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Die gesetzliche Regelung des Seefrachtvertrags im deutschen Recht

Eine rechtshistorische Betrachtung unter besonderer Berücksichtigung der Beratungen des Seerechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht (1934–1942)

von Christian Vahl (Autor:in)
©2015 Dissertation 374 Seiten
Reihe: Rechtshistorische Reihe, Band 456

Zusammenfassung

Thema des Buches ist die Entwicklung des Seehandelsrechts in Deutschland, welches seit der Einführung des ADHGB von 1861 lange Zeit weitgehend unverändert blieb und erst durch die Seerechtsnovelle 2013 umfassend reformiert wurde. Bereits in den Jahren 1934 bis 1942 hatte sich der Seerechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht eine vergleichbare Aufgabe gesetzt und Modernisierungsvorschläge entwickelt. Christian Vahl untersucht die Beratungen und Änderungsvorschläge des Seerechtsausschusses zu den Themengebieten des Seefrachtvertrages und des Konnossementsrechts (Einführung der Haager Regeln) anhand der vollständig erhaltenen, kürzlich editierten Beratungsprotokolle sowie ergänzender, noch unveröffentlichter Dokumente.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Vorwort
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • B. Der Seefrachtvertrag: Geschichte – Definition – Abgrenzung
  • I. Überblick: Historische Entwicklung des Seehandelsrechts
  • 1. Antike
  • 2. Die Segelschifffahrtszeit (vom Frühmittelalter bis Mitte des 19. Jahrhunderts)
  • a) Die ersten beiden Perioden
  • b) Die dritte Periode
  • c) Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861
  • 3. Umbruch des Seehandels in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
  • a) Die Veränderungen im Betrieb des Seehandels
  • b) Fehlende Anpassung des HGB
  • 4. Das „Seehandelsrecht neben dem Gesetz“
  • a) Reaktion der Seehandelspraxis
  • b) Gegenreaktionen zur Freizeichnungspraxis der Reeder
  • 5. Historische Ausgangssituation der Beratungen des Seerechtsausschusses
  • II. Vertragsverhältnisse des Seetransports, insbesondere der Seefrachtvertrag in seiner gesetzlichen Fassung seit dem ADHGB bis zu den Beratungen des Seerechtsausschusses
  • 1. Aufteilung nach dem Regelungsgegenstand
  • 2. Die gesetzliche Aufteilung des ADHGB/HGB a. F.
  • a) Keine Regelung der Bareboat-Charter/Schiffsmiete
  • b) Art. 557 ADHGB/§ 556 HGB a. F.
  • 3. Das Unterscheidungsmerkmal „Zeit“
  • 4. Der Seefrachtvertrag
  • a) Definition
  • b) Rechtsnatur des Seefrachtvertrages
  • aa) Der Streit über die Rechtsnatur des Chartervertrages
  • bb) Die Regelung in Art. 557 ADHGB
  • 5. Die Zeitcharter, ein Seefrachtvertrag?
  • a) Wesensmerkmal der Zeitcharter
  • b) Der Streit um die Rechtsnatur der Zeitcharter
  • aa) Ausgangslage
  • bb) Locatio navis et operarum magistri
  • 6. Durchfrachtvertrag – Multimodalvertrag
  • 7. Der Schleppvertrag
  • III. Der Seerechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht
  • 1. Die Akademie für Deutsches Recht
  • a) Institution und Organisation
  • b) Aufgaben der Akademie für Deutsches Recht
  • c) Vorgaben für die Ausschussarbeit
  • 2. Der Seerechtsausschuss
  • a) Die Vorsitzenden
  • aa) Hans Wüstendörfer
  • bb) Fritz Lindenmaier
  • b) Weitere Mitglieder
  • c) Arbeitsplan
  • d) Arbeitsweise
  • e) Dokumentation der Beratungen
  • C. Die Beratungen des Seerechtsausschusses
  • I. Die Beratung der Haager Regeln (3. und 4. Arbeitssitzung)
  • 1. Die Haager Regeln
  • a) Herkunft und Entstehung
  • b) Wesentlicher Inhalt der Haager Regeln
  • c) Kritik an den Haager Regeln
  • 2. Die Beratungen des Seerechtsausschusses (3. und 4. Arbeitssitzung)
  • a) Aussprache über den Umfang der Beratungen
  • b) Administrative Entscheidungen für die Beratungen
  • c) Die eigentliche Behandlung der Haager Regeln im Seerechtsausschuss
  • aa) Prélude
  • bb) Dritte Arbeitssitzung vom 1. Februar 1934
  • (1) Der Bericht Koffkas
  • (2) Der Mitbericht Wüstendörfers
  • (3) Die Aussprache
  • cc) Zwischenakt
  • dd) Vierte Arbeitssitzung vom 15. Februar 1934
  • (1) Die weitere Aussprache
  • (2) Der Gegenentwurf zu „Wüstendörfers Beratungsergebnis“
  • (3) Das abschließende Beratungsergebnis
  • 3. Der „Kampf um die Deutungshoheit“ über das Beratungsergebnis
  • a) Das Abstimmungsergebnis
  • b) Interessenvertretung der Reeder gegenüber dem Reichsjustizministerium
  • 4. Das Verhalten des Reichsjustizministeriums 1934/35
  • a) Zunächst: zurückhaltendes Abwarten
  • b) Abstimmung mit weiteren Ministerialressorts
  • c) Wüstendörfers Versuch der Einflussnahme
  • d) Vorläufig abschließende Bewertung: Zurückstellung der Ratifikation
  • 5. Das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Handelsgesetzbuches über das Seefrachtrecht vom 10. August 1937 (Einarbeitung der Haager Regeln)
  • a) Der Gesetzesentwurf
  • b) Die Erörterung des Gesetzentwurfs 1937
  • aa) Das Sachverständigengremium
  • bb) Die Beratungen vom 26. – 29. April 1937
  • (1) Die erste Sitzung vom 26. April 1937
  • (2) Die zweite Sitzung vom 27. April 1937
  • (3) Die dritte Sitzung vom 28. April 1937
  • (4) Die vierte Sitzung vom 29. April 1937
  • cc) Weitere interne Beratung des Reichsjustizministeriums
  • c) Verabschiedung des Seerechtsänderungsgesetzes 1937
  • aa) Wesentlicher Inhalt des Gesetzes
  • bb) Der Streit um die Würdigung der Arbeiten des Seerechtsausschusses
  • d) Ratifizierung der Haager Regeln durch Deutschland
  • 6. Zwischenergebnis
  • 7. Exkurs: Entwurf eines Seerechtsänderungsgesetzes von 1925
  • a) Einberufung einer Expertenkommission
  • b) Der wesentliche Regelungsinhalt des Gesetzesentwurfs 1925
  • aa) Die Grundkonzeption
  • bb) Die wesentlichen Regelungen
  • c) Die Behandlung des Gesetzesentwurfs 1925
  • d) Der Gesetzesentwurf 1925 als Vorlage des Seerechtsänderungsgesetzes 1937?
  • II. Exkurs: Die Beratungen über den Schleppvertrag
  • III. Die Behandlung der Zeitcharter im Seerechtsausschuss
  • 1. Das vorbereitende Referat Baurs
  • 2. Die Beratung über die Bezeichnung des Vertragstypus
  • 3. Die Beratung des Gesetzesentwurfs
  • 4. Zusammenfassung
  • IV. Die Beratungen des Frachtrechts (38. bis 49. Arbeitssitzung)
  • 1. Thema: Das Frachtgeschäft zur Beförderung von Gütern nach den §§ 556 – 605 HGB (Referat Bollmann/Korreferat Offen) – 38. bis 43. Arbeitssitzung (23.06.1938 – 05.06.1939)
  • a) Aufbau und Terminologie des Gesetzes
  • b) Laden und Löschen der Güter
  • c) Substitutionsrecht des Be- und Verfrachters
  • d) Güterverladung auf Deck
  • e) Begleitpapiere
  • f) Vertragsurkunde der Frachtcharter
  • g) Begriffsvereinheitlichung und Straffung der gesetzlichen Regelungen
  • h) Hinterlegungsrecht des Schiffers
  • i) Lade- und Überliegezeit, Liegegeld
  • j) Leer- und Fautfracht
  • k) Stückgutfrachtvertrag
  • 2. Thema: Der Empfänger im deutschen Seerecht (Referat Segelken) – 44. Sitzung (30.10.1939)
  • 3. Thema: Die Zahlung der Fracht (Referat Segelken) – 45. bis 47. Sitzung (6.2. – 7.5.1941)
  • a) 45. Arbeitssitzung vom 6. Februar 1941
  • b) 46. Arbeitssitzung vom 3. April 1941
  • c) 47. Arbeitssitzung vom 7. Mai 1941
  • 4. Thema: Die Sicherung des Verfrachters (Referat Segelken) – 48. Sitzung
  • 5. Thema: Die Auflösung des Seefrachtvertrages (Referat Capelle) – 49. Sitzung (7./8.1.1942)
  • 6. Zwischenergebnis
  • V. Zusammenfassung
  • D. Der Weg zur Seerechtsnovelle 2013
  • I. Entwicklung des Seehandelsrechts nach 1945
  • 1. Fortentwicklung des Schifffahrtsbetriebes und Seehandels
  • 2. Internationale Vereinheitlichung
  • a) Protokoll vom 23. Februar 1968 zur Änderung des Übereinkommens vom 25. August 1924 zur Vereinheitlichung von Regeln über Konnossemente (Visby-Regeln)
  • b) UN-Übereinkommen vom 31. März 1978 über die Beförderung von Gütern auf See (Hamburg-Regeln)
  • c) The UN Convention on Contracts for the International Carriage of Goods Wholly or Partly by Sea (Rotterdam-Regeln)
  • 3. Anpassungen des deutschen Seehandelsrechts
  • a) Seerechtsänderungsgesetz vom 21. Juli 1974
  • b) Zweites Seerechtsänderungsgesetz vom 25. Juli 1986
  • c) Drittes Seerechtsänderungsgesetz vom 16. Mai 2001
  • d) Seerechtsnovelle 2013
  • e) Exkurs: Seerechtsnovelle der DDR
  • 4. Exkurs: Der Fortgang des Streits um die Rechtsnatur der Zeitcharter nach 1945
  • a) Die Abkehr von „Wüstendörfers Auffassung“
  • b) Gemischter Vertrag
  • c) Zusammenfassung
  • II. Die Seerechtsnovelle 2013
  • 1. Die Systematik des Seefrachtvertrages nach der Seerechtsnovelle
  • a) Allgemeine Einteilung
  • b) Stückgutfrachtvertrag
  • c) Reisefrachtvertrag
  • d) Abgrenzung der „Nicht-Seefrachtverträgen“
  • aa) Personenbeförderungsverträge
  • bb) Schiffsüberlassungsverträge (Schiffsmiete und Zeitcharter)
  • (1) Schiffsmietvertrag
  • (2) Zeitcharter
  • (3) Gesetzliche Regelung der Schiffsüberlassungsverträge
  • e) Vertragsgestaltungen ohne gesetzliche Regelung
  • 2. Maßgebliche Neuerungen des Rechts des Seefrachtvertrages
  • a) Die „Abkehr von der Abkehr von den Haager Regeln“
  • b) Die Regelung des Stückgutfrachtvertrages
  • aa) Allgemeine Vorschriften (erster Untertitel)
  • bb) Haftung wegen Verlust oder Beschädigung des Gutes (zweiter Untertitel)
  • cc) Beförderungsdokumente (dritter Untertitel)
  • c) Die Regelung des Reisefrachtvertrages
  • 3. Gruppierung der übrigen Vorschriften
  • 4. Ausblick
  • III. Vergleich der Beratungsergebnisse des Seerechtsausschusses mit der Seerechtsnovelle 2013
  • Anhang A: HGB (5. Buch, 4. Abschnitt) in der Fassung vom 10. Mai 1897
  • Anhang B: Kurzbiographien des Mitglieder des Seerechtsausschusses
  • Anhang C: Gesetzentwurf des Reichsjustizministeriums vom 4. April 1925
  • Quellennachweis
  • Literaturverzeichnis

← 14 | 15 → A. Einleitung

Das Seehandelsrecht der Bundesrepublik Deutschland wurde durch Gesetz vom 20. April 20131 umfassend reformiert. Hierbei erfolgte im Zuge der Anpassung des veralteten Gesetzestextes an die veränderten Anforderungen und Gegebenheiten des seeseitigen Handels- und Transportverkehrs insbesondere auch eine systematische Neuordnung des Fünften Buches des Handelsgesetzbuches. Ziel der Modernisierung war ausweislich der Gesetzesbegründung, ein „zeitgerechtes, den heutigen wirtschaftlichen Bedingungen entsprechendes Recht“2 zu schaffen.

Die Begründung des Gesetzesentwurfes zur Seerechtsnovelle beginnt mit der einleitenden Feststellung, dass „das geltende, im Fünften Buch des Handelsgesetzbuchs (HGB) kodifizierte Seehandelsrecht […] zu einem großen Teil aus dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861 [stamme], also aus einer Zeit, in der die Seeschifffahrt noch mit Segelschiffen betrieben wurde“3. Ein mit dem Seefrachtrecht nicht befasster Leser mag sich insofern fragen, wie es sein kann, dass ausgerechnet das Seehandelsrecht der „Exportnation“ Deutschland über 150 Jahre weitgehend unverändert blieb. Gab es nicht auch zuvor bereits Versuche einer systematischen Neufassung des Gesetzes?

Grundsätzlich hätte selbstverständlich die Möglichkeit bestanden, dass das Seehandelsrecht des ADHGB vor rund 150 Jahren bereits derart systematisch und abstrakt gefasst wurde, dass dieses sich den jeweiligen Veränderungen des Seehandels – man vergegenwärtige sich nur einmal die im Gesetzesentwurf benannte Segelschifffahrt und heutige Bilder des Containerumschlages etwa im Hamburger Hafen – jeweils angepasst hätte. Altes Recht stellt nicht zwingend zugleich veraltetes Recht dar. Hierbei handelt es sich jedoch tatsächlich nur um eine theoretische Möglichkeit, so es doch bereits zum Abschluss des ersten Absatzes der Gesetzesbegründung heißt: „Deshalb wurde das deutsche Seehandelsrecht bereits bei Inkrafttreten des Handelsgesetzbuches vom 10. Mai 1897 als überaltert kritisiert.“4 Dieses hatte beispielhaft Pappenheim in seiner Rede beim Antritt des Rektorats der Königlichen Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ← 15 | 16 → mit dem Thema „Die Revisionsbedürftigkeit des deutschen Seehandelsrechts“5 am 5. März 1901 festgestellt.

Wenn dieser Zustand mithin unbestreitbar sämtlichen beteiligten Kreisen bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt war, stellt sich die Frage, aus welchem Grund nicht schon zuvor eine Revision des Seehandelsrechts in Angriff genommen wurde. Die Gesetzesbegründung zur Seerechtsnovelle 2013 erläutert insoweit lediglich in kurzen Worten, dass bei Einführung des HGB vom 10. Mai 1897 die Zeit für eine Reform des Seehandelsrechts nicht ausreichend erschienen habe und daher die Regelungen des ADHGB6 nahezu unverändert übernommen worden seien7. Weiterhin werden zwar mehrfache Gesetzesänderungen angeführt, die jedoch jeweils nur der Umsetzung einzelner internationaler seerechtlicher Übereinkommen gedient hätten. Eine grundlegende Reform sei unterblieben. Sodann findet sich der Hinweis, dass es sehr wohl bereits Änderungsvorschläge zur Neuordnung des Seehandelsrechts gegeben habe, „etwa“ ausgearbeitet vom Deutschen Verein für Internationales Seerecht auf Anregung des Bundesjustizministeriums aus den Jahren 1978 bis 1984; diese seien jedoch in der Gesetzgebung unberücksichtigt geblieben8.

Keine ausdrückliche Erwähnung in der Gesetzesbegründung haben hingegen die Beratungen des Seerechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht (im Folgenden: Seerechtsausschuss) gefunden. Dieses Expertengremium war in der Zeit von 1933 bis 1942 damit befasst, das (damalige) Seehandelsrecht zu verjüngen und zu überarbeiten, letztlich mithin ein ganz ähnlicher Arbeitsauftrag, wie er im Jahr 2004 der Sachverständigengruppe zur Vorbereitung der Seerechtsnovelle 2013 erteilt wurde. Der Seerechtsausschuss beriet in zwei Vollversammlungen und insgesamt 49 Arbeitssitzungen das Seehandelsrecht, überprüfte dieses auf seine Aktualität hin und hielt entsprechende Änderungsvorschläge gerichtet an das Reichsjustizministerium in Form von Leitsätzen fest.

Berichte über die Tätigkeit des Seerechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht wurden während der Beratungsphase von den jeweiligen Vorsitzenden veröffentlicht, welche einen Überblick über die Beratungsprozesse und -ergebnisse liefern. Es handelt sich hierbei um die Berichte von Wüstendörfer9 und ← 16 | 17 → Lindenmaier10, insbesondere dessen umfassende Zusammenfassung aus dem Jahr 1940. Darüber hinaus sind auch die Beratungsprotokolle des Seerechtsausschusses selbst sämtlich erhalten geblieben11. Es handelte sich bei den Beratungen des Seerechtsausschusses um den erstmaligen Versuch einer umfassenden Erneuerung des seinerzeit bereits rund 70 Jahre alten Seehandelsrechts des HGB, nachdem eine Revision bei Einführung des HGB – wie gesehen – zunächst noch zurückgestellt wurde. Die Beratungen des Seerechtsausschuss wurden dabei von staatlicher Seite, insbesondere durch steten Ausstausch mit dem Reichsjustizministerium, begleitet.

Ob das Wort „etwa“ in der Gesetzesbegründung als Indiz dafür gewertet werden kann, dass die Beratungen des Seerechtsausschusses dem Bundesjustizministerium bei der aktuellen Novelle bekannt waren und lediglich die zuletzt erfolgten Beratungen zur Überarbeitung des Seehandelsrechts Erwähnung finden sollten, vermag nicht mit letzter Verlässlichkeit gesagt zu werden. Festzustellen ist jedoch, dass die Beratungen des Seerechtsausschusses an keiner Stelle des Gesetzgebungsverfahrens – auch nicht in dem vorangegangenen Abschlussbericht der Sachverständigengruppe zur Reform des Seehandelsrechts vom 27. August 200912 – Erwähnung fanden. Dieses entspricht weitestgehend dem Bild der seerechtlichen Literatur seit dem Jahr 1945, in der die Beratungen des Seerechtsausschusses ganz überwiegend unbekannt beziehungsweise jedenfalls unerwähnt geblieben sind13.

← 17 | 18 → Rechtshistorische Betrachtungen sind dem Seehandelsrecht indes keineswegs fremd. Nicht zuletzt aufgrund des dargestellten Alters der seerechtlichen Vorschriften des HGB beinhaltete bis zur Gesetzesnovelle nahezu jede Auseinandersetzung mit einer Frage des Seehandelsrechts zumindest eine historische Bestandsaufnahme.

Die erste umfassende Auseinandersetzung mit dem Seerecht des (AD)HGB hat 70 Jahre nach dem Inkrafttreten im Seerechtsausschuss stattgefunden. Dies bedeutete die detaillierte Aufarbeitung der Entwicklung des Seehandelsrechts und dessen Praxis bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Mit der vorliegenden Untersuchung soll diese Aufarbeitung aus rechtshistorischer Sicht dargestellt und in einem Schlussteil mit der Seerechtsnovelle von 2013 in Bezug gesetzt werden.

Wüstendörfer bezeichnete die Protokolle des Seerechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht als „aufschlussreiche Niederschriften“ für die Auslegung der seerechtlichen Vorschriften des HGB14. Die Protokolle geben aufgrund der umfangreichen Beratungen des Seerechtsausschusses ein überaus getreues Abbild der Verhältnisse des Seehandels beziehungsweise des Seehandelsrechts während der 1930er Jahre. Diese Dokumente sollen die wesentliche Grundlage der vorliegenden Arbeit bilden. Nicht zuletzt wegen des Umfanges des Beratungsmaterials des Seerechtsausschusses musste eine inhaltliche Eingrenzung ← 18 | 19 → des Themas erfolgen. Die Betrachtung soll auf diejenigen Beratungssitzungen beschränkt werden, die sich mit dem Seefrachtvertrag sowie dem hiermit engverknüpften Thema des Konnossementsrechts, mithin der Übernahme der Haager Regeln in das deutsche Recht, auseinandersetzten. Es handelt sich um die Arbeitssitzungen Nr. 3, 4, 6 sowie 38 – 49. Ergänzend werden zudem die Beratungen des Seerechtsausschusses über die Zeitcharter in der 36. und 37. Arbeitssitzung aufgegriffen, da dieser Vertragstypus, von dem manche behaupten, es handele sich bei diesem ebenfalls um einen Seefrachtvertrag, jedenfalls in engem Zusammenhang zum Seefrachtvertrag steht und der Zeitcharter zudem – unstreitig – eine große wirtschaftliche Bedeutung zukommt.

Der Seefrachtvertrag steht im Zentrum des Seehandelsrechts und stellt dessen wichtigstes Schuldverhältnis dar. So belief sich im Jahr 2012 der weltweite Seehandel nach Angaben des Verbands Deutscher Reeder15 auf insgesamt 9.499 Millionen Tonnen. Mit dem Seefrachtvertrag thematisch eng verknüpft sind die Regelungen über das Konnossement, welches über lange Jahre das Haupttransportdokument des Seehandels darstellte (zu neueren Entwicklungen vgl. Teil D der Arbeit zur Seerechtsnovelle). Eine der wesentlichen Diskussionen des Seehandelsrechts in den ersten drei Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts – nämlich betreffend der von den Reedern bzw. Verfrachtern verwendeten Freizeichnungsklauseln – brachte letztlich das Internationale Übereinkommen zur Vereinheitlichung gewisser Regeln über Konnossemente (die sog. Haager Regeln) hervor16. Die Haager Regeln wurden durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften über das Seefrachtrecht vom 10. August 1937 (RGBl. I S. 891), in Kraft getreten am 1. Januar 1940, in das deutsche Recht übernommen. Die Frage der Übernahme der Haager Regeln ins deutsche Recht wurde vom Seerechtsausschuss bereits Anfang 1934 vorbereitend zum Seerechtsänderungsgesetz von 1937 beraten.

Im Folgenden soll zunächst die geschichtliche Entwicklung des Seefrachtrechts bzw. des Seefrachtvertrages in Deutschland bis zum Beginn der Beratungen des Seerechtsausschusses dargestellt werden (Teil B). Eine solche Einbettung erscheint erforderlich, da zur Zeit der Beratungen des Seerechtsausschusses zum Teil noch andere dogmatische Vorstellungen vorherrschten, was gleichzeitig ← 19 | 20 → eine thematische Abgrenzung der Arbeit erforderlich macht. Zugleich soll der Seerechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht vorgestellt werden.

Im Hauptteil der Arbeit (Teil C) werden die Beratungen des Seerechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht einer Untersuchung unterzogen, wobei thematisch die vom Ausschuss gewählte Aufteilung übernommen werden soll. Ziel ist es, die zu den einzelnen Beratungsgegenständen vertretenen Ansichten der aus unterschiedlichen Interessengemeinschaften stammenden Ausschussmitglieder darzustellen. Es wird zu untersuchen sein, welche Änderungsvorschläge der Seerechtsausschuss letztlich entwickelt und gefasst hat.

Der Hauptteil wird entsprechend des Beratungsablaufes und des zeitlichen Auseinanderfallens der beiden Themenbereiche unterteilt in die Unterabschnitte „Haager Regeln“ und „Seefrachtvertrag“. Die Beratungen über die Regelungen des Seefrachtvertrages erfolgten in der Zeit vom 23. Juni 1938 bis zum 8. Januar 1942. Dem Seerechtsausschuss lag hierbei bereits das Seerechtsänderungsgesetz von 1937 betreffend der Übernahme der Haager Regeln vor, wenn dieses zunächst auch noch nicht in Kraft getreten war. In der gebotenen Kürze sollen an dieser Stelle zugleich die Beratungen des Seerechtsausschuss über die Zeitcharter dargestellt werden.

Abschließend soll die Entwicklung des Seefrachtrechts nach dem Zweiten Weltkrieg nachverfolgt und auf den gegenwärtigen Stand des Seefrachtrechts bzw. Seefrachtvertrages unter Geltung der Seerechtsnovelle von 2013 eingegangen werden (Teil D). Da bisher Beratungsprotokolle der Sachverständigengruppe zur Reform des Seehandelsrechts nicht veröffentlicht sind, kann ein Ausblick nur anhand des Abschlussberichts und der Gesetzgebungsmaterialien erfolgen.

Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass sich bereits eine Vielzahl von Autoren mit dem Thema der Einführung der Haager Regeln beschäftigt hat. Neben diversen Darstellungen aus den 1920ern und 1930ern in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang zur Entstehung der Haager Regeln haben insbesondere Eilenberger-Czwalinna17, jedoch mit Schwerpunkt auf dem Zweiten Seefrachtänderungsgesetz18 und der Übernahme des sog. Visby-Protokolls ins deutsche Recht (vgl. hierzu Abschnitt D. I. 3.) sowie Webersberger19 die Entstehung der Haager Regeln rechtshistorisch beleuchtet. Webersberger machte jüngst die in Konnossementen von 1861 bis 1937 verwendeten Freizeichnungsklauseln zum ← 20 | 21 → Gegenstand seiner Untersuchung; auf die nationalen Maßnahmen des deutschen Gesetzgebers und die Arbeiten des Seerechtsausschusses ging er indes nicht ein. Ferner hat Stödter in seinem Werk „Geschichte der Konnossementsklauseln20 die insoweit einschlägigen Beratungsprotokolle des Seerechtsausschusses (3., 4. und 6. Arbeitssitzung) aufgegriffen und die Verhandlungsabläufe überblicksartig dargestellt. Die entsprechende Darstellung soll an einigen Stellen vertieft erfolgen; zugleich soll jedoch insbesondere anhand ergänzender Dokumente – etwa parallel zu den Ausschussberatungen geführten Schriftverkehrs – eine teilweise abweichende Akzentuierung vorgenommen werden. Zudem ist der Frage nachzugehen, inwiefern die Beratungen des Seerechtsausschusses zu den Haager Regeln tatsächlich Einfluss auf das Gesetz zur Änderung von Vorschriften über das Seefrachtrecht vom 10. August 1937 nahmen. Entsprechende Dokumente des Reichsjustizministeriums aus den 30er-Jahren sind – soweit ersichtlich – bisher noch nicht Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung gewesen.

_______________________

1Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts (BGBl. 2013 I S. 831-867; im Folgenden: Seerechtsnovelle).

2Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung eines Gesetzes zur Reform des Seehandelsrechts (im Folgenden: Begr. RegE), BT-Drs. 17/10309, S. 1.

3Begr. RegE, BT-Drs. 17/10309, S. 40.

4Begr. RegE, BT-Drs. 17/10309, S. 40; vgl. aus aktueller Zeit auch Hartenstein/Reuschle, Transport- und Speditionsrecht, S. 182.

5Vgl. Pappenheim, Revisionsbedürftigkeit des deutschen Seehandelsrechts, S. 1 – 18.

6Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch vom 31. Mai 1861 (im Folgenden: ADHGB).

7Vgl. Begr. RegE, BT-Drs. 17/10309, S. 40.

8In der Gesetzesbegründung zum Zweiten Seerechtsänderungsgesetz aus dem Jahr 1986 (BT-Drs. 10/3852) finden sich dementsprechend die Beratungen des Deutschen Vereins für Internationales Seerecht nicht wieder.

9Wüstendörfer, Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 1934, S. 220 - 225; 1935, S. 265 - 272 und 940 - 950.

10Lindenmaier, Deutsche Richterzeitung 1934, S. 229 - 231 sowie Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht 1939/40, S. 105 – 138.

11Sie befinden sich im Bundesarchiv, Standort Berlin-Lichterfelde R 61/497 - 503: Protokoll der 2. Vollversammlung und der 1. - 47. und 49. Arbeitssitzung sowie des Referats zur 48. Arbeitssitzung sowie im Staatsarchiv Hamburg Bestand 621 - 1/2372 - 2375 (Hapag-Lloyd-Bestand): insbesondere 48. Arbeitssitzung in Bestand Nr. 2375. Die Protokolle wurden jüngst von Schubert neu herausgegeben: Akademie für Deutsches Recht 1933-1945, Protokolle der Ausschüsse, Bd. XX – Ausschuss für Seerecht (1933-1942). Vgl. ergänzend zur 1. Vollversammlung vom 6.1.1934 auch den Bericht in: Hansa 1934, S. 111-112.
    Um die Lesbarkeit der vorliegenden Untersuchung zu erleichtern, werden die Beratungsprotolle nach der Neuedition von Schubert und einzig die dort nicht vollständig abgedruckten Referate anhand der Originaldokumente zitiert werden.

12Abschlussbericht der Sachverständigengruppe zur Reform des Seehandelsrechts, abrufbar im Internet: <http://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Abschlussbericht_der_Sachverstaendigengruppe_zur_Reform_des_Seehandelsrechts.pdf?__blob=publicationFile> (Stand: 04.11.2014).

13Die folgende Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit: Die Beratungen des Seerechtsausschusses werden erwähnt bei Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht, 2. Aufl. 1950, der wiederholt die vom Seerechtsausschuss beschlossenen Leitsätze im Wesentlichen unter Zitierung des Berichts Lindenmaiers von 1940 in Bezug nimmt, vgl. etwa S. 25, 32, 36, 118, 132, 235 f., 247, 249 f., 255, 347, 350, 353, 357, 361 (Die verwendete Abkürzung SRA bedeutet jeweils Deutscher Seerechtsausschuss); bei Schlegelberger/Liesecke, Seehandelsrecht, Einf. § 556 Rdnr. 3 mit dem Hinweis auf die „Reformarbeiten des Seerechtsausschusses“ und den Bericht Lindenmaiers von 1940; bei Schaps/Abraham, Das Seerecht, 4. Aufl., AllgEinl. S. 55 mit dem Hinweis: „Die Niederschriften des Seerechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht sind bisher nicht veröffentlicht.“, was wohl eine Wiedergabe des korrespondierenden Hinweises bei Wüstendörfer, a.a.O. S. 36 darstellen dürfte; bei Stödter, Geschichte der Konnossementsklauseln, 64 - 70: 1. - 4. und 6. Arbeitssitzung; bei Bote/Weipert in: Gummert/Weipert (Hrsg.), Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Bd. 1, 3. Aufl., § 87 Rdnr. 31, § 88 Rdnr. 6, § 89 Rdnr. 6 – jeweils unter Bezugnahme auf den Bericht Lindenmaiers von 1940 bezüglich der Partenreederei (bereits seit der 1. Aufl. 1995); bei Schubert, ZRG 1992, S. 209 - 245 sowie im Urteil des Bundesgerichtshofes vom 20.05.1952, I ZR 140/51 – NJW 1952, 1134, dort II.3 mit Hinweis auf die 39. Arbeitssitzung vom 04. November 1938 – das Urteil dürfte unter Vorsitz von Lindenmaier gesprochen worden sein.

14Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht, S. 36.

15Verband deutscher Reeder: Daten der deutschen Seeschifffahrt, Ausgabe 2013, abrufbar im Internet: <http://www.reederverband.de/fileadmin/vdr/pdf/daten/VDR-Daten_Fakten_2013.pdf> (Stand: 04.11.2014), S. 18.

16Abgedruckt in verbindlicher französischer sowie ins Deutsche übersetzter Fassung in RGBl. 1939 II, S. 1049.

17Eilenberger-Czwalinna, Haftung des Verfrachters nach dem zweiten Seerechtsänderungsgesetz, Hamburg 1998.

18Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuches und anderer Gesetze (Zweites Seerechtsänderungsgesetz) BGBl. 1996 I, 1120.

19Webersberger, Freizeichnungsklauseln im 19. und 20. Jh., Hamburg 2014.

Details

Seiten
374
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653056433
ISBN (ePUB)
9783653962567
ISBN (MOBI)
9783653962550
ISBN (Hardcover)
9783631663295
DOI
10.3726/978-3-653-05643-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (April)
Schlagworte
Seerechtsänderungsgesetz 1937 Seefrachtrecht Seerechtsnovelle 2013 Haager Regeln
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 374 S.

Biographische Angaben

Christian Vahl (Autor:in)

Christian Vahl ist Volljurist. Er studierte Rechtswissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und an der Universität Stockholm. Nach seinem Referendariat im Bezirk des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts ist er als Rechtsanwalt in Kiel tätig.

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Titel: Die gesetzliche Regelung des Seefrachtvertrags im deutschen Recht
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376 Seiten