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Von Herder zu Duhm

Psalmenforschung im 19. Jahrhundert – Studien zur Forschungsgeschichte der Weisheitspsalmen

von Karl-Heinz Bassy (Autor:in)
©2015 Monographie 523 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch präsentiert die Erforschung der Weisheitspsalmen 1; 37 und 73 von den Anfängen der kritischen Bibelwissenschaft bis zum Beginn der gattungsorientierten Exegese. Es beginnt bei Robert Lowth und endet bei Bernhard Duhm. Einen besonderen Schwerpunkt stellt dabei die Arbeit Wilhelm Martin Leberecht de Wettes dar, in der die vorangehenden Werke kritisch gebündelt und zugleich wegweisend weitergeführt werden. Dabei erweisen sich die behandelten Psalmen als frühe Grundlagentexte der späteren existentialen Bibelinterpretation. Darüber hinaus stellt der Autor die Entwicklung der historisch-kritischen Psalmenexegese ebenso exemplarisch vor wie die textbegründete methodenimmanente Problematik der Gattungskritik.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einleitung
  • 2. Wilhelm Martin Leberecht de Wette als Begründer einer rational – ästhetischen Psalmenexegese
  • 2.1. Die Ansätze von Robert Lowth und Johann Andreas Cramer
  • 2.2. Die kritische Weiterentwickung der bisherigen Arbeiten durch Johann Gottfried Herders „historisch – ästhetische“ Schriftauslegung
  • 2.3. Johann Gottfried Eichhorns „grammatisch – historisch – kritisches“ Anliegen
  • 2.4. Ernst Friedrich Carl Rosenmüller – ein Grenzgänger
  • 2.5. Der Übergang: Johann Christian Wilhelm Augusti
  • 2.6. Wilhelm Martin Leberecht de Wettes Arbeiten über die Psalmen
  • Exkurs: „Ueber die erbauliche Erklärung der Psalmen.“
  • 3. Der Scheitelpunkt: Zusammenfassung und Ertrag
  • 4. Die sogenannte „positive Kritik“
  • 4.1. Ferdinand Hitzig und Heinrich Ewald
  • 5. Die historisch – kritische Methode: Hermann Hupfeld
  • 6. Die „konservative Richtung“ der Psalmenexegese
  • 6.1. Ernst Wilhelm Hengstenberg
  • 6.3. Franz Delitzsch
  • 7. Jahrhundertwende: Bernhard Duhm
  • 8. Zusammenfassung und Ertrag der Arbeit
  • Anhang
  • 1. Übersetzung von Johann Andreas Cramer Poetische Uebersetzung der Psalmen mit Abhandlungen über dieselben, Erster Theil, 2. Auflage, Leipzig 1763
  • 2. Übersetzung von Psalm 73 von Johann Gottfried Herder, Vom Geist der Ebräischen Poesie, Suphan – Ausgabe XII., S. 236–238.
  • 3. Wilhelm Martin Leberecht de Wette, Commentar über die Psalmen, 4. Auflage, 1836, Übersetzung der Psalmen 1; 37; 73
  • 4. Wilhelm Martin Leberecht de Wette, Die Psalmen. Metrisch übersetzt. Heidelberg 1819
  • 5. Ferdinand Hitzig, Die Psalmen I, 1835, Übersetzung der Psalmen 1; 37; 73
  • 6. Übersetzung von Heinrich Ewald. Die Dichter des Alten Bundes. Ersten theiles, zweite hälfte. 3. Ausgabe, Göttingen 1866
  • 7. Übersetzung von Ernst Wilhelm Hengstenberg, Commentar, 1842 ff.
  • 8. Übersetzung von Franz Delitzsch, Die Psalmen, 5. Auflage
  • 9. Übersetzung von Bernhard Duhm, Die Psalmen, 2. Aufl., 1922
  • Literaturverzeichnis

1 .Einleitung

Die vorliegende im ersten Teil meine überarbeitete Dissertation wiedergebende und diese in einem zweiten Abschnitt weiterführende Arbeit stellt wesentliche Grundlagen und Aspekte der Psalmenauslegung des 19. Jahrhunderts dar und weist auf deren Bedeutung für die moderne Exegese hin. Dies geschieht in exem­plarischer Weise und beschränkt sich auf die von weisheitlichem Denken geprägten Psalmen 1; 37 und 73.1

Diese Auswahl ist erklärungsbedürftig, da sich auch in vielen weiteren Psalmen das sapientielle Denken der jeweiligen Verfasser und Bearbeiter aufweisen läßt.2 ← 9 | 10 →

Der in der hebräischen Bibel überschriftlose Ps. 1 nimmt als erster Text des Psalters seit jeher in der Psalmenexegese eine Sonderstellung ein. Sein typisierendes Denken erweist ihn ebenso wie seine Sprache als einen weisheitlichen Text.3 Stellung, Form und Inhalt lassen ihn besonders geeignet sein, die Entwicklung der Psalmenauslegung aufzuzeigen. Der inhaltlich die „klassische Weisheitslehre“ vertretende Psalm 374 verdient auch wegen seiner alphabetischen Form ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit. Schließlich gilt Ps. 73 als Vertreter jener Texte, welche die Krise weisheitlichen Denkens bezeugen und zu bewältigen versuchen.5

Der aufmerksame Leser wird bemerken, daß die genannten Psalmen besonders bei den in dieser Arbeit aufgeführten frühen Forschern keine besondere Beachtung gefunden haben. Der Grund für ihre Berücksichtigung liegt in der grundlegenden Bedeutung dieser Autoren für den Verfasser des ersten wirklich kritisch zu nennenden Kommentars, Wilhelm Martin Leberecht de Wette. Dessen Werk stellt einen Meilenstein der Psalmenexegese dar, was durch die hier aufgezeigte Entwicklung hin zu ihm und die anschließende Vorstellung zeitlich paralleler und nachfolgender Kommentare bis zu dem in Datierungsfragen exponierten unmittelbaren Vorgänger von Hermann Gunkels opus magnum nur bestätigt werden wird.

Die vorliegende Arbeit stellt demnach in kritischer Würdigung die geistigen Voraussetzungen des de Wette’schen Werkes sowie dieses selber dar und untersucht die zeitgleichen und folgenden Kommentare bis zu dem von Bernhard Duhm am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert.

Seitdem Fritz Stolz in seiner Studie über die „Psalmen im nachkultischen Raum“6 die Arbeiten Hermann Gunkels kritisch aufgenommen und in selbst ← 10 | 11 → ständiger Weise weitergeführt hat, können neben den „geistlichen Liedern“ auch die Weisheitspsalmen insofern als Ausdruck einer „nachkultischen Frömmigkeit“ verstanden werden, als sie eine Verbindung zwischen sapientiellen und kultischen Denk- und Redeformen aufzeigen, damit die durch Erfahrungen bedingte Krise der Überzeugung einer immanenten distributiven göttlichen Gerechtigkeit zu überwinden suchen und mithin einen selbstvergewissernden und zugleich lehrhaften Charakter besitzen. Stolz bezeichnet zwar die Weisheitspsalmen als eine „Mischgattung“ im Gunkel’schen Sinn, verwendet jedoch selber den Begriff der „Vergewisserungspsalmen“.7 Der Grund dafür besteht in seiner Modifikation der klassischen Gattungskriterien, bei denen er von den Gunkel’schen Kriterien der Rede- und Ausdrucksweisen8 absieht und stattdessen von den Funktions- und Leistungszusammenhängen der Texte ausgeht.9

Christoph Levin hat in Aufnahme der Gedanken von Stolz in einem wegweisenden Aufsatz 1993 eindrücklich aufgezeigt, daß neben einzelnen Psalmen auch der Psalter selber einer torafrommen weisheitlichen Bearbeitung unterzogen worden war und als Erbauungslektüre frommer Kreise der Zeit des zweiten Tempels ← 11 | 12 → gedient habe.10 Erkennbar sei dies vor allem durch die häufige „in der Regel vorhandenen Psalmen nachträglich aufgesetzt[e]“ Thematisierung des Gegensatzes von Frommen und Gottlosen.11 Auch der später dem Psalter vorangestellte Ps. 1 enthalte diese Thematik und gebe damit dem gesamten Buch das Leitthema vor.12 Darüber hinaus trete dieser Gegensatz besonders in den wegen ihrer gebundenen Form „erweiterungsresistenten“ Akrosticha Ps. 9–10; 25; 34; 37; 111; 112; 119 und 145 auf, woraus man schließen könne, daß diese Psalmen in zeitlicher Nähe zu den sekundären Bearbeitungen des ganzen Buches abgefasst worden seien.

Infolgedessen spricht Levin dem Psalter eine Zuordnung zum Tempelkult ab und ordnet die Schriftzeugnisse sowohl frommen und schriftgelehrten Konventikeln als auch Einzelpersonen als Gegenstand des Studiums, der Belehrung und fernerhin der Selbstvergewisserung zu.13

Mag für einen Teilbereich der modernen Psalmenauslegung der Sinn der Gattungsforschung fraglich geworden sein14, so muß in diesem Zusammenhang mit Nachdruck auf die Anmerkung Erich Zengers hingewiesen werden, daß die nachkultischen Psalmen zwar von ihrem ursprünglichen Sitz im Leben abgerückt seien, zugleich aber von der Gebetsdynamik und Formensprache der ursprünglich im Kult entstandenen Gattungen inspiriert gewesen wären und diese ihrerseits kunstvoll variiert hätten, so daß man die Gattungsforschung keinesfalls ← 12 | 13 → aufgeben dürfe. Dabei sei (und diese Differenzierung zeichnet den Fortschritt der Psalmenexegese aus)15 stets zu berücksichtigen, daß „jeder Psalm seine spezifische Gestalt und seine individuelle ‚Biographie‘“ besitze, die es jeweils herauszuarbeiten gelte.16

Mit den bislang angeführten Forschungen der letzten Jahre wird im Grunde der bereits von Hermann Gunkel gegebene Hinweis aufgenommen und weitergeführt, daß die Geschichte der Psalmendichtung vor allem als eine der Ablösung ursprünglicher Kultgesänge durch persönliche „geistliche Lieder“ beschrieben werden könne.17 Dem entsprechen sowohl die Gleichsetzung dieser Texte mit den nachkultischen Psalmen durch Otto Kaiser18 als auch die Feststellung von Frank – Lothar Hossfeld und Erich Zenger, daß sich die überwiegende Mehrheit der biblischen Psalmen streng genommen keiner bisher üblichen Gattung zuordnen lasse.19

Diese grobe Skizze eines Teilbereiches der modernen Psalmenexegese verdeutlicht die besondere Bedeutung sowohl der kleinen Schrift von Fritz Stolz ← 13 | 14 → als auch die des Aufsatzes von Christoph Levin, denen die Rolle von Weichenstellungen für die weitere Forschung zukommt. Beiden ist gemein, daß sie die aus der von ihnen im Psalter erkannten Verknüpfung weisheitlichen, kultischen und torafrommen Denkens entsprechenden hermeneutischen und exegetischen Konsequenzen gezogen haben.

In diesen Rahmen ist die vorliegende Arbeit einzuordnen, die sich wie die ihr vorangehende auf die genannten drei Psalmen konzentriert, denen als „weisheitlichen Lehrdichtungen“20 im Gesamtgefüge des Psalters und seiner Erforschung nicht nur eine in mancherlei Hinsicht exemplarische Bedeutung zukommt, sondern an denen sich auch die Grenzen der (gebotenen) Gattungsforschung aufzeigen lassen. Wie der skizzierte Stand der Wissenschaft erkennen läßt, ist gerade die hier untersuchte Gattung sapientieller Texte in besonderer Weise geeignet, als Paradigma der Forschungsgeschichte zu dienen. Daß dabei gerade Ps. 1; 37 und 73 herangezogen werden, ist in ihren Charakteren begründet, in denen die Bandbreite weisheitlich geprägter Psalmen zum Ausdruck kommt. Darüber hinaus lassen sich anhand dieser Psalmen die hermeneutischen Voraussetzungen der einstigen exegetischen Forschung in besonderer Weise aufzeigen, zumal bei ihnen die Bedeutung einer historischen Einordnung und der zugrunde liegenden allgemeinmenschlichen Situation in eindrücklicher Weise offenbar werden.

Gründen Stolz und Levin auf den Vorarbeiten Gunkels und konnte Manfred Oeming mit anderen21 zu Recht in seinem Forschungsüberblick von 199522 Hermann Gunkel und seinen Schüler Sigmund Mowinckel als diejenigen Alttestamentler bezeichnen, welche die Psalmenexegese in den zurückliegenden siebzig Jahren maßgeblich geprägt haben, so stellt sich natürlich die Frage, auf welchen Voraussetzungen die Arbeiten dieser beiden Forscher basierten und mit wem sie sich in einem unmittelbaren fachlichen Dialog befunden haben. Der Blick dieser Arbeit wird dabei auf den älteren von beiden gerichtet bleiben. ← 14 | 15 →

Für Klaus Seybold beginnt die „Reihe der großen klassischen Kommentare“ des 19. Jahrhunderts, welche die moderne Psalmenforschung eingeleitet haben, den Sachverhalt angemessen wiedergebend mit den Werken von Ernst Friedrich Carl Rosenmüller und Wilhelm Martin Leberecht de Wette.23

Otto Kaiser weist in seiner Einleitung von 198424 auf Johann Gottfried Eichhorn als maßgeblichen Begründer der „historischen Psalmenauslegung“ hin25 und erweitert 1994 in seinem „Grundriß der Einleitung“26 diesen Rückblick um Johann Gottfried Herder und Wilhelm Martin Leberecht de Wette, von denen der erste die Psalmen und Lieder des Alten Testaments als Teil der orientalischen Dichtung zu lesen gelehrt und der zweite eine an Zweck und Gehalt ausgerichtete Klassifikation der umfangreichen Stoffmenge erarbeitet habe. Darüber hinaus bezeichnet Kaiser in Übereinstimung mit der Mehrheit der modernen Exegeten zu Recht Hermann Gunkel als den „Vater der Gattungsforschung“, dessen Einsichten auf diesem Gebiet dann die gesamte Psalmenforschung des 20. Jahrhunderts gefolgt sei. Ob es allerdings zutrifft, daß die „eigentliche gattungsgeschichtliche Psalmenexegese“ auf de Wette zurückzuführen ist, wie es auch Markus Witte meint27, ← 15 | 16 → ist zumindest wegen der Komplexität des Sachverhaltes kritisch zu sehen. Witte ist insofern zuzustimmen, daß von de Wette die erste reflektierte Klassifikation der Psalmen durchgeführt worden ist, die jedoch auf anderen Voraussetzungen beruhte als diejenige von Hermann Gunkel.

Berücksichtigt man nun noch das Dictum Klaus Seybolds, der im Hinblick auf das sprachliche und historische Verständnis der Psalmen wegen der hohen Qualität des de Wette’schen Werkes immerhin die Frage aufgeworfen hat, warum nach dessen erster Auflage überhaupt noch weitere Psalmenkommentare geschrieben worden seien (und der sich dabei ausdrücklich des Wellhausen’schen Votums bediente, daß „alles schon bei de Wette“ stünde), so wird die Notwendigkeit einer Klärung des Verhältnisses von de Wette und Gunkel umso dringlicher.28 Dies ← 16 | 17 → gilt besonders auch deshalb, weil Seybold davon spricht, daß die von de Wette zusammengestellten „Gruppierungen“ der Psalmen „durch Hermann Gunkels Gattungsforschung 100 Jahre später im großen ganzen bestätigt worden sind“ und weiterhin Bestand haben!29 Mag sich dies im Blick auf die verwendete Terminologie auch als weitgehend zutreffend erweisen, so stellt sich jedoch auch die Frage, ob und inwieweit man gerade in hermeneutischer und darum ebenso in methodischer Hinsicht von de Wette als dem unmittelbaren Vorgänger Gunkels sprechen kann.30

In diesem Zusammenhang ist an die bekannte erstaunliche Tatsache zu erinnern, daß sich Hermann Gunkel weder in der posthum von seinem Schüler Joachim Begrich herausgegebenen Einleitung in die Psalmen,31 noch in seinem Psalmenkommentar32 auf de Wette, dessen Bild doch über seinem Schreibtisch gehangen haben soll, bezogen und stattdessen auf den Beginn seiner forschungsgeschichtlichen Studien in der Mitte des 19. Jahrhunderts hingewiesen hat.33

Damit sollen die vorliegenden Seiten formal durch die überarbeitete Aufnahme des nur schwer zugänglichen Vorgängerwerkes auch einen Beitrag zu der bereits von Werner Klatt angemahnten differenzierten Betrachtungsweise des Verhältnisses beider Exegeten, welches sich keinesfalls auf äußere Gegebenheiten allein gründen kann, leisten. Darüber hinaus werden weitere, die damalige Psalmenexegese wesentlich geprägt habende Werke vorgestellt werden, die im Hintergrund des Gunkel’schen opus gestanden haben. Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, wird nicht explizit auf die Aufnahme der Vorgängerarbeiten durch ← 17 | 18 → Gunkel eingegangen, sondern auf notwendige weitere forschungsgeschichtliche Arbeiten verwiesen.

Den Ausgangspunkt dieser Darstellung bildet die Arbeit des englischen Bischofs und Professors für Dichtkunst Robert Lowth, mit der die historische Fragestellung Eingang in die Exegese der biblischen Dichtung gefunden hat. Wurden in seinem Gefolge die orthodoxen Lehren überwunden, so konnten nun die biblischen Texte entsprechend einem sich durch die Aufklärung und ihren Folgen gewandelt habenden Schriftverständnis einer text- und sachgemäßen Kritik unterzogen werden. Von wesentlicher Bedeutung ist dabei für Deutschland die Rezeption von Lowths Gedanken durch Herder gewesen, der nun seinerseits auf de Wettes Denken einen nachhaltigen Einfluß ausgeübt hat. Darüber hinaus müssen die Gedanken Johann Gottfried Eichhorns berücksichtigt werden, da sich der Göttinger Orientalist und Theologe in einem freilich nur kompliziert darzustellenden Verhältnis sowohl zu Herder als auch zu de Wette befunden und beide auf jeweils ganz eigene Weise beeinflusst hat. Eichhorns „historisch – grammatisch – kritischer“ Ansatz stellt neben dem als „historisch – ästhetisch“ zu beschreibenden Vorgehen (des durchaus „aufgeklärten“) Herders auch für de Wette und darüber hinaus für die sich im Werden befindende historisch – kritische Psalmenauslegung einen nicht wegzudenkenden Grundpfeiler dar.34

In wesentlich geringerem, aber nicht zu vernachlässigendem Maße gilt dies auch für die Arbeiten von Ernst Friedrich Carl Rosenmüller und Johann Christian Wilhelm Augusti, auf welche sich de Wette in seinen Schriften häufig bezieht und die in ihren im Folgenden darzustellenden Besonderheiten ein deutliches Zeugnis von den damaligen Umbrüchen in der exegetischen Wissenschaft ablegen.

Nahezu in Vergessenheit geraten ist in den Darstellungen der Auslegungsgeschichte der Psalmen der seinerzeit als Klopstock – Freund hoch geachtete Literat, dänische Hofprediger, Superintendent und Professor der Theologie Johann An­dreas Cramer, dessen Arbeiten ihm einen Ort unmittelbar vor dem Übergang zur kritischen Exegese zuweisen. Cramer gestand der Bibel zwar aufgrund ihrer noch vorausgesetzten Inspiriertheit eine theologisch begründete Ausnahmestellung zu, ihre Wirkung auf den Leser hingegen sollte mittels eines ästhetischen, dichterischen (und damit letztlich „humanen“) Zugangs gesichert werden. In der Folge legte er eine poetische Psalmenübersetzung vor und stand damit, zumindest was seine Absicht anbelangt, in großer Nähe zu Herders Streben nach einer Kongenialität von Leser und Autor. Gehörte Cramer wegen seiner theologischen Prämissen im Zeitalter aufbrechender historischer Fragestellungen und der mit ihnen ← 18 | 19 → verbundenen hermeneutischen und exegetisch – methodischen Konsequenzen einer vergehenden Epoche an, so gebührt ihm doch wegen seiner aufzuzeigenden Nähe zu Lowth und Herder, die ihn faktisch von überkommenen orthodoxen Positionen abrücken lässt, ein Ehrenplatz in der Forschungsgeschichte.

Diese war am Ausgang des 18. Jahrhunderts vor allem von dem durch die Denker der Aufklärung vorbereiteten, neuzeitlichen Wahrheitsbewusstsein gekennzeichnet, gegen das sich konservative, an der Verbalinspiration festhaltende Theologen noch in teilweise erbittert geführten Nachhutgefechten gegen rational – kritische Tendenzen wehrten.35 Cramer, der eine modifizierte Form der Inspiration vertreten hatte, befand sich in diesen Auseinandersetzungen zwar noch auf einem konservativen Standpunkt, gehörte jedoch dessen „progressivem Flügel“ an.

In dieser Phase des Umbruchs ging es nicht allein um ein neues Inspirationsverständnis und die damit verbundene Entwicklung einer neuen exegetischen Methodik, sondern vor allem um die weiterführende Behandlung eines Grundthemas der abendländischen Geistesgeschichte, nämlich die Verhältnisbestimmung zwischen Vernunft und Offenbarung und damit auch zwischen Glauben und Wissen.36

Es wird sich zeigen, daß de Wette der Erweis gelungen ist, kritisches historisches Denken und christlichen Glauben in einer solchen Weise miteinander zu vereinbaren, daß eine rational verantwortete Exegese auch theologisch verwertbare Ergebnisse liefern kann.37 Dies wurde in konservativen Kreisen (E.W. Hengstenberg) kritisch gesehen, doch zeigt das Werk von Franz Delitzsch eine zunehmende Öffnung dieser Richtung für die aus dem Rationalismus erwachsenden Fragestellungen. ← 19 | 20 →

Darüber hinaus wird deutlich werden, daß die Weisheitspsalmen als paradigmatische „Ur-texte“ der existentialen Interpretation gelten können, zumal sich besonders im Umfeld von de Wette stehende Exegeten vor allem bei Datierungsfragen auffallend zurückgehalten haben. Bestanden ihre Gründe dafür vor allem in ihrer methodischen Vorsicht und dem Bewußtsein um den tatsächlichen Stand der der historischen Forschung, so suchten sie verstärkt typische Lebenssituationen auf und begannen damit auf niedrigem Niveau die spätere Methode Rudolf Bultmanns vorwegzunehmen. Eine ganz andere Richtung nahm freilich die „Positive Kritik“ von H. Ewald und vor allem F. Hitzig ein, deren Grenzen sich jedoch gerade bei den hier behandelten Psalmen zeigen werden.

Die erste für diese Arbeit relevante Epoche, die geistesgeschichtlich vom Ausgang der Aufklärung bis zum Ende der Romantik reicht, ist damit als eine der wesentlichen Umbruchperioden innerhalb der alttestamentlichen Wissenschaft bestimmt.38 Die sich auf die Heilige Schrift als eines inspirierten und zugleich geschlossenen Corpus beziehenden Lehrsätze der Orthodoxie begannen im Bereich der biblischen Dichtung vor allem durch die in dieser Schärfe erstmalig aufgeworfenen grammatisch – kritischen und in diesem Kontext dann auch historisch – kritischen Fragestellungen zweifelhaft zu werden und machten letztlich auch eine Neubestimmung des Verhältnisses von Dogmatik und Exegese nötig.39 ← 20 | 21 →

Ist damit der dem ersten Teil dieser Arbeit zugrunde liegende äußere Rahmen der hermeneutischen Thematik des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts in knapper Weise umrissen, so kommt der Psalmenexegese ein besonderer Stellenwert zu, weil es sich bei ihr vor allem um Dichtung und nicht um primär historische Sachverhalte darstellende Texte handelt. Da gerade das Psalmenbuch als Gebetbuch (des nachexilischen Judentums)40 auch in einem regen liturgischen und individuellen Gebrauch durch das Christentum gestanden hat und immer noch steht, mussten besonders bei ihm die im Grunde alle biblischen Schriften41 betreffenden Probleme besonders hervortreten, zumal die historisch – kritische Sichtweise die alttestamentlichen Texte gegenüber der christlichen Tradition fernerrücken ließ.

Dabei sind zu Beginn und im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts gerade für die Beantwortung der Frage, inwieweit sich aus den Psalmen, die bereits als religiöse Dichtung (und damit eben als „Literatur“) durchaus anerkannt waren, geschichtliche Erkenntnisse gewinnen lassen können, erhebliche Anstrengungen unternommen worden. Es bleibt an dieser Stelle vorgreifend festzustellen, daß dieses hermeneutische und methodische Problem erstmals von de Wette einer befriedigenden Lösung zugeführt wurde, die durch Hupfeld vertieft werden konnte. Damit wird deutlich, daß es bei den hier präsentierten Arbeiten auf dem Hintergrund einer Neubestimmung des Inspirationsgedankens zugleich um die Entwicklung einer textgemäßen exegetischen Methodik und die Platzierung ihrer Ergebnisse im Rahmen einer wissenschaftlichen christlichen Theologie geht. Die entsprechenden Bemühungen prägen die hier vorgestellten Arbeiten eines ganzen Jahrhunderts. Damit wird in der Folge auch die 1957 geäußerte Frage Rudolf Bultmanns, ob eine „voraussetzungslose Exegese“ möglich sei,42 bereits in seinem Sinne beantwortet werden.

Dieser Antwort greift Hermann Gunkel vor, wenn er im Anschluß an seinen Hinweis auf die notwendige ästhetische und geschichtliche Würdigung der biblischen Literatur nunmehr im Blick auf das Ganze pointiert festhält: „Bibelexegese ist theologische Exegese; wer ein biblisches Buch erklärt, soll seinen religiösen Gehalt erklären,“43 ein Votum, das in besonderer Weise für die Psalmen gilt. Freilich stellt Gunkel sofort grundsätzlich klar, daß es sich „in der theologischen ← 21 | 22 → Exegese um die Erkenntnis der Religion und um nichts anderes“ handle und der „Zweck einer wissenschaftlichen Exegese … nicht die Erbauung, sondern das Wissen“ sei. Er konkretisiert dabei das Gesagte in deutlicher Abgrenzung gegenüber der älteren traditionell – dogmatischen Auslegung dahingehend, daß „die wissenschaftliche Bibelerklärung als ihr eigentliches Ziel nur die geschichtliche Erkenntnis betrachten“ könne.44

Es ist hier nicht der Ort, Gunkels hermeneutischen Ansatz darzustellen und kritisch zu würdigen,45 es ist jedoch in seinem Sinne darauf hinzuweisen, daß die Ergebnisse einer rationalen, historisch verantworteten Auslegung auf Dauer nicht nur von historischem Belang sein können, sondern Auswirkungen auf das theologische Denken und damit die systematische Theologie haben müssen, so daß die im Kontext christlicher Theologie vollzogene Exegese biblischer Texte (und der Psalmen allzumal) nicht in Philologie und Kritik aufgehen darf, sondern in reflexiver Wechselwirkung zur Religionsgeschichte und systematischen Theologie stattfinden muß. Damit verhalten sich das theologische und historische Verständnis der Psalmen zueinander wie das von Freiheit und Notwendigkeit.46 Dabei wird diese von der historischen Seite dargestellt, indem sie die Texte aus ihren immanenten Zusammenhängen versteht, jene durch die theologische, indem der Leser die Botschaft der Texte als für ihn wesentlich erachtet und auf sich selbst bezieht.

In der im Rahmen dieser Arbeit zunächst behandelten Epoche der Auslegungswissenschaft, in der vor allem dank der bahnbrechenden Arbeiten von Johann Philipp Gabler, Johann August Ernesti und Johann Salomo Semler zwischen den nunmehr als Ertrag menschlichen Denkens erkannten biblischen Schriften und ← 22 | 23 → dem Wort Gottes in einer das Schriftverständnis Luthers hinter sich lassenden Weise47 unterschieden worden ist,48 wurden zum ersten Male die Psalmen ausdrücklich als Literatur und damit als von Menschen verfasste, historische Dokumente wahrgenommen. Damit konnten nun die gegenüber profanen Texten geltenden literarkritischen und literaturgeschichtlichen Fragestellungen und Methoden in den Blick der Aufmerksamkeit treten.49

Dies bedeutete, daß die Individualität der biblischen Schriften in einer völlig neuartigen Weise auch kritisch gewürdigt werden konnte, wobei zugleich die theologische Relevanz der kanonischen Texte für den jeweils zeitgenössischen Leser neu begründet werden mußte. Dabei ging es im Grunde um nichts Geringeres als um die Vereinbarkeit von kritischem historischen Denken und christlichem Glauben, der damit zu einem historisch und rational verantworteten Glauben werden mußte.50 Wäre man auf Seiten der historischen Kritiker dieser Verhältnisbestimmung aus dem Wege gegangen, so hätte die bloße historische Kenntnisnahme biblischer Texte diese zu rein geschichtlichen Notizen ohne theologische Relevanz werden lassen, was den Abschied der Exegese aus dem Kreis der theo ← 23 | 24 → logischen Disziplinen bedeutet und diesen eine wissenschaftliche Ghettoexistenz zugewiesen hätte.

Die Beantwortung der damit gegebenen Fragen wurde auch deswegen zwingend, weil mit dem Bewußtwerden des historischen Abstands des modernen Lesers zu den biblischen Schriften und dem Verlust des Glaubens an eine unmittelbare Autorenschaft des Heiligen Geistes das so verbürgte „Ganze der Heiligen Schrift“ auseinandergebrochen war, so daß ihre einzelnen Schriften nunmehr als Werke der Weltliteratur betrachtet werden mussten, womit sich zwingend die Frage nach einer historischen Kritik und ihrer theologischen Relevanz stellte. Diese Entwicklung eröffnete im Blick auf den Psalter für die Forschung ein „weites Feld“, das bis heute in bemerkenswert unterschiedlicher Weise bearbeitet wird.51

Die vorliegende Arbeit stellt in einem ersten Abschnitt die grundlegende Phase der Psalmenexegese am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert exemplarisch dar, in der die Voraussetzungen für den „ersten großen wissenschaftlichen Kommentar zu den Psalmen“, das Werk de Wettes, erarbeitet wurden.52 Daran schließt sich eine Schilderung weiterer wesentlicher Richtungen der Psalmenauslegung des 19. Jahrhunderts, wie die der „Positiven Kritik“ Ferdinand Hitzigs und Heinrich Ewalds, der konservativen Auslegungen Ernst Wilhelm Hengstenbergs und Franz Delitzschs und des im besten Sinne „historisch – kritischen“ Kommentars von Hermann Hupfeld. Die Darstellung der beiden Auflagen der Duhm’schen Arbeit als eines in Datierungsfragen exponierten Werkes53, das die numerische Jahrundertwende überschritt und in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zu den Gunkel’schen Arbeiten stand, beschließt dieses Buch.

Die Schilderung der Vorgeschichte und die Einordnung der Arbeit de Wettes an den Psalmen in ihr geistiges Umfeld läßt sowohl die Bedeutung der Aufklärungsepoche als auch die der Romantik und Klassik für die alttestamentliche ← 24 | 25 → Exegese deutlich werden. Es wird dabei deutlich, daß der von diesen Strömungen ausgehende Geist das theologische Denken im Allgemeinen und die Psalmenauslegung im Besonderen nicht unberührt gelassen hat, was sich vor allem auf die Hochschätzung der individuellen Momente in den Dichtungen und damit auf die Fragen nach deren Ursprünglichkeit und Originalität bezog. Damit sind freilich eine Abwertung späterer Psalmen und letztlich auch das Unvermögen einhergegangen, die umfangreichen Klassifizierungsversuche für die Exegese in einer über die Ordnung der Stoffmenge hinausgehenden Weise fruchtbar zu machen. Auch die späteren Kommentare – und selbst derjenige Hupfelds – leiden unter dieser nachträglich so zu bezeichnenden Schwäche.54

Der besonders von Herder angeregte Historismus hat ein hohes „Objektivitätsideal“ in die Exegese eingeführt. Der Ausleger hatte sich nunmehr mit dem biblischen Autor in eine Art „Gleichklang“ zu begeben, zu dessen Hervorrufung historisches Wissen wesentlich dazugehört55: „Der Exeget ist Anwalt des Autors, der die Abständigkeit und Fremdheit, die Widerständigkeit und Nichtidentität mit der Gegenwart herausarbeiten soll.“56 Dies geschieht freilich bei Herder im Dienste einer geistigen Gegenwartsbewältigung.

Das Ringen um eine kritische historische und zugleich theologisch relevante und begründbare Auslegungsmethode wird im Folgenden immer wieder deutlich.

Der Gang der vorliegenden Untersuchung ist ein chronologischer, wobei sich Überschneidungen nicht immer vermeiden lassen. Auch wird hier und da über die Grenzen der Theologie hinausgeblickt werden, da jeder Mensch in den ihm eigenen geistesgeschichtlichen Kontext gehört und darum die Berücksichtigung des weiteren Umfelds für das Verständnis geistiger Arbeiten von grundlegender Bedeutung ist. In aller gebotenen Zurückhaltung werden also nicht nur Philosophen, sondern auch zeitgenössische Literaten berücksichtigt werden. John W. Rogerson ist unbedingt zuzustimmen, wenn er die Beschäftigung mit dem persönlichen Leben de Wettes grundsätzlich mit der „Humanität des Wissenschaftlers“ begründet: „Auch Wissenschaftler sind Menschen, die Tragödien, Ängste und Sorgen durchleben. Eine Forschungsgeschichte, die nur die sogenannten wissenschaftlichen Ergebnisse behandelt, ist meines Erachtens ein Verrat an den Leistungen ← 25 | 26 → der Wissenschaftler.“57 Gerade die Beschäftigung mit den in einem unmittelbaren Zusammenhang zu dem „Gemüth“ eines Menschen stehenden und darum einen „Erguß des gefühlvoll(en) erregten Herzens“ darstellenden Psalmen legitimiert die den einzelnen Kapiteln vorangestellten knappen biographischen Notizen.

Die vorliegende Arbeit versucht also exemplarisch die um einen gangbaren hermeneutischen Weg ringende Psalmenexegese von ihren kritischen Anfängen bis zu dem epochalen Werk von Hermann Gunkel zumindest in ihren Anfängen auch innerhalb ihres geistesgeschichtlichen Kontextes zu beschreiben und kritisch zu würdigen.

In diesen Zusammenhang sind auch die beigefügten Übersetzungen der Texte einzuordnen, an denen sich der Gang der Entwicklung besonders deutlich aufzeigen läßt. Es ist beeindruckend, die „poetische Übersetzung“ Cramers mit derjenigen de Wettes und seiner Nachfolger zu vergleichen und daran die unterschiedlichen hermeneutischen Ansätze zu erkennen. So besticht Ewalds Übersetzung durch ihre poetischen Qualitäten, was nur durch seine hervorragende philologische Bildung erklärt werden kann. Die hermeneutischen Grundlagen wie auch die exegetischen Bemühungen der einzelnen Ausleger finden ihren Ausdruck besonders in den jeweiligen Übersetzungen.

Um einen Eindruck von dem Zeitkolorit und der schriftstellerischen Individualität der jeweiligen Autoren zu geben, sind die Zitate in ihrer ursprünglichen Schreibweise aufgenommen worden, was insbesondere bei Heinrich Ewald und Ferdinand Hitzig ein gewisses Maß an Konzentration erfordert.

Mithin stellt diese Arbeit exemplarisch die grundlegende Bedeutung des 19. Jahrhunderts für die Exegese und Theologie dar und illustriert, neben durchaus kritischen Bewertungen, auch manche in der bisherigen Forschung anerkannten Urteile. Erst wenn man sich der Größe des Umbruchs und der Leidenschaftlichkeit des Ringens – und damit der Leistungen der damaligen Exegeten – bewusst wird und auf diesem Wege das Woher der eigenen zeitgenössischen Methodenvielfalt versteht, ist man in der Lage, begründet und angemessen die gegenwärtigen Positionen zu würdigen und nach dem Wohin der Auslegung und ihrer Methodik zu fragen. Hierzu einen bescheidenen Beitrag zu leisten, ist darum die wesentliche Absicht der folgenden Seiten. ← 26 | 27 →

1O. Kaiser, Einleitung in das Alte Testament, Gütersloh 1984, 5. Auflage, S. 340, weist Ps. 1 den Weisheitsliedern oder Torapsalmen, Ps. 37; 73 den Lehrgedichten zu. Vgl. E. Zenger, Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 1995, 5. Auflage, S. 362, der Ps. 1 und 73 den Weisheitspsalmen zuordnet, während er Ps. 37 nicht ausdrücklich erwähnt. Gleichwohl läßt seine Definition die Möglichkeit offen, diese Text der genannten Gruppe beizufügen: „Die Weisheitspsalmen sind streng genommen keine Gebete, sondern Meditationen über das Gelingen des Lebens, über das Schicksal der Guten und der Bösen (Theodizeepsalmen), über die Schöpfung und über das Gesetz.“ Entsprechend ders., in: C. Frevel, Hg., Einleitung, 8. Aufl., S. 443. – Diese Einleitungswerke stehen für den common sense der Forschung bzgl. der Frage einer Klassifikation dieser Psalmen seit dem Beginn der kritischen Bibelwissenschaft. H.–C. Schmitt, Arbeitsbuch zum Alten Testament, 3. Aufl., Göttingen 2011, S. 424, betont entsprechend, daß sich bei den nur „schwer einem kultischen Sitz im Leben zuzuordnenden“ Weisheitspsalmen kaum eine durchgehende formale Struktur aufweisen lasse. Einige dieser Psalmen enthielten „Weisheitssprüche“ (Ps. 127; 133), einige seien Makarismen (Ps. 1; 112; 119; 128) einige Akrosticha (Ps. 37; 112; 119). Thematisch ließen sich die Torapsalmen (Ps. 1; 19; 119) und die „sog. Lehrgedichte zur Theodizeeproblematik“ (Ps. 37; 49; 73) zusammenfassen. M. Witte, betont in J.Ch. Gertz, Grundinformation Altes Testament, Göttingen 2006, S. 416, daß sich neben den Grundgattungen der individuellen und kollektiven Klage- und Bittpsalmen, sowie dem individuellen Danklied und dem kollektiven Gotteslob (Hymnus) die übrigen Psalmen nur durch ihre gemeinsame Thematik ordnen ließen: „Es ist daher sinnvoller, diese Psalmen als inhaltlich verbundene Gruppen zu betrachten … und sie, sofern es sich nicht um rein literarische Kompositionen handelt, die sich vom Kult gelöst haben (‚nachkultische Psalmen‘) einer der Grundgattungen zuzuweisen.“ – Der Terminus „Weisheitspsalmen“ stellt damit den größten gemeinsamen Nenner dar. Vgl. O. Kaiser, Grundriß der Einleitung in die kanonischen und deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments III, Gütersloh 1994, S. 19.

2Vgl. bes. J. Reindl, Weisheitliche Bearbeitung von Psalmen, in: VT, Leiden 1981, Congress Volume Vienna 1980, ed. by J.H. Emerton, S. 333–356; Ch. Levin, Das Gebetbuch der Gerechten, ZThK 90 (1993), S. 355–381.

3Vgl. K. Seybold, Die Psalmen, HAT I/15, Tübingen 1996, S. 28.

4Vgl. F.-L. Hossfeld, E. Zenger, Die Psalmen I, Die Neue Echter Bibel: Kommentar zum Alten Testament mit der Einheitsübersetzung, Würzburg 1993, S. 229.

5Vgl. zunächst: F.-L. Hossfeld, E. Zenger, Psalmen. 51–100, HThKAT, Freiburg i. Br. 2000, 3. Aufl, S. 334–337.

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523
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653061758
ISBN (ePUB)
9783653957044
ISBN (MOBI)
9783653957037
ISBN (Hardcover)
9783631668351
DOI
10.3726/978-3-653-06175-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (August)
Schlagworte
Weisheitspsalmen Exegese Psalmenexegese Forschungsgeschichte
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 523 S.

Biographische Angaben

Karl-Heinz Bassy (Autor:in)

Karl-Heinz Bassy schloss sein Studium mit einer alttestamentlichen Promotion in Marburg ab. Er beschäftigt sich vor allem mit forschungsgeschichtlichen Fragestellungen. Seine Schwerpunkte liegen dabei in den Epochen der Klassik und der Romantik.

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Titel: Von Herder zu Duhm
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526 Seiten