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Ethik in Freiheit

Zur Grundlegung politischen Denkens bei Karl Jaspers

von Paul R. Tarmann (Autor:in)
©2016 Dissertation 266 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor zeigt auf, dass die Idee der Freiheit für Karl Jaspers die Grundlage seines politischen Denkens und seiner politischen Ethik darstellt. Jaspers beschreibt, dass der Mensch aus Freiheit und Verantwortung heraus handeln soll, wobei die Motivatoren dafür Vernunft und Liebe seien. So kann der unbedingten Forderung entsprochen werden. Auch in der Politik soll diese Maxime umgesetzt werden. Dementsprechend ist Ethik in Freiheit die Grundlegung von Jaspers’ politischem Denken.
«Der Autor hat uns mit diesem Buch Karl Jaspers und seine Idee der Freiheit neu nahe gebracht. Möge es viele Früchte der Freiheit tragen und verbreiten!»
O. Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Manfried Welan (Universität für Bodenkultur Wien)
«Der Aufgabe, eine politische Ethik bei Jaspers zu rekonstruieren, hat sich Paul R. Tarmann in vorbildlicher Weise unterzogen.»
O. Univ.-Prof. Dr. Norbert Leser † (Universität Wien)

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Geleitwort (Manfried Welan)
  • Hinführung: Karl Jaspers und die politische Ethik (Norbert Leser)
  • 1. Problemstellung: Zum Thema dieser Arbeit
  • 1.1 Gegenwärtige Forschungslage und Anliegen
  • 1.2 Begriffliches und Methodisches
  • 1.3 Aufbau
  • 2. Aspekte philosophischer Freiheitskonzepte
  • 2.1 Freiheit, politische Philosophie und Ethik
  • 2.1.1 Freiheitskonzepte in der Philosophie
  • 2.1.1.1 Antike
  • 2.1.1.2 Mittelalter
  • 2.1.1.3 Neuzeit
  • 2.1.1.4 Das 19. und das 20. Jahrhundert
  • 2.1.2 Freiheit, Verantwortung und Ethik
  • 2.1.2.1 Ethik, Moral und politische Ethik
  • 2.1.2.2 Tugend
  • 2.1.2.3 Freiheit und ethisches Handeln
  • 2.1.2.4 Gewissensfreiheit und politische Bildung
  • 2.2 Die Leugnung von Freiheit
  • 3. Karl Jaspers’ Leben und Denken
  • 3.1 Das Freiheitsideal in Karl Jaspers’ Leben
  • 3.2 Vorbemerkungen zu Jaspers’ Verhältnis zur Ethik
  • 4. Freiheit in Karl Jaspers’ Denken
  • 4.1 Philosophie, Freiheit und Verantwortung
  • 4.1.1 Freiheit als philosophisches Thema
  • 4.1.2 Freiheit und Verantwortung
  • 4.1.2.1 Gewissen und Schuld
  • 4.1.2.2 Existenzerhellung, Kommunikation und Grenzsituationen
  • 4.1.2.3 Die Wandlung des Menschen zur Vernunft
  • 4.1.2.4 Politische Philosophie und politische Realität
  • 4.1.2.5 Politisches „Gift für die Freiheit“
  • 4.1.2.6 Innere Freiheit und Distanz zum Staat
  • 4.1.3 Politisches Ethos und moralischer Appell
  • 4.1.3.1 Die unbedingte Forderung aus Liebe
  • 4.1.3.2 Naturrecht, moralischer Appell und Ethos
  • 4.1.3.3 Schuld, Umkehr und Erziehung
  • 4.2 Freiheit als Chiffer der Existenz
  • 4.2.1 Freiheit als „Chiffer“
  • 4.2.2 Erhellung existentieller Freiheit
  • 4.2.2.1 Freiheit als Wissen, als Willkür, als Gesetz
  • 4.2.2.2 Freiheit als Idee
  • 4.2.2.3 Freiheit als Wahl (Entschluss)
  • 4.2.2.4 Flucht vor Freiheit
  • 4.2.2.5 Das Gedachtwerden existentieller Freiheit
  • 4.2.3 Dasein und Freisein
  • 4.2.3.1 Die Frage nach dem Sein von Freiheit
  • 4.2.3.2 Gedankengänge, die das Dasein von Freiheit beweisen wollen
  • 4.2.3.3 Ursprünge des Freiheitsbewusstseins
  • 4.2.4 Freiheit und Notwendigkeit
  • 4.2.4.1 Der Widerstand des Notwendigen
  • 4.2.4.2 Das Phantom der absoluten Freiheit
  • 4.2.4.3 Einheit von Freiheit und Notwendigkeit (Freiheit und Müssen)
  • 4.2.5 Freiheit und Transzendenz
  • 4.2.5.1 Freiheit und Schuld
  • 4.2.5.2 Abhängigkeit und Unabhängigkeit
  • 4.2.5.3 Transzendenz in Freiheit
  • 4.3 Der Mensch als Freiheitswesen
  • 4.3.1 Der einzelne Mensch als Freiheitswesen
  • 4.3.2 Politische Freiheit
  • 4.3.2.1 Politische Freiheit im Denken und Handeln
  • 4.3.2.2 Politische Freiheit ohne Zensur
  • 4.3.3 Das Überpolitische
  • 4.4 Über Gefahren und Chancen von Freiheit
  • 4.4.1 Tendenzen zur Vernichtung von Freiheit
  • 4.4.2 Möglichkeiten von Freiheit
  • 4.4.3 Aufgaben des geistigen Menschen
  • 4.5 Freiheit und Autorität
  • 4.5.1 Ein historischer Zugang
  • 4.5.2 Ein soziologisch-psychologischer Zugang
  • 4.5.3 Ein philosophischer Zugang
  • 4.5.4 Autorität als wirksame Daseinsmacht
  • 4.5.5 Das Unbedingte aus Freiheit und Autorität
  • 4.5.6 Wie es heute um Autorität steht
  • 4.5.7 Was ist zu tun?
  • 4.5.8 Autorität in einer „entzauberten“ Welt
  • 4.6 Erkenntnis und Werturteil
  • 4.6.1 Erkenntnis und ethische Herausforderungen
  • 4.6.2 Die Unterscheidung von Erkenntnis und Werturteil
  • 4.7 Das Umgreifende als Bedingung für Freiheit
  • 5. Freiheit als Grundlegung einer politischen Ethik
  • 5.1 Existentielle Freiheit
  • 5.2 Politische Freiheit und Ethik
  • 5.3 Ausblick
  • 6. Zusammenfassung und Abstract in English
  • 6.1 Zusammenfassung
  • 6.2 Abstract in English
  • 7. Verwendete Literatur
  • 7.1 Literatur Karl Jaspers’
  • 7.2 Literatur über Karl Jaspers
  • 7.3 Andere verwendete Literatur
  • 8. Abkürzungsverzeichnis
  • 8.1 Siglen der Schriften Karl Jaspers’
  • 8.2 Andere verwendete Abkürzungen
  • 9. Personenverzeichnis

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Vorwort

Wann immer ich von meinem Projekt, diese Arbeit zu verfassen, erzählte, bekam ich eine von zwei Antworten: Entweder wurde mir gesagt, Ethik und Politik seien Gegensätze, eine Synthese herstellen zu wollen, sei zwar ein redliches theoretisches Anliegen, praktisch gelinge dies aber nicht. Oder es wurde entgegnet, dieses Buch würde bestimmt mit großem oberflächlichem Interesse aufgenommen werden, es verschwinde aber bald ungelesen in Bibliotheken und Archiven, da die Politik sich nicht um Ethik kümmere. Möge diesem Buch ein besseres Schicksal widerfahren! Und vor allem: möge die Politik ethischer werden!

Für die freundliche Bereitschaft, die Begutachtung dieser Arbeit als Dissertation am Institut für Philosophie Wien zu übernehmen, sowie für Anregungen danke ich herzlich Univ.-Prof. Dr. Alfred Pfabigan und Univ.-Prof. Dr. Kurt Salamun. Für Literaturhinweise und wissenschaftlichen Austausch sei auch herzlich gedankt: Univ.-Prof. Dr. Erwin Bader, Univ.-Prof. Dr. Mag. Günther Pöltner, O. Univ.-Prof. Dr. Norbert Leser †, Univ.-Prof. DDDr. Alfred Klose †, O. Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Manfried Welan, Mag. Markus Mersits, O. Univ.-Prof. DDr. Rudolf Weiler sowie O. Univ.-Prof. Dr. Augustinus Karl Wucherer-Huldenfeld.

Diese Anregungen und die vertiefende Literatur motivierten mich zu verschiedenen Schwerpunktsetzungen: Es geht in dieser Arbeit um Fragen der Sozialphilosophie, der Existenzphilosophie, der Phänomenologie, der Anthropologie, der Politik- und der Sozialwissenschaft; immer waren diese Fragen auch getragen von einem linguistisch-semantischen bzw. hermeneutischen Interesse und – vor allem – einem ethischen Anliegen. Es wurden auch Probleme der Theologie, der Psychologie, der Kognitions- sowie der Hirnforschung gestreift.

Durch mehrere Anfragen von verschiedenen Seiten wurde ich ermutigt, die ursprüngliche Dissertation auch als Buch zur Verfügung zu stellen, was einige Überarbeitungen und Ergänzungen erforderlich machte. Für die Publikation trugen zwei zunächst nicht mit dieser Arbeit befasste, aber an ihrer Entstehung sehr interessierte Wissenschaftler einleitende und weiterführende Gedanken bei: Das durchaus persönliche „Geleitwort“ stammt ← 11 | 12 → vom Juristen, Politologen, Staatswissenschaftler und ehemaligen Politiker Manfried Welan, die einleitende „Hinführung“ vom inzwischen leider verstorbenen Juristen, Politologen, Staatswissenschaftler und Sozialphilosophen Norbert Leser.

Beiden Autoren gemeinsam sind ihre jeweils weit über Österreichs Grenzen hinausragende Reputation als Wissenschaftler und als kreativer Autor fachlich wie literarisch bedeutender Werke, sowie ihre Anerkennung als Denker, die ihre starken moralischen Prinzipien den reichen Traditionen des Humanismus sowie der christlichen Soziallehre verdanken. Ihre jeweils kurzen, aber umso gehaltvolleren Texte sollen das interdisziplinäre Anliegen des vorliegenden Werkes sowie den Wunsch, die konkrete politische Praxis damit herauszufordern, hervorheben. Den beiden Autoren sei herzlich gedankt!

Auch gilt mein Dank: Mag. Gerda Debenjak für die Durchsicht des Englischen, Mag. Alexandra Marciniak vom Verlag für die ausgezeichnete Kooperation und der Kulturabteilung (MA 7) der Stadt Wien für die finanzielle Förderung.

Nicht zuletzt möchte ich meiner verständnisvollen Familie, meiner Frau Ildikó sowie unseren Töchtern Viola, Norina und Melinda, danken. Auch dieses Projekt konnte nur durch ihre liebevolle Unterstützung und Geduld gelingen.

Widmen möchte ich diese Arbeit meinen geliebten Eltern, denen Politik und politische Ethik – auf je unterschiedliche Weise – stets große Anliegen waren und sind. In Dankbarkeit blicke ich auf vielerlei Unterstützung und anregenden fachlichen Austausch während meiner Schul- und Studienzeit zurück.

Als Einbegleitung mögen Karl Jaspers’ folgende Worte dienen:

„Beide haben durchweg ihren Mangel: Der Philosoph handelt nicht, der Staatsmann beschränkt sein Denken auf das Nächstliegende. Aber Philosophie und Politik sollten sich treffen.“3


3 Jaspers, Karl: Die Atombombe und die Zukunft des Menschen. Politisches Bewusstsein in unserer Zeit (AZM), 2. Aufl. (1. Aufl.: 1958) München: Piper 1960, S. 8.

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Manfried Welan: Geleitwort

Jaspers war einer der Philosophen unserer Jugend. Er präsentierte sich uns durch ein Göschen-Bändchen: Das tausendste Göschen-Bändchen hätte heißen sollen: „Die geistigen Bewegungen der Gegenwart“. Jaspers änderte das Thema in: „Die geistige Situation der Zeit“. Das gefiel mir. Darin fand ich vieles, was wir im Gymnasium diskutiert hatten: „Vermassung“, „Nivellierung“ und „Funktionalisierung“ des Menschen. Das alles verstanden wir durch Jaspers als das Ergebnis des sogenannten Fortschritts, der nach Johann Nestroy überhaupt das an sich hat, dass er viel größer ausschaut, als er wirklich ist. Wittgenstein bezog sich auf diesen Satz.

Jürgen Habermas gab 1979 in zwei Bänden „Stichworte zur geistigen Situation der Zeit“ heraus. Da sich seither weltweit mehr verändert hat als in der Zeit davor, wären solche Stichworte heute notwendiger denn je. Aber es fehlt nicht an Orientierungen: Mit seiner These, dass Religion eine gegenwärtige Gestalt des Geistes ist, lieferte Habermas dazu eine Grundlage. Der „Strudel des modernen Daseins“ wurde in vieler Hinsicht ein „Strudel der Selbstzerstörung“.

Was uns Jungen der 50er und 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts an Karl Jaspers imponierte, war sein sich Einbringen in die Öffentlichkeit und in die Politik. In seinem wahrscheinlich bekanntesten Buch „Die Atombombe und die Zukunft des Menschen“ hatte er die Gefahren der Zeit beschrieben: Die Menschheit stehe vor der Grenze, die sich aus den Gefahren der totalen Selbstvernichtung und eines totalitären Herrschaftssystems ergeben. Die Arbeiten von Günther Anders und Robert Jungk folgten später. Jaspers erkannte d a s Problem. Die Lösung ist bis heute nicht erfolgt. Hans Jonas, ein Schüler von Jaspers, steigerte in seinem Buch „Prinzip Verantwortung“ 20 Jahre nach Jaspers in Hinblick auf neue Gefahren, die zu den alten der Atomkatastrophe dazugekommen sind, das Bewusstsein der Grenze noch und entwickelte aus dem Bewusstsein der Möglichkeit der Katastrophen das Prinzip der Heuristik der Furcht.

René Marcic brachte mir Jaspers als Demokratietheoretiker nahe. Er sah die Demokratie als Gegenpol zum Totalitarismus und als einzige Chance für die bestmögliche Realisierung persönlicher und politischer Freiheit. Paul ← 13 | 14 → R. Tarmann bringt vieles davon wieder ins Bewusstsein. Demokratie als Technik interessierte Jaspers weniger als das demokratische Ethos:

„Die Demokratie ist eine Idee. Das bedeutet, dass sie nirgends vollendet sein kann und dass sie sogar als Ideal sich einer anschaulichen Vorstellung entzieht. […] Der demokratischen Idee entspricht das Bewusstsein der Unvollendbarkeit des Menschen.“4

Von daher habe ich die Überzeugung, dass Demokratie nie gegeben, sondern immer aufgegeben ist. Sie ist eine Aufgabe, die nie zu Ende ist und bedeutet ununterbrochene Weiterentwicklung. Die Demokratie bedarf der ständigen Demokratisierung. Dazu gehören die Erziehung zur Demokratie, politische Bildung, ständige Diskussion und Publizität. Demokratisierung heißt also auch permanente Kritik an den politischen Institutionen, Phänomenen und Einstellungen mit dem Ziele der kontinuierlichen Verbesserung. Offenheit und Öffnung, Öffentlichkeit, Veröffentlichen und sich Veröffentlichen gehören zusammen. Deshalb sind Universität und Demokratie so aufeinander verwiesen und angewiesen.

In der Formulierung Kurt Salamuns ergeben sich für eine vernunftgeleitete Politik, welche der Idee einer Demokratie entspricht, folgende Konsequenzen:

„Sie sollte auf einem beachtlichen Maß an heiterer Gelassenheit, Tapferkeit zum ehrlichen und illusionslosen Einschätzen der Realität und persönlichem Mut zur eigenständigen, kreativen Selbstbesinnung beruhen. Ermöglichen diese moralischen Einstellungen und Tugenden dem Einzelnen im existenziell-privaten Lebensbereich mit Grenzsituationen fertig zu werden, so sollen sie im öffentlichen Bereich die politisch Handelnden davor bewahren, in Krisensituationen den Kopf zu verlieren und sich zu blind-emotionellen Handlungen hinreißen zu lassen oder opportunistisch die erste sich bietende Ausflucht einer Krise zu ergreifen, ohne über die daraus erwachsenden Folgen ausreichend im Klaren zu sein.“5

Karl Jaspers kannte Max Weber gut, insbesondere dessen bekannteste Aufsätze „Wissenschaft als Beruf“ (1917) und „Politik als Beruf“ (1919). Ein Anforderungsprofil an Politiker erinnert an Max Webers Feststellung: „Man ← 14 | 15 → kann sagen, dass drei Qualitäten vornehmlich entscheidend sind für den Politiker: Leidenschaft, Verantwortungsgefühl, Augenmaß.“6

Es geht also um eine leidenschaftliche Hingabe an eine Sache, keine sterile Aufgeregtheit. Dienst an einer Sache soll auch die Verantwortlichkeit gegenüber dieser Sache bedeuten und dazu bedarf es des Augenmaßes, der Fähigkeit, die Realität mit innerer Sammlung und Ruhe auf sich wirken zu lassen, also der Distanz zu den Dingen und den Menschen.

Auch „Wissenschaft als Beruf“ hatte Jaspers beeinflusst. Sein Buch „Die Idee der Universität“, 1946 veröffentlicht, wollte nach den 12 Jahren, die an der „moralischen Vernichtung der Universität gearbeitet“ hatten, zur Erneuerung appellieren. „Die Zukunft unserer Universitäten, sofern ihnen eine Chance gegeben wird, beruht auf der Wiedererneuerung ihres ursprünglichen Geistes.“7

Der erste Satz der Einleitung zu diesem Buch: „Die Universität hat die Aufgabe, die Wahrheit in der Gemeinschaft von Forschern und Schülern zu suchen“8, war mir schon zu Beginn meiner Berufstätigkeit Grund, Weg und Ziel. Jaspers hatte ein Pathos, das mich ansprach: „Die Universität ist die Stätte, an der Gesellschaft und Staat das hellste Bewusstsein des Zeitalters sich entfalten lassen.“9

Dort dürfen als Lehrer und Schüler Menschen zusammenkommen, die nur den Beruf haben, Wahrheit zu ergreifen. Denn dass irgendwo bedingungslose Wahrheitsforschung stattfinde, ist ein Anspruch des Menschen als Mensch. Was Wahrheit sei und was diese Wahrheitsbemächtigung, das kann nicht einfach hingesagt werden. Es wird im Leben der Universität offenbar, ohne je abgeschlossen zu sein. Vorläufig erinnern daran Sätze wie folgende:

„An der Universität verwirklicht sich das ursprüngliche Wissenwollen, das zunächst keinen anderen Zweck hat, als zu erfahren, was zu erkennen möglich und was aus uns durch Erkenntnis wird. Es vollzieht sich die Lust des Wissens im Sehen, in der Methodik des Gedankens, in der Selbstkritik als Erziehung zur Objektivität, aber auch die Erfahrung der Grenzen, des eigentlichen Nichtwissens, sowohl wie dessen, was man im Wagnis des Erkennens geistig aushalten muss. […] ← 15 | 16 →

An der Universität sind Menschen vereinigt, in eine Institution als Beruf, die Wahrheit durch Wissenschaft sowohl zu suchen als auch zu überliefern.“10

Damit sind Forschung, Lehre und Bildung durch Wissenschaft angesprochen.

Für mich waren und sind Demokratie und Universität durch die Ideen der Freiheit und Wahrheit aufeinander verwiesen und angewiesen. Daher schrieb ich 1965 in einem Aufsatz in der Wochenzeitung „Die Furche“:

„Freiheit und Wahrheit, diese beiden stehen gerade im politischen Raum zu einander im Verhältnis der Interdependenz: Ohne Wahrheit keine Freiheit, ohne Freiheit keine Wahrheit. Das vernünftige und verständige Gespräch könnte besonders dann die Politik der Zukunft prägen, wenn Universität und Politik einander begreifen und fördern lernen. Die rationale Diskussion soll der rote Faden der Demokratie sein; demokratische Politik ist die Kunst des Miteinander-Redens. Das beide verbindende Ethos könnte ein neuer Humanismus sein.“

Paul R. Tarmann hat uns mit diesem Buch Karl Jaspers und seine Idee der Freiheit neu nahe gebracht. Möge es viele Früchte der Freiheit tragen und verbreiten!

em. O. Univ.-Prof. Dr. jur. Dr. h. c. Manfried Welan
Professor für Recht und Politik, Rektor der Universität für Bodenkultur Wien a. D., Dritter Wiener Landtagspräsident a. D. und Stadtrat a. D.


4 AZM, S. 425.

5 Salamun, Kurt: Karl Jaspers, 2. verb. u. erw. Aufl. (1. Aufl.: 1985), Würzburg: Königshausen & Neumann 2006, S. 91.

6 Weber, Max: Politik als Beruf, (Erstveröff.: 1919) Stuttgart: Reclam 1992, S. 62.

7 Jaspers, Karl: Die Idee der Universität, Berlin: Springer 1946, S. 5.

8 Ebd., S. 9.

9 Ebd.

10 Ebd. S. 10.

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Details

Seiten
266
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653066739
ISBN (ePUB)
9783653955255
ISBN (MOBI)
9783653955248
ISBN (Hardcover)
9783631669181
DOI
10.3726/978-3-653-06673-9
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Januar)
Schlagworte
Politische Philosophie Sozialphilosophie zeitgenössische Philosophie Existenzphilosophische Ethik
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 266 S.

Biographische Angaben

Paul R. Tarmann (Autor:in)

Paul R. Tarmann, DDr. phil. MMMag., Promotionen in Philosophie und romanistischer Sprachwissenschaft; tätig als Universitätslektor, Hochschuldozent und AHS-Professor, veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten und Ergebnisse geförderter Forschungsprojekte.

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