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Gefährdungsvorsatz im modernen Strafrecht

Zugleich unzeitgemäße Überlegungen über die Wiederbelebung des Gefährdungsstrafrechts in der Sicherheitsgesellschaft

von Chun-Wei Chen (Autor:in)
©2016 Dissertation 386 Seiten

Zusammenfassung

Während sich die Risikogesellschaft zu einer Sicherheitsgesellschaft wandelt, entsteht im modernen Strafrecht ein Paradigmenwechsel, wonach das Risiko- zum Gefährdungsstrafrecht eskaliert. Der Autor analysiert die vielfältigen Hintergründe und kommt zu dem Ergebnis, dass der Kern und die Lösung der Legitimationskrise des modernen Gefährdungsstrafrechts die Begrifflichkeit des Gefährdungsvorsatzes ist. Hierzu setzt er sich mit der jahrzehntelangen Dogmengeschichte des Gefährdungsvorsatzes auseinander, die bereits zahlreiche dogmatische Erkenntnisse hervorgebracht hat. Demgemäß rekonstruiert er das Wesen des Gefährdungsvorsatzes, das sich auf die Risikoethik gründet, die mit dem Schuldprinzip und der Perspektive der Freiheit verbunden ist.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einführung
  • A. Das moderne Gefährdungsstrafrecht als Forschungsgegenstand
  • B. Verhältnis zwischen Risiko- und Gefährdungsstrafrecht
  • C. Bezug des modernen Gefährdungsstrafrechts zum Gefährdungsvorsatz
  • D. These und Gang der Untersuchung
  • I. These
  • II. Gang der Untersuchung
  • Erster Teil: Zur Wiedererlebung des Gefährdungsstrafrechts in der Sicherheitsgesellschaft
  • 1. Kapitel: Sozialwissenschaftliche und staatstheoretische Grundzüge zum modernen Gefährdungstrafrecht
  • A. Vorbemerkung
  • B. Konstruktion moderner Gesellschaften
  • I. Transformationen der Gesellschaften
  • II. Änderungen der menschlichen Lebensformen: Individualisierung
  • 1. Negative Individualisierung
  • 2. Positive Individualisierung
  • 3. Ambivalente Individualisierung
  • 4. Wende des Individualisierungsverständnisses als Angelpunkt zugunsten einer Gesamtgesellschaft?
  • III. Änderungen des Gesellschaftswesens
  • 1. Risikogesellschaft
  • a. Begriff und Kultur des Risikos
  • b. Risikoorientiertes Handlungsmodell
  • c. Risikoorientiertes Entscheidungsmodell
  • d. Risikoorientiertes Verantwortungs- sowie Zurechnungsmodell
  • aa. Prinzip der kalkulativen Rationalität als ursprüngliches Modell
  • bb. Schwierigkeiten der Zurechnung der Risikoentscheidung hinsichtlich zukünftigen Handlungsfolgen aus Luhmanns Perspektive
  • cc. Neue Risikoethik I.: Jonas’ Umriss
  • dd. Neue Risikoethik II.: F. X. Kaufmanns Umriss
  • ee. Einflussnahmen neuer Risikoethik
  • e. Wendung des Begriffsverstehens des Risikos zur Unsicherheit
  • 2. Sicherheitsgesellschaft
  • a. Begriff der Sicherheitsgesellschaft
  • b. Auf dem Weg nach Sicherheit: Rekommunitarisierungsprozess
  • aa. Grundkonzept
  • bb. Mechanismus zur Rekommunitarisierung und sein Problem
  • c. Von der Sicherheits- zur Kontrollgesellschaft
  • C. Gesellschaftliche Rolle moderner Staaten
  • I. Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft
  • 1. Trennung von Staat und Gesellschaft
  • 2. Konvergenz von Staat und Gesellschaft
  • a. Soziologische Betrachtung
  • b. Verfassungs- und staatstheoretische Betrachtung
  • c. Das neue Verhältnis zwischen Staat/ Gesellschaft und Einzelnen
  • II. Staatsmodelle und Staatsaufgaben im Wandel
  • 1. Rechtsstaat
  • 2. Sozialstaat
  • a. Grund für Entstehung des Sozialstaates
  • b. Wesen des Sozialen
  • c. Aufgaben des Sozialstaates
  • d. Krise und Herausforderung des Sozialstaates
  • aa. Widerspruch der Sozialstaatlichkeit zur eigentlichen staatlichen Hoheit
  • bb. Strukturell-funktionale Beschränkung und Begrenzung des Sozialstaates
  • 3. Steuerungsstaat
  • a. Entstehung des Steuerungsstaates
  • b. Ausübungen der Sicherheitspolitik als primäre Staatsaufgabe
  • D. Zwischenergebnis
  • 2. Kapitel: Recht im Wandel zwischen dem Wechsel von Gesellschaftswesen, Staatsmodellen und -aufgaben
  • A. Ausblick
  • B. Wandel der Rechtsparadigmen
  • C. Figur des Rechts im Sozialstaat
  • I. Strategien und Gedanke
  • II. Das Neue am Recht im Sozialstaat
  • 1. Überlegungen von der Zweck-Mittel-Relation
  • 2. Folgenorientierung
  • D. Funktionalismus und Prozeduralisierung des Rechts als Wurzel der Inklusionsstrategie im Recht
  • I. Luhmanns funktionalistische Rechtstheorie
  • 1. Skizze
  • 2. Probleme
  • II. Das reflexive Recht
  • 1. Ausweg für Verrechtlichung
  • 2. Skizze von Supervisionsstaat und Kontextsteuerung
  • III. Habermas’ prozedurales Rechtsparadigma
  • 1. Das Recht aufgrund von der Diskurstheorie
  • 2. Konzept prozedurales Rechtsparadigmas
  • IV. Tendenz zur Prozeduralisierung des Rechts?
  • E. Tendenz der rechtlichen Sicherungsstrategien: Grundlage rechtlicher Logik der Sicherheit
  • I. Schaffung des Ausnahmezustandes des Rechts mithilfe der Strategien von Inklusion und Exklusion
  • 1. Systemtheoretische Grundlage von Luhmann
  • 2. Theorie des Ausnahmezustandes von Schmitt
  • 3. Fortsetzung der Theorie des Ausnahmezustandes Agambens
  • II. Umformungsschub des Rechtssubjekts im Ausnahmezustand
  • 1. Luhmanns Begriffspaar Person und Unperson
  • 2. Agambens Begriffe „homo sacer“ und „das nackte Leben“
  • F. Kurzfassung unterschiedlicher Figuren des Rechts zwischen Risiko- und Sicherheitsgesellschaft
  • 3. Kapitel: Entstehung und Charakterisierung des modernen Gefährdungsstrafrechts
  • A. Ausblick
  • B. Modernisierung des Strafrechts
  • I. Modernisierungsphasen des Strafrechts
  • 1. Erste Phase: Entstehung des liberal-formalen Strafrechts
  • 2. Zweite Phase: Das soziale Strafrecht in der Risikogesellschaft
  • 3. Jetzige Phase: Sicherheitsstrafrecht in der Sicherheitsgesellschaft
  • a. Das Strafrecht zwischen Risiko- und Sicherheitsgesellschaft
  • b. Konturen des Sicherheitsstrafrechts
  • aa. Kindhäusers Umriss
  • bb. Frehsees Verständnis und Kritik
  • cc. Hassemers Verständnis und Kritik
  • c. Zusammenfassendes Verständnis des Sicherheitsstrafrechts
  • II. Kriminalsoziologische Grundlage des modernen Strafens
  • 1. Strafrechtlicher Rekommunitarisierungsprozess angesichts Versicherung der Solidarität
  • a. Solidarität als Anhaltspunkt von Emile Durkheims Straf- und Kriminalsoziologie
  • b. Entstehung des modernen Sicherheitsstrafrechts durch den Wiederaufbau der Solidarität
  • 2. Kriminalitätsunsicherheit als Ursache gesellschaftlicher Kontrollbedürfnisse
  • 3. Modernes Strafrecht als Ausübungsfeld von Kontrollkulturen und Kontrollmacht
  • a. Strategien von Inklusion
  • aa. Garlands Präventionspartnerschaft
  • bb. Foucaults Theorie von Strafe und Disziplinierung
  • cc. Techniken der Gouvernementalität als Ansatz
  • dd. Zusammenfassung und Würdigung
  • b. Strategien von Exklusion
  • aa. Foucaults historische Analyse für die Umformung des Straftäters
  • bb. Garlands moderne Strategie der punitiven Segregation
  • 4. Zusammenfassung
  • III. Wendung der Straftheorie: Übergang des Sicherheitsstrafrechts zum Gefährdungsstrafrecht
  • C. Konzeption des modernen Gefährdungsstrafrechts
  • I. Vorbemerkung
  • II. Positive Generalprävention als straftheoretische Grundlage des Gefährdungsstrafrechts
  • 1. Grundlegende Aussage der Theorie
  • 2. Funktionalistische Vorstellung der positiven Generalprävention Jakobs‘
  • a. Einübung in Normanerkennung als Inklusionspflichten in der Rechtsgemeinschaft
  • b. Exklusion des Feindes aus Rechtsgemeinschaft
  • 3. Auf dem Weg zum gefahrabwehrenden Strafrecht
  • III. Umfang des modernen Gefährdungsstrafrechts
  • 1. Tatbestandliche Perspektive
  • 2. Außertatbestandliche Perspektive
  • 3. Feindstrafrecht als Teil des Gefährdungsstrafrechts
  • 4. Schluss zum Umfang des modernen Gefährdungsstrafrechts
  • IV. Kritische rechtssoziologische Betrachtung des modernen Gefährdungsstrafrechts
  • 1. Gefährdungsstrafrecht als spezifische totalitäre Erscheinungsform der Bestrafungsmacht im demokratischen Staat, Strategien des Rekommunitarisierungsprozesses im Strafrecht durchzuführen
  • 2. Gefährdungsstrafrecht als Vorgabe der Inklusionsbedingungen
  • 3. Gefährdungsstrafrecht als Normalisierung von Anerkennungen des Ausnahmezustandes und Exklusionsausführungen
  • 4. Zusammenfassung
  • D. Zwischenergebnis: Zwangsläufige Wendung der Vorsatzdogmatik in der Epoche der Sicherheitsgesellschaft
  • 4. Kapitel: Auf der Suche nach dem Zusammenhang zwischen Gefährdungsvorsatz und Gefährdungsstrafrecht
  • A. Ausblick
  • B. Konstruktion des Vorsatzes primär nach präventiven Strafzwecken?
  • I. Gesellschaftliche Bedeutung des Vorsatzes und Vorsatz hinsichtlich des Gedankens staatlichen Strafens
  • II. Zweckrational orientierte Vorsatzkonzeptionen
  • 1. Vorsatzkonzept hinsichtlich Spezialprävention
  • 2. Vorsatzkonzept hinsichtlich Generalprävention
  • C. Vorsatzdogmatik im Gefährdungsstrafrecht
  • I. Erste Phase: Verwechslung von Gefährdungs- und Verletzungsvorsatz als Übergang der Vorsatzdogmatik zwischen Risiko- und Gefährdungsstrafrecht
  • II. Zweite Phase: Inkomplette Normativierung sowie Objektivierung des Vorsatzbegriffs
  • III. Dritte Phase: Komplette Normativierung sowie Objektivierung des Vorsatzbegriffs
  • 1. Das frühere Vorsatzkonzept von Jakobs
  • 2. Das jüngste Vorsatzkonzept von Jakobs und seinen Anhängern
  • IV. Zusammenfassung: Gefährdungsvorsatz als Kern der gefährdungsstrafrechtlichen Vorsatzdogmatik
  • D. Kritische Betrachtung und Würdigung: Gefährdungsvorsatz als Anhaltspunkt zur Reduzierung bzw. Inaktivierung der subjektiven Voraussetzungen des Verbrechens im Gefährdungsstrafrecht
  • I. Anwendung der Strategien von Inklusion und Exklusion in der gefährdungsstrafrechtlichen Vorsatzdogmatik
  • 1. Inklusionsauswirkung des Vorsatzes
  • 2. Exklusionsauswirkung des Vorsatzes
  • II. Entsubjektivierung und Gefährdungsstrafrecht
  • E. Zwischenbilanz: Bedürfnis einer dogmatischen Auseinandersetzung des Begriffs „Gefährdungsvorsatz“ hinsichtlich der Kehrseite des Gefährdungsstrafrechts
  • Zweiter Teil: Zur Dogmatik des Gefährdungsvorsatzes
  • 5. Kapitel: Dogmengeschichte der Unselbstständigkeit des Gefährdungsvorsatzes
  • A. Vielfältige Positionierungsmöglichkeiten des Gefährdungsvorsatzes im Strafrechtssystem
  • B. Identifikation des Gefährdungsvorsatzes mit bewusster Fahrlässigkeit
  • I. Frühere Gefährdungstheorie im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte
  • 1. Gefährdungstheorie vor dem 20. Jahrhundert
  • 2. Nachfolger der Gefährdungstheorie am Anfang des 20. Jahrhunderts
  • a. Gustav Radbruch (1908)
  • b. Wolfgang Mittermaier (1909)
  • c. Eduard Kohlrausch (1910)
  • d. Arthur Kaufmann (1967, 1976)
  • II. Gleiche Struktur von Gefährdungsvorsatz und Fahrlässigkeit
  • 1. Identifikation aufgrund der Strukturgleichheit vom Fahrlässigkeits- und Gefährdungsdelikt: Wolfgang Brehm (1973)
  • 2. Identifikation bei der intellektuellen Seite
  • a. Karl Engisch (1930)
  • b. Friedrich Schaffstein (1961)
  • 3. Identifikation bei der intellektuellen und voluntativen Seite
  • a. Kurt O. Rabl (1933)
  • b. Hans Herbert Nick (1937)
  • c. Peter Noll (1954)
  • d. Reinhard v. Hippel (1963)
  • III. Sonstige
  • 1. Hans Joachim Hirsch (1971)
  • 2. Gunther Arzt (1978)
  • 3. Andreas Hoyer (1987)
  • 4. Bernd Schünemann (1994, 1999)
  • IV. Kritische Würdigung
  • 1. Widerspruch gegen das geltende Strafrecht
  • 2. Dogmatisches Bedenken
  • C. Identifikation des Gefährdungsvorsatzes mit (eventuellem) Verletzungsvorsatz
  • I. Frühere Ansichten: Gefährdungsvorsatz als Grundform der Vorsatzschuld oder als Mischung zwischen dolus und culpa
  • 1. Oskar Busch (1897)
  • 2. August Miřička (1903)
  • 3. Karl Klee (1906)
  • II. Ansichten seit Nachkriegszeit: Gefährdungsvorsatz als allgemeine subjektive Seite des Vorsatzdelikts
  • 1. Ansichten für vollständige Identifikation
  • a. Horst Schröder (1949)
  • b. Diethart Zielinski (1973, 1990)
  • c. Eckhard Horn (1973) und seine Anhänger
  • d. Jan C. Joerden (1988)
  • e. Ulrich Stein (1993 [2009], 2013)
  • 2. Ansichten für partielle Identifikation
  • a. Emilio Binavince (1969)
  • b. Günther Jakobs (1967, 1993)
  • c. Henning Radtke (1998, 2000, 2014)
  • III. Kritische Würdigung
  • 1. Widerspruch gegen das geltende Strafrecht
  • 2. Dogmatisches Bedenken
  • D. Zwischenergebnis: Keine geeignete Position für Gefährdungsvorsatz in den Bereichen von Fahrlässigkeit und Verletzungsvorsatz
  • I. Dogmatische Unangemessenheit der Positionierung des Gefährdungsvorsatzes in den Bereichen von Fahrlässigkeit und Verletzungsvorsatz
  • II. Tendenz zur Gefahr als Hauptbezugspunkt subjektiver Einstellung des Täters
  • 6. Kapitel: Dogmengeschichte der Selbstständigkeit des Gefährdungsvorsatzes
  • A. Gefährdungsvorsatz als eine selbstständige Erscheinungsform des Vorsatzes
  • I. Frühere Ansichten über die Selbstständigkeit des Gefährdungsvorsatzes
  • 1. Bedingte Selbstständigkeit
  • a. Robert von Hippel (1908)
  • b. Karl Binding (1916, 1919)
  • c. Reinhard Frank (1931)
  • 2. Gefährdungsvorsatz als selbstständige Mischungsform zwischen dolus und culpa
  • a. Carl Stooß (1895)
  • b. Franz von Liszt (1905)
  • c. Walter Schneider (1934)
  • II. Ansichten über die Selbstständigkeit des Gefährdungsvorsatzes seit Nachkriegszeit
  • 1. Selbstständigkeit lediglich aufgrund des Unterschiedes bei der intellektuellen Seite
  • a. Wolfgang Frisch (1983)
  • b. Rolf Dietrich Herzberg (1986, 1987, 1988)
  • c. Yu-An Hsu (2007)
  • d. Ingeborg Puppe (2013)
  • 2. Selbstständigkeit (überwiegend) aufgrund des Unterschiedes bei voluntativer Seite
  • a. Frank Zieschang (1998)
  • b. Sonstige
  • 3. Selbstständigkeit aufgrund des Unterschiedes bei der intellektuellen und voluntativen Seite
  • a. Thomas Weigend (1981)
  • b. Michael Köhler (1982)
  • c. Georg Küpper (1988)
  • d. Ulrich Schroth (1994, 2003)
  • 4. Selbstständigkeit aufgrund kriminalpolitischer Gründe
  • III. Kritische Würdigung
  • B. Standpunkt der Rechtsprechung
  • I. In der Rechtsprechung erschienene Anschauungen vom Gefährdungsvorsatz
  • 1. Grundsätzliche Annahme des Gefährdungsvorsatzes beim „konkreten“ Gefährdungsdelikt
  • 2. Anforderung bei der intellektuellen Seite
  • a. Grundlage
  • b. Konkretisierung der Vorstellung konkreter Gefahr
  • aa. Vorstellung in Fällen vom Durchbrechen einer Polizeisperre
  • bb. Wissen um individuelle Gefahrensituationen im Fall des schweren Raubes
  • 3. Anforderung bei voluntativer Seite
  • a. Grundlage
  • b. Besondere Zurechnungsregeln auf der voluntativen Seite
  • aa. Nicht-Wollen der Fremdgefährdung wegen Selbstgefährdung
  • bb. Feststellung des Gefährdungswillens bei Einsetzen der Gefahr als Mittel
  • cc. Niedrigere Hemmschwelle vor Gefährdungsvorsatz als vor Verletzungsvorsatz
  • 4. Sonstige
  • a. Annahme bedingten Gefährdungsvorsatzes
  • b. Inkongruenz zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand beim Gefährdungsdelikt
  • aa. Uneinheitliche Anwendung des Gefährdungsvorsatzes bei Betrug und Untreue
  • bb. Nichtausreichen eines Gefährdungsvorsatzes für das konkrete Gefährdungsdelikt
  • II. Kritische Würdigung
  • C. Zwischenbilanz: Schwächen der Methode der vorliegenden Ansichten trotz Anerkennung der Identifikation des Gefährdungsvorsatzes
  • 7. Kapitel: Zur Rekonstruktion des Gefährdungsvorsatzes
  • A. Ausblick
  • B. Legitimation der Selbstständigkeit des Gefährdungsvorsatzes
  • I. Formelle Legitimation: Gesetzliche subjektive Differenzierung von Gefährdungs-, Verletzungs- und Fahrlässigkeitsdelikten
  • 1. Differenzierung des Gefährdungsvorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit
  • 2. Differenzierung des Gefährdungsvorsatzes von dem Verletzungsvorsatz
  • II. Materielle Legitimation: Subjektive Differenzierung von Gefährdungs- und Verletzungsdelikten nach der Ratio der Vorsatzstrafe
  • 1. Versuche der Integration der Prävention in den Schuldbegriff
  • a. Roxin
  • b. Jakobs
  • c. Mängel des präventiv orientierten Schuldbegriffs an einem wertrationalen Maßstab für Vorsatz
  • 2. Schuldprinzip als Maßstab der Wertrationalität der Vorsatzkonstruktion
  • a. Vorsatzkonzeption in Bezug auf Begrenzungsfunktion des Schuldprinzips
  • b. Ausprägung des Vorsatzes anhand der Begründungsfunktion des Schuldprinzips
  • 3. Selbstständigkeit des Gefährdungsvorsatzes anhand einer zweck- und wertrationalen Vorsatzkonzeption
  • C. Die für Rekonstruktion des Gefährdungsvorsatzes relevanten Grundlagen des allgemeinen Vorsatzbegriffs
  • I. Bezogenheit des Vorsatzes auf Rechtsgüterbeeinträchtigung
  • 1. Ausrichtung des Vorsatzes auf Rechtsgutsbeeinträchtigung
  • 2. Rechtsgutsbeeinträchtigungsrelevanter Erfolg als Gegenstand des Vorsatzes
  • a. Grundsatz
  • b. Vorsatz ohne Bezug zum Erfolg?
  • c. Kritische Würdigung
  • aa. Normtheoretische Kritik
  • bb. Dogmatische Kritik
  • d. Fazit
  • II. Bezogenheit des Vorsatzes auf Ausübung einer rechtsgüterbeeinträchtigenden Tatherrschaft
  • 1. Vorsatz hinsichtlich Kausalzusammenhang
  • 2. Vorsatz hinsichtlich Steuerbarkeit einer Rechtsgüterbeeinträchtigung
  • III. Fazit: Vorsatz als der bewusste Wille zur Ausübung einer rechtsgüterbeeinträchtigenden Tatherrschaft
  • D. Wesen des Gefährdungsvorsatzes
  • I. Ausblick
  • II. Verortung und Gegenstand des Gefährdungsvorsatzes
  • 1. Verortung des Gefährdungsvorsatzes innerhalb der Gefährdungstatbestände
  • 2. Gegenstand des Gefährdungsvorsatzes: konkrete Gefährdung des Individualrechtsguts
  • a. Meinungsvielfalt vom Gefahrbegriff und Gefahrerfolg
  • aa. Fragestellung zum Gefahrbegriff
  • bb. Gefahrbegriff in der früheren Literatur und Rechtsprechung
  • cc. Wende des Gefahrbegriffs
  • (1) Gefahrurteil gemäß ex-post-Betrachtung
  • (2) Horns naturwissenschaftliche Gefahrerfolgstheorie
  • (3) Der normative Gefahrbegriff
  • b. Konsequenzen für Gefahrbegriff bzw. Gefährdungserfolg
  • aa. Erste Komponente des Gefahrbegriffs: Zustand zur Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts
  • bb. Zweite Komponente des Gefahrbegriffs: Erfordernis des Hineingelangens des Rechtsgutsobjekts in den Wirkungsbereich des Täterverhaltens
  • cc. Dritte Komponente des Gefahrbegriffs: Zufallsabhängigkeit der Rechtsgutsverletzung
  • (1) Grundlage
  • (2) Subkriterium: Nicht-Besitzen genereller Beherrschbarkeit des Geschehensablaufs zum Verletzungserfolg
  • dd. Zusammenfassende Darstellung der konkreten Gefahr
  • c. Zwischenergebnis und Stellungnahme zu Einwänden
  • aa. Zwischenergebnis: Konkrete Gefährdung des Rechtsguts als einziger Gegenstand des Gefährdungsvorsatzes
  • bb. Gründe aus Schuldprinzip
  • cc. Gründe aus Präventionsfunktion
  • dd. Zusammenfassung
  • III. Wissen und Wollen des Gefährdungsvorsatzes
  • 1. Gefährdungsvorsatz als subjektives ex-ante-Gefahrurteil
  • a. Grundlage
  • b. Gefahrurteil hinsichtlich präventiv orientierter Risikoethik
  • c. Mit dem Schuldprinzip vereinbarende Risikoethik
  • d. Gefahrurteil hinsichtlich am Schuldprinzip orientierter Risikoethik
  • 2. Fundament des Wissens und Wollens
  • a. Wissenskomponente
  • b. Wollenskomponente
  • 3. Gefährdungswissen: Affirmatives Gefahrurteil der Tatherrschaft zu konkreter Gefährdung
  • a. Grundsatz
  • b. Wissen um konkrete Gefahr
  • aa. Subjektive Wahrscheinlichkeitsprognose als Kenntnis der Steuerungsmöglichkeit
  • bb. Kenntnis der Tatherrschaft zur konkreten Gefährdung des Rechtsgutsobjekts
  • cc. Sog. „Sonderwissen“ der konkreten Gefahr
  • 4. Gefährdungswollen: Überlegte Entscheidung über Tatherrschaft zu konkreter Gefährdung
  • a. Grundsatz
  • b. Wollen und Nicht-Wollen der Tatherrschaft zum konkreten Gefährdungserfolg
  • aa. Positives Element: Entscheidung über Tatherrschaft zum konkreten Gefährdungserfolg
  • bb. Negatives Element: Berechtigtes Vertrauen des Täters auf Ausbleiben des Verletzungserfolgs
  • (1) Grundformel
  • (2) Unberechtigtes Vertrauen als verletzungsvorsatzausschließendes Wollenselement
  • (3) Berechtigtes Vertrauen als vorsatzausschließendes Wollenselement
  • (4) Sinn der Wirkungsausdifferenzierung des Vertrauenselements
  • 5. Zwischenergebnis: Feststellung der Selbstständigkeit des Gefährdungsvorsatzes hinsichtlich dessen Wissens- und Wollensseite
  • IV. Anerkennung verschiedener Formen des Gefährdungsvorsatzes, insbesondere eventuellen Gefährdungsvorsatzes
  • E. Zusammenfassung des Kapitels
  • 8. Kapitel: Gefährdungsvorsatz als gemeinsamer subjektiver Tatbestand im Vorsatzbereich des Gefährdungsstrafrechts
  • A. Ausblick
  • B. Keine Berücksichtigung der Interna beim abstrakten Gefährdungsdelikt
  • I. Stand der h. M.: Ohnmacht des Gefährdungsvorsatzes beim abstrakten Gefährdungsdelikt
  • II. Jakobs’ Trennungsgedanke von Interna und abstraktem Gefährdungsverhalten
  • III. Kritische Würdigung
  • C. Erfordernis subjektiver Beziehung zur Gefahr bei abstrakten Gefährdungsdelikten
  • I. Subjektive Limitierung abstrakter Gefährdungsdelikte anhand Fahrlässigkeitskriterien
  • 1. Brehms Ansatz
  • 2. Schünemanns Ansatz
  • 3. Berzs Ansatz
  • 4. Würdigung der subjektiven Strafbarkeitseinschränkung abstrakter Gefährdungsdelikte aus den Fahrlässigkeitskriterien
  • II. Versuch subjektiver Anforderung abstrakter Gefährdungsdelikte anhand Vorsatzkriterien
  • 1. Jüngere Tendenz zur Anforderung überschießender Innentendenz beim abstrakten Gefährdungsdelikt hinsichtlich § 89 a StGB
  • 2. Eigene Meinung
  • a. Das objektive Verhältnis von abstrakter und konkreter Gefährdung und deren kongruenter Vorsatz
  • b. Gefährdungsvorsatz als subjektive Anforderung der abstrakten Gefährdungsdelikte
  • aa. Uminterpretation des Verhältnisses zwischen Rechtsgütern und abstrakten Gefährdungsdelikten aufgrund der personalen Rechtsgutslehre
  • bb. Strukturelle Anforderung der minimalen Angriffsintensität der abstrakten Gefährdungsdelikte gegen Individualrechtsgüter
  • cc. Anforderung an einen auf doppelte Schutzrechtsgüter bezogenen Gefährdungsvorsatz bei den abstrakten Gefährdungsdelikten
  • dd. Umkehr der Systematik des Gefährdungsstrafrechts
  • D. Zusammenfassung
  • Schlussfolgerung
  • A. Das moderne Gefährdungsstrafrecht: Alter Wein in neuen Schläuchen
  • B. Rekonstruktion des legitimen Gefährdungsvorsatzes: Non nova, sed nove
  • Literaturverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

| 27 →

Einführung

A. Das moderne Gefährdungsstrafrecht als Forschungsgegenstand

Das Gefährdungsstrafrecht gewinnt innerhalb des Forschungsgebiets des modernen Strafrechts immer mehr an Bedeutung. Es wird dabei im Sinne der Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes als ein wichtiges Kennzeichen der Modernisierung des Strafrechts verstanden, welches sowohl die strafrechtlichen Reformen1 als auch die dogmatische Umstrukturierung des Strafrechtssystems2 umfangreich beeinflusst hat. Es ist sicherlich, so Schroeder, der „Siegeszug der Gefahr im Strafrecht“.3 Allerdings ist das Gefährdungsstrafrecht auch seit langem nur ein Topos bzw. Schlagwort in der strafrechtlichen und kriminalpolitischen Wissenschaft, ohne dass sein Umfang zugleich wissenschaftlich und systematisch bestimmt wurde.4 So bedarf es in dieser Arbeit zuerst einer vorläufigen Bestimmung des Forschungsgegenstands.5

Die Deliktsform der Gefährdungsdelikte lag schon im Römischen Strafrecht, in den Reichspolizeiordnungen, sowie in dem Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten 1794 vor. Später tauchte das Konzept des Gefährdungsstrafrechts während der NS-Zeit auf und erreichte seinen ersten Höhepunkt in der Praxis der Strafgesetzgebung, vor allem in der damaligen sog. Denkschrift des Preußischen Justizministers über ein Nationalsozialistisches Strafrecht 1933.6 Damit erweist sich ← 27 | 28 → deutlich, dass das Gefährdungsstrafrecht keineswegs ein reines modernes Werk der Strafgesetzgebung ist.7 Der Gegenstand dieser Arbeit ist allerdings nicht das Gefährdungsstrafrecht, das vor dem Ende des zweiten Weltkriegs vorlag, weil dieses sich eher als eine reine Entscheidung des Souveräns bzw. der Totalität und nicht als die Reaktion auf die Gesellschaftsbedürfnisse darstellte. Der Gegenstand dieser Arbeit ist hingegen dasjenige Gefährdungsstrafrecht, welches unter bestimmten Bedingungen der gesellschaftlichen Modernität und im Rahmen des verfassungsrechtlich-demokratischen Staates entsteht. Dabei geht es um das Produkt aus den komplexen Systemen von der modernen Gesellschaft und der parlamentarischen Politik, das begrifflich nur schwer exakt zu definieren ist,8 wie etwa bei der Forschungsmethode der mit ihm similären Konzeption des Risikostrafrechts gezeigt wurde.9

B. Verhältnis zwischen Risiko- und Gefährdungsstrafrecht

Das Gefährdungsstrafrecht ist aber keineswegs identisch mit dem Risikostrafrecht. Die erste grobe Unterscheidung zwischen den beiden Konzeptionen liegt auf der Hand: Während es bei dem Gefährdungsstrafrecht um Gefahr und Gefährdung als Verbrechensmerkmale geht, geht es bei dem Risikostrafrecht um das Risiko als solches.10 Innerhalb dieser Unterscheidung vom Risiko- zum Gefährdungsstrafrecht liegt daher ein Paradigmenwechsel, wonach Gefahr sowie Gefährdung als die negative Fortsetzung eines Risikos das Strafrecht dominieren.11

Von diesem Paradigmenwechsel aus scheint das Gefährdungsstrafrecht zwar offensichtlich wie das Risikostrafrecht im Widerspruch zu den traditionellen, liberalen Rechtsstaats- sowie Zurechnungsprinzipien zu stehen,12 es hinterlässt jedoch mehr Spuren von Entsubjektivierung und Entindividualisierung bei den Kriterien strafrechtlicher Zurechnung als das Risikostrafrecht: Während der Mensch im Risikostrafrecht als rationaler Entscheider verpflichtet ist,13 handelt es sich beim Gefährdungsstrafrecht letztlich um die Niederlage des Menschenbildes, wonach der ← 28 | 29 → Mensch im Strafrecht schicksalhaft als „Gefahrenpotenzial“ dargestellt ist.14 Das Gefährdungsstrafrecht ist insoweit das weitere Pervertierte des Risikostrafrechts, welches nur den Pessimismus für die Lebenslage des Menschen und Diskriminierung des Subjekts besagt und somit die subjektbezogenen Voraussetzungen der Strafbarkeit umformuliert bzw. disqualifiziert.15 Im Gefährdungsstrafrecht gilt daher der von Prittwitz gelieferte Befund des Risikostrafrechts nach wie vor:

„Voraussetzung der Strafbarkeit ist ferner nicht, dass man das Risiko erkannt hat, sondern dass man sich für das Risiko entschieden hat. Die eigentlichen Probleme liegen insoweit nicht in der Dogmatik, sondern in der Durchführung subjektiver Zurechnung. Es geht weder um die Polarität zwischen Wissen und Wollen noch um die unterschiedlichen Formeln zur Abgrenzung von dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit, sondern darum, ob es uns ernst ist mit dem Normprogramm, das sich auf eine realistische Rekonstruktion von ex ante-Einstellung gegenüber Risiken festgelegt hat“.16

Dieser Befund weist zum einen auf eine zutreffende Richtung hin, Legitimationsdefizite vom Risiko- bzw. Gefährdungsstrafrecht hinsichtlich der Maßstäbe subjektiver Zurechnung zu mildern, und deutet zum anderen implizit an, dass das moderne Strafrecht die Vorsatzdogmatik nicht auf den rechten Weg bringt.17 Angesichts der wesentlichen Verschiedenheit zwischen Risiko und Gefahr ist das Problem der Vorsatzdogmatik im Gefährdungsstrafrecht durchaus komplizierter als im Risikostrafrecht. Bei dem Vorsatz hinsichtlich der Gefahr geht es unabhängig vom Risikovorsatz um den sog. Gefährdungsvorsatz, welcher seit langem in der Strafrechtswissenschaft vorhanden ist.18 Die Vorsatzdogmatik im Gefährdungsstrafrecht bezieht sich daher nicht nur auf die Uminterpretationen der einzelnen Vorsatzkomponente wie im Risikostrafrecht, sondern vielmehr noch auf die Entwicklung einer eigenen Art des Vorsatzes. Um die Legitimationsdefizite vom modernen Gefährdungsstrafrecht zu ← 29 | 30 → mildern, muss daher zunächst geklärt werden, was der Gefährdungsvorsatz überhaupt ist und im welchen Zusammenhang er mit dem Gefährdungsstrafrecht steht.

C. Bezug des modernen Gefährdungsstrafrechts zum Gefährdungsvorsatz

Obwohl der Terminus Gefährdungsvorsatz spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in der deutschen Strafrechtswissenschaft ausdrücklich genannt wird,19 gehört die Suche nach der Verortung und dem Begriffsinhalt des Gefährdungsvorsatzes in der heutigen Strafdogmatik mit Sicherheit noch zu dem Gebiet, das bisher sowohl am wenigsten erforscht als auch am schwierigsten zu erforschen ist, da es sich hierbei um den Perspektivenwechsel zwischen den zwei ebenso hochkomplizierten Bereichen der Vorsatz- und der Gefährdungsdeliktslehre handelt.20 „Am wenigsten zu erforschen“ bedeutet, dass es vor allem nach dem 2. Weltkrieg selten eine ausschließlich den Begriff Gefährdungsvorsatz systematisch darstellende Untersuchung gibt.21 „Am schwierigsten zu erforschen“ besagt dann, dass es bei einer Untersuchung über den Gefährdungsvorsatz bereits am Anfang schwer festzulegen sein mag, von welchem exakten Standpunkt der vorliegenden Vorsatz- oder Gefährdungsdeliktslehre man ausgehen soll, um den Begriff des Gefährdungsvorsatzes zu erklären. Von diesem Zustand der bisherigen Untersuchungen aus gilt der Begriff des Gefährdungsvorsatzes auf den ersten Blick als ein Stiefkind der deutschen Strafrechtswissenschaft. Aber ist es in der Wirklichkeit so?

Sobald der Gefährdungsvorsatz in erster Linie vorläufig als Vorsatz in Bezug auf Gefahr zu umfassen ist, sieht man sofort, dass sich das Gefährdungsstrafrecht auch mithilfe der verfeinerten Bearbeitung desselben gefahrbezogenen Vorsatz dogmatisch durchsetzt, sodass es sich von den Fesseln des liberal-rechtsstaatlichen Strafrechts lösen könnte. D. h., dass das moderne Gefährdungsstrafrecht erst mithilfe der Umpositionierung und Uminterpretationen des Gefährdungsvorsatzes zu einem objektivierten Gefährlichkeitsstrafrecht werden könnte. Insoweit ist der Gefährdungsvorsatz kein Stiefkind, sondern das Lieblingskind der heutigen Strafrechtswissenschaft, dessen Geltung das eigene Gebiet der Gefährdungsdelikte bereits überschreitet und somit dem Schuldprinzip widerspricht.22 Es benötigt daher dringend einer korrekten dogmatischen Verortung, welche sich angesichts der ← 30 | 31 → Defizite des Gefährdungsstrafrechts und dessen problematischer Vorsatzdogmatik entwickelt.

D. These und Gang der Untersuchung

I. These

Das Verständnis des Gefährdungsvorsatzes wäre, so meine These, der Kern des Gefährdungsstrafrechts auf einer Seite und die Achillesferse desselben auf der anderen Seite. Zur Wiederbegründung und Limitierung des modernen Gefährdungsstrafrechts müsste der Gefährdungsvorsatz zuerst dogmatisch zutreffend verstanden und verortet werden. Die Vorsatzdogmatik würde von dem Neuverständnis des Gefahrbegriffs profitieren, sodass sie neue Methoden über den neuen Gegenstand Gefahr entwickeln könnte. Die subjektbezogenen Voraussetzungen der Strafbarkeit des Verbrechens wären damit wiederum miteinzubeziehen, sodass der Mensch als Subjekt im Gefährdungsstrafrecht anerkannt werden könnte. Auch die Neusystematisierung des modernen Gefährdungsstrafrechts, von einem Gefährdungs-Strafrecht in ein Gefährlichkeits-Strafrecht umzugestalten, könnte mithin zumindest rückgängig gemacht werden. Die Versöhnung zwischen Gefährdungs- und Schuldstrafrecht ließe sich ebenfalls dadurch wieder ermöglichen.

II. Gang der Untersuchung

Um meine oben genannte These zu verfechten, wird die Arbeit wie nachfolgend durchgeführt:

Im ersten Teil handelt es sich um die rechtssoziologische und kriminalpolitische Betrachtung für die Wiederbelebung des modernen Gefährdungsstrafrechts: Zur Untermauerung dieser Wiederbelebung sind die gesellschaftlichen und staatstheoretischen Fundamente notwendigerweise in den Vordergrund zu stellen, sodass Hintergründe und neue Handlungsstrategien des modernen Gefährdungsstrafrechts sich von der Entstehung des Risikostrafrechts unterscheiden könnten. Das wechselseitige Verhältnis zwischen Einzelnen, Gesellschaft und Staat, welches später stets im modernen Rechtssystem Einfluss ausübt, steht im Zentrum der Betrachtung (1. Kapitel). Demzufolge wird zunächst gezeigt, dass das moderne Recht auch zu einem entscheidenden Teil der sozialen Sicherheitsstrategien gehört, welche in einer Sicherheitsgesellschaft durch den Staat ausgeführt werden (2. Kapitel). Sobald die gesellschaftlichen, staatstheoretischen und rechtstheoretischen Fundamente festgehalten wurden, muss weiter darauf eingegangen werden, wie das moderne Gefährdungsstrafrecht sich aufgrund dieser Fundamente in concreto darstellt. Hier wird es als Teil der Modernisierung des Strafrechts zunächst in kriminalsoziologischer und straftheoretischer Hinsicht präsentiert. Anschließend ist der bestimmte Umfang des modernen Gefährdungsstrafrechts hinsichtlich tatbestandlicher und außertatbestandlicher Perspektiven zu verdeutlichen, sodass sein Charakter von Verobjektivierung bzw. Entindividualisierung herausgestellt und kritisch gewürdigt werden kann (3. Kapitel). Schließlich wird ← 31 | 32 → Schritt um Schritt erhellt, wie das Gefährdungsstrafrecht mittels der Umgestaltungen des Gefährdungsvorsatzes die Arbeit der Verobjektivierung bzw. Entindividualisierung im Bereich des subjektiven Tatbestands durchsetzt. Diese Umgestaltungen entfernen den Gefährdungsvorsatz allzu weit von der berechtigten Figur des Vorsatzes und werden deshalb heftig kritisiert (4. Kapitel).

Im zweiten Teil handelt es sich um die legitime Interpretation des Gefährdungsvorsatzes, die sich ständig auf die Korrektur des Gefährdungsstrafrechts bzw. dessen Vorsatzdogmatik bezieht: Wie der Gefährdungsvorsatz sich wiederum berechtigt figuriert und somit seine limitierenden bzw. begründenden Funktionen der Strafbarkeit entfaltet, kommt in erster Linie auf die Betrachtung seiner Dogmengeschichte an. In der bisherigen Dogmengeschichte bleibt die Positionierung des Gefährdungsvorsatzes ständig hochumstritten und es fehlt noch an einer einheitlichen Meinung: Während manche Autoren dafür sprechen, dass der Gefährdungsvorsatz unselbstständig sei und zu dem Gebiet des Verletzungsvorsatzes bzw. der bewussten Fahrlässigkeit gehören sollte (5. Kapitel), erhalte er bei den anderen Autoren seinen Eigensinn und seine Selbstständigkeit in Bezug auf den Deliktstyp der konkreten Gefährdungsdelikte (6. Kapitel). Jedoch erscheinen weder die Ansätze gegen die Selbstständigkeit des Gefährdungsvorsatzes noch die Ansätze für sie zutreffend und schon hinreichend begründet zu sein. Es bedarf einer ausführlichen Rekonstruktion des Gefährdungsvorsatzes, wobei sowohl die Legitimation seiner Selbstständigkeit als auch sein dogmatisches Wesen anhand des Charakters des Gefahrbegriffs erneuert erörtert werden (7. Kapitel). Schließlich wird darüber hinaus beleuchtet, ob das hier rekonstruierte Konzept des Gefährdungsvorsatzes bei den abstrakten Gefährdungsdelikten gelten kann. Hier wird der Versuch unternommen, den abstrakten Gefährdungsdelikten analog dem vorsätzlichen Versuch einen Gefährdungsvorsatz abzuverlangen, sodass die uferlose Anwendung der abstrakten Gefährdungsdelikte eingeschränkt ist und somit das System des Gefährdungsstrafrechts sein Schwergewicht wiederum auf die konkrete Gefährdung abstellen könnte (8. Kapitel).


1 Siehe Müller-Dietz, FS-R. Schmitt, S. 98 ff.; Roxin, AT I, § 11, Rdnr. 146; MK-Lagodny, Bd. 5., Einleitung, Rdnr. 9; Puschke, Gefährdungsstrafrecht, S. 9 f.

2 Hassemer, ZRP 1992, S. 381. Ähnlicherweise vertritt Müller-Dietz, „dass das Gefährdungsstrafrecht das Merkmal der Risikogesellschaft ist“. Siehe Müller-Dietz, FS-R. Schmitt, S. 104.

3 So lautet der Titel von Schroeder, FS-Wolter, S. 247.

4 Nachweise Roxin, AT I, § 2, Rdnr. 68 ff., insbesondere Rdnr. 75; Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit, passim. und S. 50 ff.; Müller-Dietz, FS-R. Schmitt, S. 104; Wohlers, Präventionsstrafrecht, S. 28, 281 ff.; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 164 ff.; Puschke, Gefährdungsstrafrecht, S. 9 f.

5 Eingehende Bestimmung vgl. 3. Kapitel C.

6 Überblick der Entstehungsgeschichte Kerrl, Nationalsozialistisches Strafrecht, S. 27; Schroeder, FS-Wolter, S. 247 ff., insbesondere S. 251. Auch Metzger, DJZ 1934, S. 97 ff. Die Gefährdungsdelikte bzw. die abstrakten Gefährdungsdelikte wuchsen bereits spätestens bis der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bei dem Beginn der Expansion des Nebenstrafrechts im 20. Jahrhundert. Nachweis dazu Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 144. Bekanntlich sprach Lackner im Jahr 1967 davon, dass die Deliktsform der Gefährdungsdelikte sich in der Zwischenzeit „wie ein Ölfleck ausgebreitet“ hat und spätestens „nach dem 2. Weltkrieg […] beinahe zum Lieblingskind des Gesetzgebers“ geworden ist. Dazu Lackner, Das konkrete Gefährdungsdelikt, S. 1.

7 Das Gefährdungsstrafrecht als „Deliktsform der Moderne“ Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit, 74 ff.; Puschke, Gefährdungsstrafrecht, S. 9. Dagegen Schünemann, GA 1995, S. 212, vor allem Fn. 37; Wohlers, Präventionsstrafrecht, S. 41 f.; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 172.

8 Hinweis zu dieser Schwierigkeit Puschke, Gefährdungsstrafrecht, S. 10.

9 Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 27 ff., 366 f.

10 Der strafrechtliche Risikobegriff Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 29 ff.

11 Eingehende soziologische Perspektive vgl. 1. Kapitel B. III. 1. e. Außerdem Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 50 ff., vor allem S. 55 f.

12 Gesamte kritische Würdigung des Risikostrafrechts Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 364 ff.

13 Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 82 ff., 367.

14 Schroeder, FS-Wolter, S. 255. Beispiel Kindhäuser, Universitas 1992, S. 229: Der Mensch sei ein größter Risiko- und Unsicherheitsfaktor.

15 Analyse vgl. 3. Kapitel C.

16 Als Ergebnis seines Buches Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 386. Detailliert ebenda, S. 374 f.: „Ob jemand in der Lage zu rationalem Risikoverhalten war, wäre nicht wichtig, weil es um die Einübung überlebenswichtiger Maximen der Risikovermeidung ginge. In den Hintergrund würden auch die subjektive Seite des riskanten Verhaltens und die an der Vorwerfbarkeit orientierten Abstufungen treten: Ob jemand die Absicht hatte, fremde Rechtsgüter zu gefährden, ob er immerhin wissend gefährdete, und wie dieses Risikowissen im Einzelfall genau aussah, all das würde keine entscheidende Rolle spielen. Denn Kern des Vorwurfs wäre die bewusste Risikoerhöhung oder das fehlende Bewusstsein der Risikoerhöhung. […] Die realen Gefahren absichtlicher Gefährdungen fallen demgegenüber nicht ins Gewicht, sodass die Hauptaufgabe des Risikostrafrechts wäre, Risikounwissen zu stigmatisieren und dadurch Risikobewusstsein zu produzieren“.

17 Zur Dogmatik des Risikovorsatzes Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 352 ff.

18 Er war wohl seit den Postglossatoren im 13. Jahrhundert im römischen Recht vorhanden. Mit weiteren Nachweisen Klee, dolus indirectus, S. 11 ff.

Details

Seiten
386
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653064667
ISBN (ePUB)
9783653958317
ISBN (MOBI)
9783653958300
ISBN (Hardcover)
9783631667897
DOI
10.3726/978-3-653-06466-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (April)
Schlagworte
Risikostrafrecht Gefährdungsdelikt Vorsatz Sicherheitsstrafrecht
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 386 S.

Biographische Angaben

Chun-Wei Chen (Autor:in)

Chun-Wei Chen erwarb seinen LL.B., LL.M. und Ph.D. in Law candidate an der National Chung Cheng University (Taiwan). Er war als Rechtsanwalt tätig, war Stipendiat des DAAD und wurde an der Goethe-Universität Frankfurt am Main promoviert. Derzeit ist er Assistant Professor an der Shih Hsin University in Taipei City (Taiwan).

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Titel: Gefährdungsvorsatz im modernen Strafrecht
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