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Die Klebebände der Fürstlich Waldeckschen Hofbibliothek Arolsen

Wissenstransfer und -transformation in der Frühen Neuzeit

von Marie Isabelle Vogel (Autor:in)
©2015 Dissertation 491 Seiten

Zusammenfassung

Die hier erstmals vorgestellten Klebebände der Fürstlich Waldeckschen Hofbibliothek Arolsen fassen in z.T. gewaltigen Folianten über 7.000 montierte Druckgraphiken von großer thematischer Vielfalt – u.a. Portraits, Flugblätter, Bühnenbilder oder Kupferstiche zum Zeitgeschehen. Jeder Band ist ein Unikat und noch heute in seinem ursprünglichen Arrangement erhalten. Der Bestand diente als Instrument zur aktiven Bildung und besaß eine lebenspraktische Bedeutung für Hofhaltung und Hofkultur im frühmodernen Fürstenstaat. Die Abfolge und Ideen des Ein- und Aufgeklebten geben Aufschluss darüber, was Nutzer in dieser Epoche für wissenswert hielten und wie sie sich Wissen über Fragmentierung und Neuordnung verfügbar machten.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • I. Einleitung
  • 1. Grundgedanken der Untersuchung
  • 2. Zur Forschungslage
  • 2.1 Die Fürstlich Waldecksche Hofbibliothek in der Forschung
  • 2.2 Zur Erforschung von Klebebänden
  • 3. Untersuchungskorpus und Erschließung
  • II. Klebebände als Sammlungsobjekte zwischen Bild und Buch
  • 1. Über graphische Sammlungspraktiken in theoretischen Schriften des 16. bis zum ersten Drittel des 18. Jahrhunderts
  • 2. Zur Kulturtechnik des Schneidens
  • 3. Zur Zusammenstellung der Klebebände: Autor oder Kompilator?
  • III. Die Klebebände der Fürstlich Waldeckschen Hofbibliothek Arolsen
  • 1. Druckgraphik bzw. Klebebände in Waldeck
  • 1.1 Druckgraphisches Sammeln seit dem 17. Jahrhundert
  • 1.1.1 Bestandsverzeichnisse der Eisenberger und Wildunger Linie im 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts
  • 1.1.2 Buchbinderrechnung (1727)
  • 1.2 Zur Wahrnehmung und potenziellen Nutzung von Druckgraphik im späteren 18. und 19. Jahrhundert
  • 1.2.1 Sammeln als Leidenschaft im Haus Waldeck und Pyrmont
  • 1.2.2 Catalog der Hochfürst[lich] Waldeck[ischen] Bibliothek (nach 1812)
  • 1.2.3 Verzeichniß der in Hochfürstlich Waldeckischer Schloß-Bibliothek zu Arolsen befindlichen Bücher, Manuskripte und Kupfer-Werke (1839)
  • 1.3 Zusammenfassung der Ergebnisse: zur Datierung der Klebebände
  • 2. Zur heutigen Aufbewahrung der Klebebände in der Hofbibliothek
  • 3. Zum Bestand
  • 4. Vom Sammeln in Büchern: zur Produktion der Arolser Klebebände
  • 5. Sammlungsmotive
  • 5.1 Portraits: „Aufgeklebte Kupfer, größtentheils Köpfe.“
  • 5.2 Sammelbände zu diversen Motiven
  • 5.2.1 Künstler
  • 5.2.2 Graphik zur Naturwissenschaft
  • 5.2.3 Biblische Historien
  • 5.2.4 (Bühnen-)Aufführungen
  • 5.2.5 Karikaturen
  • 5.2.6 Begräbniskultur
  • 6. Zur Kombination von Bildern im Buchraum – exemplarische Analysen
  • 6.1 Portraits im Klebeband GEISTLICHE UND GELÄHRTE III BAND
  • 6.1.1 Formale Beschreibung des Bandes
  • 6.1.2 Inhalt
  • 6.1.3 Vergleich mit thematisch verwandten Bänden
  • 6.2 Portraits im Klebeband HERRSHAFFTEN KRIEGS= UND STAATS=BEDIENTEN
  • 6.2.1 Formale Beschreibung des Bandes
  • 6.2.2 Inhalt
  • 6.2.3 Vergleich mit thematisch verwandten Bänden
  • 6.3 Zusammenfassung der Ergebnisse
  • 6.4 Formale Gruppen über inhaltliche Grenzen
  • IV. Ergebnisse: Überlegungen zu möglicher Nutzung, Funktion und Funktionalisierung
  • V. Anhang
  • 1. Erfassung und Beschreibung der Klebebände der Fürstlich Waldeckschen Hofbibliothek Arolsen
  • 1.1 Portrait-Sammelbände
  • 1.1.1 Klebeband HERRSHAFFTEN KRIEGS= UND STAATS=BEDIENTEN (Arolsen, FWHB, II 56e 17) Inhaltsverzeichnis Klebeband HERRSHAFFTEN KRIEGS= UND STAATS=BEDIENTEN
  • 1.1.2 Klebeband HERSCHAFTEN KRIEGS[=] UND STAATS[BEDIENTEN] AUCH ANDERE (Arolsen, FWHB, II 56e 17a)
  • 1.1.3 Klebeband RATHS UND STADTLEUTHE (Arolsen, FWHB, II 56e 18)
  • 1.1.4 Klebeband NORDISCHE (Arolsen, FWHB, II 56e 19)
  • 1.1.5 Klebeband GEISTLICHE UND GELAERTE I BAND (Arolsen, FWHB, II 56e 20, 1/3)
  • 1.1.6 Klebeband GEISTLICHE UND GELÄHRTE II BAND (Arolsen, FWHB, II 56e 20, 2/3)
  • 1.1.7 Klebeband GEISTLICHE UND GELÄHRTE III BAND (Arolsen, FWHB, II 56e 20, 3/3) Inhaltsverzeichnis Klebeband GEISTLICHE UND GELÄHRTE III BAND
  • 1.1.8 Klebeband GEISTLICHE UND GELÄHRTE (Arolsen, FWHB, II 57e 4)
  • 1.1.9 Klebeband [AUSTRIACAE] GEN[TIS] IMA[GI]N[UM] (Arolsen, FWHB, II Div. 92)
  • 1.2 Sammelbände zu diversen Motiven
  • 1.2.1 Klebeband MONCORNETISCHE AUBERISCHE UND SOMMERISCHE (Arolsen, FWHB, II 57e 3)
  • 1.2.2 Klebeband BIBLISCHE UND GEISTLICHE STÜCKE (Arolsen, FWHB, II 56e 21)
  • 1.2.3 Klebeband LE POTRE (Arolsen, FWHB, II 56e 22) Inhaltsverzeichnis Klebeband LE POTRE
  • 1.2.4 Klebeband FEUX ART (Arolsen, FWHB, II 56e 24)
  • 1.2.5 Klebeband Sammlung aufgeklebter Kupfer. (Meistens aus: Théatre des peintures de David Teniers.); Arolsen, FWHB, II 57e 5
  • 1.2.6 Klebeband LUST UND SCHAU-SPIELE AUCH AUFF- UND EINZUGE (Arolsen, FWHB, II 66e 128)
  • 1.2.7 Klebeband LEICH=BE=GÄNGNISSE (Arolsen, FWHB, II 66e 130)
  • 1.2.8 Klebeband SUECIA. ANTIQVA. ET. HODIERNA. (Arolsen, FWHB, II 66e 142)
  • 1.2.9 Klebeband ohne Titel [Flugblätter] (Arolsen, FWHB, II 230 7, 1/2) Inhaltsverzeichnis Klebeband ohne Titel [Flugblätter]
  • 1.2.10 Klebeband ohne Titel [Landschaftsmotive, Städteperspektiven] (Arolsen, FWHB, II 230 7, 2/2)
  • 1.2.11 Klebeband ohne Titel [Karten, Pläne] (Arolsen, FWHB, II Div. 89)
  • 1.2.12 Klebeband Callot Les Guerr[e]s de Callot. & d’autres figures (Arolsen, FWHB, II 17d 16)
  • 2. Erfassung der Klebebände in den historischen Katalogen der Fürstlich Waldeckschen Hofbibliothek Arolsen
  • 2.1 Auszüge zu Druckgraphik, aus: Catalogus deren Bücher welche uf Gräflicher Waldeckischer Bibliothec zur Arolßen über der Canzeley sich befunden […] Augusto 1641
  • 2.2 Auszüge zu Druckgraphik, aus: Catalogus der Hochfürstlich Waldeckischen Hoff Bibliothec, 1737
  • 2.3 Auszüge zu Druckgraphik, aus: Catalogue de la Bibliotheque de Son Altesse Serenissime Monseigneur le Prince regnant de Waldeck, 1774
  • 2.4 Auszüge zu Druckgraphik, aus: Catalog der Hochfürst[lich] Waldeck[ischen] Bibliothek, nach 1812
  • 2.5 Auszüge zu Druckgraphik, aus: Verzeichniß der in Hochfürstlich Waldeckischer Schloß-Bibliothek zu Arolsen befindlichen Bücher, Manuskripte und Kupfer-Werke, 1839
  • 2.6 Auszug aus den Bestandsverzeichnissen der Fürstlich Waldeckschen Hofbibliothek Arolsen
  • 3. Korrespondenz zur Erstellung des Bestandskatalogs nach 1812
  • 3.1 Schreiben Fürst Georgs I. von Waldeck und Pyrmont an die Bibliothekare Kleinschmitt und Speyer vom 2. Oktober 1812
  • 3.2 Antwortschreiben der Bibliothekare Kleinschmitt und Speyer an Fürst Georg I. von Waldeck und Pyrmont vom 17. Oktober 1812
  • VI. Verzeichnisse
  • 1. Verzeichnis der Abbildungen
  • 2. Quellenverzeichnis
  • 2.1 Gedruckte Quellen bis 1850
  • 2.2 Quellen und Literatur nach 1850
  • Reihenübersicht

I.Einleitung

1.Grundgedankenb der Untersuchung

Keine Kultur existiert ohne Medien, kein Medium ist einfach da oder bleibt ohne Gestaltung bzw. Umgestaltung.

(Ulrich Johannes Schneider, Kultur der Kommunikation, 2005, S. 17)

Bücher und Bilder sind essentielle Bestandteile von Gesellschaft, Kommunikation und (Sammlungs-)Kultur. Sie sind Ausdrucksmittel und Wissensträger. Dass diese für sich genommen, Inhalte explizieren, Medien sind, eine Wirkung haben und dass diese Botschaften sein können, ist vielfach untersucht. Die vorliegende Studie legt das Augenmerk auf ein bislang wenig beachtetes Phänomen frühneuzeitlicher Buchkultur, welches Buch und Bild zu einer neuen Einheit erwachsen lässt, ohne nur eine Kombination zu sein. Es gilt zu zeigen, dass nicht nur Bücher gesammelt, sondern dass auch in Büchern gesammelt wird und somit das Interesse weit über das für Bücher sonst übliche Lesen oder Betrachten hinausgeht. Die Untersuchung stellt demnach keine gedruckten Titel, die ihr individuelles Profil erst nach ihrer Produktion mit ihrer Rezeption über Besitzeinträge oder Leserspuren erhalten, sondern Objekte in den Fokus, die bereits mit ihrer Herstellung einen bedeutenden Stellenwert im Sammlungspanorama der Frühen Neuzeit einnehmen: Klebebände.

Die Arolser Klebebände sind in ihren beiden Komponenten Buch und Bild zu fassen, zu beschreiben und zu verstehen. So zeichnet diese Arbeit ein Bild davon, wie druckgraphische Erzeugnisse einerseits mit Bedacht in Büchern gesammelt, jedoch andererseits über das Zurechtschneiden – als eine tatsächliche Option des Gebrauchs – gleichzeitig auch beschädigt werden (Kap. II).

Gegenstand der Untersuchung ist ein Konvolut sogenannter Klebebände, das im Zuge der Vorbereitungen zum DFG-Projekt „Die Fürstenbibliothek Arolsen als Kultur- und Wissensraum vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert und ihre Einflüsse auf Genese, Formung und Identität des Fürstenstaats“ in den Blick gerückt ist.1 Der Bestand ist bisher gänzlich unerschlossen und ← 11 | 12 → unerforscht.2 Die Beschäftigung bietet sich in besonderem Maße an, da nur wenige druckgraphische Kollektionen in dieser Vollständigkeit erhalten sind (Kap. I, 2.2).

Die Untersuchung der Klebebände aus der Sammlung der Fürsten von Waldeck und Pyrmont im nordhessischen Arolsen birgt zahlreiche Herausforderungen: Zum einen fasst das Konvolut mehr als 7.000 Bilder mit weitreichender thematischer Vielfalt – Portraits, architektonische Abbildungen, Flugblätter, biblische Szenerien, Bühnenbilder und Kupferstiche zu gesellschaftlichen und politischen Ereignissen bis hin zu Jagdszenen, um nur einige Beispiele zu nennen (Kap. III, 5). Zum anderen bestehen diese Alben, wie der Name schon sagt, aus ausgeschnittenen Bildern, die dann ohne den ursprünglichen Zusammenhang auf leere Seiten geklebt werden und damit wieder ganz neue Kontexte schaffen. Die Klebebände demonstrieren ein höchst dynamisches Spannungsfeld verschiedener, disziplinenübergreifender Untersuchungsmöglichkeiten und stellen eine herausragende zeitgenössische Quelle dar, die Erkenntnisse über den Umgang mit kulturellem Wissen sowie über den Zusammenhang von Literatur und (fürstlicher) Lebenswelt verspricht. Naheliegend ist sicher eine kunsthistorische Herangehensweise mit Betrachtung der Einzelbilder nach Kunstgattungen, Künstlern und künstlerischen Techniken oder auch eine Bestimmung der Blätter nach gängigen Werkverzeichnissen. Die Arbeit fokussiert vor dem Hintergrund der Forschungsziele des DFG-Projekts einen kulturhistorischen und medienwissenschaftlichen Zugang, der Erkenntnisse zum praktischen Bildgebrauch unter Berücksichtigung formaler, inhaltlicher und textlicher Kriterien in den Vordergrund stellt.

Ein umfangreicher Forschungsanhang erfasst und beschreibt sämtliche Einzelbände und bietet eine Auswertung der Verzeichnung in den historischen Katalogen der Fürstlich Waldeckschen Hofbibliothek (FWHB). Dieser schafft – in Ergänzung zu den Digitalisaten der Klebebände3 – eine zuverlässige Materialgrundlage für die folgende Analyse und Auswertung einzelner Bände (Kap. III, 6) und darüber hinaus für die künftige Forschung, ohne das Material für weiterführende interdisziplinäre Fragestellungen in seiner Auslegung zu beschränken.

Die Untersuchung orientiert sich an drei grundlegenden erkenntnisleitenden Fragekomplexen. Erstens: Was betrachtet man als sammelwürdig; welche Einflüsse und Motive nimmt man in den Klebebänden auf, um welche Themen ← 12 | 13 → abzubilden? Zweitens: Wie wird gesammelt; gibt es Typologien der Ordnung? Drittens: Wann und wozu klebt man die Bilder ins Medium? Was könnte der Grund gewesen sein, eigene Kollektionen anzufertigen? Aus welchen Quellen stammen die Objekte? Selbstverständlich eignen sich gerade Einzelblätter hervorragend für eine Montage im Klebeband, aber es werden auch Inhalte aus Büchern und Zeitschriften herausgeschnitten.

Angesichts der Materialfülle kann in der Analyse nur ein exemplarischer Einblick in den Bestand gegeben werden. Im Fokus stehen zwei Sammelbände aus der zahlenmäßig stärksten Gruppe: den Portraits. Das Interesse am Aussehen bekannter Persönlichkeiten ist alt; es liegt in der Natur des Menschen, dass er gerne über seine Mitmenschen Bescheid wissen möchte. Die Untersuchung versteht die Portrait-Sammelbände als ‚Facebook vor 1800‘, in denen Sammler zeitgenössische ‚Gesichter der Gesellschaft‘ bewusst zusammen- und zur Schau stellen. Ausgewählte Beispiele demonstrieren wie Einzelseiten Individuen fokussieren, bipolare Beziehungen abbilden oder Wissen über einzelne ‚Netzwerke‘ beinhalten können (Kap. III, 6). Die Sammelalben werden damit als Gestalter von Zusammenhängen untersucht, um zu erfahren, „wie Wissen in kulturell geschaffenen und verwendeten Objekten bzw. Dingen wirkt“4.

Diese Fragestellung erfordert zunächst die Unterscheidung in einen engen und einen weiten Wissensbegriff. In Abgrenzung zu einem engen Wissensbegriff, der das „intersubjektiv Verifizierbare durch anerkannte Verfahren Nachweisbare“5 aufgreift, liegt dieser Untersuchung ein erweiterter Wissensbegriff zu Grunde. Er berücksichtigt über das klar Konturierte hinaus „all das, was im Vollzug der Rezeption […] gleich welcher Art vom Leser als Bedeutung (einschließlich der im Text angelegten Wirkungsintention) konstruiert wird“6. So kann nach Bernd Ulrich Biere „‚Wissen‘ in seiner Abhängigkeit von Rhetorik und Hermeneutik (Reden und Verstehen) nun auch neu konzeptionalisiert werden und im Begriff des ‚Werdens von Wissen‘ prozesshaft begriffen werden.“7 Auf die Arolser Klebebände übertragen heißt das, dass sich in der Rezeption erfahrenes Wissen mit dem verstehensrelevanten Vorwissen des Rezipienten verbinden kann:8 Das „Wissen [im Bild]“ fusioniert dann mit dem „Wissen im Kopf“.9 ← 13 | 14 →

„Wissen bezieht sich […] immer auf etwas, es ist entweder propositionales (knowing that) oder instrumentelles Wissen (knowing how).“10 Bedeutet ‚etwas zu wissen‘ soviel wie ‚über eine bestimmte Information zu verfügen‘ (knowing that), lässt sich das Einzelbild auf der Buchseite der Klebebände „als ein einzelnes Kommunikat, eine komplexe konkrete Äußerungseinheit betrachten“11, für dessen Nachvollzug bzw. in Beziehung setzen oftmals neben einem analytisch-semantischen Wissen auch singulär-empirisches Wissen oder auch historisches Wissen notwendig wird.12 Gleichzeitig bezieht sich die Interaktion mit den Klebebänden auf die Vermittlung von Fähigkeiten und Fertigkeiten (knowing how). Im Zentrum stehen standardgemäßes Alltags- und Fachwissen für das Arolser Fürstenhaus, dessen Rezeption für die Mitglieder des Hofes in den jeweiligen Lebenssituationen bestimmte Verhaltens- und Handlungsmuster bereithält – um, „entsprechend gewisser Vorgaben, Bedürfnisse und Ziele sich erfolgreich zu verhalten bzw. erfolgreich zu handeln“13.

Diese Arbeit entdeckt und reflektiert den unikalen Bestand damit nicht nur in Bezug auf sein Anschauungspotenzial, sondern auch im Hinblick auf seine Vermittlungs- und Erkenntnisleistung sowie mögliche Nutzung und Funktionen (Kap. IV). Handelt es sich bei den hier ausgeschnittenen Motiven um ein ‚Bildgedächtnis‘14, wenn ja – für Künstler, für Gelehrte, für Laien oder zum Zweck der Unterrichtung von Kindern? Das Material beeindruckt in jedem Fall – trotz der Massenvervielfältigung infolge des Buchdrucks – durch die Exklusivität in der Zusammenstellung durch den Sammler.

2.Zur Forschungslage

2.1Die Fürstlich Waldecksche Hofbibliothek in der Forschung

Arolsen, die Residenz des Fimgrsten von Waldek, gehimgrt seiner natimgrlichen Lage nach, unter die angenehmsten Orte in Teutschland. […] Das Schloß ist schimgn […]. Es ist Kopie nach dem Versailler, nicht aber ganz ausgeführt. (Seidel, Tagebuch einer Reise von der westphälischen Grenze bis nach Leipzig, 1786, S. 10)15

Die Fürstlich Waldecksche Hofbibliothek Arolsen ist in ihrem vielfältigen Sammlungsbestand ein Kultur- und Wissensraum, der eine Rekonstruktion ← 14 | 15 → intellektueller Tendenzen in der Zeit vom 16. bis 19. Jahrhundert erlaubt, den kulturellen Austausch und die kulturelle Vernetzung spiegelt und Einblicke in die vielen Facetten des Kulturtransfers gewährt.16 Im Kontext der Bibliothek wird das Wissen der Zeit gesammelt, adaptiert und ‚weitergegeben‘ – und letzteres gleich im doppelten Sinn des Wortes – waren doch die Waldecker ehemals die Besitzer von Objekten, die heutzutage zu bedeutenden Kulturgütern in ganz anderen Sammlungszusammenhängen und Wissensverbünden zählen: Als Beispiele sind kostbare Handschriften zu nennen, u. a. eine sogenannte Corvine aus der Bibliothek des ungarischen Königs Matthias Corvinus, die im 18. Jahrhundert von den Fürsten nach ihrem Erwerb generös in den Bestand der Universität Göttingen geschenkt werden17 oder die Arolser Weltchronik, die während der Weltwirtschaftskrise an die Staatsbibliothek zu Berlin verkauft werden muss.18

Heute besitzt die Fürstlich Waldecksche Hofbibliothek in Arolsen ca. 35.000 Bände aus der Zeit vom 15. bis zum beginnenden 19. Jahrhundert mit einem deutlichen Schwerpunkt auf Objekten des 18. Jahrhunderts.19 Die einzelnen Sammlungen von Büchern, Kunstobjekten, architektonischen Zeugnissen etc. gilt es gemeinsam mit der Vielzahl der Bibliothekskataloge, Briefe und Notizen weiter zu erschließen, um so u. a. die Vernetzung mit prominenten Zeitgenossen (wie z. B. Johann Friedrich Blumenbach oder Christian Gottlob Heyne) sichtbar und infolgedessen Verbindungen der kleinfürstlichen Welt in Arolsen mit dem ‚großen Kulturraum Europa‘ erkennbar werden zu lassen; sind doch „[d]ie Bücher, ihre Besitzer, ihre Leser, ihre Nutzer, ihre Sammlungszusammenhänge […] Spiegelbild eines sich ständig wandelnden Kulturraums.“20 ← 15 | 16 →

Die Bibliotheksgeschichte ist in ihren Grundzügen von Hartmut Broszinski aufgearbeitet.21 Das DFG-Projekt (2009–2012) – aus dem diese Studie als Beitrag hervorgeht – rückte sowohl das exemplarische Potenzial der Hofbibliothek als auch ihre besonderen Spezifika in den Blick. Die thematische Erforschung fokussiert die Schwerpunkte Pädagogik, Militaria und Klebebände.22 Es wurden ausgewählte Unikate – neben den Klebebänden sind hier besonders die handgeschriebenen Tagebücher des Prinzen Christian von Waldeck, die Kataloge der FWHB und eine der wohl frühesten deutschen Übersetzung einer Commedia dell’Arte: Capitain Schröck23 zu nennen –, seltene Ausgaben, durchschossene Exemplare, Werke mit Besitzvermerken oder handschriftlichen Leselisten sowie das Waldeckische Intelligenzblatt vollständig digitalisiert.24 Der interdisziplinäre Workshop „Repräsentation – Wissen – Öffentlichkeit. Bibliotheken zwischen Barock und Aufklärung“25 (2010) sowie die internationale Tagung „Frühneuzeitliche Bibliotheken als Zentren des europäischen Kulturtransfers“26 (2012) konnten aufzeigen, dass Arolsen und die Waldecker Fürsten sowohl einen festen Platz in einem gesamteuropäischen Wissens- und Kultursystem haben als auch, dass die FWHB „prototypisch für ihre Zeit“27 steht.

Zu einer solchen zeitgenössischen Bibliothek gehören auch Klebebände. In Kombination mit den rund 100.000 Holzschnitten und Kupferstichen, die unabhängig von den Montagen in Klebebänden zur Illustration in Büchern und Folianten verwendet werden, wird das große Interesse der Waldecker an ← 16 | 17 → visuellen Informationen fassbar. In einem ersten Schritt wurden rund 12.000 Bildnisse alphabetisch erfasst.28

2.2Zur Erforschung von Klebebänden

In Mittelalter und Früher Neuzeit werden Bilder gesammelt, getauscht und studiert: sie werden zur Ausschmückung an die Wand gehangen,29 lose in Mappen, Schubfächern und Kästen verwahrt,30 sie werden koloriert, als dekorative Elemente zu Texten in Bücher – oder eigenständig in Alben – geklebt.31 Kurz: Druckgraphische Bestände bilden aufgrund ihrer massenhaften Produktion und Verbreitung seit dem 16. Jahrhundert einen essentiellen Bestandteil in zeitgenössischen Sammlungen.32 So sind auch montierte Bilder in gebundenen Büchern in vielen Beständen nachzuweisen.33 Der Besitz solcher Sammelbände ist demnach auch für kleinere und mittelgroße Fürstenhäuser zeitgemäß und nicht auf die großen Sammlungen der Zeit in Wien, Paris, Dresden, München, Prag oder Ambras beschränkt. Sogar Bürgerliche beschäftigt das Sammeln von Druckgraphik in Klebebänden, so z. B. seiner Zeit den Hannoveraner Beamten Georg Friedrich Brandes (1719–1791).34 ← 17 | 18 →

Verwahrt werden Klebebände in Kunstsammlungen, in Kupferstichkabinetten – als eigenen Abteilungen bzw. Räumlichkeiten für Graphik – oder in Bibliotheken, wo sie zum Teil bis heute unentdeckt blieben, wie gerade auch das Arolser Beispiel zeigt.

Keine Kultur ohne Materialität35

Klebebände sind Unikate, gewinnen an Bekanntheit und gelten als Raritäten, wenn sie wie im Fall des Arolser Bestandes noch heute in den vom Arrangeur ursprünglich vorgenommenen Anordnungen vorliegen. Genau dieser Umstand ist in Arolsen als ausgesprochener Glücksfall zu bezeichnen, wurden doch zahlreiche andere Sammlungen dieser Art im Zeitraum vom 18. bis 20. Jahrhundert wieder auseinandergenommen und können nur mühsam über schriftliche Quellen nachvollzogen und rekonstruiert werden.36 Eingriffe in ← 18 | 19 → den Sammlungsbestand erfolgen dabei entweder als ‚Rettungsmaßnahme‘37, um konservatorisch bedenkliche Aufbewahrungssituationen zu verbessern oder als ‚notwendigerweise‘ eingeleitete ‚Modernisierungsmaßnahme‘, da vorliegende Strukturen ihrer Zeit als antiquiert gelten und „dem neuen, an der Entwicklung der Künste interessierten, kunsthistorischen Verständnis avant la lettre zuwider liefen“38.

Die Auflösung der materiellen Substanz hat aber gleichzeitig die Zerstörung des vormals zusammengeführten Zustandes sowie die Vernichtung aller Indizien zum historischen Kontext zur Folge:39 Die bewusst zusammengeführten Blätter werden wieder zerlegt, um entweder mit Einzelsignaturen versehen der ‚neustrukturierten alten‘ (Graphik-)Sammlung der Bibliothek oder den eigens der Graphik gewidmeten Sammlungsbereichen wieder einverleibt zu werden;40 oder im anderen Fall – noch folgenschwerer – um als Einzelblätter nach Verauktionierungen in fremden Sammlungen aufzugehen.41 In allen Fällen bedeutet der Vollzug eine unwiederbringliche Trennung von Trägermedium ← 19 | 20 → und Bild, da i. d. R. keine Dokumentation stattfindet, welchen Klebebänden die Einzelblätter entnommen werden.42 Im Gegensatz dazu veranschaulichen die Arolser Klebebände vorzüglich die damalige Systematisierung von Bildern und erlauben Rückschlüsse auf Hintergründe der Vernetzung von Inhalten.

Druckgraphisches Sammeln steht seit den letzten 30 Jahren im Interesse einer zumeist kunstwissenschaftlichen Betrachtung. Publikationen thematisieren sowohl selbständige graphische Sammlungen43 als auch sammlungs-, wissenschafts- und sozialgeschichtliche Fragestellungen in Bezug auf einzelne bürgerliche und adelige Sammler.44 Neben Arbeiten, die seit den 1980er-Jahren theoretische Fundierungen zum Graphiksammeln im Wandel der Zeit überblicksartig darstellen, sind die Aufsätze „‚This Passion for Prints‘: Collecting and Conoisseurship in Nothern Europe during the Seventeenth Century“45 und „The Print collection of Ferdinand, Archduke of Tyrol“46 sowie Beiträge zu einzelnen, meist englischen und italienischen Sammlungen und Sammlern in Print Quarterly zu nennen.47 In den 1990er-Jahren kommt es zu einer Verstärkung dieses Interesses. Es entstehen Arbeiten zu verschiedenen Sammlungen im Europa des 18. Jahrhunderts, die den charakteristischen Umgang mit druckgraphischen Blättern reflektieren und gemeinsame sowie ← 20 | 21 → unterschiedliche Sammlerinteressen beleuchten. Wegweisende Arbeiten sind u. a. der Ausstellungskatalog A Noble Collection. The Spencer Albums of Old Master Prints48 (1992), die Aufsätze „Art and the Theater of Knowledge: The Origins of Print Collecting in Nothern Europe“49 (1994) und „Print Collecting in Rome, Paris and London in the early Eighteenth Century“50 (1994) sowie der Sammelband Collecting Prints and Drawings in Europe, c. 1500–175051 (2003). Stephan Brakensiek legt 2003 mit Vom „Theatrum mundi“ zum „Cabinet des estampes“: das Sammeln von Druckgraphik in Deutschland 1565–1821 Studien zur Sammlungsgeschichte selbständiger graphischer Sammlungen gepaart mit einer grundlegenden theoretischen Reflexion zum druckgraphischen Sammeln vor. Er liefert bedeutende Erkenntnisse zu den sich verändernden Strukturen von Kupferstichsammlungen, indem er „ihre unterschiedliche Sinngebung sowie die daraus resultierenden Veränderungen ihrer Sammlungssystematiken und Sammlungsordnungen […] und den Wert der Graphik in der Zeit zwischen 1666 und 1821“52 untersucht. Dafür berücksichtigt er elf verschiedene Druckgraphiksammlungen.53 Die Klebebände der Fürstlich Waldeckschen Hofbibliothek sind in diesem Rahmen nicht erwähnt; dieser Umstand verweist auf weitere bislang noch nicht verzeichnete Exemplare sowie auf die weite Verbreitung und Beliebtheit von Klebebänden.

Zu adeligen und bürgerlichen Sammlern des 16. bis 18. Jahrhunderts, die im Besitz von Graphikbeständen sind, gibt es zahlreiche Publikationen. Stellvertretend ist die hervorragende Arbeit von Christien Melzer Von der Kunstkammer zum Kupferstich-Kabinett. Zur Frühgeschichte des Graphiksammelns in Dresden (1560–1738) (2010) zu den sächsischen Herrschern zu nennen. Jan van der Waals bedeutende Ausstellung zur Kupferstichsammlung Michiel Hinloopens54 am Amsterdamer Rijksprentenkabinet oder der Ausstellungskatalog Sammelkultur im Geist der Aufklärung. Die Bibliothek des Hannoveraner Beamten Georg Friedrich Brandes in der Landesbibliothek ← 21 | 22 → Oldenburg (2010) von Gabriele Crusius reflektieren stellvertretend das Sammeln bürgerlicher Liebhaber. Für diese Untersuchung besonders interessant sind die vom Fogg Art Museum der Harvard University unter maßgeblicher Leitung von Marjorie B. Cohn publizierten neun Klebebände, die von Jean und Pierre-Jean Mariette für den achten Earl of Spencer zusammengestellt wurden.55 Hier untersucht Cohn erstmals die Gestaltung einzelner Seiten in Klebebänden, die Rückschlüsse auf den Gebrauch dieser Sammelalben zulassen.56

Zur wachsenden öffentlichen Bekanntheit von Klebebänden tragen gegenwärtig verschiedene Ausstellungen bei, die sich dem Graphiksammeln in diesem Medium widmen.57 2011 wird der Öffentlichkeit erstmalig mit dem sogenannten Kleine[n] Klebeband für kurze Zeit eine einzigartige Sammlung der wohl wichtigsten deutschen Altmeisterhandzeichnungen zugänglich gemacht. Das Album ist im gleichen Jahr vom Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, den Kunstsammlungen und Museen Augsburg, der Ernst von Siemens Kulturstiftung und dem Freistaat Bayern gemeinsam erworben worden.58 Im Museum der bildenden Künste Leipzig schenkt man 2012 seine Aufmerksamkeit einem ausgewählten Klebeband stellvertretend für 53 weitere. Dem Titel der Aus ← 22 | 23 → stellung „Vom Klebeband zum Künstlerbuch. Werke aus der Graphischen Sammlung“ entsprechend,59 zeigt man die Entwicklung von der Historie in die Moderne auf und präsentiert Klebebände als besondere Medien, in denen der „Sammler gleichsam zum Buchkünstler“60 wird. Die Kuratorin von „GedankenStriche. Glanzstücke aus der Graphiksammlung der Universitätsbibliothek Salzburg“ (2012/2013) wählt für die Öffentlichkeit hochkarätige Objekte aus der „bisher weitgehend unbekannten Graphiksammlung der Salzburger Fürsterzbischöfe – von Wolf Dietrich von Raitenau bis Hieronymus Colloredo“ aus. Ihr Konzept macht deutlich, wie aufwendig eine Rekonstruktion zerstörter Zusammenhänge werden kann: Aus dem ursprünglich mindestens 15 Klebebände umfassenden, aber Anfang des 19. Jahrhunderts aufgelösten Bestand der Paris-Lodron Universität Salzburg kann im Jahr 2011 die Anordnung für den Klebeband „Städtebilder“ wiederhergestellt werden.61

Zusammenfassend bestätigen diese Ausführungen, dass der Bereich einer kunsthistorischen Betrachtung von Klebebänden als Form des druckgraphischen Sammelns intensiv besprochen ist. Bemerkenswert ist aber, dass eine literatur-, kultur- und medienwissenschaftliche Beschäftigung bislang nur in sehr geringem Maße erfolgt ist. Lediglich eine aktuelle Publikation fokussiert einen solchen Zugang und beschreibt ähnliche Phänomene wie die der Klebebände unter der begrifflichen Verwendung des ‚Albums‘. In der Aufsatzsammlung Album: Organisationsform narrativer Kohärenz (2013) erklären die beiden Herausgeberinnen, die Literaturwissenschaftlerinnen Annegret Pelz und Anke Kramer, das Album als eine Form des Buches und differenzieren diese beiden Medientypen voneinander – d. h. sie verstehen das Buch als „durchkonstruierte[s] und wohldurchdachte[s], einheitlich gegliederte[s] und hierarchisch geordnete[s] Universum“ in Abtrennung zum Album „als einem uneinheitlichen, zerfaserten Gewebe von ← 23 | 24 → Kontingenzen“.62 Dem Buch geht damit der Informationsgehalt voraus; das Album hingegen nimmt Inhalte über seine Blanko-Seiten sukzessive auf. Etymologisch verweist der Terminus ‚Album‘ bereits auf diesen Umstand, sind es doch die weißen (lat. „albus“) Seiten, die den Kompilator auffordern, ein Anliegen zu formulieren und Entscheidungen zu treffen, wie einzelne Objekte anzuordnen sind.63 Damit unterscheiden sich die Sammelformen Buch und Album einerseits grundsätzlich voneinander – im Album könnten Inhalte immer auch anders ausgewählt und angeordnet sein; der Betrachter liest nicht in linearer Abfolge, den Möglichkeiten der Materialität geschuldet blättert er vor und zurück64 – andererseits vereinen Buch und Album auch gleichzeitig charakteristische Eigenschaften:

Es [das Album, M.I.V.] hat die Struktur eines Buchs mit harten Deckeln, einem Anfang und einem Ende, das von der Leserichtung bestimmt wird, eine regelmäßige Skandierung von Blättern mit ihrer Vorder- und Rückseite und vor allem eine begrenzte Anzahl von Seiten, die eine Ordnung und Endlichkeit mitbedingen, die weder der Intention des Albumanlegers noch der Anschauung des Betrachters entspringen.65

Kramer/Pelz fassen das Album als „Netzwerkmedium von besonderem kultur- und medienwissenschaftlichem Interesse“66 auf, das „als Format zur Organisation von Wissen […] prinzipiell alle anderen medialen und kulturellen Formen integrieren, repräsentieren und symbolisch verarbeiten kann“67. Fol ← 24 | 25 → gerichtig bietet ihre Publikation eine terminologische Grundlage und methodische Orientierung.68

Für die Materialität von Objekten sowie Sammlungs- und Dokumentationspraktiken interessiert sich auch die Wissenschaftshistorikerin Anke te Heesen. Ihre Herangehensweise ist ebenfalls wegweisend für diese Untersuchung. Te Heesens Ansatz – „Wie kann Materialität dazu beitragen, Wissen zu produzieren und Erkenntnis zu generieren?“69 – ist zusammen mit ihren Ausführungen zur Exzerptkultur von grundlegendem Nutzen, zeigt sie doch, „dass das Exzerpt nicht einfach nur einen Auszug […] darstellte, sondern vielmehr eine Kultur des Ausschnitts begründete“70 (Kap. II, 2 u. 3).71 Von wesentlicher Bedeutung sind ihre folgenden Veröffentlichungen: Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung (2001), cut and paste um 1900. Der Zeitungsausschnitt in den Wissenschaften (2002), Der Zeitungsausschnitt. Ein Papierobjekt der Moderne (2006) sowie auf/zu. Der Schrank in den Wissenschaften (2007).

3.Untersuchungskorpus und Erschließung

In einem ersten Schritt wurden alle Bücher der Hofbibliothek mit montierten Bildern erfasst; in einem zweiten erfolgte die Überprüfung des Materials im Hinblick auf seine Eignung: Die Grundlage der Untersuchung sind Sammelalben, die Kompilatoren gestalteten. Damit bilden solche Bücher das Untersuchungskorpus, die entweder aus leeren Seiten bestehen, auf denen die graphischen Blätter, Einzelmotive oder ganze Serien für sich allein bzw. in Kombination aufgeklebt ← 25 | 26 → sind oder an deren Falz großformatige Druckgraphik ganzseitig mit ihren Blättern eingeklebt ist.72 Das Korpus umfasst damit 21 Bände, mehrheitlich in Leder gebundene Folianten mit mehr als 7.000 Druckgraphiken aus der Zeit vor 1800.

Um Ergebnisse zur quantitativen wie qualitativen Zusammensetzung des Bestandes zu erzielen, wurde das Gesamtkonvolut paginiert.73 Umfang und Inhalt der Einzelbände wurde auf- sowie eine Einteilung in thematische Kategorien vorgenommen. Alle Klebebände wurden zum Zweck der Vergleichbarkeit in vier Rubriken – ‚Beschreibung des Bandes‘, ‚inhaltliche Struktur‘, ‚Inhaltsverzeichnis‘ und ‚Gebrauchsspuren‘ – erfasst und mit Hilfe von Unterrubriken kategorisiert. Die detaillierte Aufnahme und Beschreibung aller Klebebände, versehen mit photographischen Abbildungen der Einbände sowie der Titelblätter, wenn vorhanden, findet sich im Katalogteil (Kap. V, 1).

Der Umfang des Konvoluts mit seinen vielen Tausend Seiten ließ das Erstellen von Inhaltsverzeichnissen lediglich für ausgewählte Klebebände zu: zum einen für die beiden Sammelalben GEISTLICHE UND GELÄHRTE III BAND74 und HERRSHAFFTEN KRIEGS= UND STAATS=BEDIENTEN75, die in der exemplarischen Analyse detaillierter vorgestellt (Kap. III, 6),76 zum anderen für zwei weitere Klebebände, die in Bezug auf die mögliche Nutzung, Funktion und Funktionalisierung des Bestandes berücksichtigt werden (Kap. IV).77

Ausgewählte Archivalien – z. B. historische Bibliothekskataloge, Akten zur Hofhaltung, Korrespondenzen, Nachlasspapiere oder auch Reisetagebücher, die die Fremdwahrnehmung der Sammlungen durch gelehrte Zeitgenossen im späten 18. Jahrhundert belegen – werden beigezogen und ausgewertet, um sowohl Sammlungspraxis sowie Spezifika dieser Sammlung zu belegen als auch eine Datierung des Konvoluts vorzunehmen (Kap. III, 1). ← 26 | 27 →

1Das Projekt zur Erschließung und thematischen Bearbeitung der Bestände der Fürstenbibliothek Arolsen wurde im Zeitraum von 2009 bis 2012 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert; vgl. die Projektseite http://www.uni-kassel.de/projekte/fuerstenbibliothek-arolsen (zuletzt abgerufen: 16. Dezember 2014) sowie folgende Überblicksdarstellungen: Brinker-von der Heyde u. a., Frühneuzeitliche Bibliotheken, 2014; Brinker-von der Heyde/Wolf, Repräsentation – Wissen – Öffentlichkeit, 2011; Fossaluzza, Arolsen: ein „Europa im Kleinen“?, 2010.

2Erste Besprechungen erfolgen in: Vogel, Gesichter der Gesellschaft, 2010; Vogel, Sammlungsobjekte, 2011; Vogel, Geheimnisse der Klebebände, 2014.

3An dieser Stelle gilt es Maria Effinger von der Universitätsbibliothek Heidelberg zu danken, die das Projekt von Anfang an unterstützt und mit ihrem Team die Klebebände digitalisiert hat: vgl. http://digi.ub.uni-heidelberg.de/fwhb/klebebaende (zuletzt abgerufen: 16. Dezember 2014).

4Aus der Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Rahmen der Förderrichtlinie „Die Sprache der Objekte – Materielle Kultur im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen“; digital abrufbar: http://www.bmbf.de/de/21609.php (zuletzt abgerufen: 16. Dezember 2014).

5Gardt, Wissenskonstitution im Text, demn.

6Ebd.

Details

Seiten
491
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653054439
ISBN (ePUB)
9783653967524
ISBN (MOBI)
9783653967517
ISBN (Hardcover)
9783631662779
DOI
10.3726/978-3-653-05443-9
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (August)
Schlagworte
Portraits Hofhaltung Hofkultur Bildung (gesellschaftliche) Druckgraphik Bildung (politische)
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 491 S., 45 farb. Abb., 114 s/w Abb.

Biographische Angaben

Marie Isabelle Vogel (Autor:in)

Marie Isabelle Vogel studierte Germanistik, Soziologie und Psychologie an der Universität Kassel. Sie war als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt «Die Fürstenbibliothek Arolsen als Kultur- und Wissensraum» für das Teilprojekt Klebebände verantwortlich und als Dozentin am Institut für Germanistik der Universität Kassel tätig.

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Titel: Die Klebebände der Fürstlich Waldeckschen Hofbibliothek Arolsen
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