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Kaiser Michael IX. Palaiologos: sein Leben und Wirken (1278 bis 1320)

Eine biographische Annäherung

von Helga Gickler (Autor:in)
©2015 Dissertation 224 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch befasst sich mit Kaiser Michael IX. Palaiologos, der in der Literatur bisher kaum beachtet, sondern als «Mitkaiser» ohne selbstständige Funktionen gesehen wurde. Helga Gickler untersucht die Gründe dafür. Die abwertende lateinische Übersetzung des Historiographen Pachymeres, der wahrscheinlich Michaels Lehrer war, beeinflusste viele neuzeitliche Historiker. Als Feldherr agierte Michael völlig eigenständig und propagierte Freiwilligenheere. Er war jedoch 1302–03 gegen die osmanischen Heere im Westen Kleinasiens und 1303–05 gegen die Katalanische Kompanie in Thrakien erfolglos. Seine Präsenz in der Epigraphik und in der Münzprägung unterstreicht seine Bedeutung. Sein plötzlicher Tod wird als Giftmord durch seinen Sohn Andronikos III. gedeutet.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Siglen
  • Vorwort
  • I. Einführung: Michael IX. als Gegenstand der Forschung
  • II. Literarische Quellen
  • III. Epigraphische Zeugnisse
  • IV. Michael IX. in seiner Funktion als Basileus
  • V. Michaels IX. Jugend
  • Hochzeitsverhandlungen (1288-1295)
  • Michaels Krönung: Das Krönungszeremoniell
  • Das Jahr der Krönung und das der Hochzeit
  • VI. Michael IX. als General in Kleinasien (1302–1304)
  • Auseinandersetzungen mit den Osmanen
  • Die Ereignisse von Pegai
  • VII. Roger de Flor und die Katalanische Kompanie als Söldner in Diensten Andronikos’ II. (1303-1304)
  • Hintergründe
  • Roger der Flors Vertrag mit Andronikos II.
  • Roger de Flors Feldzug in Kleinasien
  • VIII. Michael IX. als General in Thrakien (1304-1313)
  • Auseinandersetzungen mit den Bulgaren
  • Wachsende Spannungen mit den Katalanen
  • Roger de Flors Tod
  • Militärische Auseinandersetzungen mit den Katalanen
  • Militärische Auseinandersetzungen mit den Osmanen
  • IX. Michaels IX. Leben von 1313-1320 und seine Familie
  • X. Das Jahr 6829 (1320/21) – Michaels IX. Tod
  • 1320/21 – Ein Jahr der Wende
  • Spannungen zwischen Andronikos II. und Andronikos III. vor 1320
  • Michaels IX. Tod
  • Kantakuzenos als Zeuge von Michaels IX. Leben und Sterben
  • Vier Trauerreden anlässlich Michaels IX. Tod
  • Quellen- und Literaturverzeichnis
  • Register

← 6 | 7 →Siglen

AHAM

Acta historica et archaeologica mediaevalia

AHR

American Historical Review

AÖAW

Anzeiger der österreichischen Akademie der Wissenschaften

ΑρχΕφ

Αρχαιολογικ Εφημερς

BCH

Bulletin de correspondance hellénique

BMGS

Byzantine and Modern Greek Studies

BRAB

Boletin de la Real Academia de Buenas Letras de Barcelona

BSl

Bizantinoslavica

BSt

Byzantine Studies

Byz

Byzantion

BZ

Byzantinische Zeitschrift

CFHB

Corpus Fontium Historiae Byzantinae

CSHB

Corpus Scriptorum Historiae Byzantinae

DNP

Der Neue Pauly

DOP

Dumbarton Oaks Papers

EO

Echoes d’Orient

FrSt

Frühmittelalterliche Studien

GOTR

The Greek Orthodox Theological Review

GRBS

Greek and Byzantine Studies

HZ

Historische Zeitschrift

JEH

The Journal of Economic History

JHN

Journal of the History of Neurosciences

JÖB

Jahrbuch der österreichischen Byzantinistik

LexMA

Lexikon des Mittelalters

MG

Medioevo greco

NR

Néa Rhóme

NRS

Nuova Rivista Storica

OCP

Orientalia Christiana Periodoca

ODB

The Oxford Dictionary of Byzantium

OrChr

Oriens Christianus

PLP

Prosopographisches Lexikon der Palaiologenzeit

RE

Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft

REB

Revue des études byzantines

RESEE

Revue des études sud-est européennes

RHSEE

Revue d’histoire sud-est européenne

StB

Studi Bizantini

← 7 | 8 →StM

Studi Medievali

TIP

Tabula Imperii Byzantini

TLG

Thesaurus Linguae Graecae

TM

Travaux et Mémoires

ZHF

Zeitschrift für historische Forschungen

ZRVI

Zbornik Radova Vizantoloshkog Instituta

← 8 | 9 →Vorwort

Als ich 1997 ein Zweitstudium an der Universität zu Köln aufnahm, entschied ich mich bewusst gegen eine Vertiefung meines Philologiestudiums der sechziger Jahre (Romanische und Klassische Philologie), vielmehr wollte ich meinen langjährigen Griechenland-Enthusiasmus mit neuen Erkenntnissen bereichern in den Fächern Archäologie, Alte Geschichte und nach einiger Überlegung: Byzantinistik. Aus dieser „terra incognita“ wurde bald das Hauptfach dank der Begeisterungsfähigkeit des Lehrstuhlinhabers Prof. Dr. Peter Schreiner. An das Magisterexamen im Jahre 2002 schloss sich die Promotion an. Die Themenfindung gestaltete sich schwierig. Mein Wunschthema, eine Biographie der Helena, Konstantins Mutter, stellte sich als von althistorischer Seite vielfach behandelt heraus. Stattdessen schlug mir Professor Schreiner vor, einen Kaiser zu bearbeiten, der noch nicht mit einer Monographie bedacht sei, nämlich Michael IX. Palaiologos. Nach einer längeren Einarbeitungszeit – der Palaiologenzeit hatte ich zuvor wenig Aufmerksamkeit gewidmet – und einigen persönlich bedingten Unterbrechungen nahm das Thema unter der geduldigen Obhut von Professor Schreiner allmählich Gestalt an. Auch nach seiner Emeritierung stand er jederzeit für Fragen – entweder am Telefon oder bei Besuchen – zur Verfügung. Auch Professor Dr. Andreas Külzer (Wien – Köln) hat mich bei anstehenden Problemen immer unterstützt. Als Kommilitone, als Assistent an der Universität zu Köln und als Professor in Budapest bereicherte Niels Gaul meine Arbeit durch wichtige Anregungen. Seit 2005 vermittelte mir Professor Dr. Claudia Sode, Nachfolgerin von Professor Schreiner, in zahllosen Gesprächen Impulse für diese Arbeit und sorgte mit der regelmäßigen Veranstaltung von Kolloquien für den Meinungsaustausch unter den Doktoranden. Mein besonderer Dank gilt ihr für die Bereitschaft, zusammen mit Professor Schreiner die Arbeit offiziell zu betreuen. Ihnen allen sei an dieser Stelle auf das Herzlichste gedankt. Auch meiner Familie und besonders meinem Mann danke ich für Gelassenheit, Ermutigung und Entlastung von vielen täglichen Mühen.

 

← 9 | 10 →„Portrait“ von Michael IX. Palaiologos aus dem cod. gr. 122 der Biblioteca Estense in Modena

aus: Wikipedia.org/11.12.14

← 10 | 11 →I. Einführung: Michael IX. als Gegenstand der Forschung

Michael IX. Palaiologos hat in der bisherigen Forschung eine vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit gefunden. Keine Monographie hat sich mit der Person und dem Leben dieses gekrönten Sohns eines Kaisers befasst. So erschien es zur Einarbeitung in dieses neue Arbeitsgebiet sinnvoll, sich zunächst mit den Erwähnungen dieses Kaisers in der vorhandenen Literatur auseinanderzusetzen.

Im Jahre 1680 war der zweite Teil der Historia Byzantina des Charles Dufresne, sieur du Cange1: De familiis byzantinis2 erschienen; dort nannte dieser gemäß seiner Intention, die „Familiae Augustae“ darzustellen, „Michal (sic) Palaeologos“ einen von seinem Vater ernannten und vom Patriarchen Johannes gekrönten Kaiser, als Krönungsdatum kennt du Cange den 21. Mai 1295, den Festtag Konstantins des Großen. In einem vorausgehenden Lemma ist Michael als erster der beiden „filii Andronici Palaeologi Imp. ex Anna Augusta“ aufgeführt. Von seinen Feldzügen heißt es summarisch: „In Asiaticos Turcos cum idoneis copiis missus.“ Er habe in Adrianopel und Thessalonike regiert, wo er aus tiefem Schmerz über den Tod seines Sohnes Manuel gestorben sei am 12. Oktober 1320, einem Sonntag, im 43. Lebensjahr. Seinen Quellen3 entnahm du Cange überdies die vergeblichen Bemühungen um „Catharina, Philippi Imperatoris Costantinopolitani filia unica“4 als Braut Michaels. Geheiratet habe er am 6. Januar 1296 Rita, die die Griechen Xene und Maria nannten, die Tochter des Königs von Armenien Leon II. und Schwester „Regis Aithonis II.5 Diese lebte nach Michaels Tod in einem Kloster, wo sie 1333 gestorben sei. Du Cange weist zuletzt auf ein Epitaphion des Theodoros Metochites in der Bibliotheca Regia, im Cod. DCCC hin: „ni fallor“ – er irrt sich nicht.

← 11 | 12 →Mehr als 300 Jahre später findet sich folgendes Lemma im Oxford Dictionary of Byzantium6: Michael IX Palaiologos, co-emperor (1294/5-1320); born 1277 (sic)7, died 12 Oct. 1320 … Eldest son of Andronikos II by his first wife, Anna of Hungary, he was named co-emperor in 1281, but not crowned until 21 May 1294 … or 1295 … After the failure of marriage negotiations with Catherine I of Courtenay, titular heiress to the Latin Empire of Constantinople, Michael married Rita, sister of Het’um II of Armenian Cilicia, in Jan. 1296 … Rita, who took the Greek name Maria, bore four children: Andronikos III, Manuel, Anna, and Theodora … He predeceased Andronikos II, dying at the age of 43 (sic), reportedly of grief over the accidental murder of his son Manuel … Michael died in Thessalonike, where he had restored the basilica of St. Demetrios …

Die Übereinstimmung ist erstaunlich. Abgesehen von Michaels militärischen Aktionen, deren Darstellung nicht in du Canges Absicht lag, ist der Forschungsertrag nach über 300 Jahren gering: die Ernennung zum Kaiser8 im Jahre 1281 und Zweifel am Krönungsdatum, dazu als Information von archäologischer Seite Michaels Restaurierung der Demetrios-Basilika9 in Thessalonike.

Im 18. Jahrhundert wandte sich Edward Gibbon in seinem berühmten Geschichtswerk im 62. Kapitel kurz10 der Spätzeit des Roman Empire zu. Von Michael IX. erwähnt er dessen 25 Jahre als Teilhaber an „the honours of the purple … as second emperor of the Greeks“. Er charakterisiert ihn als bescheiden und geduldig, als einen Feldherrn, der weder die Furcht des Feindes noch die Eifersucht des Hofes erregt. Sein Tod, angeblich aus Gram über den Verlust seines Sohnes Manuel, ist Gibbon suspekt: In vorquellenkritischer Zeit kann er unbeschwert, ohne sich auf Quellen zu stützen, gemäß der Grundfrage des Detektivs: „Cui bono?“ „vices“11 im Kaiserhaus andeuten: „… and deep was the sigh of thinking and feeling men, when they perceived, instead of sorrow ← 12 | 13 →and repentance, his (Andronikos’ III.) ill-dissembled joy on the removal of two odious competitors.“12

Im Jahre 1868 bewertete Karl Hopf in seiner Geschichte Griechenlands vom Beginn des Mittelalters bis auf unsere Zeit, die man aber eher als „Geschichte der westlichen Mächte in Griechenland“ bezeichnen könnte, den Zug der Katalanischen Kompanie, deren Verpflichtung durch Andronikos II. sich als Katastrophe für das byzantinische Reich erwies,13 als „jedenfalls die anziehendste Episode in der Geschichte des Paläologenreichs“, während er Michael IX. der „Intriguen“, des „Hasses“, der „Hinterlist“ und des „grässlichen Verraths“ beschuldigte.14

Auch die Geschichte der Byzantiner und des Osmanischen Reiches bis gegen Ende des sechszehnten (sic) Jahrhunderts aus dem Jahre 1883 von Gustav F. Hertzberg sah in Michael IX. den „armseligen“, „… von dummer Abneigung gegen alle Abendländer erfüllten Kronprinzen“, den „… intellektuellen Urheber …“ des Mordes an Roger de Flor, dem Anführer der o. g. Katalanischen Kompanie. Die Byzantiner werden damit zu Morgenländern, die „einen erstaunlichen Aufwand von verrufener griechischer Pfiffigkeit und armseliger List … entfalten“.15 Zur Aufklärung der Genese dieser negativen Statements hoffe ich einiges beitragen zu können.16

Mit Georg Ostrogorskys Geschichte des byzantinischen Staates, verfasst 1940, rückt Michaels Rolle als (Mit)Kaiser17 ins Blickfeld. Dieser Gesichtspunkt wird einen Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit bilden. Ostrogorskys Darstellung von Michaels Tod berücksichtigt und verstärkt ausschließlich die Aussage des späteren Kaisers und Memoirenschreibers18 Johannes Kantakuzenos: Zwei Hiobsbotschaften … „beschleunigte(n) den Tod des in Thessalonike schwer erkrankten Michael IX.“,19 unterdrückt aber die Version des Historikers Nikephoros Gregoras,20 in der von einer Vorerkrankung nicht die Rede ist.21 Kantakuzenos’ wohldatierte Darstellung ganz am Anfang seines Geschichtswerks beeinflusste die meisten späteren ← 13 | 14 →Historiker.22 Ich möchte nach einer eingehenden Analyse den Bericht des Gregoras neu interpretieren und komme damit zu einem abweichenden Ergebnis.23

Am Anfang eines langen Forscherlebens hat Rodolphe Guilland 1926 in seinem Aufsatz Poésies inédites de Théodore Métochites das Gedicht Nr. 8, ein genregemäß höchst enkomiastisches Epitaph des Metochites auf Michael IX., als „un travestissement incroyable de la réalité“ bezeichnet, um dann die „Realität“ dieses Lebens kurz aus Pachymeres und Gregoras auf zwei Seiten zusammenzufassen.24 Dabei fällt eine gewisse Unausgewogenheit auf: in Anbetracht der Kürze der Gesamtdarstellung werden die Details von Michaels Niederlagen sehr farbig ausgemalt, was sich jedoch nicht bei den angegebenen Autoren wiederfindet.25

Die Tendenz, Michael IX. als besonders unfähigen General darzustellen, scheint mir bearbeitungsbedürftig zu sein, hält sie sich doch durch die Jahrzehnte; besonders hart bei Hans-Georg Beck in seinem Metochites-Buch von 1952: „Der Versuch des Mitkaisers Michael IX., mit Hilfe alanischer Söldner die Türken zurückzuschlagen, scheiterte an der militärischen Unfähigkeit dieses Palaiologen.“26

← 14 | 15 →Angeliki Laiou hat in ihrer unübertroffenen Untersuchung aus dem Jahre 1972 Constantinople and the Latins. The Foreign Policy of Andronikos II 1282-1328 der Gestalt des (Mit)Kaisers Michael einen breiten Raum eingeräumt und seine Bemühungen um neue Ansätze in der Politik unterstrichen.27 Zusammenfassend stellte sie fest: „Michael IX’s policy presented a very interesting experiment, which has not been studied by modern historians.“28

Im Jahre 1972 widmete Donald M. Nicol in seinem Abriss der letzten beiden Jahrhunderte des byzantinischen Reiches insgesamt ca. 50 Zeilen dem Wirken Michaels IX. In dieser Kürze war es nicht vorgesehen und auch nicht möglich, ein abgerundetes Bild oder eine abschließende Würdigung dieses Kaisers zu bieten. Wie Laiou enthielt sich Nicol jeglicher negativer Bewertung.29

Bozidar Ferjančić hat Michael IX. im Jahre 1974 die mit 22 Seiten bis heute umfangreichste Analyse gewidmet. Er unterstrich Michaels IX. entscheidende Rolle bei den wichtigen Ereignissen in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts.30 Seine biographischen Daten nahmen im wesentlichen die seiner Vorgänger auf, die Veröffentlichungen von Laiou und Nicol waren ihm nicht bekannt. Das im Titel angegebene Geburtsjahr „1277“ ist nicht zutreffend;31 Failler ermittelte den 17. April 1278.32 Das urkundliche Material hat Ferjančić ausführlich untersucht und daraus auf „das Bestehen seiner (Michaels) weitreichenden mitkaiserlichen Kompetenzen“ geschlossen.33

In der Monographie The Late Byzantine Army des Jahres 1992 ging Marc C. Bartusis in seiner Darstellung Michaels IX. nicht über Laious Erkenntnisse von 1972 hinaus; so begnügte er sich häufig damit, Laiou zu zitieren, anstatt Pachymeres und Gregoras anzuführen.34 Recht ausführlich kommt allerdings das Directorium ad faciendum passagium transmarinum35 zu Worte, das Michael IX. eine vielfache zahlenmäßige Truppenüberlegenheit zuschreibt und ihn dennoch eine ← 15 | 16 →herbe Niederlage bei Apros 1305 gegen die Katalanen und eine ebensolche 1309 gegen die Türken erleiden lässt; gerade diese Zahlenangaben des Directoriums nannte Bartusis jedoch in seinem Kapitel „The Campaign“ nicht glaubwürdig.36

In der Révue des Études Sud Est Européennes veröffentlichte Diether Roderich Reinsch 1993 „Ein unediertes Gedicht anlässlich des Todes Kaiser Michaels IX.“37 Dabei sah er sich auch „den Inhalt und den Gegenstand des Hypomnema etwas genauer an“38 und stellte fest, dass „die moderne Forschung ein … nicht einheitliches Bild Michaels gezeichnet“ hat. Orientiert an Laiou fand er in der „politisch-militärischen Gesamtvorstellung Michaels“ … „eine durchaus erwägenswerte Variante byzantinischer Politik …“39

John H. Rosser widmet Michael IX. als „co-emperor“ in seinem Historical Dictionary of Byzantium im Jahre 2001 ein recht umfangreiches Lemma von 14 Zeilen; von den neun Kaisern namens Michael werden nur Michael III. und Michael VIII. ausführlicher behandelt. Auch Rosser betont Michaels militärische Misserfolge, die Niederlage, die er in Thrakien im Jahre 1311 gegen die Türken erlitten habe, „… led to his forced retirement in Thessalonike.“40 Michael IX. befindet sich jedoch erst ab 1318 in Thessalonike.41

In der jüngeren Historiographie besteht die Tendenz, die Bedeutung Michaels IX. in der Geschichte des byzantinischen Reiches sehr stark zu beschränken. So erwähnt Warren Treadgold in seiner umfangreichen History von 1997 Michael zwar als „junior emperor“, wundert sich aber: „…many modern scholars refer to him as Michael IX, as if he were a senior emperor.“42 In seiner Concise History von 2001 findet nur Michaels Tod als einschneidendes Ereignis Erwähnung: „In 1320, a scandal tore the imperial family apart …“43 In seinen insgesamt 46 Seiten über die Jahre 1204-1453 in der Oxford History of Byzantium von 2002 spricht Stephen W. Reinert Michaels Rolle als Heerführer und seinen Tod kurz an.44 ← 16 | 17 →Edmund Fryde wendet sich in The Early Palaeologan Renaissance im Jahre 2000 eher den kulturellen Phänomenen der Epoche zu und erwähnt Michael anlässlich der literarischen Huldigungen bei seiner Krönung und seinem Tod;45 diesen betrachtet er als „turning point to disaster.“46 Bei Otto Mazal47 (1989), John Haldon48 (2000) und Ralf-Johannes Lilie49 (2003) wird gerade noch Michaels Existenz in einem Halbsatz bestätigt, während Peter Schreiner50 (1986,21994,32008,42011) und Jonathan Harris51 (2005) in ihren kurz gefassten Byzanzbüchern über Michael schweigen. Timothy E. Gregory52 (2005) nimmt Michael IX. wieder in die Liste der byzantinischen Kaiser auf, widmet ihm etwa zehn Zeilen und stellt fest: „More than most emperors, Andronikos II depended on his eldest son, Michael IX …“ Jonathan Shepard53 (2008) verzeichnet Michael IX. in der Kaiserliste. Angeliki Laiou und Cécile Morrisson erwähnen Michael IX. im 3. Band ihres umfangreichen Handbuchs Le monde byzantin (2011) zehnmal, auch in der Kaiserliste, ohne neue Aspekte aufzuzeigen. Immerhin wird er zu den „bons soldats“ gerechnet.54

Die Monographie von Dimiter Angelov, Imperial Ideology and Political Thought in Byzantium 1204-1330 (2007), wendet sich bisher am ausführlichsten Michaels IX. Wirken zu, nennt ihn emperor55 und berücksichtigt seine Rolle in der Panegyrik,56 als Aussteller eines Chrysobulls57 und seinen Einfluss in der Innenpolitik.58

← 17 | 18 →In der jüngsten Zeit widmet Niels Gaul in seinem „magistralen“ Werk über Thomas Magistros und die spätbyzantinische Sophistik (2011) Michael IX. einige Anmerkungen.59 Bei der Datierung der Reise des Magistros nach Konstantinopel kommt Gaul zu der überzeugenden Hypothese, dass Michael IX. noch 1312-13 einen Sieg über die Türken errungen hat.60 Auch könnte Michael IX. Adressat des Fürstenspiegels des Magistros (or. 7) sein.61

Im Jahre 2012 erschien schließlich ein Aufsatz von 21 Seiten zu Michael IX. in der Zeitschrift Byzantinoslavica von Agniesza Kozanecka-Kosakiewicz.62 Die Autorin verfolgt Michaels Lebensweg in den Quellen: die Krönung 1294, die langwierigen Hochzeitsverhandlungen seit 1288. Die Hochzeit mit Rita von Kleinarmenien habe am 16. 1. 1296 statt 1295 stattgefunden.63 Dann beschäftigt sie sich mit Michaels militärischen Unternehmungen. Die Arbeit steht ganz in der Tradition, in Michael IX. einen kranken Mann64 und unfähigen General zu sehen. Sie entschuldigt „Michael’s poor military abilities“ mit psychischen Beeinträchtigungen: Depression und Melancholie.65 Sie würdigt indessen Michaels ersten Erfolg in Thrakien.66 Die Auseinandersetzungen mit den Katalanen sieht die Autorin als „a conflict between two men: a strong and courageous soldier, Roger de Flor, and a weak and not especially brave Michael IX.“67 Dieses Bild von Michael IX. soll in dieser Arbeit überprüft werden.

__________

1 Vgl. Spieser J.-M., „Du Cange und Byzantium“, in: Cormack R./Jeffries E. (Hrsgg), Through the Looking Glass: Byzantium Through British Eyes, Aldershot 2000, S. 199-200.

2 Du Cange, Historia I, S. 236.

3 Er zitiert Pachymeres, Gregoras, Kantakuzenos und Sanudo.

4 Katherina von Courtenay, Erbin des Kaisertitels aus der Zeit der lateinischen Herrschaft; s. u. S. 54 und S. 69.

5 König Hethum II. von Kleinarmenien; s. u. S. 84.

6 ODB II, 1991, Sp. 1367-1368; die Literaturangaben und die Ausführungen über Michaels Kriegszüge werden ausgelassen.

7 Das ODB folgt hier den Forschungen von Ferjančić, s. u. S. 15 und Anm. 30 und 31, Failler jedoch ermittelte das Geburtsdatum: 17. April 1278, s. u. S. 81, Anm. 540; vgl. Kant. 13-14, s. u. S. 193, Anm. 1359, der Michaels Tod 1320 im 43. Lebensjahr meldet, d. h. er wurde 42 Jahre alt.

8 Zur Diskussion der Begriffe „Mitkaiser“, „(Mit)Kaiser“ oder „Kaiser“ s. u. S. 49-51.

9 Belegt durch eine Inschrift auf linken Pfeiler des Bemas, s. u. S. 39-41.

10 Runciman, Gibbon, S. 53: „He (Gibbon) had no desire to deal in detail with Byzantium.“

11 Dazu u. S. 191-191.

12 Gibbon, Decline, Bd. 7, S. 390-391.

Details

Seiten
224
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653057195
ISBN (ePUB)
9783653966206
ISBN (MOBI)
9783653966190
ISBN (Hardcover)
9783631661505
DOI
10.3726/978-3-653-05719-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juli)
Schlagworte
Krönungszeremoniell Epigraphik Münzprägung byzanz
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 224 S., 2 farb. Abb.

Biographische Angaben

Helga Gickler (Autor:in)

Helga Gickler studierte lateinische und französische Philologie in Würzburg, Marburg und Köln. Zusätzlich absolvierte die Autorin ein Studium der Byzantinistik, Archäologie und Alten Geschichte an der Universität zu Köln, wo sie auch promovierte.

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