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Stimmvereinbarungen zwischen Gläubigern in der Insolvenz

Eine Untersuchung anhand des Verfahrensrechts und des materiellen Rechts der InsO

von Gunnar Groh (Autor:in)
©2016 Dissertation XVIII, 216 Seiten

Zusammenfassung

Dieses Buch beschäftigt sich mit der bislang kaum beachteten Frage, ob Gläubiger in der Insolvenz Stimmvereinbarungen treffen können. Dabei spielen praktische Erwägungen zur Planbarkeit der Stimmergebnisse eine Rolle. Zudem haben solche Stimmbindungsverträge eine wertschöpfende Komponente. Die Zulässigkeit betrifft zuerst das Verfahrensrecht, insbesondere die Vorbereitung und den Ablauf der Termine. Der Autor misst solche Abreden auch an zentralen materiellen Grundsätzen, dem Gleichbehandlungsgrundsatz und der Vorrangregel, wobei er die Judikatur zum ähnlichen Forderungskauf bespricht und anschließend ein Sanktionensystem für unzulässige Abreden entwickelt. Zuletzt prüft der Autor, ob Treupflichten zwischen Gläubigern bestehen, die sich auf die Zulässigkeit dieser Abreden auswirken könnten.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einleitung
  • Kapitel 1. Das Kollektivhandlungsproblem im Insolvenzrecht
  • § 1 Divergenz der Gläubigerinteressen
  • A. Primäres Interesse an Befriedigung
  • B. Weitergehende Bestandsinteressen
  • C. Interessendivergenzen zwischen gesicherten und ungesicherten Gläubigern
  • § 2 Wettlaufsituation und Gefahr der Vernichtung kollektiver Werte
  • § 3 Informationsasymmetrien innerhalb der Gläubigerschaft
  • A. Vertraglich bedingte Informationsvorteile
  • B. Vorsprung durch gesetzlich normierte Informationsrechte
  • § 4 Konsequenz: Scheitern rein konsensualer Lösungsansätze
  • A. Schwierigkeiten einer kautelarjuristischen Insolvenzvorsorge weit vor der Insolvenz
  • B. Probleme von Ad-hoc-Versuchen der Krisenbewältigung
  • § 5 Zusammenfassung
  • Kapitel 2. Gesetzliche Reaktion auf das Kollektivhandlungsproblem: „Zwangskollektiv“ und Majoritätsprinzip
  • § 1 Das Gläubigerkollektiv als „Zwangskollektiv“
  • A. Exkurs: Einordnung des Gläubigerkollektivs vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
  • B. Nach der Verfahrenseröffnung: schlichte Interessengemeinschaft
  • § 2 Kollektivierung in Organen der Selbstverwaltung
  • A. Mehrheitsentscheidungen in den Gläubigerorganen
  • I. Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss
  • II. Modus der Entscheidungsfindung: Mehrheitsprinzip
  • B. Spezieller Abstimmungsmodus im Insolvenzplanverfahren: Gruppenbildung und rechtsökonomische Imperative
  • I. Gruppenlösungen im Planrecht
  • 1. Geltungsgrund für Gruppenlösungen
  • 2. In § 222 InsO vorgesehene Gruppen
  • II. Kombination des Gruppensystems mit rechtsökonomischen Imperativen: Obstruktionsverbot der §§ 244 f. InsO
  • 1. Überblick über die einzelnen Wohlfahrtskriterien
  • a. Pareto-Optimum
  • b. Kaldor/Hicks-Kriterium
  • 2. Umsetzung dieser Grundsätze im Recht des Insolvenzplans, §§ 217 ff. InsO
  • a. Regelungsgehalt der §§ 244 f. InsO
  • b. Inkonsequente Umsetzung des Pareto-Optimums
  • C. Sonderfall: Anleihegläubiger und ihr gemeinsamer Vertreter in der Insolvenz
  • § 3 Zusammenfassung
  • Kapitel 3. Grundlagen einer Stimmvereinbarung zwischen Gläubigern
  • § 1 Praktischer Hintergrund von Stimmvereinbarungen zwischen Gläubigern
  • A. Anwendungsbereich
  • I. Verwertungsentscheidungen
  • II. Andere Entscheidungen
  • B. Sicherheit und Planbarkeit der Abstimmungsergebnisse
  • C. Wertschöpfende und distributive Komponente von Stimmvereinbarungen: Schließung von Effizienzlücken der InsO?
  • I. Effizienzlücken außerhalb des Planverfahrens
  • 1. Beteiligung aller Gläubiger
  • 2. Beteiligung einzelner Gläubiger
  • 3. Erreichbarkeit effizienter Resultate auf anderem Wege?
  • a. Indisponibler Charakter der §§ 174 ff., 187 ff. InsO
  • b. Lückenhaftigkeit des § 78 InsO
  • c. Lückenschluss durch das Planverfahren?
  • aa. Tatsächliche Lücken
  • bb. Kein Monopol der §§ 217 ff. InsO für konsensuales Gläubigerhandeln
  • cc. Keine Umgehung tragender Verteilungsgrundsätze des Planverfahrens
  • (1.) Planrechtliche Gleichbehandlung, § 226 Abs. 1 und § 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO
  • (2.) „Recht auf ein Nicht-Schlechter-Stehen“, § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO
  • (3.) Absolute Vorrangregel, § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO
  • 4. Zusammenfassung
  • II. Effizienzlücken im Recht des Insolvenzplans?
  • 1. Beteiligung aller Gruppen an der Stimmvereinbarung
  • 2. Effizienz und selektive Beteiligung von Gruppen bzw. Gruppenmitgliedern
  • a. Selektive Beteiligung von Gruppen
  • b. Selektive Beteiligung von Gruppenmitgliedern
  • 3. Gruppeninterne Abkommen: Intragruppenabreden
  • 4. Zusammenfassung
  • III. Wertzerstörung durch Stimmvereinbarungen?
  • 1. Außerhalb des Planrechts
  • 2. Im Planrecht
  • IV. Ergebnis
  • D. Zusammenfassung
  • § 2 Eingehung der Pflicht zur Stimmabgabe
  • A. Rechtliche Qualifikation einer Stimmvereinbarung
  • B. Stimmpflicht als Nebenpflicht zu einer umfassenderen Abrede?
  • I. Terminologische Grundlagen
  • II. Stimmpflichten als Nebenleistungspflicht zu Pool- und Konsortialverträgen
  • C. Ergebnis
  • § 3 Relative Wirkung von Stimmvereinbarungen und Sanktionierung von Verstößen
  • § 4 Zusammenfassung
  • Kapitel 4. Zulässigkeit von Gläubigervereinbarungen im Lichte des Verfahrensrechts der InsO
  • § 1 Überblick möglicherweise verletzter Verfahrensvorschriften
  • A. Publizitätsvorschriften zur Vorbereitung auf die Termine
  • B. Vorschriften zur chronologischen Struktur der Entscheidungstermine
  • § 2 Verletzung des Verfahrensrechts der InsO durch Stimmvereinbarungen?
  • A. Keine Verletzung von § 240 InsO
  • I. Eidenmüller: Nichtigkeit von Stimmvereinbarungen gem. § 240 InsO i.V.m. § 134 BGB
  • II. Unergiebigkeit der Gesetzeshistorie
  • III. Tragweite möglicher Änderungen im Rahmen von § 240 InsO
  • IV. Alternative Sanktion zur Nichtigkeit nach § 240 InsO i.V.m. § 134 BGB
  • B. Breiterer Kontext: Disposition über Verfahrensrechte
  • I. Disponibilität insolvenzrechtlicher Verfahrensvorschriften?
  • II. Zulässige Verzichtswirkung einer Stimmvereinbarung
  • III. Grenze der Disponibilität: Abstimmungen des Gläubigerausschusses
  • C. Schutzzweckbetrachtung gegenüber den unbeteiligten Gläubigern
  • § 3 Zusammenfassung
  • Kapitel 5. Einfluss des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die Zulässigkeit von Stimmvereinbarungen
  • § 1 Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Insolvenzrecht
  • A. Begründungsansätze zum insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz
  • I. Gleichbehandlung bei privatrechtlichen Sachverhalten
  • II. Insolvenzrechtlicher Diskussionsstand zum Gleichbehandlungsgrundsatz
  • III. Verteilungs- und Austauschgerechtigkeit im Insolvenzrecht
  • 1. Regelabwicklung: Ausdruck von Verteilungsgerechtigkeit
  • 2. Planrecht: Ausdruck von Austauschgerechtigkeit
  • IV. Weitergehender Schutzzweck der Gleichbehandlung: Steigerung der Richtigkeitsgewähr insolvenzrechtlicher Mehrheitsentscheidungen?
  • 1. Gesellschaftsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz als Garant einer Interessengleichrichtung der Kollektivmitglieder
  • 2. Übertragbarkeit dieser Argumentation auf das Insolvenzrecht
  • B. Tatbestand der Ungleichbehandlung
  • I. Konkretisierung eines Gleichheitsverstoßes durch spezielle Normen der InsO
  • II. Formelle Ungleichbehandlung
  • III. Materielle Ungleichbehandlung
  • C. Zusammenfassung
  • § 2 Gläubigerabreden und der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht des Insolvenzplans
  • A. Verbindungslinien zwischen Gleichbehandlung und Publizität
  • I. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Forderungskauf
  • II. Anwendung dieser Kriterien auf Stimmvereinbarungen zwischen Gläubigern
  • 1. Nicht sanktionswürdige Fälle
  • 2. Verbleibender Problemfall: selektiver Erwerb von Stimmen
  • III. Gleichbehandlung und ein „Markt für Stimmen“
  • 1. Grundgedanke eines Marktes für Stimmen
  • 2. Kritik: Dysfunktion eines Marktes für Stimmen
  • a. Übernahmerechtliches Gefangenendilemma
  • b. Übertragbarkeit des Gefangenendilemmas auf die Insolvenzsituation
  • 3. Ergebnis
  • B. Formelle Gleichbehandlung und materielle Ungleichbehandlung
  • C. Zusammenfassung
  • § 3 Gläubigerabreden und der Gleichbehandlungsgrundsatz außerhalb des Planverfahrens
  • A. Gleiche Teilhabe aller am Kooperationsgewinn
  • B. Selektive Teilhabe am Kooperationsgewinn
  • I. Erforderlichkeit von Abreden zur Hebung eines Effizienzvorteils
  • II. Modell eines „Marktes für Stimmen“ außerhalb der Plansituation
  • § 4 Sanktion eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz
  • § 5 Zusammenfassung
  • Kapitel 6. Stimmvereinbarungen und absolute Vorrangregel
  • § 1 Inhalt der absoluten Vorrangregel und ihre Umsetzung durch die InsO
  • A. Grundgedanke
  • B. Konkrete Umsetzung durch die InsO
  • § 2 Verletzung der absoluten Vorrangregel durch Stimmvereinbarungen?
  • A. Beispiele: reduzierte praktische Relevanz der Frage
  • I. Einbeziehung nachrangiger Gläubiger in eine Stimmvereinbarung
  • 1. Im Rahmen der Regelabwicklung
  • 2. Im Planrecht
  • II. Zusammenwirken unmittelbar im Rang einander folgender Gläubigerkategorien
  • 1. Im Rahmen der Regelabwicklung
  • 2. Im Planrecht
  • B. Rechtliche Bewertung
  • I. Formeller Argumentationsstrang
  • II. Vereinbarkeit entgeltlicher Stimmvereinbarungen mit dem Schutzzweck der absoluten Vorrangregel?
  • 1. Im Planrecht
  • 2. Im Rahmen der Regelabwicklung
  • III. Sanktion eines Verstoßes gegen die absolute Vorrangregel
  • § 3 Zusammenfassung
  • Kapitel 7. Treuepflichtwidrigkeit von Stimmvereinbarungen zwischen Gläubigern?
  • § 1 Mögliche normative Grundlagen einer Treuepflicht zwischen Gläubigern in der Insolvenz
  • § 2 Bedenken gegenüber der Annahme einer Treuepflicht unter Gläubigern
  • A. Systematische Bedeutung von §§ 244 f. InsO und von § 78 InsO
  • B. Regelungstechnische Bedenken
  • § 3 Ergebnis
  • Kapitel 8. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
  • Literaturverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

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Einleitung

„Imagine that you own a lake. There are fish in the lake. You are the only one who has the right to fish in that lake, and no one constrains your decision as to how much fishing to do. You have it in your power to catch all the fish this year and sell them for, say 100,000 $. If you did that, however, there would be no fish in the lake next year. It might be better for you – you might maximize your total return from fishing – if you caught and sold some fish this year but left other fish in the lake so that they could multiply and you would have fish in subsequent years. Assume that, by taking this approach, you could earn (adjusting inflation) 50,000 $ each year. Having this outcome is like having a perpetual annuity paying 50,000 $. It has a present value of perhaps 500,000 $. Since (…) when all other things are equal, 500,000 $ is better than 100,000 $, you, as sole owner, would limit your fishing this year unless some other factor influenced you. But what if you are not the only one who can fish in this lake? What if a hundred people can do so? The optimal solution has not changed: it would be preferable to leave some fish in the lake to multiply because in doing so has a present value of 500,000 $. But in this case, unlike that where you have control only yourself, an obstacle exists in achieving that result. If there are hundred fishermen, you cannot be sure, by limiting each year your fishing, that there will be any more fish next year, unless you can also control the others. You may, then, have an incentive to catch as many fish as you can today because maximizing your take this year (catching, on average, 1,000 $ worth of fish) is better for you than holding off (catching, say, only 500 $ worth of fish this year) while others scramble and deplete the stock entirely. If you hold off, your aggregate return is only 500 $, since nothing will be left for next year or the year after. But that sort of reasoning by each of the hundred fishermen will mean that the stock of fish will be gone by the end of the first season. The fishermen will split 100,000 $ but there will be no fish – and no money – in future years. Self-interest results in their splitting 100,000 $, not 500,000 $. What is required is some rule that will make all hundred fishermen act as a sole owner would.“1

Mit diesem bekannten Satz umschreibt Jackson das Grundproblem der Insolvenzbewältigung: Wie kann man es schaffen, dass alle Insolvenzbeteiligten – das meint vor allem die Gläubiger – handeln, wie es eine einzige Person täte? Um deutlich zu machen, was ein effizientes Insolvenzrecht leisten soll, beschreibt Jackson in seinem Werk „The logics and limits of bankruptcy law“ im oben zitierten Beispiel zunächst die (unrealistische) Lage, wenn an der Insolvenz nur ein Gläubiger beteiligt wäre.2 Davon ausgehend fragt er sich, wie ein solcher rational handelnder ← 1 | 2 → „sole owner“ sich gegenüber dem Schuldner verhalten würde. Die weitergehenden Überlegungen Jacksons kreisen dann um die Frage, ob es rechtlich möglich ist, dass sich eine Mehrzahl von Gläubigern genauso wie dieser „one man“ verhalten kann. Damit ist der für die Insolvenzsituation typische Konflikt angesprochen, wie auch allgemein ein typisches Problem kollektiver Betätigung: Es geht um die Frage, ob man eine rechtliche Lösung finden kann, die unterschiedliche, oftmals kollidierende Interessen der einzelnen Mitglieder des Kollektivs sinnvoll in Einklang bringt, und wie verfahrensmäßig der Weg zur Findung dieser Lösung gestaltet werden kann. Auf der Hand liegen zwei Lösungsansätze: Der Versuch, die (Selbst-)Koordination der Gläubiger allein über konsensuales Handeln zu erreichen, oder aber eine gesetzgeberische Intervention mit der Folge, dass ein mehr oder weniger hierarchisch gesteuertes Verfahren zur kollektiven Befriedigung abgehalten wird. Welcher Lösung man sich auch immer anschließen mag, Ziel muss es jedenfalls sein, eine bestmögliche Verwertung des Schuldnervermögens zu erreichen. Konsensuale Versuche der wirtschaftlichen Krisenbewältigung sind Gegenstand zahlreicher literarischer Abhandlungen, die bisweilen zu optimistischen, bisweilen zu pessimistischen Einschätzungen kommen.3

Die Arbeit wird sich zunächst in einem ersten Kapitel mit der schon angedeuteten Problematik befassen, dass in einer Insolvenzsituation – losgelöst vom konkreten Rechtsrahmen der Insolvenzordnung – die Gläubiger zunächst in ungeordneter Weise zusammentreffen und danach trachten werden, ihre individuellen Interessen durchzusetzen, auch wenn dies kollektivschädliche Folgen haben mag (Kollektivhandlungsproblem). Dabei wird insbesondere deutlich werden, dass rein konsensuale Ansätze zur Bewältigung des Kollektivhandlungsproblems keinen Erfolg hervorbringen. Folgerichtig hat der Gesetzgeber ein Verfahren installiert, in dem die beteiligten Gläubiger zwangsweise zu einer „Gemeinschaft“ zusammengefasst werden, und diese Gemeinschaft mit einem Verfahrensrecht versehen, das zu einer geordneten Verwertungsentscheidung durch die Gläubigerschaft führen soll. Hierüber wird Kapitel 2 einen kurzen Überblick geben, auf den im Fortgang der Arbeit immer wieder zurückgegriffen werden wird.

Wenig Beachtung hat bislang die Frage gefunden, ob und in welchem Umfang es möglich ist, konsensuales Verhalten, insbesondere Abreden zwischen Gläubigern, in das Insolvenzverfahren nach der Insolvenzordnung zu integrieren. Warum sollten sich innerhalb dieses gesetzlichen Rahmens nicht auch vertragliche Beziehungen zwischen den Gläubigern herausbilden, mit denen der Gang der Vermögensverwertung gestützt und begleitet wird? Weil es trotz der zwangsweisen Zusammenfassung dabei bleibt, dass die Gläubiger unterschiedliche Ziele verfolgen, um ihren (divergierenden) Interessen gerecht zu werden, könnten die Gläubiger weiterhin versucht sein, die verbliebenen Handlungsspielräume zu ihren Gunsten zu nutzen. Eine essentielle Grundlage der Interessendurchsetzung ist die erfolgreiche Koordination mit den übrigen – oder zumindest mit einigen – Kollektivmitgliedern. ← 2 | 3 → Es liegt dabei auf der Hand, dass eben diese Selbstkoordination im Wege einer vertraglichen Bindung geschehen kann. Eine überragende Rolle für den Gang des Insolvenzverfahrens spielen die Entscheidungen, welche die Gläubiger in den Kollektivorganen, hauptsächlich in der Gläubigerversammlung treffen. Dann ist aber auch der Gedanke nicht mehr weit, dass die Gläubiger auf vertraglicher Basis ihr Stimmverhalten in den Gläubigerorganen koordinieren. Wenn von Vereinbarungen über das Stimmverhalten die Rede ist, dann weckt das unweigerlich Assoziationen zum Gesellschaftsrecht und zu den Stimmbindungsverträgen zwischen Gesellschaftern. Die Verwendung gesellschaftsrechtlicher Stimmrechte kann zum Gegenstand von rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen zwischen den Gesellschaftern gemacht werden. Stimmvereinbarungen zwischen Gesellschaftern, die das zukünftige Abstimmungsverhalten in der Gesellschafterversammlung regeln, sind in der gesellschaftsrechtlichen Literatur und Rechtsprechung hinlänglich diskutiert worden. Sie werden nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit allgemein als zulässig anerkannt.4 Man sieht solche Vereinbarungen als Ausdruck der Abstimmungsfreiheit an, die auch die Möglichkeit der Selbstbindung mit einschließt.5 Die Zwecke, die hiermit verfolgt werden, sind divers und reichen von der dauerhaften Durchsetzung unternehmerischer Strategien bis zu punktuellen Maßnahmen, wenn es darum geht, den Abschluss bestimmter Rechtsgeschäfte sicherzustellen.6 Die Rechtsfigur wird besonders für Familiengesellschaften als hilfreich identifiziert, wenn Gesellschaftergruppen ihren Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft und die Besetzung der Organe dauerhaft sichern wollen.7

In einem dritten Kapitel wird daher zunächst untersucht, welche praktische Bedeutung Stimmvereinbarungen überhaupt haben, und was damit grundsätzlich erreicht werden kann, unabhängig von spezifischen Fragen ihrer Zulässigkeit. Dabei werden nicht nur klassische Erwägungen zur Sicherheit und Planbarkeit der Abstimmungsergebnisse eine Rolle spielen, sondern auch die Frage, ob Abreden zwischen Gläubigern eine wertschöpfende Komponente innewohnen kann. Zur ersten Durchleuchtung solcher Abreden wird auch deren grundsätzliche rechtliche Einordnung gehören.

Die hieran anschließenden Kapitel setzen sich umfassend mit der rechtlichen Zulässigkeit von Stimmvereinbarungen zwischen Gläubigern auseinander. Das betrifft zu allererst die formelle Seite, also das Verfahrensrecht der InsO (Kapitel 4). Dabei ist die Frage nicht von der Hand zu weisen, ob Stimmabreden zwischen ← 3 | 4 → Gläubigern mit den Publizitätsvorschriften, welche die Gläubigerabstimmungen begleiten, vereinbart werden können. Soweit dieses Problem überhaupt in der Literatur identifiziert wird, könnte man in Plankonstellationen einen Verstoß gegen §§ 240, 235 InsO vermuten.8 Die Arbeit schließt sich diesem Standpunkt jedoch nicht an. Gravierender als diese formellen Aspekte ist jedoch die Frage, ob sich Stimmvereinbarungen zwischen Gläubigern mit den zentralen materiellen Grundsätzen des Insolvenzrechts vertragen, d.h. mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz und der absoluten Vorrangregel. Im Hinblick auf den insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (Kapitel 5) wird sich die Arbeit nicht mit den tradierten Formeln und Definitionen begnügen, sondern versuchen, dem Gleichbehandlungsgrundsatz einen breiteren Bedeutungshorizont – die Steigerung der Richtigkeitsgewähr insolvenzrechtlicher Mehrheitsentscheidungen – abzugewinnen. Trotzdem liegen die Probleme auf der Hand: Werden Abreden zwischen Gläubigern von Kompensationsleistungen begleitet („Stimmenkauf“), und werden sie nur selektiv zwischen einigen Gläubigern abgeschlossen, dann liegt ein Verstoß gegen den insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht fern. Das betrifft das Planrecht wie auch Entscheidungen im Rahmen der §§ 156 ff. InsO. Im Anschluss hieran untersucht Kapitel 6, wie sich (entgeltliche) Stimmvereinbarungen zwischen Gläubigern zu der absoluten Vorrangregel, einem weiteren zentralen Grundsatz des Insolvenzverfahrens, verhalten. Die Frage hat eine etwas reduzierte Tragweite, da vor allem Zuwendungen an Residualberechtigte ein Problem der Vorrangregel sind, es sich bei diesem Personenkreis vornehmlich aber um die (Alt-)Gesellschafter des Schuldnerunternehmens handelt und nicht um dessen Gläubiger.

Bei den schon erwähnten gesellschaftsrechtlichen Stimmvereinbarungen wird es als eine Wirksamkeitsschranke genannt, dass sich kein Gesellschafter zu einem Stimmverhalten verpflichten kann, mit welchem er gegen seine gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten verstößt. Deshalb wird in Kapitel 7 der Frage nachgegangen, ob auch im Gläubigerkollektiv Treuepflichten bestehen, mit denen sich wiederum die Stimmvereinbarungen zwischen Gläubigern nicht vertragen könnten. Man wird die Frage aber letztlich verneinen müssen.

Den Abschluss der Untersuchung bildet eine zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse (Kapitel 8).


1 Jackson (1986), 11 f.; in ähnlicher Form wiedergegeben in: Adler/Baird/Jackson (2007), 23.

2 Jackson (1986), 12 ff.

3 Siehe dazu eingehend Kapitel 1 § 4.

4 Vgl. nur BGH, NJW 1987, 1890, 1892; BGH, NJW 2009, 669, 670; Baumbach/Hueck-Zöllner, § 47 GmbHG Rn. 113 jeweils m.w.N.

5 Behrens (1992), 552; MüKoAktG-Schröer, § 136 AktG Rn. 64 ff.; Spindler/Stilz-Rieckers, § 136 AktG Rn. 48; Weber (2000), 92.

6 Henssler/Strohn-Hillmann, § 47 GmbHG Rn. 86; Michalski-Römermann, § 47 GmbHG Rn. 490; MüKoGmbHG-Drescher, § 47 GmbHG Rn. 232; Scholz-Schmidt, § 47 GmbHG Rn. 36.

Details

Seiten
XVIII, 216
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653063752
ISBN (ePUB)
9783653959048
ISBN (MOBI)
9783653959031
ISBN (Paperback)
9783631667637
DOI
10.3726/978-3-653-06375-2
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (November)
Schlagworte
Insolvenzrecht Gläubigergleichbehandlung Vorrangregel Stimmenkauf
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. XVIII, 216 S.

Biographische Angaben

Gunnar Groh (Autor:in)

Gunnar Groh studierte Rechtswissenschaften in München und Paris sowie in New York und promovierte in Mannheim. Er ist im Justizdienst des Freistaates Bayern tätig.

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