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Die Legitimation der Medien nach dem Grundgesetz

Zur verfassungsrechtlichen Stellung von Rundfunk und Presse im Zeitalter von Social Media

von Freya Gräfin Kerssenbrock (Autor:in)
©2015 Dissertation X, 174 Seiten

Zusammenfassung

Freya Gräfin Kerssenbrock geht der sehr aktuellen Frage nach der Rolle der Medien in einer digitalen Demokratie nach. Das Internet hat die Möglichkeiten der Kommunikation für immer verändert. Rundfunk und Presse stehen heute schnellere und vielfältigere Mittel zur Verfügung, Nachrichten zu verbreiten, als jemals zuvor. Doch wie verändert diese Entwicklung das Versprechen des Grundgesetzes auf Presse- und Rundfunkfreiheit? Wo liegt die Verantwortung der Medien bei der Herstellung demokratischer Öffentlichkeit, wenn sie via Internet und Smartphone jederzeit Informationen verbreiten können? Artikel 5 des Grundgesetzes gewährleistet die Freiheit von Presse und Rundfunk. Die Autorin zeigt die neuen Herausforderungen und Chancen auf, die Konvergenz und Social Media Web für diese Gewährleistung darstellen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Vorwort
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einführung
  • I. Medienkampagnen
  • II. Fragestellung und Zielsetzung
  • B. Voruntersuchung: Der Begriff der Medien im verfassungsrechtlichen Sinn
  • I. Die beiden Sätze des Art. 5 I
  • II. Abgrenzungskriterium
  • III. Rundfunk
  • 1. Rundfunkbegriff
  • 2. Dienende Freiheit und positive Ordnung
  • IV. Presse
  • 1. Der herkömmliche Pressebegriff
  • 2. Privileg der Presse
  • 3. Konvergenz der Medien
  • a) Weiter Pressebegriff
  • b) Einheitliches Mediengrundrecht
  • V. Film
  • VI. Das Internet und Social Media
  • 1. Nutzergenerierter Inhalt
  • 2. Massenkommunikation und Social Media
  • 3. Eigener Ansatz
  • a) Objektiver Ansatz
  • b) Subjektiver Ansatz
  • VII. Zwischenergebnis
  • C. Medien und Demokratie
  • I. Medien und das Demokratieprinzip
  • 1. Das Verhältnis zwischen Art. 5 I GG und Art. 38 I 2 GG
  • a) Der Abgeordnete und die Fraktion
  • b) Der Abgeordnete und die Medien
  • (1) Entparlamentisierung
  • (2) Fallbeispiele
  • (3) Das Diätenurteil des BVerfG 1975
  • 2. Zwischenergebnis
  • II. Medien und Staatsgewalt
  • 1. Öffentliche Meinung und Staatsgewalt
  • a) Öffentliche Aufgabe der Medien
  • (1) Presse
  • (2) Rundfunk
  • (3) Stellungnahme
  • b) Zwischenergebnis
  • c) Staatsfreiheit
  • (1) Gebot der Staatsfreiheit
  • (2) Parteien und Medien
  • (a) Kontrolle
  • (b) Parteien und Presse
  • (3) Zwischenergebnis
  • III. Social Media Web und Demokratie
  • IV. Fazit
  • D. Legitimation der Medien
  • I. Legitimationsprinzipien nach dem Grundgesetz
  • 1. Personelle Legitimation
  • 2. Sachliche Legitimation
  • 3. Institutionelle Legitimation
  • 4. Verfassungsrechtliche Legalität
  • a) § 2 PartG
  • b) Verfassungsrechtliche Vorgaben aus Art. 5 I S. 2
  • (1) Meinungsvielfalt
  • (2) Medienübergreifender Prüfungsmaßstab
  • II. Zur Legitimation von Rundfunk und Presse
  • 1. Zur Legitimation des Rundfunks
  • 2. Zur Legitimation der Presse
  • E. Legitimation im Zeitalter des Social Media Web
  • I. Neue Kommunikation im Zeitalter des Social Media Web
  • a) Konvergenz der Medien
  • b) Social Media
  • II. Neue Rolle der Medien
  • a) Rundfunk
  • b) Presse
  • III. Neue Ansätze
  • 1. Pressefreiheit eine dienende Freiheit?
  • 2. Einheitliches Mediengrundrecht als dienende Freiheit
  • F. Ergebnis
  • Literaturverzeichnis
  • Rechtsprechungsübersicht
  • Studien zum deutschen und europäischen Medienrecht

← x | 1 → A. Einführung

„Geben Sie Gedankenfreiheit“, fordert der Marquis von Posa in Friedrich Schillers „Don Carlos“.1 Mit diesem Aufruf verlangt der junge Malteserritter vom König von Spanien nicht weniger als eine der Grundfesten einer freiheitlichen Gesellschaft. Gedankenfreiheit ist auch immer die Freiheit, sich seine Gedanken individuell und selbstständig bilden zu können.2 Denn bevor man eine Meinung äußern oder sich auch nur bilden kann, muss die Freiheit bestehen, zu denken – oder auch nicht zu denken – was man möchte.

Die Freiheit der Meinung ist ein Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft.3 Somit bekommt die vorgelagerte Gedankenfreiheit für das Demokratieprinzip entscheidende Bedeutung. Ohne die Freiheit des Volkes, sich seine Gedanken und seine Meinungen frei bilden zu können, ist eine Herrschaft des Volkes ausgeschlossen.4

Das Grundgesetz garantiert nicht nur die Freiheit gegenüber dem Staat, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten. Um vollständige Kommunikation zu gewährleisten, räumt es auch das Recht ein, sich umfassend zu informieren und sich so seine Meinung frei bilden zu können.5 Art. 5 GG6 schützt als zentrales Gut die Meinungsbildungsfreiheit.7 Doch das Grundgesetz kann zunächst nur den Schutz dieser Freiheit gegen staatliche Beschränkungen gewährleisten. Denn wie alle Grundrechte ist Art. 5 zunächst ein Abwehrrecht des Einzelnen gegen den Staat.8

Die konkrete Ausübung der Meinungsbildungsfreiheit wird heutzutage aber nicht mehr primär von staatlichen Einflüssen bestimmt. Die öffentliche Meinungsbildung wird von Kräften gelenkt, die unmittelbar selbst in der Gesellschaft und nicht im Staat wurzeln. Die Gesellschaft bestimmt darüber, welche Meinung frei gesagt werden kann und welche nicht. Sie erzeugt eine „soziale Kontrolle“ der geäußerten Meinungen zur Herstellung von gesellschaftlichem Konsens. Dies ← 1 | 2 → geht so weit, dass 41 % der befragten Teilnehmer einer repräsentativen Umfrage durch das Institut für Demoskopie Allensbach der Ansicht waren, dass es Themen gibt, zu denen man nicht das sagen darf, was man wirklich denkt, obwohl das Grundgesetz ihnen umfassende Meinungsfreiheit gibt.9

Doch wenn es tatsächlich so ist, dass die Gesellschaft die Grenzen der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit bestimmt, stellt sich die Frage, wie sie das tut. Eine Kraft in diesem Bereich sind die Parteien, die schon verfassungsrechtlich angehalten sind, an der öffentlichen Meinungsbildung mitzuwirken.10 Eine andere Kraft sind die Medien.11 Sie haben die Autorität, darüber zu bestimmen, welche Meinungen und Ansichten ein Abbild in ihren Angeboten finden und welche nicht. Doch ihr Einfluss beschränkt sich nicht darauf, dass sie nur darüber bestimmen, was gesagt wird und gesagt werden darf. Ihre besondere Rolle in einer demokratischen Gesellschaft bezieht sich auch darauf, dass sie eine besondere Suggestionskraft hinsichtlich der Meinungsbildung haben.12 Denn zur Bildung einer eigenen Meinung zählt auch, sich einen Überblick über die bestehenden Meinungen zu verschaffen, und zu entscheiden, ob man einer von diesen folgt. Mit anderen Worten beeinflussen sie nicht nur, was gesagt werden darf, sondern auch das, was gedacht wird. Sie tragen nicht nur Verantwortung für die Freiheit der Meinung, sondern auch für die Freiheit der Gedanken.13

I. Medienkampagnen

Eine von dieser Maßgabe getragene Betrachtung der Medien rücken einige „Kampagnen“ der letzten Jahre in den Fokus des Interesses. Kampagnen sind dabei eine Reihe von Medienerzeugnissen, die durch gezielte Berichterstattung zusammen ← 2 | 3 → ein gemeinsames politisches Ziel fördern sollen. Die öffentliche Meinungsbildung soll also in eine bestimmte Richtung gelenkt werden.14

Eine besonders auffällige Berichterstattung erfuhr etwa der Bau des neuen Bahnhofs in Stuttgart. Das als „Stuttgart 21“ bekannte Projekt stand insbesondere im Jahr 2010 im Zentrum bundesweiter Nachrichten. Hintergrund war der Baubeginn eines neuen Hauptbahnhofes in Stuttgart.15 Das Auffällige an der Berichterstattung war, dass sie Beschlüsse betraf, die längst getroffen worden waren. Das Planfeststellungsverfahren betreffend Stuttgart war 2005 abgeschlossen und 2007 rechtsgültig geworden.16 Am 12. Oktober 2006 hatte der Landtag von Baden-Württemberg einen Entschließungsantrag zur Realisierung des Bauprojektes angenommen.17 Mit diesem Beschluss bekam der Bau des neuen Bahnhofs demokratische Legitimität, vermittelt durch die vom Volk gewählten Repräsentanten im Landtag von Baden-Württemberg.

Dennoch entfaltete die Berichterstattung rund um das Projekt im Jahr 2010 bundesweite Relevanz. Der Hintergrund waren die starken Proteste im Schlosspark von Stuttgart, bei denen die Polizei teilweise gewaltsam einschreiten musste.18 Im Spiegel fand sich eine Stimme, die diese Proteste als einen „Segen für die Demokratie“ bezeichnete, weil sie den Bürgersinn der Menschen wieder beleben würden. Von einer Krise der repräsentativen Demokratie war die Rede, weil die ← 3 | 4 → Menschen ihr Vertrauen in ihre Vertreter verloren hätten.19 Die demokratisch legitimierte Entscheidung für den Bau des Bahnhofs war angesichts dieser Proteste nebensächlich. Es entstand der mediale Eindruck, dass die Mehrheit der Bevölkerung das Projekt stoppen wollte.20 Vor diesem Hintergrund wurde die Entscheidung für den Bau des Bahnhofs erneut auf den Prüfstand gestellt. Es kam am 27. November 2011 zum Volksentscheid über die Fortführung des Projekts durch das Land Baden-Württemberg. Mit 58,9 % der abgegebenen Stimmen wurde ein „Ausstieg“ aus dem Projekt abgelehnt.21 Im Ergebnis produzierten die Medien somit bundesweit einen falschen Eindruck. Und dennoch bewirkte unter anderem ihre intensive Berichterstattung in diesem Kontext, dass die Notwendigkeit eines Volksentscheides überhaupt gesehen wurde. Sie trugen maßgeblich dazu bei, dass eine demokratisch bereits legitimierte Entscheidung erneut überprüft wurde.

Eine weitere Reihe von Berichten, die Relevanz für das Verfassungsleben entfalteten, widmete sich dem ehemaligen Verteidigungsminister zu Guttenberg. Hier wurde zum ersten Mal deutlich, dass die Medien mit ihrem Einfluss auf das Verfassungsleben, den sie bereits in ihrer Berichterstattung zu Stuttgart 21 demonstriert hatten, nicht mehr über ein Monopol verfügten. Nach der Promotion in den Jahren 2000 bis 2007 durfte zu Guttenberg seit dem 28. Januar 2009 offiziell den Doktorgrad vor seinem Namen führen.22 Bereits im Sommer 2010 stieß ein Münsteraner Doktorand auf Textpassagen in der Dissertation des Ministers, die offensichtlich aus anderen Texten übernommen worden waren. Er verfasste einen Aufsatz darüber, der erst wesentlich später veröffentlich wurde. Der Doktorvater des Doktoranden hatte aufgrund der Brisanz des Vorwurfs von einer Veröffentlichung zunächst abgeraten.23 Im Februar 2011 stieß dann Andreas Fischer-Lescano auf Passagen, die ohne Quellenangaben aus anderen Texten stammten. Mit Hilfe der Suchmaschine Google prüfte er deren Herkunft und fand insgesamt neun Textstellen mit Plagiaten.24 Mit einem Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom ← 4 | 5 → 16. Februar 2011 begann die sogenannte „Plagiatsaffäre“ um den damaligen Verteidigungsminister. Nur einen Tag später wurde von einem anonymen Doktoranden die Online-Plattform GuttenPlag-Wiki gegründet.25 Hier konnte jedermann sich an der Suche nach weiteren Plagiaten in der Dissertation beteiligen. Journalisten und Privatpersonen überprüften daraufhin gemeinsam die Dissertation auf der Suche nach weiteren Plagiaten.26

Am 21. Februar 2011 veröffentlichte GuttenPlag-Wiki einen ersten Zwischenbericht, in dem verkündet wurde, dass 271 Seiten der Dissertation Plagiate aufwiesen und somit 68,96 % des Textes abgeschrieben worden war.27 Am Abend dieses Tages verkündete zu Guttenberg, dass er auf die Führung seines Doktortitels verzichten wolle.28 Am 1. März 2013 wurde ein zweiter Zwischenbericht auf GuttenPlag-Wiki veröffentlicht. In diesem hieß es, dass auf 324 Seiten Plagiate aufgefunden worden waren und sich somit auf 82 % aller Seiten Passagen befanden, die aus anderen Texten abgeschrieben worden seien, ohne dass eine Quelle angegeben worden sei. Am selben Tag erklärte zu Guttenberg seinen Rücktritt vom Amt des Verteidigungsministers.29

Während im sozialen Netzwerk des GuttenPlag-Wikis sich eine große Zahl von Privatpersonen an dem Versuch beteiligte, das Fehlverhalten des Verteidigungsministers außerhalb seiner Amtstätigkeit nachzuweisen, schilderte ein Medium immer wieder die große Zustimmung, die der Verteidigungsminister in der Bevölkerung genoss, und die Meinung, dass ein Rücktritt von zu Guttenberg von der öffentlichen Meinung als unnötig empfunden wurde.30 So berichtete die BILDZeitung, dass 222.175 (87 % der abgegebenen Stimmen per Telefon oder Telefax) ihrer Leser der Meinung seien, Freiherr von und zu Guttenberg sollte im Amt des Verteidigungsministers verbleiben. Gleichzeitig veröffentlichte sie zugesandte Lesermeinungen, in denen der Verteidigungsminister aufgefordert wurde, nicht ← 5 | 6 → zurückzutreten.31 Gegen diese Berichterstattung gab es heftige Kritik angesichts der Tatsache, dass die Mehrheiten beim „Guttenberg-Entscheid“ auf bild.de, der Online-Präsenz der Zeitung, anders verteilt waren. Von 640.000 abgegebenen Stimmen hatten lediglich 36 % dafür gestimmt, dass die Plagiate in der Dissertation keinen Rücktritt vom Amt rechtfertigen würden.32 Die Berichterstattung in der Printversion ignorierte somit die Tendenz, die online präsentiert wurde, um stattdessen die Botschaft an die Leser zu senden, dass der Verteidigungsminister noch immer auf eine breite Zustimmung in der Bevölkerung stieß.

An der medialen Abbildung, die diese Plagiatsaffäre fand, sind verschiedene Aspekte bemerkenswert. Offensichtlich ist hier die Diskrepanz zwischen Printund Onlinemedien. Ein redaktionell geführtes Printmedium entschied sich, das Ergebnis seines eigenen Online-Auftritts zu ignorieren, weil die Meinung, die sich dort widerspiegelte, nicht mit der Meinung der Redaktion im Einklang stand. Darüber hinaus spielten für das Verfassungsleben plötzlich soziale Netzwerke eine wichtige Rolle. Die herkömmliche Veröffentlichung eines Aufsatzes in einem Printmedium durch den Doktoranden Michael Schwarz war zuvor durch die Entscheidung seines Doktorvaters verhindert worden. Erst das Aufkommen des GuttenPlag-Wikis, einer Plattform, an der sich jeder ohne vorherige Genehmigung durch beispielsweise einen Redakteur beteiligen konnte, hatte die Plagiatsvorwürfe gegen den Verteidigungsminister endgültig erhärten können und letztlich zu seinem Rücktritt geführt. Ein demokratisch legitimierter Minister unterlag dem Druck einer öffentlichen Meinung, die maßgeblich durch die Berichterstattung nicht aus dem herkömmlichen Internet, sondern den neuen Diensten des Social Media Web geprägt worden war. Dieser Fall zeigt auf, dass die Bildung von Meinungen in der Demokratie durch ein neues Element der Beeinflussung ergänzt worden ist. Soziale Netzwerke, an denen jedermann sich ohne großen Aufwand beteiligen kann, sind als Faktor der öffentlichen Meinungsbildung neu aufgetreten.

Um die Macht der Medien in der heutigen Demokratie aufzuzeigen, darf eine Reihe von Berichten nicht unerwähnt bleiben, die ebenfalls in hohem Maße das Verfassungsleben beeinflusst haben. Am 30. Juni 2010 wurde Christian Wulff von der Bundesversammlung zum Bundespräsidenten gewählt. Er setzte sich damit erst im ← 6 | 7 → dritten Wahlgang gegen seinen Konkurrenten Joachim Gauck durch.33 Gauck war im Vorfeld von den Medien und besonders im Internet stark favorisiert worden.34 Allerdings sollte Christian Wulff insgesamt nur insgesamt 598 Tage das höchste Amt des Staates innehaben. Bereits am 17. Februar 2012 erklärte er seinen Rücktritt.35 Am 18. März 2012 wurde Joachim Gauck zu Wulffs Nachfolger gewählt.36

Seinem Rücktritt war die sogenannte „Kredit- und Medienaffäre“ vorausgegangen. Bei der Kreditaffäre ging es ursprünglich um einen Kredit, den Christian Wulff von Edith Geerkens zur Finanzierung seines Privathauses erhalten hatte. Die Berichterstattung um diesen Kredit und eine eventuelle Lüge des Bundespräsidenten als ehemaliger Ministerpräsident von Niedersachsen vor dem Landtag begann am 13. Dezember 2011, als die BILD-Zeitung einen entsprechenden Bericht veröffentlichte.37 Die Folge war eine breite Berichterstattung in den Medien über die angebliche Verschleierung des Kredits durch den Bundespräsidenten.38 Die Kreditaffäre wurde schließlich zu einer Medienaffäre, als bekannt wurde, dass Wulff am 12. Dezember 2011, also einen Tag vor Veröffentlichung des Berichts in der BILD zur Kreditaffäre, bei Kai Diekmann, dem Chefredakteur der BILD, und Mathias Döpfner, dem Vorstandsvorsitzenden des Axel-Springer-Verlages, anrief. Unter Androhung von Strafanzeigen habe er versucht, die Berichterstattung über den Kredit zu verhindern.39 Nachdem der mediale Druck auf den Bundespräsidenten immer größer geworden war, führte er mit ARD und ZDF am 4. Januar 2012 ein ← 7 | 8 → Interview im Fernsehen, um seine Sicht der Dinge zu schildern.40 Die Zustimmung der Bevölkerung zum Bundespräsidenten hatte bis zu diesem Zeitpunkt abgenommen. Nach Ausstrahlung des Interviews stieg sie wieder.41

Die Berichterstattung über verschiedene Vorwürfe, die dem Bundespräsidenten zur Last gelegt wurden – auch im Hinblick auf seinen Umgang mit den Medien –, riss jedoch nicht ab.42 Am 16. Februar beantragte die Staatsanwaltschaft Hannover die Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten.43 Sein Rücktritt folgte nur einen Tag später.

Die Berichterstattung sämtlicher Medien war letztlich kausal für den Rücktritt des Bundespräsidenten. Es ist nicht denkbar, dass der Bundespräsident ohne die anhaltende mediale Kritik zurückgetreten wäre.44 Obwohl zunächst nur ein Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft eingeleitet worden war, gab er sein Amt noch vor Ende der Legislaturperiode auf. Im März 2014 wurde Christian Wulff von den Vorwürfen der Vorteilsnahme freigesprochen.45 Es drängt sich daher die Frage auf, ob die Kritik der Medien tatsächlich und rechtmäßig einem Fehlverhalten des Bundespräsidenten galt und nicht vielmehr seiner – als Bundespräsident demokratisch legitimierten – Person.

Den Medien wurde nachgesagt, sie hätten einen Machtkampf gewonnen, indem sie Wulff zum Rücktritt gedrängt hätten.46 Vor dem Hintergrund dieses Machtkampfes wird ebenso die Frage gestellt, ob eine demokratische Kontrolle durch die Medien funktioniere oder aber eine Manipulation der Meinungsbildung durch sie stattfinde.47 Diese Fragestellung ist nicht unbegründet. Denn gerade vor dem Hintergrund, dass die Medien in all den vorgenannten Kampagnen demokratisch legitimierte Entscheidungen in Frage gestellt haben, muss die Frage gestellt werden: Handelten die Medien im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Legitimation?

← 8 | 9 → II. Fragestellung und Zielsetzung

Angesichts dieser Sachverhalte ist der Schluss zu ziehen, dass die Medien die „Macht“ haben, demokratisch legitimierte Entscheidungen nicht nur zu hinterfragen, sondern deren Aufhebung zu fördern, wenn nicht gar herbeizuführen. Dies führt zu der Frage, wie genau die Medien in das Geflecht der Staatsgewalten eingebunden sind. Sie werden mitunter als vierte Gewalt bezeichnet.48 Dieser Begriff ist zunächst auf seine verfassungsrechtliche Tauglichkeit zu überprüfen. Denn es gilt zu beachten, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgehen muss, Art. 20 II.49 Dies bedeutet konkret, dass, wenn die Medien als Staatsgewalt eingestuft werden würden, sie auch das Erfordernis demokratischer Legitimation treffen würde.50 Mit anderen Worten müssten die Tätigkeiten der Medien einem verfassungsrechtlichen Prüfmaßstab unterliegen, anhand dessen festgestellt werden kann, ob sie ihrer verfassungsrechtlichen Rolle angemessen entsprechen. Fraglich ist jedoch, woher ein solcher Prüfungsmaßstab herrührt und wie die Medien diesem entsprechen könnten. Denn es gilt zu beachten, dass die Freiheiten, die das Grundgesetz den Medien gewährt, eine besondere Rolle im Hinblick auf die Freiheit des Einzelnen einnehmen, seine Entscheidungen selbst zu treffen.51 Das zentrale Schutzgut des deutschen Kommunikationsverfassungsrechts stellt die Meinungsbildungsfreiheit dar. Diese wird wiederum maßgeblich davon geprägt, dass eine offene Diskussion durch die Abbildung von Meinungsvielfalt in den Medien stattfindet.52 Vielfalt bedingt also Freiheit.

Letztlich geht es um die Frage, ob, wenn festgestellt werden kann, dass die Medien erheblichen Einfluss auf das Verfassungsleben haben, sie ihre Meinungsmacht in Ausübung ihrer Grundrechte ungehindert ausüben können. Oder führt die besondere Verantwortung, die sie für die öffentliche Meinungsbildungsfreiheit haben, zu einer besonderen Gefahrenlage, die nach einem regulierenden Rahmen verlangt, der gewährleistet, dass die Medien ihrer verfassungsrechtlichen Verantwortung gerecht werden?

Ein solcher Rahmen unterläge wiederum mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen auf dem Medienmarkt ganz neuen Herausforderungen. So hat nicht nur das Internet mit seinen Diensten die Mediennutzung erheblich verändert, indem ← 9 | 10 → es Rundfunk und Presse gleichermaßen den Zugang zu seinen Diensten und neuen Verbreitungswegen zur Verfügung gestellt hat. Der Fall um den Rücktritt von Verteidigungsminister Freiherr von und zu Guttenberg zeigt wiederum, dass das Medienangebot um die Dienste des Social Media Web auch im Hinblick auf politische Meinungsbildung ergänzt worden ist. Dessen Auswirkungen auf die Medien und ihre verfassungsrechtliche Einordnung ist bei der Frage, welchem Maßstab die Medien für demokratische Legitimation unterliegen, von besonderer Bedeutung.

Die vorliegende Studie befasst sich mit der Frage der verfassungsrechtlichen Einordnung der Medien in eine moderne und digitale Demokratie. Stellen Medien eine Gefahr für die Demokratie dar? Sind sie gar als eine Staatsgewalt einzustufen und müssen sie sich deshalb besonderen Anforderungen demokratischer Legitimation stellen? Oder bedingt ihre besondere verfassungsrechtliche Rolle, dass ihnen ein gesetzlicher Rahmen gesetzt werden muss, damit sie keine Gefahr für die Demokratie darstellen, sondern diese ermöglichen, fördern und insbesondere auch schützen? Welche Veränderungen bringen das Internet und das aufkommende Social Media Web mit sich, wenn neuerdings jedermann die Massen erreichen und auch beeinflussen kann? Zu diesem Zweck wird im Folgenden zunächst der Frage nachgegangen, was sich hinter dem Begriff der Medien im verfassungsrechtlichen Sinn verbirgt und welche Kommunikationsarten Art. 5 I S. 2 zuzuordnen sind. Im Anschluss ist das Verhältnis zwischen Medien und Demokratie beziehungsweise die von der Verfassung vorgesehene Rolle der Medien in der Bundesrepublik genauer zu betrachten. Hierbei wird insbesondere auf das besondere Verhältnis der Medien zur Staatsgewalt eingegangen und die Frage untersucht, ob die Medien eine öffentliche Aufgabe im verfassungsrechtlichen Sinn erfüllen sollen. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wird die Frage gestellt, ob und in welcher Form den Medien verfassungsrechtliche Legitimation zukommt. Dazu werden die bislang geltenden legitimierenden Umstände untersucht und sogleich geprüft, ob diese Umstände im Zeitalter des Social Media Web noch Gültigkeit haben. Sodann werden neue Ansätze vorgestellt, die eine verfassungsrechtliche Legitimation der Medien auch im Zeitalter des Social Media Web sicherstellen können.

____________________

1       Schiller, Don Carlos – Infant von Spanien, Dritter Akt, Zehnter Auftritt, Vers 3123 f.

Details

Seiten
X, 174
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653055856
ISBN (ePUB)
9783653965025
ISBN (MOBI)
9783653965018
ISBN (Hardcover)
9783631664308
DOI
10.3726/978-3-653-05585-6
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (März)
Schlagworte
Social Media Web Pressefreiheit Meinungsfreiheit Grundrechte Neue Kommunikation
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. X, 174 S.

Biographische Angaben

Freya Gräfin Kerssenbrock (Autor:in)

Freya Gräfin Kerssenbrock ist Volljuristin. Nach ihrer Schulausbildung in Kiel, Willoughby/USA und Kronshagen studierte sie Rechtswissenschaften in Kiel. Ihr Referendariat absolvierte sie am Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg.

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