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Strafgewaltkonflikte und ihre Lösung

von Johannes Bochmann (Autor:in)
©2015 Dissertation 407 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch befasst sich mit der Frage, wie Strafgewaltkonflikte gelöst werden sollten. So ist bisher bei Fällen, in denen mehrere Staaten von einer Tat betroffen sind und gleichermaßen die Strafgewalt für sich in Anspruch nehmen, die Frage ungeklärt, wie mit solchen Strafgewaltkonflikten umzugehen ist. Der Autor unterscheidet hier zwischen der Regelungs- und der Urteilsgewalt und schlägt ein Konzept vor, wonach anwendbares Recht und internationaler Gerichtsstand voneinander abweichen können. Dadurch kann es ihm zufolge zu einer Fremdrechtsanwendung im Strafrecht kommen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • § 1 Gegenstand der Untersuchung
  • § 2 Begriffsklärungen
  • A. Urteilsgewalt
  • B. Vollzugsgewalt
  • C. Regelungsgewalt
  • D. Sitz des Gerichts
  • E. (nationale) Zuständigkeit
  • F. Anwendbares Recht
  • G. Gerichtsstand
  • H. Übersicht
  • Teil 1 Anerkannte Anknüpfungspunkte: Die sog. „Prinzipien“
  • § 1 Territorialitätsprinzip
  • A. Reichweite des Staatsgebiets
  • I. allgemein
  • II. Deutschland
  • B. Tatort i.S.d. Völkerrechts
  • I. Handlungsort
  • II. Erfolgsort
  • III. Erfolgsort bei Tätigkeits- und Gefährdungsdelikten
  • 1) Schlichte Tätigkeitsdelikte
  • 2) Konkrete Gefährdungsdelikte
  • 3) Abstrakte Gefährdungsdelikte
  • a) Restriktive Ansicht
  • b) Extensive Ansicht
  • c) Diskussion
  • 4) Zwischenergebnis
  • IV. Handlungs- und Erfolgsort
  • V. Ubiquitätstheorie
  • VI. Insbesondere: Tatort im Internet
  • 1) Internet und Territorialität
  • 2) Handlungsort
  • a) Ort der Dateneingabe
  • b) Server-Standort
  • aa) Handlung an mehreren Orten gleichzeitig
  • bb) „Virtuelle Präsenz“
  • cc) Vergleich mit der Übermittlung per Post
  • dd) Stellungnahme
  • 3) Erfolgsort
  • a) Erfolgsdelikte
  • b) Gefährdungsdelikte
  • c) Einschränkung des Ubiquitätsprinzips?
  • aa) Zusätzliche objektive Kriterien
  • bb) Zusätzliche subjektive Kriterien
  • cc) Push- vs. Pull-Technologie
  • dd) Beschränkung auf den Handlungsort
  • d) Zusammenfassung zum Erfolgsort im Internet
  • 4) Serverstandort als legitimer Anknüpfungspunkt (ohne „Tatort“ zu sein)
  • 5) Ergebnis aus völkerrechtlicher Sicht
  • VII. Tatort bei Beteiligung Mehrerer
  • 1) Mittäterschaft
  • 2) Mittelbare Täterschaft
  • a) Handlungsort des Tatmittlers als Handlungsort des mittelbaren Täters?
  • b) Handlungsort des Tatmittlers als Erfolgsort des mittelbaren Täters?
  • 3) Inländische Beteiligung an einer Auslandstat
  • 4) Ausländische Beteiligung an einer Inlandstat
  • 5) Zwischenergebnis
  • VIII. Tatort beim Versuch
  • IX. Ergebnis
  • § 2 Flaggenprinzip
  • § 3 Staatsschutzprinzip
  • § 4 Aktives Personalitätsprinzip
  • A. Begriff der Staatsangehörigkeit
  • B. Absolutes aktives Personalitätsprinzip
  • I. Gegner des absoluten aktiven Personalitätsprinzips
  • II. Befürworter des absoluten aktiven Personalitätsprinzips
  • III. Stellungnahme
  • C. Eingeschränktes aktives Personalitätsprinzip
  • D. Ergebnis
  • § 5 Passives Personalitätsprinzip
  • § 6 Domizilprinzip
  • § 7 Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege
  • § 8 Universalitätsprinzip
  • § 9 Vertragsprinzip und Kompetenzverteilungsprinzip
  • § 10 Systematik der Anknüpfungspunkte
  • A. Selbstschutz und Solidarität
  • B. Abhängige und unabhängige Strafgewalt
  • Teil 2 Rangordnung der völkerrechtlichen Anknüpfungspunkte de lege lata
  • § 1 Grundsätzliche Bedenken
  • A. Prinzipien als „standardisierte Abwägungsergebnisse“
  • B. Die Gegenposition
  • C. Stellungnahme
  • § 2 Völkervertragsrecht
  • A. Luft- und Weltraumrecht
  • I. Straftaten an Bord von Flugzeugen
  • II. Ermittlungsmaßnahmen
  • III. Einzelne schwere Straftaten
  • IV. Straftaten im Weltraum
  • B. Seerecht
  • I. Piraterie
  • II. Kollisionen auf hoher See
  • III. Straftaten im Küstenmeer
  • IV. Binnenschifffahrt
  • C. Auslieferungsverträge
  • I. Tatort außerhalb des ersuchenden Staates
  • II. Tatort im ersuchten Staat
  • III. Mehrere Auslieferungsersuchen
  • IV. Zwischenergebnis zu den Auslieferungsverträgen
  • D. Internationale Gerichte
  • I. Insbesondere: Tatort im Sinne der Statuten
  • II. Zwischenergebnis
  • E. NATO-Truppenstatut
  • F. Spezielle Verträge zu einzelnen Delikten
  • G. Ergebnis
  • § 3 Völkergewohnheitsrecht
  • A. Andauernde Übung
  • I. Deutschland
  • 1) Materielles Recht
  • 2) Prozessrecht
  • a) Allgemeines Strafrecht
  • b) Völkerstrafrecht
  • c) Zwischenergebnis
  • II. England und Wales
  • 1) Territorialitätsprinzip
  • 2) Aktives Personalitätsprinzip
  • 3) Passives Personalitätsprinzip
  • 4) Rangordnung
  • III. Andere (europäische) Staaten
  • 1) Österreich
  • 2) Polen
  • 3) Russland
  • 4) Türkei
  • IV. Ergebnis
  • B. Gemeinsame Rechtsüberzeugung
  • § 4 Europäisches Strafrecht
  • A. Europarecht i.w.S.
  • I. Europäische Menschenrechtskonvention
  • II. Verträge im Rahmen des Europarats am Beispiel der Cybercrime-Convention
  • III. Schengener Durchführungsübereinkommen
  • B. Europarecht i.e.S.
  • I. Strafrecht in den Verträgen: Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
  • II. Rahmenbeschlüsse zu einzelnen Straftatgruppen am Beispiel des Terrorismus
  • III. Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl
  • 1) Konkurrierende Europäische Haftbefehle
  • 2) Gründe, die Vollstreckung eines Haftbefehls abzulehnen
  • a) Aufenthaltsort und Verjährung
  • b) Territorialität
  • c) Personalität
  • 3) Zwischenergebnis zum Europäischen Haftbefehl
  • IV. Exkurs: Das „Prinzip der gegenseitigen Anerkennung“ und die beiderseitige Strafbarkeit
  • C. Institutionen
  • I. Europäisches Justizielles Netz
  • II. Europol
  • III. Eurojust
  • IV. Europäische Staatsanwaltschaft
  • V. Europäische Gerichte
  • VI. Fazit zu den Institutionen
  • D. Vorschläge aus der Wissenschaft
  • I. Freiburg Proposal
  • II. Europäisches Gesamtkonzept
  • III. Modellentwurf von Böse/Meyer/Schneider
  • E. Rahmenbeschluss zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten
  • F. Ergebnis zum Europäischen Strafrecht
  • § 5 Ergebnis zu einer Rangordnung de lege lata
  • Teil 3 Rangordnung der völkerrechtlichen Anknüpfungspunkte de lege ferenda
  • § 1 Grundsätzliche Bedenken gegen eine Rangordnung
  • A. Keine völkerrechtlichen Bedenken
  • B. Praktische und rechtliche Bedenken
  • I. Fehlende Notwendigkeit
  • II. Tatort als Kriterium untauglich
  • III. Spannung zwischen effektiver Strafrechtspflege und Resozialisierung
  • IV. Verstoß gegen „ne bis in idem“
  • V. Verstoß gegen Opferinteressen
  • VI. Das fair trial–Gebot und andere Rechte des Beschuldigten
  • C. Zusammenfassung
  • § 2 Unterscheidung nach Teilbereichen der Strafgewalt?
  • A. Strafanwendungsrecht: Regelungsgewalt und/oder Urteilsgewalt?
  • B. Wahl des Gerichtsortes: Urteilsgewalt
  • C. Zwischenergebnis
  • § 3 Regelungsgewalt – Anwendbares Recht
  • A. Nationales Strafrecht
  • B. Interlokales Strafrecht
  • I. Deutschland
  • 1) 1866 – Annexion Hannovers, Kurhessens und Nassaus
  • 2) 1871 – Gründung des Deutschen Reiches
  • 3) 1938/39 – „Anschluss“ Österreichs, „Protektorat Böhmen und Mähren“
  • a) Ausgangspunkt: Tatortprinzip
  • b) Bestimmung des Tatortes
  • c) Ausnahme: Ergänzendes Wohnortrecht
  • 4) Deutsche Teilung
  • a) Sicht der Bundesrepublik bis 1972
  • b) Nach Abschluss des Grundlagenvertrags
  • c) Sicht der DDR
  • 5) Nach 1990
  • 6) Bewertung
  • a) Tatortrecht
  • b) Ergänzendes Wohnortrecht
  • c) Bestimmung des relevanten Tatortes
  • d) Ergebnis
  • II. weitere Staaten
  • III. Übertragbarkeit auf das Internationale Strafrecht
  • C. Anwendbares Recht im Internationalen Deliktsrecht
  • I. Vereinbarung
  • II. lex domicilii communis
  • III. Tatortrecht
  • IV. Ausweichklausel
  • V. Übertragbarkeit auf das Internationale Strafrecht
  • 1) Übertragung
  • 2) Recht des Erfolgsortes als Regelfall
  • 3) Vereinbarung
  • a) Vereinbarung mit dem Geschädigten?
  • b) Vereinbarung mit der Staatsanwaltschaft?
  • c) Ergebnis
  • 4) lex domicilii communis
  • 5) Ausweichklausel
  • 6) Zusammenfassung
  • D. Ergebnis zu den Vergleichsbereichen
  • E. Spezifische Erwägungen für das Strafrecht
  • I. Nulla poena sine lege
  • II. Das Schuldprinzip, insbesondere das Unrechtsbewusstsein – Argument gegen das Tatortrecht?
  • III. Das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit – Argument gegen jeglichen Vorrang?
  • 1) Auslieferungsrecht
  • 2) Materielles Recht
  • 3) Ergebnis zur beiderseitigen Strafbarkeit
  • IV. Berücksichtigung von Interessen der Beteiligten?
  • 1) Interessen des Beschuldigten
  • 2) Interessen des Geschädigten
  • V. Ergebnis zu den strafrechtlichen Erwägungen
  • F. Ergebnis zum anwendbaren Recht
  • § 4 Ort des Verfahrens – Gerichtsstand und vergleichbare Problembereiche
  • A. Gerichtsstand im nationalen Strafrecht
  • I. Vergleichbarkeit von Strafanwendungsrecht und Gerichtsstandsbestimmung
  • II. Gerichtsstand im deutschen Strafprozessrecht
  • 1) Kriterien zur Begründung des Gerichtsstandes
  • a) Tatort
  • aa) Tatort als Gerichtsstand
  • bb) Handlungs- und/oder Erfolgsort
  • b) Wohnsitz des Beschuldigten
  • c) Ergreifungsort
  • d) Weitere Kriterien, Entscheidung durch ein unzuständiges Gericht
  • e) Keine Kriterien für den Gerichtsstand
  • aa) Opferbezogene Kriterien
  • bb) Staatsschutzprinzip
  • cc) Gerichtsstandvereinbarung
  • dd) Zusammenfassung
  • 2) Rangordnung der Gerichtsstände de lege lata
  • a) Verhältnis zwischen Tatort- und Wohnortgerichtsstand
  • b) Subsidiarität des Gerichtsstands des Ergreifungsortes
  • 3) Entscheidung zwischen den Gerichtsständen
  • a) Im Ermittlungsverfahren
  • b) Im Zwischen- und Hauptverfahren
  • 4) Verfassungsmäßigkeit der §§ 7 ff. StPO, insbesondere des Wahlrechts der Staatsanwaltschaft
  • a) maßgebliches Verfassungsrecht
  • b) Argumente gegen ein Wahlrecht der Staatsanwaltschaft
  • c) Argumente für ein Wahlrecht der Staatsanwaltschaft
  • d) Diskussion und Konsequenzen
  • e) Umfang der Verfassungswidrigkeit, insbesondere: der Gerichtsstand des Zusammenhangs
  • III. Gerichtsstand im Strafprozessrecht de lege ferenda
  • 1) Mögliche Bedenken gegen eine Rangordnung
  • 2) Verhältnis von Wohnort und Tatort zueinander
  • 3) Verhältnis mehrerer Tatorte zueinander
  • 4) Verhältnis mehrerer Wohnorte zueinander
  • 5) Verzicht auf den Gerichtsstand des Ergreifungsortes
  • 6) Exkurs: Gerichtsstand im österreichischen Strafrecht
  • a) Verfassungsrecht
  • b) einfaches Recht
  • 7) Möglichkeiten zur Flexibilisierung einer Rangordnung
  • a) „Soll“- statt „Muss“-Bestimmungen
  • b) Verzicht des Beschuldigten
  • c) Vereinbarung
  • d) Widerspruchsmöglichkeit
  • 8) Ergebnis zum Gerichtsstand de lege ferenda
  • IV. Übertragung dieses Ergebnisses auf die internationale Ebene
  • 1) Tatort- und Wohnortstaat
  • 2) Festnahmestaat
  • 3) Notwendige Flexibilisierung
  • 4) Entscheidung durch übergeordnete Stelle
  • B. Gerichtsstand im nationalen Deliktsrecht und Zuständigkeit im Internationalen Zivilverfahrensrecht
  • I. Vergleichbarkeit der Situation
  • II. Wohnsitz
  • III. Begehungsort
  • IV. Weitere Gerichtsstände
  • 1) Rügelose Verhandlung
  • 2) Klage am Ort des Strafverfahrens
  • 3) Gerichtsstandsvereinbarung
  • V. Verhältnis der Gerichtsstände zueinander
  • VI. Übertragung auf das internationale Strafprozessrecht
  • 1) Actor sequitur forum rei
  • 2) Fakultativer Tatortgerichtsstand
  • 3) Vereinbarung
  • C. Besondere Interessenlage bezüglich des „internationalen Strafgerichtsstands“
  • I. Völkerrechtliche Überlegungen
  • 1) Zulässigkeit eines Verzichts auf die Ausübung der Strafgewalt
  • 2) Völkerrechtliche Zulässigkeit eines Wohnsitzgerichtsstands
  • II. Interessen der Staaten
  • 1) Tatortstaat
  • a) „Kontrolle“ über das Verfahren
  • b) Bester Ort – Praktische Überlegungen
  • c) Einheit des (Prozess-)Rechts
  • 2) Täterstaat
  • 3) Geschützter Staat
  • 4) Wohnsitz- und andere Staaten
  • 5) Ergebnis zu den staatlichen Interessen
  • III. Interessen des Beschuldigten
  • 1) Rechte in Bezug auf den Richter
  • a) Verfassungsrecht – Recht auf den gesetzlichen Richter
  • b) Recht auf einen unvoreingenommenen Richter
  • 2) Schnelles, faires Verfahren
  • a) Beschleunigtes Verfahren
  • b) Strafbefehlsverfahren
  • c) „Normalverhandlung“
  • d) Insbesondere: Die Übersetzungsproblematik
  • 3) Materieller und immaterieller Aufwand für das Gerichtsverfahren
  • 4) Resozialisierungsinteresse
  • 5) Ergebnis
  • IV. Interessen des Geschädigten
  • V. Interessen sonstiger Beteiligter (insbesondere Zeugen)
  • VI. Gewichtung der Interessen
  • 1) Interessen des Geschädigten
  • 2) Staatliche Interessen
  • 3) Interessen des Beschuldigten
  • 4) Zwischenergebnis
  • D. Ergebnis zum Ort des Verfahrens
  • Teil 4 Schlussfolgerungen und Folgeprobleme
  • § 1 Gerichte des Tatortstaates im Ausland bzw. ausländische Gerichte im Inland
  • A. Bisherige Beispiele
  • I. Nürnberger Prozesse
  • II. Militärgerichte nach dem NATO-Truppenstatut (NTS)
  • III. United States Court for Berlin
  • IV. Der „Lockerbie-Fall“
  • B. Übertragbarkeit auf das allgemeine Strafrecht
  • I. Vergleich der historischen Beispiele mit der hier erwogenen Konstellation
  • 1) Militärgerichte
  • 2) United States Court for Berlin
  • 3) Der „Lockerbie-Fall“
  • II. Völkerrechtliche Probleme
  • III. Probleme auf der Ebene des nationalen Rechts
  • 1) Rechtliche Probleme des urteilenden Staates
  • a) Verfassungsrecht
  • b) Einfaches Recht
  • c) Beurteilung
  • 2) Rechtliche Probleme des „Sitzstaates“
  • a) Völker- und Menschenrecht
  • b) Verfassungsrecht
  • c) Einfaches Recht
  • d) Beurteilung
  • IV. Praktische Schwierigkeiten
  • V. Ergebnis
  • § 2 Übergeordnete Gerichte
  • § 3 Fremdrechtsanwendung
  • A. Gegenwärtige Situation
  • I. Fremdrechtsanwendung im Strafrecht
  • II. Fremdrechtsanwendung in anderen Rechtsbereichen
  • B. Vorgaben des Völker- und Europarechts
  • C. Vorgaben des Nationalen Rechts, insbesondere des Verfassungsrechts
  • I. Das Demokratieprinzip
  • 1) Die These von Schünemann
  • 2) Der Europäische Haftbefehl: Mitwirkung am ausländischen Strafverfahren und das Demokratieprinzip
  • 3) Das Auslieferungsverbot eigener Staatsangehöriger: Nichtmitwirkung am ausländischen Strafverfahren und das Demokratieprinzip
  • 4) Schlussfolgerungen und Ergebnis zum Demokratieprinzip
  • II. Die Bindung an Recht und Gesetz
  • III. Das Gebot der Gesetzesbestimmtheit
  • 1) Inhalt und Ratio des Art. 103 Abs. 2 GG
  • a) Vier Verbote
  • b) Vier Grundsätze
  • 2) Ausländisches Strafrecht als „Gesetz“ im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG
  • a) Inhalt des Begriffs „Gesetz“
  • b) Ausländisches Recht als inländisches Gesetz kraft Verweisung/Blankettgesetz
  • aa) Blankettstrafgesetze im Allgemeinen
  • bb) Verweisungsnorm auf ausländisches Recht als Blankettgesetz
  • cc) Das Problem der vollständigen „Externalisierung“
  • dd) Zwischenergebnis
  • c) Ausländisches Recht als ausreichende „gesetzliche Bestimmung“
  • aa) Anknüpfung an die lex loci
  • bb) Anknüpfung (nur) an die lex fori
  • cc) Diskussion und Zwischenergebnis
  • dd) Folgen für den „umgekehrten“ Fall
  • d) Insbesondere: Das Sprachenproblem
  • e) Ergebnis zum Begriff „Gesetz“
  • 3) Die vier Verbote im Einzelnen
  • a) Analogieverbot – lex stricta
  • b) Verbot von Gewohnheitsrecht – lex scripta
  • aa) Andere Veröffentlichungsformen
  • bb) Gewohnheitsrecht und Case Law
  • c) Rückwirkungsverbot – lex praevia
  • d) Verbot unbestimmter Normen – lex certa
  • e) Zwischenergebnis zu einem Verstoß gegen eines der „vier Verbote“
  • 4) Die „vier Grundsätze“ im Einzelnen
  • a) Bindung der Judikative an das Gesetz und Grundsatz der gewaltenteilenden Demokratie
  • b) Generalprävention und Vorhersehbarkeit der Strafbarkeit
  • c) Schuldprinzip
  • 5) Besonderheit bei Freiheitsentzug: „Förmliches Gesetz“ i.S.d. Art. 104 Abs. 1 GG
  • 6) Ergebnis zum Aspekt der Gesetzesbestimmtheit
  • IV. Der Gleichheitsgrundsatz
  • 1) Territorialitätsprinzip – Verstoß gegen das Gleichheitsgebot?
  • 2) Fremdrechtsanwendung – Verstoß gegen das Gleichheitsgebot?
  • 3) Fremdrechtsanwendung – Gebot eines internationalen Gleichheitsgrundsatzes?
  • a) Einheit des Rechts und Gleichheitsgrundsatz
  • b) Bestehen eines internationalen Gleichheitsgrundsatzes
  • c) Zwischenergebnis zu einem internationalen Gleichheitsgrundsatz
  • 4) Fremdrechtsanwendung – Gebot des nationalen Gleichheitsgrundsatzes?
  • 5) Ergebnis zum Gleichheitsgrundsatz
  • V. Der Grundsatz des Rechtsgüterschutzes
  • 1) Universelle und nicht-universelle Rechtsgüter
  • 2) Nicht-Verfügen-Dürfen. Das Staatsschutzprinzip
  • 3) Nicht-Verfügen-Können. Das Tatortprinzip
  • 4) Ergebnis zum Rechtsgüterschutz
  • VI. Das Recht auf den gesetzlichen Richter
  • VII. Ergebnis zu den verfassungsrechtlichen Bedenken
  • D. Praktische Bedenken – Schwierigkeiten bei der Ermittlung und Anwendung fremden Rechts
  • I. Qualitative Betrachtung
  • 1) Aufwand zur Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts
  • 2) Vergleich mit dem Zivilprozessrecht
  • 3) Zwischenergebnis
  • II. Quantitative Betrachtung
  • 1) § 5 StGB
  • 2) § 6 StGB
  • 3) § 7 StGB
  • III. Zwischenergebnis
  • E. Wertungsunterschiede als Hindernis? – Rechtliche Bedenken im Einzelfall
  • I. Wertungsunterschiede bezüglich der Strafwürdigkeit
  • 1) Strafbarkeit nur nach der lex loci, aber nicht nach der lex fori
  • a) Widersprüche auf einfach-rechtlicher Ebene
  • b) Verfassungsrechtliche Überlegungen
  • c) Vorrang des Völkerrechts
  • 2) Strafbarkeit nach der lex fori, aber nicht nach der lex loci
  • a) Verfassungsrechtliche Überlegungen
  • b) Völkerrechtliche Überlegungen
  • II. Wertungsunterschiede bezüglich der Sanktionen
  • III. Wertungsunterschiede im Prozessrecht
  • F. Ergebnis zur Fremdrechtsanwendung
  • § 4 Festlegung des maßgeblichen Tat- und Wohnorts de lege ferenda
  • A. Gründe für eine Festlegung des Tatorts
  • B. Vorrang welchen Tatorts?
  • C. Ergänzende Heranziehung des Erfolgsortes?
  • D. Besondere Probleme bei der Feststellung des Handlungsortes
  • I. Unterlassungsdelikte
  • II. Beteiligung Mehrerer
  • III. Distanzdelikte, insbesondere Internetstraftaten
  • IV. Mehraktige Delikte
  • V. Handlungsort auf einem Schiff oder Flugzeug
  • VI. Zweifel bei der Bestimmung des Handlungsorts
  • E. Ergebnis zum Tatort de lege ferenda
  • F. Festlegung des relevanten Wohnorts de lege ferenda
  • Zusammenfassung der Ergebnisse
  • Anhang: Formulierungsvorschlag
  • A. StGB
  • B. StPO
  • C. VStGB
  • Literaturverzeichnis

← 20 | 21 → Einleitung

§ 1 Gegenstand der Untersuchung

Die Feststellung, dass Straftaten nicht an den Grenzen des Nationalstaates enden, sondern darüber hinausgreifen, ist weder neu noch besonders originell. Richtig ist sie dennoch. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten stellt sich immer – so auch im Strafrecht – die Frage, wer einen Sachverhalt beurteilen darf oder muss, und nach welchem materiellen Recht dies erfolgen soll. Im Strafrecht stellt sich also die Frage nach der Strafgewalt. Diese ist aus völkerrechtlicher Sicht unproblematisch immer dann für einen Staat gegeben, wenn alle „Bestandteile“ der Straftat in dessen Territorium, also im Inland, vorliegen. In allen anderen Fällen kann es dazu kommen, dass mehrere Staaten von einer Tat betroffen sind und gleichermaßen die Strafgewalt für sich in Anspruch nehmen. Bisher ungeklärt ist es, wie mit solchen Strafgewaltkonflikten umzugehen ist.1 Ein solcher Konflikt kann zur Konsequenz haben, dass der Täter mehrfach ver- bzw. abgeurteilt wird2ne bis in idem gilt im Völkerrecht nicht.

Dort, wo ne bis in idem gesondert vereinbart wurde, etwa zwischen den Vertragsstaaten des SDÜ,3 hängt die Frage, in welchem Staat der Beschuldigte abgeurteilt wird, von Zufälligkeiten wie dem Ort der Festnahme ab und ist sogar durch Manipulation der Strafverfolgungsbehörden beeinflussbar.4

← 21 | 22 → Unabhängig davon, ob ne bis in idem im konkreten Fall gilt, liegt es auf der Hand, dass eine Mehrfachverfolgung jedenfalls nicht im Interesse des Beschuldigten ist. Aber auch, ob sie im Interesse der beteiligten Staaten ist, mag mit guten Gründen bezweifelt werden. Wenn der Täter nämlich bereits abgeurteilt wurde – wenn auch in einem anderen Staat – dann erscheint es auch unter Berücksichtigung der Strafzwecke weder sinnvoll noch notwendig, ein weiteres Strafverfahren durchzuführen, das ja für den Staat einen gewissen Aufwand darstellt.

Es gibt bereits den Ansatz, die Strafgewalten einer „Rangordnung“ zu unterwerfen5 oder die These, dass es einer möglichst einvernehmlichen Lösung bedarf, ggf. auch unter Einbeziehung überstaatlicher Stellen6. Eine umfassende Klärung dieses Problems liegt bisher aber nicht vor, allerdings gibt es bereits einige Vorschläge dazu.7

Mit dieser Arbeit wird der Versuch unternommen, eine Lösung zur Behandlung von Strafgewaltkonflikten aufzuzeigen. Dazu wird in einem ersten Schritt untersucht, inwieweit es aus völkerrechtlicher Sicht überhaupt zulässig ist, die Strafgewalt zu beanspruchen (Teil 1). Im zweiten Schritt wird der Frage nachgegangen, ob es – wie insbesondere Ambos8 meint – bereits eine Rangordnung der Strafgewalten gibt (Teil 2). Erst, wenn dies verneint wird, kann es um die Frage gehen, ob es eine solche Rangordnung de lege ferenda geben und wie diese aussehen sollte. Dabei werden die unterschiedlichen Aspekte des Strafverfahrens und der Strafgewalt in den Blick genommen. Vergleichend werden auch die Situation in anderen Rechtsbereichen und die historische Entwicklung untersucht, um anschließend zu ermitteln, ob und inwieweit eine Übertragung auf die international-strafrechtliche Ebene möglich ist (Teil 3). Anschließend werden mögliche Konsequenzen aufgezeigt und die dabei auftretenden Fragen einer systematischen und interessengerechten Lösung zugeführt (Teil 4). Die Arbeit schließt ab mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und enthält in einem Anhang zudem einen Formulierungsvorschlag für das zu schaffende Recht.

§ 2 Begriffsklärungen

Im Zusammenhang mit dem „Internationalen Strafrecht“ gilt es, eine Reihe verschiedener Begriffe auseinander zu halten.9 Von zentraler Bedeutung ist dabei der ← 22 | 23 → Begriff der Strafgewalt (jurisdiction), der durchaus unterschiedlich verstanden werden kann und bei dem deshalb verschiedene Aspekte zu unterscheiden sind.10

A. Urteilsgewalt

Unter der Urteilsgewalt (jurisdiction to adjudicate) als einem Aspekt der Strafgewalt soll die völkerrechtliche Befugnis verstanden werden, über einen (hier: strafrechtlich relevanten) Sachverhalt zu richten. Derjenige Staat, der Gerichtsbarkeit ausübt, muss dazu berechtigt sein. Diese völkerrechtliche Berechtigung ist von etwaigen innerstaatlichen Beschränkungen unabhängig.11

Mit der Frage der Urteilsgewalt ist dagegen noch nicht automatisch geklärt, welches materielle und ggf. prozessuale Recht der Entscheidung zu Grunde gelegt wird. Es ist immerhin denkbar (und im Zivilrecht bei Auslandssachverhalten durchaus auch üblich12), dass ein Gericht des einen Staates das Recht eines anderen Staates anwenden muss.

B. Vollzugsgewalt

Ebenfalls auf der Ebene der Durchsetzung des Rechts ist die Vollzugsgewalt (jurisdiction to enforce) anzusiedeln. Sie bezieht sich aber nicht nur auf den Vorgang des Aburteilens, sondern auch auf alle vor- und nachgelagerten Maßnahmen zur Durchsetzung des Rechts, also im Vorfeld etwa Ermittlungen, Beschlagnahmen, Festnahmen; im Nachhinein ist insbesondere der Vollzug eines Strafurteils zu nennen. Diese Befugnis besitzt der Staat ausschließlich für sein eigenes und für staatenloses Gebiet.13

C. Regelungsgewalt

Ein anderer Aspekt der Strafgewalt ist die Regelungs- oder Rechtsetzungsgewalt (jurisdiction to prescribe).14 Darunter wird die völkerrechtliche Berechtigung verstanden, einen Sachverhalt oder ein Verhalten (hier: strafrechtlich) zu regeln.

Die Regelungsgewalt kann man im Strafrecht wiederum in zwei Bestandteile gliedern: Einerseits bedarf es einer Regelung, welches Verhalten strafbar sein soll (Straftatbestand15). Solche Regelungen werden zumindest im Kernstrafrecht ← 23 | 24 → in den unterschiedlichen Staaten oftmals ähnlich sein. Andererseits umfasst die Regelungsgewalt auch die Möglichkeit, Art und Höhe der Strafe festzulegen (Rechtsfolge). Hier sind selbst innerhalb vermeintlich ähnlicher Strafrechtsordnungen erhebliche Unterschiede festzustellen.16

D. Sitz des Gerichts

Von den Aspekten der Strafgewalt, insbesondere auch von der Urteilsgewalt unabhängig ist die Frage des Sitzes des Gerichts. Wenn mit „Sitz“ nur der Gerichtsstand nach nationalem Recht gemeint ist, leuchtet dies ohne weiteres ein. In einem ersten Schritt (Urteilsgewalt) ist nämlich nach Völkerrecht festzustellen, welcher Staat urteilen darf. Die Bestimmung, welches unter mehreren möglichen Gerichten innerhalb eines Staates zur Entscheidung berufen ist, wird allein durch das nationale Recht vorgenommen.

Der „Sitz des Gerichts“ kann jedoch auch in einem weiteren Sinne als „Sitzstaat“ verstanden werden. Es ist nämlich – zumindest theoretisch – möglich, dass ein Staat X ein eigenes Gericht auf dem Territorium des Staates Y unterhält. Obwohl der Sitz des Gerichts also im Gebiet des Staates Y liegt, muss diesem Staat Y nicht unbedingt die Urteilsgewalt zustehen. Die Vorstellung, etwa auf deutschem Boden ausländische Gerichte zu haben, erscheint vielleicht auf den ersten Blick befremdlich. Gleichwohl gab und gibt es solche Fälle.17 Zu nennen sind etwa die Militärtribunale nach dem zweiten Weltkrieg sowie der United States Court for Berlin, der allerdings lediglich ein Urteil18 zu fällen hatte und ebenfalls auf militärische bzw. besatzungsrechtliche Gründe zurückzuführen ist.19 Daneben ist auch an die ← 24 | 25 → Militärgerichte einiger NATO-Staaten zu denken.20 Aus ganz anderen Gründen wurde im Fall des Lockerbie-Anschlags durch Vereinbarung der Regierungen des Vereinigten Königreichs und der Niederlande die Möglichkeit geschaffen, dass das oberste schottische Gericht (High Court of Justiciary) in den Niederlanden verhandeln und entscheiden durfte.21

In solchen Fällen bestehen besondere Probleme, zunächst in Bezug auf die Errichtung solcher Gerichte, aber auch, was die Geltung der jeweiligen Verfassung, ggf. auch des einfachen Rechts, betrifft.22

E. (nationale) Zuständigkeit

Von den Fragen der Urteilsgewalt und des Sitzstaates ist die Zuständigkeit nach nationalem Recht23 zu unterscheiden. Nicht alles, was völkerrechtlich erlaubt ist, muss der Staat in seiner eigenen Rechtsordnung auch umsetzen. Ein Staat darf sich also nur dann zur Aburteilung für zuständig erklären, wenn er die Urteilsgewalt hat. Umgekehrt bedeutet die völkerrechtliche Zulässigkeit, Urteilsgewalt auszuüben, aber nicht zwingend, dass der betreffende Staat auch aburteilen muss. Die Zuständigkeit der Gerichte eines Staates ergibt sich also aus dem Recht dieses Staates, das wiederum mit dem Völkerrecht im Einklang stehen muss.

F. Anwendbares Recht

Das anwendbare Recht folgt nicht in dem Sinne zwingend aus der Regelungsgewalt, dass nur das Recht desjenigen Staates anwendbar wäre, der die Regelungsgewalt innehat. Allerdings darf nur derjenige Staat ein Recht für anwendbar erklären, dem die Regelungsgewalt zusteht. Welches Recht anwendbar ist, richtet sich daher nach dem nationalen Recht des Staates, der die Regelungsgewalt ausübt. In Deutschland wird für das Strafrecht vorausgesetzt, dass deutsche Gerichte nur ← 25 | 26 → deutsches Strafrecht anwenden,24 völkerrechtlich zwingend ist dies jedoch nicht. Der Staat, der die Regelungsgewalt innehat, kann allein das anwendbare Recht bestimmen.25 Ob und inwieweit eine Anwendung fremden Strafrechts nach nationalem Verfassungsrecht in Deutschland zulässig ist, wird unten im Teil 4 § 3 C. untersucht.

G. Gerichtsstand

Als letzter Begriff ist der des Gerichtsstands nach nationalem Recht dem Begriff „Sitzstaat“ im völkerrechtlichen Bereich gegenüber zu stellen. Der Gerichtsstand bestimmt sich allein nach den nationalen Vorschriften und ist in keiner Weise völkerrechtlich beeinflusst.26 Hinzuweisen ist aber darauf, dass – ähnlich wie es ausländische Gerichte im Inland geben kann – auch im nationalen Recht der Gerichtsort nicht immer innerhalb des Gerichtsbezirks liegt.27

H. Übersicht

Die folgende Übersicht stellt die Begriffe noch einmal zur Verdeutlichung einander gegenüber.

 

 

Völkerrechtlicher Begriff: Regelt, was völkerrechtlich erlaubt ist

Innerstaatlicher Begriff: Nationale Umsetzung, ggf. weniger als völkerrechtlich erlaubt

← 26 | 27 → Welcher Staat urteilt?

Urteilsgewalt

(nationale) Zuständigkeit

Wessen Recht liegt zu Grunde?

Regelungsgewalt

(Entscheidung über) anwendbares Recht

Wo sitzt das Gericht?

Sitzstaat

Gerichtsstand / örtliche Zuständigkeit ← 27 | 28 →

__________________

1Dabei sollen hier die sog. „positiven Strafgewaltkonflikte“ im Vordergrund stehen, bei denen mehrere Staaten die Aburteilung durchführen wollen. Der Fall, dass sich von mehreren Staaten keiner als zuständig ansieht, lässt sich ebenfalls als Strafgewaltkonflikt begreifen, nämlich als sog. „negativer Strafgewaltkonflikt“, vgl. dazu etwa Lagodny, Gutachten, S. 24 ff. zum „Fall Öcalan“, sowie unten Teil 4 § 1 A.III. zum Fall U.S. v. Tiede.

2Etwas unklar insofern Eisele, ZStW 2013, 1, 9. Eisele erweckt den Eindruck, als sei es (auch) eine Folge des ungeklärten Strafgewaltkonflikts, wenn ein Geschädigter in einer Form der Selbstjustiz (von Eisele etwas euphemistisch als „Selbsthilfe“ bezeichnet) den Beschuldigten, gegen den das Verfahren in einem Staat eingestellt wurde, entführt, um ein Verfahren in einem anderen Staat zu erreichen. Tatsächlich ist es aber nur Folge des Strafgewaltkonflikts, dass der Entführer letztlich „Erfolg“ hatte, weil es zu einem weiteren Verfahren – und im von Eisele besprochenen Fall: einer Verurteilung – kam. Allein das zusätzliche Verfahren, nicht aber die Entführung ist Folge des ungelösten Strafgewaltkonflikts.

3Dies schließt jedoch nur die mehrfache Strafverurteilung aus und schützt nicht davor, dass von mehreren Staaten Ermittlungsmaßnahmen ergriffen werden, obwohl beispielsweise in einem anderen Staat die Ermittlungen weiter fortgeschritten sind. Kritisch dazu zu Recht Mansdörfer, ne bis in idem. Näher zu Art. 54 SDÜ auch unten Teil 2 § 4 A.III.

4Zur Wirkung von ne bis in idem als „faktisches Prioritätsprinzip“ Vander Beken/ Vermeulen/Lagodny, NStZ 2002, 624.

5So insbesondere Ambos, Internationales Strafrecht, § 4.

6Für die Einbeziehung des Europäischen Gerichtshofes Lagodny, Gutachten.

7Vorschläge etwa bei Hein, Zuständigkeitskonflikte; Eicker, StV 2005, 631; Schünemann (Hrsg.), Gesamtkonzept; Böse in FS-Wolter, S. 1311; Böse/Meyer/Schneider, GA 2014, 572; vgl. ferner auf Ebene der EU der Rahmenbeschluss zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten (dazu noch unten Teil 2 § 4 E.).

8Ambos, Internationales Strafrecht, § 4.

9Bereits der Begriff des Internationalen Strafrechts hat unterschiedliche Bedeutungen. In einem engen Sinne sind damit nur die Normen des sog. Strafanwendungsrechts gemeint. In einem weiteren Sinne sind davon zusätzlich das Rechtshilferecht, das Völkerstrafrecht und das Europäische Strafrecht erfasst, vgl. Werle/Jeßberger in LK-StGB, vor § 3 Rn. 13 f. Wenn im Folgenden vom Internationalen Strafrecht die Rede ist, ist damit das Strafanwendungsrecht gemeint.

10Näher dazu auch Eser in FS-Trechsel, S. 226 ff.; Böse in FS-Wolter, S. 1311, 1315.

11Vgl. Lagodny, Gutachten, S. 12.

12Vgl. Art. 3 EGBGB, näher auch unten Teil 3 § 3 C.

13Vgl. nur Werle/Jeßberger in LK-StGB, vor § 3 Rn. 22.

14Werle/Jeßberger in LK-StGB, vor § 3 Rn. 5.

15Hier in einem weiten Sinn zu verstehen. Enthalten sind in diesem weiten Tatbestandsbegriff neben dem Tatbestand im engen Sinn auch Rechtswidrigkeit, Schuld und objektive Bedingungen der Strafbarkeit, vgl. Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rn. 117.

16Dies betrifft etwa die Frage, in welchem Maß Geldstrafen oder kurze Freiheitsstrafen verhängt werden können, oder welche Haupt- und Nebenstrafen überhaupt möglich sind. Auch die Strafrahmen für ähnliche Delikte können durchaus – auch in vermeintlich ähnlichen Rechtsordnungen – unterschiedlich sein, vgl. etwa die Höchststrafen für einfache Körperverletzung im deutschen (fünf Jahre Freiheitsstrafe, § 223 Abs. 1 StGB) und österreichischen Recht (ein Jahr Freiheitsstrafe, § 83 Abs. 1 öStGB).

17Näher zu diesen Beispielen noch unten Teil 4 § 1 A.

18Urteil vom 14.03.1979, U.S. v. Tiede, 86 F.R.D. 227, online verfügbar unter http://www.uniset.ca/other/cs4/86FRD227.html (abgerufen am 09.07.2014). In diesem Fall ging es um die Entführung eines Flugzeugs mit dem Ziel Berlin-Schönefeld zum westberliner Flughafen Tempelhof. Die westdeutschen bzw. westberliner Behörden hatten offenbar aus politischen Gründen kein Interesse an der Strafverfolgung.

19In den Urteilsgründen wird die Entwicklung der US-amerikanischen Gerichtsbarkeit in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg dargestellt. Es wird ausdrücklich bestätigt, dass es sich um ein US-Gericht handelt: „Thus, this Court sits in Berlin as an instrumentality of the United States, executing the sovereign powers of the United States.“ (US Court for Berlin, 86 F.R.D. 227, 237) Außerdem wurde die Geltung der Verfahrensrechte aus der US-Verfassung bejaht. (S. 244: „The Constitution of the United States manifestly applies to these proceedings“).

20Vgl. dazu Lagodny in FS-Eser, S. 777, 793 f., sowie ausführlich Birke, Nato-Truppenstatut.

21Dazu näher Klip/Mackarel, IRPL 1999, 777.

22Zu den gesetzlichen Hindernisse im Lockerbie-Fall ausführlich Klip/Mackarel, IRPL 1999, 777, 782 f. – In Deutschland stünde zudem auch die Frage nach dem Geltungsbereich von StPO und GVG im Raum, vgl. Birke, Nato-Truppenstatut, S. 218 ff. Näher dazu auch unten Teil 4 § 1 B.III.

23Lagodny, Gutachten, S. 13 spricht in diesem Zusammenhang von „Strafbefugnis“ und sieht den Begriff der Zuständigkeit offenbar enger. Auch Lagodny verwendet „Zuständigkeit“ aber für rein innerstaatliche Fragen.

24Vgl. etwa Ambos in MüKo-StGB, § 7 Rn. 8, demzufolge die deutsche Strafgewalt „natürlich auf das deutsche Strafrecht zurückgreift“ (Hervorhebung J.B.). Zu den bereits jetzt bestehenden Ausnahmen und einem Vorschlag zur Fremdrechtsanwendung de lege ferenda siehe unten Teil 4 § 3.

25Theoretisch wäre es sogar möglich, dass auf diese Weise das Recht eines ganz unbeteiligten Staates zur Anwendung kommt, nämlich dann, wenn ein nationales Recht (verfassungsrechtliche Zulässigkeit vorausgesetzt) das Recht eines anderen Staates für anwendbar erklärt. Angesichts des großen Stellenwerts der Souveränität geschieht dies jedoch regelmäßig nicht. Selbst ein Kleinstaat wie etwa Liechtenstein hat ein eigenes StGB, das zwar dem früheren österreichischen entspricht, aber eben liechtensteinisches Recht ist. Auch die anderen europäischen Kleinstaaten San Marino, Monaco und Andorra verfügen über ein eigenes StGB. Eine Ausnahme stellt in dieser Hinsicht der Vatikanstaat dar: Hier bestimmt Art. 3 des Gesetzes über die Rechtsquellen ausdrücklich die Anwendung italienischen Rechts, wenn auch mit einem Vorbehalt zugunsten des kanonischen Rechts, vgl. Shea, Law of the Vatican, Abschnitt 2.5.

26Umgekehrt wäre es aber möglich und de lege ferenda durchaus denkbar, dass einzelne Regelungen zur Bestimmung des Gerichtsstandes gewissermaßen auf die völkerrechtliche Ebene übertragen werden, s. dazu unten Teil 3 § 4.

27In Deutschland gilt dies z.B. für das Landgericht München II, das – im Gegensatz zum LG München I – nicht für die Stadt und den Landkreis München zuständig ist, sondern für die umliegenden Amtsgerichtsbezirke, vgl. Artt. 4 Nr. 15; 5 des Gesetzes über die Organisation der ordentlichen Gerichte im Freistaat Bayern.

Details

Seiten
407
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653057560
ISBN (ePUB)
9783653965964
ISBN (MOBI)
9783653965957
ISBN (Paperback)
9783631661659
DOI
10.3726/978-3-653-05756-0
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Mai)
Schlagworte
Strafgewalt Fremdrechtsanwendung Strafanwendungsrecht: Kompetenzkonflikt
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 407 S.

Biographische Angaben

Johannes Bochmann (Autor:in)

Johannes Bochmann studierte Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er war Akademischer Mitarbeiter an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Lehrstuhl Prof. Dr. Dr. h. c. Joerden.

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Titel: Strafgewaltkonflikte und ihre Lösung
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