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Der errettete Beter

Hans Stadens «Wahrhaftige Historia» (1557) als protestantische Erbauungserzählung und Beispiel lebensbezogener Lutherrezeption

von Uwe Schäfer (Autor:in)
©2015 Monographie 218 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor befasst sich mit dem ersten deutschen Brasilienbuch, die «Wahrhaftige Historia» von Hans Staden aus dem Jahr 1557. Seine Untersuchung geht neue Wege der Staden-Interpretation, indem sie die «Wahrhaftige Historia» als protestantisches Erbauungsbuch transparent macht. Sie verdeutlicht, wie der Protagonist während seiner Gefangenschaft bei einem Tupi-Indianerstamm über eine individuelle Konversion zum Glaubensvorbild wird. Die häufigen Gebetszusammenhänge in der «Wahrhaftigen Historia» werden unter Bezugnahme auf die damalige Erbauungsliteratur als besondere Form einer Luther-Rezeption herausgearbeitet. Diese weisen nach Ansicht des Autors das Buch von Hans Staden als ein Beispiel volkstümlicher Glaubensvermittlung der Reformationszeit aus.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Die ‘Wahrhaftige Historia’ – Erzählung vom Beter, der gerettet wurde
  • 1. Aktuelle Wissenschaftsdiskurse zur ‘Wahrhaftigen Historia’
  • 2. Die religiöse Intention für Abfassung und Ausgestaltung des Erzähltextes ‘Wahrhaftige Historia’
  • 3. Erzählte reformatorische Glaubenserfahrung in der ‘Wahrhaftigen Historia’
  • 3.1 Die ‘Wahrhaftige Historia’ als dosierte Konversionserzählung
  • 3.1.1 Stadens Glaubensleben vor seiner Gefangennahme
  • 3.1.2 Stadens Glaubensvertiefung als Neuausrichtung des eigenen Lebens
  • 3.1.3 Stadens Lebensgestaltung aus dem Blick des Gottvertrauens
  • 3.1.4 Glaubensvertiefung und Glaubwürdigkeitserhöhung
  • 3.2 Die Erzählfigur Staden in der Doppelrolle von Gerechter und Sünder
  • 3.2.1 Die christliche Codierung der Erzählfigur Staden
  • 3.2.2 Kommunikationsformen der Lüge bei Staden
  • 4. Reformatorische Akzentsetzungen in den Gebeten der ‘Wahrhaftigen Historia’
  • 4.1 Einordnung der ‘Wahrhaftigen Historia’ in die protestantische Erbauungs- und Gebetsliteratur des 16. Jahrhunderts
  • 4.2 Reformatorische Glaubensvorstellungen als Grundbestimmung der Gebete in der ‘Wahrhaftigen Historia’
  • 4.3 Lutherische Anknüpfungspunkte in den Gebeten der ‘Wahrhaftigen Historia’
  • 4.3.1 Die Zentralstellung Gottes in den Gebeten Hans Stadens
  • 4.3.2 Hans Staden als bittender Beter
  • 4.3.3 Die Aufnahme des ‚pädagogischen Gottes’ in der ‘Wahrhaftigen Historia’
  • 4.3.4 Hans Stadens Gebete im Angesicht des Todes
  • 4.3.5 Hans Stadens Beten wider die ‚gottlosen‘ Tupinambá
  • 4.3.6 Stadens Haltung vor dem Kreuz
  • 5. Die ‘Wahrhaftige Historia’ als volksbildnerische Erbauungserzählung
  • Abstract
  • Verwendete Literatur

Die ‘Wahrhaftige Historia’ – Erzählung vom Beter, der gerettet wurde

„Und er hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt.“ Selbstverständlich ist dieser Bibelvers aus dem Hebräerbrief (Hebr 5, 7) auf Jesus Christus gemünzt. Aber mit hoher Passgenauigkeit könnte er durchaus auch eine konzise Zusammenfassung jener Lebensgeschichte bieten, von der das Buch mit dem Titel „Warhaftige Historia und beschreibung eyner Landtschafft der Wilden, Nacketen, Grimmigen MenschfresserLeuthen in der Newenwelt America gelegen, vor und nach Christi geburt im land zuo Hessen unbekant bis uff diese ij nechstvergangene jar, da sie Hans Staden von Homberg auß Hessen durch sein eygne erfarung erkant und yetzo durch den truck an tag gibt.“1, kurz: ← 15 | 16 → ‘Wahrhaftige Historia’, ausführlich berichtet. Die ‘Wahrhaftige Historia’, das erste deutsche Brasilienbuch, erzählt von dem aus Homberg an der Efze stammenden Hans Staden, der zwischen den Jahren 1548 bis 1555 zwei Reisen nach Südamerika unternimmt. Während der zweiten Reise wird er Gefangener bei den Tupinambá-Indianern, die sich als Kannibalen herausstellen. In Todesangst wendet sich der hessische Landsknecht mit Gebeten immer wieder an seinen christlichen Gott. Und tatsächlich – nach neunmonatiger Gefangenschaft unter den Küstenindianern kommt Staden frei, der anschließend die Errettung ganz und gar der Erhörung seiner Gebete Gottes Gnade zuschreibt.

Natürlich haben schon immer Notsituationen Menschen zum Gebet geführt, in dem die göttliche Macht um Abwendung der Bedrohung angefleht wurde. Man mag die Standhaftigkeit der Hauptfigur des Buches zum Zwiegespräch mit seinem Gott zwar durchaus hervorheben, aber in dieser Hinsicht ist die Erzählfigur Staden letztlich doch nur eine unter vielen. Seine Bitten um Bewahrung, um Trost und um glückliche Heimkehr sind am Ende insofern kaum sonderlich. Erst eine genauere zeitliche Einordnung der ‘Wahrhaftigen Historia’ entwickelt eine weitere Perspektive, die über ein entschlossenes und beharrliches Beten in der Notlage hinausweist. Das Erscheinen der Schrift 1557 in Marburg an der Lahn fällt nämlich (gerade noch) in jenen Zeitabschnitt der Epoche der frühen Neuzeit, der gemeinhin ‚Reformation‘ genannt wird. Es sind mittlerweile elf Jahre vergangen, seitdem jener Mann 1546 in Eisleben verstarb, mit dem die Reformationsetappe begann. Martin Luther, ein anfangs weithin unbekannter Augustinermönch und Theologieprofessor im bescheidenen und traditionslosen Universitätsstädtchen Wittenberg, griff das Heilsinstitut zur Vergebung zeitlicher Sündenstrafen, den sogenannten Ablass, frontal an, was immense Veränderungen im kirchlichen Kontext nach sich gezogen hat. Aus seiner Kritik entfaltete sich nämlich eine zum Teil nicht abschätzbare Dynamik, die zur Beendigung einer Einheitsreligion im Deutschen Reich führte. So wurde auf dem Reichstag in Augsburg im Jahre 1555 ein unbefristeter Religionsfrieden zwischen den Augsburger Konfessionsverwandten, d. h. den Anhängern der wittenbergischen Reformation, und den altgläubigen Katholiken verabschiedet, der gewissermaßen offiziell das Zerbrechen eines allgemeinen (griech. katholikos) christlichen Bekenntnisses besiegelte, wodurch sich das Christentum in ein katholisches und ein protestantisches ← 16 | 17 → Lager unterteilte. Es folgte das Zeitalter der Konfessionalisierung, in welchem die Konfessionen um die Wahrheit des Christentums – zunächst mit theologischer Argumentation und dann in kriegerischer Auseinandersetzung – kämpften.2

Die Zuordnung der Publikation der ‘Wahrhaftigen Historia’ zum Ableben Luthers ist selbstredend nicht zufällig gewählt. Die Geschichte, von der die ‘Wahrhaftige Historia’ erzählt, findet in zeitlicher Betrachtung nach Luther statt. Inhaltlich jedoch weist die Stadenschrift vielfältige Überschneidungen zu reformatorischen Grundüberzeugungen auf, die hinsichtlich ihrer Prägekraft meist auf eine ihrer Zentralgestalten, nämlich Luther selbst, zurückgehen. Die nachfolgenden Überlegungen wollen und sollen demzufolge veranschaulichen, inwieweit der hessische Büchsenschütze Hans Staden (als Erzählfigur) den aus der Reformation hervorgehenden Gedanken jenes religiöse und theologische Rüstzeug verdankt, die ihn zum erretteten Beter par excellence überhaupt erst machen.

Anfangs soll dafür zunächst ein knapper Überblick über die gegenwärtige Stadenforschung gegeben werden, die mehrheitlich das theologische Moment bisher relativ unbestimmt gelassen hat (1.). Demgegenüber wird in der vorliegenden Untersuchung sogar verstärkt behauptet, dass die religiöse Dimension das eigentliche Movens für die Abfassung der Schrift darstellt (2.). Indem die ‘Wahrhaftige Historia’ vor allem als erzählte Glaubenserfahrung mit eingebetteten reformatorischen Denkmustern begriffen ist, gelingt es, den Spannungsbogen bezüglich der Erzählfigur Hans Staden genauer in den Blick zu nehmen, sodass die literarische Gestaltung seiner veränderten Glaubensauffassung mehr und mehr zum Tragen kommt. Diese Interpretation der Stadenfigur wird im weiteren Verlauf gegen mögliche Einwände erläutert (3.). Wie bereits erwähnt, spielen die Gebete in der ← 17 | 18 → ‘Wahrhaftigen Historia’ eine besondere Rolle. Ihrer Charakteristik wird man allerdings dann kaum gerecht, wenn man sie bloß als Gebete in Notsituationen mit einer stets wiederkehrenden Struktur begreift. Denn die religiöse Sprachform des Gebets darf nicht auf eine Sichtweise reduziert werden, die lediglich ein Zwiegespräch zwischen Mensch und Gott von den Kategorien Bitte und Erfüllung der Bitte her versteht. Daher sollen folglich die Gebete der ‘Wahrhaftigen Historia’ nicht nur hinsichtlich ihrer Erfüllung berücksichtigt werden, sondern ihre Besonderheit soll durch einen genauen Blick auf eine zeitgeschichtliche Einordnung und die inhaltlichen Bezugsrichtungen dargestellt werden (4.). Der Schlussteil der Studie fasst die gewonnen Ergebnisse nicht nur zusammen, sondern entwickelt kurz eine Perspektive auf die Wirkung des Stadenbuches als volksbildnerisches Schriftstück (5.).

Vielleicht vermag die hier dezidiert vorgenommene theologische Lesart der ‘Wahrhaftigen Historia’ für die weitere Stadenforschung, zugleich aber auch für die Reformationsforschung bezüglich der Vermittlung protestantischen Glaubenswissens im gemeinen Volk einen fruchtbaren Beitrag zu leisten. ← 18 | 19 →

                                                   

  1 WH Titelblatt, 28 (Wahrhaftige Geschichte und Beschreibung einer Landschaft der wilden, nackten, grimmigen Menschenfresserleute, in der Neuen Welt Amerika gelegen, vor und nach Christi Geburt im Lande zu Hessen unbekannt bis auf diese zwei letztvergangenen Jahre, da sie Hans Staden aus Homberg in Hessen durch seine eigene Erfahrung kennen lernte und jetzt durch den Druck bekannt gibt.).
Im weiteren Verlauf wird die ‘Wahrhaftige Historia’ im Fußnotentext mit WH abgekürzt. Nach dieser Abkürzung wird ein Hinweis auf eine Spezifikation im Gesamtwerk gegeben (z. B. I für erster Buchteil oder Titelblatt für Titelblatt). Die Buchkapitel des ersten und zweiten Buchteils werden mit arabischen Zahlen versehen. Abschließend erfolgt die Seitenangabe nach der Ausgabe von R. Maack und K. Fouquet – die Zählung der Buchkapitel folgen dabei der ursprünglichen Ausgabe, die ein fehlendes Kapitel (33) aufweist.
Den frühneuhochdeutschen Textpassagen der ‘Wahrhaftigen Historia’ wird die Übertragung von R. Maack und K. Fouquet in den Fußnoten beigefügt, um ein besseres Leseverständnis zu gewährleisten – Wiederholungen werden dafür in Kauf genommen. Auch bei den theologischen Schriften des 16. Jahrhunderts wird eine Übertragung bzw. Paraphrase hinzugefügt, sofern nicht der Sinn des Textes evident erscheint.
Die graphematischen Besonderheiten der im Falle der Vokale übergeschriebenen Zeichen werden in dieser Studie behutsam dahingehend normalisiert, dass sie einfach nachgestellt erscheinen.

  2 Es sei angemerkt, dass der Begriff ‚Konfession‘ sich erst im 19. Jahrhundert herausbildete, um das mit der Industrialisierung zusammenhängende Schwinden einer Koppelung von Religionszugehörigkeit und Territorium hinsichtlich einer identifizierten Zugehörigkeit zu einer spezifischen Religionsgemeinschaft auszudrücken. Im 16. Jahrhundert wurde eher von ‚Religionsparteien‘ gesprochen. Gegenüber dem einzig auf religiöse Kontexte bezogenen Ausdruck ‚konfessionelles Zeitalter‘ erweitert der Begriff ‚Konfessionalisierung‘ die Perspektive auch auf andere Kultur- und Lebensbereiche. Vgl. T. Kaufmann, Reformation, 702ff.

1. Aktuelle Wissenschaftsdiskurse zur ‘Wahrhaftigen Historia’

Der wissenschaftlich geführte Diskurs um die ‘Wahrhaftige Historia’ wird gegenwärtig vornehmlich von Kulturethnologen und Literaturwissenschaftlern beherrscht. Die Themenfelder, über die vorrangig gestritten wird, sind durchaus vielfältig, jedoch lassen sich markante Schwerpunktsetzungen benennen.

Details

Seiten
218
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653056570
ISBN (ePUB)
9783653962529
ISBN (MOBI)
9783653962512
ISBN (Hardcover)
9783631663325
DOI
10.3726/978-3-653-05657-0
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (April)
Schlagworte
Martin Luther Konversionserzählung protestantisches Erbauungsbuch volksbildnerische Glaubensvermittlung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 218 S., 13 s/w Abb.

Biographische Angaben

Uwe Schäfer (Autor:in)

Der promovierte Theologe Uwe Schäfer ist Pfarrer der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und derzeit Schulpfarrer in Homberg (Efze). Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf Vermittlungskontexten der christlichen Religion.

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Titel: Der errettete Beter
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