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Aktualität der Metapher

Das Meer, die Metapher und die Sprache

von Ina Paul-Horn (Autor:in)
©2015 Habilitationsschrift 249 Seiten

Zusammenfassung

Der Bedeutung und Funktion von Metaphern nachzugehen und darüber aufzuklären, ist Aufgabe der Metaphorologie. Dieses Buch legt eine differenzierte Auseinandersetzung mit Hans Blumenbergs Metaphorologie vor, deren unterschiedliche Konzeptionen die Autorin in drei Schritten darstellt und erläutert. Ein wesentliches Ergebnis, das die Konzeptionen eint, liegt in der anthropologischen Neubestimmung des Menschen. Der speziellen Bedeutung von Meeresmetaphern in philosophischen Texten wird am Beispiel ausgewählter Autoren wie Kant, Hegel, Nietzsche, Simmel und Canetti nachgegangen, für die das Meer eine jeweils unterschiedliche metaphorologische Bedeutung hat.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Einleitung: Vom Meer als Metapher zur Metaphorologie
  • I. Sprache
  • 1. Verflüssigen und Verfestigen als zwei Pole metaphorischen Sprachgebrauchs. Lektüre des Platon-Dialogs Kratylos
  • Vorbemerkung
  • Übergänge
  • Dialog als Methode
  • Benennung von Natur aus oder durch Übereinkunft
  • Reden ist Handlung – Handeln mit den Dingen
  • Benennen vermittels des Werkzeugs Sprache: Das Wort als Weberschiffchen, die Sprache als Gewebe
  • Die Kraft der Wörter
  • Götternamen
  • Poseidon
  • Benennen ist Fest-Stellen des Fließenden
  • 2. Die Metapher in der Sprachphilosophie von Susanne K. Langer
  • Die Macht der Symbolisierung als Schlüsselidee einer Philosophie auf neuem Wege
  • Symbolisierung als Schlüsselidee zur Kenntnisnahme und möglichen Entzauberung einer naturwissenschaftlichen Kultur
  • Unterschiedliche Konstitution von Wirklichkeit und das Problem der ethischen Bewertung
  • Die Theorie der symbolischen Transformation
  • Die Metapher als Lebensprinzip der Sprache und des Symbolismus
  • 3. Sprache als Problem
  • II. Metaphorologie
  • 1. Was ist eine Metapher?
  • 2. Blumenbergs Projekt einer Metaphorologie
  • 2.1 Begründung der Metaphorologie als philosophische Methode: Metaphorologie 1
  • Übersicht über die einzelnen Kapitel
  • Wahrheitsmetaphorik
  • Stile von Weltverhalten: Das versuchende Denken bei Cusanus
  • Metaphorische Sichtlenkung
  • Negative Metaphorik als kritische Abkoppelung von überkommener Metaphorik bei Cusanus
  • Sprengmetaphorik
  • 2.2 Unbegrifflichkeit als Referenz für Metaphorologie: Metaphorologie 2
  • Die Metapher: Störung, Widerstimmigkeit, exotischer Fremdkörper
  • Die ‚absolute Metapher‘: ein Grenzwert
  • Metaphorik: Suggestion, Einstimmung
  • Elemente einer Theorie der Unbegrifflichkeit
  • 2.2.1 Unbegrifflichkeit heißt nicht, dass nichts ausgesagt werden kann
  • 2.2.2 Der Raum von Sagbarkeit und Unsagbarkeit ist größer als der von Begriff und Metapher
  • 2.2.3 Unbegrifflichkeit ist nicht mit Anschaulichkeit gleichzusetzen
  • 2.2.4 Entmythisierung ist nichts anderes als Remetaphorisierung
  • 2.2.5 Wissenschaftskritik: Metapher als Spätform, Scientific Metaphor
  • 2.2.6 Das Prinzip des unzureichenden Grundes
  • 2.2.7 Wir haben keine sinnvolle Wahl zwischen Formel und Metapher
  • 2.3 Philosophisch-anthropologische Neubestimmung der Rhetorik als aktualisierter Problemhorizont für Metaphorologie: Metaphorologie 3
  • Die Rhetorik enthält eine Anthropologie des nicht idealen Menschen
  • Gemeinsame Situationsbeschreibung des theoretischen Prozesses und der Rhetorik
  • Wesen mit metaphorischem Weltbezug: ärmer als das animal symbolicum
  • Rhetorische (symbolische) Substitutionen von Handlungen als kulturelle Errungenschaften
  • Rhetorik und die Temporalstruktur von Handlungen: Beschleunigung und Verzögerung
  • Das Prinzip vom unzureichenden Grund
  • Zusammenhang von Metaphorik und Leidenschaften
  • Der Mensch als metaphorisches Wesen: Schon die Konstitution des Menschen ist metaphorisch
  • III. Meeresmetaphern
  • 1. Meer und mehr. Das Meer als Medium der Entgrenzung
  • 2. Königsberg, Stadt am Meer, schicklicher Platz der Menschen- und Weltkenntnis. Das Meer als Metapher bei Kant
  • Königsberg, Stadt am Meer und schicklicher Platz für Menschen- und Weltkenntnis
  • Mut zur Grenzenlosigkeit und Wunsch nach Begrenzung des uferlosen Ozeans der Vernunft
  • Gemeinschaftlicher Besitz der Oberfläche der Erde
  • 3. Entdeckungsmeer – Vermittlungsmeer – Weltmeer. Die Metapher des Meeres bei Hegel
  • Geographische Grundlage der Natur für das Denken
  • Das Meer als Mittel der Kommunikation
  • Das Meer und die Vorstellung des Unendlichen
  • Das Meer als Vermittlungsmeer
  • 4. Das Meer als Metapher eines neuen Gottes. Nietzsches Zarathustra und die Metaphorik des Meeres
  • Ein paradoxer Beginn – Beginn des Untergangs
  • Denken als Reise, als Veränderung
  • Die Struktur des Zarathustra
  • Zwischen den Bergen und dem Meer
  • Einsamkeit – Verlassenheit
  • Die Metapher des Meeres als Metapher für den anderen
  • Ist das Ende ein neuer Anfang?
  • Der Anblick des fernen Meeres: einst Gott, jetzt Übermensch
  • 5. Das Meer – das ins Geographische gewendete Tauschmittel. Zur Philosophie des Geldes von Georg Simmel
  • Implizite und explizite Metaphorik des Meeres
  • Das Geld als Träger und Symbol
  • Formlosigkeit des Geldes
  • Der Grundvorgang der Symbolisierung
  • Symbolisierung des Inneren durch das Körperhafte
  • Projektion innerer Triebregungen nach außen
  • Exkurs: Die Mechanismen der Projektion und Introjektion bei Freud
  • Psychologische Formähnlichkeit von Gottes- und Geldvorstellung
  • 6. Das Meer als Medium der Verwandlung
  • Verwandlung und Wissenschaft – zwei Beispiele
  • Verwandlung und Literatur. Elias Canetti
  • Anblick des fremden Gesichts. Der eigene „Vorrat an Gesichtern“
  • Echo und Narziss. Blick auf den Wasserspiegel von außen oben
  • Die Kleine Meerjungfrau. Blick durch den Wasserspiegel von innen unten
  • Auftauchen: fünf Etappen der erotischen Annäherung
  • Zwei Verwandlungen
  • Schlussbemerkung
  • Literatur

Einleitung:  Vom Meer als Metapher zur Metaphorologie

Die Metapher ist … –
flüssiger Aggregatzustand.

Paul Valery, Cahiers

I.  Das Meer als Metapher in der Philosophie

Die vorliegende Arbeit hat als Gegenstand die Bedeutung der Metaphorologie für die Philosophie. Sie will einen Beitrag leisten zur Reflexion und Aufklärung der Metapher.

Ausgangspunkt ist die Frage nach der Metapher des Meeres und die Frage, welche Bedeutung das Vorkommen dieser Metapher in der Philosophie, bei einzelnen Philosophen hat. Meine Beobachtung war, dass Meeresmetaphern in vielen philosophischen Texten vorkommen, und zwar durchaus an Stellen, wo man sie nicht erwarten würde. Als Beispiel sei Hegel angeführt, der gleich zweimal auf den ersten Seiten seiner Enzyklopädie vom Meer spricht und zwar vom „Meere der empirischen Einzelheiten“. Er verwendet die Metapher des Meeres, um die Ablehnung der dialektischen Philosophie und Logik darzustellen1. Das dialektische Denken wird von seinen Gegnern mit der Zumutung, sich dem Meer für nichts und wieder nichts zu überlassen, verglichen.

Nun gilt die philosophische Sprache als eine besondere Sprache, eine Sprache, in der es um Begriffe geht. Wie kann man sich das Auftauchen von Metaphern wie der des Meeres in philosophischen Texten erklären, wo doch Philosophen die Kontrolle über die Sprache besonders am Herzen liegt? Was bedeuten diese ← 13 | 14 → Meeresmetaphern in philosophischen Texten? Das Meer wird in der Philosophie nicht von jeher als Metapher problematisiert. Aristoteles erörtert das Meer im Rahmen seiner Überlegungen zur besten Lage einer Stadt schlicht im Hinblick auf seine Vor- und Nachteile2. Am Platon-Dialog Kratylos zeige ich, dass Platon Erkennen und Sprechen in der Metaphorik des Flüssigen und Festen begreift (siehe dazu den Abschnitt zu Platon in Teil I). Auch noch Kant sieht das Meer nicht als Metapher, wenn er es in seinem Traktat über den ewigen Frieden als „völkerverbindend“ bezeichnet (siehe dazu den Abschnitt in Teil III der vorliegenden Arbeit). Immerhin hatte er in Königsberg das Meer in unmittelbarer Nähe. Bei Kant ist aber auch vom Meer in einem metaphorischen Sinn die Rede, insbesondere wenn es um das Denken geht (z. B. in der Kritik der reinen Vernunft spricht Kant beim Übergang von der transzendentalen Analytik zur transzendentalen Dialektik vom „Ozean des Scheins“). Für Hegel stellt das Meer eine materielle Grundlage dar; Hegel, der gerne als Höhepunkt des Deutschen Idealismus gesehen wird, lässt sich durchaus materialistisch lesen. Hegel spricht vom Meer auch, als ob es sich um eine ideale, aber schwierige Geliebte handeln würde, wenn er es als formbar, nachgiebig, verlockend, aber gefährlich beschreibt (das zeige ich im Abschnitt zu Hegel in Teil III). Bei Nietzsche kann man schlussendlich insofern von einem „Zusammenbruch der Metapher“3 sprechen, als er die Trennung in ein Meer außer uns und ein Meer in uns nicht mehr akzeptiert und außer Kraft setzt. Nietzsches Zarathustra kann als Reise gelesen werden, in der die tatsächliche Landschaft ebenso bedeutend ist wie der Kontext von Metaphern. ← 14 | 15 →

II. Das Zur-Metapher-Werden des Meeres

Bei der Frage nach dem Meer und seiner Bedeutung in der Philosophie lässt sich eine Uneindeutigkeit bezüglich des Meeres als ‚natürliches Meer‘ und des Meeres als Metapher bemerken.

Eine Antwort auf die Frage, inwieweit das Meer als Metapher betrachtet wird, lautet: Das Meer wird erst allmählich zur Metapher. Hannah Arendt macht in ihrem Werk Vita activa oder Vom tätigen Leben, das auf englisch treffender The Human Condition heißt, drei Entwicklungen für die Entstehung der europäischen Neuzeit geltend: die Entdeckung Amerikas, die Reformation und die Erfindung des Teleskops.4 Die Entdeckung der Kontinente und Ozeane ist eine der drei Voraussetzungen dafür, dass so etwas wie Neuzeit, also jene grundlegende Umwälzung, die der Moderne vorausgeht, entstehen konnte. Hannah Arendt bemerkt eine seltsame Diskrepanz in der Wahrnehmung dieser Entwicklungen von Zeitgenossen und Wissenschaftshistorikern: Während zur Zeit der Erfindung des Telekops nur wenige Zeitgenossen, und dabei eher die Gebildeten, die Bedeutung dieses neuen Instruments wahrnahmen, wurde später der Tatsache seiner Erfindung im Rahmen der Wissenschaftsgeschichte ein gewichtiger Platz eingeräumt5. Die Erdumsegelungen wurden hingegen von den Zeitgenossen aufmerksam und mit viel Spannung verfolgt, in der Wissenschaftsgeschichte ist ihr Status hingegen als nicht so bedeutsam reflektiert worden.6 ← 15 | 16 →

Was für eine Rolle aber spielt das Meer im Denken und in der Philosophie?7 Und trifft nicht ebenso auf das Meer zu, was Hannah Arendt für die Ferne behauptet, wenn sie der Ferne ein Überleben als Metapher in Aussicht stellt?8 Die Ferne wird zur Metapher und als Ferne aufgehoben, indem durch die modernen Verkehrsmittel Entfernungen auf Zeitabschnitte zusammenschrumpfen. Wird nicht auch das Meer zu einer Metapher in dem Moment, wo es nicht mehr als unüberwindliche Grenze vor den Menschen liegt, sondern in seiner Weite überquerbar, schiffbar und damit „hinter sich gelassen“ wird? Und was bedeutet das, da es das Meer, die Meere ja auch weiterhin gibt, genauso wie es die Dimension der Ferne auch nach dem Zusammenschrumpfen der Entfernungen noch gibt? In welchem Sinn ist vom Meer als Metapher überhaupt die Rede?

Der Prozess der Entdeckung der Meere erreichte im 16. Jahrhundert einen Höhepunkt, er ließ empirisch erfahrbar werden, was in den frühen Kosmologien der Griechen spekulativ vorgedacht worden war, dass nämlich die Erde rund ist und keine Scheibe. Aber erst seit Ende des 20. Jahrhunderts wird der Meeresgrund mit Sonden vermessen. Dass Menschen den Boden des Mondes früher erforschten als den Boden des Meeres, bleibt eine interessante Tatsache.

Arendt hat sich in ihrem Spätwerk Vom Leben des Geistes, und zwar im ersten Teil „Das Denken“, explizit mit der Rolle der Metapher für das Denken beschäftigt. Ihre These lautet: Alle philosophischen Begriffe sind letztlich Metaphern, nur sieht man ihnen das nicht mehr an, weil wir uns an ihren Gebrauch gewöhnt haben und nicht mehr nach ihrem ursprünglichen Kontext fragen.9 Arendt verortet die Entstehung der philosophischen Begriffe, was die europäische Philosophie betrifft, bei Platon, als die eigentlichen Entdecker gelten ihr die Dichter, namentlich Homer. Aber Metaphern sind nicht nur in ihrer historisch begrifflichen Entwicklung zu verstehen, sondern sie beleuchten ein ← 16 | 17 → grundsätzliches erkenntnistheoretisches Problem. Wir können Dinge, Relationen mit Wörtern zwar bezeichnen, aber nicht wirklich einfangen oder treffen. Arendt spricht von einer „Kluft“ zwischen dem Denken, das Sprache braucht, und den Dingen, die erscheinen. Die Metapher fungiert dabei als „Brücke über den Abgrund zwischen den inneren und unsichtbaren Geistestätigkeiten und der Erscheinungswelt“10. Zwar sagt uns der ‚gesunde Menschenverstand‘, dass es das Meer nicht nur als Metapher gibt. Wenn wir uns ans Ufer stellen und auf das Meer hinausschauen und spätestens, wenn wir darin schwimmen oder tauchen, ist das Meer für uns nicht nur eine Metapher, sondern wir sind im Meer (sinnlich erfahrbar und real). Aber wenn wir über das Meer nachdenken wollen, befinden wir uns in einer anderen Situation. Die Metapher, so Arendt, überbrückt die Kluft zwischen der Welt der Erscheinungen und der Welt des Denkens. Und die Welt des Denkens wird von Arendt selbst mit der Metapher des Meeres bezeichnet, wenn sie davon spricht, dass die Metapher, die zum Denken notwendig ist, „uns auf das unsichere Meer der Spekulation hinausführt“11. Was wie eine Zweiweltentheorie klingt – hier die Welt der Erscheinungen, dort die Welt der Sprache –, ist als Programm zur Überwindung der Metaphysik intendiert.12

Auf die Frage, was das Meer bedeutet, hat die Philosophin und Psychoanalytikerin Luce Irigaray eine klare Antwort. Für sie ist das Meer die erste Projektionsfläche der verdrängten Beziehung zum Anderen, sprich: zum anderen Geschlecht. Das Meer wäre damit die Projektionsfläche und gleichermaßen die indirekte Darstellung der Geschlechterdifferenz. In To Be Two (im Kapitel 8: „Between us a fabricated world") zitiert sie einige Zeilen aus der Antigone von Sophokles (332–375) und kommentiert sie so:

„The sea is frightening, but man is more terrible still. Man leaves solid ground, the soil, his dwelling, the reassuringly familiar, to venture out into the sea – not a calm sea, but a tempestuous one, a bottomless abyss. This abyss remains exterior to him, foreign to the abyss of interiority. Recognizing the irreducible difference of the other opens an abyss in consciousness, in knowledge, in truth. It seems that man chooses to ignore this irreducible difference, preferring instead to perceive and project this abyss onto the cosmic. But it is onto the sea that he first projects it.“13 ← 17 | 18 →

Das Meer wäre also die erste Projektionsfläche der – aus der Perspektive des männlichen Subjekts – nicht anerkannten Differenz und Beziehung zum anderen Geschlecht. Diese unreduzierbare Differenz der anderen Person eröffne einen Abgrund im Bewusstsein, im Wissen, in der Wahrheit. Man habe es vorgezogen, diese Differenz zu leugnen, zu ignorieren; stattdessen sei der Abgrund ins Kosmische projiziert worden, zuallererst auf das Meer. Soweit Irigaray.

Der Religionsphilosoph Klaus Heinrich denkt das Meer ebenfalls in Bezug auf die Geschlechterdifferenz, bei ihm Geschlechterspannung:

„Beide Begriffe, Sucht und Sog, verbinden sich sowohl mit dem Metaphernreich des Meeres – wie Sie wissen, eines der faszinierendsten Symbole des Unbewussten, seiner aufrührerischen Macht und Unergründlichkeit – als auch mit der oralen Erfahrung des Saugens. […] Immerhin trägt das Bild des Meeres und seiner Gefahren als Metapher des Unbewussten weibliche Qualität, auch und vor allem die der vielversprechenden gefährlichen Verlockung, und definiert so das Unbewusste, in der Instanzenlehre Sigmund Freuds maskiert als ‚Es‘, einmal mehr als den weiblichen Pol der Geschlechterspannung gegenüber dem abenteuernden, zum Beispiel das Meer durchpflügenden, männlichen Ich.“14 Das Meer ist also auch bei Klaus Heinrich eine Metapher für das Unbewusste und, ähnlich wie bei Irigaray hat es weibliche ‚Qualitäten‘. Qualitäten, die indirekt ablesbar sind an den Vorkehrungen die, aus der Sicht des männlichen Subjekts, dagegen getroffen werden müssen. K. Heinrich dazu in einer Anmerkung zum selben Text:

„Das Bild des Meers und seiner Gefahren als Metapher des Unbewussten (präsent in Literatur, Musik und Kunst des 19. und frühen 20. Jahrhunderts) ist bei Freud den Schutzmaßnahmen ablesbar, die gegen sie getroffen werden – z. B. wenn ‚das gereifte und erstarkte Ich‘ eine Revision älterer Verdrängungen vornimmt: ‚Diese neuen Dämme haben eine ganz andere Haltbarkeit als die früheren; ihnen darf man zutrauen, dass sie den Hochfluten der Triebsteigerung nicht so leicht nachgeben werden.‘“15 ← 18 | 19 →

Eine Antwort auf die Frage, was das Auftauchen der Metapher des Meeres in philosophischen Texten bedeutet, wäre also, dass sich das Unbewusste der Philosophen in der Philosophie eine Sprache verschafft. Und weiter, dass sich in diesem Unbewussten auch der Ausschluss der Differenz und der Beziehung zum anderen Geschlecht bemerkbar macht. Man kann das aber auch anders sehen. Erstens: Wir können uns nur mit Vorstellungen, wie unser Unbewusstes, dieser unermessliche Raum der Seele, von dem schon Heraklit spricht16, aussieht, beschäftigen, wie es wirklich ist, wissen wir nicht. Das Meer ist insofern eine gute Folie für das Unvorstellbare, für das wir nur Metaphern verwenden können: den ‚Innenraum‘, das ‚Unbewusste‘, ‚die Seele‘, weil man sich das Meer nie als Ganzes vorstellen kann und dennoch weiß, dass es ein ganzes System ist. Die Vorstellung des Meeres liefert uns gleichzeitig eine Darstellung für das Problem der Undarstellbarkeit (das zeige ich an Simmel, der ebenfalls auf die Metapher des Meeres zurückgreift, wo ihm die Nichtdarstellbarkeit des Geldes Probleme bereitet). Zweitens: Irigaray kann Recht behalten mit ihrer Beschreibung der Projektion aus männlicher Sicht. Andererseits ist die Metapher des Meeres eine, die für beide Geschlechter Relevanz hat, nicht nur für ein Geschlecht (das männliche), das auf das Meer (als weibliches gedacht) seine Identität projiziert. Wenn das Meer aber nicht nur eine Metapher für das Unbewusste ist, sondern auch für die ‚Mutter‘, dann ist das Meer als Metapher für beide Geschlechter eine Projektionsfläche, die sowohl Anziehung ausübt als auch den Wunsch nach Abgrenzung hervorruft. Der mütterliche Körper, das Fruchtwasser, ist etwas, aus dem sowohl Frauen als auch Männer kommen. Es ist das Wasser, aus dem wir auf die Welt kommen und ‚landen‘. „Das ‚Geburtstrauma‘ ist in der Geschichte unserer Vorstellungen neu“, so Hans Blumenberg, für den das „Überleben“ dieses „Übergangs“ eine zentrale Trennungserfahrung am Beginn jedes menschlichen Lebens darstellt. Er meint damit den „Grundvorgang des Heraustretens aus einem Umhüllenden, Umgebenden, Hegenden, eben auch Verdeckenden“17. Bei Lebzeiten dorthin zurückzuwollen ist für beide Geschlechter eine riskante Sache. Zwar kommen wir von dort, aber die vorzeitige Rückkehr ist zumindest mit dem Risiko der Sprachlosigkeit verbunden. Auch unter Wasser kann man ← 19 | 20 → nicht sprechen, sondern nur Zeichen geben.18 Das Paradies der Sprachlosigkeit und damit der ursprünglichen Einheit, sofern es eines ist oder war, ist für uns ein für alle Mal verloren. „Eine Rückkehr in das vorsprachliche Dasein des verlorenen Paradieses gibt es nicht“, so Erich Heintel19. Dennoch bleibt für ihn als Transzendentalphilosophen eine unauflösliche Aporie bestehen. „Die neuzeitliche Aporie besteht darin, dass es von dem zweifachen Ich Kants her zu einer Gegenüberstellung von ‚transzendentalem Bewusstsein‘ (Vorrang der Vermittlung vor dem Seienden) und ‚Leib‘ (Vorrang des Seienden vor der Vermittlung) kommt“.20 Eine naturalistische Auflösung des Problems fällt für E. Heintel hinter Kant zurück. Das Achten auf den „Vorrang der Vermittlung“ hat allerdings zur Folge, „dass das leiblose transzendentale Ich nicht als wirklich gedacht werden kann“ und dadurch „zu einer erkenntnistheoretischen Fiktion“ wird21. Die Sprache stellt unser Differenzorgan zu dieser ehemaligen Einheit dar. Mit der Sprache akzeptieren wir das Getrenntsein von der Welt, gleichzeitig überbrücken wir dieses Getrenntsein in immer wieder neuen Anläufen. Bildeten wir mit den Dingen eine Einheit, würden wir gar nicht sprechen. „Im Medium der Sprache stellt der Mensch die Differenz, die er selbst ist, jeweils fest.“22 Die Metapher fungiert hier als Bindeglied, sie ist zugleich Überbrückung und Erinnerung dieser Differenz.

In diesem Dilemma situiert die amerikanische Philosophin Susanne K. Langer ihre Thesen. Zwar ist die Sprache unerlässliches Medium für das Denken, aber Sprache schränkt auch ein. Susanne K. Langer zeigt beispielhaft, wie Sprache zum Problem wird. Von der symbolischen Logik kommend, gerät Langer interessanterweise immer wieder auf das Problem der Metapher (siehe dazu den entsprechenden Abschnitt in Teil I).

Ein Grundproblem bei der Reflexion über die Metapher besteht darin, dass wir uns dabei eines kategorialen Rahmens bedienen, gegen den die Metapher potentiell opponiert. Nehmen wir Aristoteles als Beispiel. Er nennt vier Kriterien für die Definition der Metapher. Bei den ersten dreien verfährt er nach der Logik der Subsumtion. Bei der vierten bemerkt er, dass er sie in dieser Logik nicht unterbringen kann. Die Metapher als Analogie fällt aus seinen Schemata heraus. Dieser vierte Fall ist jener, über den es sich aus philosophischer Sicht ← 20 | 21 → nachzudenken lohnt. Hannah Arendt knüpft an diese vierte aristotelische Definition der Metapher an und sagt, nur diese sei für das Denken interessant. Warum nur die vierte? Weil sich hier eine Differenz bemerkbar macht, die das Denken mit logischen Schlussfolgerungen nicht einordnen kann. Arendt bringt als Beispiel für eine uninteressante Metapher das Wort Tischbein. Bei Tischbein handelt es sich um eine Metapher, weil die vier Stangen, die die Tischplatte tragen, aus dem Reich der Lebewesen (ihren Beinen) übertragen wurden auf einen leblosen Gegenstand. Das wäre aber nach Arendt keine Metapher, die philosophisch interessant ist, weil es sich in beiden Fällen (Tisch und Bein) um etwas handelt, das der sichtbaren Welt der Erscheinungen entnommen ist. Interessant wird die Metapher dann, wenn sie eine Übertragung von an sich unsichtbaren Dingen, eigentlich Relationen, darstellt, oder einen kategorialen Sprung leistet, eine Verknüpfung vollbringt, die anders nicht benannt werden kann. Die Metapher setzt traditionelle Bezüge außer Kraft und stellt eine Verknüpfung her, wenn z. B. ein despotischer Staat mit einer Handmühle verglichen wird (das Beispiel, das Kant in § 59 der Kritik der Urteilskraft anführt). Klassische Figurationen von Gegenständlichkeit, in denen ein Subjekt in eindeutiger Weise einem Objekt gegenübergestellt ist, werden von der Metapher aufgehoben. Ebenso wird eigentlich die klassische Entgegensetzung von sinnlich und abstrakt oder von konkret und allgemein durch die Verknüpfungsleistung der Metapher unterlaufen. D. h., die Metapher, verstanden als ‚Störung‘ des normalen Diskurses, wird in der Reflexion von dem Diskurs eingefangen, den sie eigentlich tendenziell sprengt. Darin liegt ein Widerspruch in der Betrachtung der Metapher.

Eine Reflexion der Metapher hinsichtlich ihrer Besonderheit hätte die Aufgabe, das ihr angemessene Denken im Denkprozess selber erst zu erfinden, sonst wird immer eines gegen das andere ausgespielt (nämlich die Heterogenität der Metapher gegen die Logizität des Diskurses). Vielleicht liegt Blumenbergs Weigerung, sich auf die bestehende, teilweise der Logik der einzelwissenschaftlichen Forschung verpflichteten Diskurse über die Metapher in ihrer Spezialisierung einzulassen, auch darin begründet. Derrida hat das Problem einer Reflexion der Metapher thematisiert und sich dabei mit dem Bild der Welle, die sich vom Strand zurückzieht, beholfen.23 Für ihn ist das Problem der Metapher so alt wie ← 21 | 22 → die Philosophie. Das stimmt philosophiegeschichtlich, insofern die Etablierung der Philosophie im platonischen Kampf gegen die Sophisten zum ersten Mal das Problem der Metapher aufwirft. Es stimmt aber auch reflexionsgeschichtlich, da die Frage, wie wir über etwas nachdenken, sich der Logizität immer wieder entzieht und dennoch auf das Denken angewiesen ist. Ohne Metaphern gäbe es gar keine Fähigkeit zum abstrakten Denken und insofern keine Philosophie. Die Geschichte der Metapher und damit das Denken der Metapher integriert sich in die Geschichte der Metaphysik, die aber, meiner Ansicht nach, von der Metapher immer wieder an Grenzpunkte verwiesen wird (dem Heidegger-Satz, die Metapher gebe es nur innerhalb der Metaphysik, würde ich mich nicht anschließen; denn der Satz ist nur sinnvoll, wenn man davon ausgeht, dass das Sein direkt zugänglich ist.) Die Metapher stellt, wie ich meine, einen unaufhebbaren Einspruch gegen die Idee der Eindeutigkeit, gegen klassische Figurationen von Gegenständlichkeit, gegen die Trennung von Denken und Gefühlen und gegen die Trennung von Leiblichkeit und Denken dar. Der Metapher kommt eine Oppositionsqualität gegenüber festgefahrenen Denkmustern zu. Die Metapher steht für einen heterogenen ‚Rest‘, der wir selbst sind. Das Grundproblem besteht darin, dass unsere beschreibende, festlegende Sprache in der Reflexion der Metapher die Metapher verdinglicht.

Details

Seiten
249
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653058338
ISBN (ePUB)
9783653965889
ISBN (MOBI)
9783653965872
ISBN (Hardcover)
9783631663783
DOI
10.3726/978-3-653-05833-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juli)
Schlagworte
Metaphorologie Sprachphilosophie Meeresmetaphern
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 249 S.

Biographische Angaben

Ina Paul-Horn (Autor:in)

Ina Paul-Horn ist Philosophin, Sozialwissenschaftlerin und Gruppendynamikerin. Sie forscht und lehrt am Institut für Organisationsentwicklung, Gruppendynamik und Interventionsforschung der Fakultät für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Alpen-Adria Universität Klagenfurt.

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Titel: Aktualität der Metapher
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