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Bildungsstandards Geschichte

Bestandsanalyse, Standardkonzeption und Aufgabenentwicklung für das Fach Geschichte am Gymnasium unter besonderer Berücksichtigung der Orientierungskompetenz und des Werteverständnisses

von Martin Sachse-Weinert (Autor:in)
©2016 Dissertation 596 Seiten

Zusammenfassung

Dieses Buch entwickelt auf Basis internationaler Diskussionen im Bereich der schulischen Pädagogik Standards für den gymnasialen Geschichtsunterricht. Nach den PISA-Studien besteht weiterhin die Notwendigkeit einer fachlichen Weiterentwicklung und der Implementierung nachhaltiger Standards in Bildung und Kompetenzorientierung. Mit Hilfe aktueller pädagogischer Theorien und der Auswertung gegenwärtiger Trends der Schulforschung werden Konzepte, Kompetenzen und Standards für das Fach Geschichte evaluiert. Dabei wertet der Autor zahlreiche nationale und internationale Beispiele empirischer Bildungsforschung aus, um eine enge Kombination von Theorie und Praxis in der Entwicklung von Bildungsstandards zu ermöglichen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einführung in die Themenstellung
  • 2. Definitionen ausgewählter Begriffe
  • 2.1 Bildung bzw. Bildungsverständnis
  • 2.2 Lehrplan
  • 2.3 Curriculum
  • 2.4 (Bildungs-) Standards
  • 2.5 Kompetenzen und Kompetenz(stufen)modelle
  • 2.6 Grundwissen
  • 2.7 Outcome-Orientierung und Evaluation
  • 2.8 Allgemeinbildung bzw. gymnasiale Bildung in Lehrplänen und Standards
  • 3. Lehrpläne und Unterricht im Fach Geschichte: Standards zum Mittleren Bildungsabschluss (Jahrgangsstufe 10)
  • 3.1 Geschichtsunterricht in Bayern: Der Status Quo
  • 3.2 Standards und Kompetenzen im Fach Geschichte: Problemstellungen
  • 3.3 Literacy: Ein Schlagwort der Standardisierung und seine Relevanz für die Entwicklung von Bildungsstandards im historischen Kontext
  • 3.4 Kompetenzmodelle im Fach Geschichte – Überblick über den derzeitigen Sachstan
  • 4. Die moralische Dimension im schulischen Kontext
  • 4.1 Wertorientierung in Standards und deren Evaluation
  • 4.2 Wertevermittlung im historisch-politischen Sachzusammenhang
  • 5. Fächer ohne Bildungsstandards – Fächer zweiter Güte?
  • 5.1 Hintergrund
  • 5.2 Fachspezifische Besonderheiten ausgewählter Fächer ohne Bildungsstandards
  • 5.2.1 Religionslehre und Ethik
  • 5.2.2 Sozialkunde bzw. Politische Bildung
  • 5.2.3 Kunsterziehung
  • 5.2.4 Ausblick für die vorgenannten Fächer
  • 6. Bildungspolitische Schwerpunktsetzungen in ausgewählten Staaten mit Bezug zu Standardsetzung und Kompetenzorientierung
  • 6.1 Italien und die Niederlande
  • 6.2 Großbritannien
  • 6.3 Der nordamerikanische Kontinent: USA und Kanada
  • 6.4 Ausgewählte skandinavische Staaten: Schweden und Finnland
  • 6.5 Schweiz
  • 7. Standards für den gymnasialen Geschichtsunterricht: Scheitern und Erfolg
  • 7.1 B-Länder-Arbeitsgruppe
  • 7.2 Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung. Geschichte
  • 8. Blick auf den Entwicklungsstand in deutschen Ländern
  • 8.1 Baden-Württemberg
  • 8.2 Bayern
  • 8.3 Berlin
  • 8.4 Nordrhein-Westfalen
  • 8.5 Hamburg
  • 8.6 Inhaltsbezogener Vergleich länderspezfischer Lehrpläne
  • 8.7 Standards und Kompetenzen zur Geschichte Europas
  • 9. Theoretische Grundlegung von Testaufgaben am Gymnasium
  • 10. Praxisbeispiele für Testaufgaben
  • 10.1 Grundwissenstests am Ignaz-Kögler-Gymnasium Landsberg am Lech
  • 10.2 Leistungstests am Ruperti-Gymnasium Mühldorf am Inn
  • 11. Beispielhafte Testaufgabe für den standardbasierten und kompetenzorientierten Geschichtsunterricht
  • 11.1 Entwicklung
  • 11.2 Erprobung und Auswertung
  • 12. Gelingensbedingungen für die Implementierung von Bildungsstandards – Chancen und Herausforderungen in der praktischen Umsetzung
  • 13. Nutzung der Forschungsergebnisse: Bildungsstandards als effektive Maßnahme zur Unterrichtsentwicklung und schulischen Qualitätssteigerung
  • 14. Ausblick
  • 15. Literatur
  • 15.1 Bücher, Aufsätze, Internetartikel
  • 15.2 Texte ohne Autorennamen
  • 15.3 (Unveröffentlichte) Manuskripte, Pressemitteilungen
  • 15.4 Mitschriften aus Tagungen und Vorträgen
  • 15.5 Hilfreiche Internet-Links
  • 16. Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen
  • 16.1 Tabellen
  • 16.2 Abbildungen

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1. Einführung in die Themenstellung

Erziehung und Bildung gehören zu den grundlegenden Aspekten im Kontext schulischer Ausbildung1. Freilich gab es kaum eine Zeit zuvor, in der beide Begriffe und die aus ihnen zu folgernden Handlungen so umstritten waren, in der beide Begriffe so im Interesse einer breiten Öffentlichkeit und damit nicht zuletzt im Wandel begriffen waren wie heutzutage2 – eine Situation, die Erinnerungen an die späten 1960er und frühen 1970er Jahre hervorruft, als GEORG PICHT die deutsche „Bildungskatastrophe“ angemahnt hatte.3

Diese heutige Entwicklung hängt mit mehreren Faktoren zusammen. An erster Stelle sind hier die Nach- und Auswirkungen internationaler Schulleistungs- bzw. Vergleichsstudien zu nennen (vor allem PISA 2000 und PISA 2003, IGLU), welche insbesondere in Deutschland das Vertrauen in die Qualität des Bildungssystems – bundesweit bzw. bezogen auf ein einzelnes Bundesland –, in ← 11 | 12 → die Ausbildung der Lehrer4 sowie in das Leistungsvermögen der Schüler nachhaltig erschütterten.5

Doch auch weitere, grundlegendere Entwicklungen bestimmen die Schnelllebigkeit des aktuellen Bildungsdiskurses und wirken sich zumeist rasch auf bildungspolitische Entscheidungen sowie schulpraktische Umsetzungen aus. Hier sind beispielsweise unsere Wissens- und Kommunikationsgesellschaft mit ihrem rapiden Voranschreiten im Informationsbereich ebenso zu nennen wie Tendenzen im globalen oder europäischen Kontext – Stichwort: Bologna-Prozess –, welche Auswirkungen auch auf bundesdeutsche oder länderspezifische Maßnahmen zeitigen.6 So erwartet man von einem mündigen Menschen, dass er sich ← 12 | 13 → in einer zunehmend vernetzten Welt auch außerhalb seiner eigenen, bekannten Sphäre zurechtfinden, ja sich weltweit behaupten kann:

„Alle Bürger und Bürgerinnen müssen über Wissen und Fähigkeiten verfügen, um unsere globale Gesellschaft als emanzipierte Weltbürgerinnen und Weltbürger verstehen, an ihr teilhaben und sich kritisch mit ihr auseinander setzen zu können. Dies stellt alle Lebensbereiche, auch die Bildung, vor grundlegende Herausforderungen.“7

Dabei werden derartige Forderungen nicht nur auf globaler Ebene laut, auch im europäischen Kontext finden sich zunehmend Stimmen, welche die Bereitschaft zu Bildung und Erziehung als Voraussetzung (und Folge) nicht nur für Schule und Berufsleben, sondern auch für darüber hinausgehende Anforderungen definieren.8 Dies hatte freilich auch zur Folge, dass man bislang als ausreichend ← 13 | 14 → eingeschätzte Maßnahmen der Schul- und Unterrichtsentwicklung um eine vollständige Neukonzeption und -orientierung ergänzte oder durch diese ersetzte.9

„Die Bildungspolitik der westlichen Länder wurde im Verlaufe der letzten zwei Jahrzehnte mit Problemen und Veränderungen konfrontiert, die zu Neuorientierungen und neuen Prioritäten in den Reformagendas geführt haben. An die Stelle von strukturellen Innovationen und Lehrplanreformen traten die Fragen der Qualität, der Wirksamkeit und der Autonomie der Schulen und mitunter auch die Herauslösung des Schulsystems aus der Kontrolle der staatlichen Administration in den Vordergrund.
Diese Trends führten zu einer Konfrontation zwischen einerseits typisch europäischen Ansätzen, die traditionell die Schulführung und die Steuerung der Reformen mit inputorientierten Strategien (Kontrolle der Eingangsfaktoren wie z. B. Lehrpläne und Lehrerbildung und Hauptinteresse für das Gelehrte) angehen und andererseits dem angelsächsischen Modell, welches die Regelung des Bildungssystems über die Ausgangsfaktoren (Evaluation der Resultate und folglich Hauptinteresse für das Gelernte) bewerkstelligt. Eine Konsequenz daraus war, dass die Lehrpläne und Curricula offenbar soweit an Bedeutung verloren haben, dass die Frage aufgeworfen wurde, ob sie als Steuerungsinstrumente noch den Anforderungen moderner Bildungssysteme genügen. Die Problematik gewinnt an Brisanz, wenn man bedenkt, dass traditionelle Lehrpläne ihre Wirkung über die Selektion der zu lehrenden Kulturinhalte angestrebt haben.“10

Wie vorstehendes Zitat von GHISLA aufzuzeigen vermag, veränderten sich im Verlauf und in der Folge der aktuellen Diskussion auch die Begrifflichkeiten, welche sich auf Bildung und Erziehung beziehen. Bildungsstandards und Kompetenzen, Evaluation – intern wie extern – sowie die geforderte Output- statt der bislang praktizierten Input-Orientierung sind nur einige Beispiele für neue Tendenzen in diesem Bereich, welche häufig zugleich mit einem neuen Verständnis von Bildung und Erziehung sowie von Schule und Unterricht einhergehen.11 Dies bedingt allerdings auch unbekannte Schwierigkeiten, da neue Begriffe erst mit neuen Inhalten zu füllen sind, passende Definitionen mithin erst im Nachgang ← 14 | 15 → gefunden werden können. Doch kann die Bedeutung derartiger Maßnahmen kaum hoch genug eingeschätzt werden:

„Die Einführung von Bildungsstandards ist ein Projekt, welches das gesamte Schulsystem betrifft und dazu veranlassen muss, über Ausbau und Entwicklung innovativer Formen der Qualitätsentwicklung nachzudenken. Damit bietet es auch die Chance, Werkzeuge und Tools zum Einsatz kommen zu lassen, welche eine nachhaltige Wirkung in punkto Verbesserung der Qualität in Schule und Unterricht entfalten können.“12

An manchen Stellen zeigt sich dabei eine bedauernd zu konstatierende Rückständigkeit gerade auch der deutschen Bildungsdiskussion.13

Der Vorsprung mancher Staaten im Bereich der Entwicklung, Anwendung und wissenschaftlichen Validierung von Standards ist freilich nicht in jeglicher Hinsicht, d. h. für jedes Fach oder Fachgebiet gleich groß. Während im Bereich der Geistes- oder Gesellschaftswissenschaften allenthalben noch deutliche Mängel zu konstatieren sind, liegen beispielsweise im naturwissenschaftlichen Kontext bereits diverse Ergebnisse vor:

„Die Diskussion über Standards einer mathematischen Grundbildung hat in vielen Staaten bereits wesentlich früher als in Deutschland eingesetzt.14 Dabei stehen weniger abgegrenzte Lerninhalte im Vordergrund als vielmehr Kompetenzen, die von den Schülerinnen und Schülern erreicht werden sollen. Inzwischen gibt es in mehreren Staaten elaborierte Beispiele für solche kompetenzorientierte Standards, und es liegen Erfahrungen mit ihrer konkreten Umsetzung vor. Der Bereich der Mathematik ist daher sehr gut geeignet, um an dieser Stelle das Konzept der Bildungsstandards konkret zu veranschaulichen.“ 15 ← 15 | 16 →

Es ist nicht einfach, diese Rückständigkeit zum einen der bundesdeutschen Bildungsdebatte16, zum anderen der Entwicklung von Standards in bestimmten Bereichen zu erklären. Wie so häufig greift auch hier eine monokausale Begründung zu kurz. Hinweise können wir beispielsweise finden in der scheinbar traditionellen Reformunwilligkeit des bundesdeutschen Bildungswesens, die bereits häufig innovative Ansätze verhindert oder zumindest auf Jahre hinaus verzögert hat.17 Dass einzelne Länder hier inzwischen deutliche Akzente setzen, ist nicht zuletzt bedingt durch die Situation nach 1990, als die Länder der ehemaligen DDR gezwungen waren, innerhalb kurzer Zeit Anschluss zu finden an die westdeutsche Bildungslandschaft – sofern sie dieser nicht voraus waren. Die Tatsache, ← 16 | 17 → dass Mitglieder der westdeutschen Bildungsadministration zumindest zeitweilig in den ehemaligen Osten gingen und dort beim Aufbau bzw. bei der Neustrukturierung des Bildungssystems der fünf neuen Länder halfen, sorgte für einen regen und raschen Austausch der Meinungen und damit zur Revision manch liebgewordener Festschreibungen. Auch die Bedeutung von Lehrplänen kam dabei auf den Prüfstand und konnte den neuen Kriterien nicht immer standhalten:

„Zum einen müssen die Struktur und die innere Logik der traditionellen Lehrpläne und Curricula neu konzipiert werden, zum anderen gilt es, Lehrpläne und Curricula als Steuerungsinstrumente im strategischen Rahmen der Bildungs- und Innovationspolitik neu zu positionieren.“18

Im Rahmen der PISA-Diskussion, die in Deutschland zeitweise die Ausmaße einer posttraumatischen Erklärungsfindung annahm, wie dies auch in Buchtiteln wie „Nach dem PISA-Schock. Plädoyers für eine Bildungsreform“19 deutlich wird, wandelte sich demzufolge auch der Auftrag, den man Lehrplänen oder Curricula jahrzehntelang zugedacht hatte; in Anlehnung an Tendenzen, wie sie in angelsächsischen Staaten – auf welche ja die die Formulierung der PISA-Fragen mit ihrem selbstständigen Problemlösungsaspekt zurückgeht – bereits seit den frühen 1960er Jahren vorhanden sind, formulierte man nun neue Anforderungen an schulische Richtlinien:

„Sollen die Lehrpläne ihre bildungspolitische Steuerungsfunktion bezüglich Kontrolle und Innovation auch in Zukunft wahrnehmen können und die neuen didaktischen Realitäten angemessen berücksichtigen, dann ist ihre strukturelle Neukonzipierung und ← 17 | 18 → strategische Neupositionierung unumgänglich. Damit könnten Lehrplan- und Curriculumreformen erst recht zum produktiven ‚Dauergeschäft‘ der Schule werden.“20

GIANNI GHISLA bleibt eine Erklärung, wie er sich eine derartige Neustrukturierung von Lehrplänen vorstellen könnte, nicht schuldig. Im Rahmen einer Tagung am Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung, an der Mitglieder der Bildungsadministration vor allem aus osteuropäischen Staaten sowie der Verfasser teilnahmen, formulierte er „fünf Anforderungen für eine Neukonzipierung und Neupositionierung von Lehrplänen und Curricula […]:

  • Strukturierung anhand eines Grundmusters, der den drei Logiken des Wissens, der Lebenswelt und des lernenden Subjekts gerecht werden kann. Diese Grundstruktur soll eine möglichst weite Geltung für die Bildungsansprüche moderner Gesellschaften haben.
  • Explizite Ausweitung der Inhalte auf Fähigkeiten und Haltungen. Dies kann mit der Einführung des Kompetenzbegriffs geschehen.
  • Aufnahme von Elementen, die für die didaktische Strukturierung der Lehr- und Lernprozesse relevant sein können.
  • Ausrichtung der Konstruktion und Implementation der Lehrpläne im Sinne einer Legitimationsstrategie und der Beeinflussung des Professional Common Sense (soziale Norm), der Förderung der Anerkennung seitens der Lehrkräfte, und der Bevorzugung eines Ausgleichs zwischen Input- und Outputassessment.
  • Kombination von zweierlei Lehrplantypen, die eine integrierte Steuerung ermöglichen können: Rahmenlehrpläne (bzw. Kerncurricula), die die zentralen Vorgaben bestimmend, einen weiten Interpretationsraum für die Umsetzung auf lokaler Ebene mit Schullehrplänen ermöglichen.“21

Die Möglichkeit einer produktiven Weiterentwicklung von Lehrplänen und Curricula wird freilich nicht von allen Autoren konzediert. Gerade im angelsächsischen Raum, der ja, wie eben dargelegt, im Bereich der Standardisierung über wesentlich mehr und ältere Erfahrungen verfügt, geht man zunehmend von einem Auslaufen, von einem Ende der Lehrplan-Ära aus. „Curriculum – that nationally institutionalized form of education – is an ephemeral phenomenon, and ← 18 | 19 → we must suspect that at the end of the twentieth century it is pretty well played out.”22

Manchmal geht die Kritik freilich über das eben Dargelegte deutlich hinaus – auch dies ein Indiz für die nachhaltige Wirkung, welche zumindest die erste PISA-Studie auf die deutsche Bildungsdiskussion hatte. Es geht in diesem Zusammenhang dann nicht nur um Lehrpläne, es geht um eine grundsätzliche Abwertung des deutschen Bildungswesens, wie wir sie beispielsweise bei GÜNTNER finden:

„Ganztagsschulen anbieten, nationale Bildungsstandards setzen – auf diese Devisen beschränken sich im Wesentlichen die Folgerungen, die man in Deutschland gezogen hat, um dem in Verruf geratenen Bildungswesen aufzuhelfen. Doch dessen Krise ist umfassend kultureller Art. Freudlosigkeit, Angst, Geringschätzung prägen die Atmosphäre.“23

Wie steht es nun um die Adaption der Entwicklung von Standards und Kompetenzen mit all ihren Weiterungen und begleitenden Erscheinungen, die sich, wie ← 19 | 20 → dargelegt, zumindest im naturwissenschaftlichen Bereich auch in Deutschland bereits zu etablieren beginnen, für das geistes- und gesellschaftswissenschaftliche Feld? Auch innerhalb dieses Bereichs kann man ein Ungleichgewicht zwischen den einzelnen Fächer konstatieren: Während die Entwicklungen – oder zumindest vorbereitenden Überlegungen – im Bereich der politischen Bildung schon relativ weit gediehen sind, muss man für Geschichte ein fast vollständiges Fehlen jedweder Überlegungen in dieser Richtung zugeben: Gerade auch die Fachdidaktik, die hier an erster Stelle aufgerufen wäre – und diesen Ruf in anderen Fächern auch aufgegriffen hat –, gibt sich hier bislang sehr zurückhaltend. So formulierte einer ihrer prominentesten Vertreter, der Hamburger Geschichtsdidaktiker BODO VON BORRIES, am 22. Januar 2004 im Rahmen einer Tagung der bundesdeutschen EPA-Arbeitsgruppe Geschichte 24 in Berlin: „Die Standards fahren im Fach Geschichte gegen die Wand.“ Wesentlich weiter sind in dieser Hinsicht die Vertreter der politischen Wissenschaften, die sich in den einzelnen Ländern unter verschiedenen Namen im schulischen Bereich finden (in Bayern: Sozialkunde25). Die Vorarbeiten, die hier bereits vielfältig vorliegen, können auch für die Entwicklung von Standards im Fach Geschichte herangezogen werden und werden auch im Rahmen dieser Studie mehrfach berücksichtigt; dies umso mehr, als es häufig weniger um fachliche Details als um allgemeine schulische Akzente geht:

„Wissensvermittlung ist in der Politischen Bildung kein Selbstzweck, sondern auf die Entwicklung von Kompetenzen in den Kompetenzbereichen bezogen […]. Umgekehrt erfordert die Verbesserung von Kompetenzen in der Regel auch eine Erweiterung und Verbesserung des bei Schülerinnen und Schülern bereits vorhandenen Wissens.“ 26 ← 20 | 21 →

Bereits an diesem Zitat ist zu erkennen, dass (natürlich?) viele Thesen und Argumente, die sich auf die politische Bildung – und damit auf das Fach Sozialkunde – beziehen, auch für das Fach Geschichte Gültigkeit besitzen. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird deutlich werden, dass dies häufig, freilich nicht immer Fall ist. So konnte teilweise auf in diesem Bereich vorliegende Erkenntnisse zurückgegriffen werden, spezifische Besonderheiten des Geschichtsunterrichts, zumal wenn man seine Ausprägung in höheren Jahrgangsstufen berücksichtigt, bedingen aber immer wieder Abgrenzungen oder gar Abweichungen von der Sozialkunde, machen mithin eigenständige, individuelle Lösungen notwendig.

Damit soll zugleich derzeitigen Tendenzen in manchen Ländern, aber auch in Bayern entgegengetreten werden, die eine Zusammenlegung oder gar Verschmelzung verschiedener Fächer des gesellschaftswissenschaftlichen Feldes zum Ziel haben.27 Es ist hier nicht der Ort, diese schulpolitische und teilweise ideologisch befrachtete Diskussion zu führen, doch soll die Eigenständigkeit des Faches Geschichte Hintergrund bilden für die kommenden Ausführungen; denn: „Weil moderne Gesellschaften die geschichtliche Mnemosyne nicht im unmittelbaren Zusammenleben der Menschen tradieren können, ist schulischer Geschichtsunterricht notwendig und sinnvoll.“28 Dies trifft im gleichen Umfang für den Unterricht im Fach Sozialkunde zu, der zwar – wie der neue Lehrplan für das bayerische Gymnasium (G8) ab Jahrgangsstufe 10 und damit insbesondere in der Oberstufe auch vorsieht – miteinander verflochten und aufeinander abgestimmt, aber dennoch eigenständig durchgeführt wird.

Damit muss sich der Geschichtsunterricht, müssen sich die für ihn Zuständigen bzw. Verantwortlichen – Bildungspolitiker ebenso wie Fachwissenschaftler, Lehrer ebenso wie Fachdidaktiker – mit den Entwicklungen und Diskussionen der letzten Jahre intensiv auseinander setzen; man darf nicht darauf hoffen, dass man nur das zu übernehmen braucht, was von anderen Fächern – oder aus dem Ausland – vorgegeben wird. Dies zeigt sich zum Beispiel auch daran, dass die bislang von der KMK für ganz Deutschland verabschiedeten Bildungsstandards nicht den gesellschaftswissenschaftlichen Bereich umschließen, sondern nur Fächer, die unter dem Prinzip des Utilitarismus29 ausgewählt wurden und damit ← 21 | 22 → angelsächsischem Vorbild folgen: „Das Konzept zu Standards und Evaluation kommt aus Amerika; es ist nicht verwunderlich, dass es nur lebenspraktische Aspekte beinhaltet und kaum geisteswissenschaftliche Relevanz besitzt.“30

Die Notwendigkeit zu einer fachlichen Weiterentwicklung jedoch ist für alle Fächer gegeben und muss notfalls auch ohne entsprechende Vorbilder aus anderen Staaten durchgeführt werden. Dabei darf nicht zwischen Fächern „erster“ und „zweiter Güte“ unterschieden werden, wie es in letzter Zeit manchmal unternommen wurde. Das Vorhandensein und die Implementierung bundesweiter Bildungsstandards sind nicht geeignet, etwas über die Wertigkeit eines Faches auszusagen, allenfalls etwas über dessen augenblickliches gesellschaftliches Renommee. Eine Gesellschaft, die aber nur kurzfristigem wirtschaftlichen Nutzen und den ohnehin ungewissen Karrierechancen ihrer Schüler huldigt, vergibt sich die Chance zur Weiterentwicklung auch in sozialer und moralischer Hinsicht – beides Anliegen, die dem Geschichtsunterricht inhärent sind.31

Davon ausgehend ist es auch für den mit Geschichtsunterricht Befassten sinnvoll und notwendig, aktuelle Diskussionen zum Anlass für eine Neuorientierung oder zumindest Reflexion des Erreichten zu nehmen; zwar wurden die ← 22 | 23 → gesellschaftswissenschaftlichen Felder bislang im Rahmen der großen PISA-Studien ausgespart, doch:

„Die (staatlich) definierten Bildungsziele und die tatsächlich erreichten Lernergebnisse von Schülerinnen und Schülern sind das Zentrum der nationalen und internationalen Qualitätsdebatte. Die großen Schulleistungsstudien der letzten Jahre zeigen u. a.,

dass die in den Lehrplänen vorgegebenen Ziele häufig nicht erreicht werden, obwohl fast alle Lehrplanexperten diese Ziele für erreichbar gehalten haben;

dass die Schülerleistungen in keinem anderen PISA-Teilnehmerland so stark wie in Deutschland variieren;

dass es innerhalb Deutschlands erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern hinsichtlich der Leistungsniveaus und der Benotungsmaßstäbe gibt – gegen das Gleichheitsgebot der Verfassung;

dass offenbar Länder, die systematische Qualitätssicherung durch regelmäßige empirische Schulleistungsstudien und ein dichtes Netz von Schulevaluationen betreiben, insgesamt höhere Leistungen und eine bessere Bildungsqualität erreichen.“32

Keine dieser Aussagen ist ohne Bedeutung für den Unterricht im Fach Geschichte; auch hier

wurde bislang zu wenig darauf geachtet, dass dem teilweise enormen Aufwand der Vermittlung (= Input) auch ein adäquates Ergebnis (= Outcome) folgt, wie beispielsweise die Diskussion bei der geplanten Einführung von historischen Längsschnitten in der gymnasialen Oberstufe belegt;33

ist davon auszugehen, dass die Schülerleistungen deutschlandweit sehr variabel sind;34 ← 23 | 24 →

gibt es innerhalb Deutschlands erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern, was Leistungsniveau und Benotungsmaßstäbe anbelangt;35 und

zeigen erste Versuche mit der nunmehr eingeführten internen wie externen Evaluation, dass die Leistungen insgesamt – und damit auch in gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeldern – steigen.36

Freilich darf man nicht darauf vertrauen, positive Entwicklungen und Ergebnisse lediglich durch Neuerungen im Fach Geschichte oder einem anderen einzelnen Fach erreichen zu können. Hier ist vielmehr das gesamtgesellschaftliche Umfeld, insbesondere aber sind schulorganisatorische Maßnahmen gleichfalls zu berücksichtigen, wie dies bereits häufiger nachgewiesen wurde.37

In der vorliegenden Arbeit sollen, ausgehend von bislang bereits erfolgten Untersuchungen und Konzepten, Kompetenzen und Standards für das Fach Geschichte in Jahrgangsstufe 10 entwickelt und vorgeschlagen werden. Dabei wird insbesondere der aktuelle Trend im Fach Geschichte zu berücksichtigen sein, einerseits die (auch empirische und pragmatisch ausgerichtete) Forschung im Bereich „Kompetenzen“ zu forcieren und sich andererseits der Entwicklung von Bildungsstandards zu verweigern.38

So scheint es, dass ein noch unlängst favorisierter Begriff der bundesdeutschen Bildungspolitik – „Bildungsstandard“ – bereits seinen Zenit überschritten hat, wenngleich MICHAEL SCHRATZ noch 2003 anmerkte: ← 24 | 25 →

„[…] jede Epoche hat ihre ‚Heilswörter‘, die das ‚Richtmaß für die Vorstellung vom ihr aufgetragenen Leben‘ signalisieren. Für die Neuzeit waren dies nach Hartmut von Hentig die Wörter Humanität, Aufklärung, Fortschritt und Leistung. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeichnet sich dafür der Begriff ‚Qualitätsstandard‘ ab, von dem alle reden, aber keine/r so richtig (oder jede/r besser) weiß, was darunter zu verstehen ist.“39

Die Einführung von Bildungsstandards in einigen Fächern des schulischen Fächerkanons durch die KMK40 hat damit Vorbildfunktion auch für die gegenwärtige und zukünftige Vorgehensweise in Geschichte, will man sich nicht als rückständiges und tatsächlich nur der Vergangenheit verpflichtetes Fach darstellen. Der derzeitige Diskussionsstand in den Fächern Deutsch, erste Fremdsprache, Mathematik, Biologie, Chemie und Physik zeigt freilich auch, dass es mit der Entwicklung und In-Kraft-Setzung von Standards bei weitem nicht getan ist: Die eigentliche Arbeit setzt erst danach an, nun bedarf es Präzisierungen und einer alltagstauglichen Ausdifferenzierung – Schritte, in denen man auch in den genannten Fächern nur äußerst langsam vorankommt, obwohl ECKHARD KLIEME bereits vor Jahren anmahnte: „Aufgaben der näheren Zukunft sind vor allem die fachdidaktische Vertiefung in Kompetenzmodellen, die Festlegung von Mindeststandards, die Entwicklung von Aufgabenpools und Testverfahren sowie die Implementation an den Schulen.“41

Und selbst dies stellt noch nicht den letzten Schritt dar: „One of the most important challenges for the next years will be how competence-based education will come into the heart of education, instead of staying only in the body of politics.”42 Erst wenn Bildungsstandards und Kompetenzorientierung den Unterricht vor Ort faktisch bestimmen, wenn sich Aufgaben an den neuen Erkenntnissen ausrichten und sich der Output messbar erhöht hat – erst dann wird man davon sprechen dürfen, dass sich eine Kopernikanische Wende in der schulischen Praxis vollzogen hat, für die Politik und Wissenschaft derzeit die Vorgaben liefern. 43 ← 25 | 26 →


1 Vgl. zum genaueren Verständnis der Begriffe die Definitionen in Kap. 2; dort finden sich auch die entsprechenden Belege für diese Behauptung.

2 Diese These wird natürlich immer wieder aufs Neue erhoben und von den Vertretern unterschiedlicher Zeiten für sich reklamiert; zu belegen ist sie für unseren Zeitraum aufgrund der Dauer und Intensität der aktuellen bildungspolitischen Diskussionen und schulischen Veränderungen. Hinweis darauf sind zudem die zahlreichen Initiativen, Stiftungen u. Ä., die sich vermehrt und gezielt in die bildungspolitische Diskussion einschalten (vgl. beispielsweise das Forum Bildung, das 2006 seine Empfehlungen vorlegte, die sog. Frankfurter Erklärung vom 10. Oktober 2005, die entsprechenden Anmerkungen der Heinrich-Böll-Stiftung aus dem Jahr 2003 oder Herrmann / Rupp [2002], die zugleich Empfehlungen zur Lehrplangestaltung vorlegten). Auch das Aufsehen, das die Bücher Hartmut von Hentigs (1996 und 1999) in der breiten Öffentlichkeit erregten, kann als Beleg für diese Behauptung herangezogen werden, ebenso zahlreiche Veröffentlichungen in Tageszeitungen und Zeitschriften (z. B. Kerstan [2006]).

3 Bzgl. einer aktuellen Reminiszenz an dieses Werk (Picht [1965]) nach der internationalen Leistungsvergleichsstudie PISA im Jahr 2000 vgl. Adam (2002) sowie – im Hinblick auf notwendige Bildungsreformen nach PISA – Fahrholz u. a. (2002) sowie Killius u. a. (2002). Ein grundlegendes Werk zum Bildungsverständnis Europas stellt immer noch Dolch (19733) dar.

4 Hier wie im Folgenden wird bei Personenbezeichnungen immer die männliche Form benutzt, also Lehrer bzw. Schüler. Dass z. B. ein Kollegium immer aus Lehrerinnen und Lehrern, die Schülerschaft immer aus Schülerinnen und Schülern besteht, wurde jeweils mit bedacht. Abweichungen von dieser Regelung finden sich an Stellen, bei denen eine Geschlechterdifferenzierung für diese Arbeit von Bedeutung ist.
Auf die diversen Ansätze zur Reformierung der Lehrerbildung kann in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden, für Bayern mögen hier die Vorhaben der Universitäten Augsburg, Passau und Nürnberg beispielhaft gelten, die beispielsweise eine stärkere Fokussierung schulartspezifischer Ausbildung ins Zentrum ihrer Bemühungen stellen oder die sich im Rahmen des Bologna-Prozesses für eine Europäisierung bzw. Internationalisierung der Ausbildung engagieren, indem beispielsweise ein Credit-Point-System eingeführt wird.

5 Es ist darauf hinzuweisen, dass auch internationale Large-Scale-Assessments nicht unumstritten sind; vgl. beispielsweise eine Studie aus den Vereinigten Staaten, die zu Beginn des Jahres 2009 in Europa für Aufsehen sorgte. Sie konstatierte u. a., “[…] that PISA’s architects make unwarranted leaps between student attitudes and academic performance. […] PISA defines knowledge more broadly and views social environment and attitude, not just instruction […]. […] in almost every area it found a negative correlation between attitudes and substantive knowledge.” Brookings (2009), S. 1 f. Auch in Deutschland wird die Bedeutung von PISA zwischenzeitlich relativiert; vgl. beispielsweise Homeier (2013), der der Studie „nur grobe Hinweise“ sowie die Bereitstellung von „Durchschnittswerten“ attestiert. Zur Thematik der Schulleistung in Deutschland vgl. auch von Saldern (1999).

6 Gerade auf europäischer Ebene muss allerdings konstatieret werden, dass viele bildungspolitische Entwicklungen bzw. deren Umsetzungen nicht in der erwünschten Geschwindigkeit erfolgen. Zwar formulierte der Europäsche Rat bereits 2000 die Zielsetzung, Europa solle „zum dynamischsten und wettbewerbsfähigsten, wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt entwickelt werden (Europäischer Rat [2000]), eine Vorgabe, die durch den sog. Kopenhagen-Prozess in den vier Prioritätsbereichen „Mobilitätssteigerung“, „Transparenz“, „Anerkennung von Fähigkeiten und Qualifikationen“ sowie „Qualitätssicherung“ weiter ausdifferenziert wurde (Europäische Kommission [2003]). In einer Pressemitteilung vom 3. Oktober 2007 musste man allerdings eingestehen, dass das langsame Reformtempo langfristig die Wettbewerbsfähigkeit Europas bedrohe. Insbesondere wurden die zu hohe Quote der Schulabbrecher, die zu geringe Quote der Absolventen von Sekundarstufe II sowie die zu geringe Beteiligung von Erwachsenen am lebenslangen Lernen benannt; notwendige Verbesserungen wurden auch im Bereich der Lese- und Schreibfähigkeiten der 15-Jährigen angemahnt (nach: Europäischer Rat [2007], S. 1).

7 Servicestelle (2004), S. 6.

8 Vgl. dazu: „Die rasche Veränderung des Wissens, der sich verschärfende internationale Wettbewerb auch in Wissenschaft und Forschung, die Pluralisierung von Erfahrungshorizonten im Zeitalter der Globalisierung und nicht zuletzt veränderte Anforderungen der Arbeitswelt erfordern im Bildungsbereich neue Formen der Qualitätssicherung. […] Statt einheitlicher und umfassender Qualitätsvorgaben sind Mindeststandards zu definieren, die ein bestimmtes Maß an Qualität garantieren, der Ausprägung unterschiedlicher Qualitätsniveaus aber nicht entgegenstehen.“ Initiativkreis Bildung (1999), S. 55 f. Im Folgenden heißt es dazu genauer: „Um die Modularisierung von Bildungsangeboten zu fördern und um Zertifizierung und Akkreditierung als Instrumente der Sicherung von Qualität und Transparenz im deutschen Bildungssystem zu verankern, empfehlen wir: […] Mindeststandards definieren. Modularisierung verlangt nach neuen Verfahren der Qualitätssicherung: Staatlich verwaltete Rahmenordnungen müssen durch transparente, eindeutig definierte Mindeststandards für die Qualität von Ausbildungsmodulen und -paketen ersetzt werden. Wer besser und anders sein will als die anderen, dem muss dies erlaubt sein. Beschränkungen nach oben und Gleichwertigkeit zu fordern, wäre unangebracht. Mindeststandards sichern Qualität, ohne aber besondere Anstrengungen oder differenzierte Profile zu verbieten.“ Initiativkreis Bildung (1999), S. 59.

9 Vgl. dazu Bastian (2007a und b) sowie Bauch u. a. (2011); letztere entwickeln ein Prozessmodell zur Unterrichtsentwicklung auf der Basis einer kompetenzorientierten Gestaltung der Lehr- und Lernprozesse. Zur Unterrichtsentwicklung auf der Basis von Bildungsstandards vgl. auch den gleichlautenden Aufsatz von Klein / Giesel (2010), die in ihrem Beitrag auch auf die erforderlichen „Wege der Umsetzung“ (S. 216) eingehen.

10 Ghisla (2003), S. 2. Zu Standards für Bildungssysteme vgl. auch Baker u. a. (2002).

11 Vgl. dazu: „Gesellschaftliche vorgegebene Bildungsziele […] bilden den Orientierungsrahmen für Bildungsstandards.“ Klieme u. a. (2003), S. 11 (Hervorhebung durch den Autor). Interessant in diesem Zusammenhang ist dabei ein Blick auf vorangegangene Entwicklungen in den Vereinigten Staaten, die viele heutige Erfahrungen in Westeuropa antizipieren; entsprechende Hinweise finden wir beispielsweise bei Guthrie (1990).

12 Reusser / Halbheer (2008), S. 130. Zur Wirkung von Bildungsstandards vgl. auch Klieme (2004a).

13 Vgl. beispielsweise: „Einen ausgewiesenen wissenschaftlichen Diskurs zum Thema Bildungsstandards gibt es in Deutschland bisher kaum.“ DIPF (2003), S. 109; oder an gleicher Stelle: „[…] steht die Entwicklung von wissenschaftlichen Kompetenzmodellen, von Leistungsstandards und Bewertungsstandards in Deutschland noch am Anfang.“

14 Vgl. dazu beispielsweise Apple (1992).

15 Klieme u. a. (2003), S. 28. So ist es auch kein Wunder, dass für das Fach Mathematik bereits diverse Publikationen zur praktischen Umsetzung von Bildungsstandards vorliegen, beispielsweise Blum u. a. (2006), Prenzel (2005), Reiss (2004), Sill (o. J.; mit kritischen Anmerkungen), Walther u. a. (2008; für den Bereich der Grundschule) sowie Heymann (2009). Für die Vereinigten Staaten vgl. die Publikation des National Council of Teachers of Mathematics (2006).

16 Diese Rückständigkeit zeigt sich manchmal sogar im Austausch mit Staaten, die vermeintlich weniger zu aktuellen Entwicklungen Zugang haben oder deren knapper Haushalt zukunftsorientierte Forschungen in diesem Bereich auszuschließen scheint: Während einer Konferenz des Europarates vom 20.–22. Oktober 2003 in Ulan Ude, der Hauptstadt der teilautonomen asiatischen Republik Buriatien, an der Mitglieder der Bildungsadministration aus ganz Russland teilnahmen, interessierten sich die Teilnehmer in erster Linie dafür, wie in Deutschland der derzeitige Diskussionsstand bezüglich Kompetenzen und Standards sei: Man wolle in Buriatien demnächst entsprechende schulpolitische Weichen stellen. Der Verfasser musste hier einen gewissen Nachholbedarf, zumindest im Gebiet der Geschichtswissenschaft, eingestehen.

17 Vgl. dazu: „Auf Perioden der starken Betonung der Vorteile des Verlässlichen und Stabilen folgen mit schöner Regelmäßigkeit Perioden des ‚Leidens an der Normalität‘. In diesen Leidensphasen geht es darum, die scheinbar verkrusteten Strukturen aufzubrechen. Typische Losungen sind dann: Weg mit den starren Stundentafeln, Öffnung des Unterrichts, Projektmethode, Lebensbezug und was sonst noch das reformpädagogische Herz begehrt. Dieses Werk wird – seit Mitte des 18. Jahrhunderts – jedes Mal mit dem gleichen charismatischen Elan des ‚nun wird alles anders‘ begonnen – und endet ebenso regelmäßig damit, dass die gewachsenen Strukturen der Verortung und Vermessung dem Ansturm standhalten.“ Hopmann (2000), S. 380. Dieser Vorwurf ist freilich nicht der Politik allein zu machen, auch der Wissenschaft sind hier Versäumnisse anzulasten: „Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hat die Allgemeine Didaktik kaum empirische Forschung angeregt, und wo sie es getan hat, geht es eher um Erfahrungsberichte, Modellversuche, Einzelfallstudien und deskriptive Berichte und nicht um hypothesenprüfende Studien der Lernwirksamkeit des Unterrichts, die methodischen Standards genügen (wie kontrollierte Längsschnittstudien, Unterrichtsexperimente und Trainingsstudien) und deren Aussagen den Anspruch erheben, verallgemeinerbar und belastbar zu sein. Es ist daher auch kaum etwas darüber bekannt, ob, und in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen die von der Allgemeinen Didaktik entwickelten Unterrichtskonzepte und -ansätze tatsächlich auch zu erfolgreichem Lernen beitragen, welche einzelnen Elemente dafür maßgeblich und welche entbehrlich sind.“ (Helmke [2009], S. 47).

18 Ghisla (2003), S. 2. Dabei darf man freilich die Bedeutung der Lehrpläne im heutigen Schulalltag nicht überbewerten: „Die in Deutschland und in der Schweiz durchgeführte Untersuchung hat gezeigt, dass der Lehrplan bei den verwendeten Unterlagen zur Unterrichtsplanung erst an fünfter Stelle kommt, allerdings mit einer noch bemerkenswerten Frequenz: 57 % geben an, den Lehrplan häufig zu benutzen. (Künzli et al. 1999, 146).“ Ghisla (2003), S. 8 (Hervorhebung durch den Autor). Dagegen konzediert Hopman den Lehrplänen wenigstens in einer Hinsicht schulische Bedeutsamkeit: „Lehrplanreformen führen also nur in seltenen Fällen zu spürbaren Einschnitten in der Schulpraxis. Die meiste Wirkung entfalten neue Lehrpläne offenkundig dort, wo sie die hergebrachte Grenzziehung überschreiten, etwa in Methodenfragen eingreifen.“ Hopmann (2000), S. 385. Auf den Bedeutungsgehalt von Lehrplänen wird an späterer Stelle noch genauer einzugehen sein (Kap. 2.2).

19 Fahrholz u. a. (2002). Publikationen zum Thema „Bildungsreform“ sind nach PISA 2000 äußerst zahlreich erschienen, vgl. beispielsweise Klieme (2009).

Details

Seiten
596
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653064551
ISBN (ePUB)
9783653955194
ISBN (MOBI)
9783653955187
ISBN (Hardcover)
9783631669242
DOI
10.3726/978-3-653-06455-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Januar)
Schlagworte
Wertebewusstsein Orientierungskompetenz Kompetenzorientierung Lehrplanentwicklung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 596 S., 32 Tab., 16 Graf.

Biographische Angaben

Martin Sachse-Weinert (Autor:in)

Martin Sachse-Weinert ist Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte und Leiter eines Gymnasiums in Würzburg. Im Rahmen seiner Tätigkeit am Bayerischen Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung sowie am Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst beschäftigte er sich umfassend mit der Entwicklung von Standards für die Schulen in Deutschland.

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Titel: Bildungsstandards Geschichte
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