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Das Problem der Ahndung von Einsatzgruppenverbrechen durch die bundesdeutsche Justiz

von Bettina Nehmer (Autor:in)
©2015 Dissertation 130 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch beleuchtet die Urteilspraxis bundesdeutscher Gerichte gegen Einsatzgruppenverbrecher. Um der statistischen Auswertung und Sachanalyse gerecht zu werden, untersuchte die Autorin sämtliche verhandelte Fälle, die in der zentralen Stelle der Landesjustizverwaltung Ludwigsburg archiviert worden sind. Bei der Betrachtung der Prozesse ist zu beobachten, dass die Richter dazu neigten, diese Tätergruppe über die Maßen zu exkulpieren, wodurch deutlich wird, dass alte Strukturen des Nationalsozialismus erkennbar in die Bundesrepublik herübertransportiert worden sind.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • I Einleitung
  • II Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD
  • 1. Die Anfänge
  • 2. Das „Unternehmen Tannenberg“
  • 3. Die Morde in Russland
  • 3.1 Vorbereitung auf den Überfall auf Russland
  • 3.2 Rekrutierung und Operationsgebiete
  • 3.3 Die Durchführung der Mordaktionen
  • 3.4 Die „Aktion 1005“
  • III Der Einsatzgruppenprozess vor dem Amerikanischen Militärgerichtshof in Nürnberg
  • 1. Die Rechtsgrundlage
  • 1.1 Der Weg zum Kontrollratsgesetz Nr. 10
  • 1.2 Das Kontrollratsgesetz Nr. 10
  • 2. Das Urteil
  • 2.1 Die Angeklagten und ihre Strafen
  • 2.2 Die rechtliche Würdigung
  • 2.2.1 Die rechtliche Zuständigkeit des Gerichts und Rechtmäßigkeit des Kontrollratsgesetzes Nr. 10
  • 2.2.2 Notwehr und Notstand
  • 2.2.3 Höherer Befehl
  • IV Die Prozesse gegen Einsatzgruppenverbrecher vor Bundesdeutschen Gerichten
  • 1. Wiedereinsetzung der deutschen Justiz
  • 2. Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg
  • 3. Die Prozesse gegen Einsatzgruppenverbrecher
  • 3.1 Rechtliche Bestimmungen
  • 3.1.1 § 211 StGB – Mord
  • 3.1.2 Der Begriff der Täterschaft – § 25 StGB
  • 3.1.3 Der Begriff der Beihilfe – § 27 StGB
  • 3.2 Statistische Auswertung
  • 3.3 Urteils-Kategorien
  • 3.3.1 Die Verurteilungen wegen Täterschaft
  • 3.3.2 Die Verurteilungen wegen Beihilfe zum Mord mit hoher Strafzumessung
  • 3.3.3 Kategorie der Verurteilungen wegen Beihilfe zum Mord mit mittlerer Strafzumessung
  • 3.3.4 Die Verurteilungen wegen Beihilfe zum Mord mit geringer Strafzumessung
  • 3.4 Auswertung
  • V Beihilfe statt Täterschaft: Der rechtstheoretische Hintergrund der Einsatzgruppenjudikatur
  • 1. Alles nur Gehilfen?
  • 2. Die Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe
  • 2.1 Die materiell-objektive Abgrenzungstheorie
  • 2.2 Die subjektive Abgrenzungstheorie
  • 3. Die Anwendung der subjektiven Abgrenzungstheorie in der Rechtsprechung
  • 3.1 Der „Badewannen-Fall“
  • 3.2 Das Staschynskij-Urteil
  • 3.3 Ergänzung der subjektiven Abgrenzungstheorie unter Berücksichtigung des Tatherrschaftswillens
  • 4. Kritik an der subjektiven Abgrenzungstheorie
  • VI Schlussbetrachtung
  • VII Anhang
  • 1. Abkürzungsverzeichnis
  • 2. Quellen- und Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

IEinleitung

Verurteilt wegen Beihilfe zum Mord in 526 Fällen zu einer Zuchthausstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten1. Dieses ist nur ein Beispiel aus der Vielzahl von ergangenen Urteilen gegen Einsatzgruppenverbrecher, in denen hundertfache Mörder lediglich als Gehilfen und nicht als Täter verurteilt und zudem noch mit äußerst milden Strafen belegt worden sind.

Bei der Betrachtung von Prozessen gegen Einsatzgruppenverbrecher vor bundesdeutschen Gerichten ist zu beobachten, dass die Richter dazu neigten, diese Tätergruppe über die Maßen zu exkulpieren. Dabei war die Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe das entscheidende Kriterium zur Urteilsfindung. Die Mehrzahl der Gerichte folgte in der rechtlichen Würdigung der Einsatzgruppenverbrechen der subjektiven Teilnahmelehre, die sich an der inneren Einstellung des Beschuldigten zur Tat orientiert, und verurteilte die Beschuldigten, die angeblich kein eigenes Interesse an ihren Taten hatten, als Gehilfen. Demgegenüber gab es nur wenige Urteile, in denen die Angeklagten als Täter angesehen wurden.

Obwohl bezüglich der juristischen Aufarbeitung für die Gesamtheit der NS-Gewaltverbrechen eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen vorliegen, bedarf es für den Bereich der Einsatzgruppenjudikatur einer detaillierten Darstellung. Ich hoffe, dieses Forschungsdefizit mit meinen Ausführungen zumindest teilweise begleichen zu können.

In der vorliegenden Studie stehen sowohl die statistische Auswertung als auch die Sachanalyse von Urteilen gegen Einsatzgruppenverbrecher im Mittelpunkt. Hierdurch soll zum einen bewiesen werden, dass tatsächlich die Mehrzahl der ehemaligen Angehörigen von Einsatzgruppen milde Richter gefunden hat und zum anderen soll das juristische Instrumentarium offengelegt werden, mit dem die Gerichte ihre milden Strafen legitimieren konnten. Um dies zu erreichen, werden die Hauptargumentationsstränge der Gerichte anhand von Fallbeispielen herausgearbeitet.

Um die Dimension und die Bedeutung der Einsatzgruppenjudikatur vollständig erfassen zu können, soll zunächst in Kapitel II ein historischer Rückblick auf die Einsatzgruppen gegeben werden, der das fürchterliche und für den mensch ← 7 | 8 → lichen Verstand kaum fassbare Ausmaß der Verbrechen dieser Mordkommandos aufzeigen wird. Im Anschluss daran wird in Kapitel III der erste Prozess gegen Einsatzgruppenverbrecher vorgestellt, der in Nürnberg vor dem amerikanischen Militärgerichtshof stattfand. An dieser Stelle gehe ich, nachdem das Kontrollratsgesetz Nr. 10 als Rechtsgrundlage des Prozesses vorgestellt worden ist, vor allem auf die Strafen, die über die Angeklagten verhängt worden sind, und die Urteilsbegründung des Gerichts ein. Dieses Urteil steht in einem krassen Gegensatz zu der Urteilspraxis der bundesdeutschen Gerichte, denn die Angeklagten wurden ausnahmslos als Täter angesehen und zum Teil sogar zum Tode verurteilt.

Das anschließende Kapitel IV beinhaltet den Hauptteil der vorliegenden Arbeit, nämlich die Prozesse gegen Einsatzgruppenverbrecher vor bundesdeutschen Gerichten. Nach einem kurzen Abriss der Wiedereinsetzung der deutschen Justiz und der Bedeutung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen für die Verfolgung und Ahndung von NS-Verbrechen folgt eine Erläuterung zu den rechtlichen Bestimmungen, die zur Aburteilung von Einsatzgruppenverbrechern bedeutsam sind. Daran anschließend erfolgt die statistische Auswertung, die sich an der Anzahl der Prozesse und Angeklagten, dem rechtlichen Gesichtspunkt des Urteils und den Strafhöhen in den Fällen von Beihilfe orientiert.

In der darauffolgenden Sachanalyse ausgewählter Urteile nehme ich eine Einteilung in Urteils-Kategorien vor. Kriterium der Zuordnung ist dabei, ob die Richter auf Täterschaft oder Beihilfe erkannten. Innerhalb der Fälle von Beihilfe wird nach der Höhe der Strafzumessung differenziert. Mittels dieser Vorgehensweise sollen die unterschiedlichen Hauptargumente der Gerichte in der jeweiligen Urteils-Kategorie herausgearbeitet werden. Dadurch wird versucht, zu verdeutlichen, wie sich der Wandel von der konsequenten Verurteilung der Beschuldigten als Täter, hin zur völligen Exkulpation hundertfacher Mörder in den Urteilsbegründungen widerspiegelt. Wesentliche Kriterien für die Analyse der Urteile sind:

1.Wie nahmen die Gerichte die Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe vor?

2.Die Strafzumessung

3.Konnten Schuldausschließungsgründe geltend gemacht werden?

Das auf die Analyse der Urteile folgende Kapitel V stellt den rechtstheoretischen Hintergrund der Einsatzgruppenjudikatur vor.

Es werden zwei Theorien angeführt, die sich in der Lehre zur Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe entwickelten, die subjektive und die materiell-objektive Abgrenzungstheorie. Näher eingegangen wird von mir auf die subjektive Abgrenzungstheorie. Sie fand ihre Anwendung in der Rechtsprechung, bevor die Gerichte die Verbrechen der Einsatzgruppen zu ahnden hatten. Anhand von zwei Beispiel ← 8 | 9 → fällen, dem Badewannen-Urteil des Reichsgerichts2 und dem Staschynskij-Urteil des BGH3, soll verdeutlicht werden, wie die bundesdeutschen Gerichte die subjektive Theorie auslegten und auf Einsatzgruppenverbrecher anwandten. Da dies zu äußerst milden Urteilen führte, muss unweigerlich eine Kritik an der subjektiven Teilnahmelehre folgen.

Im letzten Teil (VI) der vorliegenden Studie ziehe ich ein Fazit betreffs der Gesamtheit der Einsatzgruppenjudikatur und ihrer Bedeutung im gesellschaftlichen Zusammenhang. ← 9 | 10 → ← 10 | 11 →

1Urteil des Schwurgerichts des LG Ulm gegen den Angeklagten Sakuth, abgedruckt bei C.F. Rüter u. a. (Hrsg.), Justiz und NS-Verbrechen – Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945–1966, Amsterdam 1968–1981, Bd. XV, Lfd. Nr. 465, S. 1 ff.

2RGSt 74, 85.

3BGHSt 18, 87.

IIDie Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD

1.Die Anfänge

Details

Seiten
130
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653057249
ISBN (ePUB)
9783653964226
ISBN (MOBI)
9783653964219
ISBN (Hardcover)
9783631664810
DOI
10.3726/978-3-653-05724-9
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juli)
Schlagworte
Einsatzgruppenjudikatur Sicherheitspolizei Täterschaft Beihilfe
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 130 S.

Biographische Angaben

Bettina Nehmer (Autor:in)

Bettina Nehmer studierte Politik- und Geschichtswissenschaften an der Universität Hannover.

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