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Das System der Rechtsbehelfe im Insolvenzverfahren

von Anna Lena Stamer (Autor:in)
©2015 Dissertation XVIII, 216 Seiten

Zusammenfassung

§ 6 InsO bestimmt, dass Entscheidungen des Insolvenzgerichts nur dann anfechtbar sind, wenn die Insolvenzordnung das ausdrücklich anordnet. Die Autorin untersucht in ihrem Buch, ob der eingeschränkte Rechtsschutz prozessualen und verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht wird und ob das Ennumerativprinzip aus dem oben genannten Paragraphen zu restriktiv ist. Sie weist außerdem auf die Tendenz des Gesetzgebers hin, den Rechtsweg durch Beschränkung der Rechtsbehelfsmöglichkeiten weiter zu verkürzen. Als Folge werden Rechtsmittel und Rechtsbehelfe konstruiert, die von der Insolvenzordnung nicht vorgesehen sind.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Einführung in die Fragestellungen
  • II. Gang der Untersuchung
  • B. Allgemeine Grundlagen zum Rechtsschutz
  • I. Historische Entwicklung
  • 1. Rechtsmittel im Konkursverfahren von 1877
  • 2. Rechtsmittel in der Vergleichsordnung von 1935
  • 3. Rechtsmittel in der Gesamtvollstreckungsordnung von 1990
  • 4. Rechtsmittel im Insolvenzverfahren seit 1999
  • a) Sofortige Beschwerde
  • b) Erinnerung
  • 5. Zwischenergebnis
  • II. Rechtsnatur Insolvenzverfahren
  • 1. Insolvenzverfahren als Zivilverfahren
  • 2. Unterschiedliche Verfahrensarten im Zivilverfahren
  • 3. Klassifizierung Insolvenzverfahren
  • a) Elemente der streitigen Gerichtsbarkeit
  • b) Elemente der freiwilligen Gerichtsbarkeit
  • 4. Zwischenergebnis
  • III. Verfassungsrechtliche Bedeutung
  • 1. Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG
  • a) Einordnung und Voraussetzungen der Rechtsschutzgarantie
  • b) Begriff „öffentliche Gewalt“
  • aa) Wortlaut
  • bb) Systematik
  • cc) Historische Auslegung
  • dd) Teleologische Auslegung
  • ee) Zwischenergebnis
  • c) Effektiver Rechtsschutz
  • d) Garantie Instanzenzug
  • aa) Eine Instanz
  • bb) Mehrstufiger Instanzenweg
  • cc) Zwischenergebnis
  • 2. Justizgewährungsanspruch
  • a) Grundsätzliches
  • b) Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003
  • c) Auswirkung auf die teleologische Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG
  • d) Zwischenergebnis
  • 3. Zwischenergebnis
  • IV. Verfassungsrechtliche Auswirkungen auf den Rechtsschutz im Insolvenzverfahren
  • 1. Der Rechtsprechungsbegriff
  • a) Allgemeine Begriffsbestimmung
  • aa) Im Sinne einer Ausschließlichkeitsfunktion
  • bb) In Abgrenzung zu dritten Handlungsorganen
  • cc) Übertragung weiterer Aufgaben
  • b) Begriffsbestimmung durch das Bundesverfassungsgericht
  • aa) Rechtsprechung im formellen Sinne
  • bb) Rechtsprechung im materiellen Sinne
  • cc) Rechtsprechung im funktionellen Sinne
  • 2. Rechtsprechung in der freiwilligen Gerichtsbarkeit
  • a) Allgemeine Zuordnung
  • b) Ansicht von Smid
  • c) Stellungnahme
  • 3. Rechtsprechung im Insolvenzverfahren
  • a) Abgrenzung zu Justizverwaltungsakten
  • b) Rechtsprechung im formellen Sinne
  • aa) Einfachgesetzlicher Richtervorbehalt
  • bb) Konkreter Richtervorbehalt
  • c) Rechtsprechung im materiellen Sinne
  • d) Rechtsprechung im funktionellen Sinne
  • aa) Rechtsstreitigkeit
  • bb) Verbindlichkeit
  • cc) Weitere Voraussetzungen
  • 4. Stellungnahme
  • 5. Zwischenergebnis
  • V. Der Rechtsweg im Insolvenzverfahren
  • C. Die sofortige Beschwerde
  • I. Grundsätzliches
  • 1. Enumerativprinzip
  • 2. Entscheidung des Insolvenzgerichts
  • 3. Reichweite der Unanfechtbarkeit
  • a) Grundsätzliches
  • b) Rechtsmittel der ZPO
  • aa) Sofortige Beschwerde nach § 567 Abs. 1 Nr. 1, 2 ZPO
  • bb) Zwischenergebnis
  • 4. Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen
  • 5. Keine aufschiebende Wirkung
  • 6. Verfahren des Beschwerdegerichts
  • 7. Rechtsbeschwerde
  • II. Gesetzlich zugelassene Beschwerdemöglichkeiten
  • 1. Sofortige Beschwerde nach § 21 Abs. 1 S. 2 InsO
  • a) Normierung Rechtsmittel für Schuldner
  • b) Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 07. Februar 2013
  • 2. Sofortige Beschwerde nach § 253 InsO
  • a) Grundsätzliches
  • b) Zum Freigabeverfahren nach § 253 Abs. 4 InsO
  • aa) Parallele zum Aktienrecht
  • bb) Interessenabwägung
  • (1) Erste Stufe
  • (2) Zweite Stufe
  • cc) Zwischenergebnis
  • 3. Weitere normierte sofortige Beschwerden
  • 4. Gemeinsamkeiten der statthaften sofortigen Beschwerde
  • a) Gläubiger- und Schuldnerschutz
  • b) Verteilungsgerechtigkeit
  • c) Auskunfts- und Mitwirkungspflichten
  • d) Verfahrenseinstellung
  • e) Vergütungsentscheidungen
  • 5. Stellungnahme
  • 6. Zwischenergebnis
  • III. Fehlende Beschwerdemöglichkeit
  • 1. Im Eröffnungsverfahren
  • a) Ermittlungs- und Sicherungsanordnungen
  • b) Verwertungs- und Einziehungsverbot
  • c) Bestellung des vorläufigen Gläubigerausschusses
  • aa) Grundsätzliches
  • (1) Voraussetzungen
  • (2) Ausschlussgründe
  • (3) Kein Beschwerderecht
  • bb) Anderweitige Rechtsmittel
  • (1) Rechtspflegererinnerung
  • (2) Antrag nach §§ 23 ff. EGGVG
  • (3) Sofortige Beschwerde nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO
  • d) Verfahrenskostenvorschuss
  • e) Ablehnung der Eigenverwaltung
  • f) Ablehnung Schutzschirmverfahren
  • 2. Im eröffneten Verfahren
  • a) Bestellung des Insolvenzverwalters
  • aa) Kein Rechtsmittel
  • bb) Konkurrentenklage
  • (1) Vorauswahl des Insolvenzverwalters
  • (2) Bestellung des Insolvenzverwalters
  • (3) Insolvenzverwaltervorschlag des Gläubigerausschusses
  • b) Einberufung oder Vertagung der Gläubigerversammlung
  • c) Feststellung zur Insolvenztabelle
  • d) Berichtigung der Tabelleneintragung
  • aa) Offensichtliche Unrichtigkeit der Insolvenztabelle
  • bb) Berichtigungsentscheidung
  • e) Verfahrenseinstellung wegen Masseunzulänglichkeit
  • f) Rücknahmefiktion gem. § 305 Abs. 3 S. 2 InsO
  • g) Fortsetzungsanordnung
  • IV. Zwischenergebnis
  • D. Weitere Rechtsbehelfe
  • I. Gerichtliche Rechtsbehelfe
  • 1. Rechtsbehelfe nach § 11 Abs. 1, 2 RPflG
  • a) Die sofortige Beschwerde und die befristete Erinnerung gegen Entscheidungen des Rechtspflegers
  • b) Aufteilung der Zuständigkeit zwischen Richter und Rechtspfleger
  • c) Zeitliche oder sachliche Zuständigkeitsabgrenzung
  • d) Entscheidung oder verfahrensleitende Maßnahme
  • 2. Erinnerung und sofortige Beschwerde nach § 573 ZPO
  • 3. Vollstreckungserinnerung gem. § 766 ZPO
  • 4. Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO
  • 5. Wideraufnahme des Verfahrens
  • 6. Beschwerde gegen Kostenentscheidungen
  • 7. Nichtzulassungsbeschwerde nach § 522 Abs. 3 i.V.m. § 544 ZPO
  • 8. Dienstaufsichtsbeschwerde
  • 9. Anhörungsrüge nach § 321a ZPO
  • a) Gesetzesänderungen zu § 321a ZPO
  • b) Voraussetzungen und Folgen des Rügeverfahrens
  • c) Rechtsnatur der Anhörungsrüge
  • d) Analoge Anwendung des § 321a Abs. 1 ZPO
  • e) Im Insolvenzverfahren
  • 10. Antrag nach §§ 23 ff. EGGVG
  • a) Grundsätzliches
  • b) Im Insolvenzverfahren
  • c) Zur Insolvenzverwalterbestellung
  • aa) Vorauswahl eines Bewerbers
  • bb) Insolvenzverwalterbestellung
  • d) Ablehnung vorläufiger Gläubigerausschuss
  • aa) Befürwortung Antrag nach § 23 EGGVG
  • bb) Ablehnung Antrag nach § 23 EGGVG
  • cc) Stellungnahme
  • e) Versagung Akteneinsicht
  • 11. Verfassungsbeschwerde
  • 12. Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK
  • a) Grundsätzliches
  • b) Inhalt
  • c) Bedeutung für das Insolvenzverfahren
  • d) Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK
  • II. Außerordentliche Rechtsbehelfe
  • 1. Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit
  • a) Zum potentiellen Anwendungsbereich
  • b) Argumente gegen eine Zulassung
  • 2. Gegenvorstellung
  • III. Zusammenfassung
  • E. Zusammenfassung und Bewertung
  • I. Zusammenfassung
  • II. Bewertung des Regelungssystems
  • 1. Verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt
  • 2. Das Rechtsbehelfssystem
  • a) Handlungen des Rechtspflegers
  • b) Handlungen des Richters
  • aa) Im Zusammenhang mit der Insolvenz
  • bb) Entscheidung des Insolvenzgerichts
  • (1) Schwerwiegender Grundrechteingriff
  • (2) Justizverwaltungsakt
  • 3. Schlussbetrachtung
  • Literaturverzeichnis

← xviii | 1 → A. Einleitung

Zu den wesentlichen Grundsätzen des Rechtsstaatsprinzips gehört die Gewähr von Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte als Kehrseite des staatlichen Gewaltmonopols1. Im Insolvenzverfahren wird Rechtsschutz ausschließlich in den explizit genannten Fällen ermöglicht. Nach § 6 Abs. 1 S. 1 InsO bedeutet dies, dass Entscheidungen des Insolvenzgerichts nur dann anfechtbar sind, wenn die Insolvenzordnung (InsO) das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde ausdrücklich vorsieht. Dabei handelt es sich um einen abgeschlossenen Kanon an Rechtsschutzmöglichkeiten, die enumerativ von Gesetzes wegen aufgezählt sind2. Die Arbeit untersucht, inwieweit die Diskrepanz zwischen der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie und dem Enumerativprinzip aufzulösen bzw. zu rechtfertigen ist und ob tatsächlich ein ungelöster Widerspruch zwischen dem Ziel eines möglichst schnellen Verfahrensablaufs und ausreichendem Rechtsschutz besteht.

Es ist die eindeutige Tendenz des Gesetzgebers zu erkennen, den Rechtsweg durch Beschränkung der Rechtsbehelfsmöglichkeiten zu verkürzen, um das Insolvenzverfahren zu beschleunigen. Der Bedarf, durch außerordentliche Rechtsbehelfe Entscheidungen bzw. Fehler des Gerichts auszugleichen, wächst zwangsläufig mit der zunehmenden Einschränkung von Rechtsbehelfen3. Die rigide Beschränkung der Rechtsbehelfe im Insolvenzverfahren führt in der Praxis zu der Forderung nach weitergehendem Rechtsschutz4. Als Folge werden ← 1 | 2 → Rechtsmittel und Rechtsbehelfe konstruiert, die von der Insolvenzordnung nicht vorgesehen sind. Begründet wird dieses Vorgehen zumeist mit dem Argument, der status quo der limitierten Beschwerdemöglichkeit sei nicht mit der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie zu vereinbaren. Es stellt sich die Frage, ob das Postulat nach einem weitergehenden Rechtsschutz tatsächlich von verfassungsrechtlicher Notwendigkeit ist oder ob es sich vielmehr um eine rechtspolitische Forderung handelt, mit der materielle Gerechtigkeit im Einzelfall erzielt werden soll. Zur Beantwortung dieser Frage sind alle anderweitigen Rechtsbehelfe zu analysieren, die neben den in der Insolvenzordnung genannten statthaft sein können bzw. deren Statthaftigkeit in Erwägung gezogen wird. Einerseits handelt es sich um Rechtsbehelfe aus anderen Verfahrensordnungen, anderseits kommen außerordentliche Rechtsbehelfe in Betracht. Es ist ein System im Sinne einer allgemeinen Klassifikation herauszuarbeiten, nach dem der Betroffene gerichtlichen Rechtsschutz ersuchen kann. Dafür ist vorangestellt zu untersuchen, was genau unter „Rechtsschutz“ zu verstehen ist und was ein „ausreichender“ Rechtsschutz im Insolvenzrecht bedeutet, resp. unter welchen Voraussetzungen der Zustand eines kohärenten Rechtsbehelfssystems erreicht ist.

I. Einführung in die Fragestellungen

Das Grundgesetz garantiert über Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG dem Einzelnen einen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz5. Rechtsschutz ist dabei als eine umfangreiche gerichtliche Kontrolle zu verstehen, wovon der „Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche gerichtliche Entscheidung“6 umfasst sind. Wer in seinen Rechten durch Maßnahmen eines Gerichts betroffen ist, dem soll die Möglichkeit eingeräumt werden, die Entscheidung von einem unabhängigen Richter überprüfen zu lassen. Nach Art. 19 Abs. 4 GG steht jedem, der durch die öffentliche Gewalt verletzt ist, der Rechtsweg offen. Damit wird der Rechtsweg auf die öffentliche Gewalt ← 2 | 3 → beschränkt. Im Bereich des Zivilrechts steht dem einzelnen ein Anspruch auf Justizgewährung zu. Es ist zu untersuchen, inwieweit dieser Grundsatz im Insolvenzprozessrecht Anwendung findet und welche Folgen die verfassungsrechtlichen Grundsätze, für den Rechtsschutzsuchenden im Insolvenzfalle, mit sich bringen.

Grundsätzlich ist im Insolvenzverfahren zwischen beschwerdefähigen Entscheidungen und solchen Entscheidungen zu differenzieren, die keiner Beschwerde zugänglich sind. Im Eröffnungsverfahren und im eröffneten Insolvenzverfahren existieren etliche Konstellationen, die keine Zulassung einer sofortigen Beschwerde i.S.v. § 6 Abs. 1 S. 1 InsO erfahren haben7. In diesen Fällen diskutieren die insolvenzrechtliche Literatur und die Rechtsprechung, inwieweit dennoch Rechtsschutzmöglichkeiten zu gewähren sind, um der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie gerecht zu werden bzw. den Betroffenen zu einer Überprüfung der gerichtlichen Entscheidung zu verhelfen. In Betracht gezogen wird unter anderem eine analoge Anwendung des § 34 Abs. 1 InsO8, der dem Schuldner die sofortige Beschwerde bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens ermöglicht. Des Weiteren wird z.B. die außerordentliche Beschwerde bei „greifbarer Gesetzeswidrigkeit“9 diskutiert, die direkte oder analoge Anwendbarkeit einer Gehörsrüge nach § 321a ZPO10 und eine „Gegenvorstellung“11. Andere Stimmen wollen den Rechtsschutz aus den §§ 23 ff. EGGVG12 oder direkt über Art. 19 Abs. 4 GG13 herleiten.

Die Problematik, dass nur ein abschließender Katalog an Entscheidungen nach der Insolvenzordnung anfechtbar ist, ist historisch gewachsen und mit ← 3 | 4 → dem Ziel eines schnellen Verfahrensablaufs zu begründen14. Das Bedürfnis nach einem zügigen Agieren zur Sicherung der Masse ist dem Insolvenzverfahren immanent. In der alten Konkursordnung und im Verfahren der Gesamtvollstreckung konnten dagegen noch fast alle Entscheidungen nach § 73 Abs. 3 KO oder nach § 20 GesO mit der Beschwerde angefochten werden.

II. Gang der Untersuchung

Auf diesen Gedanken basierend ergibt sich der folgende Gang der Darstellung: Die Untersuchung und Analyse des Systems der Rechtsbehelfe unterteilt sich in drei Hauptabschnitte und eine Schlussbetrachtung. Der erste Teil widmet sich den allgemeinen Grundlagen zu der Thematik: Rechtsschutz. Im Anschluss behandelt der zweite Teil die sofortige Beschwerde im Insolvenzverfahren und daran anknüpfend werden im dritten Abschnitt alle anderweitigen Rechtsbehelfe erörtert.

In dem ersten Abschnitt zu den allgemeinen Grundlagen von Rechtsschutz, wird zunächst die historische Entwicklung von Rechtsmitteln im Insolvenzverfahren bzw. der vorangegangenen Verfahrensordnungen aufgezeigt. Anschließend wird die Frage nach der Rechtsnatur des Insolvenzverfahrens ergründet. Durch die Einordnung zu einer bestimmten Verfahrenskategorie sind im Verlauf der Arbeit Rückschlüsse auf die dogmatische Einordnung der Rechtsmittel im Insolvenzverfahren zu ziehen. In dem ersten Teil erfolgt des Weiteren eine vertiefte Auseinandersetzung mit Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG, der den Rechtsweg zu den Gerichten garantiert. Dabei ist mit Hilfe der klassischen Auslegungsmethoden der Terminus der „öffentlichen Gewalt“ näher zu untersuchen, um herauszufinden, inwieweit gegen Handlungen der Judikative eine grundrechtliche Rechtsschutzgarantie gegeben ist. Darauf folgend wird auf den ungeschriebenen Grundsatz des Justizgewährleistungsanspruchs eingegangen. Erst nach einer eingehenden abstrakten Erforschung möglicher Rechtsschutzgarantien können die genannten Argumente für die Ausgestaltung des Rechtsweges im Insolvenzverfahren herangezogen werden. Auf Grundlage der verfassungsrechtlichen Erkenntnisse sind die Auswirkungen auf das Insolvenzverfahren zu erörtern.

Als Schwerpunkt des zweiten Teils wird das einzige Rechtsmittel der Insolvenzordnung – die sofortige Beschwerde nach § 6 InsO – eingehend analysiert. Insbesondere wird die Reichweite des Enumerativprinzips und der Unanfechtbarkeit diskutiert. Im Anschluss werden alle Konstellationen aufgezeigt, in ← 4 | 5 → denen die Insolvenzordnung die sofortige Beschwerde vorsieht, um daraufhin gemeinsame Kriterien für die Statthaftigkeit des Rechtsmittels zu erarbeiten. Nach Darstellung der Gemeinsamkeiten werden die Maßnahmen des Gerichts erörtert, gegen die kein Rechtsmittel normiert ist, die aber immer wieder Anlass zur Anwendung anderweitiger gerichtlicher oder außerordentlicher Rechtsbehelfe geben.

Der dritte Teil behandelt alle anderweitigen Rechtsbehelfe, die in Erwägung gezogen werden, um Maßnahmen des Insolvenzgerichts zu überprüfen. Es wird untersucht, inwieweit neben dem in sich geschlossenen Rechtsschutzsystem weitere Rechtsbehelfe statthaft sind und in welchem Verhältnis diese zueinander stehen.

Im abschließenden vierten Teil erfolgt eine Bewertung des Regelungssystems und die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung werden in Thesen zusammengefasst.← 5 | 6 →

___________

1 BVerfGE 107, 395 (401); 101, 275 (294 f.); 96, 27 (39 f.); 88, 118 (123 f.); 85, 337 (345); 54, 277 (291); Baur, AcP, 153 (1954), 392, 396; Bickenbach, JuS 2007, 813; Dütz, S. 59 f.; Lorenz, S. 12; Mes, S. 15 ff.; Nakano, ZZP 79 (1966), 99, 107 f.; Papier, in: Isensee/ Kirchhof, HStR VIII, § 176 Rn. 1; Schmidt-Jortzig, NJW 1994, 2569 f.; Uhle, in: FS für Würtenberger, S. 935; Voßkuhle/Kaufhold, JuS 2010, 116, 118; Wolf, S. 21.

2 Gesetzlich zugelassene Beschwerdemöglichkeiten abschließend aufgezählt von Prütting, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 6 Rn. 13.

3 Dazu auch: Prütting, in: FS für Nakamura, S. 457, 473.

4 Dazu: BVerfG ZIP 2004, 1649 ff.; BGHZ 119, 372 (374); OLG Düsseldorf NZI 2008, 614, 615; OLG Hamburg ZIP 2008, 2228, 2229; OLG Köln ZInsO 2007, 272, 274; KG ZIP 2006, 294, 295; BayOLG ZIP 2000, 320, 321 f.; OLG Köln NZI 2000, 217, 219; LG Göttingen NZI 2000, 438 f.; Ahrens, NZI 2000, 201, 206; Braun/Blümle, InsO, § 56 Rn. 9; Frind, ZInsO 2013, 279, 284 ff.; Graf-Schlicker, InsO, §§ 56, 56a Rn. 5; HambKomm/J.-S. Schröder, InsO, § 21 Rn. 83 ff.; Hirte, Stellungnahme, S. 10 f.; Horstkotte, ZInsO 2012, 1930, 1932; Jaeger/Schilken, InsO, § 26 Rn. 66, 77; Kirchhof, ZInsO 2007, 227, 229, 231; Lüke, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 56 Rn. 25; Lüke, ZIP 2000, 485, 486 f.; Mönning, in: FS für Görg, S. 291, 305; Nerlich/Römermann/Riggert, InsO, § 270 Rn. 25; Prütting, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 6 Rn. 15; ders., § 21 Rn. 40l; Römermann/Praß, ZInsO 2012, 1923, 1927 f.; Schmidt, ZInsO 2012, 1107, 1109; Uhlenbruck-Kommission, ZIP 2007, 1432, 1434; Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 26 Rn. 42 ff.; Vallender, MDR 2002, 181, 184; Weigelt, S. 173 ff.

5 Vgl. BVerfGE 118, 168 (207 f.); 117, 244 (268); 113, 273 (310); 104, 220 (231 f.); 101, 106 (122 ff.); 96, 27 (39); 77, 275 (284); 67, 43 (58); 41, 23 (26); 35, 263 (274 f.); 8, 274 (326); Maunz/Dürig/Remmert, GG, Art. 19 Rn. 7; Schmidt-Jortzig, NJW 1994, 2569 ff.

6 BVerfGE 113, 273 (310); 107, 395 (401).

7 Aufzählung in Uhlenbruck/Pape, InsO, § 6 Rn. 6 mit weiteren Nachweisen.

8 Die Analogie zu § 34 InsO ablehnend: BGH ZInsO 2005, 537; LG Köln NZI 2003, 213, 215; die Analogie bejahend: BayObLG ZIP 2000, 320, 321; OLG Zelle ZIP 2001, 340, 341 f.; LG Berlin ZVI 2011, 293 ff.; Ahrens, NZI 2000, 201 ff., der Verfasser geht von einer teleologischen Extension des § 34 Abs. 1 InsO aus.

9 BGHZ 150, 133 (135 f.); Pape, NZI 2003, 12 ff.

10 Nerlich/Römermann/Becker, InsO, § 10 Rn. 21; Pape, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 270 Rn. 74; Pape, NZI 2003, 12 – 17; Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 270 Rn. 21.

11 BVerfGE 122, 190 (195 f.); BGH NJW 2011, 1516; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 6 Rn. 27; Lipp, NJW 2002, 1700, 1701; Voßkuhle, NJW 2003, 2193, 2198 f.; Zöller/Heßler, ZPO, § 567 Rn. 22 ff.

12 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 23 EGGVG Rn. 1 ff.; Gaier, ZInsO 2006, 1177 ff.; Römermann/Prass, ZInsO 2012, 1923 ff.; Schoreit, in: Karlsruher Kommentar, § 23 EGGVG Rn. 4 ff.; Zöller/Lückemann, ZPO, § 23 EGGVG Rn. 24 m. w. N.

13 Smid, DZWIR 2001,485, 490; Voßkuhle, Rechtsschutz, S. 298 ff.; andere Ansicht: BVerfGE 107, 395 (404); 65, 76 (90); 49, 329 (340 f.); 25, 352 (365); 22, 106 (110 f.); 15, 275 (280); 11, 263 (265).

14 BT-Drucks. 12/2443, S. 110.

Details

Seiten
XVIII, 216
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653056181
ISBN (ePUB)
9783653962703
ISBN (MOBI)
9783653962697
ISBN (Paperback)
9783631663196
DOI
10.3726/978-3-653-05618-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (April)
Schlagworte
Insolvenzordnung Insolvenzgericht Insolvenzrecht Rechtsschutz
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. XVIII, 216 S.

Biographische Angaben

Anna Lena Stamer (Autor:in)

Anna Lena Stamer studierte Rechtswissenschaften in Hamburg und Lyon (Frankreich).

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