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Metaphern zur Dehumanisierung von Feindbildern

Eine korpuslinguistische Untersuchung zum Sprachgebrauch in rechtsextremen Musikszenen

von Alexa Mathias (Autor:in)
©2015 Dissertation 336 Seiten
Reihe: Sprache in der Gesellschaft, Band 33

Zusammenfassung

Die Autorin untersucht die Texte rechtsextremer Bands und Sänger/-innen. Beim Erstkontakt Jugendlicher mit der rechtsextremen Szene ist die Musik häufig «Einstiegsdroge Nr. 1». Die Liedtexte vermitteln die rechtsextreme Ideologie auf wirkungskräftige Weise; dies kann auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen beschrieben werden. Das Buch zeigt am Beispiel metaphorischer Ausdrucksformen, wie die rechtsextreme Ingroup Abwertungsstrategien gegenüber den von ihnen abgelehnten Outgroups sprachlich vollzieht. Auf Basis von über 5500 Texten wird deutlich, wie ganze soziale Gruppen von der rechtsextremen Szene als nichtmenschliche Entitäten konzipiert werden. Die spezifischen, für die Metaphorik genutzten Domänen leisten einen substantiellen Beitrag zur ideologisch motivierten Argumentation der rechtsextremen Sprecher «gegen den Feind».

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • I Einleitung
  • I.1 Forschungsstand
  • I.2 Vorbemerkungen zur Methodik
  • II Theoretische Rahmenlegung
  • II.1 Determinierende gesellschaftswissenschaftliche Dimensionen
  • II.1.1 Searles Onteologie sozialer Tatsachen
  • II.1.2 Ideologie und Ideologeme
  • II.1.3 Feindbilder als funktionales Element in Ideologien
  • II.1.3.1 Freund-Feind-Dichotomie als Gruppenphänomen
  • II.1.3.2 Darstellung der Outgroup als extrem negativ
  • II.1.3.3 Korrekturresistenz von Feindbildern aufgrund von Stereotypen und Vorurteilen
  • II.1.3.4 Soziale und kommunikative Funktion von Feindbildern
  • II.1.4 Rechtsextreme Ideologie
  • II.1.4.1 Rechtsextremismus – Begriff und Ideologeme
  • II.1.4.2 Feindbilder im Rechtsextremismus
  • II.1.4.3 Das Spektrum der rechtsextremen Bewegung in Gesellschaft und Musik
  • II.1.5 Resümee der gesellschaftlichen Determinanten
  • II.2 Sprachwissenschaftliche Fundierung
  • II.2.1 Ideologie und Sprache
  • II.2.2 Sprachliche Dehumanisierung
  • II.2.3 Neues von der Metapher?
  • II.2.3.1 Kognitives Konzept versus sprachliches Zeichen
  • II.2.3.2 Form und Struktur sprachlicher Metaphern
  • II.2.3.3 Kontextabhängigkeit metaphorischer Bedeutung
  • II.2.3.4 „… und wozu das Ganze?“ – Funktionale Aspekte von Metaphern
  • II.2.3.5 Ein kontextsensitives Modell zur funktionsbezogenen Beschreibung metaphorischer Bedeutung
  • III Zecken, Pest und Demokröten: Feindbildmetaphern im Hannoveraner Liedtextkorpus „Rechtsextremismus“
  • III.1 Datenbasis und Vorgehensweise
  • III.1.1 Korpuserstellung und -aufbereitung
  • III.1.2 Vorbereitungen für die Datenerhebung
  • III.2 Feindbilder im Korpus
  • III.3 Metaphern im Korpus
  • III.3.1 Datenaufbereitung und -erhebung zur Ermittlung metaphorischen Lexemgebrauchs
  • III.3.2 Metaphernfelder und ihre lexematischen Mitglieder zur Dehumanisierung von Feinden
  • III.3.2.1 KRANKHEIT & MEDIZIN
  • III.3.2.1.1 Seuche
  • III.3.2.1.2 Pest
  • III.3.2.1.3 Zusammenfassung Feld KRANKHEIT
  • III.3.2.2 FAUNA & UNGEZIEFER
  • III.3.2.2.1 Zecke
  • III.3.2.2.2 Ratte
  • III.3.2.2.3 Zusammenfassung Feld FAUNA & UNGEZIEFER
  • III.3.2.3 ABFALL & SCHMUTZ
  • III.3.2.3.1 Dreck
  • III.3.2.3.2 Abschaum
  • III.3.2.3.3 Zusammenfassung Feld ABFALL & SCHMUTZ
  • III.3.2.4 WASSER
  • III.3.2.4.1 Flut
  • III.3.2.4.2 Strom
  • III.3.2.4.3 Zusammenfassung Feld WASSER
  • III.3.3 Abschließender Vergleich der untersuchten Felder
  • IV Resümée und Schlussbetrachtung
  • Bibliographie
  • Korpora
  • Literatur

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I Einleitung

Im Jahr 2004 brachte eine Freie Kameradschaft aus der militanten rechtsextremen Szene erstmals eine CD in Umlauf, die seither unter dem Namen „Schulhof-CD“ bekannt geworden ist. Unter dem eigentlichen Titel „Anpassung ist Feigheit. Lieder aus dem Untergrund“ enthielt der Sampler eine Sammlung von Songs rechtsextremer Bands, eingeleitet von einer Ansprache, in der unter anderem suggeriert wurde, der schulische Alltag sei von schwerkriminellen Banden ausländischer Mitschüler dominiert. Mit den sich anschließenden Liedern sollte bei der jugendlichen Zielgruppe des sogenannten „Projekts Schulhof-CD“ – deutschen Schülern ohne Migrationshintergrund – das Interesse an Werten und Inhalten rechter Ideologie geweckt werden. Nun war die Idee, politische Inhalte und Ziele wie auch Kritik an Gesellschaft und Politik in Lieder zu fassen, zu Beginn des 21. Jh. keineswegs neu, wenngleich die Tradition der Protestsongs im Bewusstsein vor allem der Generation, die in den sechziger und siebziger Jahren sozialisiert worden ist, bis dahin eher eine Domäne politisch linksorientierter Musiker und Musikrezipienten gewesen war. Doch auch Bands und Songwriter mit rechtsextremem Hintergrund konnten zum Publikationszeitpunkt der ersten Schulhof-CD bereits auf gut zwanzig Jahre musikalischen Schaffens zurückblicken. Neu war 2004 der Umstand, dass mit der Schulhof-CD ein höchst geeignetes und zudem kostenlos zur Verfügung gestelltes Medium gewählt wurde, um eine politische Ideologie nicht nur unter den Jugendlichen publik zu machen, sondern dieses auch in Hinblick darauf, dass zahlreiche Jugendliche in absehbarer Zeit zum ersten Mal in ihrem Leben an die Wahlurnen treten durften. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) machte sich die Attraktivität dieses Mediums und seines Vertriebsweges bereits wenig später zu Nutze, so dass die nachfolgenden Schulhofsampler gezielt als Mittel im politischen Wahlkampf genutzt wurden. Zwar wurde das Verteilen im schulischen Umfeld schnell gerichtlich untersagt, jedoch blieben ausreichend andere Orte und Möglichkeiten, die Tonträger den Jugendlichen zugänglich zu machen, wobei sicherlich die Weiterverbreitung durch „schwarz“ gebrannte Raubkopien unter den Jugendlichen selbst mit einkalkuliert wurde. Raubkopien und selbst erstellte Sampler stellen auch einen großen Teil der zahllosen Tonträger, die von der Polizei im Zuge von Beschlagnahmen sichergestellt wurden. Die Texte der auf diesen Tonträgern enthaltenen Lieder wurden zunächst in einer Datenbank (DAREX – DAtenbank RechtsEXtremismus) sowie einer txt-Datei (dem sog. „Paderborner Korpus“) gesammelt und bilden den Grundstock zum ← 9 | 10 → Hannoveraner Referenzkorpus „Rechtsextremismus“ für die hier vorgelegte Forschungsarbeit. Der mediale Wandel von der „haptisch“ verfügbaren CD zur Verbreitung über Internetplattformen macht das Problem der Texte und ihrer Inhalte nicht weniger aktuell.

I.1 Forschungsstand

Der offensichtliche Umstand, dass Musik im Verlauf der letzten Jahre zu einem der erfolgreichsten Multiplikatoren rechter Ideologie geworden war, sowie der anhaltende Einsatz von Schulhof-CDs durch NPD und Freie Kameradschaften zum Zweck der politischen Meinungsbildung unter Jugendlichen lieferte den Anlass zu einem von 2006 bis 2010 von der DFG geförderten Forschungsprojekt an der Leibniz Universität Hannover „Sprachmuster und Sprachsymbole in rechtsextremen Musikszenen“ unter der Leitung von Prof. Dr. Peter Schlobinski und Prof. Dr. Michael Tewes. Im Verlauf dieses Projekts wurde aus den vorangehend erwähnten Textsammlungen ein umfassendes, 5564 Texte enthaltendes Korpus erstellt (Dokumentation vgl. Abschnitt III.1.1 der hier vorgelegten Arbeit) und aus sprachwissenschaftlicher Perspektive beforscht. Fragestellungen galten hierbei der Lexik und der Argumentation innerhalb dieser Texte (Hanebuth 2006, Mathias/Schlobinski 2010), dem „Argumentativen Aufbau von Heldenmythen“ (Jäckel 2009, Netlink 13), dem Frauenbild (Watzke 2009), der „Verführung zur Gewalt“ (Mathias 2009 & 2012), der Einstellung gegenüber dem Staat (Mathias 2013) und Fragestellungen hinsichtlich der Identitätskonstruktion der rechtsextremen Eigengruppe und ihrer unterschiedlichen Subkulturen (Mathias 2015a, im Druck). Dabei vollzogen sich die jeweiligen Analysen auf Basis linguistischer Beschreibung, um ein zu diesem Zeitpunkt bestehendes Forschungsdesiderat hinsichtlich systematischer linguistischer Analysen einer repräsentativ großen und aussagefähigen Datenbasis dieser Textsorte zu füllen: Lexikologische und diskursanalytische Arbeiten zu rechtsextremem Sprachgebrauch hatten sich bis dahin entweder Texten aus der Zeit des historischen Nationalsozialismus zugewandt (sehr früh bereits z.B. Bein 1965) oder aber anderen Textsorten bzw. sehr spezifischen Subkulturen aus dem Rechtsextremismus der Gegenwart. So untersuchte z.B. Kronenberg (2001) diverse Medientexte rechtsextremer Autoren und Gruppierungen in Hinblick auf deren propagandistische Ziele. Ebenfalls auf persuasive Strategien gerichtet ist die Analyse von Pörksen 2000 an einem größeren Korpus aus Flugschriften neonazistischer Gruppierungen und Kameradschaften. Auf einige Aspekte seiner Arbeit wird sich in der hier vorgelegten Untersuchung bezogen werden. Rechtsextreme Liedtexte hingegen waren von Linguisten – wenn ← 10 | 11 → überhaupt – bis zu diesem Zeitpunkt (2006) nur exemplarisch an einzelnen Textbeispielen untersucht worden, so auch in dem zwei Jahre später erscheinenden Sammelband von Schuppener (Hg., 2008). Die Forschung an größeren Sammlungen von rechtsextremen Liedtexten hatte bis dahin im Wesentlichen in den gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen stattgefunden (z.B. Farin & Flad 2001 oder Dornbusch & Raabe 2002). In den letzten Jahren sind allerdings die Publikationen zum Thema „Rechtsextremismus“ bzw. „RechtsRock“ so zahlreich geworden, dass es kaum noch möglich erscheint, sich der Vielzahl der Arbeiten in einem gleichermaßen intensiven wie umfassenden Maße an Aufmerksamkeit zu widmen. In bewusster Abweichung von akademischer Tradition wird daher der Forschungsstand zu den einzelnen relevanten Teilgebieten des Themas nicht in diesem einleitenden Abschnitt vollständig dokumentiert. Vielmehr wird er, aufgrund der interdisziplinären Herangehensweise an das hier bearbeitete Thema, in die einzelnen Teilabschnitte integriert, aus deren Disziplin die betreffenden Arbeiten stammen.

Ungeachtet der enormen Bedeutung der anhaltenden Auseinandersetzung mit politischem (und auch religiösem) Extremismus – einschließlich dem Rechtsextremismus – für eine Gesellschaft, die Wert legt auf Bewahrung ihrer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, kann man berechtigterweise fragen, welchen nennenswerten Zuwachs an Erkenntnisgewinn eine weitere Arbeit zu diesem Thema leisten kann. In Hinblick auf diese Überlegung geben drei Faktoren den Ausschlag: Zunächst wäre hier die Datenbasis zu nennen, auf der diese Untersuchung beruht. Sie besteht aus einem sehr umfangreichen Korpus von Liedtexten rechtsextremer Musiker und Musikerinnen, repräsentiert somit einen nicht unbeträchtlich großen Ausschnitt von sprachlichen Äußerungen, die einer spezifischen Soziokultur entstammen. Die textuelle Datenbasis zeichnet sich somit zum einen durch eine hohe Zahl von Belegen aus, die zum anderen durch bestimmte soziale und politische Kontextfaktoren determiniert sind. Des Weiteren richtet sich der Fokus der Untersuchung dabei auf einen speziellen linguistischen Gegenstand, d.h. auf eine eng umgrenzte Beschreibungsebene, die in Anbindung an die Kontextfaktoren und in ihrer Bedeutung für und ihrem Zusammenhang mit diesen untersucht wird. In der vorliegenden Arbeit wird daher die Rolle von Metaphern bei der Konstruktion von Feindbildern in Äußerungen jugendlicher Subkulturen aus der rechtsextremen Musikszene fokussiert. Eine Arbeit aus der Sprachwissenschaft zu diesem stark spezifizierenden linguistischen Gegenstand (Metaphern) unter Einbezug außerdisziplinärer Theorieansätze in die linguistische Beschreibung eines so umfangreichen Korpus an Liedtexten des RechtsRock liegt bislang m.W. nicht vor. ← 11 | 12 →

I.2 Vorbemerkungen zur Methodik

In der Einleitung zu seinem Band „Empirische Sprachwissenschaft“ beschreibt Schlobinski das Verhältnis zwischen Theorie und Empirie als „komplementäre Gegensätze“, und zwar „insofern, als es keine Theorie ohne Bezug auf sprachliche Daten und keine Empirie ohne theoretische Vorannahmen gibt“ (Schlobinski 1996: 9). Theoretische Aussagesysteme stellen dabei Paradigmata zur Verfügung, unter denen Datenmaterial erhoben, klassifiziert und interpretiert werden kann; umgekehrt verschaffen empirische Daten dem Untersuchenden die Möglichkeit, Hypothesen, die aufgrund der Aussagen des angelegten Paradigmas gewonnen werden, aufzustellen und die theoretischen Vorannahmen datenbasiert in Hinblick auf ihre Erklärungsadäquatheit zu überprüfen, ggf. zu modifizieren oder – zumindest in Teilen – zu widerlegen. Die Interdependenz von Theorie und Empirie ist somit gerade auch für korpuslinguistische Untersuchungen maßgeblich, insofern sich theoretische Vorannahmen, die Paradigmata aus ganz unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen reflektieren, allein schon auf die Erstellung des zu untersuchenden Textkorpus niederschlagen, ganz zu schweigen von der Arbeitsphase der Datenerhebung zu dem in Frage stehenden Thema. Bezogen auf die hier vorgelegte Untersuchung bedeutet dies, dass die Erkenntnisse, die auf Basis sprachlichen Datenmaterials und der linguistisch zu beschreibenden Verwendung sprachlicher Zeichen gewonnen werden sollen, spezifische politikwissenschaftliche und soziologische Rahmenbedingungen berücksichtigen müssen, innerhalb derer die Texte als sprachliche Zeugnisse einer bestimmten Sprechergemeinschaft stehen. Dies sind hier jugendliche Subkulturen und ihre Musikszenen innerhalb des Rechtsextremismus im späten 20. und beginnenden 21. Jahrhundert.

Nach theoriegeleiteten Kriterien vollzieht sich auch die linguistische Beschreibung der für die Fragestellung relevanten Einheiten aus dem Referenzkorpus. Dies spiegelt sich in der Gestaltung des Tagsets wider, das für die Annotation der Primärdaten verwendet wird. Sprachliche Formen, die von den Sprechern in metaphorischer Funktion und in Hinblick auf spezifische Ausdrucksdesiderate verwendet werden, können auf diese Weise klassifiziert, erhoben und beschrieben werden. Die vorab angelegten theoretischen Ansätze liefern – unabhängig davon, ob diese am Ende der Datenanalyse als nachgewiesen betrachtet werden können, modifiziert werden müssen oder gar widerlegt werden – erste Leitlinien, aufgrund derer das gegebene Datenmaterial strukturiert werden kann, und sie betreffen sowohl Parameter der linguistischen Beschreibung als auch des gesellschaftspolitischen Kontextes. Selbstverständlich jedoch sind diese Leitkriterien immer wieder zu überprüfen und zu hinterfragen. Sie dienen auch als Richtlinien für die Zusammenstellung einzelner Teilkorpora aus einem umfangreichen ← 12 | 13 → Gesamtkorpus, was nicht nur die Arbeit wegen der geringeren Zahl der für eine angelegte Fragestellung zu berücksichtigenden Texte erleichtert, sondern auch die Klassifikation der Datengesamtheit in thematisch begründete Subklassen gestattet und damit die Beurteilung von Relevanz der einzelnen Anteile der Gesamtdatenbasis für eine gegebene Fragestellung (z.B. Frauenbild wie bei Watzke 2009, mythologische Topoi wie bei Jäckel 2009 (Netlink 13), oder eben die für die hier in Kapitel III vorgelegte Untersuchung relevanten Freund-Feind-Dichotomien).

Die vorangehend kurz ausgeführte Interaktion von Theorie und Empirie prägt das Vorgehen im Rahmen der vorliegenden Arbeit, die in diesem Sinne korpusbasiert und nicht korpusgeleitet ist1. Die in Kapitel III vorgenommene Korpusanalyse vollzieht sich vor dem Hintergrund der in Kapitel II dargestellten gesellschafts- und sprachwissenschaftlichen Theorieansätze und bezieht aus diesen die für Korpuserstellung und Datenerhebung angelegten Klassifikationsparameter. Zu den angelegten Paradigmata zählen aus linguistischer Sicht neben grammatischen Kriterien vor allem theorieabhängige Kategorien zur lexikologischen Beschreibung wie Wortfelder oder Metaphern, aber auch nichtlinguistische Begriffe wie Ideologie und Rechtsextremismus, unter deren Blickwinkel Sprachdaten beschrieben und interpretiert werden können. Grundsätzlich gilt es bei korpusbasierten Verfahren zu berücksichtigen, dass die Verwendung von Begriffen und der Projektion der theoretischen Ansätze, aus denen sie sich ableiten, auf die Daten den Blickwinkel nicht zu stark einschränken oder so weit prägen, dass es letzten Endes immer zu einer Bestätigung der angelegten Beurteilungsmuster kommt. Die Daten sollen der Überprüfung der angelegten Raster dienen und diese ggf. modifizieren. So muss beispielsweise beim Anlegen von ideologietypischen Inhaltsmerkmalen (Ideologemen) dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die deskriptive Kriteriologie rechtsextremer Vorstellungsinhalte auch heute immer noch stark geprägt ist von den einschlägigen Untersuchungen zum historischen Nationalsozialismus. Zwar ist es unmittelbar einsichtig, dass die Beschreibung spezifischer Ideologien distinktiver Merkmalsklassifikationen bedarf, durch die sich das in Frage stehende Weltanschauungssystem(-oid) erfassen und von anderen Formen ideologischer Einstellungen unterscheiden lässt. Gerade im Hinblick auf gesellschaftspolitische Gegenstände muss dabei indes berücksichtigt werden, dass Einstellungen zur Welterklärung und die ← 13 | 14 → aus ihnen abgeleiteten Muster sozialen Handelns als dynamische, diachron wandelbare, da in hohem Maße sozial interaktive Prozesse zu verstehen sind. Aus diesem Grunde müssen die zu ihrer Deskription angelegten Merkmale und Kategorien (wie Ideologeme im Sinne der in II.1.2 getroffenen Definition) anhand immer wieder neu zu erhebender empirischer Daten überprüft und ggf. verändert werden, um so dem potentiell zirkulären (und damit sich selbst bestätigenden) Charakter des jeweils angelegten Merkmalsparadigmas entgegenzuwirken. Die vorliegende Arbeit ist insofern synchron angelegt, als sie auf der Datenlage des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts fußt und hierbei auch nur einen Teil des Spektrums rechtsextremistischer Gesellschaftsteile beleuchtet, nämlich musikaffine jugendliche Subkulturen. Unter dieser Maßgabe muss berücksichtigt werden, dass das rechtsextreme Weltbild sich in Anbindung an veränderte gesellschaftliche Randbedingungen möglicherweise dahingehend geändert hat, dass bestimmte NS-typische Schwerpunkte in den Hintergrund treten, während andere stärker betont werden oder gar neue Weltanschauungsmerkmale hinzugetreten sind. Überlegungen zu dieser Problematik werden in den einzelnen Abschnitten des Kapitels II.1.4 vertieft.

Die qualitative Analyse der Texte im hier untersuchten Referenzkorpus muss gesellschafts- wie sprachwissenschaftlichen Maßstäben gleichermaßen gerecht werden, soll sich jedoch auf die hier im Vordergrund des Interesses stehende linguistische Beschreibungsebene konzentrieren. Die in Kapitel III vorgelegte Untersuchung orientiert sich daher methodisch an Arbeiten wie denen von Maas (1984, 1989), Pörksen (2000) und Hortzitz (2005), indem sie auf der Erhebung und Beschreibung lexikalischer Einheiten des zu Grunde liegenden Korpus fußt. Dabei wird jedoch immer der sprachliche Ko- und der außersprachliche Kontext der untersuchten Einheit im Blick behalten und auf diese Weise ihrer Einbettung in einen gesellschaftlichen Gebrauchskontext Rechnung getragen (Konnotationsanalyse2 im Sinne von Maas 1984 & 1989; vgl. auch Schlobinski 2007: 69). Die Berücksichtigung des Ko- und Kontextes der untersuchten sprachlichen Einheiten ist unverzichtbar für die Beurteilung ihres ideologiespezifischen semantischen Gehalts wie auch für ihre pragmatische Funktion. Im Vordergrund steht daher das Verhältnis von sprachlicher Form und der Funktion der fokussierten Einheiten in Hinblick auf den spezifischen außerlinguistischen Kontext der Äußerungen, in deren Rahmen sie verwendet werden. Dieser Kontext ist daher zunächst ← 14 | 15 → ebenso theoretisch zu erfassen und darzustellen wie im Anschluss die sprachwissenschaftlichen Grundlagen, auf deren Basis die in Frage stehenden Einheiten beschrieben werden sollen, sowohl in Hinblick auf ihre Form als auch mit Blick auf ihre kontextbezogene Funktion3. Die Verlaufsstruktur des Kapitels II erklärt sich aus dieser Anforderung. So werden in den Abschnitten des Unterkapitels II.1 zunächst die gesellschaftspolitischen Kontextfaktoren dargestellt, die für die untersuchte Datenbasis (Referenzkorpus) und für die fokussierende Fragestellung als relevant erachtet werden. Im Zuge dessen werden theoretische Ansätze aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen (Politikwissenschaft, Sozialpsychologie) referiert und mit ihnen assoziierte Termini expliziert, die für den Gegenstand dieser Untersuchung insofern von Relevanz sind, als sie auf die kontextuellen Rahmenbedingungen der der linguistischen Analyse zu Grunde liegenden Datenbasis (Textkorpus) verweisen. Vergleichbar wird im Zuge der sprachwissenschaftlichen Rahmenlegung (Kapitel II.2) verfahren. Das in Frage stehende Mittel sprachlichen Ausdrucks wird aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven beleuchtet, welche den unterschiedlichen Aspekten seiner epistemischen Beschreibungsebene, seiner formbezogenen Ausprägung sowie seiner kommunikativen Funktion – in Anbindung an den in II.1 dargestellten Kontext – Rechnung tragen. In Kapitel III vollzieht sich die eigentliche Korpusanalyse vor dem Hintergrund der in Kapitel II erarbeiteten linguistischen und gesellschaftspolitischen Parameter. Die präzisierende Darstellung der für die Korpuserstellung und –auswertung relevanten Vorgehensweise findet sich in der Einleitung zu diesem Kapitel. Im abschließenden Abschnitt IV werden die Ergebnisse resümiert, auf Problemstellungen, die sich im Zuge der Untersuchung ergeben haben, hingewiesen und Perspektiven für sich anschließende Forschungsdesiderate formuliert.

Das Anliegen der hier vorgelegten Arbeit ist es, Parameter der linguistischen Beschreibung von Äußerungen ideologieidentifizierter Sprecher mit den gesellschaftswissenschaftlichen Parametern zusammenzuführen, die den Kontext dieser Äußerungen bilden. In einem späteren Schritt können die hier erarbeiteten Grundlagen didaktisiert werden, um die Ergebnisse der Arbeit für die schulische Lehre und damit der Anleitung Jugendlicher zur kritischen Reflexion über den Zusammenhang von Weltsichten und Sprachgebrauch fruchtbar zu machen und ← 15 | 16 → dabei über die intuitive und vorab bewertende Interpretation, der hierbei bis heute noch häufig gefolgt wird (z.B. „drastische Sprache“), hinauszugehen.

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass maskuline Formen, die im Textverlauf auf Personen referieren (wie z.B. „Sprecher“), als generisch betrachtet werden und männliche wie weibliche Handelnde, Kommunikanten etc. bezeichnen, sofern sie nicht eindeutig für einen bestimmten Referenten spezifiziert werden.

1 Termini corpus-based vs. corpus-driven zuf. Tognini-Bonelli 2001; in der deutschen Korpuslinguistik haben sich hierfür die Lehnübersetzungen korpusbasiert vs. korpusgeleitet etabliert (vgl. u.a. Lemnitzer & Zinsmeister 2006).

2 „Konnotationsanalyse ist hier nicht gemeint als semantische Analyse im engeren Sinne, sondern in der Perspektive […], in der es darum geht, sprachliche Ausdrücke […] im Gebrauchskontext […] und in ihren sozialen Bedeutungen zu analysieren [und …] als Rekonstruktion einer Sprachpraxis [zu explizieren].“ (Schlobinski 2007: 69).

3 Da sich der Blick in der hier vorgelegten Arbeit auf kleinere sprachliche Einheiten auf lexematischer Ebene und im Schwerpunkt auf deren semantische Binnenstruktur richtet, werden makrostrukturell orientierte Ansätze der klassischen CDA (Critical Discourse Analysis) nur dort berücksichtigt, wo ihre Methoden in Hinblick auf den hier fokussierten Gegenstand erkenntnisfördernd sind.

Details

Seiten
336
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653055801
ISBN (ePUB)
9783653965063
ISBN (MOBI)
9783653965056
ISBN (Hardcover)
9783631664285
DOI
10.3726/978-3-653-05580-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (August)
Schlagworte
Ideologie Rechtsextremismus Dehumanisierungsstrategien rechtsextreme Liedtexte
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 336 S., 10 Graf.

Biographische Angaben

Alexa Mathias (Autor:in)

Alexa Mathias studierte Germanistische Linguistik und Italianistik an den Universitäten Erlangen-Nürnberg und Hannover. Als Gastdozentin war sie an diversen ausländischen Hochschulen tätig. Sie ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Seminar der Leibniz Universität Hannover.

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