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Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten im UN-Kaufrecht

von Wajma Mangal (Autor:in)
©2015 Dissertation XVI, 239 Seiten
Reihe: Beiträge zum UN-Kaufrecht, Band 12

Zusammenfassung

Die Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten des UN-Kaufrechts eröffnen durch ihre unbestimmten Rechtsbegriffe einigen Spielraum für Interpretation. Wajma Mangal schlägt vor, dass die Auslegung der Art. 38 und Art. 39 CISG an internationalen Maßstäben orientiert werden und nach der autonomen Auslegungsmethode erfolgen sollte. Sie prüft, wie sich die festgestellten Anforderungen ändern, wenn man eine am ökonomischen Effizienzkriterium orientierte Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe vornimmt. Die Untersuchungsweise und die Untersuchungsfrist sollten ihr zufolge an bereits bekannte Kriterien und Kategorien angeknüpft werden. Anders bedarf die Rügefrist des Art. 39 CISG nicht einer solchen kategorischen Anknüpfung.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • A. Problemstellung
  • I. Grundsätzliche Bedenken
  • II. Bedenken in der Rechtsprechung
  • III. Zum Entwurf des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts vom 11.10.2011
  • B. Gang der Untersuchung
  • 1. Kapitel: Systematik im Gesamtkontext des CISG
  • A. Obliegenheit – Rechtsnatur
  • I. Abgrenzung zu Pflichten des Verkäufers
  • II. Abgrenzung zu Pflichten des Käufers – Obliegenheiten
  • B. Methodische Anmerkungen
  • I. Beispiel: deutsche Auslegungsmethoden
  • II. Konventionsautonome Auslegung
  • III. Methodologie der Privatrechtsvereinheitlichung unter besonderer Berücksichtigung der ökonomischen Analyse des Rechts
  • C. Ergebnis
  • 2. Kapitel: Rügetatbestand
  • A. Vertragswidrigkeiten des Art. 35 CISG
  • I. Vereinbarte Leistungsbeschreibung – Art. 35 Abs. 1 CISG
  • 1. Quantitätsabweichungen
  • 2. Qualitätsabweichungen
  • 3. Artabweichungen
  • a) Aliud-Lieferung
  • b) Aliud-Lieferung in der Rechtsprechung
  • 4. Verpackung oder Behältnis
  • 5. Öffentlich-rechtliche Vorgaben
  • II. Objektives Kriterium: die Leistungsbeschreibung des Art. 35 Abs. 2 CISG
  • B. Sonstige Rügen
  • I. Rüge von Rechtsmängeln
  • II. Rüge von vertragswidrigen Dokumenten
  • 1. Untersuchungs- und Rügeobliegenheit für Dokumente
  • 2. Vertragswidrige Dokumente in der Rechtsprechung
  • III. Sukzessiv- und Teillieferungen
  • IV. Rüge der Nachlieferung
  • V. Rüge von Nichtkaufleuten
  • C. Ergebnis
  • 3. Kapitel: Art. 38 CISG
  • A. Untersuchung der Ware
  • I. Entstehungsgeschichte
  • II. Vorbereitungsnorm oder Gesamtbetrachtung – das Verhältnis zu Art. 39 CISG
  • 1. Vorbild § 377 HGB
  • 2. Abhängigkeit der Fristen
  • 3. Keine Rechtsfolge des Art. 38 CISG
  • 4. Ergebnis
  • III. Vorrang von Parteivereinbarungen
  • 1. Insbesondere Qualitätsmanagementvereinbarungen
  • 2. Produktzertifikate und -zeichen
  • IV. International geltende Handelsbräuche gem. Art. 9 CISG
  • V. Befreiung von der Untersuchungsobliegenheit
  • 1. Insbesondere Qualitätssicherungsvereinbarungen
  • 2. In der Rechtsprechung
  • VI. Untersuchung nach objektiven Maßstäben: Art. 38 Abs. 1 CISG – „Umstand“
  • 1. Kriterien zur Art (und Weise) der Untersuchung
  • a) Charakteristische Eigenart der Ware – vorhandene Klassifikationen
  • b) Warengruppen in der Rechtsprechung
  • c) Die Untersuchungsweise
  • d) Zwischenergebnis
  • 2. Kriterien zum Umfang der Untersuchung
  • a) Wirtschaftliche Zumutbarkeit
  • b) Massenlieferung gleichartiger Artikel
  • c) Zuwenig-Lieferung
  • d) Zuviel-Lieferung
  • e) Vorwarnung
  • 3. Kriterien zur Person des Käufers
  • a) Nichtkaufleute
  • b) Langjährige Lieferbeziehungen
  • c) Unternehmensgröße und Streiks
  • 4. Kriterien zu Gegebenheiten am Ort der Untersuchung
  • VII. Umstand – Frist zur Untersuchung
  • 1. Deutschsprachige Literatur und Rechtsprechung
  • 2. Vernünftigkeitsprinzip und Kürze der Frist
  • 3. Zeitrahmen – für erkennbare Vertragswidrigkeit
  • a) Fristbeginn bei
  • b) Fristdauer in Abhängigkeit der Eigenart der Ware bei
  • c) Fristdauer in Abhängigkeit von der Untersuchungsweise
  • d) Fristdauer in Abhängigkeit vom Umfang der Ware
  • 4. Zeitrahmen – für den Käufer nicht erkennbare Vertragswidrigkeit
  • VIII. Untersuchungskosten
  • IX. Untersuchungsfrist und -ort gem. Art. 38 Abs. 2 CISG
  • 1. Lieferung am falschen Ort
  • 2. Lieferung an den falschen Abnehmer
  • X. Untersuchungsfrist und -ort gem. Art. 38 Abs. 3 CISG
  • 1. „Redirected in transit“
  • 2. „Redispatch“
  • 3. Weitere Voraussetzungen
  • a) Ausreichend Gelegenheit zur Untersuchung
  • b) Kenntnis des Verkäufers
  • 4. Erkennbarkeit von Mängeln für den Käufer
  • 5. Aus der Rechtsprechung zu Art. 38 Abs. 3 CISG
  • XI. Beweisfragen
  • 1. Allgemeines zur Beweislast im CISG
  • 2. Beweisverteilung beim Streit um Vertragswidrigkeiten
  • 3. Beweislast im Rahmen der Untersuchungsobliegenheit
  • 4. Beweislast für Umstände nach Art. 38 Abs. 2 und Abs. 3 CISG
  • XII. Rechtsfolgen der unterlassenen oder nicht ordnungsgemäßen Untersuchung
  • XIII. Zwischenergebnis
  • B. Auswertung internationaler Rechtsprechung
  • I. Österreich
  • II. Schweiz
  • III. Italien
  • IV. USA
  • V. Zwischenergebnis
  • C. Ökonomische Analyse des Art. 38 CISG
  • I. Zur ökonomischen Analyse des Vertragsrechts
  • II. Untersuchungsgegenstand und -mittel
  • 1. Zur Wahl des ökonomischen Ansatzes
  • a) Ökonomisches Verhaltensmodell
  • b) Effizienz
  • c) Coase-Theorem
  • d) Institutionenökonomischer Ansatz
  • 2. Zwischenergebnis
  • III. Vertrag als Marktinstrument und seine Marktrationalität
  • 1. Annahme des vollständigen Vertrages
  • a) Keine Transaktionskosten und perfekte Vertragsumwelt
  • b) Vollständige Information, rational und nutzenmaximierend handelnde Individuen
  • c) Annahme von Budgetbeschränkungen
  • 2. Zwischenergebnis: vollständiger Vertrag als Auslegungskriterium für Art. 38 CISG
  • 3. Die Risikozuordnung im vollständigen Vertrag
  • a) Argumentationsfiguren
  • b) Bewertung
  • 4. Beispiel und Relevanz für Art. 38 CISG
  • a) Vermeidbares Risiko?
  • b) Geringer Aufwand für bestimmte Partei im Einzelfall?
  • IV. Ökonomisches Prüfschema zur Untersuchungsobliegenheit
  • V. Das Problem: Informationsasymmetrie zwischen Verkäufer und Käufer
  • 1. Gütereigenschaften
  • 2. Konsumenteneigenschaften
  • 3. Wie können Informationsasymmetrien entstehen?
  • 4. Wie kann Informationsasymmetrien entgegengewirkt werden?
  • 5. Zwischenergebnis
  • VI. Ergebnis zur ökonomischen Analyse des Art. 38
  • D. Ergebnis zu Art. 38 CISG
  • 4. Kapitel: Art. 39 CISG
  • A. Mängelrüge
  • I. Entstehungsgeschichte
  • II. Normzweck und das Verhältnis zu Art. 38 CISG
  • III. Vorrang von
  • 1. Parteivereinbarungen im Vorfeld
  • 2. Abbedingung im Nachhinein
  • 3. Internationale Gebräuche und Gepflogenheiten
  • 4. Rügeverzicht
  • a) In der Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 25.06.1997
  • b) In der Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 25.11.1998
  • c) Zwischenergebnis
  • IV. Das Verhältnis der deutschen Rechtsprechung zu Art. 39 CISG140
  • 1. Vorbild § 377 HGB
  • 2. Neuere deutsche Rechtsprechung
  • V. Anforderungen an die Mängelanzeige (Abs. 1)
  • 1. Zu den inhaltlichen Anforderungen der Mängelanzeige
  • a) Substantiierte Bezeichnung in der (deutschen) Rechtsprechung
  • b) Substantiierte Bezeichnung über den Umfang der Vertragswidrigkeit
  • c) Weitere Besonderheiten der Substantiierung
  • 2. Zwischenergebnis
  • VI. Fristen des Art. 39 CISG
  • 1. Frist des Art. 39 Abs. 1 CISG
  • a) Verhältnis zur Untersuchungsfrist
  • b) Fristbeginn
  • c) Fristdauer
  • d) Fristende und Zwischenergebnis
  • 2. Ausschlussfrist des Art. 39 Abs. 2 CISG
  • a) Garantiefrist
  • b) Verjährung
  • VII. Form, Adressat und Empfänger
  • 1. Form
  • a) Telefonische Rüge
  • b) E-Mail und Postweg
  • 2. Adressat und Empfänger der Rüge
  • a) Durch Käufer oder Abnehmer des Käufers
  • b) Empfangsberechtigung in Stellvertretung
  • c) In der Rechtsprechung zum CISG
  • d) Verlustrisiko
  • VIII. Neue Lieferung – erneute Vertragswidrigkeit
  • IX. Rechtsfolgen der Rügeversäumung
  • 1. Lieferung höherwertiger Ware
  • 2. Deliktsrechtliche Ansprüche
  • X. Im Prozess: Beweisfragen
  • 1. Beweisverteilung beim Streit um Vertragswidrigkeiten
  • 2. Beweislast für die Anzeige
  • 3. In der Rechtsprechung
  • a) OGH Wien 02.04.2009
  • b) Obergericht des Kantons Luzern 13.05.2003
  • XI. Zwischenergebnis
  • B. Auswertung internationaler Rechtsprechung
  • I. Schweiz
  • II. Frankreich
  • III. USA
  • IV. Österreich
  • C. Ökonomische Analyse des Art. 39 CISG
  • I. Untersuchungsgegenstand: Mängelrüge nach Art. 39 CISG
  • II. Zwischenergebnis und Vergleich der Ergebnisse zwischen Art. 38 und Art. 39 CISG
  • D. Ergebnis zu Art. 39 CISG
  • 5. Kapitel: Art. 40 und Art. 44 CISG
  • A. Art. 40 CISG: Bösgläubigkeit des Verkäufers
  • I. In der Rechtsprechung: BGH 30.06.2004
  • II. In der Rechtsprechung: OGH Wien 14.02.2012
  • 1. Beweislastumkehr
  • 2. Haftungsverschärfung
  • III. In der Rechtsprechung: int. Schiedsgericht der öst. Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft 15.6.1994
  • IV. In der Rechtsprechung: OLG Koblenz 24.02.2011
  • V. In der Rechtsprechung: BGH 26.09.2012
  • B. Entschuldigung für unterlassene Anzeige
  • I. In der Rechtsprechung: BGH 11.01.2006
  • II. In der Rechtsprechung: OLG Saarbrücken 17.01.2007
  • C. Ergebnis zu Art. 40 und Art. 44 CISG
  • 6. Kapitel: Schlussbetrachtung und Ausblick
  • 7. Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse
  • Literaturverzeichnis
  • I. Abhandlungen und Monografien
  • II. Kommentarliteratur

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Einleitung

Der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit sind die Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten im Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts.1 Gefeiert2 als erfolgreichster multilateraler Staatsvertrag3 in der Historie des Einheitsrechts4 und zentrales Gesetz für den Welthandel5, entwickelt um die Transaktionskosten internationaler Käufer und Verkäufer zu reduzieren,6 geht jedoch auch an diesem Abkommen das Problem der einheitlichen Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht spurlos vorbei. Es kann der Verdacht entstehen, als ob die Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten die Achillesferse des UN-Kaufrechts7 wären. Bereits ein kurzer Blick auf die relativ hohe Anzahl der zu Art. 38 und Art. 39 CISG ergangenen Entscheidungen8 der letzten Jahre belegen die wachsende Relevanz dieser Normen. Insgesamt sind 114 Entscheidungen zu Art. 38 CISG, davon 49 Entscheidungen aus Deutschland, und 246 Entscheidungen zu Art. 39 CISG, davon 95 Entscheidungen aus Deutschland, von der UNCITRAL ← 1 | 2 → veröffentlicht worden.9 Diese Relation10 der Gerichtsentscheidungen bei nun mehr 81 Vertragsstaaten11 zum heutigen Zeitpunkt zeigt deutlich, welche Rolle deutschen Gerichten12 im internationalen Vergleich beizumessen ist;13 insbesondere im Hinblick auf die hieraus resultierende Einflussnahme hinsichtlich der einheitlichen Auslegung nach Art. 7 CISG. Aber auch die deutsche Literatur hat ein besonderes Pflichtbewusstsein in Bezug auf das UN-Kaufrecht entwickelt. Denn schließlich war es einst Rabel,14 welcher das Fundament für die Vereinheitlichung der Materie Kaufrecht gelegt hat15 und es waren seine Nachfolger, die dieses mit großem Ehrgeiz zum fast lückenlos kommentierten Werk vervollständigt haben.16

Art. 38 und Art. 39 CISG zeigen aber auch wirtschaftliche Brisanz und verlangen von einem internationalen Rechtsanwender ein „gutes Gespür“ für die richtige Schwerpunktsetzung. Denn für diesen steht gerade im Hinblick auf die Besonderheiten des internationalen Rechtsverkehrs viel auf dem Spiel. ← 2 | 3 → Denn wer im internationalen Wettbewerb bestehen möchte, ist auf gute verlässliche Prüfergebnisse für seine Produkte innerhalb angemessener Fristen angewiesen.

Auch nimmt durch diese überstaatliche Kooperation die wechselseitige Abhängigkeit zwischen Verkäufer und Käufer eine andere Dimension mit immer wieder neuen Perspektiven und Fragestellungen an, die einer erneuten17 fortwährenden Beschäftigung mit der Thematik bedürfen.18

Hierbei könnte eine nicht zu verachtende Hilfestellung zu neuen bedeutenden wissenschaftlichen Erkenntnissen bei der Auslegung des Einheitsrechts in Zeiten rasanter Ausdehnung des internationalen Handels der marktwirtschaftliche Kontext einer Rechtsnorm bieten. Dieser bildet das Fundament der deskriptiven und rechtspolitischen Leistungen der ökonomischen Analyse des Rechts.19 Was erscheint also naheliegender, als den marktwirtschaftlichen Kontext der zwei wirtschaftlich relevantesten Normen des UN-Kaufrechts, welche auf grenzüberschreitende Wirtschaftsverträge und ihre Besonderheiten zugeschnitten sind,20 unter eben diesem Aspekt zu untersuchen.

Dabei konzentriert sich die Untersuchung auf das UN-Kaufrecht. Es liegt dieser Arbeit kein rechtsvergleichender Ansatz im herkömmlichen Sinne zugrunde.21

A. Problemstellung

„The truth is rarely pure and never simple.“
Oscar Wilde22

Im Rahmen der Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten kommt schnell der Eindruck auf, dass die Gerichte im Umgang mit den unbestimmten Rechtsbegriffen der Art. 38 CISG (Umstand) und Art. 39 CISG (angemessene Frist, genaue Bezeichnung der Vertragswidrigkeit23) einen besonders praktischen Ausweg ← 3 | 4 → gefunden haben, internationale Prozesse schnell und einfach zu beenden.24 Im Rahmen der analysierten Rechtsprechung wird sehr schnell deutlich, dass zu der Vertragswidrigkeit der Ware weitere Ausführungen für unnötig erachtet werden, da sowieso verspätet gerügt oder die Vertragswidrigkeit ungenau beschrieben worden sei. Verfahren, in denen die Vertragswidrigkeit oft nur schwer und evtl. lediglich mithilfe von Sachverständigen festgestellt worden wären, haben so ein relativ kostengünstiges Ende gefunden. Dies mag nach genauer Prüfung evtl. unter ökonomischen Effektivitätsgrundsätzen sachgerecht erscheinen, jedoch unter juristischen Erwägungen darf diese Methode nicht zu unangemessener Verkürzung berechtigter Käuferansprüche führen.

Ferner scheint der in Art. 7 Abs. 1 CISG normierte Auftrag der einheitlichen Anwendung des Übereinkommens hohe Anforderungen und große Probleme an die nationalen Gerichten zu stellen. So sind sprachliche Barrieren für Richter nur schwer überwindbar und die praktische Frage nach der Zugänglichkeit ausländischer Entscheidungen ungeklärt.25

Daneben können die Vorstellungen internationaler Vertragspartner über diese unbestimmten Rechtsbegriffe nicht unterschiedlicher sein.26 So wird empfohlen, die vertraglich zu regelnde Frist in der Vertragsklausel selbst aufzunehmen27 und z. B. Art. 39 Abs. 2 CISG nur als zweitbeste Lösung („second-best“)28 in den Vertrag einzubeziehen.29 ← 4 | 5 →

I. Grundsätzliche Bedenken

Die Realität internationaler Transaktionen ist komplex. Moderne Liefergeschäfte, an denen auf beiden Seiten (im Zweifel) fachkundige Vertragspartner beteiligt sind, führen trotz aller (oder gerade aufgrund dieser) Fachkundigkeit der Vertragspartner nicht immer zu einem zufriedenstellenden Ergebnis. Deutlich wird dies bereits durch einen kurzen Blick auf die Rechtsprechung der letzten zehn bis zwanzig Jahre30, angefangen beim Umfang der Untersuchung der Ware bis hin zu der substantiierten Rüge der Vertragswidrigkeit. Leicht kommt der Eindruck auf, ob die Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten31 dieser Komplexität internationaler Transaktionen und somit der Realität moderner Liefergeschäfte gerecht werden (können).32 Voraussetzung ist, dass das UN-Kaufrecht nicht im Vorfeld gemeinhin von den Rechtsanwendern ausgeschlossen wird,33 weil die Parteien dahin tendieren, ein ihnen vertrautes Recht zu wählen.34

Im Hintergrund steht die Frage, ob nicht weitere ökonomisch effektivere Methoden oder Möglichkeiten ergründet werden können, welche die formellen Erfordernisse zur Geltendmachung berechtigter Ansprüche des Käufers so greifen und die Frage der Vertragswidrigkeit der Ware (wieder) in den Vordergrund treten lassen können.35

Die Obliegenheit des Käufers zur Untersuchung und zur Anzeige etwaiger Vertragswidrigkeit besitzt eine enorme praktische Bedeutung auf die Risikoverteilung zwischen Verkäufer und Käufer. Diese Diversifikation entscheidet maßgeblich darüber, ob und in welchem Umfang Rechte überhaupt geltend gemacht werden können. Art. 38 und Art. 39 CISG eröffnen durch ihre unbestimmten Rechtsbegriffe einigen Spielraum für Interpretationen. Dieser Freiraum ist förderlich und ← 5 | 6 → hinderlich zugleich.36 Auf der einen Seite schafft gerade diese Flexibilität die einzige Methode, mit dem Einheitsrecht scheinbar sachgerecht umzugehen und auf der anderen Seite lässt sie trotz autonomer Auslegungsklausel zu viel Raum für Diskussionen im praktischen Umgang.37 Einigkeit besteht, dass es nicht gewollt war, dass diese Flexibilität Unstimmigkeiten im Umgang mit dem Einheitsrecht verursacht oder dieser Umgang unter ihr leidet,38 bzw. sogar gänzlich zum Ausschluss des UN-Kaufrechts führt.

II. Bedenken in der Rechtsprechung

In der Rechtsprechung39 wird inzwischen konsequent ein gerechter Ausgleich versucht. Unterschieden wird regelmäßig zwischen dem Interesse des Verkäufers, nicht längere Zeit nach der Lieferung mit Mängelansprüchen überzogen zu werden, und dem Interesse des Käufers, seine berechtigten Ansprüche nicht an übertriebenen Förmlichkeiten der Rüge gescheitert zu wissen.40 Die Rechtsprechung schafft es jedoch nicht, stets einen angemessenen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen beider Seiten herbeizuführen. Die Rügeobliegenheit soll für eine rasche Klärung der Frage, ob die Ware mangelfrei geliefert wurde, sorgen.41 Der Verkäufer soll rechtzeitig übersehen können, inwieweit welche Art von Forderungen auf ihn zukommen kann und er soll vor Missbräuchen, wie bspw. dem Nachschieben von Mängeln durch den Käufer, geschützt werden.42 Vorrangig wird also dabei das Interesse des Verkäufers43 in den Vordergrund gestellt. Auf der anderen Seite sollte jedoch stets darauf geachtet werden, dass die schutzwürdigen Interessen des Käufers nicht hierdurch in den Hintergrund geraten. Denn durch eine Lieferung vertragswidriger Ware verstößt der Verkäufer und nicht der Käufer gegen seine Vertragspflichten, sodass die Anforderungen ← 6 | 7 → an die Substantiierung der Rüge nicht überspannt werden dürfen.44 Ansonsten würde das Risiko der mangelhaften Vertragserfüllung, für das grundsätzlich der Verkäufer einzustehen hat, weitgehend dem Käufer zugewiesen, ohne dass eine solche Entlastung des Verkäufers gerechtfertigt wäre.45

Die Rechtsprechung stellt für die Konkretisierung signifikant auf die Besonderheiten des Einzelfalls ab. Ein gemischt objektiv-subjektiver Maßstab – also objektive Faktoren, wie Art der gelieferten Waren, Art und Umfang der Vertragswidrigkeit und subjektive Faktoren, wie die Stellung von Käufer und Verkäufer im Wirtschaftsverkehr – bestimmen die Prüfung der Art. 38 und Art. 39 CISG.46

Die Problematik die sich hinter der Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe der Art. 38 und Art. 39 CISG verbirgt, ist, dass nationale Gerichte über die Obliegenheiten des Käufers anders entscheiden und ihre Vorstellungen47 noch heute divergieren. So variieren z. B. die Fristen für die Rüge zwischen der unverzüglichen, über die sofortige bis zu einer starren Frist von 8 oder 60 Tagen.48 Um aber den Grundsätzen und der tatsächlichen Umsetzung des Art. 7 Abs. 1 CISG gerecht zu werden, benötigt man eine realistische, flexible und internationale Auslegungsmethode.49 So kann z. B. der BGH 50 bei der Anwendung des internationalen Einheitsrechts nicht wie zum deutschen Recht das letzte Wort beanspruchen und mit Formulierungen wie „regelmäßige“ Frist eine Festlegung mit präjudizieller Wirkung nahelegen. Im Interesse der Bewahrung der Rechtseinheit sollte der BGH nach Art. 7 Abs. 1 CISG berücksichtigen, wie die angemessene Frist in der ausländischen Rechtsprechung und Literatur interpretiert wird.51

Im Zeitalter moderner Währungsordnung hat sich ebenfalls die Organisation von Güteraustauschverträgen verändert und das Äquivalenzrisiko zulasten des Käufers verschoben. Aus ökonomischer Sicht zieht jeder Güteraustauschvertrag ← 7 | 8 → einen unerwünschten Zustand der Schwebe und der Unsicherheit nach sich.52 Lediglich eine eindeutige rechtliche Zuordnung kann wieder Rechtssicherheit nach einer gestörten Durchführung, gekennzeichnet durch ein ungleiches Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung einer solchen ökonomischen Transaktion, bringen. Hierfür kann die eindeutige Zuteilung von Rechten und Pflichten der Vertragsparteien, hier von Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten, einen den Schwebezustand vorzeitig beendenden Effekt mit sich bringen. Denn je schneller ein Austauschvertrag durchgeführt wird, desto schneller kommt eine neue Güterverteilung und somit ein gesamtwirtschaftlich wertvolleres Ergebnis zustande.53 Dieses Ergebnis sollte aber auch in einem akkuraten Verhältnis stehen, zwar für die Allgemeinheit ökonomisch von Nutzen zu sein, jedoch den Käufer insgesamt nicht unbillig belasten. So ist beispielhaft die sehr strenge Entscheidung des Landgerichts Aachen vom 03.04.1990 zu nennen, in welcher das Gericht entschied, dass der Käufer die Fristen eingehalten habe, da nach der Beweisaufnahme feststünde, dass er die Ware am Tag der Lieferung untersucht und hinsichtlich der Vertragswidrigkeit am Tag danach gerügt habe.54

III. Zum Entwurf des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts vom 11.10.2011

Das CISG zählt zum festen Bestandteil des internationalen Handels und hat im Rahmen des Vertragsrechts ebenso große Ausstrahlungswirkungen auf bereits bestehende oder geplante Regelwerke zur Rechtsvereinheitlichung.55

Im Rahmen dieser Arbeit ist kurz auf den Entwurf des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts vom 11.10.201156 einzugehen, durch den zunächst der Erlass einer Verordnung zur Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts – auch Common European Sales Law (CESL) genannt – vorgeschlagen wird57 und als optionales Instrument für internationale Handelskäufe gelten soll, soweit sie zwischen großen, kleinen und mittleren Unternehmen geschlossen werden. Der Vorschlag selbst besteht aus drei Hauptteilen: der Verordnung, einem Anhang I ← 8 | 9 → mit den Vertragsrechtsbestimmungen (dem Gemeinsamen Europäischen Kaufrecht) und einem Anhang II mit dem Standard-Informationsblatt. Für die Anwendung des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts bedarf es einer entsprechenden Vereinbarung der Vertragsparteien (opt-in solution).58

Grundsätzlich kann es zwar nicht zu einer echten Kollision zwischen den beiden Konventionen kommen. Es ist jedoch möglich, dass durch Parteiautonomie, die das UN-Kaufrecht durchaus anerkennt, eine CISG-Bestimmung abgeändert wird.59 So könnten sich die Vertragsparteien auf die in Art. 121 Abs. 1 CESL-E einigen, die eine ausnahmslose Höchstfrist von 14 Tagen für die Untersuchung vorsieht.60 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird jedoch auf den Entwurf nicht weiter eingegangen, da er weder für diese relevant ist noch zu diesem Zeitpunkt Bedeutung erlangen kann.

B. Gang der Untersuchung

Im ersten Teil (Kapitel 1) der Untersuchung wird ein allgemeines Verständnis geschaffen. In diesem Kapitel wird zunächst definiert, in welchem Verhältnis die Rechtsnatur von Obliegenheiten zueinander stehen und im Gesamtkontext des internationalen Einheitsrechts zu systematisieren sind. Hier wird ebenfalls auf die Bedeutung der konventionsautonomen Auslegung eingegangen.

Im zweiten Teil (Kapitel 2) wird der Rügetatbestand der Art. 38 und 39 CISG auf seine Reichweite hin untersucht.

Der dritte (Kapitel 3) und der vierte Teil (Kapitel 4) spiegeln sich in Bezug auf die Untersuchung der Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten. Hier wird jeweils untersucht, welche Anforderungen an die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe von Art. 38 und Art. 39 CISG zu stellen sind. Zum Beispiel soll die Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe Umstand und angemessen61 – also der zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen62 an die Rügeobliegenheit dem ← 9 | 10 → Spannungsverhältnis zwischen den Interessen des Käufers und des Verkäufers Rechnung tragen. Insbesondere wird in diesem Zusammenhang auch konkret nach dem Inhalt der bestehenden rechtlichen Normen gefragt werden. Hierbei ist neben einer Analyse des Ist-Zustandes in der Literatur und Rechtsprechung63 ebenso nach dem Stand der Rechtsvereinheitlichung zu fragen. Aus der Fülle der in- und ausländischen Entscheidungen werden im Rahmen dieser Arbeit nur die besonders markanten Fragebereiche herausgegriffen.

In einem weiteren Schritt ist zu eruieren, wie sich die oben festgestellten Anforderungen ändern, wenn man eine am ökonomischen Effizienzkriterium orientierte Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe vornimmt. Hier wird in einer analytischen Fragestellung insbesondere die Effektivität einer am ökonomischen Effizienzkriterium orientierten Auslegung zu prüfen sein, die zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen führen wird. So wird die Frage im Vordergrund stehen, ob z.B. eine am ökonomischen Effizienzkriterium orientierte Auslegung der Art. 38 und Art. 39 des UN-Kaufrechts überhaupt einen Beitrag zur autonomen Auslegung des internationalen Einheitsrechts leisten könne? Haben ökonomische Effizienzkriterien bereits Eingang in die internationale Rechtsprechung gefunden? Welche Möglichkeiten bestehen zur Überwindung von Informationsasymmetrien? Werden die vorhandenen Regelungen in Literatur und Rechtsprechung zutreffend gedeutet? Kommt man im Ergebnis so zu einer einheitlichen Auslegungsmethode?

Der fünfte Teil (Kapitel 5) analysiert Art. 40 und Art. 44 CISG im Hinblick auf ihre Bedeutung im Rahmen der Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten.

Im sechsten Teil (Kapitel 6) erfolgt ein kleiner Ausblick über die Untersuchungs- und Rügeobliegenheiten.

Die Untersuchung schließt mit einer Zusammenfassung im siebten Teil (Kapitel 7) ab.

1 Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf (United Nation Convention on Contracts for the International Sale of Goods) – nachfolgend UN-Kaufrecht oder auch CISG. Das CISG ist am 1.1.1988 in Kraft getreten. In der Bundesrepublik Deutschland ist es seit dem 1.1.1991 Teil der Rechtsordnung (vgl. BGBl. 1990 II 1497); der Text ist mit dem deutschen Zustimmungsgesetz (sog. Vertragsgesetz) in BGBl. 1989 II 586 ff. veröffentlicht.

2 Bach, IPRax 2009, 299; so auch Zimmermann, RabelsZ 71 (2007), 9, welcher das UN-Kaufrecht als die Erfolgsstory bezeichnet; siehe auch Reimann, RabelsZ 71 (2007), 115; Schlechtriem, IPRax 1990, 277; zuletzt CISG-Advisory Council Declaration No. 1, IHR 2013, 12.

3 Oder auch Konvention.

4 Zur Historie des UN-Kaufrechts, vgl. den sehr guten kurzen Überblick bei Saalfrank, 4–6 und 127–132.

Details

Seiten
XVI, 239
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653057911
ISBN (ePUB)
9783653963649
ISBN (MOBI)
9783653963632
ISBN (Hardcover)
9783631665190
DOI
10.3726/978-3-653-05791-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juli)
Schlagworte
Mängelrüge CISG Rügetatbestand
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. XVI, 239 S.

Biographische Angaben

Wajma Mangal (Autor:in)

Wajma Mangal studierte Rechtswissenschaften an der Universität Hamburg, wo auch ihre Promotion erfolgte. Neben mehreren Studien- und Forschungsaufenthalten in Dubai, New York und Berlin arbeitete sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Competition and Regulation Institute der Leuphana Universität Lüneburg. Derzeit ist sie Rechtsreferendarin am Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg.

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