konstitutionalismus in einen Überblick angesprochen.

← 21 | 22 → Kapitel 5 als vierter Hauptteil beschreibt die Umsetzung der Bildungsreform von den ersten „Spontanmaßnahmen“ des Frühjahrs 1848 bis zu den mit dem Namen Leo Thun-Hohenstein verknüpften Hochschulreformen sowie deren wesentliche Protagonisten.

Kapitel 6 als fünfter Hauptteil der Arbeit beschreibt die Reformen der juristischen Ausbildung sowohl in Bezug auf die Neugestaltung von Studien-und Prüfungsordnungen als auch die inhaltliche Neuausrichtung der Studien, die sich insbesondere auf die in Deutschland in der Epoche dominierende Rezeption des römischen Rechts und deren Implementierung in der österreichischen Rechtsordnung bezog. Gezeigt wird, dass es insbesondere Thun-Hohensteins persönlicher Einsatz war, der die Umsetzung zumindest wesentlicher Teile der Reformanliegen gesichert hat und den Kaiser überzeugen konnte.

Kapitel 7 als Schlussteil der Arbeit fasst die gewonnenen Ergebnisse zusammen und stellt diese in Bezug zur gegenwärtigen Studiensituation an Universitäten.

__________

1 Hartel (1893) Festrede zur Enthüllung des Thun-Exner-Bonitz Denkmals in Wien 1893 S. 13. Wilhelm von Hartel war im Jahr 1893 Unterrichtsminister.

2 Ausführlich zum Hintergrund der Revolution wie Thun-Hohensteins Beitrag im Reformprozess Lentze (1962), Die Universitätsreform des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein.

3 Ogris (1999) Die Universitätsreformen des Grafen Leo Thun-Hohenstein, S. 21.

4 Engelbrecht (1984), Zur Geschichte des österreichischen Bildungswesens, Band 3, S. 98 ff.

5 Engelbrecht (1984), Zur Geschichte des österreichischen Bildungswesens, Band 3, S. 98 ff.

6 Zum Repressionssystem des Vormärz Siemann (2013) Metternich, S. 61 ff.

7 Maria Theresia (1770) zit. nach Engelbrecht (1984), Zur Geschichte des österreichischen Bildungswesens, Band 3, S. 98.

8 Deinet (2001) Die narzisstische Revolution, S. 11 ff.

9 Lentze (1962), Die Universitätsreform des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein S. 28 ff.

Details

Seiten
244
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653061154
ISBN (ePUB)
9783653954531
ISBN (MOBI)
9783653954524
ISBN (Paperback)
9783631669808
DOI
10.3726/978-3-653-06115-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juli)
Schlagworte
Bildungswesen Vormärz Revolution von 1848
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 244 S., 2 s/w Abb.

Biographische Angaben

L. M. Graf von Thun und Hohenstein (Autor:in)

Lars Maximilian Graf von Thun und Hohenstein studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Köln und Wien. Nach Staatsexamen und Referendariat in Köln und Düsseldorf arbeitete er als angestellter Rechtsanwalt u. a. in einer britischen Großkanzlei in Hamburg. Heute ist er als selbstständiger Rechtsanwalt in München tätig. Parallel zu seiner anwaltlichen Tätigkeit absolvierte der Autor ein Doktoratsstudium der Rechtswissenschaften an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, wo auch die Promotion erfolgte.

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