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Paradoxe Ergebnisse von Mehrheitsentscheidungen

Ein aktueller Disput aus der Gründerzeit der modernen aufgeklärten Demokratie

von Wolfgang Gerß (Autor:in)
©2016 Monographie 136 Seiten

Zusammenfassung

In diesem Buch geht es um demokratische Mehrheitsabstimmungen, von denen der Marquis de Condorcet im 18. Jahrhundert bemerkte, dass sie zu nicht umsetzbaren («paradoxen») Beschlüssen führen können, auch wenn die einzelnen Entscheidungsträger «vernünftig» (rational) denken und handeln. Dieses Phänomen ist bis in die Gegenwart ein Forschungsgegenstand von Sozialwissenschaftlern und Mathematikern. Die gegenwärtige Forschung hat ein Instrumentarium zur Beurteilung der Anfälligkeit gegen das Paradoxon für verschiedene Prozeduren von Mehrheitsentscheidungen geliefert. Hier werden einige Prozeduren in mathematischen Modellen dargestellt. Das Buch beschreibt ausführlich einzelne Schritte der Konstruktion dieser Modelle und demonstriert die empirische Auswertung mit leicht anwendbaren Verfahren der Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort und Einleitung
  • Eine Fabel von Äsop als Auftakt
  • Einführende Historik
  • Alltägliches Beispiel aus dem wirklichen Familienleben
  • Fiktives realistisches Beispiel aus der Kommunalpolitik
  • Exkurs zu Mängeln des Planungsrechts
  • Paradoxon von Condorcet
  • Disput der Erstautoren
  • Variabilität des wissenschaftlichen Interesses am Thema
  • Pluralität und Majorität
  • Mathematische Formulierung des Phänomens
  • Wahrscheinlichkeit paradoxer Entscheidungen
  • Darstellung nach algebraischer Verkürzung
  • Exemplarische Hinweise zur mathematischen Herleitung
  • Elementare geometrische Veranschaulichung
  • Resümierender Ausblick
  • Mathematische Symbole
  • Literaturverzeichnis

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Vorwort und Einleitung

In einem freiheitlichen Rechtsstaat soll die Beschlussfassung der politischen Gremien sowohl demokratisch als auch rational bzw. vernünftig sein. Die Entscheidungen sind demokratisch, wenn sie von einer Mehrheit gleichberechtigter Bürger getragen werden, und vernünftig, wenn sie zielgerichtet und effizient sind. Dabei ist die angestrebte Kombination von Demokratie und Vernunft keineswegs selbstverständlich. Zu den Anforderungen an „gute“ politische Entscheidungen gehört auch, dass sie rechtzeitig getroffen werden. Die meisten Entscheidungen können auch nicht dadurch umgangen werden, dass man abwartet, bis sie sich „durch Liegenlassen“ von selbst erledigt haben. Damit scheiden endlose Palaver in den Entscheidungsgremien bis zur aus Einsicht oder Ermüdung resultierenden Einstimmigkeit der Abstimmungen aus. Vielmehr muss zu irgendeinem Zeitpunkt die Debatte abgebrochen und die Entscheidung durch Kampfabstimmung – mit Stimmenmehrheit bei Gegenstimmen und Enthaltungen – getroffen werden. Solche Mehrheitsentscheidungen können in bestimmten – wenn auch in der Regel seltenen – Fällen auch „paradox“, das heißt unsinnig, in sich widersprüchlich oder unrealisierbar sein. Das Titelbild zeigt das Düsseldorfer ‚Ständehaus‘ – nach der Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen erster Sitz des Landtags – als Beispiel eines historischen Ortes sozialer Entscheidungen auf staatlicher regionaler (preußische Rheinprovinz) Verwaltungsebene (Foto: Jutta Gerß).

Im Anschluss an diese Einleitung wird eine Abschrift des Titelblattes der im Jahr 1785 gedruckten erstmaligen umfassenden und detaillierten Beschreibung des Phänomens paradoxer Abstimmungsergebnisse von Marquis de Condorcet wiedergegeben. Das Original dieser historischen Beschreibung ist nach Sprache und Inhalt in großen Teilen kaum verständlich oder offensichtlich mangelhaft. In den folgenden Kapiteln wird das Phänomen aus heutiger Sicht in einfachen praktischen Beispielen skizziert und aus aktuellem Kenntnisstand unter angestrebter weitest möglicher Angleichung an das Original mit Vermeidung von dessen Weitschweifigkeit komprimiert dargestellt. Die Darstellung beschränkt sich in Worten und Formeln auf die wichtigsten Entscheidungsmodelle, soll für diese aber zur praktischen ← 7 | 8 → Anwendung vollständig sein. Dies gilt insbesondere für die mathematische Modellierung der Entstehungsbedingungen des Paradoxons und die wahrscheinlichkeitstheoretische Bewertung seiner Relevanz. Zur besseren Praktikabilität wird die zum Teil sehr komplizierte mathematische Darstellung durch einfach handhabbare numerische Formeln ergänzt und durch graphische Hilfsmittel veranschaulicht. Zur Begründung der für die Praxis verkürzten Formeln werden Hinweise gegeben.

Paradoxe Mehrheitsbeschlüsse habe ich vor allem durch meine langjährige Mitgliedschaft in kommunalpolitischen Gremien mehrfach aktiv miterlebt. In kommunalen Vertretungskörperschaften wirkt sich die individuelle Meinungsvielfalt noch stärker als in staatlichen Parlamenten im Abstimmungsverhalten der einzelnen Mitglieder aus. Besonders in den Räten kleinerer Gemeinden spielt die persönliche Bekanntschaft der gewählten Mitglieder eine größere, ihre Fraktionszugehörigkeit dagegen eine kleinere Rolle als in den Landtagen und im Bundestag. Überraschende Mehrheitsbeschlüsse aufgrund wechselnder Mehrheiten kommen daher in den Gemeinderäten besonders häufig vor. Paradoxe Beschlüsse können zwar unter demokratischen Bedingungen nicht vollständig vermieden werden, ihre Schädlichkeit ist aber erträglich, wenn sie nur als sehr seltene Ereignisse auftreten. Die Konstellationen ihres Auftretens können mathematisch formuliert werden. Ein Abstimmungsverfahren ist umso robuster gegen paradoxe Entscheidungen und damit umso „besser“, je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein solches Paradoxon vorkommen kann. Die Wahrscheinlichkeit ist hier als klassische A-priori-Wahrscheinlichkeit zu verstehen. Sie ergibt sich als Quotient aus der Anzahl aller ein bestimmtes paradoxes Ergebnis begünstigender Ereignisse und aller überhaupt möglichen Ereignisse. Diese Wahrscheinlichkeit ist somit ein Maß für die Rationalität und damit Qualität des demokratischen Abstimmungsverfahrens.

Die Untersuchung der paradoxen Mehrheitsbeschlüsse politischer Gremien mit mathematischen Methoden war in meiner aktiven Zeit als Hochschullehrer ein zwar nur von einer Minderheit von Studierenden wahrgenommenes soziologisches Thema; die Teilnehmer waren aber besonders interessiert und meistens auch besonders qualifiziert. Außer in den Hochschulseminaren am Institut für Soziologie der Gerhard-Mercator- Universität Duisburg und am Sozialwissenschaftlichen Institut der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf habe ich von den Diskussionen mit meiner Frau Jutta Gerß und meinem ← 8 | 9 → Sohn Dr. Joachim Gerß profitiert, um Lücken in der Argumentation und sonstige Mängel der Darstellung aufzudecken. Beiden danke ich für ihre Hilfe.

Details

Seiten
136
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653061567
ISBN (ePUB)
9783653961072
ISBN (MOBI)
9783653961065
ISBN (Paperback)
9783631666821
DOI
10.3726/978-3-653-06156-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Oktober)
Schlagworte
Rationalität Paradoxon Wahrscheinlichkeitsrechnung Kommunalpolitik
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 136 S.

Biographische Angaben

Wolfgang Gerß (Autor:in)

Wolfgang Gerß lehrte als Professor der Soziologie an den Universitäten Duisburg und Düsseldorf.

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