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Der Gesamtschuldnerausgleich zwischen den Kartellmitgliedern

Zur Höhe der Haftungsquote im Regressfall

von Janine Weinhold (Autor:in)
©2015 Dissertation 260 Seiten

Zusammenfassung

Kartelle verursachen Schäden. Für diese haften die Kartellmitglieder als Gesamtschuldner. Wird einer von ihnen wegen der kartellrechtswidrigen Absprache auf Schadensersatz in Anspruch genommen, stellt sich die Frage, ob und in welcher Höhe er Rückgriff bei den übrigen Kartellmitgliedern nehmen kann. Schwerpunkt des Buches ist die Bestimmung der Höhe der Haftungsquoten beim Gesamtschuldnerausgleich zwischen den Kartellmitgliedern. Die Autorin analysiert dabei verschiedene Methoden mit ihren Vor- und Nachteilen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • A. Ausgangspunkt der Untersuchung
  • B. Forschungsstand
  • C. Zielsetzung der Arbeit
  • D. Themenabgrenzung
  • E. Gang der Untersuchung
  • Kapitel 1: Grundlagen privater Schadensersatzklagen
  • A. Funktionen behördlicher und privater Kartellrechtsdurchsetzung
  • I. Kartellrechtsdurchsetzung
  • II. Funktionen
  • 1. Konkretisierungsfunktion
  • 2. Abschreckung und Bestrafung
  • a) Abschreckung durch behördliche Sanktionierung und Schadensersatzansprüche
  • b) Strafschadensersatz?
  • aa) Im allgemeinen Zivilrecht
  • bb) Im deutschen und europäischen Kartellrecht
  • 3. Kompensation
  • B. Verhältnis von Bußgeld und Schadensersatz
  • I. Koexistenz
  • II. Ergänzung
  • III. Milderungsgrund bei der Bußgeldfestsetzung
  • IV. Anrechnung
  • V. Abstellungsverfügung nach § 32 GWB
  • C. Bedeutung des privaten Rechtsschutzes im Kartellrecht
  • D. Der Schadensersatzanspruch im Überblick
  • I. Rechtsnatur des Anspruchs
  • II. Anspruchsvoraussetzungen
  • 1. Kartellverstoß
  • 2. Aktivlegitimation
  • 3. Passivlegitimiation
  • 4. Verschulden
  • III. Rechtsfolgen
  • 1. Schaden
  • a) Berechnung
  • b) Passing-on defence
  • 2. Zinsen
  • IV. Verjährung
  • V. Konkurrenzen
  • VI. Regress
  • Kapitel 2: Rechtsvergleichende Betrachtung: Kartellregress in den USA
  • A. Die Rechtslage im Überblick
  • I. Relevante Kartellgesetze in den USA
  • II. Die Durchsetzung des Kartellrechts in den USA
  • 1. Behördliche Durchsetzung im Überblick
  • 2. Bedeutung privater Kartellrechtsdurchsetzung
  • 3. Rechtsfolgen von Kartellverstößen
  • 4. Kronzeugenprogramm
  • a) Grundlagen
  • b) Amnesty Plus und Penalty Plus
  • c) Auswirkungen auf die zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche
  • B. Regressausschluss: Die Leitentscheidung Texas Industries
  • I. Kernaussage
  • II. Sachverhalt
  • III. Argumentation des Gerichts
  • C. Wissenschaftlicher Diskurs in den USA
  • I. Historische Entwicklung
  • II. Argumentationslinien
  • 1. Fairness
  • 2. Vergleiche
  • 3. Abschreckungseffekt
  • 4. Weitere wesentliche Argumente
  • a) Anreize für die Geltendmachung unberechtigter Ansprüche
  • b) Marktkonzentration
  • c) Verfahrenskosten und Verfahrenskomplexität
  • III. Vorschläge zur Ausgestaltung eines Kartellregresses
  • 1. Überblick
  • 2. Im Einzelnen
  • a) Pro rata
  • b) Verkäufe an den Geschädigten
  • c) Marktanteil
  • d) Relative Verantwortlichkeit bzw. Verschulden
  • e) Vertikalvereinbarungen
  • f) Mischkonzepte
  • g) Vergleiche
  • IV. Alternativen zum Gesamtschuldnerausgleich
  • D. Praxis: sharing agreements
  • I. Inhalt und Ausgestaltung von sharing agreements
  • II. Wirksamkeit
  • III. Zweck und Funktionsweise
  • IV. Bedenken gegen sharing agreements
  • E. Reformvorschläge der Antitrust Modernization Commission
  • I. Bericht der Antitrust Modernization Commission
  • 1. Empfehlung
  • 2. Im Einzelnen
  • a) Wortlaut der empfohlenen Regelung
  • b) Vergleiche
  • c) Gesamtschuldnerausgleich
  • 3. Umsetzung
  • II. Reaktionen
  • F. Zusammenfassende Thesen
  • Kapitel 3: Die gesamtschuldnerische Haftung der Kartellmitglieder
  • A. Die gesamtschuldnerische Haftung im Überblick
  • I. Grundlage des Rückgriffsanspruchs
  • II. Inhalt des Rückgriffsanspruchs
  • III. Kartellrechtsspezifische Aspekte
  • B. Der Regressausschluss
  • I. Argumentation
  • II. Gegenansicht
  • III. Stellungnahme
  • 1. Der Präventionsaspekt
  • a) Einführung
  • b) Abschreckung aus ökonomischer Sicht – Risikoneigung
  • c) Abschreckung aus kriminologischer Sicht – Prävention
  • aa) Übertragbarkeit kriminologischer Erkenntnisse auf das Kartellrecht
  • bb) Prävention in der Kriminologie
  • cc) Übertragung der Erkenntnisse auf den Regressausschluss
  • (1) Einfluss der Schwere der Sanktion
  • (2) Einfluss der Entdeckungs- bzw. Bestrafungswahrscheinlichkeit
  • d) Abschreckung aus kartellrechtlicher Sicht
  • e) Zwischenergebnis Präventionsaspekt
  • 2. Gedanke der Rechtsschutzverweigerung
  • a) Normzweck des § 817 S. 2 BGB
  • b) Übertragbarkeit auf den Kartellregress
  • aa) Methodische Voraussetzungen
  • bb) Anwendung der Voraussetzungen auf den Kartellregress
  • cc) Rechtsprechung zur Übertragbarkeit des § 817 S. 2 BGB
  • c) Zwischenergebnis zum Gedanken der Rechtsschutzverweigerung
  • 3. Verhältnismäßigkeit
  • a) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
  • b) Der Gesamtschuldnerausgleich unter den Kartellmitgliedern
  • aa) Zur Zielerreichung ungeeignet
  • bb) Keine Vermeidung unnötiger Härten
  • c) Zwischenergebnis Verhältnismäßigkeit
  • 4. Gerechtigkeit
  • 5. Gesetzgeberische Wertung
  • 6. Erhöhung des Vergleichsdrucks kein legitimes Ziel
  • IV. Ergebnis zum Regressausschluss
  • C. Die vertragliche Aufteilung der Haftung
  • I. Als Teil der Kartellabsprache
  • II. Nach Aufdeckung des Kartells
  • III. Ergebnis zur Teilungsvereinbarung
  • D. Die Bestimmung der Haftungsquoten nach § 254 BGB analog
  • I. Möglichkeiten zur Ermittlung der Haftungsquoten
  • 1. Nach den Verkäufen an den Geschädigten (Lieferbeziehungen)
  • a) Inhalt
  • b) Vorteile
  • c) Nachteile
  • 2. Nach Marktanteilen
  • a) Inhalt
  • b) Vorteile
  • c) Nachteile
  • 3. Nach Kopfteilen
  • a) Inhalt
  • b) Vorteile
  • c) Nachteile
  • 4. Nach der Verantwortlichkeit
  • a) Inhalt
  • b) Anhaltspunkte in den Bußgeldleitlinien
  • aa) Erschwerende und mildernde Umstände in den Bußgeldleitlinien
  • bb) Übertragbare Kriterien
  • (1) Vorsatz oder Fahrlässigkeit
  • (2) Aktivere Rolle
  • (3) Passive Rolle oder erzwungene Teilnahme
  • cc) Nicht übertragbare Kriterien
  • (1) Organisationsgrad
  • (2) Wiederholungstäter
  • (3) Nachtatverhalten
  • (4) Behördliche Genehmigung
  • (5) Beendigung des Verstoßes
  • (6) Zusammenarbeit mit der Kartellbehörde
  • c) Weitere berücksichtigungsfähige Kriterien
  • d) Vorteile
  • e) Nachteile
  • f) Bezifferung durch Pauschalierung?
  • 5. Zwischenergebnis
  • II. Methodik bei der Bestimmung der Haftungsquoten
  • 1. Kriterien bei der Auswahl der geeigneten Methode
  • a) Identifizierung der Kriterien
  • b) Das Verhältnis der Kriterien zueinander
  • 2. Vorgehensweise bei der Bestimmung der Haftungsquoten
  • III. Bestimmung der Haftungsquote nach Art des Kartells
  • 1. Horizontale Preisabsprachen
  • a) Schäden direkter Abnehmer
  • b) Schäden mittelbarer Abnehmer
  • 2. Submissionsabsprachen
  • 3. Quotenkartelle
  • 4. Aufteilungen von Märkten oder Kunden
  • 5. Vertikale Preisabsprachen zulasten des Käufers
  • 6. Mischfälle
  • IV. Besondere Schadenspositionen
  • 1. „umbrella“-Schäden
  • 2. Entgangene Gewinne als Schadensposition
  • 3. Zinsen als Schadensposition
  • V. Anwendungsbeispiele
  • 1. Horizontale Preisabsprache
  • a) Nach Verkäufen an den Geschädigten
  • aa) Situation 1: Alle Geschädigten machen Ansprüche geltend
  • bb) Situation 2: Nicht alle Geschädigten machen Ansprüche geltend
  • cc) Situation 3: Mittelbar Geschädigter
  • b) Nach Marktanteilen
  • aa) Situation 1 und 2: Ausgangsfall
  • bb) Situation 3: Mittelbar Geschädigter
  • c) Nach Kopfteilen
  • aa) Situation 1 und 2: Ausgangsfall
  • bb) Situation 3: Mittelbar Geschädigter
  • 2. Submissionsabsprachen
  • a) Situation 1: Zuschlag für jedes Kartellmitglied
  • b) Situation 2: Nur ein Zuschlag
  • c) Situation 3: Ausgleichszahlungen
  • 3. Quotenabsprachen
  • a) Nach den Verkäufen an den Geschädigten
  • b) Nach den vereinbarten Quoten
  • 4. Aufteilung von Märkten oder Kunden
  • a) Preisüberhöhungsschäden
  • b) Entgangene Gewinne
  • 5. Vertikale Preisabsprache zulasten des Käufers
  • 6. Zusammenfassung der Beispielsfälle
  • VI. Grenzen der Bestimmbarkeit der Haftungsquoten
  • 1. Komplexität des Rechtsproblems
  • 2. Vielzahl von Gläubigern und Schuldnern
  • 3. Ergebnis
  • E. Zusammenfassende Thesen
  • Kapitel 4: Der Regress in Sonderfällen
  • A. Haftungsreduktion für den Kronzeugen?
  • I. Geltende Rechtslage
  • II. Hintergrund
  • 1. Das Spannungsverhältnis zwischen privater und behördlicher Kartellrechtsdurchsetzung
  • 2. Lösungsansätze
  • III. Stellungnahme
  • 1. Zur Freistellung im Innenverhältnis
  • 2. Zur Freistellungsquote
  • 3. Zur Freistellung im Außenverhältnis
  • 4. Kartellschadensersatz-Richtlinie 2014/104/EU
  • IV. Ergebnis
  • B. Vergleiche
  • I. Problemstellung
  • II. Rechtliche Würdigung
  • 1. Rückgriffsanspruch gegen den Vergleichschließenden
  • 2. Rückgriffsanspruch des Vergleichschließenden
  • III. Ergebnis
  • C. Geschäftsleiter
  • I. Problemstellung
  • II. Geschäftsleiter als Schadensersatzschuldner gegenüber dem Kartellgeschädigten
  • III. Implikationen für die Regressfrage
  • 1. Haftungseinheit zwischen den Gesamtschuldnern
  • 2. Der Regress innerhalb der Haftungseinheit
  • IV. Ergebnis
  • D. Zusammenfassende Thesen
  • Kapitel 5: Kernthesen und Ausblick
  • A. Kernthesen
  • B. Ausblick
  • Literaturverzeichnis

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Einleitung

A. Ausgangspunkt der Untersuchung

Kartellrechtliche Schadensersatzklagen sind – wie aktuelle Schlagzeilen zeigen1 – zweifellos en vogue. Eher im Verborgenen zeichnet sich ein Folgeproblem ab, nämlich die in der vorliegenden Arbeit untersuchte Regressfrage.

Die Arbeit hat folgenden speziellen Aspekt privater Schadensersatzklagen im Kartellrecht zum Gegenstand: Durch ein Kartell werden Schäden verursacht. Gedanklich kann zu diesem Zweck zunächst das klassische Preiskartell zugrunde gelegt werden. Typischer Schaden eines solchen Kartells ist die Überzahlung durch die Kunden, d. h. die Preisabsprache bewirkt, dass ein bestimmtes Produkt am Markt teurer angeboten wird, als es ohne die Kartellbildung der Fall wäre. Wird das Kartell später aufgedeckt, können die Geschädigten Schadensersatzansprüche gegen eines oder mehrere Kartellmitglieder geltend machen. Anspruchsgrundlage für den kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch ist – neben anderen – § 33 Abs. 3 S. 1 GWB. Dabei gilt:

„Für die durch ein Kartell verursachten Schäden haften alle Kartellteilnehmer nach §§ 830, 840 BGB als Gesamtschuldner.“2

Die gesamtschuldnerische Haftung hat nach § 421 BGB zur Folge, dass der Gläubiger wählen kann, welchen der Gesamtschuldner er in Anspruch nimmt. Es steht ihm insbesondere frei, den gesamten Schaden von nur einem Kartellmitglied ersetzt zu verlangen. Es stellt sich dann die Frage, ob es bei diesem ← 17 | 18 → Ergebnis verbleibt oder ob im Innenverhältnis zwischen den Kartellmitgliedern ein Ausgleich stattfindet. Der Ausgleich im Innenverhältnis richtet sich nach § 426 Abs. 1 und 2 BGB.3 Die Arbeit untersucht, wie dieser Ausgleich inhaltlich ausgestaltet ist. Besonderes Augenmerk liegt auf der Ermittlung sachgerechter Haftungsquoten.

Das Thema ist durchaus von aktuellem Interesse. Seitdem Kartellmitglieder vermehrt auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, überlegen sie bei der Verteidigung gegen die geltend gemachten Ansprüche, wie sie sich im Falle des Unterliegens zumindest teilweise bei den anderen Kartellmitgliedern schadlos halten können. Dies zeigt das im Verfahren über die Zulässigkeit der Schadensersatzklage im Zementkartell vorgebrachte Argument der Beklagtenseite:

„Dies gilt auch für den Einwand, ohne die hinreichend detaillierte Darlegung jeder einzelnen Zementlieferung sei es im Falle einer gesamtschuldnerischen Verurteilung der Beklagten nicht möglich, den Umfang des gesetzlichen Forderungsübergangs gemäß § 426 Abs. 2 BGB festzustellen. In welchem Umfang ein zuerkannter Schadensersatz im Innenverhältnis auf die einzelnen Beklagten entfällt und von ihnen zu tragen ist, könne nur dann beurteilt werden, wenn feststehe, welche Einzelforderungen zur Urteilssumme beigetragen haben und demgemäß ausgleichspflichtig seien. Auch insoweit wird das Landgericht im Rahmen der Begründetheit zu prüfen haben, ob sich aus dem Gesichtspunkt des Gesamtschuldnerausgleichs erhöhte Anforderungen an die Substantiierung der Klageforderung ergeben. Ein Zulässigkeitserfordernis begründet es indes nicht.“4

B. Forschungsstand

Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dass die Kartellmitglieder gemäß §§ 830, 840 BGB als Gesamtschuldner haften.5 In der kartellrechtlichen Literatur wird davon ausgegangen, dass ein Gesamtschuldnerausgleich auf Grundlage der §§ 830, 840, 426 BGB durchzuführen ist.6 Das Bundeskartellamt nimmt auf ← 18 | 19 → einen Gesamtschuldnerausgleich nach § 426 BGB Bezug.7 Lettl vertritt dagegen die Auffassung, dass ein Regress zwischen den Kartellmitgliedern aus präventiven Gründen bereits nach gegenwärtigem Recht ausgeschlossen sei.8 Die ­Bestimmung der Haftungsquoten wird bislang nur in Einzelaspekten oder schlagwortartig behandelt.9 Köhler geht davon aus, dass ein Rückgriff stattfindet und das liefernde Kartellmitglied für den Schaden einstehen sollte.10 Nach Ansicht von Görner soll dem Hersteller bei einer durch ihn aufgezwungenen vertikalen Preisbindung ein Regress bei seinen Händlern verwehrt sein.11 Kapp verweist auf Schwierigkeiten bei der Berechnung „nach Köpfen, nach Schadenssummen, nach Umsatz etc.“ und bei der Verjährung,12 ohne diesen aufgezeigten Fragestellungen im Einzelnen nachzugehen. Dreher stellt die Probleme des Kartellregresses zusammenfassend dar und hält den Gesamtschuldnerausgleich in ← 19 | 20 → Form einer Gesamtabwägung für möglich und durchführbar.13 Kersting schlägt vor, das Maß der Verursachung anhand der Marktanteile des Kartellmitglieds zu bestimmen und zugunsten des Kronzeugen im Innenverhältnis im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs seinen Beitrag an der Aufdeckung des Kartells zu berücksichtigen.14

Eine nähere Analyse zur Bestimmung der Haftungsquoten zwischen den Kartellmitgliedern fehlt bislang. In der Literatur wird darauf verwiesen, dass es sich um eine ungeklärte Rechtsfrage handelt:

„Ein bisher völlig ungelöstes Problem ist der Gesamtschuldnerausgleich unter den Kartellteilnehmern.“15

„Die Kartellbeteiligten sind untereinander zur anteiligen Tragung des jeweiligen Betrags ausgleichsverpflichtet. Nach welchen Maßstäben die jeweiligen Tatbeiträge und somit der Gesamtschuldnerausgleich zu bemessen sind, ist bisher vollkommen ungeklärt.“16

„Der Innenausgleich richtet sich nach überwiegender Ansicht nach §§ 426, 254 BGB, wobei die jeweiligen Verursachungsbeiträge und Verschuldensgrade zu gewichten sind. Hier liegt die Krux, denn wie diese zu gewichten sind, ist derzeit offen.“17

„Für Ausgleichsansprüche aufgrund kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche ist jedoch noch unklar, wie die Anteile im Innenverhältnis zu bestimmen sind.“18

Die Dissertation von Krüger „Kartellregess – Der Gesamtschuldnerausgleich als Instrument der privaten Kartellrechtsdurchsetzung“19 ist die erste Publikation auf dem deutschen Markt, die sich vertieft mit kartellrechtlichen Regressfragen beschäftigt. Ihre Intention ist indes eine andere als die der hier vorgelegten Arbeit. Wie bereits aus dem Untertitel deutlich wird, soll der Regress nach Ansicht des Verfassers der Kartellrechtsdurchsetzung dienen. Zu diesem Zweck schlägt Krüger im Ergebnis eine gesetzliche Neuregelung vor, wonach der erste erfolgreiche Kronzeuge haftungsprivilegiert werden soll, indem er „seinen Rabatt mit dem Geschädigten aushandelt“.20 Ob es einer solchen Neuregelung bedarf, ob sie tatsächlich wünschenswert ist und ob die zugrunde liegenden Annahmen tragfähig ← 20 | 21 → sind, wird in der hier vorgelegten Arbeit nicht im Einzelnen untersucht.21 An dieser Stelle sei lediglich angemerkt, dass die Schwierigkeiten einen angemessenen Ausgleich unter den Kartellmitgliedern zu finden, nicht dadurch weniger werden, dass man einen von ihnen, nämlich den ersten erfolgreichen Kronzeugen, von der gesamtschuldnerischen Haftung ausnimmt.

C. Zielsetzung der Arbeit

Die hier vorgelegte Arbeit verfolgt einen anderen Ansatz als Krüger. Sie geht pragmatisch davon aus, dass die Rechtsanwender bereits auf Grundlage des gegenwärtigen Rechts Lösungen finden müssen und nicht auf den Gesetzgeber warten können. Unter den aktuellen Fragen des Kartellrechts handelt es sich um ein für die Praxis wichtiges Thema. Die Richtlinie über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union vom 26.11.201422 verzichtet auf eine konkrete Regelung, sondern überlässt es den Mitgliedstaaten, Regelungen für die Bestimmung der Haftungsquoten zu finden:

„37) Wenn mehrere Unternehmen gemeinsam gegen die Wettbewerbsvorschriften verstoßen - wie im Falle eines Kartells -, ist es angebracht vorzusehen, dass diese gemeinsam handelnden Rechtsverletzer gesamtschuldnerisch für den gesamten durch diese Zuwiderhandlung verursachten Schaden haften. Wenn einer der Rechtsverletzer mehr Schadensersatz gezahlt hat, als seinem Anteil entspricht, so sollte dieser einen Ausgleichsanspruch gegen die anderen gemeinsamen Rechtsverletzer haben. Die Bestimmung dieses Anteils anhand der relativen Verantwortung des betreffenden Rechtsverletzers und der einschlägigen Kriterien, wie Umsatz, Marktanteil oder Rolle in dem Kartell, ist Sache des geltenden nationalen Rechts, wobei der Effektivitäts- und der Äquivalenzgrundsatz zu beachten sind.“23 [Hervorhebung hinzugefügt]

Vor diesem Hintergrund bleibt die Arbeit gleichsam auf der ersten Stufe stehen und untersucht Lösungswege auf Basis der gegenwärtigen Rechtslage. Mit zunehmender Bedeutung kartellrechtlicher Schadensersatzklagen stellen sich auch in zunehmendem Maße Regressfragen. Es ergibt sich aus der Natur der Sache, dass diese Probleme nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Kartellmitglieder, die gegeneinander vorgehen, haben weder die öffentliche Meinung auf ihrer Seite, noch können sie selbst ein Interesse daran haben, einen Reputationsverlust, ← 21 | 22 → den sie durch das Bekanntwerden des Kartells ohnehin erlitten haben, durch öffentlich ausgetragene Regressstreitigkeiten weiter zu vertiefen. Die Rechtspraxis ist dennoch auf Lösungen angewiesen, ohne dass sie auf wegweisende obergerichtliche Rechtsprechung warten kann, wenngleich auch diese in den kommenden Jahren zu erwarten ist.

Es wird versucht, Lösungswege zur Ermittlung der Haftungsquoten für den Gesamtschuldnerausgleich zwischen den Kartellmitgliedern aufzuzeigen. Dabei sei an dieser Stelle vorweggenommen, dass es aufgrund der Komplexität der Materie einfache Lösungen nicht geben kann. Eine besondere Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass derzeit auf praktische Erfahrungen noch nicht zurückgegriffen werden kann. Die Diskussion um das Problem des Gesamtschuldnerausgleichs im Kartellrecht steckt noch in den Anfängen. Die Arbeit liefert damit einen Beitrag, ohne für sich in Anspruch nehmen zu wollen, die mit dem Regress der Kartellmitglieder zusammenhängenden Fragestellungen erschöpfend zu behandeln.

D. Themenabgrenzung

Die Darstellung beschränkt sich auf Rückgriffkonstellationen wegen Kartellrechtsverletzungen im Bereich von Schadensersatzansprüchen und untersucht im Schwerpunkt die Bestimmung der Haftungsquoten im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs zwischen den Kartellmitgliedern nach § 426 BGB. Dabei stehen vor allem Hardcore-Kartellverstöße im Mittelpunkt des Interesses, weil kartellrechtliche Schadensersatzansprüche gerade in diesem Bereich aktuell an Bedeutung gewinnen und es sich dort abzeichnet, dass Regressfragen in Zukunft ebenfalls in den Blickpunkt von Rechtsanwendern und möglicherweise auch von Gerichten rücken dürften.24

Einige, nachfolgend aufgezählte Themenbereiche werden nur kursorisch behandelt, d. h. Probleme nur benannt, aber nicht vertieft.

Ob ein Kronzeuge, der sich gegenüber der Kartellbehörde offenbart und damit einen Beitrag zur Aufdeckung von Kartellen leistet, zivilrechtlich im Außenverhältnis gegenüber den Geschädigten de lege ferenda zu privilegieren sein sollte, wird nicht im Einzelnen erörtert. Analysiert wird lediglich eine in der Literatur vertretene Auffassung, wonach der Beitrag des Kronzeugen bereits de lege lata im Innenverhältnis beim Gesamtschuldnerausgleich der Kartellmitglieder Berücksichtigung finden soll.25 ← 22 | 23 →

Auf die umstrittene Frage im Bereich der Bußgeldhaftung, ob ein Unternehmen, gegen das ein Bußgeld von einer Kartellbehörde verhängt wurde, gegen die handelnden Personen Regressansprüche geltend machen kann,26 wird ebenfalls nicht eingegangen. Ohne Streitentscheid werden die in der Literatur vertretenen Ansichten zur zivilrechtlichen Haftung von Geschäftsleitern für Kartellrechtsverstöße gegenüber den Kartellgeschädigten im Außenverhältnis dargestellt,27 um in der Folge zu untersuchen, welche Implikationen sich für die Regressfrage ergeben.

Der Frage, ob es im Rahmen des Kartellbußgeldrechts Ausgleichsansprüche innerhalb von Konzernen gibt, d. h. zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften, gegen die ein Bußgeld wegen eines kartellrechtswidrigen Verhaltens verhängt wurde,28 wird gleichfalls nicht nachgegangen. Nicht behandelt wird auch eine in der Literatur vertretene Mindermeinung zur zivilrechtlichen Haftung der Muttergesellschaft für Kartellrechtsverstöße ihrer Tochtergesellschaft29 und ← 23 | 24 → die damit verbundene Problematik eines Gesamtschuldnerausgleichs zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft.30

E. Gang der Untersuchung

Die Untersuchung beginnt mit einem Grundlagenteil. In diesem wird die Kartellrechtsdurchsetzung durch Behörden einerseits und private Schadensersatzansprüche andererseits in ihren jeweiligen Funktionen und in ihrem Verhältnis zueinander beleuchtet. Die Bedeutung zivilrechtlicher Kartellrechtsdurchsetzung und der kartellrechtliche Schadensersatzanspruch in seinen Anspruchsvoraussetzungen werden überblicksartig vorgestellt. Das Kapitel dient zur Einordnung der zu untersuchenden Regressproblematik, ohne zu noch offenen Rechtsfragen im Bereich der Kartellrechtsdurchsetzung und des kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs im Allgemeinen Stellung zu nehmen.

Es schließt sich ein rechtsvergleichendes Kapitel über den Regress(-ausschluss) der Kartellmitglieder in den USA an. Dort nehmen kartellrechtliche Schadensersatzklagen traditionell eine im Vergleich zu Europa bedeutendere Stellung ein. Sie werden häufiger geführt und die erzielten Schadensersatzsummen sind wegen der Möglichkeit der class action und der treble damages wesentlich höher. Nach gegenwärtigem Recht ist ein Regress der Kartellmitglieder (sog. contribution) ausgeschlossen.31 In den USA wird aber seit Jahrzehnten kontrovers über die Beibehaltung oder Änderung dieses Regressausschlusses diskutiert. Die Argumente werden im Fortgang der Arbeit für die Untersuchung der Rechtslage in Deutschland herangezogen.

Der Hauptteil der Arbeit widmet sich der Ermittlung der Haftungsquoten für den Gesamtschuldnerausgleich der Kartellmitglieder. Ausgangspunkt ist ein Überblick über die gesamtschuldnerische Haftung, gefolgt von einer in der Literatur vertretenen Auffassung über einen Regressausschluss de lege lata.32 Untersucht wird auch die Möglichkeit einer vertraglichen Haftungsaufteilung unter den Kartellmitgliedern. Im Schwerpunktteil werden sodann verschiedene Modelle zur Bestimmung der Haftungsquoten der Kartellmitglieder mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen dargestellt. Die gefundenen Konzepte zur Ermittlung ← 24 | 25 → der Haftungsquoten finden anschließend auf verschiedene Arten von Kartellen und unterschiedliche Schadenstypen Anwendung. Abschließend werden Grenzen der Bestimmbarkeit der Haftungsquoten herausgearbeitet.

Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit einigen Sonderfällen des Regresses der Kartellmitglieder, namentlich der Behandlung von Kronzeugen, Vergleichen und der Geschäftsleiterhaftung. In diesem Bereich stellen sich jeweils noch zahlreiche grundlegende Rechtsfragen zum Schadensersatzanspruch im Kartellrecht, die im Rahmen dieser Arbeit nicht eingehend untersucht, sondern nur angesprochen werden.

Das letzte Kapitel fasst die gefundenen Ergebnisse in Thesen zusammen und versucht einen Ausblick in die Zukunft.

1 Zementkartell auf der Anklagebank: Schadensersatz-Verfahren gegen Kartellsünder eröffnet - Kläger fordert Millionen (Welt online, 07.12.2006)
Transportbetonkartell: Unternehmen haften ihren Kunden auf Schadensersatz! (IBR 2010, 569)
Kartellrecht: Schadensersatzklagewelle kommt ins Rollen (JUVE Rechtsmarkt 02/11, S. 5)
Präzedenzfall Bleichmittelkartell: Kaum ein Thema beschäftigt Kartellrechtler derzeit so sehr wie die Frage nach einer Schadensersatzpflicht von Beteiligten an einem Kartell. (JUVE Rechtsmarkt 02/11, S. 58)
Bahn fordert Schadensersatz von Schienenkartell (tagesschau.de, 20.12.2012)
Forderung nach Schadenersatz - Kartellklagen werden zum Millionen-Geschäft (FAZ.net, 04.08.2013).

2 BGH, Urt. v. 28.06.2011 – KZR 75/10, BGHZ 190, 145 f. - „ORWI“, Leitsatz d) = WuW/E DE-R 3431.

3 Bechtold, in: GWB, § 33, Rdnr. 26.

4 OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.05.2008 – VI-U (Kart) 14/07, Rdnr. 64.

5 BGH, Urt. v. 28.06.2011 – KZR 75/10, BGHZ 190, 145 f. - „ORWI“, Leitsatz d) = WuW/E DE-R 3431.

Details

Seiten
260
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653056396
ISBN (ePUB)
9783653962628
ISBN (MOBI)
9783653962611
ISBN (Paperback)
9783631663240
DOI
10.3726/978-3-653-05639-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juni)
Schlagworte
Kartellregress kartellrechtswidrige Absprache Schadensersatz Gesamtschuldner
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 260 S.

Biographische Angaben

Janine Weinhold (Autor:in)

Janine Weinhold studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Bayreuth und Leuven (Belgien). Zunächst arbeitete sie als Rechtsanwältin. Derzeit ist sie in der Justiz tätig.

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Titel: Der Gesamtschuldnerausgleich zwischen den Kartellmitgliedern
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