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International Framework Agreements

Hintergrund, Rechtsnatur und Justiziabilität

von Elisa Theresa Hauch (Autor:in)
©2015 Dissertation 233 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch befasst sich mit den International Framework Agreements (IFA) – ein neueres Rechtsinstitut, mit dem sich transnationale Unternehmen gegenüber internationalen Gewerkschaften zur Einhaltung arbeitsrechtlicher Rahmenbedingungen verpflichten. Vor dem Hintergrund, dass ein internationales Arbeitsrecht fehlt, Unternehmen jedoch zunehmend global agieren, kommen Soft Law und nichtstaatlichen Vereinbarungen eine immer wichtigere Funktion zu. Die Autorin untersucht die derzeit gut 120 IFA hinsichtlich Rechtsnatur, international-privatrechtlicher Behandlung und Rechtswirkungen, insbesondere im Arbeits-, Kauf- und Lauterkeitsrecht. Neben der Bestandsaufnahme des jungen Instituts findet sich auch ein Ausblick auf die mutmaßliche weitere Entwicklung der IFA und ihrer Bedeutung im sozialen Dialog.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • § 1 International Framework Agreements – Neue Wege im Sozialen Dialog
  • I. Transnationale Unternehmen, nationales Arbeitsrecht
  • II. Verbindliches Recht aus freiwilliger Selbstverpflichtung
  • III. Rahmen der Untersuchung
  • 1. Teil – Überblick zum Institut der International Framework Agreements
  • § 2 International Framework Agreements als Instrument der Corporate Social Responsibility
  • I. IFA als Soft Law
  • 1. Einordnung in das System der Corporate Social Responsibility
  • a. IFA als Ausdruck von Corporate Social Responsibility
  • b. Abgrenzung zu anderen Instrumenten der CSR
  • 2. Verhältnis zur staatlichen Normsetzung
  • a. Abgrenzung zur staatlichen Normsetzung
  • b. Berührungspunkte
  • c. Referenzobjekte
  • aa. ILO-Übereinkommen
  • bb. Global-Compact der Vereinten Nationen
  • cc. OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen
  • dd. Weitere Referenzobjekte
  • 3. Entwicklung und Verbreitung
  • a. Historische Entwicklung
  • b. Geographische Verbreitung
  • c. Verbreitung nach Branchen
  • 4. Parteien und Parteiinteressen
  • a. Vertretung auf Arbeitgeberseite
  • b. Vertretung auf Arbeitnehmerseite
  • 5. Charakteristische Inhalte und Klauseln
  • a. Verbot von Pflicht- und Zwangsarbeit
  • b. Kinderarbeit
  • c. Gebot der Gleichbehandlung
  • d. Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen
  • e. Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
  • f. Angemessene Vergütung und Mindestlohn
  • g. Arbeitnehmerkollektivrechte und Rechte der Gewerkschaft
  • h. Fortbildung
  • i. Sonstige
  • 6. Implementierung und Verstoß
  • a. Anwendungsbereich der IFA
  • aa. Räumlicher Anwendungsbereich
  • bb. Sachlicher Anwendungsbereich
  • (1) Unternehmensgruppe
  • (2) Zulieferer und Subunternehmer
  • b. Implementierung und Durchsetzung der IFA
  • aa. Rahmenvertragliche Implementierungs-, Kontroll- und Konfliktlösungsmodelle
  • (1) Information
  • (2) Implementierung – Verantwortung, Verfahren, Training
  • (3) Auditing und Monitoring mit und ohne Gewerkschaftsbeteiligung
  • (4) Verfahren im Compliance-Fall
  • bb. Implementierung und Durchsetzung in der Praxis
  • (1) Erste Untersuchungen zur Wirkung der IFA
  • (2) Konfliktfälle und -austragung
  • II. Ordnungsversuche
  • III. Ausblick auf die qualitative und geographische Tendenz des Instituts
  • § 3 IFA in Nordamerika
  • I. Rezeption der IFA in Kanada
  • 1. Rechte aus IFA
  • 2. Möglichkeit privatrechtlicher Ansprüche aus Vertrag und Delikt
  • 3. Ansprüche und Haftung von Vertragsdritten
  • 4. Zuständigkeit kanadischer Gerichte und anwendbares Recht
  • 5. Durchsetzung nach kanadischem Arbeitsrecht
  • 6. Fazit
  • II. Rezeption der IFA in den USA
  • 1. Durchsetzbarkeit nach Bundesrecht
  • a. Betriebsverfassungsgesetz – Labor Management Relation Act
  • b. Zugang zu den Bundesgerichten
  • 2. Durchsetzbarkeit nach dem Recht der Bundesstaaten
  • a. Vertragsrecht
  • aa. Materielle Anspruchsvoraussetzungen
  • bb. Prozessuale Voraussetzungen
  • cc. Rechtsbehelfe und Rechtswahl
  • dd. Grenzen der Vertragsfreiheit
  • ee. Rechte auf Unternehmensseite
  • b. Verbraucherschutzrecht
  • c. Anlegerschutzrecht
  • 3. Durchsetzbarkeit der IFA im Wege des Arbeitskampfes
  • 4. Fazit
  • 2. Teil – Rechtliche Einordnung des Instituts der International Framework Agreements
  • § 4 Positive Justiziabilität der Klauseln
  • I. Rechtliche Verbindlichkeit
  • 1. Grundlagen des Kollisionsrecht
  • a. Qualifikation
  • b. Funktionale Auslegung
  • c. Rechtsfortbildung der Kollisionsnormen
  • 2. Anwendbares Recht
  • a. Fehlende Internationale Rechtsgrundlage und Kollisionsnorm
  • b. Systematik der Artt 4 ff Rom I-VO
  • c. Subsumtion der IFA unter die Artt 3 ff Rom I-VO
  • aa. Spezielle Kollisionsnormen, Artt 5–8 Rom I-VO
  • bb. Das allgemeine Vertragsstatut nach Art 4 Rom I-VO
  • (1) Tatbestand des Art 4 Rom I-VO
  • (2) Funktionale Betrachtung
  • (3) Ergebnis
  • d. Objektive Anknüpfung nach Art 4 Rom I-VO
  • e. Möglichkeit der Rechtswahl
  • f. Anwendbarkeit der Rom I-VO
  • 3. Anwendung deutschen Rechts
  • 4. Rechtsnatur der Rahmenrechtsvereinbarungen zwischen Normenvertrag, Schuldvertrag und atypischer Schuldvereinbarung
  • a. Inhalt und Wortlaut
  • aa. Erklärungsgehalt der IFA
  • bb. Kündigungsklauseln und Konfliktfallregelungen
  • b. Kontext und Form
  • aa. Unternehmerische Motivation zum Vertragsschluss
  • bb. Fehlende Gegenseitigkeit
  • cc. Fehlende Vertretungsberechtigung, fehlender Vertragspartner
  • dd. Schriftform
  • c. Zusammenfassung und Ergebnis
  • II. Rechtliche Rahmenvorgaben
  • 3. Teil – Mittelbare Rechtswirkungen der International Framework Agreements
  • § 5 Kommunikation der IFA im Markt
  • § 6 Ansprüche von Konsumenten
  • I. Anspruch aus Sachmängelgewährleistungsrecht, § 433 Abs 2 BGB
  • 1. Sachmangel
  • a. Begriff vor der Schuldrechtsreform
  • b. Begriff nach der Schuldrechtsreform
  • c. Produktionsaussagen und Beschaffenheitsbegriff
  • 2. Öffentliche Äußerung, insbesondere Werbung
  • 3. Fazit
  • II. Anspruch aus cic, § 311 Abs 2 BGB
  • 1. Geschäftlicher oder geschäftsähnlicher Kontakt
  • 2. Pflichtverletzung
  • 3. Fazit
  • III. Anfechtung
  • 1. Arglistige Täuschung, § 123 BGB
  • 2. Irrtumsanfechtung, § 119 BGB
  • 3. Fazit
  • IV. Ansprüche aus Delikt
  • 1. Anspruch aus § 823 Abs 1 BGB
  • 2. Anspruch aus § 823 Abs 2 BGB
  • 3. Fazit
  • § 7 Ansprüche von Mitbewerbern
  • I. Lauterkeitsrecht – Verbot unlauterer geschäftlicher Handlungen, § 3 UWG
  • 1. Geschäftliche Handlung
  • 2. Unlautere Handlung
  • a. Unlauterkeit nach § 3 Abs 3 UWG iVm Anhang Nr 1 und 3 – die ‚schwarze Liste’
  • b. Unlauterkeit nach § 4 Nr 11 UWG – Rechtsbruch
  • aa. Die IFA als gesetzliche Vorschrift im Sinne des § 4 Nr 11 UWG
  • bb. Rechtsbruch bei Verletzung einer ILO-Kernarbeitsnorm iVm einem IFA
  • (1) ILO-Kernarbeitsnormen als gesetzliche Vorschrift im Sinne des § 4 Nr 11 UWG
  • (a) Inländische Vorschrift
  • (b) Ausländische Vorschrift
  • (2) Vertragliche statt gesetzlicher Bindung
  • (3) Marktrelevante Verhaltensregel
  • c. Unlauterkeit nach § 5 Abs 1 UWG – Irreführende Geschäftshandlung
  • aa. Irreführende geschäftliche Angabe
  • bb. Unwahre Angabe über die Einhaltung eines Verhaltenskodexes
  • (1) IFA – Absichtserklärung oder Verhaltenskodex
  • (2) Irreführende Angabe
  • cc. Unwahre Angabe nach § 5 Abs 1 S 2 Nr 1 oder § 3 UWG
  • d. Unlauterkeit nach § 3 Abs 2 UWG
  • 3. Bagatell- und Spürbarkeitsklausel des § 3 UWG
  • a. Spürbarkeitsgrenze und Relevanzerfordernis nach § 3 Abs 1 UWG
  • aa. Relevanzerfordernis
  • bb. Spürbarkeitsklausel
  • b. Relevanzerfordernis nach § 3 Abs 2 UWG
  • 4. Rechtsfolgen
  • a. Beseitigung und Unterlassung, § 8 UWG
  • aa. Haftung für die unlautere Wettbewerbshandlung
  • bb. Haftung für die Nichteinhaltung des Kodexes
  • cc. Folge: Abwehranspruch aus § 8 UWG
  • b. Schadenersatzanspruch aus § 9 UWG
  • c. Gewinnabschöpfung aus § 10 UWG
  • 5. Fazit
  • II. Ansprüche aus Delikt
  • 1. Anspruch aus § 823 Abs 1 BGB
  • 2. Anspruch aus § 823 Abs 2 BGB
  • 3. Fazit
  • § 8 Ansprüche der Parteien im Arbeitsrecht
  • I. Ansprüche von Arbeitnehmern
  • 1. Vertragliche Ansprüche
  • a. Direkte Ansprüche
  • b. Schuldrechtlich-mittelbare Begünstigung der Arbeitnehmer
  • aa. Koalitionenvertrag zu Gunsten Dritter, § 328 BGB
  • bb. Schuldrechtlicher Normenvertrag
  • c. Arbeitsrechtliche Begünstigung von Arbeitnehmern
  • aa. Gesamtzusage
  • bb. Arbeitsvertragliche Einheitsregelung
  • cc. Ansprüche aus betrieblicher Übung
  • (1) Das IFA als Rechtsscheinträger
  • (2) Leistung aus dem IFA
  • II. Ansprüche von Tarifpartnern
  • 1. IFA als Grundlage nationaler Tarifverhandlungen
  • a. Verweigerung nachgehender Kollektivverhandlungen
  • aa. Verbot widersprüchlichen Verhaltens, § 242 BGB
  • bb. Vertrauenshaftung aus culpa in contrahendo
  • b. Inhaltliche Bindung
  • 2. Fazit
  • § 9 Sonstige Wirkung – IFA und Generalklauseln
  • I. Generalklauseln als Einfallstor außerrechtlicher Wertungen
  • 1. Konkretisierung lauterkeitsrechtlicher Generalklauseln
  • 2. Konkretisierung arbeitsrechtlicher Generalklauseln
  • II. Fazit
  • 4. Teil – Schlussbetrachtung
  • § 10 Zusammenfassung der Untersuchung
  • I. Erster Teil – Überblick
  • II. Rechtliche Einordnung
  • III. Rechtswirkungen
  • 1. Ansprüche durch Konsumenten
  • 2. Ansprüche von Mitbewerbern
  • 3. Ansprüche der Parteien im Arbeitsrecht
  • 4. Sonstige Wirkungen
  • § 11 International Framework Agreements – Ausblick
  • Literaturverzeichnis

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§ 1 International Framework Agreements – Neue Wege im Sozialen Dialog

I. Transnationale Unternehmen, nationales Arbeitsrecht

November 2012: In Bangladesch brennt eine Textilfabrik, 112 Menschen sterben.1 April 2013: In Bangladesch bricht eine Textilfabrik zusammen, über 400 Arbeiterinnen sterben.2 In den Medien kursieren die Namen der Auftragsfirmen: C&A, Gap, KIK, Benetton, Primark und andere.3 Es handelt sich um namhafte europäische und nordamerikanische Modeketten, die in dem Entwicklungsland für den westlichen Verbrauchermarkt produzieren lassen.4 Die angeprangerten Unternehmen delegieren die Schuld wahlweise an den Zulieferer, auf den sie keinen Einfluss ausüben können, oder an die Konsumenten, die nach billig produzierter Mode verlangen.

Die Vielzahl solcher Meldungen verbietet die Annahme tragischer Einzelfälle; vielmehr legt sie strukturelle Missstände nahe. Genauso wenig handelt es sich um ein branchenspezifisches Problem der Textilproduktion. Vergleichbare Vorkommnisse und die dahinterliegenden Strukturen und Interessenlagen sind etwa genauso in der Lebensmittelproduktion und in der Schwerindustrie zu finden.5 ← 15 | 16 → Auch sind mangelnde Sicherheitsvorkehrungen und schlechte Arbeitsbedingungen nur eine Facette einer Arbeitswelt, in der Arbeitnehmerrechte und -bedürfnisse konsequent ausgeblendet werden. Gründe für das weltweite Phänomen sind ein immer stärkerer Wettbewerbs- und Kostendruck, der Massenproduktion und eine Aufsplittung der Produktionsverfahren befördert. Unternehmerische Sozialverantwortung zerstreut sich – bildlich und im Wortsinn. Eine Entwicklung, die zugleich Motor und Produkt des Globalisierungsprozesses ist.

Ein Globalisierungsprozess, der in Wirtschaft und Politik ungleich schnell voranschreitet. Während Unternehmen sich global orientieren und die Vorzüge einer zusammenwachsenden Welt für sich zu nutzen wissen, hat die weltweite Entwicklung die einzelnen Staaten überholt. Sie haben die Internationalisierung vor Augen und bleiben doch im nationalen Denken verhaftet. Sie klammern sich an ihren Hoheitsanspruch und verhindern auf diese Weise international bindende Regelungen, die die Unternehmen in die Verantwortung zwingen.6

Dabei ist dieser Hoheitsanspruch längst in Frage gestellt. Das passiv reagierende Handeln der Staaten führt zu einer Umkehrung des Machtverhältnisses von Unternehmen und Staat. Wenn Unternehmen heute transnational agieren können, kommt der Rechtsordnung eines auf sein Staatsgebiet begrenzten Nationalstaats allenfalls Angebotscharakter zu. Solange ein international einheitliches Arbeitsstatut fehlt, werden sich Unternehmen den zwingenden Vorschriften durch freie Standortwahl entziehen können. Die Staaten finden sich im gegenseitigen Wettbewerb um Investitionen und Arbeitsplätze wieder.7

Das Ergebnis lässt sich an Meldungen, wie denen aus Bangladesch ablesen, die stellvertretend für zahlreiche ähnliche Berichte aus Schwellen- und Entwicklungsländern, den Produktionsstätten der Welt, stehen. Bei der Forderung nach Abhilfe und weltweiter Sicherung sozialer Mindestarbeitsstandards ist der Ruf nach dem Staat auffällig leise. Vielmehr wendet sich die öffentliche Debatte neben Apellen an die Verbraucher, ihr Konsumverhalten nach sozialen Belangen und an Nachhaltigkeitsgedanken auszurichten, direkt an die Unternehmen: Grenzüberschreitend agierende Unternehmen sollen ihrer Sozialverantwortung gerecht werden, Selbstverpflichtungen eingehen und diese einhalten.8 ← 16 | 17 →

II. Verbindliches Recht aus freiwilliger Selbstverpflichtung

Die International Framework Agreements (IFA), Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind ein Instrument unternehmerischer Selbstverpflichtung, – jedoch nicht nur. Es kann zugleich von einer gesellschaftspolitischen Initiative gesprochen werden, insofern als die IFA maßgeblich auf das Engagement globaler Gewerkschaften zurückgehen. Hierin liegen eine definitorische Besonderheit und ein Abgrenzungsmerkmal der Rahmenvereinbarungen gegenüber einseitigen Verhaltenskodizes: IFA werden im Dialog der Vertragspartner verhandelt. Sie sind durch Beidseitigkeit geprägt.9 Vertragspartner sind multinationale Unternehmen und globale Gewerkschaften.10

Während das Instrument der einseitigen Verhaltenskodizes bereits etablierter Teil der Unternehmenskultur ist und eine entsprechende Beachtung in der Rechtsliteratur gefunden hat,11 ist die Selbstbindung der Unternehmen über IFA eine neuere, vor allem aber rechtlich weitgehend unbeleuchtete Erscheinung.12 Politisch sind die Bedeutung und das Potenzial der IFA dagegen erkannt. Ein Zeugnis ist das intensive Engagement, mit dem sich die Europäische Union dem Instrument seit 2008 widmet.13 Die politische Aufmerksamkeit scheint gut ← 17 | 18 → ­begründet: Die IFA heben die Bemühungen um nichtstaatliche Sicherung und Festschreibung von Arbeitnehmerrechten und Grundsätzen unternehmerisch verantwortungsvollen Handelns auf eine neue Ebene. Die Einbeziehung eines Verhandlungspartners aus dem Interessenkreis der Arbeitnehmer gibt den formulierten Normen eine neue Legitimationsquelle und verleiht dem unternehmerischen Engagement Glaubwürdigkeit.14 Gerade dieses Unterscheidungsmerkmal ist es auch, das dem Institut eine andere rechtliche Qualität gibt, die zu einer unterschiedlichen rechtlichen Bewertung führen muss.

III. Rahmen der Untersuchung

Neben der Bestandsaufnahme zum Instrument der IFA und der Analyse der bestehenden Texte, widmet sich die Dissertation im Schwerpunkt der Frage nach der rechtlichen Qualität und Bewertung der IFA. Die Komplexität der Antwort ergibt sich wesentlich aus zwei Punkten: Die IFA haben oftmals den Anspruch grenzüberschreitender Wirkung, was grundlegend die Frage nach dem anzuwendenden Recht aufwirft. Die rechtlichen Besonderheiten der IFA lassen eine Subsumtion unter die bestehenden Kollisionsnormen nicht unproblematisch erscheinen. Es muss untersucht werden, inwieweit bekannte Handlungsformen des Arbeitsrechts, die in rechtlicher Nähe zu den IFA stehen, als Referenz herangezogen werden können.15

Die bestehenden international privatrechtlichen Normen können damit nur Ausgangs- und Anhaltspunkt einer wissenschaftlichen Untersuchung der anzuwendenden Rechtsgrundlage sein, will man dem Institut gerecht werden und seine Rechtsnatur erfassen.16 Diese kann darauf aufbauend bestimmt werden.

Das zweite Merkmal, das die IFA an rechtlicher Komplexität gewinnen lässt und die Überlegung nahe legt, ihre Rechtswirkungen nicht allein innerhalb der Vertragsverhältnisse zu suchen, liegt in der Tatsache begründet, dass sie sich regelmäßig an einen breiteren Kreis richten: Über den relativ engen Kreis der Verhandlungspartner hinaus werden Arbeitnehmer und Zulieferer eingebunden. Die Veröffentlichung der Vereinbarungen als Teil der Unternehmensdarstellung spricht Kunden an und fordert Wettbewerber heraus. Die Unternehmen ­erwecken ← 18 | 19 → und beanspruchen Vertrauen – ein Anknüpfungspunkt für Rechtsfolgen in fast allen Rechtsordnungen und Ausgangspunkt des Untersuchungsschwerpunktes dieser Arbeit.17

Für den Schutz der Kundeninteressen, der arbeitnehmerseitigen Interessen und der Interessen der Wettbewerber über das Schuld-, Delikts-, Arbeits- und Wettbewerbsrecht hinaus ist die entscheidende Frage, ob die IFA sich in ihrer Rechtsnatur und nach der tatsächlichen Praxis unter die Rechtsbegriffe der Ordnungen fügen oder zumindest im Wege der Auslegung davon erfasst sein müssen.

Die Antwort auf diese Fragen betrifft nicht nur unmittelbar die angesprochenen Personenkreise. Sie gewinnt ihre Bedeutung vor allem, indem sie mittelbare Wirkungen auf die Praxis der IFA nahe legt und dadurch eine Aussage zur mittelfristigen Entwicklung des Instruments zulässt: Folgt aus der Verantwortung eine Haftung der Unternehmen, wird dieser Umstand unweigerlich Auswirkung auf die weitere Ausbreitung und inhaltliche Entwicklung des Instruments nichtstaatlicher Rechtsetzung haben.18 In Anbetracht der eingangs dargestellten Verflechtung mit der staatlichen Rechtsetzung und der Frage eines völkerrechtlichen Arbeitsrechts wird die politische Dimension der Frage erkennbar.

1 ‚Geiz tötet‘ von Gisela Burckhardt, DIE ZEIT vom 2.5.2013, 11.

2 ‚Geiz tötet‘ von Gisela Burckhardt, DIE ZEIT vom 2.5.2013, 11.

3 Pressemitteilung vom 10.5.2013 der Kampagne für saubere Kleidung, abrufbar unter http://www.saubere-kleidung.de/index.php/eilaktionen/faelle/270-pm-rana-abkommen-unterzeichnen, zuletzt abgerufen: 11.7.2013; aufgegriffen etwa in ‚Der Druck auf Modemarken steigt‘ von Monika Pilath über zeit.de vom 10.5.2013, abrufbar unter http://www.zeit.de/wirtschaft/2013-05/Banladesch-Petitionen-Brandschutz, zuletzt abgerufen: 11.7.2013.

4 dpa-Meldung über zeit.de vom 28.04.2013 unter http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-04/bangladesch-festnahmen-textilfabrik, zuletzt abgerufen: 11.7.2013.

5 lange stand etwa Chiquita aufgrund fataler Arbeitsbedingungen im Fokus der Öffentlichkeit, siehe ‚Chiquita-Going Green or Greenwashing Corporate Crime?‘ von Michael Jessen über organicconsumers.org vom 6.2.2001, abrufbar unter http://www.organicconsumers.org/Organic/chiquita.cfm, zuletzt abgerufen: 11.7.2013 oder ‚Vom bösen Ausbeuter zum guten Unternehmer‘ von Timo Lindemman über stern.de vom 19.10.2005, abrufbar unter http://www.stern.de/wirtschaft/news/unternehmen/chiquita-vom-boesen-ausbeuter-zum-guten-unternehmer-547996.html, zuletzt abgerufen: 11.7.2013.

6 ganzer Absatz nach Krebber EuZA 2008, Teil 1, 141.

7 Ganzer Absatz nach Krebber EuZA 2008, Teil 1, 141, 141f.

8 ‚Geiz tötet‘ von Gisela Burckhardt, DIE ZEIT vom 2.5.2013, 11; Sibylle Haas über sueddeutsche.de vom 5.5.2013, abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/textilindustrie-in-bangladesch-blut-klamotten-aus-arbeit-ohne-wuerde-1.1664831, zuletzt abgerufen: 11.7.2013; Stefan Kuzmany über spiegel.de vom 27.11.2012, abrufbar unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/kommentar-zum-brand-in-textilfabrik-brennende-gier-a-869609.html, zuletzt abgerufen: 11.7.2013.

9 zur besonderen Struktur der IFA und deren Bedeutung für den Erfolg der vereinbarten Ziele siehe auch Kocher WSI-Mitteilungen 4/2008, 198, 198ff.

10 Eine weitere Definition, die auch die Europäische Union verwendet, subsumiert alle zweiseitigen Vereinbarungen unter den Begriff der Internationalen Rahmenabkommen. Über die Abkommen zwischen globalen Gewerkschaften und transnational agierenden Unternehmen hinaus, werden so auch die Verträge, die mit europäischen Betriebsräten verhandelt werden, erfasst. Diese weisen regelmäßig jedoch keinen internationalen Anwendungsbereich auf und haben nach Ziel und Aufgabe der Europäischen Betriebsräte eine andere Regelungsrichtung. Die Arbeit beschäftigt sich deshalb allein mit den IFA im engeren Sinn, die Instrument der globalen Gewerkschaften und Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung sind. Eingehendere Untersuchungen zu IFA im weiteren Sinne finden sich im Report – Expert Group – Transnational Company Agreements vom 31.1.2012 abrufbar unter http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=707&langId=en&intPageId=214, zuletzt abgerufen: 11.7.2013.

11 siehe eingehend: Meyer NJW 2006, 3605; Borgman NZA 2003, 352; Fahrig NJOZ 2010, 975.

12 Thüsing RdA 2010, 78 mit einer Zusammenstellung der bisherigen Veröffentlichungen zum Thema IFA.

13 mit dem Arbeitsdokument ‘The role of transnational company agreements in the context of increasing international integration’ (SEC(2008) 2155) und einer Analyse existierender IFA (European Commission: Mapping of transnational texts negotiated at corporate level, EMPL F2 EP/bp 2008 (D) 14511) wurde 2008 die Einsetzung einer Sachverständigengruppe angekündigt; siehe ausführlicher § 2 I.1.a.

Details

Seiten
233
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653056051
ISBN (ePUB)
9783653964844
ISBN (MOBI)
9783653964837
ISBN (Hardcover)
9783631664421
DOI
10.3726/978-3-653-05605-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Mai)
Schlagworte
Arbeitsrecht Internationale Gewerkschaften Corporate Social Responsibility Globalisierung Internationale Arbeitsbedingungen
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 233 S.

Biographische Angaben

Elisa Theresa Hauch (Autor:in)

Elisa Theresa Hauch hat in Bonn, Lausanne und Berlin Jura studiert. In dieser Zeit war sie Stipendiatin der Begabtenförderung sowie der Promotionsförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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Titel: International Framework Agreements
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