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Fachdidaktik Deutsch – Rückblicke und Ausblicke

von Hartmut Jonas (Band-Herausgeber:in) Marina Kreisel (Band-Herausgeber:in)
©2015 Sammelband 340 Seiten
Reihe: Gesellschaft und Erziehung, Band 16

Zusammenfassung

Der Sammelband vereinigt Beiträge über Entwicklungen, Positionen und aktuelle Probleme der Deutschdidaktik. Besonderen Wert legen die Autoren auf den historisch-vergleichenden Aspekt der Deutschdidaktik/West und der Deutschmethodik/Ost seit 1945. Deren Ergebnisse werden von ihnen kritisch reflektiert und funktional einbezogen, was in dieser Weise bisher kaum geschehen ist. Thematische Schwerpunkte sind dabei: Theorieentwicklung der Deutschdidaktik/-methodik seit 1945; Konzepte, Theorien und Routinen der Unterrichtsgestaltung in Gegenwart und Vergangenheit; Unterrichtsmethoden des Interpretierens, des produktiven Umgangs mit Literatur (auch des Mittelalters) und des Anfangsunterrichts; Deutschdidaktik und Didaktik der Mehrsprachigkeit.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Editorial
  • Inhalt
  • Einführung
  • Immer wieder aufs Neue und kein Ende: Blick zurück und nach vorn
  • Historischer Überblick
  • Positionen, Probleme und Tendenzen der BRD-Deutschdidaktik (1945–1990)
  • „Programm der Disziplin- und Kaderentwicklung der Methodik des Muttersprachunterrichts“ (1989) – ein Dokumentenbeispiel
  • Zu grundlegenden Ergebnissen und Vorhaben der Literaturmethodik der DDR im Jahre 1989
  • Aspektorientierte Darstellung
  • Fachdidaktik in Theorien: zwei Beispiele aus der alten Bundesrepublik
  • Funktionaler Grammatikunterricht und funktionale Grammatik. Geschichtliche Lehren und gegenwärtige Praxen
  • „Brauchtum“ im Deutschunterricht – ein brachliegendes Feld der fachdidaktischen Forschung
  • Unterrichtsmethoden im literaturdidaktischen Kontext: Historisch- vergleichende Bestandsaufnahme anhand ausgewählter Fragestellungen
  • Was sind Methoden der Literaturinterpretation im Unterricht und wie kann man sie untersuchen?
  • Die Methodik des Erstleseunterrichts in Deutschland nach 1945
  • Mittelalter für die nachwachsende Generation. Ein deutsch-deutscher Vergleich mit Überraschungen.
  • Die Fachdidaktik Deutsch im Kontext einer Didaktik der Mehrsprachigkeit
  • Rückblick und Ausblick als wissenschaftliches Prinzip: Bodo Friedrich
  • Autorinnen und Autoren

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Einführung

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Hartmut Jonas/Marina Kreisel

Immer wieder aufs Neue und kein Ende: Blick zurück und nach vorn

Es gehört bekanntlich zu den Wesensmerkmalen wissenschaftlichen Arbeitens, sich immer wieder des Erreichten bewusst zu werden, Vorwärtsweisendes sichtbar zu machen, fachwissenschaftliche „Leerstellen“ und Fragen zu kennzeichnen oder auch das Scheitern wissenschaftlicher Unternehmungen und deren Ursachen offenzulegen. Auf der Basis des erzielten wissenschaftlichen Niveaus sind neue Akzente zu setzen, weiterführende oder gänzlich neue Probleme zu benennen, die im Rahmen wissenschaftlicher Tätigkeit gelöst werden sollen. Das gilt auch für die Didaktik des Deutschunterrichts1 als Wissenschaftsdisziplin.

In Gegenwart und Vergangenheit ist das in unterschiedlicher Weise geschehen – in Gestalt von Bestandsaufnahmen, Bilanzierungen, von persönlich gehaltenen oder mehr objektivierten Rückblicken, fachgeschichtlichen Exkursen usw., wie auch immer im Einzelnen bezeichnet. Sie unterscheiden sich wie in anderen wissenschaftlichen Bereichen aufgrund der jeweiligen gesellschaftlich-historischen, institutionellen, personalen usw. Bedingungen ihrer Entstehung und Veröffentlichung: in Form und Inhalt, in der unterschiedlichen Erfassung, Akzentuierung oder Beachtung bzw. Ausblendung von Konstituenten der Wissenschaftsentwicklung. Sie stützen sich auf unterschiedliche Quellen nationaler oder/und internationaler Herkunft,2 nutzen unterschiedliche Methoden und erhalten in den jeweiligen Arbeiten eine unterschiedliche Relevanz. Das zeigt sich ← 11 | 12 → etwa in Dissertationen, in denen Entwicklungen innerhalb der Didaktik bzw. Methodik im Zusammenhang mit anderen Sachverhalten der jeweiligen Untersuchung beschrieben werden; in Taschenbüchern, Handbüchern3 und Lexika, aufgefasst als „Wegmarken in der Geschichte einer Wissenschaft“ (Kliewer / Pohl 2006, S. IV) und verbunden mit dem Anspruch, „den aktuellen Diskussionsstand [zu – H. J. / M. K.] dokumentieren, aber auch den Blick zurück und in die Zukunft“ (ebd.) zu richten. Das zeigt sich vornehmlich in Arbeiten, in denen es um die Entwicklung von Deutschmethodik/Deutschdidaktik unter systematischem, personalem, biografischem, regionalem, institutionellem, dokumentarischem Aspekt usw. oder in Kombination mehrerer Aspekte geht.4

Generell fällt dabei auf: In wissenschaftlichen Arbeiten zur Deutschdidaktik findet zu wenig Beachtung, dass es seit 1945 – speziell auch seit der Gründung der alten Bundesrepublik5 und der DDR – zwei sich einerseits grundsätzlich unterscheidende, anderseits in einer Reihe wissenschaftlicher Fragen erstaunlich nahestehende Methodiken/Didaktiken gegeben hat (vgl. Zimmer 1992, 2007; Eckhardt 1994; Kunze 2001; Jonas 2011; aber vgl. Karg 2012). Der Fokus ist überwiegend auf die Deutschdidaktik in der BRD gerichtet, während die sich in der DDR entwickelnde Methodik des Muttersprachunterrichts und die Methodik des Literaturunterrichts entweder keine oder nur eine vergleichsweise geringe, auch abwertende Berücksichtigung erfahren;6 das stört offensichtlich nur wenige bzw. ← 12 | 13 → wird nur selten in Veröffentlichungen zur Fachdidaktik Deutsch beanstandet, etwa wenn es in der Rezension zum Handbuch „Lese-und Literaturunterricht. Teil 3“ (2010) heißt: „Der Abschnitt Marxismus und Ideologiekritik hätte einen präziseren Blick auf das Verhältnis von Ost und West ermöglicht; die Vernachlässigung der DDR im gesamten Handbuch ist augenfällig.“ (Kliewer 2011, S. 107)7

Zugleich fällt allerdings auch auf: Zeitweilig, u. a. gegen Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre, existierte in der Deutschdidaktik – zusammen mit öffentlichen Auseinandersetzungen um Inhalte des Deutschunterrichts und um die Vergangenheit östlichen Personals (vgl. Biesenbaum 1990, Gruner 1990, Lerchner 1990; Wolf 1990; Kochan 1992; Reh 2003) – Aufgeschlossenheit, wissenschaftliche Neugierde gegenüber Entwicklungen, Ansätzen und Lösungen, die in der DDR im Deutschunterricht und in der Methodik des Literaturunterrichts sowie in der ← 13 | 14 → Methodik des Muttersprachunterrichts vollzogen wurden (besonders vgl. Eichler 1989; Müller-Michaels 1990; Eckhardt 1994, Haueis (Hrsg.) 1994; zsfd. Kreisel 2012 b).8 Wolfgang Eichler, Fachdidaktiker an der Universität Oldenburg, hatte beispielsweise in einem Tagungsbeitrag (1989) an der Pädagogischen Hochschule „Ernst Schneller“ in Zwickau festgestellt,

daß oft bei gleicher Ausgangsposition sich die Einschätzungen und Fragestellungen zum gleichen Thema in der Deutschen Demokratischen Republik und der BRD so grundlegend unterscheiden und z. T. auch wenig voneinander Kenntnis genommen wird. Ich sehe für meine Teilnahme an dieser Tagung eine wichtige Aufgabe darin, Gemeinsamkeiten aufzuspüren und ggfs. auch mehr aufeinander zuzugehen. […] Gemeinsam ist den Orthographieerwerbsforschern in beiden deutschen Staaten mindestens das Ausgehen von der sog. Aneignungstheorie als Grundlage einer aktiven Auseinandersetzung des Kindes mit der Schrift […] Gemeinsam ist den Forschern aus beiden deutschen Staaten mindestens auch der Vormarsch9 sprachwissenschaftlich fundierter Ansätze in der Lese- und ← 14 | 15 → Rechtschreibdidaktik, insbesondere des phonologischen und morphologischen Ansatzes im Bereich des Orthographieerwerbs. […] Frappierend aber sind die m. E. ganz unterschiedlichen sprachdidaktischen Konzepte, die aus den beiden so grundsätzlichen Gemeinsamkeiten abgeleitet werden.
(Ebd., S. 12; aber vgl. Schreinert 1975; Herrmann 1981; Friedrich / Küttel 1998)10

Später wiederum erbrachten erstmals durchgeführte Vergleichsuntersuchungen (BRD/DDR) in den Jahren 1990 ff. im Bereich Lesen, Rechtschreiben, Verfassen schriftlicher Texte u. a. Ergebnisse, über die es beispielsweise in Lehmann u. a. (1995) heißt:

[…] Es ist also ganz offenkundig, daß die POS (bei vergleichbarer Sonderschulquote in Ost und West) in der Leseerziehung erfolgreicher war als das westdeutsche Sekundarschulsystem in seiner Gesamtheit: Sie hat eine divergente Leistungsentwicklung vor allem unter den Schülern mit schwächer ausgeprägtem Leseverständnis eher verhindert, als dies im gegliederten Schulwesen der Fall (oder auch nur zu erwarten) war, und sie hat dies ohne nachweisbare Einbußen in der Leistungsspitze erreicht. Es gibt also in den Daten der IEA-Lesestudie nicht nur kein Indiz für eine ostdeutsche ‚Nivellierung nach unten‘, sondern es hat im Gegenteil eine ‚Nivellierung nach oben‘ stattgefunden. Anscheinend war es an vergleichsweise vielen Polytechnischen Oberschulen möglich, eine intellektuell anregende Leseerziehung zu realisieren, von der alle Leistungsgruppen profitiert haben. (Ebd., S. 147; auch vgl. zsfd. Kreisel 2012 b)11 ← 15 | 16 →

Doch Ergebnisse, Interpretationen und Anregungen, die auch unter dem Aspekt der Überprüfung von Positionen und Lösungen in der BRD erörtert wurden sowie eventueller Veränderungen dort, blieben nach unserem Überblick vornehmlich Momentaufnahmen im Umgang mit der Deutschmethodik (DDR).

An dieser Stelle sei mit Blick auf ein Bündel von Ursachen lediglich hervorgehoben: Eine – vorsichtig formuliert – noch immer anzutreffende Zurückhaltung gegenüber der Deutschmethodik in der DDR scheint u. a. begünstigt durch dort existierende Publikationsbedingungen sowie gesteuerte, begrenzte Möglichkeiten der Publikation, hier in der Methodik des Literaturunterrichts und in der Methodik des Muttersprachunterrichts (vgl. Programm 1989; Claus-Schulze 1995; Richter 1996);12 denn in der Folge ist z. B. manche wichtige wissenschaftliche Quelle aus diesem Bereich bis heute kaum zugänglich, gänzlich verschwunden, nur als Manuskript erhalten oder – sofern dort nicht inzwischen aufbereitet – in Archiven vergraben.13 Zudem spielen – neben z. T. spezifischen historischen, gesellschaftlichen, bildungspolitischen Kontexten und sprachlichen Merkmalen von Texten mit ggf. besonderen Schwierigkeiten für und besonderen Anforderungen an Leser (vgl. Jonas / Kreisel 2011; Droidt 2014) – folgende Einflüsse eine Rolle: Manche der in der DDR üblichen Konzepte zum Beitrag des Unterrichts zur Persönlichkeitsentwicklung, zur politischen, moralischen oder wie auch immer bezeichneten ← 16 | 17 → Erziehung, zum Verhältnis von Schule, Unterricht und gesellschaftlichem Leben in der DDR, von Allgemeinbildung, Sprache bzw. Kunst und Ideologie werden entweder als antiquiert angesehen oder vom Grundsatz her in den fachdidaktischen Diskursen in der BRD spätestens mit den achtziger Jahren als erledigt betrachtet; sie finden damit höchstens historisch als abgeschrittener wissenschaftlicher Weg Interesse.14 Das alles und einiges Weitere – z. B. individuelle Schwierigkeiten „als didaktiker mit ausgeprägt westlicher sozialisation“ (Baurmann u. a. 1993, S. 127) – behinderte und behindert oft den gezielten Zugang zur Deutschmethodik in der DDR und zu deren Ergebnissen, lässt mitunter nur ihre Konturen, nicht aber die jeweilige wissenschaftliche Leistung, das jeweilige Anregungspotenzial erkennen, nicht ihre Genese und Ursachen. So ist es dann wiederum auch nicht verwunderlich: „Vieles von dem, was in den letzten zwanzig Jahren und besonders nach dem PISA-Schock die öffentliche Debatte über Schule, Bildung und Erziehung erregte und nicht selten als pädagogisches Neuland deklariert wurde, war bereits thematisiert, problematisiert und zum Teil durch Forschungserfahrungen [in der DDR – H. J. / M. K.] unterlegt.“ (Uhlig 2014, S. 290; hierzu vgl. Zech 1973/2011; Neudeck 1983; Schreinert 1983, 1999; Schmidt-Kolmer 1984; Analyse 1986; Friedrich / Herrmann 1988; Heidrich, T. 2000; Heidrich, M. 2005)15 Zu diesen Forschungserfahrungen gehört eine langjährige Konzentration von Forschungspotenzial in der Deutschmethodik.

Der oben skizzierte Hintergrund, der allerdings unvollständig dargestellt bliebe ohne Verweis auf grundlegende strukturelle und personelle Veränderungen der Deutschmethodik/Deutschdidaktik nach 1990 vornehmlich in den östlichen ← 17 | 18 → Bundesländern (Stichworte wie „Elitenaustausch“, „Abwicklung“ „wissenschaftliche Gelegenheitsarbeit“, „akademisches Prekariat“)16, liefert eine wesentliche Erklärung für das Anliegen dieses Bandes. Es besteht darin, sich ausgewählten wissenschaftlichen Ergebnissen der Deutschdidaktik in der BRD und der Deutschmethodik in der DDR zuzuwenden, weiterführende Antworten auf aktuelle, z. T. wiederkehrende oder ähnliche wissenschaftliche Fragen zu suchen bzw. zu geben und mitzuwirken, die Diskussion darüber anzuregen oder zu vertiefen. Das kann im Rahmen des vorliegenden Bandes nur in einer Reihe von ausgewählten Fragen und Problemen geschehen und bedeutet folglich: Wichtige Fragen, die in der Deutschdidaktik eine Rolle spielen oder spielen müssten, bleiben hier unberücksichtigt. Das betrifft z. B. die systematische Behandlung von Tendenzen und Fragen der Verstetigung oder Auflösung von Fachunterricht – hier mit Blick auf den Deutschunterricht – und damit verbundene Auswirkungen auf den Organismus Schule, aber auch auf die jeweilige Fachdidaktik (vgl. Rossa 2009).17 Es betrifft ebenso das Feld von Begrifflichkeit, so eine systematische Analyse von Entstehung, Verwendung, Übernahme, Wirkung von Begriffen, ihrem unter Umständen beinahe willkürlich anmutenden Wechsel usw. (vgl. Ivo 2000; Kreft 2001; Jonas 2011; Wintersteiner 2011). Auch die Rolle der Medien, von audiovisuellen bis zu digitalen Medien, aus deutschdidaktischer Perspektive findet hier keine Beachtung (aber vgl. Frederking / Krommer / Maiwald 2008; Frederking / Jonas 200918). Schließlich bleibt im vorliegenden Band zweierlei unberücksichtigt: erstens Fragen, die zusammenhängen mit Entwicklungen der Deutschdidaktik und des Deutschunterrichts unter dem massiven Einfluss umstrittener OECD-Untersuchungen (jüngst vgl. Offener Brief an Andreas Schleicher 2014; Nida-Rümelin 2014; Steinbrenner 2014); zweitens Fragen, die in der Deutschdidaktik und im Deutschunterricht bedeutsam zu werden scheinen unter dem Einfluss ← 18 | 19 → sich verändernder Bedingungen des Zusammenlebens von Völkern und Staaten in Europa und der Welt: hier das vornehmlich in Medien und Politik erfolgende Produzieren ständig neuer Feindbilder und ein Denken und Handeln, das wieder stark von Kriegslogik bestimmt wird, unabhängig davon, in welche sprachliche Gestalt es gekleidet ist.19

Fast alle Beiträge in diesem Band weisen jedoch einen historischen Bezug auf – einmal mehr, einmal weniger. Allein schon hier liegt ein Gewinn, wenn vom Gegenstand her Bezüge zu wissenschaftlichen Positionen in der DDR und in der alten und neuen Bundesrepublik hergestellt und für die problembewusste Darstellung aktueller wissenschaftlicher Fragen genutzt werden. Damit wird zugleich als ein wesentliches Anliegen von Herausgebern und Autoren der Umgang mit dem fachdidaktischen Erbe seit 1945 verfolgt: sich ihm zu stellen, es anzunehmen oder bewusst auszuschlagen – das mit wissenschaftlicher Begründung, soll heißen, wie beim Zusammentreffen östlicher und westlicher Fachvertreter einst in Nürnberg von Hubert Ivo (1993) gefordert, „daß nur die in den Wissenschaften geltenden Prüfkriterien von Belang sind“ (ebd., S. 128). Konkreter gefasst: Die Publikation zielt vorzugsweise in drei Richtungen; erstens wesentliche Positionen seit 1945 resümieren, dabei Positionen älterer Überblicksdarstellungen bewerten und ggf. aktualisieren; zweitens Leistungen der Deutschdidaktik in der Bundesrepublik und der Deutschmethodik in der DDR im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurses herausstellen und bewerten; drittens wissenschaftliche Entwicklungsprozesse der Deutschdidaktik seit 1989 beschreiben, Tendenzen, Widersprüche und Probleme ihrer weiteren Ausbildung als Wissenschaftsdisziplin unter sich wandelnden gesellschaftlichen Bedingungen der Gegenwart und Zukunft diskutieren.

Besonderer Wert wird dabei auf Entwicklungen innerhalb der Deutschme­thodik/-didaktik gelegt, vor allem unter dem Gesichtspunkt, wie sie sich seit den 1960er Jahren von einer Lehrdisziplin zu einer Lehr- und Forschungsdisziplin herausgebildet hat und wie sie sich veränderten Anforderungen stellt an – unterschiedlich bezeichnet – sprachliche und literarische Fähigkeiten, an Sprachverhalten, an Lesekönnen, Kommunikationskompetenzen, an literaturästhetische Kompetenzen usw. ← 19 | 20 →

Den Herausgebern – zugleich selbst als Autoren beteiligt – kam es darauf an, das alles gemeinsam mit jüngeren und älteren Autorinnen und Autoren zu tun, deren Entwicklung sich maßgeblich unter unterschiedlichen Bedingungen in der BRD bzw. der DDR vollzogen hat.

„Fachdidaktik Deutsch – Rückblicke und Ausblicke“ – für die Beiträge des Sammelbandes bildet die im Titel des Buches ausgedrückte Intention den roten Faden, der im Einzelnen einmal stärker, einmal weniger stark sichtbar wird: in Abhängigkeit von dem jeweiligen Ziel und dem Gegenstand der wissenschaftlichen Darstellung, aber auch von der individuellen Handschrift ihrer Verfasserin oder ihres Verfassers.

Im ersten Teil des Bandes erfolgt in grundlegenderer Weise als in den daran anschließenden Teilausarbeitungen (2. Teil) eine Aufarbeitung wichtiger Entwicklungsaspekte der Deutschdidaktik in der BRD und der Deutschmethodik in der DDR. Angesichts der Tatsache, dass bisher keine Gesamtdarstellung der Geschichte der Deutschdidaktik und der Deutschmethodik existiert, von Teilausarbeitungen abgesehen, scheint ein erneuter Überblick von Bedeutung zu sein. Dabei wird der Schwerpunkt auf die Theorieentwicklung gelegt.

Bodo Lecke zeichnet wesentliche Entwicklungslinien und Probleme der BRD-Deutschdidaktik und rückt in den Mittelpunkt die jeweils dominierenden theoretischen Positionen in den einzelnen Entwicklungsetappen der BRD-Deutschdidaktik. Anders gehen Marina Kreisel und Hartmut Jonas mit Blick auf Entwicklungsprozesse der Deutschmethodik in der DDR vor: Auf der Grundlage eines „Programms der Disziplin- und Kaderentwicklung“ der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR charakterisieren sie wichtige Eckpunkte der Theorieentwicklung im Jahre 1989 und unternehmen von hieraus Rückbezüge auf die Geschichte der Deutschmethodik bzw. des Deutschunterrichts. Dabei interessiert auch, welche Forderungen noch nicht abgegolten sind bzw. inwieweit an einzelnen Punkten produktiv angeknüpft werden kann. Eine weitere Vertiefung der Auseinandersetzung mit theoretischen Positionen der Deutschdidaktik bzw. -methodik erfolgt in den Beiträgen von Michael Kämper-van den Boogaart, der exemplarisch Aspekte der Theorieentwicklung an Leo Weisgerbers Wirkung auf die Deutschdidaktik und an Theoremen Karlheinz Fingerhuts darstellt, und in den Ausführungen von Jakob Ossner; er befasst sich mit dem Verhältnis von funktionalem Grammatikunterricht und funktionaler Grammatik, leitet daraus geschichtliche Lehren ab und bezieht sich auf gegenwärtige Praxen. Besonderes Augenmerk erfahren dabei die funktionale Grammatik Wilhelm Schmidts und eine – unter anderen Vorzeichen – wiederum vorgelegte funktionale Grammatik von Ludger Hoffmann.

Die anschließenden Beiträge nehmen weitere inhaltliche Aspekte der Grundlagenartikel auf. Eduard Haueis geht, einen Begriff von Hubert Ivo verwendend, ← 20 | 21 → auf das „didaktische Brauchtum“ ein und thematisiert, ob soziale Schieflagen des hiesigen Schulsystems auch mit habituell gewordenen Routinen in der alltäglichen Unterrichtspraxis zusammenhängen. Dem in Vergangenheit, Gegenwart und sicherlich auch in der Zukunft relevanten Problem der Unterrichtsmethoden, speziell im Literaturunterricht, widmet sich Juliane Eckhardt, dabei die wissenschaftliche Diskussion und gebräuchliche Methoden-Konzepte reflektierend; Thomas Zabka konzentriert sich auf die für den Literaturunterricht so wichtige, aber immer noch intensiv diskutierte Frage der Interpretationsmethoden. Eine konsequente historische Perspektive verdeutlicht auch Verena Stürmer; ihre Überlegungen über den Erstleseunterricht in der Vergangenheit und Gegenwart richten sich auf Fragen der politischen Dimension, der Konzepte und vor allem der Methoden. Zudem beleuchtet sie genauer, ob und wie mit Ergebnissen der Methodik des Erstleseunterrichts aus der DDR nach 1990 umgegangen worden ist, welche Gründe es dafür und welche Widersprüche es dabei gegeben hat, z. B. einerseits Diskussionen im Bereich der Methodik betreffend, andererseits Aktivitäten von Schulbuchverlagen; so ist das ursprünglich in der DDR entwickelte, z. T. veränderte Erstlesebuch „Meine Fibel“ noch immer ein in den östlichen Bundesländern erfolgreich genutztes Erstlesewerk.

Welchen Stellenwert Literatur des Mittelalters im Deutschunterricht Ost und West einnahm und welche Umgangsweisen damit verbunden waren, ist Gegenstand des Beitrags von Ina Karg. Mit ihm werden auch weitergehende Überlegungen zum Literaturbegriff und Literaturunterricht skizziert. Schließlich wendet sich Gerlind Belke dem grundlegenden Problem zu, dass die Fachdidaktik Deutsch unter dem Aspekt der Mehrsprachigkeit vieler Schüler nicht mehr ihren Aufgaben gerecht werden könne und wie sie verändert werden müsste in Richtung einer Fachdidaktik der Mehrsprachigkeit, einer Didaktik für einen Sprachunterricht in einer vielsprachigen Gesellschaft; zu ihrer Entwicklung und Implementierung bedürfe es einer interdisziplinären Zusammenarbeit von Fachwissenschaftlern, Fachdidaktikern, Pädagogen.

Der Sammelband wird Bodo Friedrich gewidmet – er wäre im Jahre 2014 80 Jahre alt geworden. Bodo Friedrich hat selbst immer wieder Positionen der Deutschdidaktik in der Bundesrepublik, in starkem Maße auch der Deutschmethodik in der DDR kritisch betrachtet und Impulse für ihre Weiterentwicklung als anerkannte Wissenschaftsdisziplin vermittelt; manches davon harrt offenbar noch der Wahrnehmung und Erschließung. Das zeigt Marina Kreisels Beitrag über ihn, mit dem die Entwicklung der Methodik/Didaktik vorzugsweise unter personalem Aspekt verfolgt wird.

Mit dem vorliegenden Buch hoffen die Herausgeber, auch in Bodo Friedrichs Sinne zu handeln, selbst dann, wenn z. B. Didaktikerinnen und Didaktiker anderer ← 21 | 22 → Unterrichtsfächer nicht das Wort ergreifen. Eine Kooperation von Fachdidaktiken in diesem Rahmen wäre nicht nur Bodo Friedrich als einem stark disziplinübergreifend arbeitenden Wissenschaftler wichtig gewesen, sie hätte auch eine produktive Fortsetzung o. g. ähnlicher Bemühungen bedeutet. Eine Sicht auf andere Disziplinen ist im Band dennoch auf verschiedene Weise erfolgt.

Erwähnt werden soll hier ebenfalls, dass der Titel „Fachdidaktik Deutsch – Rückblicke und Ausblicke“ Teil jener Reihe ist, die Bodo Friedrich im Jahre 2006 gemeinsam mit Christa Uhlig und Dieter Kirchhöfer ins Leben gerufen hat.

Es ist uns eine Bedürfnis, uns bei den Personen und Institutionen zu bedanken, die den Band ermöglichten: den Autorinnen und Autoren, die sein Anliegen teilten und unter verschiedenen Aspekten verwirklichen halfen; den Herausgebern der Reihe „Gesellschaft und Erziehung. Historische und Systematische Perspektiven“, Frau Prof. Dr. Christa Uhlig und Herrn Prof. Dr. Dieter Kirchhöfer, sowie Herrn Benjamin Kloss (Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften) für ihre Hinweise, aber auch für ihre Geduld; der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e. V., deren Mitglied Bodo Friedrich bis zu seinem Tode im Jahre 2007 war, für die Finanzierung der Publikation; der Familie Friedrich für die Erlaubnis, den Nachlass nutzen zu dürfen. Schließlich sei für die Unterstützung gedankt, die wir in der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung mit ihrem Archiv erhalten haben.

Die eingereichten Beiträge sind von den Herausgebern nicht bearbeitet worden, das gilt auch für das von den Autoren angegebene Literaturverzeichnis und die Zitierweise.

Literatur

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Analyse orthographischer Leistungen von Schülern der allgemeinbildenden Oberschule der DDR. Gemeinschaftsleistung der Wissenschaftsbereiche Methodiken des Faches Deutsche Sprache und Literatur der Karl-Marx-Universität Leipzig und der Pädagogischen Hochschule „Ernst Schneller“ Zwickau. Studieninformation. Nur für den Dienstgebrauch. In: Forschungsinformation. Pädag. Hochsch. „Ernst Schneller“ Zwickau. Zwickau 1986.

Baumert, Jürgen / Klieme, Eckhardt / Neubrand, Michael / Prenzel, Manfred / Schiefele, Ulrich / Schneider, Wolfgang / Stanat, Petra / Tillmann, Klaus-Jürgen / ← 22 | 23 → Weiß, Manfred (Hrsg.): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im unternationalen Vergleich. Opladen 2001.

Baurmann, Jürgen: gegen vorschnelle besserwisserei. Zu H. Biesenbaums beitrag im Heft 102. In: Praxis Deutsch 17 (1990) 102, S. 6.

Baurmann, Jürgen / Friedrich, Bodo / Ivo, Hubert / Jonas, Hartmut: Sektion 1 und 2. Jenseits der Systemveränderung: Literaturunterricht, (Mutter-) Sprachunterricht und Lebenswelten nach 40 Jahren Teilung. In: Berichte IX. Symposion Deutschdidaktik „Veränderte Lebenswelten – Veränderter Deutschunterricht?“ vom 8.–12. März in Nürnberg. In: Jahrbuch der Deutschdidaktik 1991/92. Hrsg. von Gerhard Rupp in Zusammenarbeit mit Harro Müller-Michaels. Tübingen 1993, S. 121–129.

Becker-Mrotzek, Michael / Schramm, Karen / Thürmann, Eike / Vollmer, Johannes (Hrsg.): Sprache im Fach. Sprachlichkeit und fachliches Lernen. Münster u. a. 2013.

Beste, Gisela (Hrsg.): DEUTSCH. Methodik. Handbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 2007, 2011.

Biesenbaum, Hannegret: „Aufrichtig und parteilich“. Ansprüche und Widersprüche im Lehrplan Deutsche Sprache und Literatur der DDR. In: Praxis Deutsch 17 (1990) 102, S. 4–6.

Böttcher, Ingrid: Erziehung und Deutschunterricht in der Nachkriegszeit. Zur Regionalgeschichte des Deutschunterrichts der Volksschule 1945–1950. Frankfurt a. M. u. a. 1986.

Bredel, Ursula / Günther, Hartmut / Klotz, Peter / Ossner, Jakob / Siebert-Ott, Gesa (Hrsg.): Didaktik der deutschen Sprache. Ein Handbuch. Band 1 und 2. Paderborn 2003.

Bütow, Wilfried / Dahm, Horst: Hören und Anschauen im Literaturunterricht. Zur Arbeit mit audiovisuellen Mitteln im Literaturunterricht. Berlin 1977.

Claus-Schulze, Anneliese: Interview. Güstrow 1995. In: Friedrich, Bodo / Gerlach, Robert / Lang, Patrick (Hrsg.): Geschichte der Deutschmethodik in der SBZ und DDR in Biographien. Frankfurt a. M. u. a. 1999, S. 71–84.

Eckhardt, Juliane (Hrsg.): Literaturunterricht in Europa. Schulpraxis, Geschichte und literaturdidaktische Diskussion. Baltmannsweiler 1994.

Eichler, Wolfgang: Bemerkungen zu Ergebnissen der Forschung im Bereich des Schriftsprach- und Orthographieerwerbs in der Bundesrepublik Deutschland. In: Forschungsinformation. Untersuchungen zu ausgewählten Fragen der Entwicklung grammatisch-orthographischen Könnens im unterrichtlichen Aneignungsprozeß. Herausgegeben vom amt. Rektor der Pädagogischen Hochschule „Ernst Schneller“ Zwickau Prof. Dr. sc. H. Küttel. Zwickau 1989, S. 12–29. ← 23 | 24 →

Feilke, Helmuth: „Wie gut das/daß alles wächst!“ Zur Konstruktion sprachlicher Struktur im Schrifterwerb (Habilitationsvortrag). SPASS (Siegener Papiere zur Aneignung sprachlicher Strukturformen) Heft 1/98, S. 1–34. Schriftenreihe der Universität-GH-Siegen.

Feilke, Helmuth: Über sprachdidaktische Grenzen: Von „Erfindern“, „Entdeckern“ und „Mentoren“. In: Didaktik Deutsch 7 (2001) 10, S. 4–26.

Feilke, Helmuth: Der Erwerb der das/dass-Schreibung. In: Bredel, Ursula / Reißig, Thilo (Hrsg.): Weiterführender Orthographieerwerb. Baltmannsweiler 2011, S. 340–354.

Details

Seiten
340
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653058642
ISBN (ePUB)
9783653963403
ISBN (MOBI)
9783653963397
ISBN (Hardcover)
9783631665312
DOI
10.3726/978-3-653-05864-2
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juni)
Schlagworte
Geschichte der Deutschdidaktik Unterrichtsmethoden Theorien und Konzepte der Deutschdidaktik Didaktik der Mehrsprachigkeit
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 340 S., 1 Graf.

Biographische Angaben

Hartmut Jonas (Band-Herausgeber:in) Marina Kreisel (Band-Herausgeber:in)

Hartmut Jonas lehrte als Professor an verschiedenen Pädagogischen Hochschulen und Universitäten (Kiel, Lüneburg, überwiegend Greifswald) Fachdidaktik Deutsch/Medien. Marina Kreisel war an der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR tätig (Methodik des Muttersprachunterrichts). Nach 1990 war sie u. a. beteiligt an den DFG-Projekten «Aufsatzstudie Berlin-Ost» und «Geschichte des Deutschunterrichts von 1945 bis 1989».

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Titel: Fachdidaktik Deutsch – Rückblicke und Ausblicke
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