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Ererbte Waffen

Homerische Wörter aus dem Sachbereich ,Kampf und Krieg‘ in den "Argonautika" des Apollonios Rhodios

von Christina Serafimidis (Autor:in)
©2016 Dissertation 443 Seiten

Zusammenfassung

Die Autorin untersucht intertextuelle Anspielungen auf die Epen Homers in den Argonautika des hellenistischen Dichters Apollonios Rhodios: Der Sachbereich ‚Kampf und Krieg‘ ist für Homer vor allem innerhalb der Ilias typisch und stellt ein wesentliches Kriterium für die Charakterisierung der Heldenfiguren dar. Die Argonautika enthalten kaum Schlachtszenen, adaptieren aber homerisches Vokabular aus dem kriegerischen Kontext in großem Umfang. Die Autorin analysiert anhand vergleichender Wortuntersuchungen Apollonios’ Imitations- und Variationstechnik für diesen Bereich. Sie zeigt im Detail, wie das Vokabular aus konventioneller Verwendung gelöst und in neue Kontexte sowie auf andere narrative Ebenen verschoben wird, und interpretiert die Ergebnisse im Hinblick auf das Heldenbild der Argonautika.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • I. Einleitung
  • a. Die homerischen Epen und die Argonautika des Apollonios Rhodios
  • b. Das Heldentum in der epischen Tradition
  • c. Zielsetzung der Arbeit
  • d. Wortfelduntersuchungen zu Homer und Apollonios in der Forschung
  • e. Kriterien für die Auswahl des Vokabulars
  • f. Überblick über die Wortgruppen
  • g. Methode der Untersuchung
  • II. Wortuntersuchungen
  • 1. Kampf, Schlacht, kämpfen
  • a. π(τ)όλεμος
  • b. Ἄρης / ἄρης
  • b1. Ἄρης als Person
  • b2. Ἄρης und Ἀρήιος in Eigennamen
  • b3. Ἄρης in Personenbeschreibungen
  • b4. ἄρης als Metonymie
  • b5. Zusammenfassung
  • c. δηϊοτής
  • d. δαΐς
  • e. σταδίη
  • f. ὑσμίνη
  • g. π(τ)ολεμίζω
  • h. μάρναμαι
  • i. δηριάομαι
  • j. πολεμήϊος
  • k. ἀρήϊος
  • l. Gesamtüberblick ,Kampf, Schlacht, kämpfen‘
  • 2. Heer, Krieger / Soldat, Schlachtreihe
  • a. Heer (στρατός)
  • b. Krieger / Soldat
  • b1. πρόμος
  • b2. πεζός und ἱππεύς
  • c. Schlachtreihe (φάλαγξ)
  • 3. Feind
  • a. δήϊος
  • b. δυσμενής
  • 4. Kriegsgetümmel
  • a. κυδοιμός
  • b. μῶλος
  • c. ὅμαδος
  • d. ὅμιλος
  • e. κλονέω
  • f. Gesamtüberblick ‚Kriegsgetümmel‘
  • 5. Bewaffnung und Rüstung (τεύχεα und ἔντεα)
  • a. τεύχεα und ἔντεα bei der Seefahrt
  • b. τεύχεα und ἔντεα bei der Bewaffnung
  • c. τεύχεα bei der Waffenprobe
  • 6. Waffen
  • a. Panzer
  • b. Helme
  • c. Schilde
  • d. Lanzen / Speere
  • e. Schwerter
  • f. Bogen und Pfeile
  • g. βέλος
  • h. Gesamtüberblick ‚Waffen‘
  • 7. rüsten
  • a. θωρήσσω
  • b. κορύσσω
  • 8. angreifen
  • a. ἀΐσσω
  • b. ἐπαΐσσω
  • c. ἐνθορεῖν
  • d. ἐπιδραμεῖν
  • e. ἐπισσεύομαι
  • f. ἐπορούω
  • g. θύνω
  • h. ἰθύω
  • i. ὁρμάομαι
  • 9. Verwendung der Waffen: schießen, schlagen, treffen, verwunden
  • a. βάλλω
  • b. ὀϊστεύω
  • c. τύπτω
  • d. οὐτάω / οὐτάζω
  • e. ὠτειλή
  • f. ἕλκος
  • 10. töten, bezwingen
  • a. δαΐζω
  • b. δηϊόω
  • c. ἐναίρω
  • d. (ἐξ)εναρίζω
  • e. θείνω / (κατα)πεφνεῖν
  • f. βιάω / βιάζω
  • g. δάμνημι / δαμνάω / δαμάζω
  • 11. im Kampf fallen
  • a. δουπέω
  • b. πίπτω
  • 12. abwehren, verteidigen
  • a. ἀμύνω
  • b. ἀλέξω
  • 13. Gesamtüberblick über das Vokabular der Gruppen 8–12.
  • 14. fliehen, Flucht
  • a. φέβομαι
  • b. φεύγω
  • c. φοβέω
  • d. τρέω
  • e. ἀλέομαι / ἀλεύομαι
  • f. (ἀνα)χάζομαι
  • g. ἀλεωρή
  • h. φόβος
  • i. φύγαδε
  • j. φύζα
  • k. Gesamtüberblick ‚fliehen‚ Flucht‘
  • 15. Kriegsgeschrei und Kriegslärm
  • a. ἀυτή
  • b. βοή
  • c. ἀλαλητός
  • d. ἐνοπή
  • e. κέλαδος
  • f. κλαγγή
  • g. ὀρυμαγδός
  • h. δοῦπος
  • i. ῥοῖζος
  • j. αὔω
  • k. βοάω
  • l. ἰάχω
  • m. ἀραβέω
  • n. βραχεῖν
  • o. Die Abfahrt der Argo
  • p. Die Hylas-Suche
  • q. Die Harpyien
  • r. Die Symplegaden-Episode
  • s. Die Ares-Vögel-Episode
  • t. Medeas Aristie
  • u. Gesamtüberblick ‚Kriegsgeschrei und Kriegslärm‘
  • 16. Kampfkraft
  • a. ἀλκή
  • b. βίη
  • c. κράτος / κάρτος
  • d. μένος
  • e. σθένος
  • f. Gesamtüberblick ‚Kampfkraft‘
  • 17. Mut und Tapferkeit
  • a. ἠνορέη
  • b. θάρσος
  • c. Gesamtüberblick ‚Mut und Tapferkeit‘, (‚Kampfkraft‘)
  • 18. mutig, tapfer
  • a. ἀρηΐθοος
  • b. δαΐφρων
  • c. θρασύς
  • d. θαρσαλέος
  • e. ἴφθιμος
  • f. κρατερός / καρτερός
  • g. φιλοπτόλεμος
  • h. Gesamtüberblick ‚mutig, tapfer‘
  • III. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
  • 1. Sprachliche Beobachtungen
  • a. Wortbedeutungen
  • b. Wortwahl und Ausdrucksweise
  • 2. Homerisches Kriegsvokabular im Kontext der Argonautika
  • 3. Deutung und Ausblick
  • a. Heldencharakteristika und Katalog
  • b. Hypothesen und Reden
  • c. Schlachtbeschreibungen
  • d. Nicht-kriegerische Szenen
  • IV. Anhänge
  • Appendix 1: Orpheus’ Aristie
  • Appendix 2: Verwendung homerischer Vorbilder
  • Literaturverzeichnis
  • Stellenverzeichnis
  • Wörterverzeichnis

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2011/12 vom Fachbereich Sprach- und Kulturwissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde sie überarbeitet.

An erster Stelle danke ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Hans Bernsdorff, der die Arbeit angeregt, in jeder Phase begleitet und stets mit Interesse und Rat unterstützt und gefördert hat. Viele seiner Hinweise habe ich ohne weitere Kennzeichnung in die Arbeit aufgenommen.

Weiterhin gilt mein Dank Prof. Dr. Thomas Paulsen für die Übernahme des Zweitgutachtens und hilfreiche Anmerkungen.

Für weiterführende Gespräche sowie wertvolle und kritische Diskussionsbeiträge danke ich Prof. Dr. Jula Wildberger, Dr. Timo Christian und den Teilnehmern der öffentlichen und privaten Frankfurter Doktorandenkolloquien. Bei Dr. Heike Bottler bedanke ich mich für formale Anregungen und das Korrekturlesen einzelner Kapitel.

Schließlich danke ich Prof. Dr. Michael von Albrecht für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der „Studien zur Klassischen Philologie“.

Gewidmet ist dieses Buch meinen Kindern Eleni und Sophia.

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I. Einleitung

a. Die homerischen Epen und die Argonautika des Apollonios Rhodios

Nach den Epen Homers sind die Argonautika des Apollonios von Rhodos (ca. 250 v. Chr.) das einzige vollständig erhaltene griechische Epos der vorchristlichen Antike.1 Schon immer wurden die Argonautika mit ihren großen Vorgängern Ilias und Odyssee verglichen und an ihnen gemessen. Dies lag gewiss auch in der Intention des Dichters.2

Die beiden homerischen Epen unterscheiden sich zwar in der Thematik - die Ilias erzählt aus dem Krieg der Achaier gegen Troja, in der Odyssee dagegen werden die Irrfahrt und die Abenteuer des Odysseus geschildert -, doch ist das Geschehen der Ilias auch in der Odyssee stets präsent, da Troja der Ausgangspunkt der Irrfahrt ist und in der Handlung der Odyssee immer wieder rezipiert wird: im Gesang des Demodokos, in den Erzählungen des Nestor, des Menelaos und des Odysseus selbst sowie auch in den Reden der Seelen verstorbener Helden des trojanischen Krieges.

Vor der Folie dieser beiden archaischen Epen verfasst Apollonios in hellenistischer Zeit ein Epos über den Argonautenzug, das in mehreren Aspekten dem jüngeren homerischen Epos näher steht: Ebenso wie in der Odyssee ist auch in den Argonautika nicht der Krieg zentrales Thema, sondern eine Seereise, während der und an deren Ziel zahlreiche Abenteuer zu bestehen sind. Trotzdem wird wie in der Odyssee durchaus auch gekämpft. Aber Krieg und Kampf sind von sekundärer Bedeutung gegenüber dem Hauptthema, der Expedition nach Kolchis mit dem Ziel, das Goldene Vlies zu holen.

Allerdings begegnen typische Elemente des homerischen Epos, die vor allem in der Ilias zu finden sind, auch in den Argonautika. Dazu gehören Götterapparat, Katalog, Gleichnis, Ekphrasis, typische Szenen, z.B. Rüstung und Schlachtbeschreibung.3 Ebenso kehren zahlreiche Motive und Formulierungen aus Ilias und Odyssee in den ← 13 | 14 → Argonautika wieder.4 Doch darf man Apollonios nicht etwa als reinen Imitator sehen. Denn immer lässt er seine eigene Kreativität durch Variation und Modifikation des von Homer Adaptierten mit einfließen. Worin aber bestehen diese Variationen? Und inwiefern nimmt auch die Kenntnis sowohl nachhomerischer als auch zeitgenössischer hellenistischer Literatur Einfluss?

Bezüglich dieser Frage wurden in der Forschung vor allem die Charakterzeichnungen der apollonianischen Helden, besonders der Person Jasons, beobachtet und interpretiert.5 Sind Jason und die Argonauten den homerischen Helden ähnlich oder was unterscheidet sie von ihnen? In diesem Punkt reichen die Deutungen von (a) der Auffassung eines traditionell epischen Heldenbildes in den Argonautika über (b) die These eines andersartigen, d.h. neuen, modernen Heldentums bis zur (c) Konstatierung eines defizitären oder negativen Heldenbildes, das dasjenige der homerischen Epen ironisch destruiert. Die meisten Interpretationen beziehen sich dabei auf die Figur des Protagonisten Jason, die in den Argonautika im Vordergrund steht und sehr ambivalent und widersprüchlich konzipiert zu sein scheint.

Pietsch versucht nachzuweisen, dass Jasons Persönlichkeit dem traditionellen epischen Heldenbild entspreche, unter anderem, indem er Parallelen zwischen der Figur Jasons und der des Odysseus in der Odyssee aufzeigt.6 Ein verändertes, modernes Heldentum erkennt vor allem Fränkel, gefolgt von Clauss.7 Effe versteht das Heldenbild der Argonautika als „unheroisch“ und „modern-zeitgenössisch“.8 In eine etwas andere Richtung zielt Beyes Interpretation der Figur Jasons als „Love-hero“, dessen Stärke in seiner erotischen Anziehungskraft liege.9 Gänzlich abgesprochen wird Jason heroischer Charakter z.B. von Carspecken und Schwinge, die ihn als passiven, von der Droge abhängigen Helden verstehen, sowie von Lawall, der ihn als ← 14 | 15 → „Anti-hero“ bezeichnet.10 Doch gibt es bei den beiden Letztgenannten den Ansatz, das Heldentum der Argonautika als ‚kollektiv‘ und ‚demokratisch‘ zu interpretieren.11

Nicht zu vergessen sind aber auch die zahlreichen Untersuchungen, die über die Figur Medeas und die detaillierte Ausgestaltung des Liebesthemas in den Argonautika angestellt wurden. So vertritt z.B. Natzel die These eines weiblichen Heldentums in den Argonautika.12

Alle diese Interpretationen zeigen die Kontroverse, die sich um das Verständnis des Heldesbildes in den Argonautika des Apollonios Rhodios entwickelt hat. Zur Klärung dieser Kontroverse möchte die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten, indem sie sich von sprachlicher Seite der Fragestellung nach der Position altepischer heroischer Wertvorstellungen in den Argonautika nähert und prüft, ob im semantischen Detail der Argonautika Belege für eine Destruktion des in den homerischen Epen dargestellten Heldenbildes zu finden sind.

b. Das Heldentum in der epischen Tradition

Das Heldentum bei Homer gründet sich auf die Leistung, die der Krieger im Kampf erbringt. Nestor ermahnt im ersten Buch der Ilias Agamemnon und Achill anlässlich ihres Streites, dass es nötig sei, einem Heldenideal zu entsprechen, das in einer früheren Generation, der er selbst angehört, geprägt und erfüllt wurde:

κάρτιστοι μν σαν κα καρτίστοις μάχοντο,

[…]

κα μαχόμην κατ’ μ’ ατν γώ∙ κείνοισι δ’ ν ο τις

τν ο νν βροτοί εσιν πιχθόνιοι μαχέοιτο. (Α 267, 271–72) ← 15 | 16 →

Auch in der Ilias werden stärkere und schwächere Charaktere dargestellt. Doch gelten diejenigen als die größten Helden, die sich am meisten im Kampf hervortun.13

In der Odyssee ist dieser Grundsatz zwar - wie der Krieg selbst - in den Hintergrund getreten, aber immer noch präsent. Auch Odysseus ist ein großer Krieger, hat im trojanischen Krieg gekämpft und ist immer noch voller Kampfkraft, wie er selbst betont:

ε δ’ α κα πόλεμόν ποθεν ρμήσειε Κρονίων

σήμερον, ατρ μο σάκος εη κα δύο δορε

κα κυνέη πάγχαλκος π κροτάφοισ’ ραρυα,

τ κέ μ’ δοις πρώτοισιν ν προμάχοισι μιγέντα, (σ 376–79)

Dass dies nicht nur leere Prahlerei ist, beweist Odysseus dann später in der Auseinandersetzung mit den Freiern.

Der Erwerb von Ruhm (κλέος) basiert in der Ilias auf der Stärke und dem Sieg im Kampf,14 was z.B. in den Worten Achills zum Ausdruck kommt:

ε μέν κ’ αθι μένων Τρώων πόλιν μφιμάχωμαι,

λετο μέν μοι νόστος, τρ κλέος φθιτον σται· (Ι 412–13)

Auch in der Odyssee ist diese Grundeinstellung noch erkennbar,15 z.B. in den Worten des Telemachos zu Odysseus:

πάτερ, τοι σεο μέγα κλέος αἰὲν κουον,

χεράς τ’ αχμητν μεναι καὶ ἐπίφρονα βουλήν (π 241–42) ← 16 | 17 →

So besingt Demodokos in der Odyssee - wie auch Achill in der Ilias (I 198) - mit seinem Gesang über die κλέα νδρν (θ 73) die Kriegshelden der Ilias. In Anlehnung daran kündigt auch Apollonios zu Beginn seines Epos an, über die παλαιγενέων κλέα φωτν (1, 1) berichten zu wollen. So entsteht der Eindruck, dass er sein Werk im Stil des traditionellen Heroenepos zu konzipieren beabsichtigt.16 Demnach wäre auch zu erwarten, dass die Kriegssphäre bei Apollonios eine ebenso tragende Rolle spielt wie bei Homer, zumal es sich in der epischen Tradition auch noch in der Zeit nach Apollonios weiterhin so verhält: Alexander der Große und die Diadochen ließen ihre kriegerischen Ruhmestaten von Dichtern in Epen besingen.17 Zudem entstanden mythologische Epen mit heroischen Themen,18 aber auch historische Epen kriegerischen Inhalts: So weiß man z.B. von Pausanias, dass in den Messeniaka des Rhianos von Kreta der Held Aristomenes „keine geringere Rolle spielt als Achill in der Ilias“.19 Aus dem 1. Jh. v. Chr. sind schließlich historische Epen über die von Kriegen und Kämpfen geprägte römische Geschichte bekannt.20 In der römischen Literatur selbst entwickelte sich mit Ilias und Odyssee als Vorbildern eine ← 17 | 18 → Ependichtung, die das Nationalbewusstsein der Römer zum Ausdruck brachte und der Selbstdarstellung diente. Neben mythologischen Themen wie in Vergils Aeneis, Ovids Metamorphosen, den Argonautica des Valerius Flaccus und der Thebais des Statius entstanden daher auch zeitgeschichtliche Epen wie das bellum Poenicum des Naevius, die Annalen des Ennius, das bellum civile des Lucan, die Punica des Silius Italicus. Kriegsmotiv und kriegerisches Heldentum standen hier im Vordergrund. Die Argonautica des Valerius Flaccus weisen daher im Vergleich zum Epos des Apollonios wesentlich zahlreichere und ausgedehntere Kampfszenen auf.21

c. Zielsetzung der Arbeit

Die vorliegende Untersuchung soll Aufschluss darüber geben, welche Rolle der Sachbereich ‚Kampf und Krieg‘, der im homerischen Epos ein wesentliches Kriterium für die Charakterisierung der Heldenfiguren ist, in den Argonautika spielt. Hat sich die Einstellung zu Krieg und Kampf gegenüber dem Alten Epos verändert, wie sich bereits durch die Themenwahl und geringe Zahl kriegerischer Szenen vermuten lässt? Wie bringt Apollonios eine möglicherweise neue Perspektive zum Ausdruck? Was bedeutet eine gegenüber Homer veränderte Haltung bezüglich des Heldenbildes, das in den Argonautika gezeichnet wird? An diese Fragestellungen soll nun nicht in erster Linie durch Interpretationen längerer Passagen, sondern auf der Grundlage vergleichender Wortuntersuchungen herangegangen werden.

Da Krieg und Kampf in der Ilias den Schwerpunkt bilden, findet sich Vokabular aus diesem Sachbereich dort in großer Menge. In der Odyssee kommt dieses Vokabular zwar themenbedingt wesentlich seltener vor, trägt aber überwiegend dieselbe Bedeutung wie im älteren Epos.22 In welchem Umfang und in welcher Weise Apollonios homerisches Kriegsvokabular in den Argonautika einsetzt, homerische Ausdrucksweise adaptiert oder Wörter und Phrasen in Anlehnung daran in neuer Bedeutung und innerhalb neuer Kontexte verwendet, soll in dieser Untersuchung geprüft und interpretiert werden.23 ← 18 | 19 →

d. Wortfelduntersuchungen zu Homer und Apollonios in der Forschung

Die Beschäftigung mit Wortfeldern begann in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Der Terminus ‚Wortfeld‘ wurde 1931 von Jost Trier geprägt zur Bezeichnung einer strukturierten, einen Sachbereich abdeckenden Menge von begriffsverwandten Wörtern, die sich in ihrem Wortinhalt gegenseitig beeinflussen und begrenzen.24 Präzisiert wurde die Wortfeldtheorie in den 60er Jahren unter anderen von Coseriu mittels einer Komponentenanalyse, durch die Gesamtbedeutungen in kleinste Bedeutungselemente zerlegt und so die semantisch ähnlichen Wörter voneinander abgegrenzt werden.25 In der Homerforschung haben Untersuchungen zu Wortfeldern seit Mitte des letzten Jahrhunderts Tradition. Untersuchungen dieser Art führte z.B. Bruno Snell zu den Begriffen ‚Körper‘, ‚Geist‘ sowie dem Verb ‚sehen‘ in ihrem Gebrauch bei Homer durch. Hermann Fränkel beobachtete die Entwicklung des Wortfeldes ‚Zeit‘ von Homer bis in die klassische Epoche.26 Im Zusammenhang mit der Untersuchung zum Kriegsvokabular sei die Monographie von Trümpy (1950) über kriegerische Fachausdrücke bei Homer hervorgehoben, die sich, so Trümpy, „für eine solche Untersuchung besonders eignen, stehen sie doch im Zentrum der Ilias“.27 Auch vergleichende Untersuchungen zwischen der ← 19 | 20 → Sprache Homers und des Apollonios Rhodios in Bezug auf ausgewählte Sachbereiche wurden angestellt: Mawet hat ihre Untersuchungen zum Wortfeld ‚Schmerz, Trauer‘ bei Homer um einen Vergleich mit der Verwendung dieses Vokabulars bei Apollonios erweitert und zum Teil wesentliche Bedeutungsabschwächungen erkannt.28 Manakidou stellte in einer vergleichenden Analyse fest, dass der Gebrauch der Begriffe χόλος, μνις und νεκος bei Apollonios „im wesentlichen keine dramatische Funktion“ wie beispielweise der Zorn Achills in der Ilias erfülle, sondern nur dazu diene „auf ihre Verwendung in den homerischen Epen aufmerksam zu machen“ und die mit den Begriffen verhafteten altepischen Werte „in die hellenistische Welt einzuführen“.29 Innerhalb einer Interpretation des Heldenbildes in den Argonautika und der Figuren Jasons und Aietes’ hat Thiel eine - allerdings sehr kurz gefasste - Wortanalyse der Heldenbezeichnung ρως vorgenommen und eine Bedeutungsabschwächung, verbunden mit einer ironischen Nuance, attestiert.30 Ein ähnliches Ergebnis lieferte Thiels kurze Untersuchung des Epithetons ρήϊος.31 Eine vergleichende Untersuchung des gesamten kriegerischen Vokabulars bei Apollonios im Vergleich zu Homer liegt jedoch bisher nicht vor. ← 20 | 21 →

e. Kriterien für die Auswahl des Vokabulars

Kriegerisches Vokabular ist bei Homer nicht nur in großer Menge vorhanden, sondern auch semantisch sehr komplex. Viele Wörter werden in mehr als nur einer Bedeutung verwendet und gehören daher auch mehreren Wortfeldern an. So kann z.B. das Wort κράτος in der Ilias sowohl ‚Körperkraft, Stärke‘ als auch ‚Übermacht im Kampf‘ oder sogar ‚Sieg‘ heißen. In der Odyssee ist zudem die Entwicklung zur Bedeutung ‚Macht, Autorität‘ erkennbar, die sich in nachhomerischer Zeit etabliert.

An letzterem Phänomen zeigt sich, dass die Wörter einer semantischen Entwicklung unterworfen sind, die dazu führt, dass sie im Laufe der Zeit in ein anderes Wortfeld übergreifen oder gar übertreten. Dies zeigt sich ansatzweise bereits in der Odyssee, häufiger jedoch sind solche entwicklungsbedingten semantischen Diskrepanzen zwischen dem Alten Epos und der nachhomerischen Literatur zu beobachten. Besonders deutlich wird das z.B. bei den homerischen Wörtern des Fliehens und der Flucht φοβέομαι und φόβος, die in der nachhomerischen Literatur mit der Bedeutung ‚fürchten‘ und ‚Furcht‘ zu finden sind.

Bei vielen homerischen Wörtern des Sachbereichs ,Kampf und Krieg‘ entsteht die Bedeutungskomponente, die ein Wort zu einer Kriegsvokabel werden lässt, erst durch den Kontext, in dem es regelmäßig steht. Dies ist z.B. bei den Schallwörtern der Fall, die erst dadurch, dass sie vor allem im kriegerischen Kontext verwendet werden, die Bedeutung ‚Kriegsgeschrei, Kriegslärm‘ erhalten. Ähnlich verhält es sich mit den Begriffen für ‚Kampfkraft‘. In den Wortfeldern ‚Lärm‘ und ‚Kraft‘ finden sich dann aber jeweils nur Teilmengen an Wörtern, für die diese Spezifizierung gilt und die daher dem Sachbereich ,Kampf und Krieg‘ zuzuordnen sind.

Das Wortfeld eines Begriffs aus der Kriegssphäre enthält demnach zum einen Wörter, die die kriegerische Bedeutungskomponente an nahezu allen homerischen Belegstellen aufweisen, sowie auch andere, bei denen dies nur selten der Fall ist: Zum Wortfeld ‚Kampf‘ gehören dann beispielsweise Wörter wie πόλεμος, ρης, δηϊοτής, deren Bedeutung und Kontext ausschließlich kriegerisch sind, aber auch Begriffe wie ρις und νεκος, die zwar bisweilen eine kriegerische Auseinandersetzung bezeichnen, aber insgesamt ein komplexeres semantisches Spektrum aufweisen und auch sehr oft in der Bedeutung ‚Streit, Zank‘ im nicht-kriegerischen Kontext zu finden sind.

Die vorliegende Untersuchung des Vokabulars aus dem Sachbereich ,Kampf und Krieg‘ bewegt sich daher nicht auf der Grundlage von Wortfeldern an sich, sondern auf der Teilmenge des jeweiligen Wortfelds, die sich aus den Wörtern zusammensetzt, bei denen die kriegerische Bedeutungskomponente im Vordergrund steht, d.h. an den meisten homerischen Belegstellen vorhanden ist. Diese Teilmenge wird in der vorliegenden Untersuchung als ‚Wortgruppe‘ bezeichnet, da es sich nicht mehr um das gesamte Wortfeld handelt.

Grundsätzliches Kriterium für die Auswahl zur Untersuchung ist die entweder exklusive oder überwiegend kriegerische Verwendung eines Wortes bei Homer: Es werden nur Wörter in die Untersuchung einbezogen, die an mindestens der Hälfte aller homerischen Belegstellen in kriegerischer Bedeutung oder kriegerischem ← 21 | 22 → Kontext stehen. Wörter, die zwar demselben Wortfeld angehören, dieses Kriterium jedoch nicht erfüllen, werden nicht untersucht.

So wird im Bereich ‚Waffen‘ nach kriegerischer Verwendung selektiert, d.h. Waffen, die hauptsächlich zu anderen Zwecken, wie z.B. Jagd oder Sport gebraucht werden (z.B. αγανέη) oder waffenähnliche Gegenstände, die nicht typischerweise als Kriegswaffe eingesetzt werden (z.B. Axt, Keule), werden außer Acht gelassen. Der in der Ilias gängigste Begriff für den Speer, δόρυ, ist sowohl bei Homer als auch bisweilen in der nachhomerischen Literatur in seiner Grundbedeutung ‚Holzbalken‘ belegt.32 In der Untersuchung werden nur die Belegstellen in den Argonautika untersucht, an denen die Waffe bezeichnet wird. Ebenso verhält es sich mit dem Verb βάλλω, das bei Homer meistens in der kriegerischen Sphäre mit der Bedeutung ‚schießen, werfen, treffen‘ verwendet wird, aber auch in anderen Bereichen zu finden ist. Da das Verb im kriegerischen Zusammenhang syntaktisch anders konstruiert wird als im nicht-kriegerischen, werden auch von den Apolloniosstellen nur diejenigen betrachtet, die dem kriegerischen Gebrauch entsprechen. Das Verb πίπτω, das in seiner Grundbedeutung ‚fallen‘ auch in unterschiedlichen Kontexten begegnet, steht bei Homer, wenn es für das ‚Fallen im Kampf‘ verwendet wird, meistens in festen Phrasen. Hier werden die Belege in den Argonautika geprüft, an denen auch Apollonios das Verb in solchen Wendungen gebraucht. Diese semantischen, morphologischen oder syntaktischen Eigenarten, die die Möglichkeit einer Selektion und Abgrenzung der kriegerischen Verwendung von den anderen Bereichen bieten, sollen daher als weiteres Kriterium für die Auswahl der zu untersuchenden Wörter dienen.

f. Überblick über die Wortgruppen

Die Untersuchung umfasst in erster Linie Wörter, die direkt aufgrund ihrer Kernbedeutung dem Sachbereich ,Krieg und Kampf‘ zuzuordnen sind wie ‚Kampf‘, ‚Schlacht‘, ‚kämpfen‘, ‚Heer‘, ‚Krieger‘, ‚Soldat‘ sowie Bezeichnungen für Waffen und Verben des Verwundens und Tötens.

Vervollständigt wird die Untersuchung durch die Betrachtung von Wortgruppen, die indirekt zum kriegerischen Sachbereich zählen. Diese Wörter haben eine neutrale Grundbedeutung, werden aber ausschließlich oder überwiegend im kriegerischen Kontext verwendet und zählen deshalb zum homerischen Kriegsvokabular. So dienen z.B. die meisten Schallwörter bei Homer dazu, Kriegslärm zu beschreiben, Wörter mit der Grundbedeutung ‚Kraft‘ werden meistens als ‚Kampfkraft‘ eingesetzt. Eine ursprünglich unkriegerische Grundbedeutung haben auch die Wörter der Gruppe ‚Kriegsgetümmel‘, die entweder eine Menschenansammlung, Tumult oder Lärm bezeichnen und bei Homer im kriegerischen Kontext eingesetzt werden. Für das Angreifen werden in den homerischen Epen meist Verben, die ursprünglich ← 22 | 23 → nur eine schnelle Vorwärtsbewegung beschreiben, verwendet. Insgesamt umfasst die Untersuchung folgende Wortgruppen:

Kampf, Schlacht, kämpfen

Kampf, Schlacht: π(τ)όλεμος, ρης/ρης, δηϊοτής, δαΐς, σταδίη, σμίνη

kämpfen: π(τ)ολεμίζω, μάρναμαι, δηριάομαι

kriegerisch: πολεμήϊος, ρήϊος

Heer, Krieger / Soldat, Schlachtreihe

στρατός, πρόμος, πεζός, ππεύς, φάλαγξ

Feind

δήϊος, δυσμενής

Kriegsgetümmel

κυδοιμός, μλος, μαδος, μιλος, κλονέω

Waffen

a) Bewaffnung/Rüstung: τεύχεα, ντεα

b) Panzer: θώρηξ

c) Helme: κόρυς, κυνέη, πήληξ, τρυφάλεια

d) Schilde: σπίς, σάκος

e) Lanzen/Speere: δόρυ, γχος, κων, μελίη, γχείη, ξυστόν

f) Schwerter: ξίφος, φάσγανον

g) Bogen und Pfeil: τόξον, βιός, ἰός, ὀϊστός

h) Geschoss: βέλος

zum Kampf rüsten

θωρήσσω, κορύσσω

angreifen

παΐσσω, νθορεν, πιδραμεν, πισσεύομαι, πορούω, θύνω, θύω, ρμάομαι

Verwendung der Waffen: schießen, schlagen, treffen, verwunden

βάλλω, ὀϊστεύω, τύπτω, οτάω/οτάζω

Wunde, Verwundung

τειλή, ἕλκος

im Kampf töten (bezwingen)

δαΐζω, δηϊόω, ναίρω, (ξ)εναρίζω, (κατα)πεφνεν, δάμνημι/δαμνάω/δαμάζω

im Kampf getötet werden, fallen

δουπέω, πίπτω

abwehren, verteidigen

μύνω, λέξω ← 23 | 24 →

fliehen, Flucht

φεύγω, φέβομαι, φοβέω, φοβέομαι, τρέω, λέομαι/λεύομαι, (να)χάζομαι,

Details

Seiten
443
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653060737
ISBN (ePUB)
9783653956405
ISBN (MOBI)
9783653956399
ISBN (Paperback)
9783631668436
DOI
10.3726/978-3-653-06073-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
Intertextualität Wortuntersuchung Argonautenfahrt Heldenbild
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 443 S.

Biographische Angaben

Christina Serafimidis (Autor:in)

Christina Serafimidis hat in Frankfurt am Main Klassische Philologie studiert und wurde an der Johann Wolfgang Goethe-Universität promoviert.

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Titel: Ererbte Waffen
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446 Seiten