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Entwicklungspotenziale von Weiterbildungsnetzwerken

Eine empirisch-qualitative Studie am Beispiel der Landesinitiative HESSENCAMPUS

von Claudia Zaviska (Autor:in)
©2015 Dissertation XV, 336 Seiten

Zusammenfassung

Interorganisationale Netzwerke und Kooperationen im Bereich der Weiterbildung gewinnen im Zuge bildungspolitischer Modernisierung zunehmend an Relevanz. Claudia Zaviska untersucht am Fallbeispiel eines bildungsreformerischen Strukturaufbauprogramms, der Landesinitiative HESSENCAMPUS (HC), die Entwicklungspotenziale und Gelingensbedingungen von Weiterbildungsnetzwerken. Dabei werden potenzielle Konflikt- und Spannungsfelder in bildungsbereichsübergreifenden Kooperationsverbünden deutlich. Diese gilt es der Autorin zufolge systematisch zu bearbeiten, damit der Erfolg und die Nachhaltigkeit des Netzwerks gewährleistet werden können.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Abstract
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • Aktuelle Herausforderungen in der WB: Pluralität, Wirtschaftlichkeit und Entgrenzung
  • Wissenschaftliche Relevanz
  • 1.1 Forschungsinteresse und Vorannahmen
  • Entwicklungspotenzial – eine Begriffsklärung
  • Wahl und Herausforderung des Untersuchungsgegenstandes
  • 1.2 Zielstellung und Konzeption der Arbeit
  • Danksagung
  • 1.3 Gliederung der Arbeit
  • Kapitel 2
  • Kapitel 3
  • Kapitel 4
  • Kapitel 5
  • Kapitel 6
  • Kapitel 7
  • Kapitel 8
  • 2 Theoretische-begrifflich Annäherung
  • 2.1 Organisations- und netzwerktheoretische Bezüge
  • 2.1.1 Organisationen – eine erste begriffliche Klärung
  • 2.1.2 Spezifika von Weiterbildungsorganisationen
  • 2.1.3 Interorganisationale Netzwerke – eine begriffliche Klärung
  • Begriffliche Annäherung
  • Netzwerkdefinitionen
  • Netzwerkstrukturen und -merkmale
  • Exkurs in die sozial- und erziehungswissenschaftliche Netzwerkanalyse
  • Organisation vs. Netzwerk
  • Netzwerk vs. Kooperation
  • 2.2 Systemtheoretische Überlegungen
  • 2.2.1 Systemtheoretische Begrifflichkeiten
  • System-Umwelt-Differenz und Autopoiesis
  • Komplexität
  • Strukturelle Kopplung
  • 2.2.2 Organisationen und Netzwerke aus systemischer Sicht
  • 2.2.3 Weiterbildungsnetzwerke als komplexe Systeme
  • (WB-)Netzwerke im Modus wechselseitiger Beobachtung
  • 2.3 Spieltheoretische Überlegungen – Mikropolitik, Konkurrenz und Spiel
  • 2.3.1 Kooperation vs. Konkurrenz
  • 2.3.2 Mikropolitische Spiele: Strategien, Regeln und Züge
  • 2.4 Zwischenfazit I – theoretische Fokussierung
  • 3 Praxisfeldbezogene Überlegungen
  • 3.1 Interorganisationale, regionale Weiterbildungsnetzwerke
  • 3.1.1 Die Genese von Weiterbildungsnetzwerken
  • 3.1.2 Spezifika von Weiterbildungsnetzwerken
  • 3.1.3 Regionale Weiterbildungsnetzwerke
  • Regionalisierung am Beispiel der ‚Lernenden Region‘
  • 3.2 Gelingensbedingungen – Mehrwert und Grenzen
  • 3.2.1 Vorteile und Grenzen interorganisationaler Netzwerke
  • Potenziale von WB-Netzwerken: förderliche und hinderliche Einflussfaktoren
  • 3.2.2 Der Einfluss des Netzwerkkoordinators und Nachhaltigkeit
  • 3.2.3 Reziprozität und Vertrauen
  • 3.2.4 Exkurs: Netzwerkmanagement und -entwicklung
  • 3.3 Zwischenfazit II – praxisfeldbezogene Fokussierung
  • 4 Methodisches Vorgehen
  • 4.1 Forschungsfrage, methodologische Grundlagen und Positionierung
  • Fragestellung und Forschungsinteresse
  • Grundlagen qualitativer Forschung
  • Disziplinäre Verortung und methodologische Positionierung
  • 4.2 Qualitative Einzelfallstudie und Methodentriangulation
  • 4.2.1 Merkmale, Funktion und Verwendung der Einzelfallstudie
  • Vorteile und Grenzen der Fallstudie
  • 4.2.2 Methoden-Triangulation: Interview und Beobachtung
  • Das leitfadengestützte Experteninterview
  • Feldforschung: Teilnehmende Beobachtung
  • Beobachtungsformen und Datenerhebung
  • 4.3 Methodisches Design
  • 4.3.1 Fallauswahl und Datenerhebung
  • Auswahl der Experten und Feldzugang
  • Fallauswahl für die vertiefende Fallstudie
  • Datenerhebung: Expertenbefragung und Interviewleitfaden
  • Datenerhebung – Beobachtungsprozess und Erstellung der Protokolle
  • 4.3.2 Datenauswertung
  • Auswertung der Experteninterviews
  • Datenauswertung der Beobachtungsprotokolle/-notizen
  • 4.3.3 Ergebnisdarstellung
  • 4.4 Untersuchungsgegenstand
  • 4.4.1 Vom Reformprojekt zur nachhaltigen Verbundorganisation
  • HC-Programmatik: Ziele, Orientierungen und Integrationsfunktionen
  • Sukzessive Strukturaufbauförderung
  • Erste Aufbauphase: 2007–2009
  • Zweite Aufbauphase: 2010–2013
  • 4.4.2 HC-Leitprojekte
  • 4.4.3 HC nach 2013 – Überführung in das Regelsystem
  • 5 Ergebnisse der explorativen Vorstudie
  • 5.1 Die Landesinitiative HC – Begriffsklärung und Genese
  • 5.1.1 Definition und Begriffsklärung
  • 5.1.2 Genese und Entstehungskontext der Landesinitiative
  • 5.1.3 Hessische Weiterbildungslandschaft
  • 5.2 Organisatorisch-strukturelle Rahmenbedingungen
  • 5.2.1 Interne Organisation
  • 5.2.2 Entwicklungs- und Kooperationspartner
  • 5.2.3 Rechtsform
  • 5.2.4 Zielsetzung, Aufgabe und Zielgruppe
  • 5.2.5 Selbstverständnis der HC-Koordinatoren
  • 5.2.6 HC-Leitthemen
  • Das Leitprojekt ‚HC-Bildungsberatung‘
  • Weitere Themen: ‚Übergänge‘ und ‚Neue Medien/selbstgesteuertes Lernen‘
  • 5.2.7 HC-Öffentlichkeitsarbeit
  • 5.3 Gelingensbedingungen I
  • 5.3.1 Motivation – ideelle Motive und Synergieeffekte
  • 5.3.2 Vertrauen und vertrauensvolle Kooperationen
  • 5.3.3 Nutzenorientierung
  • 5.3.4 Organisationskulturelle Aspekte
  • 5.3.5 Beteiligung und Mitbestimmung auf Mitarbeiterebene
  • 5.3.6 Konkurrenz vs. Kooperation – ein schmaler Grad
  • 5.3.7 (Politische) Rahmenbedingungen
  • 5.3.8 Motivation, diffuse Ängste und Interessenskonflikte
  • Diffuse Ängste und Interessenskonflikte
  • 5.3.9 Widerstand und Intransparenz
  • 5.4 Organisations- und Netzwerkentwicklung
  • 5.4.1 Maßnahmen auf Mitarbeiterebene
  • 5.4.2 Maßnahmen auf Steuerungs-/Leitungsebene
  • 5.4.3 Externe Organisations-/Netzwerkentwicklung
  • Wirkung der OE-Maßnahmen
  • 5.5 Entwicklungspotenziale I – Visionen der HC-Koordinatoren
  • 5.6 Zusammenfassung I: Ergebnisse der Vorstudie
  • 6 Ergebnisse der vertiefenden Fallstudie
  • 6.1 Regionale Bildungslandschaft
  • 6.2 Rolle, Aufgaben und Selbstverständnis der HC-Entwicklungspartner
  • 6.2.1 Politische Ebene: Hessisches Kultusministerium (HKM)
  • 6.2.2 Die VHS als zentraler Akteur
  • 6.2.3 Weitere Akteure der HC-Steuerungsgruppe
  • 6.2.4 Periphere Akteure der HC-Steuerungsgruppe
  • 6.3 Prozesse und Strukturen
  • 6.3.1 Entwicklung der HC-Steuerungsgruppe
  • 6.3.2 Zentrale Leitthemen und (Teil-)Projekte
  • HC-Bildungsberatung
  • Pädagogische Konzepte im Bereich außerschulische Bildung und neue Medien
  • Öffentlichkeitsarbeit
  • 6.3.3 Selbstwahrnehmung und Zufriedenheit der Mitglieder
  • 6.4 Gelingensbedingungen II
  • 6.4.1 Vernetzung als Selbstzweck und Herausforderung
  • 6.4.2 Engagement, Zieldefinition und Gleichberechtigung
  • 6.4.3 Allgemeine Rahmenbedingungen
  • Vorgaben des Landes: Organisatorische Mängel und unflexible Strukturen
  • 6.4.4 Motivation und individueller Nutzen
  • 6.4.5 Konkurrenzthematik: Konkurrenz vs. Kooperation
  • 6.4.6 Widerstand und diffuse Angst
  • 6.4.7 Intransparente Kommunikation und Interessenskonflikte
  • 6.5 HC-Entwicklungspotenziale II
  • 6.5.1 Netzwerk- und Personalentwicklung
  • 6.5.2 Netzwerkarbeit und Kooperation
  • 6.5.3 Nachhaltigkeit: Überführung in den Regelbetrieb
  • 6.6 Zusammenfassung II: Ergebnisse der Fallstudie
  • 7 Fallanalyse einer HC-Steuerungsgruppensitzung
  • 7.1 Fallbeschreibung: Ziele und Intentionen
  • Fragestellungen des Workshops
  • 7.2 Analyse des Beobachtungsprotokolls „HC-Sondersitzung“
  • 7.3 Einstieg – Begrüßung und (theoretische) Einführung
  • 7.3.1 Vorbereitung (I. Abschnitt)
  • Genese der Veranstaltung – Widerstand, Kontinuität und Erwartungen
  • 7.3.2 Begrüßung und Einstieg (II. Abschnitt)
  • (Bilanzierungs-)Interessen der Landesebene vs. Existenzsicherung des HC
  • 7.3.3 Einstieg und theoretischer Input (III. Abschnitt)
  • Spiel – Spielraum (zweite These)
  • Nutzen und Nutzenorientierung (dritte These)
  • Innovation (vierte These)
  • 7.4 Hauptteil: Diskussion und Projektreflexion
  • 7.4.1 Diskussion zum Thema Eigennutzen (IV. Abschnitt)
  • Individuelle Kooperationsmotive und organisatorische Diskrepanzen
  • 7.4.2 Netzwerkanalyse (V. Abschnitt)
  • Zuordnung der ‚HC-Bildungsberatung‘
  • Thema Übergänge
  • AG Außerschulische (Weiter-)Bildung
  • Zuordnung des Teilprojekts HC-Bildungsberatung
  • Zuordnung des Teilprojekts Übergänge
  • Zuordnung des Teilprojekts „Außerschulische (Weiter-)Bildung“
  • Grenzen und Strategien
  • 7.4.3 Zwischenresümee und erster Ausblick (VI. Abschnitt)
  • 7.5 Resümee – Überleitung, Ausblick und Fazit
  • 7.5.1 Einstieg und Fortsetzung (VII. Abschnitt)
  • 7.5.2 Projektbilanz (VIII. Abschnitt)
  • Diskussion/Zuordnung des Projekts ‚Neue Medien‘
  • Weiterbildung für Fachkräfte (operative Ebene/Information, Austausch, Abstimmung)
  • Buchbare Angebote zum Selbstlernen
  • Selbstlernzentrum
  • Zusatzangebote an Schulen
  • Übergangsmanagement
  • Dienstleitungen kommunales Bildungsmanagement
  • Priorisierung der Ergebnisse und Diskussionsverlauf
  • Zuordnung der (Teil-)Projekte im Bereich ‚Neue Medien‘
  • Visualisierung der Ergebnisse in Form einer Gesamtbilanz
  • Erträge der Kooperation im HC
  • 7.5.3 Gesamtbilanz und Organisatorisches (IX. Abschnitt)
  • Gesamtbilanz
  • Was soll fortgesetzt werden? Von wem? Mit welchen Finanzen?
  • (Zukunfts-)Perspektiven und Nachhaltigkeit
  • 7.6 Zusammenfassung III: Ergebnisse des Beobachtungsprotokolls
  • 8 Ergebnissynthese und Fazit
  • Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse entlang der Fragestellungen
  • Generalisierbarkeit der empirischen Ergebnisse
  • 8.1 Netzwerke als komplexe Systeme und Spielarenen
  • WB-Netzwerke als komplexe Systeme – aus systemtheoretischer Sicht
  • Reziproke Beobachtung und Kommunikation als Kooperationsmodi
  • Spiel, Spielraum und Kooperation – (WB-)Netzwerke aus spieltheoretischer Perspektive
  • Aushandlung von Handlungsspielräumen als Kooperationsmodus
  • 8.2 Ausblick – Entwicklungspotenziale von Weiterbildungsnetzwerken
  • Theoretische Implikationen
  • Netzwerkimmanente Spannungsfelder
  • Praktische Implikationen – praxisleitende Handlungsempfehlungen
  • Forschungsdesiderate
  • Literaturverzeichnis
  • Online-Quellen

| XIII →

Abkürzungsverzeichnis

| XV →

Abbildungsverzeichnis

| 1 →

1 Einleitung

„Überall geht ein früheres Ahnen dem späteren Wissen voraus“ (Alexander v. Humboldt)

In Anlehnung an das Eingangszitat entwickelte sich dieses Forschungsvorhaben erst allmählich, sozusagen synchron durch eine Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsgegenstand. Dem späteren Wissen ging ein frühes, theoretisches Ahnen voraus, sodass sich in dieser Arbeit ebenfalls ein wissenschaftlicher Entwicklungsprozess manifestiert. Gewisse anfängliche Vorannahmen und Überlegungen wurden nicht weiterverfolgt, neue Fragestellungen in Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis ergaben sich und wurden vertieft, womit sich der thematische Schwerpunkt dieser Arbeit im Laufe des Forschungsprozesses herauskristallisierte.

Diese Arbeit lässt sich mit ihrem thematischen Bezug im Bereich der erziehungswissenschaftlichen Organisationforschung und der interdisziplinär angelegten Netzwerkforschung verorten. Spätestens seit Ende der 1990er Jahre hat sich die erziehungswissenschaftliche EB/WB als Teildisziplin der Erziehungswissenschaft zur „vierten Säule des Bildungssystems“1 (Nuissl 2009, S. 405) bzw. als gesellschaftliches Teilsystem im „quartären Bildungssektor“ (Schäffter 2003, S. 70) etabliert. Themen wie Organisation(en), informelles und organisationales Lernen, das Lernen Erwachsener sowie interorganisationale Netzwerke und Kooperationen haben in diesem Zuge einen enormen gesellschaftlich-politischen Bedeutungszuwachs erfahren. Organisationen und Netzwerke haben im Bereich der anwendungsorientierten Weiterbildung (WB) und im Bereich der empirischen, erwachsenenpädagogischen Kooperations- und Organisationsforschung (vgl. Dollhausen 2013, S. 13 ff.) an Relevanz gewonnen. Sowohl auf operativer, erwachsenpädagogischer (Praxis-)Ebene als auch auf regionaler Ebene werden Kooperationen und Netzwerke zunehmend durch staatliche, bildungspolitische Programme und Landesinitiativen (‚Lernende Regionen‘, ‚Lernen vor Ort‘, ‚HESSENCAMPUS‘ etc.) initiiert.

Beide Operationsformen – Kooperation und Vernetzung – stellen eine „Schlüsselaufgabe für Weiterbildungseinrichtungen“ (Dollhausen/Mickler 2012, S. 144) dar, die zur Erweiterung von Handlungsfeldern, zur Sicherung von Marktpositionen/-zugängen und zur Entwicklung neuer Lernkulturen beitragen können. Darüber hinaus haben insbesondere staatlich initiierte, bildungsbereichsübergreifende, diagonale WB-Netzwerke, wie am Beispiel der Landesinitiative HC ← 1 | 2 → herausgearbeitet werden soll, einen Einfluss auf die (subjektiv-wahrgenommene) organisationale Handlungsfähigkeit der Akteure, die wiederum das Entwicklungspotential von WB-Netzwerken bestimmt. Netzwerke sind in der heutigen Gesellschaft omnipräsent, angefangen von Computernetzwerken über familiale und soziale Netzwerke bis hin zu komplexen, interorganisationalen Netzwerken und Kooperationen. Kooperative Bildungsarrangements können als interdisziplinäre Trendthemen der Weiterbildungs- und Erwachsenenbildungsforschung und angrenzender wissenschaftlicher Disziplinen (Soziologie, Kulturwissenschaft, Politikwissenschaft, Betriebswirtschaftslehre) bezeichnet werden. Aus Sicht der Erwachsenenbildung sei es wünschenswert sich interdisziplinär mit Netzwerken auseinanderzusetzen, „um den eigenen disziplinären Erkenntnisgewinn zu profilieren“ (vgl. Jütte 2002, S. 326). Die Netzwerkforschung sei „ein Teil eines sehr viel umfassenderen Projekts der modernen Wissenschaften“, wie das folgende Zitat verdeutlicht:

„Heute versuchen Wissenschaftler, die Teile über die Grenzen ihrer Spezialgebiete hinweg wieder zusammenzufügen: Makromoleküle zu Zellen, Neuronen zu Gehirnen, Arten zu Ökosystemen, Nährstoffe zu Lebensmitteln und Menschen zu sozialen Netzwerken. (…). Sie beschäftigen sich mit der Frage, wie und warum die Einzelteile zusammenpassen und nach welchen Gesetzen sie sich zu einem Ganzen fügen. (Der) Versuch die Struktur und die Funktion von sozialen Netzwerken sowie das Phänomen der Emergenz als Ganzes zu verstehen, ist daher Teil eines sehr viel umfassenderen Wissenschaftsprojekts.“ (Christakis/Fowler 2009, S. 383f.).

Aktuell gehören funktionssystemübergreifende Netzwerkarbeit und interorganisationale Kooperation zum Tagesgeschäft von WB-Organisationen. Vernetzung und Kooperation sind nach Seitter (2013, S. 47) als ein „Institutionalisierungsmodus von Erwachsenenbildung“ und als ein „Modus organisationaler Professionalisierung“ zu verstehen. Die erwachsenenpädagogische Organisationsforschung fokussiert Fragen nach der internen Strukturierung und Prozessgestaltung von WB-Organisationen, ihrem Abhängigkeitsverhältnis zur Umwelt, ihren politisch-rechtlichen, finanziellen und programmatischen Rahmenbedingungen und ihren spezifischen Handlungsspielräumen (vgl. Dollhausen/Feld/Seitter 2013, S. 15) – die im Rahmen dieser Arbeit beispielhaft untersucht werden sollen.

Aktuelle Herausforderungen in der WB: Pluralität, Wirtschaftlichkeit und Entgrenzung

Kooperation und Vernetzung sind nach Schemmann und Seitter (vgl. 2010, S. 7) zwei „Megathemen“, die sich aus den bildungspolitischen Diskussionen ← 2 | 3 → zum lebenslangen Lernen herausgebildet haben.2 Das im Jahre 2000 entwickelte, europäische Memorandum zum lebenslangen Lernen (vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2003) leitete einen Entgrenzungsprozess von WB-Organisationen in die Wege und forderte gleichzeitig die Emanzipation des Lernenden. In diesem Memorandum wurden Kriterien zu folgenden Aspekten als Leitmotive formuliert, die das lebenslange Lernen politisch begründeten: Qualifikationserwerb, Verbesserung und Entwicklung effektiver Lehr-/Lernmethoden, Regionalbezug und eine aktivierende Lernerorientierung zur Sicherung der gesellschaftlichen Teilhabe.

WB-Einrichtungen übernehmen eine wichtige gesellschaftliche Funktion und haben einen Paradigmenwechsel von einer Angebotsorientierung hin zu einer Nachfrageorientierung vollzogen. Synonym für das gesellschaftliche Teilsystem WB wird gerne die Metapher der Weiterbildungslandschaft verwendet, um die Pluralität von privaten, öffentlichen und gemeinnützigen WB-Einrichtungen/-trägern, die sowohl auf Landesebene als auch auf kommunaler Ebene strukturiert sind, zu verdeutlichen (vgl. Nuissl/Strobel 2012, S. 192). Die Teilnahme an WB ist sowohl hessen- als auch bundesweit – analog zu Weiterbildungslandschaft – sehr heterogen und ungleich verteilt. Die Anbieterlandschaft zeichnet sich ebenfalls durch das Spannungsfeld aus Homogenität und Heterogenität aus. Das Funktionssystem WB sei aktuell geprägt durch eine „Parallelität von expliziten und impliziten Bildungsaktivitäten auf unterschiedlichen Ebenen“ (Schemmann/Seitter 2010, S. 55). Die vielfältigen WB-Organisationen konkurrieren auf einem breiten Weiterbildungsmarkt mit vielfältigem Angebotsspektrum um Teilnehmerzahlen und um eine Bezuschussung durch öffentliche Gelder (vgl. Meisel/Feld 2009). Aus dem Paradigmenwechsel von Lehren zum Lernen (‚shift from teaching to learning‘) und der Forderung nach selbstgesteuertem Lernen im Sinne von gesellschaftlicher Teilhabe entwickelt(e) sich eine neue Lehr-/Lernkultur. Diese zeichnet sich durch eine Teilnehmerorientierung, die Prozessgestaltung, selbstbestimmtes Aneignungslernen und (die Entwicklung) innovative(r) Lernangebote/-arrangements aus.

Ein gesellschaftlicher Trend ist die demographische Entwicklung der Bundesrepublik. Der verzeichnete Geburtenrückgang bei gleichzeitiger erhöhter Lebenserwartung führte zu einer unausgewogenen „Zentrum-Peripherie-Relation“ (Schemmann/Seitter 2009, S. 107), d.h. einerseits zu prosperierenden, ← 3 | 4 → ‚boomenden‘ Regionen, andererseits zu einer Abwanderung aus ländlichen, ‚schwachen‘ Regionen. Diese Entwicklung verlangt innovative Angebote und die Entwicklung generationsübergreifender, wohnortnaher, flexibel-intergenerativer Konzepte. Im Zuge dieser Finanzierungs- und Existenzsicherungsfragen, Angebotsredundanzen/-vielfalt und Intransparenz des Weiterbildungsmarktes werden system- und bildungsbereichsübergreifende (diagonale) Kooperationen und regionale (WB-)Netzwerke verstärkt gefördert. Durch diese sich aktuell neu formierenden (natürlichen entstehenden und initiierten) Institutionalisierungsformen wie politisch-initiierte, organisations- und bildungsbereichsübergreifenden Netzwerke und Kooperationsverbünden erhoffen sich die Initiatoren u.a. eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und die Entstehung von Synergieeffekten.

Die Pluralisierung der Weiterbildungslandschaft und Differenzierung des Funktionssystems WB (vgl. Nuissl/Strobel 2012) haben eine Orientierung des Bildungsmanagements an zwei entgegengesetzten Referenzsystemen zur Folge (vgl. Meisel/Feld 2009, S. 36): Zum einen die Orientierung an den individuellen Bedürfnissen der Zielegruppe(en) und am gesellschaftlichen Bildungsauftrag und zum anderen eine Konsum- und Produktorientierung. An letzteres Referenzsystem werden ökonomisch-begründete Qualifikationsanforderungen (betriebswirtschaftliche Grundlagen) gestellt. WB-Organisationen stehen in allen erwachsenenpädagogischen Teilbereichen vor den Aufgaben identitätsstiftende Leitbilder zu formulieren, (innovative) Bildungsangebote kunden- und nachfrageorientiert zu entwickeln und öffentlichkeitswirksam zu kommunizieren sowie interne Qualitätssicherungsinstrumente zu implementieren. Sie werden im Hinblick Einsparungsmaßnahmen und Budgetkürzungen zunehmend damit konfrontiert, sich alternative Finanzierungsquellen (z.B. Drittmittel oder temporäre Projektfinanzierung) zu erschließen, betriebswirtschaftliche Konzepte (Management-, Steuerungs-, PR- und Controllinginstrumente) einzusetzen und aktiv mit anderen systemidentischen und -differenten Organisationen zu kooperieren. Diese Entwicklungen können auf einen gesellschaftlichen Veränderungsdruck aus den unterschiedlichen Systemen zurückgeführt werden, wodurch die öffentliche WB selbst zum Gegenstand der Modernisierung wird. Aufgrund allgemeinen Einsparungen öffentlicher Gelder im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise werden zudem neue qualifikatorische Anforderung (z.B. betriebswirtschaftliche Kenntnisse) an pädagogische Fach- und Führungskräfte in – öffentlich (ko-)finanzierten – WB-Organisationen gestellt. Dem neuen Selbstverständnis nach orientieren sich WB-Organisationen und -Mitarbeiter an ökonomischen Modellen zur Sicherung von Marktanteilen und müssen sich zukünftig verstärkt mit der Frage nach (alternativen) Finanzierungsmöglichkeiten beschäftigen. ← 4 | 5 → Die Spannungsfelder von „Lebenslaufbezug und Regionalisierung, Regionalität und Temporalität, programmatisch-gesetzlicher Präskription und Deskription, horizontaler und vertikaler Öffnung“ (vgl. Schemmann/Seitter 2010, S. 107 f.) ­fordern darüber hinaus ein neues Selbstverständnis.

Wissenschaftliche Relevanz

Die erwachsenenpädagogische Organisations- und Netzwerkforschung beschäftigt sich als eine Teildisziplin der Erziehungswissenschaft sowohl mit grundlagentheoretischen Forschungsfragen als auch mit anwendungsorientierten Fragestellungen. WB-Netzwerke sind „privilegierte Untersuchungsfelder für zentrale erwachsenenpädagogische Fragestellungen“, die „ein hohes Erkenntnispotenzial“ bergen (Feld/Seitter 2013, S. 186). Aktuell wurden thematisch vielfältige, empirische (explorative und grundlagentheoretische) Forschungsstudien im Bereich kooperativer Bildungsarrangements im Rahmen eines kooperativen Forschungsarrangements – der Leibniz Graduate School für empirische Weiterbildungsforschung (LGS) – durchgeführt (vgl. Dollhausen/Feld/Seitter 2013). Feld und Seitter fassen die Artikel des Sammelbandes bilanzierend anhand einer systematisch-deskriptiven Ebenenverdichtung zusammen. Die Autoren verweisen auf den Temporalbezug der EB und definieren Kooperationen und Netzwerke als einen „dritten Raum jenseits der jeweiligen Herkunftsorganisation“, der eine kommunikative Rückkoppelung voraussetze (Feld/Seitter 2013, S. 187f.). Bildungseinrichtungen, die sich an kooperativen Verbünden und Netzwerken beteiligen, bewegen sich in komplexen Austausch- und Aushandlungsprozessen mit ihrer Umwelt. Interorganisationale Kooperationen fungieren zudem als organisationale Lernanlässe und erfordern ein innovatives, interorganisationales Kooperations- und Steuerungshandeln. Die Autoren schlussfolgern, dass sich kooperative Bildungsarrangements in permanenten Spannungsfeldern bewegen und (aufgrund ihrer Personenbezogenheit) einen „Professionalisierungsmodus erwachsenenpädagogischen Handelns“ (vgl. ebd., S. 198) auf verschiedenen Ebenen darstellen. Typische pädagogische Spannungsfelder in Bildungsorganisationen sind: Individuum und Organisation, Profession und Organisation oder Vertrauen und Kontrolle etc. Entlang dieser Spannungsfelder können Fragen nach der organisationalen Handlungsfähigkeit, nach der Einbettung von Organisationen in ihre Umwelten (Systemtheorie), nach dem Gelingen von Kooperation und Koordination in Organisationen und nach dem Zusammenhang von Organisationsdynamik und gesellschaftlichem Wandel theoretisch und empirisch bearbeitet werden (vgl. Larcher Klee 2009, S. 637) – dies ist ein Anliegen dieser Arbeit. ← 5 | 6 →

Die kurz skizzierten, gesellschaftlichen Entwicklungen (Flexibilisierung, demographischer Wandel, wirtschaftlicher Einfluss) prägen zunehmend Organisationen im Bereich der EB/WB (vgl. Kil 2003; Meisel 2006; Nuissl 2009). Insbesondere WB-Organisationen befinden sich in einem ständigen Wandel, der durch eine hohe Selbstorganisation, zunehmende Entbürokratisierung und hohe Komplexität gekennzeichnet ist (vgl. Weber 2002, Meisel/Feld 2009). Schäffter (2003, S. 59 f.) spricht von einer „organisationsbezogenen Wende“3 in der EB, die es produktiv zu durchlaufen gelte. Traditionelles Denken in hierarchischen Strukturen und getrennten Abteilungen wird abgelöst durch trans- und interdisziplinäre Diskurse. Diese komplexen, organisationalen Strukturveränderungen können zugleich als Schlüssel zur Lösung neuer Anforderungen und als deren Problem betrachtet werden. Die Zukunftsfähigkeit von WB-Organisationen hängt u.a. von der Bearbeitung des erwachsenenpädagogischen, professionellen Organisationsverständnisses ab. Dieser gesellschaftliche Wandel (er-)fordert ein ‚Mitziehen‘ sowie die Entwicklung neuer, effizienterer Lehr- und Lernarrangements, Qualitätsstandards und Marketinginstrumente, um langfristig auf dem – sich unter verändernder Bedingungen und Umwelten formierenden – Weiterbildungsmarkt (fort-)bestehen und mithalten zu können. Nuissl (2009, S. 21) betont die Relevanz „strategischer Kooperation“, die in Zeiten gesellschaftlicher Veränderungen und organisationaler Kontexte eine „Geschäftsfelderweiterung und Umorientierung des Aufgabenspektrums“ einzelner Organisationen verlangt. Das Konzept des lebenslangen Lernens geht nach Dollhausen und Mickler (2012, S. 144) mit einer Kooperationsnotwendigkeit einher, die Autoren4 konstatieren „ohne Kooperationen geht es nicht“. Vernetzung und Kooperation wird in organisationalen Zusammenhängen einerseits positiv mit einem potenziellen Mehrwert versehen, neben Synergien und Wettbewerbsvorteilen werden in der Literatur insbesondere flexible Strukturen, flache Hierarchien, Freiwilligkeit der Zusammenarbeit und das hohe Innovationspotenzial hervorgehoben. Andererseits werden WB-Netzwerke als das Resultat einer „organisationsbezogenen Wende“ (vgl. Meisel 2006) betrachtet und entstehen nicht immer auf freiwilliger oder ‚optimistisch-bejahender‘ Basis, wie zunächst angenommen wird. Oftmals sind sie das Ergebnis ökonomischen Kalküls, das auf Leistungsanforderungen seitens staatlicher Geldgeber ← 6 | 7 → (Drittmittelfinanzierung) und Vorgaben seitens entscheidungsbefugter Akteure (gesetzliche Anforderungen) zurückzuführen ist. Kooperationen ergeben sich aktuell mehr aus einer wirtschaftlichen Not heraus, als aus freiwilliger Motivation und ‚reinem Spaß‘.

Wie bereits erwähnt, fordern europäische Entwicklungstrends im Zuge des lebenslangen Lernens (vgl. Meisel 2006; Kade/Nittel/Seitter 2007; Kade/Seitter 2009) und bundes-/länderspezifische Gesetzte „eine vertikale Vernetzung mit den anderen Bildungssektoren“ (Meisel 2006, S. 132), d.h. bildungsbereichsübergreifende Kooperation zunehmend zwischen allen gesellschaftlichen (Sub-)Systemen. Die Vernetzungsaktivitäten lassen sich auf drei Ebenen lokalisieren (vgl. Dollhausen 2013): Vertikal-heterogene Vernetzung zwischen Organisationen unterschiedlicher Funktionssysteme (z.B. zwischen WB-Einrichtungen, Schulen und Unternehmen), horizontale Vernetzung zwischen strukturähnlichen Organisationen (z.B. Unternehmensnetzwerke) und integrative, politisch-initiierte Vernetzung mit strukturbildender Funktion (bspw. regionale Innovationsnetzwerke). Einzelne Pionierprojekte mit strukturbildender Funktion lassen sich auf nationaler und internationaler Ebene finden, bspw. das im Zuge des lebenslangen Lernens in Deutschland initiierte Projekt ‚Lernende Regionen‘ (vgl. Tippelt/Reupold/Strobel 2009; Emminghaus/Tippelt/Reupold 2009; Stahl/Schreiber 2003) oder die in dieser Studie untersuchte Landesinitiative ‚HESENCAMPUS‘ (HC).

Details

Seiten
XV, 336
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653056082
ISBN (ePUB)
9783653962765
ISBN (MOBI)
9783653962758
ISBN (Hardcover)
9783631663165
DOI
10.3726/978-3-653-05608-2
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (März)
Schlagworte
Interorganisationale Netzwerke Mikropolitik Spieltheorie Weiterbildung Systemtheorie
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. XV, 336 S., 17 Graf.

Biographische Angaben

Claudia Zaviska (Autor:in)

Claudia Zaviska ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Qualitätssicherung und -entwicklung (ZQ) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

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Titel: Entwicklungspotenziale von Weiterbildungsnetzwerken
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