Lade Inhalt...

Die fiktive Teilkonzernspitze im Mitbestimmungsgesetz unter besonderer Berücksichtigung der virtuellen Holding

von Barbara Wenker (Autor:in)
©2015 Dissertation 294 Seiten

Zusammenfassung

Moderne Konzernstrukturen – wie die virtuelle Holding – finden sich in der Wirtschaft immer häufiger. Dabei treffen sie im deutschen Recht auf althergebrachte Regelungen wie die fiktive Teilkonzernspitze im Mitbestimmungsrecht (§ 5 Abs. 3 MitbestG). Das Buch untersucht die einzelnen Voraussetzungen und den Anwendungsbereich der fiktiven Teilkonzernspitze im Rahmen der Konzernmitbestimmung. Anschließend befasst sich die Autorin mit der Organisationsstruktur der virtuellen Holding, deren Vereinbarkeit mit dem deutschen Rechtssystem sowie ihren Auswirkungen auf die Konzernmitbestimmung insgesamt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Kapitel: Einleitung
  • A. Gegenstand und Hintergrund der Arbeit
  • B. Gang der Untersuchung
  • 2. Kapitel: Die fiktive Teilkonzernspitze in Rechtsprechung und Literatur
  • A. Unternehmensmitbestimmung im Konzern
  • B. Obergerichtliche Rechtsprechung zur fiktiven Teilkonzernspitze
  • I. Darstellung der Sachverhalte und des wesentlichen Inhalts der Entscheidungen
  • 1. OLG Frankfurt am Main: Beschluss vom 21. April 2008 (Az. 20 W 342/07)
  • a) Sachverhalt
  • b) Inhalt der Entscheidung
  • 2. OLG Düsseldorf: Beschluss vom 30. Oktober 2006 (Az. I-26 W 14/06)
  • a) Sachverhalt
  • b) Inhalt der Entscheidung
  • 3. OLG Stuttgart: Beschluss vom 30. September 1995 (Az. 8 W 355/93)
  • a) Sachverhalt
  • b) Inhalt der Entscheidung
  • II. Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Entwicklung in den rechtlichen Lösungen
  • C. Literaturmeinungen zum Anwendungsbereich der fiktiven Teilkonzernspitze
  • I. Kapitalverflechtung als einzige Anwendungsvoraussetzung des § 5 Abs. 3 MitbestG
  • II. Ausübung von Leitungsmacht als relevante Anwendungsvoraussetzung des § 5 Abs. 3 MitbestG
  • III. Anwendungsbereich des § 5 Abs. 3 MitbestG nach Sinn und Zweck der Regelung
  • 3. Kapitel: Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 und § 5 Abs. 3 MitbestG
  • A. Konzernzurechnung im Mitbestimmungsgesetz
  • B. Historische Auslegung
  • I. Vorlauf zur Gesetzesfassung und Zielsetzung der Mitbestimmung
  • II. Historische Entwicklung des § 5 MitbestG
  • III. Ergebnis
  • C. Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 MitbestG
  • I. Herrschendes Unternehmen
  • 1. Der aktien- und mitbestimmungsrechtliche Unternehmensbegriff
  • 2. Stellungnahme
  • II. Abhängiges Unternehmen
  • III. Einheitliche Leitung
  • 1. Aktien- und handelsrechtlicher Begriff der einheitlichen Leitung
  • a) Der enge Konzernbegriff
  • b) Der weite Konzernbegriff
  • c) Begriff der einheitlichen Leitung in der Rechtsprechung
  • d) Begriff der einheitlichen Leitung im Handelsgesetzbuch
  • aa) Änderungen durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG)
  • bb) Begriff des „beherrschenden Einflusses“ nach § 290 HGB n.F.
  • cc) Rückschluss auf den Begriff der „einheitlichen Leitung“
  • dd) Vergleich der alten und der neuen Fassung des § 290 HGB
  • e) Ergebnis
  • 2. Figur des „Konzerns im Konzern“
  • a) „Konzern im Konzern“ aus aktienrechtlicher Sicht
  • b) „Konzern im Konzern“ im Bilanzrecht
  • c) Ergebnis
  • 3. Einheitliche Leitung im Mitbestimmungsgesetz
  • a) Begriff der einheitlichen Leitung
  • b) Vergleich zur Figur des „Konzerns im Konzern“
  • aa) Figur des „Konzerns im Konzern“ im Mitbestimmungsrecht
  • bb) Stellungnahme
  • 4. Ergebnis für den Begriff der einheitlichen Leitung
  • IV. Ergebnis
  • D. Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 MitbestG
  • I. Mitbestimmungsfreie Konzernspitze
  • II. Voraussetzung der Beherrschung der nachgeordneten Konzerngesellschaften „über“ die dem Mitbestimmungsgesetz unterfallende Konzernzwischengesellschaft
  • 1. Einordnung der Voraussetzung
  • 2. Wortlaut und Herkunft der Voraussetzung
  • 3. Mögliche Reichweite und tatsächliche Ausgestaltung der Voraussetzung
  • a) Auswirkungen der Voraussetzung anhand der Beispiele aus der OLG-Rechtsprechung
  • b) Konzernzugehörigkeit der Konzernzwischengesellschaft
  • aa) Abhängigkeitsvermutung nach § 17 Abs. 1 AktG
  • bb) Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung
  • (a) Widerlegung mittels Beherrschungsvertrages
  • (b) Widerlegung mittels Entherrschungsvertrags
  • cc) Konzernvermutung nach §§ 17 Abs. 2 i.V.m. 18 Abs. 1 Satz 3 AktG
  • dd) Bedeutung für die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 MitbestG
  • ee) Anwendung auf die Beispielsfälle
  • c) Zwischenergebnisss
  • d) Aufgabe des Aufsichtsrats
  • aa) Aufgaben des Aufsichtsrats im Einzelunternehmen
  • (a) Reichweite der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats
  • (b) Beratungsaufgabe des Aufsichtsrats
  • bb) Aufgaben des Vorstands im Konzern
  • (a) Umfang der Aufgaben des Vorstands im Konzern
  • (b) Konzernleitungspflicht des Vorstands
  • (aa) Strenge Auffassung
  • (bb) Erweiterte Auffassung
  • (cc) Zusammenfassung
  • cc) Auswirkungen auf die Überwachungsreichweite des Aufsichtsrats
  • (a) Rechtsgebilde Konzern
  • (b) Auswirkungen der gewählten Konzernart
  • (c) Informationsfluss durch den Konzern
  • (aa) Informationsfluss im Vertrags- und Eingliederungskonzern
  • (bb) Informationsfluss im faktischen Aktienkonzern
  • (d) Informationsrechte des Aufsichtsrats im Konzern
  • dd) Maßstab für die Überwachung
  • (a) Konzern- oder Unternehmensinteresse
  • (aa) Konzerninteresse
  • (bb) Stellungnahme
  • (b) Unternehmensinteresse als Maßstab der Überwachung für den Aufsichtsrat in der Konzernspitze
  • (c) Zwischenergebnis
  • ee) Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats in der abhängigen Konzerngesellschaft
  • (a) Überwachungsreichweite
  • (b) Berichtspflicht des Vorstands der abhängigen Gesellschaft
  • ff) Bedeutung für die Konzernzwischengesellschaft
  • (a) Überwachungsreichweite
  • (b) Berichtspflicht des Vorstands an den Aufsichtsrat in der Konzernzwischengesellschaft
  • (aa) Berichtspflicht über verbundene Unternehmen (§ 90 Abs. 1 S. 2 AktG)
  • (bb) Stellungnahme
  • gg) Ergebnis
  • 4. Anwendung auf die Beispielsfälle
  • a) Fall des OLG Düsseldorf
  • b) Fall des OLG Frankfurt
  • c) Fall des OLG Stuttgart
  • 5. Notwendigkeit von Leitungsmacht in der Konzernzwischengesellschaft
  • a) Vergleich zur Figur des „Konzerns im Konzern“
  • b) Ausüben von Leitungsmacht durch die Konzernzwischengesellschaft
  • aa) Konzernzwischengesellschaft als Leitungsmittlerin
  • bb) Wahrnehmung von Leitungsmacht durch die Konzernzwischengesellschaft
  • c) Ergebnis
  • E. Zusammenfassung und Ergebnis
  • F. Weiterentwicklung der Konzernmitbestimmung/Reformvorschläge
  • 4. Kapitel: Virtuelle Führungsholding
  • A. Einführung
  • I. Hintergrund für eine Neuausrichtung der Führungsstrukturen
  • II. Führungs- und Leitungsorganisation des Konzern
  • B. Organisationsformen
  • I. Konzernorganisation
  • 1. Stammhauskonzern
  • 2. Sparten- und Divisionalkonzern
  • 3. Matrixkonzern
  • 4. Weiterentwicklung
  • II. Holding
  • 1. Begriff der Holding
  • 2. Finanz- und Führungsholding
  • 3. Management-Holding
  • a) Struktur der Management-Holding
  • b) Center-Organisation
  • 4. Virtuelle Holding
  • a) Begriffsbestimmung: Virtuelle Holding
  • b) Beispiele aus der Literatur
  • c) Beispiele aus der Praxis
  • aa) Deutsche Bank AG
  • bb) Siemens AG
  • cc) CSC-Konzern
  • d) Weiterentwicklung der Organisationsstruktur „virtuelle Holding“
  • e) Juristische Einordnung der Organisationsstruktur
  • aa) Unternehmen
  • bb) Rechtsform der unterschiedlichen Ebenen der virtuellen Holding
  • cc) Vergleich zur Eingliederung gemäß §§ 319 ff. AktG
  • dd) Zwischenergebnis
  • f) Rechtliche Stellung der „Bereichsvorstände“
  • aa) Tatsächliche Ausgestaltung der Position
  • bb) Möglichkeit der Einflussnahme auf nachgeordnete Unternehmen
  • (a) Weisungsbefugnis
  • (b) Reichweite der Weisungsbefugnis
  • (c) Bevollmächtigung
  • cc) Die vertretungsrechtliche Frage
  • dd) Ergebnis
  • C. Vereinbarkeit der Konstruktion „virtuelle Holding“ mit dem deutschen Rechtssystem
  • I. Auswirkungen auf die Aufgabe des Vorstands
  • 1. Leitungsaufgabe in der virtuellen Holding
  • 2. Delegierung von Führungsaufgaben
  • a) Verteilung von Vorstandsaufgaben auf der Vorstandsebene
  • b) Delegation von Vorstandsaufgaben auf organexterne Dritte
  • aa) Aufgabenzuweisung an nachgeordnete Unternehmensebenen
  • bb) Aufgabenübertragung an unternehmensfremde Dritte
  • cc) Weitere Fälle einer Delegation
  • 3. Ergebnis
  • II. Auswirkungen auf den Aufsichtsrat
  • 1. Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats in der virtuellen Holding
  • a) Überwachungsgegenstand
  • aa) Enge Auffassung
  • bb) Erweiterte Auffassung
  • cc) Stellungnahme
  • b) Informationsbeschaffung des Aufsichtsrats auf nachgeordneten Ebenen
  • c) Zwischenergebnis
  • 2. Auswirkungen auf die Beratungskompetenz des Aufsichtsrats
  • a) Die Beratungsaufgabe des Aufsichtsrats
  • b) Auswirkung der Organisation „virtuelle Holding“
  • 3. Auswirkungen auf die Mitwirkungskompetenz des Aufsichtsrats
  • a) Zustimmungsvorbehalt als Ausnahme vom Geschäftsführungsverbot
  • b) Zustimmungsrecht bei der personellen Besetzung der Bereichsleitungen
  • c) Auswirkung der Organisation „virtuelle Holding“
  • 4. Ergebnis
  • D. Bedeutung für die unternehmerische Mitbestimmung
  • I. Mitbestimmung in der virtuellen Holding
  • 1. Mitbestimmung in der Konzernspitze
  • 2. Virtuelle Holding als Umgehungstatbestand
  • II. Mitbestimmung auf Zwischenstufen durch den Aufsichtsrat
  • 1. Übertragung der Figur des „Konzerns im Konzern“
  • 2. Übertragung der fiktiven Teilkonzernspitze
  • 3. Mitbestimmung auf Zwischenstufen durch Beiräte
  • a) Praktische Beispiele
  • aa) „Lüdenscheider Abkommen“
  • bb) ThyssenKrupp
  • b) Zulässigkeit der Erweiterung der Mitbestimmung mittels eines Beirats
  • c) Zulässigkeit des Gremiums „Beirat“
  • d) Mögliche Aufgaben eines freiwilligen Beirats
  • aa) Beratungsaufgabe des Beirats
  • bb) Überwachungsaufgabe des Beirats
  • cc) Teilhabe der Arbeitnehmer an Unternehmensentscheidungen innerhalb eines Beirats
  • e) Ergebnis
  • III. Ergebnis
  • 5. Kapitel: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
  • Literaturverzeichnis

| 13 →

1. Kapitel: Einleitung

A. Gegenstand und Hintergrund der Arbeit

Mit der unternehmerischen Mitbestimmung wird Arbeitnehmern eine institutionelle Teilhabe an Willens- und Entscheidungsprozessen im Unternehmen auf Unternehmensebene eingeräumt, indem ihnen die Möglichkeit eröffnet wird, über das Organ Aufsichtsrat direkt Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen zu nehmen.1 Dabei ist die Ausgestaltung in den verschiedenen Mitbestimmungsgesetzen im deutschen System2 im Vergleich zu Europa und auch weltweit, insbesondere was die paritätische (gleichgewichtige) Besetzung des Aufsichtsrats mit Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer angeht, einzigartig.

In Europa etwa lehnen 14 Staaten die Mitbestimmung ganz oder nahezu vollständig ab – dazu gehören Belgien, Bulgarien, Frankreich (zum Teil), Griechenland (zum Teil), Großbritannien, Irland, Italien, Portugal, Spanien, Rumänien, Estland, Lettland, Litauen, Malta und Zypern. Weitere 11 Länder verfügen über Beteiligungsformen bis zur Drittelparität,3 dazu gehören Österreich, Luxemburg, die Niederlande, Dänemark, Finnland, Schweden, Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei und Slowenien, wobei in den beiden zuletzt genannten Staaten eine paritätische Besetzung möglich ist, soweit sie in der Satzung vorgesehen ← 13 | 14 → ist.4 Nur Deutschland geht über die Drittelbeteiligung hinaus und gewährt im Anwendungsbereich des MitbestG eine paritätische Mitbestimmung der Arbeitnehmer.5

Diese Spezialität der deutschen Mitbestimmung wirft zunehmend tatsächliche Probleme auf. Die Globalisierung und das Zusammenrücken der Märkte erfordern zum einen, dass den international operierenden Gesellschaften, insbesondere bei Beteiligung eines ausländischen Investors an deutschen Unternehmen, aber auch schon bei Umstrukturierungsmaßnahmen innerhalb eines international aufgebauten Konzerns, das System der unternehmerischen Mitbestimmung und des damit verbundenen unmittelbaren Eingriffs in die Interessen der Unternehmenseigner vermittelt werden muss.6 Dazu kommen Erklärungen, weshalb Regelungen zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat so weitreichend sind und zudem von Literatur und Rechtsprechung streng gehandhabt werden.

Aber auch innerhalb Deutschlands ist die Kritik am bestehenden Mitbestimmungssystem nicht zu leugnen. Die Zahl der Unternehmen bzw. Konzerne, die mittels gesellschaftsrechtlicher Strukturmaßnahmen oder durch Zuhilfenahme ausländischer Rechtsformen7 versuchen, die Mitbestimmung entweder auf ein Größenlevel „einzufrieren“, sodass trotz Anwachsens der Arbeitnehmerzahl eine Vergrößerung des Aufsichtsrats nicht erforderlich wird, oder eine Mitbestimmung gar ganz zu vermeiden, ist nach einer aktuellen Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung8 von 17 Unternehmen im Jahr 2006 auf 43 im Jahr 2011 ← 14 | 15 → gestiegen.9 Berücksichtigt man dabei, dass im Jahr 2008 insgesamt 694 Gesellschaften in Deutschland dem MitbestG und etwa 1.500 Gesellschaften dem DrittelbG unterfielen,10 ist die Zahl von 43 Gesellschaften im Vergleich nicht allzu hoch.

Jedoch zeigen diese Tendenz und auch die anhaltende Diskussion11 um die Mitbestimmung sowie die Reformversuche,12 dass wachsame Augen die Entwicklung der Mitbestimmung und des MitbestG stetig im Blick haben.

Angefacht wird die Diskussion zudem durch offene Bekundungen der Unternehmen, dass ein maßgebliches Kriterium für die Rechtsformwahl die Vermeidung der unternehmerischen Mitbestimmung darstellt.13

Die Gründe für die beschriebenen „Fluchttendenzen“ sind zum einen bei den tatsächlichen Anforderungen und den mit der Bildung eines Aufsichtsrats nach ← 15 | 16 → den Vorgaben des MitbestG verbundenen Komplikationen und Aufwendungen zu suchen, zum anderen aber nicht zuletzt auch bei der konkreten Anwendung der Vorschriften des MitbestG und insbesondere in der obergerichtlichen Rechtsprechung, die eine strikt restrektive Auslegung der Vorschriften zur Mitbestimmung im Konzern verfolgt.14

Bei ersterem liegen die tatsächlichen Gründe für die Vermeidung eines paritätisch besetzten Aufsichtsrats auf der Hand, wobei jedoch der stärkere Einfluss von Arbeitnehmern zumeist nicht ausschlaggebend ist. Relevant ist insbesondere der mit der Gründung und Unterhaltung eines paritätisch besetzten Aufsichtsrats verbundene Aufwand, der sich u. a. in den Kosten15 für die Unterhaltung des Organs, etwa für die Informationsversorgung, und der nicht selten erforderlichen Errichtung eines ganzen Stabs von Mitarbeitern zeigt.16

Hinsichtlich der Handhabung der Vorschriften des MitbestG durch die Rechtsprechung insbesondere zur Konzernmitbestimmung sind trotz des Alters der Vorschriften – das Mitbestimmungsgesetz ist am 4. Mai 1976 in Kraft getreten – einige Fragen noch nicht abschließend geklärt. Dazu gehören auch die Anwendungsvoraussetzungen der fiktiven Teilkonzernmitbestimmung gemäß § 5 Abs. 3 MitbestG. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist hierzu eine immer weitergehende aber zugleich auch strikte Auslegung der Tatbestandsmerkmale zu beobachten.17 Begründet wird diese Auslegung durch die Gerichte damit, dass nur auf diese Weise die Mitbestimmung geschützt und Umgehungsmöglichkeiten eingeschränkt werden könnten.18 Folge ist, dass auch häufig in Gesellschaften eines Konzerns paritätisch besetzte Aufsichtsräte zu bilden sind, die über keinerlei Arbeitnehmer oder einen eigenen Geschäftsbetrieb verfügen und zudem von der (ausländischen) Konzernspitze nur aus steuerlichen Gründen eingesetzt wurden. Damit kann es in vielen Konzernen zu einer Kumulierung der Mitbestimmung ← 16 | 17 → auf verschiedenen Ebenen kommen. Folge ist, dass dann nicht nur die auf einer unteren Ebene angesiedelte operativ tätige Gesellschaft mit über 2.000 Arbeitnehmern einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat zu gründen hat, sondern auch die Zwischengesellschaft, der, nach der Auslegung des MitbestG durch die Gerichte, die Arbeitnehmer aller nachgeordneten Konzerngesellschaften zugeordnet werden müssen.

Sowohl der Wortlaut der Vorschriften des MitbestG zur Mitbestimmung im Konzern als auch die Folgen der erwähnten Rechtsprechung lassen Zweifel daran aufkommen, ob die weite Auslegung der Tatbestandsmerkmale für die Konzernmitbestimmung sich noch mit den Vorgaben und dem Sinn und Zweck des Gesetzes decken.

Dieses bisher nicht abschließend geklärte Problem um die Handhabung der Vorschrift zur fiktiven Teilkonzernspitze wird nun gegenwärtig zusätzlich mit dem tatsächlichen Wandel in der Ausgestaltung eines Konzerns, die heute regelmäßig über die Staatsgrenzen hinweg erfolgt, konfrontiert.

Interessant für die Anwendung der Vorschriften zur Konzernmitbestimmung ist dabei die Entwicklung der sog. „virtuellen Holding“. Dabei handelt es sich um eine Organisationsform, die aufbauend auf dem Konzept der Konzernholding weiterhin zwischen der strategischen und der operativen Führung unterscheidet, dabei jedoch auf eine rechtliche Trennung der Einheiten auf verschiedene Rechtsträger verzichtet. Aufgrund des Fehlens eigener Rechtsträger können solche „virtuellen Holdings“ und insbesondere die unter dem Vorstand angesiedelten Ebenen nur sehr eingeschränkt von inländischen Gesetzen und damit auch von Regelungen des MitbestG erfasst werden.19 Begründet ist dies zum einen in dem Umstand, dass das „Rechtsträgerprinzip“ den Regelungen des Gesetzes zugrunde liegt, also die Person oder die Gesellschaft Träger von Rechten und Pflichten ist.20 Andererseits kann dies aber auch darauf zurückgeführt werden, dass das MitbestG aus dem Jahr 1976 stammt und sich seit dem inhaltlich nur wenig verändert hat und somit auch moderne Konzernstrukturen nicht berücksichtigt bzw. berücksichtigen kann.

Beispiel dafür ist etwa, dass aufgrund des Territorialitätsprinzips des MitbestG Arbeitnehmer eines mit Hauptsitz in Deutschland verankerten Konzerns kein Wahlrecht bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat der inländischen Konzernspitze haben, wenn sie im Ausland beschäftigt sind.21 ← 17 | 18 → Dies gilt selbst für Arbeitnehmer von im Ausland ansässigen unselbstständigen Zweigniederlassungen deutscher Unternehmen.22

Da trotz mehrfacher Reformbestrebungen23 nicht zu erwarten ist, dass das MitbestG in naher Zukunft eine tiefgreifende Änderung erfährt, stellt sich die Frage, wie den neuen Tendenzen aus mitbestimmungsrechtlicher Sicht zu begegnen ist und wie das MitbestG und insbesondere die Regelungen zur Mitbestimmung im Konzern Anwendung finden können, wenn die Konzernstruktur virtuelle Führungsebenen aufweist.

B. Gang der Untersuchung

Ziel dieser Arbeit ist es, zunächst die einzelnen Voraussetzungen der Konzernmitbestimmung des MitbestG (§ 5 MitbestG) und insbesondere der Spezialregelung für den fiktiven Teilkonzern im MitbestG (§ 5 Abs. 3 MitbestG) anhand von Beispielen aus der bereits in der Einleitung erwähnten aktuellen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Frankfurt am Main, Düsseldorf und Stuttgart zu analysieren und den Anwendungsbereich für die fiktive Teilkonzernspitze des § 5 Abs. 3 MitbestG zu definieren. Dabei werden auch die verschiedenen Ansichten in Literatur und Rechtsprechung zu den Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 MitbestG und die Folgen für die Mitbestimmung einbezogen.

In einem weiteren Teil wird dann auf ein neues, vornehmlich in der Betriebswirtschaft entwickeltes Modell für die Führungs- und Unternehmensorganisationsstruktur im Konzern, die „virtuelle Holding“, eingegangen. Ziel ist es, zum einen die aktienrechtliche Zulässigkeit der virtuellen Holding hinsichtlich des Tätigkeitsbereichs des Aufsichtsrats zu untersuchen, zum anderen werden die Auswirkungen dargestellt, die die virtuelle Holding auf die Mitbestimmung im Unternehmen und im Konzern hat. Berücksichtigung finden dabei auch die im ersten Teil zur fiktiven Teilkonzernspitze gefundenen Ergebnisse.

Die Untersuchung bezieht sich vornehmlich auf die Aktiengesellschaft unter mitbestimmungsrechtlichen Gesichtspunkten.

1 Vgl. Art. 2k SE-RL (Richtlinie 2001/86/EG), die die unternehmerische Mitbestimmung wie folgt definiert: „Mitbestimmung“ [ist] die Einflussnahme des Organs zur Vertretung der Arbeitnehmer und/oder der Arbeitnehmervertreter auf die Angelegenheiten einer Gesellschaft durch

 die Wahrnehmung des Rechts, einen Teil der Mitglieder des Aufsichts- oder des Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu wählen oder zu bestellen, oder

 die Wahrnehmung des Rechts, die Bestellung eines Teils der oder aller Mitglieder des Aufsichts- oder des Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu empfehlen und/oder abzulehnen.

2 Mitbestimmungsgesetz (MitbestG), Montan-Mitbestimmungsgesetz (Montan-MitbestG), Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG); von der Aufzählung der weiteren inländischen Spezialgesetze zur Mitbestimmung und denen auf europäischer Ebene wird hier abgesehen.

3 Wobei der Begriff „drittelparitätisch“ irreführend sein kann, da z. B. im DrittelbG der Aufsichtsrat nicht aus drei gleich großen Gruppen von Mitgliedern besteht, sondern gemäß § 4 Abs. 1 DrittelbG zu einem Drittel mit Vertretern der Arbeitnehmer besetzt wird.

4 Greifenstein, Friedrich-Ebert-Stiftung, Perspektiven der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland, April 2011, S. 28; Schwark, AG 2004, 173; Schulten/Zagelmeyer, Board-level employee representation in Europe, abrufbar unter: http://www.eurofound.europa.eu/eiro/1998/09/study/tn9809201s.htm, mit einer überblicksartigen Darstellung der einzelnen Systeme.

5 Bericht der Kommission Mitbestimmung, 2004, S. 11 ff.; Ulmer/Habersack, in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 3. Aufl. 2013, Einl. MitbestG Rn. 77, Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 5. Aufl. 2010, § 13 Rn. 24; Schwark, AG 2004, 173 (174).

6 Ähnlich: Kort, in: NZG 2009, 81; Götz, AG 2002, 552 (555).

7 Beispiel dafür ist die Wahl einer Rechtsform, die nicht von den Mitbestimmungsgesetzen erfasst wird (Personengesellschaften oder ausländische Rechtsformen, auch in Kombination: Ltd. & Co. KG), Verlagerung von Mitarbeitern ins Ausland, Arbeitnehmerverleihung etc.; vgl. Wisskirchen/Bissels/Dannhorn, DB 2007, 2258.

8 Kommission zur Modernisierung der Mitbestimmung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission, Dezember 2006, Anlage 4: Übersicht Europa; Sick/Pütz/Jung, Der Mitbestimmung entzogen: Zahl der Unternehmen mit ausländischer Rechtsform wächst weiter, Pressemeldung der Hans-Böckler-Stiftung vom 15.2.2011, Redaktion FD-ArbR 2011, 314472; Pressemitteilung der Hans-Böckler Stiftung, 30.3.2010; Thannisch, Die Mitbestimmung im Kontext europäischer Herausforderungen, WISO direkt, Mai 2010, S. 3.

9 Beispiele sind: Apetito Catering B.V. & Co. KG; Sodexo Beteiligungs B.V. & Co. KG; auch H&M, Esprit, und ZARA wählten die Rechtsform einer B.V. & Co. KG, Air Berlin die Rechtsform einer PLC & Co. KG; Übersicht zu einzelnen mitbestimmungsrelevanten Unternehmen mit ausländischen Rechtsformen unter: Kommission zur Modernisierung der Mitbestimmung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission, Dezember 2006, Anhang 5: Mitbestimmungsrelevante Unternehmen mit ausländischen/kombiniert ausländischen Rechtsformen.

10 Greifenstein, Friedrich-Ebert-Stiftung, Perspektiven der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland, April 2011, S. 16, 17; Merkt, ZIP 2011, 1237 (1238).

11 Oetker, RdA 2005, 337 (338); Henssler, RdA 2005, 330; Nagel/Riess/Rüb/Beschorner, Informationen und Mitbestimmung im internationalen Konzern, 1996, S. 46; Bericht der von der Bertelsmann Stiftung und der Hans-Böckler-Stiftung 1995 ins Leben gerufenen Kommission „Mitbestimmung“, Bertelsmann-Stiftung, Hans-Böckler-Stiftung, Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen, Bilanz und Perspektiven, Bericht der Kommission „Mitbestimmung“, Gütersloh, 1998; Baums, Bericht der Regierungskommission „Corporate Governance“, Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle – Modernisierung des Aktiengesetzes, Bericht des Vorsitzenden, C3.

12 Vgl. etwa Kommission zur Modernisierung der Mitbestimmung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission, Dezember 2006, Kapitel 2 – Empfehlungen.

13 So etwa der damalige Vorstandsvorsitzende der Air Berlin PLC (persönliche haftende Gesellschafterin der Air Berlin PLC & Co. KG), Joachim Hunold, Interview „Wir übertreffen derzeit unsere Ziele“, Der Tagesspiegel, 2.5.2006.

14 Dazu die Darstellung der obergerichtlichen Rechtsprechung in Kapitel 2, B.

15 Als Beispiel kann die Siemens AG angeführt werden, die für das Jahr 2011 die Vergütungskosten für den Aufsichtsrat mit 4.383.333 Euro bezifferte, wobei Sitzungsgeld und Auslagenersatz für die Aufsichtsratsmitglieder noch nicht berücksichtigt sind, Finanzbericht der Siemens AG 2011, B.4. Vergütungsbericht, abrufbar über: http://www.siemens.com/annual/11/_pdf/Siemens_GB2011_Verguetung.pdf.

16 Die Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat erfolgt nach einem fest vorgeschriebenen, langwierigen Verfahren nach den Wahlordnungen zum MitbestG.

Details

Seiten
294
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653053524
ISBN (ePUB)
9783653967944
ISBN (MOBI)
9783653967937
ISBN (Paperback)
9783631662557
DOI
10.3726/978-3-653-05352-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Schlagworte
Konzernmitbestimmung Leitungswege § 5 MitbestG
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 294 S., 9 s/w Abb.

Biographische Angaben

Barbara Wenker (Autor:in)

Barbara Wenker war nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften in Düsseldorf und ihrem Referendariat am LG Düsseldorf als Volljuristin in einer größeren Wirtschaftskanzlei tätig, bevor sie im August 2014 zu einer mittelständischen Kanzlei wechselte.

Zurück

Titel: Die fiktive Teilkonzernspitze im Mitbestimmungsgesetz unter besonderer Berücksichtigung der virtuellen Holding
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
296 Seiten