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Implikationen des Formalisierungsprinzips in der Zwangsvollstreckung

von Florian Stoll (Autor:in)
©2015 Dissertation 239 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor zeigt die Bedeutung des Formalisierungsprinzips für die zivilrechtliche Zwangsvollstreckung auf. Dabei untersucht er sowohl Beginn (Klauselverfahren), Durchführung (Prüfung materieller Einwände durch Vollstreckungsorgane), Beendigung (Versteigerung) als auch Nachwirkung (Ausgleichsansprüche) der Vollstreckung unter dem Gesichtspunkt der Auswirkungen der Formalisierung der Zwangsvollstreckung. In diesem Zusammenhang diskutiert und übernimmt er einerseits bereits vorhandene Ansätze und entwickelt andererseits eigene Ideen, die entweder im Formalisierungsgrundsatz ihren Ausgangspunkt haben oder sich an diesem messen lassen müssen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • I. Einleitung
  • II. Ziele und Gang der Untersuchung
  • III. Die Formalisierung im Rahmen der Vollstreckungsvoraussetzungen
  • 1. Das Klauselverfahren
  • a) Die Klausel als Bindeglied zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren
  • aa) Prüfungsumfang des Klauselorgans („Vollstreckungsreife“)
  • bb) Bindung des Vollstreckungsorgans an die Klauselprüfung
  • cc) Verzicht auf Klauselverfahren?
  • (1) Kritik an der Prüfungskompetenz hinsichtlich der Wirksamkeit des Titels
  • (2) Kritik an der Prüfungskompetenz hinsichtlich der Vollstreckbarkeit des Titels
  • (3) Kritik an der Prüfungskompetenz hinsichtlich des vollstreckbaren Inhalts des Titels
  • (4) Ergebnis
  • b) Vollstreckungsbefugnis: Die Zulässigkeit der Vollstreckungsstandschaft
  • aa) Einführung
  • bb) Der Parteibegriff in der Zwangsvollstreckung
  • cc) Isolierte Vollstreckungsstandschaft
  • (1) Meinungsstand
  • (2) Stellungnahme
  • (3) Alternatives Lösungsmodell: Entwicklung der isolierten Vollstreckungsstandschaft per Rechtsfortbildung
  • dd) Rückermächtigungsfälle
  • (1) Generelle Zulässigkeit
  • (2) Stille Zession und Zulässigkeit der Rückermächtigung
  • (3) Erfordernis eines berechtigten Interesses bei der Rückermächtigung
  • ee) Fortgesetzte Prozessstandschaft
  • (1) Gewillkürter Prozessstandschafter erwirkt im Urteil Leistung an sich
  • (2) Gewillkürter Prozessstandschafter erwirkt im Urteil Leistung an den Rechtsinhaber
  • (3) Gesetzlicher Prozessstandschafter erwirkt Urteil
  • (4) Umgekehrter Fall: Zulässigkeit der Klauselerteilung an den materiellen Rechtsinhaber
  • (5) Ergebnis
  • ff) Ergebnis
  • 2. Der Titel
  • a) Prüfung des titulierten Anspruchs
  • aa) Titulierter Anspruch und Vollstreckung
  • (1) Meinungsstand
  • (2) Stellungnahme
  • bb) Materiell-rechtliche Prüfungspflicht und Entscheidungskompetenz der Vollstreckungsorgane hinsichtlich des im Urteil titulierten Anspruchs
  • (1) Allgemeines
  • (a) Herrschende Meinung: Ablehnung einer Prüfungspflicht
  • (b) Minderansicht: Eingeschränkte Prüfungspflicht der Vollstreckungsorgane
  • (c) Einleitende Stellungnahme
  • (d) Sonderfall: Einigung der Parteien über den materiell-rechtlichen Anspruch
  • (e) Erläuterungen zum weiteren Gang der Untersuchung
  • (2) Der Begriff der Evidenz
  • (3) § 775 Nr. 4 und 5 ZPO als Grenze jeder Prüfungspflicht
  • (a) Kritik an der Regelung in §§ 775 Nr. 4 und 5, 776 S. 2 ZPO
  • (b) Lösung – Wegfall der Möglichkeit der Fortsetzung der Vollstreckung auf Verlangen des Gläubigers
  • (c) Die analoge Anwendung des § 775 Nr. 4 und 5 ZPO bei Pfändung der titulierten Forderung
  • (aa) Darstellung der relevanten Fallkonstellation
  • (bb) Meinungsstand
  • (cc) Stellungnahme
  • (d) § 775 Nr. 4 und 5 ZPO und die Präklusion nach § 767 Abs. 2 ZPO
  • (e) Ergebnis
  • (4) Vergleich: materiell-rechtliche Prüfungspflichten der Vollstreckungsorgane in anderen Rechtsbereichen/Konstellationen
  • (a) Materiell-rechtliche Einwendungen in der Verwaltungsvollstreckung
  • (b) Prüfung der Vollstreckungskosten nach § 788 ZPO
  • (aa) Prüfung der Notwendigkeit der Vollstreckungskosten
  • (bb) Prüfung der Notwendigkeit der Vollstreckungskosten bei Verrechnung des Gläubigers nach § 367 BGB
  • (aaa) Meinungsstand
  • (bbb) Stellungnahme
  • (c) Vergleich mit Vollstreckungsverträgen
  • (5) Eingeschränkte Prüfungspflichten anderer Organe
  • (a) Eingeschränkte Prüfungspflichten der Zivilgerichte
  • (b) Materiell-rechtliche Einwendungen im Kostenverfahren
  • (c) Eingeschränkte Prüfungspflichten des Rechtspflegers im Mahnverfahren
  • (6) Materiell-rechtliche Evidenzen und die Nichtigkeit von Verwaltungsakten nach § 44 VwVfG
  • (a) Die Anwendung des Rechtsgedankens des § 44 VwVfG auf das Vollstreckungsverfahren nach Stamm
  • (b) Meinungsstand
  • (7) Das Prinzip von Treu und Glauben im Vollstreckungsrecht
  • (a) Ausgangssituation
  • (b) Meinungsstand
  • (c) Stellungnahme
  • (d) Fazit
  • (8) Zwischenergebnis
  • (9) Weitere rechtsstaatliche Erwägungen
  • (a) Entsprechende Anwendung der Radbruchschen Formel auf die Vollstreckung
  • (b) Beratungs- und Vorprüfungspflichten
  • (10) Unrichtigkeiten nach § 319 ZPO und Prüfungspflicht
  • (11) Endergebnis
  • cc) Prüfungspflicht der Vollstreckungsorgane hinsichtlich des in einer vollstreckbaren Urkunde titulierten Anspruchs
  • dd) Prüfungspflicht des Vollstreckungsorgans hinsichtlich des in einem Vollstreckungsbescheid titulierten Anspruchs
  • (1) Prüfungspflicht der Vollstreckungsorgane
  • (2) Problematik der Präklusionsvorschrift in § 796 Abs. 2 i.V.m. § 767 ZPO
  • (a) Anfängliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch
  • (aa) Meinungsstand
  • (bb) Stellungnahme
  • (cc) Alternative: Hypothetische Schlüssigkeitsprüfung statt Abschaffung der Präklusionsgrenze
  • (b) Nachträgliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch, die mit Einspruch hätten geltend gemacht werden können
  • (aa) Fallbeispiel
  • (bb) Meinungsstand
  • (cc) Stellungnahme
  • (c) Zwischenergebnis
  • (d) Exkurs: Lösung für die Vollstreckung aus Versäumnisurteilen
  • (3) Ergebnis
  • ee) Materiell-rechtliche Prüfungspflicht des Klauselorgans hinsichtlich des titulierten Anspruchs
  • (1) Meinungsstand
  • (2) Stellungnahme
  • ff) Prüfungspflicht der Vollstreckungsorgane hinsichtlich Vollstreckungsverträge
  • (1) Zulässigkeit von Vollstreckungsverträgen
  • (2) Arten von Vollstreckungsverträgen
  • (3) Prüfungskompetenz der Vollstreckungsorgane
  • (a) Meinungsstand
  • (b) Prüfungskompetenz der Vollstreckungsorgane bei Vollstreckungsverträgen abhängig von Rechtsnatur dieser Verträge
  • (c) Ergebnis
  • (d) Ausgestaltung der Prüfung durch das Vollstreckungsorgan
  • (e) Abgrenzung Vollstreckungsverträge – materiell-rechtliche Übereinkünfte
  • (4) Die Wahl des richtigen zwangsvollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfs bei Nichtbeachtung von Vollstreckungsverträgen
  • (a) Anwendbarkeit von § 766 ZPO (analog) oder § 767 ZPO (analog)?
  • (b) Sonderfall 1: Wahl des richtigen Rechtsbehelfs bei Zusammentreffen von materiell-rechtlichen Abreden und Vollstreckungsverträgen
  • (c) Sonderfall 2: Wahl des richtigen Rechtsbehelfs bei fehlender Erkennbarkeit des Rechtscharakters der relevanten Abrede
  • (d) Ergebnis
  • gg) Sonderfall: die Prüfungskompetenz des Prozessgerichts im Rahmen der §§ 887, 888, 890 ZPO
  • (1) Prüfungskompetenz im Rahmen des § 887 ZPO
  • (a) Erfüllungseinwand
  • (aa) Das Wortlautargument
  • (bb) Das Argument der Prozessökonomie
  • (cc) Die Risikoverteilung Vollstreckungsschuldner/gläubiger
  • (dd) Das Problem der Beweislastverteilung
  • (ee) Die vermittelnde Ansicht
  • (ff) Weitere Argumente aus dem Formalisierungsprinzip
  • (gg) § 887 ZPO im Verhältnis zu § 767 ZPO
  • (hh) Ergebnis
  • (b) Andere Einwendungen
  • (2) Prüfungskompetenz im Rahmen des § 888 ZPO
  • (a) Erfüllungseinwand
  • (aa) Meinungsstand
  • (bb) Stellungnahme
  • (b) Andere Einwendungen
  • (3) Prüfungskompetenz im Rahmen des § 890 ZPO
  • (4) Die Kritik von Stamm an der Zuständigkeit des Prozessgerichts für die Verfahren nach §§ 888 und 890 ZPO
  • (5) Ergebnis
  • b) §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO als Ausdruck formalisierter Gerechtigkeit
  • aa) Zwang zur Erwirkung und Vorlage von Entscheidungen
  • bb) Erinnerung als vollstreckbare Entscheidung i.S.d. § 775 Nr. 1 ZPO?
  • (1) Meinungsstand
  • (2) Stellungnahme
  • 3. Vollstreckbarerklärungen
  • a) Materiell-rechtliche Einwendungen im Vollstreckbarerklärungsverfahren nach der EuGVO
  • aa) Das Urteil des EuGH vom 13.10.2011 – C-139/10 und die deutsche Argumentation
  • bb) Vergleich: Vollstreckbarerklärungsverfahren nach der EuGVO, Vollstreckungsklage nach §§ 722 f. ZPO und deutsches Klauselverfahren
  • cc) Behandlung materiell-rechtlicher Einwendungen im Vollstreckbarerklärungsverfahren nach der EuGVO in deutscher Literatur und Rechtsprechung
  • (1) Meinungsstand
  • (2) Stellungnahme
  • dd) Behandlung liquider Einwendungen im Vollstreckbarerklärungsverfahren nach der EuGVO
  • (1) Meinungsstand
  • (2) Stellungnahme
  • ee) Ergebnis
  • ff) Der Vorgänger der EuGVO: Das Vollstreckbarerklärungsverfahren nach dem EuGVÜ
  • gg) Ausblick: die Reform der EuGVO
  • b) Prüfung materiell-rechtlicher Einwendungen bei der Vollstreckbarerklärung des Anwaltsvergleichs nach § 796 a ZPO
  • aa) Meinungsstand
  • bb) Stellungnahme
  • c) Materiell-rechtliche Einwendungen im Rahmen der EuVTVO und der EuBagatellVO
  • d) Fazit
  • IV. Die Formalisierung der Zugriffstatbestände in der Vollstreckung
  • 1. Die Vollstreckung wegen Geldforderungen in bewegliche Sachen
  • a) Evidenzprüfung bei der Pfändung schuldnerfremden Eigentums
  • aa) Meinungsstand
  • bb) Stellungnahme
  • b) Ergebnis
  • 2. Die Vollstreckung wegen Geldforderungen in Forderungen nach den §§ 828 ff. ZPO
  • V. Implikationen der Formalisierung bei und nach Beendigung der Zwangsvollstreckung
  • 1. Die sogenannte Vollstreckungskraft
  • a) Vollstreckungskraft und Pfändung schuldnerfremden Eigentums
  • b) Vollstreckungskraft und Einwendungen gegen den titulierten Anspruch
  • c) Ergebnis
  • 2. Haftung des Staates / Begriff der Rechtswidrigkeit der Vollstreckung
  • a) Einführung
  • b) Rechtswidrigkeit staatlichen Handelns bei der Vollstreckung
  • aa) herrschende Meinung: Nichtexistenz staatlicher materiell rechtswidriger Vollstreckung
  • bb) 1. Minderansicht: Existenz eines materiell rechtswidrigen staatlichen Vollstreckungsbetriebs
  • cc) 2. Minderansicht: Automatische Rechtfertigung materieller Rechtswidrigkeit
  • dd) Stellungnahme
  • c) Rechtswidrigkeit des Gläubigerhandelns bei der Vollstreckung
  • d) Ergebnis
  • 3. Versteigerung schuldnerfremder beweglicher Sachen und gutgläubiger Erwerb
  • a) Meinungsstand
  • b) Herleitung einer Lösung
  • aa) Formalisierung in der Zwangsvollstreckung als Ausgangspunkt der Überlegungen
  • bb) Der hoheitliche Charakter der Versteigerung
  • cc) Anwendbares Recht
  • (1) Allgemeines
  • (2) Herleitung der Nichtigkeit des Eigentumszuweisungsaktes in der Versteigerung
  • (3) Die Anwendung der §§ 44 ff. VwVfG auf Vollstreckungsakte – möglicher Widerspruch zur hier vertretenden Nichtigkeitssystematik?
  • dd) Vollstreckungskraft und Eigentumszuweisung in der Versteigerung
  • ee) Die Nichtigkeit des Staatsakts als weiterer Anknüpfungspunkt des guten Glaubens
  • c) Ergebnis
  • VI. Die Formalisierung und das Rechtsschutzsystem
  • 1. Formalisierung als Grundlage des Rechtsschutzsystems
  • 2. Die Passivlegitimation bei der Vollstreckungserinnerung
  • 3. Rechtsnatur der Drittwiderspruchsklage
  • a) Allgemeines
  • b) 1. Ansicht: Drittwiderspruchsklage als prozessuale Gestaltungsklage
  • c) 2. Ansicht: Drittwiderspruchsklage als Leistungsklage in Form der negatorischen Abwehrklage
  • d) 3. Ansicht: Gemischte Rechtsnatur der Drittwiderspruchsklage
  • e) Stellungnahme
  • 4. Abgrenzung der Rechtsbehelfe §§ 732 und 768 ZPO
  • a) Allgemeines
  • b) Abgrenzung in Bezug auf materiell-rechtliche Prüfung
  • c) Abgrenzung in Bezug auf formelle Prüfung
  • d) Probleme des effektiven Rechtsschutzes bei § 732 ZPO
  • e) Ergebnis
  • 5. Effektiver Rechtsschutz und Formalisierung
  • 6. Reform des Rechtsschutzsystems
  • VII. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
  • VIII. Literaturverzeichnis

← 12 | 13 → I. Einleitung

Bei der Zwangsvollstreckung geht es um rechtlich organisierten Zwang als letztes, aber auch unerlässliches Mittel des wirksamen Rechtsschutzes, denn Rechtschutz wird sowohl durch das Urteil als auch die anschließende Zwangsvollstreckung gewährt, sollte der Schuldner das Urteil nicht befolgen. Die Zwangsvollstreckung ist nicht nur von den gesetzlichen Vollstreckungsvoraussetzungen abhängig, sie unterliegt vielmehr als staatlicher Eingriff insgesamt dem Grundsatz strenger Gesetzmäßigkeit, indem den Vollstreckungsorganen die einzelnen Schritte vorgeschrieben sind.1 Dabei ist das Erkenntnisverfahren vom Vollstreckungsverfahren organisatorisch getrennt. Diese grundsätzliche Trennung besteht seit 1877. Damals entschloss sich der Gesetzgeber der ZPO, den schwerfälligen gemeinrechtlichen „Exekutionsprozess“, der dadurch gekennzeichnet war, dass die Vollstreckung ausnahmslos in der Zuständigkeit des Prozessgerichts lag, durch die Übertragung der Vollstreckung auf besondere Vollstreckungsorgane zu ersetzen.2 Mit dieser Trennung hängt der Grundsatz der Formalisierung zusammen.3 Durch die Loslösung der Zwangsvollstreckung vom Prozessgericht als erkennendem Gericht und ihre Übertragung auf nicht richterliche Organe (Ausnahme §§ 887 ff. ZPO) ist das Vollstreckungsverfahren auf eine eigene formell selbstständige Grundlage gestellt.4 Anders als beim gemeinrechtlichen Exekutionsprozess, bei dem materiell-rechtliche Fragen nach dem dort geltenden „Attraktionsprinzip“ vor dem Gericht als Vollstreckungsorgan vorgebracht werden konnten5, wollte der Gesetzgeber mit der grundsätzlichen Trennung von Prozessgericht und Vollstreckungsorgan nicht nur alle materiell-rechtlichen Fragen den Garantien des ordentlichen Prozesses anvertrauen, sondern auch ein zügiges und energisches Vollstreckungsverfahren gewährleisten.6 Die Zwangsvollstreckung ist daher „entprozessualisiert“ und „formalisiert“, an äußerlich erkennbare Tatbestände gebunden.7 Das Prozessgericht ist nur noch in der Vollstreckung von Handlungen und Unterlassungen Vollstreckungsinstanz. ← 13 | 14 → Diese Loslösung von der gemeinrechtlichen Allzuständigkeit des Prozessgerichts für das Vollstreckungsverfahren gilt als eine der wichtigsten Errungenschaften der modernen europäischen Vollstreckungsordnungen.8

Formalisierung des Verfahrens bedeutet generell, dass sachlich-rechtliche Nachteile einer Partei allein daran geknüpft werden, dass sie bestimmte Erklärungen nicht oder nicht in bestimmter Form oder nicht innerhalb bestimmter Fristen abgibt Daraus folgt, dass nur das prozessuales Verhalten einer Partei und nicht der Inhalt ihrer mit einem prozessualen Fehlverhalten übermittelten Information für die Entscheidung gewertet wird.9 Speziell für das Vollstreckungsrecht und sein Zusammenspiel mit dem materiellen Recht hat die Formalisierung die Auswirkung, dass an Tatbestände angeknüpft wird, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf das Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung im Einzelfall schließen lassen. Der äußere Anknüpfungspunkt (Titel, Gewahrsam) tritt also an die Stelle der materiell-rechtlichen Grundlagen (Anspruch, Vermögenszugehörigkeit), d.h. der Schein tritt an die Stelle des Seins.10 Das führt dazu, dass den Vollstreckungsorganen grds. die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Titels (Formalisierung der Vollstreckungsvoraussetzungen) und des Bestehens von Drittrechten (Formalisierung der Zugriffstatbestände) im Rahmen der Vollstreckung verwehrt ist. Als Folge müssen sich Schuldner und Dritte daher über die Rechtsbehelfe des § 767 ZPO und des § 771 ZPO gegen die Vollstreckung wehren11, während der Gläubiger nach Titelerlass zunächst einmal ziemlich „ungestört“ vollstrecken kann. Das Formalisierungsprinzip wirkt sich somit unmittelbar und erheblich auf die Interessen der an der Zwangsvollstreckung beteiligten Parteien aus. Bestandteil der formalisierten Vollstreckung ist weiterhin das Bestimmtheitsgebot: Was der Schuldner zu leisten hat, muss grundsätzlich allein aus dem Titel erkennbar sein.12 Das Formalisierungsprinzip basiert letztendlich zum großen Teil auf dem Prinzip der Gewaltenteilung, nach dem der Rechtsprechung die Entscheidung von juristischen Streitfragen vorbehalten bleibt.13

Trotz dieses Grundsatzes wird das Formalisierungsprinzip an einigen Stellen durchbrochen, während an anderen Stellen eine Durchbrechung von der ← 14 | 15 → herrschenden Meinung abgelehnt bzw. in den meisten Fällen gar nicht diskutiert wird. Dabei hängt die Zulässigkeit einer Durchbrechung grds. von dem handelnden Organ (bspw. Prozessgericht oder Gerichtsvollzieher), der Interessenlage der Parteien und der Schwierigkeit der materiell-rechtlichen Prüfung (bspw. Rechtmäßigkeit des Anspruchs oder Bestehen von Dritteigentum am zu pfändenden Gegenstand) ab.

Nicht nur beim eigentlichen Vollstreckungsvorgang ist das Formalisierungsprinzip zu beachten, auch in anderen Bereichen der Zwangsvollstreckung spielt es eine Rolle. So ist die Einführung eines differenzierten Rechtsbehelfssystems in der Zwangsvollstreckung auch dem vorgelagerten formalisierten Vollstreckungsverfahren geschuldet. Die Aufteilung der Rechtsbehelfe in einen sog. „vollstreckungsinternen“ Rechtsbehelf nach § 766 ZPO und einen „vollstreckungsexternen“ nach § 767 ZPO ist unmittelbare Folge der eingeschränkten Prüfungsbefugnis der Vollstreckungsorgane. Gleichermaßen sind der nachrangige Bereicherungsausgleich nach rechtswidriger Vollstreckung und mögliche Schadensersatzansprüche mittelbar darauf zurückzuführen, dass in der Vollstreckung nach h.M. mangels ausreichender Prüfung keine stabilisierende „Vollstreckungskraft“ eintreten kann. Weiterhin spielt das Formalisierungsprinzip im Klauselverfahren eine Rolle. Die Klausel wird oft als notwendige Folge der Überantwortung der Zwangsvollstreckung an nicht richterliche Vollstreckungsorgane angesehen. Zudem wird das Erfordernis einer Klauselumschreibung nach den §§ 727 ff. ZPO mit der Formstrenge des Verfahrens begründet (sog. Formalisierung der Vollstreckungsbefugnis). In diesem Kontext wird die Formalisierung immer wieder als Argument dafür bemüht, die viel diskutierte isolierte Vollstreckungsstandschaft abzulehnen. Letztendlich bietet das Formalisierungsprinzip somit Gelegenheit, das gesamte Zwangsvollstreckungsrecht, von Klauserteilung bis nachträglichem Ausgleichsanspruch bei rechtswidriger Vollstreckung, näher zu beleuchten. ← 15 | 16 →

__________

1Gaul, ZZP 112 (1999), 135, 139; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 31 Rn. 1.

2Gaul, ZZP 112 (1999), 135, 145.

3BGH NJW 2008, 3147; Baur/Stürne/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 6.53.

4Münch, Vollstreckbare Urkunde und prozessualer Anspruch, S. 183 ff.

5Gaul, ZZP 112 (1999), 135, 146.

6Gaul, Rpfleger 1971, 81, 90; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, § 5 Rn. 39; Münch, S. 183 ff.

7Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, § 5 Rn. 39.

8Stamm, Prinzipien und Grundstrukturen des Zwangsvollstreckungsrechts, S. 486.

9Menne, ZZP 88 (1975), 263, 265.

10J. Blomeyer, Rpfleger 1969, 279, 281; Münch, S. 185.

11Gaul, ZZP 110 (1997), 3, 4; Geißler, NJW 1985, 1865, 1866; Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, S. 246; Münch, S. 185 f.; Musielak-Lackmann, § 767 Rn. 1.

12OLG Saarbrücken BeckRS 2007, 19488; Roth, IPRax 1989, 14, 15.

13Stamm, S. 202.

← 16 | 17 → II. Ziele und Gang der Untersuchung

Die Arbeit hat nicht zum Ziel, alle Bereiche der Zwangsvollstreckung vorzustellen, die dem Formalisierungsprinzip unterliegen. Vielmehr werden einige Tatbestände, die einen besonderen Bezug zum materiellen Recht und dem Erkenntnisverfahren aufweisen14, vor allem materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch und Drittrechte an zu pfändenden Gegenständen, dahingehend untersucht, inwiefern diese vom Formalisierungsprinzip durchdrungen sind bzw. durchdrungen sein sollten. Dabei werden sowohl Beginn, Durchführung, Beendigung als auch Nachwirkung der Vollstreckung unter dem Gesichtspunkt der Auswirkungen der Formalisierung der Zwangsvollstreckung untersucht. In diesem Zusammenhang werden sowohl bereits vorhandene Ansätze diskutiert und übernommen als auch eigene Ideen entwickelt, die entweder im Formalisierungsgrundsatz ihren Ausgangspunkt haben oder sich an diesem messen lassen müssen und die an ein paar Stellen das Zwangsvollstreckungsrecht grundlegend verändern könnten. Allen Auseinandersetzungen innerhalb der Arbeit liegt dabei implizit oder explizit die Frage zugrunde, inwiefern die Formalisierung der Zwangsvollstreckung die Gläubiger- und Schuldnerinteressen angemessen austariert.

Zunächst wird auf das Zusammenspiel von Klauselverfahren und Formalisierung eingegangen. Die Formalisierung des Klauselverfahrens selbst wird dabei im Rahmen der Auseinandersetzung zur Zulässigkeit einer sog. Vollstreckungsstandschaft besonders deutlich (III. 1.). Danach wird detailliert der Frage nachgegangen, inwiefern nach der bestehenden Gesetzeslage und der darin verkörperten Formalisierung der Zwangsvollstreckung materiell-rechtliche Einwendungen des Schuldners gegen den titulierten Anspruch im zivilrechtlichen Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen sind (III. 2.). Dabei werden anschließend auch Vergleiche zu anderen ähnlich formalisierten Verfahren, so bspw. zum EU-rechtlich geprägten Vollstreckbarerklärungsverfahren und der Behandlung materiell-rechtlicher Einwendungen in diesem Verfahren, angestellt (III. 3.). Kurz wird dann geklärt, inwiefern bei der Vollstreckung wegen Geldforderungen in bewegliches Vermögen oder Forderungen die betreffenden Vollstreckungsorgane das Eigentum des Schuldners an der Sache bzw. dessen ← 17 | 18 → Inhaberschaft an der Forderung zu überprüfen haben. (IV.). Dass das Formalisierungsprinzip auch nach Beendigung der Zwangsvollstreckung nachwirkt, wird anhand der Auseinandersetzung mit der von Böhm vertretenen These einer sog. Vollstreckungskraft dargestellt (V. 1.). Ausgehend von der Herleitung des Begriffs der Rechtswidrigkeit der Zwangsvollstreckung (V. 2.) wird in einem weiteren Abschnitt dargelegt, inwiefern ein bösgläubiger Erwerb einer gepfändeten Sache in der Versteigerung auch gerade wegen des Formalisierungsprinzips ausgeschlossen sein muss (V. 3.). Dass die Formalisierung der zivilrechtlichen Vollstreckung nicht nur das eigentliche Vollstreckungsverfahren erheblich prägt, sondern gerade auch die Voraussetzung für die Gestaltung des aktuellen vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfssystems ist, wird abschließend in VI. näher beleuchtet.

__________

14Siehe dagegen die Arbeit von H. Schneider, Die Ermessens- und Wertungsbefugnis des Gerichtsvollziehers, S. 1 ff. der sich vor allem auf eine ausführliche Auflistung der verschiedenen Prüfungsbefugnisse des Gerichtsvollziehers konzentriert.

Details

Seiten
239
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653057058
ISBN (ePUB)
9783653964240
ISBN (MOBI)
9783653964233
ISBN (Paperback)
9783631664803
DOI
10.3726/978-3-653-05705-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (März)
Schlagworte
Zwangsvollstreckungsrecht Vollstreckungsverfahren Klauselverfahren
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 239 S.

Biographische Angaben

Florian Stoll (Autor:in)

Florian Stoll ist Volljurist. Er studierte Rechtswissenschaften an der Universität Hamburg. Nach seinem Referendariat in Hamburg und Mailand ist er als Rechtsanwalt in Hamburg tätig.

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Titel: Implikationen des Formalisierungsprinzips in der Zwangsvollstreckung
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