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Strategien gegen Rechtsextremismus im Fußballstadion

von Daniel Duben (Autor:in)
©2015 Dissertation 430 Seiten

Zusammenfassung

Daniel Duben bietet mehr als einen bloßen Überblick über den Stand der Forschung im Bereich Strategien gegen Rechtsextremismus im Fußballstadion. Bis heute gibt es kein theoretisch fundiertes Gesamtkonzept, das zwischen allen relevanten Akteuren abgestimmt ist und ein zielgerichtetes Vorgehen gegen die verschiedenen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus im Fußballstadion ermöglicht. In diesem Buch werden die bis dato vorhandenen Teilerkenntnisse dieses Forschungsfeldes zusammengetragen und erstmals systematisiert. Unter Berücksichtigung potenzieller Berührungspunkte zwischen Rechtsextremen und Fußballfans entwickelt der Autor ein theoretisches Fundament für Strategien gegen die Vereinnahmung von Fankulturen in Fußballstadien durch rechtsextreme Ideologien.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • I. Vorwort
  • II. Abkürzungsverzeichnis
  • 1. Einleitung
  • 2. Rechtsextremismus
  • 2.1. Grundlegende Überlegungen zur Begriffsbestimmung
  • 2.2. Die verschiedenen Ebenen und Dimensionen des Rechtsextremismusbegriffs
  • 2.3. Erklärungsansätze zur Herausbildung rechtsextremer Einstellungen
  • 3. Die Systematisierung von Strategien gegen Rechtsextremismus
  • 3.1. Grundsätzliche Probleme bei der Systematisierung von Strategien gegen Rechtsextremismus
  • 3.2. Schritte zu einer zweckmäßigen Systematik
  • 3.2.1. Systematische Ansätze
  • 3.2.2. Definitionen
  • 3.2.3. Vorstellung exemplarischer Projekte gegen Rechtsextremismus
  • 3.2.4. Einordnung der Projekte in die entworfene Systematik
  • 4. Das Fußballstadion als spezieller Raum im Kampf gegen Rechtsextremismus
  • 4.1. Die gesellschaftliche Relevanz des Fußballs
  • 4.2. Fußball im Wandel
  • 4.2.1. Der Fußballfan
  • 4.2.2. Reaktionen auf die sich wandelnde Fanszene
  • 4.2.3. Fans vs. Kommerzialisierung
  • 4.2.4. Fans vs. Polizei
  • 5. Die theoretischen Grundlagen für den Kampf gegen Rechtsextremismus im Fußballstadion
  • 5.1. Ausgangslage und methodische Überlegungen
  • 5.2. Anknüpfungspunkte für Rechtsextreme im Fußballstadion
  • 5.2.1. Anknüpfungspunkte auf der Einstellungsebene
  • 5.2.2. Anknüpfungspunkte auf der Handlungsebene
  • 5.2.3. Anknüpfungspunkte auf dem Gebiet des Amateurfußballs
  • 5.3. Systematisierung und Konsequenzen für Gegenstrategien aus diesen theoretischen Überlegungen
  • 5.4. Ausblick auf weitere Bausteine für eine Theorie der Strategien gegen Rechtsextremismus im Fußballstadion
  • 6. Was tun gegen Rechtsextremismus im Stadion?
  • 6.1. Grundlegendes und methodische Überlegungen
  • 6.2. Handlungsempfehlungen aus der Literatur
  • 6.3. Handlungsempfehlungen von Experten
  • 6.3.1. Qualitative Interviews – Methodologische Vorüberlegungen
  • 6.3.2. Interviewleitfaden, Kurzfragebogen und Aufbau der Interviews
  • 6.3.3. Die Transkription
  • 6.3.4. Auswahl der Experten und Durchführung der Interviews
  • 6.3.5. Auswertung
  • 6.3.6. Zusammenfassung der Ergebnisse
  • 6.4. Decken sich die Handlungsempfehlungen aus der Literatur mit denen der Experten?
  • 7. Existierende Projekte gegen Rechtsextremismus im Fußballstadion
  • 7.1. Methodische Überlegungen
  • 7.2. Welche Projekte gibt es?
  • 7.2.1. Staatlich und wirtschaftlich geförderte Projekte
  • 7.2.2. Vereinsübergeifend arbeitende Projekte von Fans
  • 7.2.3. Fanprojekte
  • 7.2.4. Projekte von Fanclubs
  • 7.2.5. Projekte von Verbänden
  • 7.2.6. Projekte der Vereine
  • 7.2.7. Staatliche Projekte
  • 7.3. Ergebnisse und Einordnung in die Systematik
  • 8. Theorie und Praxis – Handlungsempfehlungen im Spannungsfeld zwischen Forschung und Realität
  • 8.1. Methodische Überlegungen
  • 8.2. Setzen existierende Projekte gegen Rechtsextremismus im Stadion die Handlungsempfehlungen aus der Forschung um?
  • 8.3. Warum werden manche Handlungsempfehlungen aus der Forschung umgesetzt und andere nicht?
  • 8.4. Müssen alle wissenschaftlichen Handlungsempfehlungen in der Praxis einfach nur konsequent umgesetzt werden?
  • 9. Schlussbetrachtung
  • 10. Verzeichnisse
  • 10.1. Literatur
  • 10.2. Tabellen
  • 10.3. Abbildungen
  • 10.4. Online-Daten

← 8 | 9 → I. Vorwort

Die inhaltlichen Arbeiten an diesem Buch wurden Anfang 2014 abgeschlossen. Kurz danach trat mit den Hooligans gegen Salafisten eine neue Gruppierung unter großem Medieninteresse in Erscheinung. Obwohl diese Entwicklung also nicht Gegenstand der folgenden Untersuchungen sein konnte, zeigt sie doch deutlich, wie wichtig eine fundierte Auseinandersetzung mit Strategien gegen Rechtsextremismus im Fußballstadion ist. Das haben freilich einige Personen schon zu Beginn meiner Forschungen erkannt und mich ermutigt, dieses Buch zu schreiben.

Daher möchte ich mich bei all jenen Menschen herzlich bedanken, die mich auf dem langen Weg begleitet, unterstützt und immer wieder motiviert haben. An erster Stelle sind das meine Eltern Heidi und Klaus, die mir die Chance eröffnet haben, meinen Weg so zu gehen, wie ich es für richtig halte und mich dabei immer und jederzeit bedingungslos unterstützt haben. Dann gilt mein Dank natürlich meinem Doktorvater Jürgen W. Falter, der mich in zahllosen Sprechstunden beraten und sich meinen kleinen und großen Problemen gewidmet hat. Ein großer Dank geht überdies an die Friedrich-Ebert-Stiftung für die fruchtbare ideelle und wichtige materielle Hilfe, ohne die ein gezieltes Arbeiten an einem solch umfangreichen Projekt kaum möglich gewesen wäre. Weiterhin möchte ich mich ganz herzlich bei Phoebe bedanken, die mit endloser Geduld den bösen Fehlerteufel aus den folgenden Zeilen vertrieben hat. Svaantje und all meine Freunde waren während all der Tage, Wochen, Monate und Jahre bis zur Fertigstellung dieses Buches immer für mich da und haben mich daran erinnert, vor lauter Arbeit nicht das Leben zu vergessen. Danke dafür! Weiterhin möchte ich mich ganz herzlich bei Jürgen R. Winkler bedanken, der mir mit wertvollen Ratschlägen zur Seite stand. Abschließend gebührt mein besonderer Dank noch den lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bildungszentrums Kirkel, in dessen Wänden ich die nötige Ruhe fand, um den Großteil meiner Gedanken niederzuschreiben.← 9 | 10 →

← 12 | 13 → 1. Einleitung

Hintergrund

Es sind Sätze, die eigentlich nicht besonders auffallen, weil sie so oder so ähnlich Wochenende für Wochenende in den Fankurven der Bundesliga1 auszumachen sind. Gesprayt auf Tapeten, gemalt auf Stoffbahnen, gedruckt auf Fahnen oder gesungen in zahllosen Liedern, finden sie so Spieltag für Spieltag ihren Weg in die Öffentlichkeit. Es sind Sätze wie diese: „Stehplätze als Grundpfeiler der Fankultur sind unbedingt zu erhalten“, „Wir lehnen die Videoüberwachung des Zuschauerbereichs im Stadion ab und setzen auf eine Selbstdisziplinierung innerhalb der Fanblöcke“, „Alle V-Mann-Aktivitäten und die systematische Überwachung der Fanorganisationen sind sofort einzustellen“, „Fußball darf nicht für populistische und zum Teil verfassungswidrige Forderungen der Politik- und Polizeifunktionären2, wie die Übernahme von Polizeikosten, ausgenutzt werden.“

Diese Sätze sind vielleicht etwas umständlich formuliert, in jedem Fall diskutabel, aber etwas pointierter vorgetragen könnten diese Forderungen eben durchaus aus den Fankurven der Republik stammen. Wohlgemerkt: könnten. Denn sie stammen nicht von Fans, die jedes Wochenende im Stadion stehen, um ihre Mannschaft zu unterstützen. Diese Sätze stammen von der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Genauer gesagt, sind sie in ihrem Schreiben „Sport frei! Politik raus aus dem Stadion!“ (NPD 2013) zu lesen, das der thüringische Ableger der rechtsextremen Partei Anfang 2013 im Zuge der Debatten über Gewalt im Fußball an Vereine, Fanprojekte und Fans verschickte (vgl. ProFans 2013).

Instrumentalisierungsversuche wie diese zeigen deutlich, dass die Fußballfanszenen noch immer beliebte Rekrutierungsfelder von Rechtsextremen ← 13 | 14 → sind, auch wenn dies von der breiten Öffentlichkeit nicht immer bemerkt wird. Durch die Vermischung von populären Forderungen aus den Fanszenen mit nationalistischem Gedankengut versucht sich die NPD als eine Art Anwalt der Fans zu profilieren, vorhandene Ressentiments zu verstärken und für ihre Zwecke zu nutzen. Mit Blick auf die vor allem Ende 2012 extrem aufgeheizt geführte Debatte um die Sicherheit in deutschen Stadien ist diese Strategie nicht ungefährlich, da sich noch immer viele Fußballfans unverstanden und zu Unrecht vorverurteilt fühlen.

Auslöser dieser inzwischen etwas abgeklungenen Diskussion um Gewalt im Fußball, die weit über die Stadien hinaus ihre Kreise zog und in sämtlichen Medien Widerhall fand, waren damals unter anderem die chaotischen Zustände beim Relegationsspiel im Mai 2012 zwischen Hertha BSC Berlin und Fortuna Düsseldorf, bei dem Pyrotechnik in großem Stil abgebrannt wurde und Düsseldorfer Fans voller Euphorie aufgrund des nahenden Aufstiegs vorzeitig den Platz stürmten. Daneben waren vor allem die Ausschreitungen beim Derby zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 im Oktober 2012 sowie die Randale von Dresden-Anhängern beim DFB-Pokalspiel bei Hannover 96 im gleichen Monat Aufhänger für den Sturm der Entrüstung, der häufig recht undifferenziert über alle Fußballfans hereinbrach (vgl. z.B. Catougno 2012). Die Debatte führte schließlich zur Erarbeitung des Konzeptpapiers ,Sicheres Stadionerlebnis‘ (vgl. DFL 2012) durch eine Arbeitsgruppe der Deutschen Fußball Liga (DFL). Fans protestierten gegen dieses in ihren Augen überzogene Maßnahmenpapier mit öffentlichkeitswirksamen Schweigeaktionen während der darauf folgenden Bundesligapartien (vgl. 12doppelpunkt12 2012).

In Erinnerung geblieben sind freilich weniger die nicht wirklich neuen Maßnahmen des umstrittenen Konzeptpapiers ,Sicheres Stadionerlebnis‘ als vielmehr die mitunter sehr scharfen Töne der Diskussionen um die Sicherheit in Stadien. Nicht nur der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich warnte dabei regelmäßig vor der grassierenden Gewalt im Fußball und drohte mindestens implizit mit der Abschaffung der Stehplätze (vgl. SpiegelOnline 2012b). Fans beklagten auf der anderen Seite, dass ihren Argumenten zu wenig Beachtung geschenkt und stattdessen in den meisten (TV-)Diskussionen ebenso undifferenziert wie weitgehend unwidersprochen die Risiken von Pyrotechnik mit Gewalt auf den Rängen, Ultras, Hooligans und Fußballfans in einen Topf geworfen würden (vgl. z.B. Kuhlhoff 2012).

← 14 | 15 → Diese aus Sicht vieler Fans unfaire und durch Einseitigkeit geprägte ,Diskussionskultur‘ nutzt die NPD, mehr oder weniger analog zu ihren sonstigen politischen Bestrebungen, um in den Stadien diejenigen anzusprechen, die sich von der Politik im Besonderen und der Gesellschaft im Allgemeinen ungerecht behandelt fühlen. Die Adressaten der NPD-Propaganda sind in diesem Fall also eindeutig die aktiven Fußballfans. Zwar waren die Instrumentalisierungsversuche der rechtsextremen Partei bislang allenfalls partiell erfolgreich, doch gleichzeitig sind die demokratischen Parteien von einem differenzierten Umgang mit Fußballfans noch weit entfernt. Offenbar traut sich niemand so richtig an das komplizierte Thema heran und Fußballfans dienen vor allem harten Law-and-Order-Politikern als Profilierungsfläche. Mit Papieren wie dem beschriebenen „Sport frei! Politik raus aus dem Stadion!“ (NPD 2013) möchte die NPD diese Lücke gezielt besetzen.

Doch nicht nur organisierte Parteien des äußersten rechten Randes wollen auf den Rängen Tritt fassen und dort Anhänger gewinnen. Die Gefahren von rechtsaußen sind im Fußballstadion wesentlich vielfältiger. Freie Kameradschaften, Autonome Nationalisten sowie andere überzeugte Neonazis infiltrieren immer wieder Fanszenen und wollen auf diesem Wege ihre Ideologien verbreiten, neue Kameraden gewinnen und ihre rechtsextremen Überzeugungen in die Welt hinaus tragen. Dafür haben sie die Fußballstadien Deutschlands seit Langem als eine attraktive Plattform entdeckt. Doch anders als noch vor einigen Jahren treten rechtsextreme Akteure in den Fankurven der Republik mittlerweile wieder deutlich aggressiver auf und setzen körperliche Gewalt nicht nur gegen Fans anderer Vereine, sondern auch immer häufiger gegen diejenigen Teile der eigenen Fanszene ein, die sich aktiv gegen Rechtsextremismus in all seinen Facetten von Rassismus bis Homophobie aussprechen. Wie das aussieht, konnte man in den vergangenen Monaten sogar in den großen überregionalen Medien nachlesen.

Die linksgerichteten Aachen Ultras: unter dem Druck rechtsoffener sowie rechtsextremer Fangruppen aufgelöst (vgl. z.B. Fritsch 2013). Die antifaschistischen Ultras Braunschweig: nach Auseinandersetzungen mit Teilen der rechten Fanszene vom Verein mit einem Stadionverbot belegt (vgl. z.B. Reisin 2013). Die bekennend linken Ultras der Kohorte Duisburg: von rechtsgerichteten Hooligans und Kadern Freier Kameradschaften überfallen ← 15 | 16 → und verprügelt (vgl. z.B. Ruf 2013: 29). Meldungen wie diese ließen nicht nur ganz Fußballdeutschland aufhorchen. Offenbar melden sich die Rechtsextremen nach Jahren des scheinbaren Rückzugs aus dem Fußballstadion wieder offensiv zurück. Doch während über rechtsextreme Umtriebe im Umfeld des Fußballs mittlerweile recht ausführlich berichtet wird, sind Meldungen über erfolgreiche Gegenstrategien rar.

Dabei ist der Rechtsextremismus3 im Umfeld deutscher Fußballstadien keineswegs ein neues Phänomen. Sein Gesicht hat sich im Laufe der Jahre jedoch gewandelt. Noch in den 1980er Jahren waren rechtsextreme Hegemonien in den Fanszenen Deutschlands eher die Regel als die Ausnahme. Damals wurden viele Fankurven von gefestigten Hooliganstrukturen4 regiert, deren personelle Zusammensetzung oftmals große Schnittmengen mit mehr oder weniger festen rechtsextremen Vereinigungen aufwies. Exemplarisch steht dafür die berüchtigte Dortmunder Hooligangruppe Borussenfront, die sich 1984 fast vollständig der später verbotenen rechtsextremen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) anschloss und lange Zeit als besonders brutale Truppe rechtsextremer Schläger für Schlagzeilen sorgte (vgl. Van Ooyen 1986: 29ff.).

Durch die zunehmende Kommerzialisierung des Bundesligafußballs sowie der Begegnung des Problemfelds Rechtsextremismus mit konkreten Maßnahmen wie verstärktem Polizeieinsatz und der flächendeckenden Einführung von Fanprojekten schien sich die Situation im Laufe der vergangenen 20 Jahre, seit Einführung des Nationalen Konzepts Sport und Sicherheit (NKSS)5, positiv verändert zu haben. In den Fankurven der Bundesliga geben heute fast nirgendwo mehr die örtlichen Hooligan-Truppen den Ton an. Stattdessen sorgen Ultra-Gruppierungen, die sich mehrheitlich deutlich gegen Rechtsextremismus positionieren, maßgeblich für Stimmung auf den Rängen. Doch wie die besonders 2013 an Intensität gewinnenden Übergriffe auf offen antifaschistische Ultra-Gruppierungen in Aachen, Braunschweig, Duisburg und anderen Orten gezeigt haben, sind die (mindestens) ins ← 16 | 17 → Rechtsextreme tendierenden Hooliganstrukturen keineswegs verschwunden, sondern waren allenfalls untergetaucht oder desinteressiert an den stimmungstechnisch dominierenden Ultras in der Kurve. Nun zeigen rechtsextreme Akteure in den Fanszenen jedoch vielerorts wieder Muskeln und spielen ihre häufig manifeste körperliche Überlegenheit aus, um die Politisierung der Fankurven nach links zu verhindern oder auch nur ihre Positionierung gegen Rechtsextremismus zu torpedieren. „Fanbeauftragte aus Dortmund, Braunschweig, Aachen, Frankfurt oder Düsseldorf berichten, dass Hooligans, die bereits in den neunziger Jahren aktiv waren, wieder in den Fankurven Präsenz zeigen. […] Der Verfassungsschutz spricht von einer 15-prozentigen Überschneidung zwischen fußballaffinen Hooligans und Rechtsextremen. Die Dunkelziffer, so sagen es Staatsschützer aus dem Ruhrgebiet, dürfte deutlich höher liegen“ (Buschmann 2013: 1). Nur auf den ersten Blick schien der Rechtsextremismus also aus den Stadien verschwunden zu sein. Dass dies ein Trugschluss war, wird nun immer deutlicher.

Denn neben dem Wiedererstarken rechtsextremer Hooligans sind Parteien des äußersten rechten Randes weiter im Umfeld des Stadions aktiv. Der eingangs beschriebene Versuch der NPD, Fußballfans für ihre Zwecke zu gewinnen, war keineswegs ein Einzelfall. 2009 baute die NPD im Stadionumfeld des Fußballvereins Lokomotive Leipzig gezielt ihre Wahlkampfstände auf und mischte sich auch im Vorfeld kräftig unter die Fanszene des Clubs (vgl. Blaschke 2011: 35ff.). 2010 versuchte der NPD-Funktionär Uwe Pastörs mit einer Gruppe von Unterstützern ein Spiel des FC Hansa Rostock für Wahlkampfzwecke seiner Partei zu nutzen. Der Versuch scheiterte letztlich am beherzten Eingreifen von rund 150 Mitgliedern der Rostocker Fanszene (vgl. Spiller 2010). 2013 kassierte zudem der damalige NPD-Vorsitzende Holger Apfel ein Stadionverbot von Eintracht Braunschweig, nachdem bemerkt wurde, dass er sich im Mai jubelnd bei der Aufstiegsfeier des Clubs für sein Facebook-Profil hatte fotografieren lassen (vgl. Welt.de 2013). Doch wenngleich diese Beispiele zeigen, dass eine offensichtliche Instrumentalisierung der Fußballfans durch bekannte rechtsextreme Parteikader nicht immer von Erfolg gekrönt ist, unterstreichen sie eindeutig das gesteigerte Interesse von rechtsextremen Akteuren an einem Andocken in den Fanszenen.

In der Regel werden rechtsextreme Überzeugungen nicht von bekannten Parteikadern ins Stadion getragen. In Aachen hat man die schleichende und ← 17 | 18 → zunächst unauffällige Infiltrierung der Fanszene offensichtlich zu lange unterschätzt. Im Januar 2013 war daher ein in dieser Form bislang einmaliger Vorgang in der deutschen Fanszene zu beobachten. Die linksgerichteten Aachen Ultras, die sich offen gegen Rassismus sowie andere Dimensionen des Rechtsextremismus einsetzten, haben sich unter dem Druck der mindestens rechtsoffenen Ultragruppierung Karlsbande aufgelöst. Wohlgemerkt: Es ging dabei nicht um einen Streit verfeindeter Fanszenen unterschiedlicher Vereine. Sowohl die Aachen Ultras als auch die Karlsbande unterstützen Alemannia Aachen. Nur über das Wie herrschte Uneinigkeit.

Bis 2010 gehörten beide Fangruppen noch zusammen. Doch nach der Abspaltung der Karlsbande blieben die Aachen Ultras bei ihrem explizit antifaschistischen Kurs, während bei der Karlsbande „auch rechtsoffene bis offen rechtsextreme Fans ein Zuhause“ (Schwickerath 2013) fanden. Natürlich wurde die Auseinandersetzung später medial mit allerlei Geschichten von beiden Seiten nacherzählt. Es ging dabei um Überfälle, körperliche Gewalt, verbale Diffamierungen und andere Vorfälle. Am Ende lässt sich der Konflikt, „der von vornherein politisch konnotiert war“ (Ruf 2013c: 157), aber wohl tatsächlich auf die wesentliche Konfliktlinie ,rechts gegen links‘ herunterbrechen beziehungsweise auf die vermeintliche Politikferne eines Teils der Fanszene zurückführen. Denn während sich die Aachen Ultras auch nach der Spaltung weiter politisch links positionierten, firmierte die Karlsbande unter dem Motto ,Keine Politik im Stadion‘, hatte aber augenscheinlich keine Probleme damit, dass sich rechtsextreme Parteikader und Mitglieder von Autonomen Kameradschaften in ihren Reihen fanden (vgl. Fritsch 2012). Die Aachen Ultras wurden in der Folge nicht nur immer wieder von den körperlich überlegenen Mitgliedern der Karlsbande bedrängt (vgl. Ruf 2013c: 157ff.), sondern sie fühlten sich überdies vom Verein alleine gelassen, der sich in ihren Augen nicht klar genug gegen Rechtsextremismus positioniert hatte (vgl. Aachen Ultras 2013). Mit Schuldzuweisungen an den Verein, das Fanprojekt und natürlich die Karlsbande lösten sich die antifaschistischen Aachen Ultras unter den Kondolenzbezeugungen von rund 250 befreundeten, linksgerichteten Fans anderer Vereine am 12. Januar 2013 nach der Mittelrheinpokalbegegnung gegen Viktoria Köln schließlich auf. Auch bei dieser Partie kam es erneut zu Auseinandersetzungen zwischen den Aachen Ultras und der Karlsbande (vgl. Schwickerath 2013).

← 18 | 19 → Die Auflösung der Aachen Ultras unter dem Druck von rechtsaußen schlug medial hohe Wellen und führte dazu, dass rechtsextreme Agitationen im Fußballstadion wieder verstärkt in den Fokus des öffentlichen Interesses rückten. Gleichzeitig verdichten sich die Indizien, dass ähnlich gelagerte Konflikte in Zukunft bei anderen Fanszenen zunehmen werden. Denn weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit sind rechtsextremistische Aktivitäten seit Jahren Wochenende für Wochenende in deutschen Fußballstadien festzustellen. Sie sind mal versteckter und mal offensichtlicher, insgesamt aber kontinuierlich zu beobachten. Im Folgenden seien nur einige Beispiele dokumentierter rechtsextremistischer Vorfälle der vergangenen Spielzeiten genannt:

Im Februar 2012 wurde der israelische Spieler Itay Shechter des 1. FC Kaiserslautern beim Training von Fans der eigenen Mannschaft antisemitisch beleidigt und eine kleine Gruppe zeigte „den Hitler-Gruß“ (SZ 2013: 28). Beim Auswärtsspiel von Borussia Dortmund in Donezk wurden Anfang 2013 zwei Mitarbeiter des Dortmunder Fanprojekts auf der Toilette von BVB-Fans unter dem Brüllen von rechtsextremen Parolen angegriffen (vgl. Buschmann 2013b). Energie Cottbus hat im Vorfeld der Saison 2013/2014 die immer wieder durch rechtsextreme Provokationen wie dem Zeigen von SS-Runen oder Skandieren antisemitischer Parolen aufgefallene Fangruppierung Inferno Cottbus mit einem Stadionverbot belegt. Das hinderte die Gruppe freilich nicht daran, ihr Erscheinen für das Testspiel gegen die israelische Mannschaft Maccabi Tel Aviv in Österreich anzukündigen, was schließlich sogar zu dessen Absage führte (vgl. Ruf 2013b: 27). In Braunschweig hat die ,Initiative gegen rechte (Hooligan-) Strukturen‘ gleich eine umfassende Chronik rechtsextremer Aktivitäten aus dem Umfeld der Braunschweiger Fanszene zusammengestellt, die vom Angriff auf antifaschistische Fans über den Besuch von Rechtsrock-Konzerten einzelner Braunschweig-Fans bis zur Präsentation rechtsextremer Symbole durch bestimmte Fangruppen bei Spielen des Vereins eine breite Palette umfasst (vgl. Initiative gegen rechte (Hooligan-)Strukturen 2012: 38ff.). Teile der linksalternativen Fanszene Düsseldorfs klagen über rechtsextrem konnotierte Übergriffe und der Vorsänger einer dieser Fangruppen wurde von einem Hooligan niedergeschlagen (Malzcaks 2013). Die überwiegend bekennend linken Fans von Babelsberg 03 wurden in der vergangenen Saison immer wieder durch homophobe, rassistische und antisemitische Sprüche ← 19 | 20 → provoziert, von denen „Arbeit macht frei – Babelsberg 03“ (BAFF 2013) noch einer der harmloseren war. Ende 2013 wurden, wie bereits beschrieben, Mitglieder der Duisburger Ultra-Gruppierung Kohorte überfallen, nachdem sie sich mit der linksgerichteten und vom Verein inzwischen mit Stadionverbot belegten Fangruppierung Ultras Braunschweig durch das Zeigen eines Transparents solidarisch gezeigt hatten (vgl. Fritsch 2013). Damit, so die Argumentation hinter dem Angriff, sei eine Verabredung gebrochen worden, wonach sich die ,linke‘ Fangruppe im Stadion mit politischen Äußerungen zurückhalten solle (vgl. Proud Generation Duisburg 2013, in Verbindung mit Kohorte-Ultras 2013) – eine Verabredung, die freilich eher den Charakter einer Drohung hatte.

Details

Seiten
430
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653055405
ISBN (ePUB)
9783653967166
ISBN (MOBI)
9783653967159
ISBN (Hardcover)
9783631662960
DOI
10.3726/978-3-653-05540-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Schlagworte
Fußball Fans Prävention
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 430 S.

Biographische Angaben

Daniel Duben (Autor:in)

Daniel Duben studierte Politikwissenschaften, Jura und Philosophie, mit dem Schwerpunkt Extremismusforschung. Seine Magisterarbeit beschäftigt sich mit der Fragestellung, ob Projekte gegen Rechtsextremismus womöglich den Linksextremismus fördern.

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