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Nominalsyntagmen mit Präposition

Eine Studie zum Italienischen und Portugiesischen- Unter besonderer Berücksichtigung des inneren Artikels

von Jelena Nikolic (Autor:in)
©2016 Dissertation XII, 234 Seiten

Zusammenfassung

Die Autorin untersucht wesentliche Fragestellungen, die durch den Ausschluss syntagmatischer Verbindungen aus der Wortbildung durch eine formal motivierte Verlagerung in die Syntax offengelassen werden. Funktional-inhaltliche Äquivalenzen zu morphologisch abweichenden Bildungen blieben bisher ausgeblendet. Systematische Untersuchungen insbesondere zum inneren Artikel beschränken sich hauptsächlich auf das Französische, Arbeiten zum Italienischen und Portugiesischen stehen dagegen noch aus. Ziel dieser Studie ist es, sprachsystematische Kriterien herauszuarbeiten, die einen möglichen Artikelanschluss motivieren oder blockieren. Die Auswertung der Datenbasis zeigt, dass artikel-relevant verschiedene, formale, syntaktische und semantische Kriterien sind, für die eine isolierte Beschreibung nur selten möglich ist.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • 1. Wortbildung
  • 1.1 Der morphologische Ansatz
  • 1.2 Der syntaktische Ansatz
  • 1.3 Der strukturell-semantische Ansatz
  • 1.4 Semantisch-kognitive Ausrichtung
  • 2. Deskriptive Aspekte
  • 2.1 Synchronie und Beschreibung
  • 2.2 System, Norm und Rede
  • 2.3 Wortbildungsbedeutung vs. Wortschatzbedeutung
  • 2.4 Motivation und Durchsichtigkeit
  • 2.5 Lexikalisierung, Idiomatisierung, Demotivierung
  • 2.6 Produktivität
  • 3. Präpositionalsyntagmen
  • 3.1 Definitionsversuche und Probleme bei der Determinierung des Kompositumbegriffes
  • 3.1.1 Formale Reduktion
  • 3.1.2 Syntaktische Stabilität
  • 3.1.3 Inhaltlich-semantische Stabilität
  • 3.1.4 Schlussfolgerungen
  • 3.2 Zur Funktion der Präposition
  • 3.3 Determinationsverhältnis und Determinationsrichtung
  • 4. Zum Problem des inneren Artikels
  • 4.1 Der innere Artikel in Aktualisierungstheorien
  • 4.2 Forschungsansätze
  • 4.2.1 Guillaume 1919/1975
  • 4.2.2 Moody 1980
  • 4.2.2.1 Zur Abhängigkeit von Artikelsetzung und semantischer Grundrelation
  • 4.2.2.2 Artikelverhalten und Referententyp des Determinans
  • 4.2.3 Wandruszka 1972
  • 4.2.3.1 Artikelsetzung und syntaktische Funktion des Determinans
  • 4.2.3.1.1 Determinans als Objekt
  • 4.2.3.1.2 Determinans als Subjekt
  • 4.2.3.1.3 Determinans als Präpositionalphrase
  • 4.2.3.1.4 A „betrifft“ B
  • 4.2.3.2 Die Artikelsetzung in Abhängigkeit von allgemeineren semantischen Kriterien
  • 4.2.4 Zusammenfassung
  • 5. Präpositionalsyntagmen: syntaktisch-semantische Klassifikation
  • 5.1 Vorbemerkungen
  • 5.2 Korpus
  • 5.3 Semantische Kategorien
  • 5.3.1 Zweckrelationen
  • 5.3.1.1 Determinata mit Referenz auf Stoffnamen
  • 5.3.1.2 Determinata mit Referenz auf „Gegenstand“
  • 5.3.1.3 Determinata mit Referenz auf „immateriellen Gegenstand“
  • 5.3.1.4 Lokale Determinata
  • 5.3.2 Stoffangaben
  • 5.3.2.1 „N2 liegt in Form/Zustand N1 vor“
  • 5.3.2.2 „N2 ist modifiziert in N1 enthalten“
  • 5.3.2.3 „N1 ist aus/stammt von N2“
  • 5.3.2.4 Metaphorische N2-Bestimmungen
  • 5.3.3 Instrumentalbestimmungen
  • 5.3.3.1 „Gegenstand N1 funktioniert mit N2“
  • 5.3.3.2 Determinata mit Referenz auf Vorgänge
  • 5.3.4 Zum Grammatizitätsgrad der Präposition di
  • 5.4 Syntaktische Kategorien
  • 5.4.1 Akkusativische Determinanten
  • 5.4.1.1 Deverbale Determinata
  • 5.4.1.2 Nicht-deverbale Determinata
  • 5.4.2 Subjektivische Determinanten
  • 5.4.2.1 V-S – Strukturen
  • 5.4.2.2 Determinatum als „middle object“
  • 5.4.2.3 Determinatum als Prädikatsnomen
  • 5.4.2.4 Deadjektivisches Determinatum
  • 5.4.3 Determinanten in Funktion einer Präpositionalphrase
  • 6. Relationsadjektivkonstruktion und Präpositionalsyntagma
  • 6.1 Einleitendes
  • 6.2 Syntaktisch-semantische Valenz
  • 6.2.1 Primäre vs. sekundäre Determinata
  • 6.2.1.1 Sekundäre Determinata
  • 6.2.1.1.1 Nominativ schwache Relativa
  • 6.2.1.1.2 Nominativ starke Relativa
  • 6.2.1.2 Primäre Determinata
  • 6.3 Zusammenfassung
  • 7. Zum inneren Artikel
  • 7.1 Zum Artikelverhalten vor deverbalem Determinans
  • 7.2 Die Artikelverwendung in Abhängigkeit von den syntaktischen Funktionen der Konstituenten
  • 7.2.1 Determinanten in akkusativischer Funktion
  • 7.2.2 Determinanten in subjektivischer Funktion
  • 7.2.3 Das Artikelverhalten vor Determinanten in Funktion einer Präpositionalphrase
  • 7.2.3.1 Lokale Determinanten
  • 7.2.3.2 Temporale Determinanten
  • 7.3 Die Artikelverwendung in Abhängigkeit von semantischen Kriterien
  • 7.3.1 Zweckrelationen
  • 7.3.2 Materialangaben
  • 7.3.3 Instrumentalbestimmungen
  • 7.3.4 Teil-Ganzes-Relation
  • 7.3.5 Implizite Determinierung des Determinans
  • 7.3.6 Generalisierung vs. Konkretisierung/Vereinzelung
  • 7.4 Zusammenfassung
  • 8. Zusammenfassung der Ergebnisse
  • 9. Anhang
  • 9.1 Quellenverzeichnis
  • 9.1.1 Primärquellen
  • 9.1.1.1 Literatur und Wörterbücher
  • 9.1.1.2 Zeitschriften
  • 9.1.1.3 Elektronische Quellen
  • 9.1.2 Sekundärquellen
  • 9.2 Beispielregister

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Einleitung

Gegenstand der Arbeit stellen italienische und portugiesische Präpositionalsyntagmen, für die als virtuelle Syntagmen eine ausschließlich spezifizierende Determinansstelle vorausgesetzt wird, die nicht aktualisiert, situiert oder individualisiert ist. Individualisierten Determinanten wird regelmäßig ein innerer bestimmter Artikel vorgeschaltet, der eine virtuelle Interpretation des Syntagmas verhindert: figlio di re vs. figlio del re. In einigen bestimmten Fällen neutralisiert sich die Aktualisierungsfunktion des inneren Artikels, gegenüber stehen sich dann Syntagmen mit und ohne Artikelanschluss bei funktional äquivalentem Determinans: inquinamento dell’aria, amore della libertà vs. proposta di legge, dichiarazione d’amore.

Die Stellung syntagmatischer Verbindungen in der Wortbildung, vor allem auch im innerromanischen Bereich, ist nicht unkontrovers: Funktional sind Präpositionalsyntagmen „prototypischen“ Komposita zwar syntaktisch-semantisch äquivalent, werden als syntaktische Fügungen häufig aber von den eigentlichen Zusammensetzungen ausgeschlossen; systematische Untersuchungen zu spezifischen Problemstellungen finden sich fast ausschließlich für das Französische, während entsprechende Arbeiten für das Italienische und Portugiesische weitestgehend noch ausstehen.

Eine fehlende oder zumindest stellenweise nicht hinreichende Auseinandersetzung lässt notwendigerweise zwei wichtige Fragestellungen unbeantwortet: zum einen bleibt die recht komplexe, funktional aber relevante Artikelproblematik völlig unbeachtet, zum anderen werden auch Selektions- und Verteilungsmechanismen zwischen präpositionalen und konkurrierenden relationsadjektivischen Varianten ausgeblendet.

Für die Arbeit ergeben sich daraus zwei wichtige Problemstellungen: einerseits wird zu fragen sein, welche sprachsystematischen Kriterien eine Artikelsetzung in italienischen Syntagmen motivieren oder gegebenenfalls blockieren und inwieweit relevante Kriterien auch das Artikelverhalten portugiesischer Verbindungen bestimmen oder beeinflussen; zum anderen werden Kriterien herauszuarbeiten sein, die ein präpositionales oder relationsadjektivisches Determinans selegieren. Präpositionale und relationsadjektivische Bestimmungen sind als Determinansstellen zwar funktionsidentisch, allerdings zeigt sich, dass eine parallele Verwendung beider Varianten nicht in allen Fällen möglich ist. ← 1 | 2 →

Dass die Beschreibungsbasis italienische Syntagmen stellen, ergibt sich aus der bereits vorhandenen Materiallage, durch die ein zumindest grober Referenzrahmen hergestellt werden kann, innerhalb dessen funktionale Korrespondenzen, Abweichungen und Abgrenzungsschwierigkeiten zu morphologisch varianten Bildungen kritisch diskutiert werden können. Was die Artikelproblematik im Speziellen betrifft, muss auf Arbeiten zum Französischen zurückgegriffen werden, wichtig werden insbesondere sein u. a. die Arbeiten von Wandruszka (1972), Moody (1980) und Rackow (1994). Für das Italienische und Portugiesische finden sich bislang keine vergleichbaren Arbeiten, Ausführungen zu möglichen Artikelfunktionen bleiben meist auf Satzebene beschränkt.

Einen ähnlichen Stand zeigt die Materiallage zu Relationsadjektivkonstruktionen, die größtenteils ebenfalls auf französische Syntagmen beschränkt bleibt; genannt werden können etwa die Arbeiten von Möhle (1968), Wandruszka (1972) und Pittet (1974). Selektionsbeschränkungen und potentielle Konkurrenzen werden dort allerdings nur vereinzelt an konkreten Beispielen diskutiert, eine erkennbare Systematik zeigt dagegen ausschließlich die Arbeit von Frevel (2002) zum Spanischen.

Die Arbeit gliedert sich in einen theoretischen und einen analytischen Teil. In den ersten beiden Kapiteln werden in einem ersten Schritt die theoretischen Grundlagen und Voraussetzungen geklärt. Einer nur unscharfen und häufig kontroversen Bestimmung des Kompositumbegriffes geht eine nicht selten funktional problematische Abgrenzung der Wortbildung zu anderen linguistischen Teilbereichen voraus, was mitunter auch die Verschiedenheit theoretischer Beschreibungsansätze und Begriffsbestimmungen bedingt.

Kapitel 3 gibt zunächst einen Überblick zu verschiedenen Definitionen des Begriffes „Kompositum“, wie sie sich insbesondere in italienischen Grammatiken und Arbeiten zur Wortbildung finden. Definitionen weichen dabei mehr oder weniger stark voneinander ab, oft aber stützen formale Kriterien die Argumentation gegen Präpositionalsyntagmen als eigentliche Zusammensetzungen. Neben einer nur schwierigen Begriffsbestimmung stellen sich auch Abgrenzungsschwierigkeiten zu freien syntaktischen Gruppen, weshalb es sinnvoll scheint, verschiedene, formale, syntaktische und semantische Kriterien heranzuziehen, die eine für den innerromanischen Bereich generelle Bestimmung nicht nur des Kompositumbegriffes, sondern auch eine Abgrenzung zu freien Syntagmen erlauben. Vorausgeschickt werden kann aber schon hier, dass ein funktionaler Unterschied zwischen Präpositionalsyntagma und Kompositum nicht besteht; zweitens kann gezeigt werden, dass vor allem syntaktische und semantische ← 2 | 3 → Kriterien nicht zwingend komposita-spezifisch sein müssen, sondern unter Umständen auch Phrasen betreffen können.

Das Anschlusskapitel beschäftigt sich mit französischen Arbeiten zum inneren Artikel in Präpositionalsyntagmen. Wichtig für die Arbeit werden dabei sein u. a. die frühe Arbeit von Guillaume (1919/1975), der inhaltlich-semantische Ansatz von Moody (1980) und der syntaktisch-semantische Ansatz von Wandruszka (1972). Die Studie von Rackow (1994) zum Französischen und Spanischen wird in diesem Abschnitt ausgeklammert, da sich die methodische Ausrichtung der Arbeit im Wesentlichen aus der positiven und negativen Kritik an den Ansätzen von Moody und Wandruszka ergibt. Auf die von Rackow formulierte Kritik wird aber an den entsprechenden Stellen in Abschnitt 4 hingewiesen.

Die Analyse beginnt in Kapitel 5 mit einer semantischen und syntaktischen Klassifizierung virtueller Syntagmen. Die Bildungen werden klassifiziert zum einen nach der semantischen Relation zwischen Determinatum und Determinans, zum anderen nach der syntaktischen Funktion der Determinansstelle in einem dem Syntagma zugrundeliegenden Satz. Die Klassifikation beschränkt sich dabei auf diejenigen semantischen Beziehungen und syntaktischen Funktionen, die auch der Artikelanalyse in Abschnitt 7 zugrundegelegt werden. Syntagmen mit deverbalem Determinans werden als gesonderte Gruppe dabei noch nicht berücksichtigt, formal-morphologische Kriterien werden erst in Hinblick auf die Artikelsetzung relevant sein. Im Anschluss an die semantische Klassifikation wird weiterhin zu diskutieren sein, inwieweit die Präposition di/de als synsemantisches Funktionswort ausschließlich formal-grammatische Funktion hat oder möglicherweise semantische Zusatzinformationen enthält.

Nicht immer wird es möglich sein, für italienische Syntagmen eine direkte portugiesische Entsprechung zu finden, weshalb die semantisch und syntaktisch klassifizierten Syntagmen in ihrer Referenz stellenweise voneinander abweichen. In einigen Fällen stehen italienischen Syntagmen Simplizia im Portugiesischen gegenüber, oder das Determinans der portugiesischen Entsprechung wird nicht nominal, sondern relationsadjektivisch realisiert; ebenso finden sich italienische Syntagmen, die auf der Determinansstelle eine parallele Verteilung zeigen oder in denen das Determinans, ähnlich dem Portugiesischen, ausschließlich relationsadjektivisch besetzt wird. Frage in Kapitel 6 wird daher zum einen sein, welche Kriterien den unterschiedlichen Verteilungsmechanismus bzw. die eine oder andere Variante motivieren oder blockieren; zum anderen, inwieweit tatsächlich von einer funktional-inhaltlichen Äquivalenz zwischen präpositionalem und relationalem Determinans die Rede sein kann. Es zeigt sich, dass Ausnutzungsgrad und Vewendungspräferenzen eng mit der syntaktisch-semantischen Valenz ← 3 | 4 → bestimmter Determinata korrelieren, für die funktional zwischen primären und sekundären Substantiven unterschieden wird. Eine komplementäre Funktionsverteilung und eine damit notwendigerweise korrelierende valenz-relevante Funktion substantivischer Basen lassen darüber hinaus nicht unwesentliche Unterschiede im Kollokationsverhalten spezifischer Determinata erkennen.

Kapitel 7 beschäftigt sich abschließend mit der Artikelsetzung in italienischen und portugiesischen Präpositionalsyntagmen. Die Kategorisierung der Syntagmen ergibt sich einerseits aus der Besprechung der inhaltlich-semantischen bzw. syntaktisch-semantischen Ansätze in Kapitel 4, zum anderen aus der kritischen Auseinandersetzung und Diskussion der Ansätze bei Rackow (1994). Da für die Artikelsetzung nicht nur syntaktische und semantische, sondern auch formale Kriterien relevant sind, werden die Syntagmen in drei Gruppen unterteilt: die erste Kategorie setzt sich aus Verbindungen mit deverbalem Determinans zusammen, die, analog zum Französischen, deutliche Regelmäßigkeiten in der Artikelverteilung erkennen lassen. Auf die formal-morphologische Relevanz solcher Nominalgruppen weist lediglich Rackow hin, bei Wandruszka und Moody fehlt dagegen eine entsprechende Kategorie, die aber, wie sich zeigen wird, wichtige Rückschlüsse auf das Artikelverhalten insbesondere auch in italienischen und portugiesischen Bildungen zulässt. In der zweiten Gruppe werden Syntagmen nach der syntaktischen Funktion des Determinans im zugrundeliegenden Satz klassifiziert; im Unterschied zur Klassifikation in Abschnitt 4 wird zwischen weiteren formal-morphologischen, überwiegend aber semantischen Kriterien zu unterscheiden sein, die zum Teil sowohl Determinatum als auch Determinans betreffen. Der dritte und auch letzte Abschnitt beschäftigt sich mit Nominalgruppen, in denen die Artikelverteilung einerseits durch die spezifische semantische Beziehung zwischen den Konstituenten motiviert wird, zum anderen werden Syntagmen zusammengefasst, deren Artikelverhalten durch übergeordnete semantische Kriterien gesteuert wird, die stellenweise auch die in Abschnitt 2 syntaktisch klassifizierten Verbindungen miteinbeziehen.

← 4 | 5 →

1.   Wortbildung

Section 1 gives a succint overview of different methodical approaches adopted in word-formation that take into account morphological and structural-semantic-based studies, as well as syntactic and semantic-cognitive oriented approaches. From a syntactic point of view, the assumption of underlying deep structures remains problematic since the reduction of syntagmatic structures without deverbal components to just one single paraphrastic definition remains restricted in some cases. Nonetheless, syntactic paraphrases as a formal basis still maintain heuristic relevance, as will be shown in section 7.

Nicht nur die Stellung syntagmatischer Verbindungen im System der Wortbildung, auch eine funktionale Abgrenzung und Bestimmung der Wortbildung selbst als autonome Grammatikkomponente ist durch eine partielle Überschneidung oder – wie es Kastovsky formuliert – „systematische Interaktion verschiedener Bedeutungsebenen“1 recht kontrovers, was unter anderem auch durch die Verschiedenheit theoretischer Ansätze bedingt wird, deren Argumentation nicht selten auf eine (dominierend) morphologische, syntaktische, semantische oder pragmatische Beschreibung beschränkt bleibt.

Ähnlich der Bestimmung der Wortbildung auf funktional-semantischer Ebene als Grammatikalisierung des Primärwortschatzes (als funktionale Basis paragrammatischer Prozesse) bei Coseriu2, betont auch Marchand die Zwischenstellung der Wortbildung zwischen Grammatik und Lexik:

“Word-formation is that branch of the science of language which studies the patterns on which a language forms new lexical units, i.e. words. Word-formation can only be concerned with the composites which are analysable both formally and semantically.”3

Der Wortbildung kann insofern eine doppelte Funktionsbestimmung zugeschrieben werden, als dass Basis einer Identifizierung und Formulierung produktiver Strukturmuster („patterns“) und (relativer) Regelmäßigkeiten zwangsläufig tatsächlich realisierte, im Lexikon bereits inventarisierte (formal-inhaltlich motivierte) Verbindungen sein müssen, die aus funktionaler Sicht wiederum die Basis analoger ← 5 | 6 → Neubildungen stellen. Unterschieden werden muss daher zwischen zwei Aspekten, die sich komplementär zueinander verhalten: einem „statisch-strukturellen“ und einem „dynamisch-generativen“4; beide Aspekte korrelieren dabei eng, insofern die dynamisch-generative Komponente eine Identifzierung und Bestimmung systematischer Zusammenhänge und struktureller Regelmäßigkeiten – also eine analytische Betrachtung – notwendigerweise voraussetzt:

„Diese Dualität entsteht dadurch, daß die Resultate der Wortbildungsprozesse typischerweise im Lexikon gespeichert werden, so daß sowohl die Struktur dieser inventarisierten Bildungen als auch die entsprechenden Bildungsprozesse beschrieben werden müssen.“5

Wortbildungen selbst kommen dabei zwei sich partiell überlagernde Funktionen zu: einerseits als „dominante Funktion“6 die Benennung von Begriffen bzw. außersprachlicher Referenten, was in diesem Fall eine Verschiebung der Wortbildung in die Lexikologie rechtfertigt; zum anderen die Funktion der Rekategorisierung syntaktischer Einheiten zu formal reduzierten, nominalen, verbalen oder adjektivischen Varianten, durch die wiederum ein unmittelbares Verhältnis zur Syntax hergestellt wird.7

1.1   Der morphologische Ansatz

Die komplementäre Bestimmung der Wortbildung als dynamischer Prozess und statisch-strukturelles Resultat bedingt eine Beschränkung morphologisch ausgerichteter Ansätze auf eine in erster Linie materiell-strukturelle Beschreibung morphologisch komplexer Wortformen (als Resultate materieller Verfahren), während inhaltlich-semantische Aspekte demgegenüber weitestgehend vernachlässigt bleiben; zu nennen für die Romanistik sind etwa die materiell ausgerichteten komparatistisch-historischen Arbeiten von Diez (31871), Darmesteter (1877) und Meyer-Lübke (1894, 21966). Beschreibungsbasis stellt dort in der Regel das lateinische Etymon, an das sich die jeweiligen Entsprechungen romanischer Sprachen anschließen.8 ← 6 | 7 →

Die Bestimmung der Wortstruktur als ausschließlich materielle Struktur führt zu einer zwangsläufig „atomistischen Betrachtung“9 einzelsprachlicher Wortbildungsmittel, die über eine reine Identifizierung wortbildender Morpheme nicht hinausgeht. Eine Bestimmung und Klassifizierung materieller Verfahren richtet sich dabei nach möglichen Kombinationen morphematischer Elemente, unterschieden wird zwischen Derivation und Komposition: Präfixbildungen werden in der Regel der Komposition zugeschrieben, gegenüber der Beschreibung der Derivation als Liste von Suffixen, die nach ihrer Lautgestalt und genetischen Zusammengehörigkeit klassifiziert werden.10 Die Beschränkung morphologischer Ausrichtungen auf eine Feststellung und Erfassung wortbildender Morpheme und materieller Regelmäßigkeiten schließt eine aus synchroner Sicht funktionale Beschreibung wortbildender Verfahren dagegen aus, sodass systematische, funktional-inhaltliche Zusammenhänge zwangsläufig verdeckt bleiben müssen.11

Die inhaltlichen Beschreibungen materieller Ansätze beschränken sich indessen auf mögliche den wortbildenden Mitteln zugeschriebenen „Bedeutungen“, die sich vor allem auf „Grundbedeutungen“ von Suffixen beziehen. Stellenweise stützen sich entsprechende Klassifizierungen allerdings auf sehr heterogene Kategorien, insofern einige dieser Kategorien „tatsächlich relevante inhaltliche Zusammenhänge“ betreffen (vgl. die „Modifikativformen“ bei Meyer-Lübke), andere dagegen nicht mehr darstellen „als eine Klassifizierung der mit den jeweiligen Wortbildungsprodukten bezeichneten Gegenstände“12 (vgl. „Tierbezeichnungen“, „Ortsbezeichnungen“ etc.).

1.2   Der syntaktische Ansatz

Ausgangspunkt des syntaktischen Ansatzes, wie er u. a. von Marchand13 vertreten wird, ist die Annahme einer funktionalen Äquivalenz bzw. eines semantisch-grammatischen „Parallelismus“14 zwischen (motivierter) Wort- und ← 7 | 8 → Satzstruktur. Wortbildungen werden dabei Syntagmen mit inhaltlicher Determinans-Determinatum-Struktur gleichgesetzt15:

“Word-formation is that part of grammar which studies the pattern on which a language forms new lexical units. Leaving aside word-manufacturing (as in NATO for North Atlantic Treaty Organization) as an artificial process, chiefly used for the coining of proper names, and clipping as an elliptic process of la parole […], we have to state that a derivative is a syntagma consisting of a determinant and a determinatum, whether we have a compound (e.g. head-ache), a suffixal derivative (e.g. father-hood), or a prefixal derivative (e.g. un-do).”16

Die Bestimmung motivierter Verbindungen als syntagmatische Strukturen, die über eine mögliche Überführbarkeit in Satzstrukturen definiert werden, bedingt die Einführung einer syntaktischen Ebene als Analysebasis für sich eine anschließende semantische Beschreibung und inhaltlichen Systematisierung.17

Eine Spezifizierung der Determinans-Determinatum-Relation ist in der Regel durch eine Rückführung des Syntagmas in eine syntaktische Tiefenstruktur möglich: das implizit syntaktisch-semantische Verhältnis der Wortbildung ist im Satz explizit18:

“A sentence is based on the same structural principle of a determinatum/determinant relationship as is a compound, the difference being that the sentence is a complete utterance, while the compound is only a part of an utterance […]. Morphologic composites (= compounds, suffixal derivatives, prefixal combinations) are ‘reduced’ sentences in substantival, adjectival, or verbal form and as such explainable from ‘full’ sentences: washing machine sb from ‘(we) wash with the machine’, color blind adj from ‘(he is) blind with regard to colors’ […].”19

Details

Seiten
XII, 234
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653068375
ISBN (ePUB)
9783653961829
ISBN (MOBI)
9783653961812
ISBN (Hardcover)
9783631672655
DOI
10.3726/978-3-653-06837-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (August)
Schlagworte
Binnenartikel Wortbildung Komposita Relationsadjektiv
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. XII, 234 S.

Biographische Angaben

Jelena Nikolic (Autor:in)

Jelena Nikolic studierte am Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der Universität Mainz in Germersheim, wo sie später als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Romanistik/Italienisch tätig war und promoviert wurde.

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