Lade Inhalt...

Pragmatische Phraseologismen und ihre lexikografische Darstellung

Am Beispiel eines mehrsprachigen elektronischen Spezialwörterbuches für Übersetzer

von Anna Ruusila (Autor:in)
©2015 Dissertation 387 Seiten

Zusammenfassung

Muttersprachliche Sprachbenutzer sind in der Lage, andere Menschen normgerecht zu begrüßen, einen schönen Tag zu wünschen, Beileid auszusprechen und emotive Reaktionen wie Enttäuschung und Freude zu verbalisieren. In einer Diskussion können sie u.a. das Thema wechseln, die Aufmerksamkeit des Gesprächspartners wecken und Formulierungsschwierigkeiten zum Ausdruck bringen. Das heißt, dass wir Sprachbenutzer in unserer alltäglichen Kommunikation pragmatische Phraseologismen verwenden. Die Studie beschreibt den Status quo der lexikografischen Darstellung dieser Phraseologismen in den heutigen Wörterbüchern. Es werden zudem Wörterbuchartikelmodelle für pragmatische Phraseologismen konzipiert, die für ein elektronisches Übersetzungswörterbuch mit Deutsch, Finnisch und Französisch gedacht sind.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen und Symbole
  • 1. Einleitung
  • 1.1 Pragmatische Phraseologismen und ihre lexikografische Darstellung als Untersuchungsgegenstand
  • 1.2 Zielsetzung der Arbeit
  • 1.3 Materialgrundlage und methodische Vorgehensweise
  • 1.4 Aufbau der Arbeit
  • 2. Phraseologische Grundbegriffe
  • 2.1 Definitionen und Kriterien von Phraseologismen
  • 2.1.1 Polylexikalität bzw. Mehrgliedrigkeit
  • 2.1.2 Stabilität bzw. Festigkeit
  • 2.1.2.1 Strukturelle Festigkeit
  • 2.1.2.2 Psycholinguistische Festigkeit
  • 2.1.2.3 Pragmatische Festigkeit
  • 2.1.3 Idiomatizität
  • 2.2 Klassifikationsversuche
  • 3. Pragmatische Phraseologismen
  • 3.1 Terminologisches und Definitorisches zu pragmatischen Phraseologismen
  • 3.2 Fließende Grenzen und Überlappungen
  • 3.2.1 Routineformeln vs. sonstige satzwertige Phraseologismen
  • 3.2.2 Routineformeln vs. Gesprächsformeln
  • 3.3 Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit
  • 3.4 Formelhaftigkeit auf der Textebene: das Phraseologische vs. das Formelhafte bzw. das Musterhafte
  • 3.5 Stand der Forschung
  • 3.5.1 Stand der Forschung im Bereich der Germanistik sowie kontrastive und übersetzungsbezogene Untersuchungen im Sprachenpaar Deutsch–Finnisch
  • 3.5.2 Stand der Forschung in Bezug auf französische pragmatische Phraseologismen und kontrastive Untersuchungen im Sprachenpaar Deutsch-Französisch
  • 3.5.3 Stand der Forschung in der Fennistik
  • 3.5.4 Stand der Forschung in anderen Sprachen und Kulturräumen
  • 3.6 Routineformeln
  • 3.6.1 Charakteristika der Routineformeln
  • 3.6.2 Syntaktische Klassifikation von Routineformeln
  • 3.6.3 Semantische Klassifikation von Routineformeln
  • 3.6.4 Funktionale Klassifikation von Routineformeln
  • 3.6.4.1 Höflichkeitsformeln
  • 3.6.4.1.1 Gruß- und Abschiedsformeln und Wohlergehensfragen
  • 3.6.4.1.2 Allgemeine und spezifische Wunschformeln und Anlassformeln
  • 3.6.4.1.3 Dankesformeln
  • 3.6.4.1.4 Entschuldigungsformeln
  • 3.6.4.2 Emotive Formeln
  • 3.6.4.3 Fluchformeln
  • 3.6.4.4 Direktive Formeln
  • 3.6.4.5 Institutionelle Formeln
  • 3.7 Gesprächsformeln
  • 3.7.1 Syntaktische Klassifikation von Gesprächsformeln
  • 3.7.2 Funktionale Klassifikation von Gesprächsformeln
  • 3.7.2.1 Regulierung des Kommunikationsablaufs
  • 3.7.2.2 Aufmerksamkeits- und Verständnissicherung und -kontrolle
  • 3.7.2.3 Verzögerungsmittel
  • 3.7.2.4 Nicht-reformulative und reformulative Bearbeitung
  • 3.7.2.5 Redebewertung und -kommentierung
  • 4. Zur Übersetzung pragmatischer Phraseologismen
  • 4.1 Vorbemerkung: Kontrastive Phraseologie vs. Übersetzung von Phraseologismen
  • 4.2 Herausforderungen bei der Übersetzung pragmatischer Phraseologismen
  • 4.2.1 Idiomatizität
  • 4.2.2 Kulturgebundenheit
  • 4.2.3 Dialektale Faktoren
  • 4.2.4 Situationsspezifik
  • 4.2.5 Sprachspielerische Elemente, Modifikationen, Kreativität
  • 4.2.6 Polyfunktionalität
  • 4.3 Vielfalt der Übersetzungslösungen
  • 4.4 Fazit
  • 5. Lexikografische Grundbegriffe und Typen von Wörterbüchern
  • 5.1 Wörterbücher und Wörterbuchtypen
  • 5.1.1 Einsprachige und zwei- bzw. mehrsprachige Wörterbücher
  • 5.1.1.1 Einsprachige Wörterbücher
  • 5.1.1.2 Zwei- und mehrsprachige Wörterbücher
  • 5.2 Spezialwörterbücher
  • 5.2.1 Lemmatypspezifische Wörterbücher
  • 5.2.2 Informationstyporientierte Wörterbücher
  • 5.2.3 Varietätenorientierte Wörterbücher
  • 5.2.4 Benutzergruppenorientierte Wörterbücher: Übersetzer als Wörterbuchbenutzer
  • 5.2.4.1 Wörterbuchbenutzungssituationen beim Übersetzen
  • 5.2.4.2 Übersetzerische Anforderungen an Wörterbücher
  • 5.2.4.3 Übersetzer und Phraseografie
  • 5.3 Strukturen von Wörterbüchern
  • 5.3.1 Wörterbuchaußentexte bzw. Rahmenstruktur
  • 5.3.2 Makrostruktur
  • 5.3.3 Mikrostruktur
  • 5.4 e-Wörterbücher
  • 5.4.1 Typologie der e-Wörterbücher
  • 5.4.2 Strukturen der e-Wörterbücher
  • 5.4.2.1 Rahmenstruktur bzw. Wörterbuchaußentexte
  • 5.4.2.2 Suchfunktionen und Verweisstruktur
  • 5.4.2.3 Mikrostruktur
  • 5.4.3 Multimedialität
  • 5.4.4 Korpora in e-Wörterbüchern
  • 6. Korpus und Methodik
  • 6.1 Das Korpus
  • 6.1.1 Printwörterbücher als Korpus
  • 6.1.1.1 Nichtphraseologische Wörterbücher
  • 6.1.1.2 Phraseologische Wörterbücher
  • 6.1.1.2.1 Einsprachige phraseologische Wörterbücher
  • 6.1.1.2.2 Zweisprachige phraseologische Wörterbücher
  • 6.1.2 e-Wörterbücher als Korpus
  • 6.1.2.1 e-Wörterbücher mit Deutsch
  • 6.1.2.2 e-Wörterbücher mit Französisch
  • 6.2 Methodische Vorgehensweise
  • 7. Lexikografische Darstellung pragmatischer Phraseologismen: der status quo
  • 7.1 Rahmenstruktur bzw. Wörterbuchaußentexte
  • 7.1.1 Wörterbuchaußentexte in Printwörterbüchern
  • 7.1.2 Wörterbuchaußentexte in e-Wörterbüchern
  • 7.2 Auffindbarkeit und Suchvorgänge
  • 7.2.1 Situierung pragmatischer Phraseologismen in Printwörterbüchern
  • 7.2.1.1 Nichtphraseologische Wörterbücher
  • 7.2.1.2 Phraseologische Wörterbücher
  • 7.2.2 Suchvorgänge in e-Wörterbüchern
  • 7.3 Mikrostruktur
  • 7.3.1 Nennformen
  • 7.3.1.1 Nennformen der Routineformeln
  • 7.3.1.2 Nennformen der Gesprächsformeln
  • 7.3.2 Bedeutungsbeschreibung
  • 7.3.2.1 Bedeutungsbeschreibung der Routineformeln
  • 7.3.2.2 Bedeutungsbeschreibung der Gesprächsformeln
  • 7.3.3 Pragmatische Angaben
  • 7.3.3.1 Diastratische und diaevaluative Markierungen
  • 7.3.3.2 Diatopische und diachronische Angaben
  • 7.3.3.3 Angaben über die Kommunizierenden
  • 7.3.3.4 Weitere kommunikativ-situative Markierungen
  • 7.3.4 Beispiele und Belege
  • 7.3.4.1 Beispielangaben in nichtphraseologischen Wörterbüchern
  • 7.3.4.2 Beispielangaben in phraseologischen Wörterbüchern
  • 7.3.5 Äquivalentenbeschreibung
  • 7.4 Fazit
  • 7.4.1 Rahmenstruktur bzw. Wörterbuchaußentexte
  • 7.4.2 Auffindbarkeit und Suchvorgänge
  • 7.4.3 Mikrostruktur bzw. Wörterbuchartikel
  • 8. Verbesserungsvorschläge: pragmatische Phraseologismen im elektronischen Spezialwörterbuch für Übersetzer
  • 8.1 Suchvorgänge
  • 8.1.1 Semasiologischer Zugriff
  • 8.1.2 Onomasiologischer Zugriff
  • 8.1.3 Weitere mögliche Zugriffe
  • 8.2 Mikrostruktur bzw. Wörterbuchartikel
  • 8.2.1 Nennformen
  • 8.2.2 Bedeutungsbeschreibung
  • 8.2.3 Pragmatische Angaben
  • 8.2.3.1 Diastratische und diaevaluative Angaben
  • 8.2.3.2 Sprecherkonstellation
  • 8.2.3.3 Raum und Zeit
  • 8.2.3.4 Einbettung in den sprachlichen Kontext
  • 8.2.3.5 Einbettung in die Folge der Sprechhandlungen
  • 8.2.4 Belege
  • 8.2.5 Äquivalentenbeschreibung
  • 8.2.6 Weitere Angaben
  • 8.3 Rahmenstruktur bzw. Wörterbuchaußentexte
  • 9. Theoretische Wörterbuchartikelmodelle für pragmatische Phraseologismen
  • 9.1 Routineformeln
  • 9.2 Gesprächsformeln
  • 9.3 Versuchsartikel
  • 10. Schlussfolgerungen und Ausblick
  • Literatur
  • Primäre Quellen
  • Sekundäre Quellen
  • Anhang I: Onomasiologische Kategorien im WBDaF (2000)

← 14 | 15 → Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen und Symbole

Abb.

Abbildung

alat

derb

ark

umgangssprachlich

AT

Ausgangstext

Bsp.

Beispiel

dt

deutsch

emot

emotional

en

englisch

es

spanisch

fam.

familière

fi

finnisch

form

formelhaft, formal

fr

französisch

geh

gehoben

iron

ironisch

leik, leikill

scherzhaft

o. J.

ohne Jahr

path

pathetisch

pilkall

spöttisch

sal

salopp

scherzh.

scherzhaft

spött.

spöttisch

s. v.

sub verbo, ‚unter dem Stichwort‘

Tab.

Tabelle

u.

und

umg., ugs

umgangssprachlich

ZT

Zieltext

< … >

wortwörtliche Übersetzung

‚…‘

Bedeutungserklärung

-

Angabe nicht vorhanden/für den jeweiligen Aspekt nicht relevant

*

fehlerhafte Formulierung

Ø

Auslassung← 15 | 16 →

← 16 | 17 → 1. Einleitung

Muttersprachliche Sprachbenutzer sind in der Lage, andere Menschen normgerecht zu begrüßen, sich mit den richtigen Worten nach ihrem Wohlergehen zu erkundigen, einen schönen Tag oder Sommer und einen guten Rutsch zu wünschen, Briefe und E-Mails höflich anzufangen und zu beenden, Beileid auszusprechen und emotive Reaktionen wie Enttäuschung, Freude, Wut, Trauer, Verwirrung oder Erstaunen zu verbalisieren sowie den Gesprächspartner zu ermutigen, zu trösten oder ihn zum Handeln anzuspornen. In einer Diskussion können sie u. a. das Thema wechseln, die Sprecherrolle beibehalten oder diese an den Gesprächspartner weitergeben, die Aufmerksamkeit des Gesprächspartners wecken und steuern sowie verschiedene Aspekte hypothetisch ausdrücken und Verzögerung oder Formulierungsschwierigkeiten zum Ausdruck bringen. Das heißt, dass wir Sprachbenutzer in unserer alltäglichen Kommunikation pragmatische Phraseologismen verwenden, auch wenn wir dieses phraseologische Phänomen nicht beim Namen nennen könnten: Funktional feste pragmatische Phraseologismen spielen nämlich eine große Rolle bei der Durchführung der oben genannten Funktionen sowie von zahlreichen weiteren Sprechhandlungen und metakommunikativen Funktionen.

Muttersprachler lernen automatisch, pragmatische Phraseologismen in verschiedenen Kommunikationssituationen adäquat, d. h. auf eine sozial akzeptable und effektive Art und Weise, zu gebrauchen. Bei den Fremdsprachenlernern sieht die Situation ganz anders aus, denn pragmatische Phraseologismen sind zu einem großen Teil sprach- und kulturbedingt. Auch beim Übersetzen tauchen zahlreiche pragmatische Phraseologismen auf, und ihre Übertragung in eine andere Sprache kann mit Schwierigkeiten verbunden sein.

Trotz ihrer hohen Frequenz und ihrer für das Gelingen der Kommunikation notwendigen Funktionen bestehen in der lexikografischen Darstellung pragmatischer Phraseologismen gewisse Mängel, die u. a. dazu führen können, dass Sprachenlerner, Übersetzer und andere Wörterbuchbenutzer keine adäquate lexikografische Unterstützung in den Wörterbüchern finden.

1.1 Pragmatische Phraseologismen und ihre lexikografische Darstellung als Untersuchungsgegenstand

Pragmatische Phraseologismen sind in erster Linie pragmatisch feste Ausdrücke der gesprochenen und der geschriebenen Sprache, die in rekurrenten Kommunikationssituationen in gleicher oder leicht variierter Form vorkommen und ← 17 | 18 → dabei verschiedene pragmatische Funktionen übernehmen, d. h. zur Durchführung verschiedener Sprechhandlungen (s. Kap. 3.2.2) und metakommunikativer Funktionen gebraucht werden. Sie werden üblicherweise nach dem Kriterium der Situationsspezifik in zwei Gruppen eingeteilt: in die Routineformeln und in die gesprächsspezifischen Formeln bzw. Gesprächsformeln.

Unter den „Routineformeln“ werden in der vorliegenden Arbeit solche situationsspezifischen, voll-, teil- und nichtidiomatischen, potenziell äußerungsautonomen Phraseologismen der gesprochenen und der geschriebenen Sprache verstanden, die u. a. verschiedene Sprechhandlungen durchführen, z. B. im Bereich der sprachlichen Höflichkeit (Hyvää illanjatkoa!/[Einen] schönen Abend noch!/Bonne soirée!; Terveydeksi!/Gesundheit!; Zum Wohl!; Prosit!/À vos souhaits!/Santé!), der emotiven Reaktionen (Herranjestas!/Um Gottes willen!/Juste Ciel!; Grand Dieu!; Se tästä nyt vielä puuttuisi!/Das wäre ja noch schöner!/Il ne manquait plus que ça!; Älä luule!/Das könnte dir so passen!/Et ta sœur!) und des Kommentierens (Kaikki on reilassa!/Es ist alles in Butter!/Tout baigne dans l’huile!).

Im Gegensatz zu den Routineformeln sind die „Gesprächsformeln“ metakommunikativ ausgelegt. Diese situationsunspezifischen, in den meisten Fällen nichtidiomatischen Phraseologismen, die häufig unterhalb der Satzebene zu situieren sind und die normalerweise keinen Satzgliedwert besitzen, übernehmen verschiedene metakommunikative Funktionen. Als Beispiele für Gesprächsformeln sind etwa eikö niin?/nicht wahr?/n’ est-ce pas?; kuulehan/hör mal/écoute; totta puhuen/ehrlich gesagt/à vrai dire; miten sen nyt sanoisi/wie soll ich sagen/comment dire zu nennen.

In der vorliegenden Arbeit stehen die pragmatischen Phraseologismen der Alltagssprache im Mittelpunkt. Auch in Fachtexten, etwa in juristischen oder medizinischen Texten und Patentschriften, kommen pragmatische Phraseologismen vor, aber sie sind bisher kaum untersucht worden. 1 Weil sich pragmatische Phraseologismen und ihre Verwendungsweisen in Fachtexten von denen der Alltagssprache unterscheiden, wäre ihre genaue Untersuchung nötig, bevor kontrastive, lexikografische und übersetzungsbezogene Fragen genauer betrachtet werden können. Beim Erforschen pragmatischer Phraseologismen in Fachtexten müssten auch weitere Wissenschaftszweige, etwa Terminologie und ← 18 | 19 → Fachsprachenforschung, berücksichtigt werden, was im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht möglich ist.

Pragmatische Phraseologismen werden innerhalb des Wissenschaftszweigs der Phraseologie situiert. Obwohl phraseologische Phänomene seit den siebziger Jahren rege untersucht werden, bilden pragmatische Phraseologismen einen eher neuen Untersuchungsgegenstand. In verschiedenen Sprachräumen sind sie teils aktiver, teils so gut wie gar nicht untersucht worden: Die deutschen pragmatischen Phraseologismen sind z. T. relativ gründlich bearbeitet worden, während in Finnland das Thema aus phraseologischer Sicht nur wenig behandelt worden ist und nur bei Germanisten Interesse geweckt hat. Auf die übersetzungsbezogenen Aspekte ist eher wenig Aufmerksamkeit gerichtet worden, während fremdsprachendidaktische und lexikografische Fragestellungen häufiger erörtert worden sind. Zudem haben die Routineformeln in der Forschung bisher eine größere Rolle gespielt als die Gesprächsformeln.

In der lexikografisch ausgerichteten Forschungsliteratur ist mehrmals darauf hingewiesen worden, dass die lexikografische Beschreibung pragmatischer Phraseologismen in mehrerer Hinsicht mangelhaft sei (siehe u. a. Kühn 1989, 832f.; Kempcke 1994, 303; Hahn 2006, 157; Eismann 2009, 128). Man hat sich für einen genaueren situativen und kommunikativen Beschreibungsansatz ausgesprochen, aber konkrete Vorschläge zur Realisierung dieser Beschreibung sind ein Wunsch geblieben. Zugleich sind die Phraseologismen, darunter auch die pragmatischen Phraseologismen, als eine übersetzerische Herausforderung angesehen worden (s. u. a. Koller 1972, 170f.; Coulmas 1981a, 134; Burger/Buhofer/Sialm 1982, 314; Zybatow 1998, 149). Obwohl Übersetzer professionell mit der Sprache umgehen und zweifelsohne andere Informationsbedürfnisse haben als manche andere Wörterbuchbenutzer – etwa Fremdsprachenlerner und Sprachstudierende, Lehrer und Laien, die sich aus welchem Grund auch immer mit einer fremden Sprache befassen –, gibt es weder Allgemeinwörterbücher noch Wörterbücher der Phraseologismen, die gezielt für Übersetzer konzipiert wären. Auf dieser Grundlage ist das Konzept meines phraseologisch, phraseografisch und übersetzungsbezogen ausgerichteten Dissertationsvorhabens entstanden.

1.2 Zielsetzung der Arbeit

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist zweifach. Erstens wird der status quo der lexikografischen Beschreibung der pragmatischen Phraseologismen in den heutigen Wörterbüchern untersucht. Anhand von Untersuchungsmaterial aus gängigen ein- und zweisprachigen Printwörterbüchern und elektronischen ← 19 | 20 → Wörterbüchern mit Deutsch, Finnisch und Französisch2 soll beschrieben werden, wie die pragmatischen Phraseologismen bisher lexikografisch dargestellt worden sind. Es ist von besonderem Interesse zu untersuchen, wie die Darstellung der pragmatischen Phraseologismen in den Wörterbüchern mit Finnisch und mit Französisch erfolgt ist, denn dieser Aspekt ist noch nicht recherchiert worden. Zweitens hat die vorliegende Arbeit zum Ziel, zwei Wörterbuchartikelmodelle zu konzipieren: ein Modell für die lexikografische Beschreibung der Routineformeln und ein Modell für die lexikografische Beschreibung der Gesprächsformeln. Die Modelle sind für ein deutsch-finnisch-französisches elektronisches phraseologisches Wörterbuch gedacht, das in erster Linie für die Bedürfnisse der Übersetzer konzipiert ist. Das geplante Wörterbuch könnte eventuell auch als translatorisches Lern- und Lehrmittel fungieren. Didaktische Aspekte stehen jedoch nicht im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit.

Es kann angenommen werden, dass Übersetzer in der normalen Wörterbuchbenutzungssituation gleichzeitig nur mit zwei Sprachen operieren und nicht mit drei, weswegen die eigentlichen Wörterbuchartikelmodelle zweisprachig sind; das jeweilige Sprachenpaar kann gesondert ausgewählt bzw. gewechselt werden. In der vorliegenden Arbeit wurden in erster Linie aus wissenschaftlichen Gründen drei Sprachen einbezogen: Sowohl die französischen als auch finnischen pragmatischen Phraseologismen sind eher wenig untersucht worden, weswegen es von Interesse ist, zu sehen, ob solche kontrastiven Faktoren auftauchen, die auch in einem Wörterbuchartikel berücksichtigt werden sollten.

Im Rahmen dieser Arbeit wird versucht herauszufinden, wie pragmatische Phraseologismen lexikografisch darzustellen sind, um in erster Linie auf übersetzungsbezogene Fragen antworten zu können. Es versteht sich von selbst, dass Übersetzer lexikografische Unterstützung in solchen Fällen suchen, in denen die pragmatischen Phraseologismen Probleme bereiten. Deswegen müssen potenzielle übersetzerische Herausforderungen bei den pragmatischen Phraseologismen identifiziert werden, sodass genau diese problematischen Aspekte in den Wörterbuchartikeln berücksichtigt werden können.

Die Wörterbücher der Zukunft sind ohne Frage elektronisch, weswegen es sinnvoll erscheint, Wörterbuchartikelmodelle für ein elektronisches Wörterbuch zu konzipieren. Das elektronische Medium bietet zahlreiche Möglichkeiten, die ← 20 | 21 → das Wörterbuchbenutzen erleichtern und beschleunigen, aber andererseits sind damit auch bestimmte Herausforderungen verbunden. Auch zu diesen Perspektiven werden in der vorliegenden Arbeit Überlegungen angestellt.

Um die oben beschriebenen Ziele erreichen zu können, müssen phraseologische, lexikografische und übersetzungsbezogene Aspekte miteinander verbunden werden. Es stellen sich demnach folgende Fragen:

werden pragmatische Phraseologismen in den Wörterbuchaußentexten der gängigen Wörterbücher behandelt? Wie wird der Wörterbuchbenutzer über ihre lexikografische Darstellung im jeweiligen Wörterbuch informiert?

kann der Wörterbuchbenutzer in den gängigen Wörterbüchern auf die pragmatischen Phraseologismen zurückgreifen? Wo sind die pragmatischen Phraseologismen im Wörterbuch situiert? Welche Suchvorgänge sind vorhanden?

Welche lexikografischen Angaben sind in den Wörterbuchartikeln zu pragmatischen Phraseologismen zu finden? Wie erfolgt ihre pragmatische bzw. situativ-kommunikative Beschreibung, die im Hinblick auf die speziellen Charakteristika dieser Phraseologismen unverzichtbar ist? Was für Äquivalente werden angegeben?

Was für potenzielle Herausforderungen hängen mit der Übersetzung pragmatischer Phraseologismen zusammen? Wie können diese Herausforderungen in den Wörterbuchartikeln berücksichtigt werden?

müssen die Wörterbuchaußentexte und Wörterbuchartikel gestaltet sein, sodass das Wörterbuch ein möglichst effizientes Werkzeug beim Übersetzen pragmatischer Phraseologismen sein kann? Wie kann das elektronische Medium dabei maximal ausgenutzt werden?

Die vorliegende Arbeit will also einen Beitrag zur Diskussion über die kommunikativ-situativ adäquate lexikografische Darstellung der pragmatischen Phraseologismen leisten. Als „Nebenprodukte“ ergeben sich Informationen über die finnischen und französischen pragmatischen Phraseologismen, die bisher nur sehr wenig untersucht worden sind. Darüber hinaus soll die Arbeit dazu dienen, Anregungen zu der Entwicklung von für Übersetzer konzipierten Wörterbüchern zu geben. Die heutige Lexikografie geht davon aus, dass Wörterbücher Gebrauchsgegenstände sind, die für eine spezifische Zielgruppe gedacht sind. Demnach stellen die allgemeinen Wörterbücher keine idealen übersetzerischen Werkzeuge dar.

Es ist wichtig zu bemerken, dass das Ziel der vorliegenden Arbeit nicht darin besteht, ein elektronisches Wörterbuch zu den pragmatischen Phraseologismen zu erstellen. Es geht lediglich um die Skizzierung der Wörterbuchartikelmodelle ← 21 | 22 → und die Behandlung der möglichen für die Übersetzer nützlichen Suchvorgänge. Die konkrete Realisierung eines solchen elektronischen Wörterbuchs wäre ein zeitaufwändiges Projekt, das eine Arbeitsgruppe sowie Finanzierung verlangen würde.

1.3 Materialgrundlage und methodische Vorgehensweise

Das empirische Material der vorliegenden Arbeit besteht aus zwei Teilkorpora. Zur Veranschaulichung der potenziellen Übersetzungsschwierigkeiten (Kap. 4.2) wurden Belege aus deutschen, französischen und finnischen belletristischen Ausgangstexten samt ihren Übersetzungen gesammelt. Dieses Übersetzungskorpus wurde durch Untertitel aus Fernsehserien und Filmen ergänzt. Diese Belege werden auch im Kapitel 3, in dem auf die semantischen, syntaktischen und funktionalen Eigenschaften der pragmatischen Phraseologismen eingegangen wird, als Beispiele gebraucht. Es handelt sich um eine korpusgestützte Herangehensweise.

Eine besonders wichtige Rolle kommt dem zweiten Korpus zu, das aus lexikografischem Material besteht. Es wurden pragmatische Phraseologismen sowohl in Print- als auch in elektronischen allgemeinen und phraseologischen Wörterbüchern des Deutschen, Finnischen und Französischen gesammelt. Als Grundlage beim Sammeln des Korpus diente das Wörterbuch Deutsch als Fremdsprache (WBDaF 2000) von Kempcke, das m. W. das einzige Wörterbuch ist, in dem pragmatische Phraseologismen gesondert markiert sind (Markierung: /in der kommunikativen Wendung/ bzw. /in den kommunikativen Wendungen/). Es wurde eine Liste zusammengestellt, in der alle mit dieser Markierung versehenen Phraseologismen dokumentiert sind. In weiteren Wörterbüchern mit Deutsch wurde diese Liste als Ausgangspunkt verwendet und dieselben Phraseologismen wurden gesammelt. Im Fall der einsprachigen französischen bzw. französisch-deutschen Wörterbücher wurde eine entsprechende Markierung (fr formule) als Ausgangspunkt verwendet bzw. es wurden alle solchen Phraseologismen einbezogen, die als pragmatische Phraseologismen klassifiziert werden können. Auch aus den finnischen Wörterbüchern wurden alle als pragmatische Phraseologismen einzustufenden Ausdrücke zusammengetragen. Darüber hinaus wurden aus einigen Wörterbüchern repräsentative Zufallsbelege ausgewählt. Außer den Wörterbuchartikeln wurden auch die Wörterbuchaußentexte durchgegangen sowie die Situierung bzw. die Auffindbarkeit und in elektronischen Wörterbüchern die verfügbaren Suchvorgänge untersucht. Die Primärquellen sind im Literaturverzeichnis aufgeführt; zur genaueren Vorstellung des Korpus s. Kapitel 6.

← 22 | 23 → Das lexikografische Korpus dient zur Betrachtung der heutigen Lage der lexikografischen Darstellung von pragmatischen Phraseologismen. Die Untersuchung geht demnach nach dem deskriptiven Prinzip vor. Das Korpus wurde qualitativ bewertet, indem die mikrostrukturellen Angaben analysiert und die gefundenen lexikografischen Lösungen klassifiziert wurden. Diese werden in den entsprechenden Kapiteln erläutert und mit Beispielen veranschaulicht. Bei der Analyse der Wörterbuchaußentexte wurde ein Frageraster als Hilfsmittel verwendet. Die Vorschläge zur Konzipierung der Wörterbuchaußentexte, der Suchvorgänge und der Wörterbuchartikel basieren auf der Analyse des lexikografischen Korpus. Es werden Überlegungen darüber angestellt, wie die Elemente der bereits vorhandenen Wörterbücher ergänzt und verbessert werden könnten, sodass das Wörterbuch ein effizientes Werkzeug zum Übersetzen pragmatischer Phraseologismen darstellen würde.

1.4 Aufbau der Arbeit

Die Arbeit ist in zehn Kapitel untergliedert. Zunächst werden im Kapitel 2 die phraseologischen Grundbegriffe kurz erläutert. Die Phraseologie bildet den Ausgangspunkt für die Betrachtung pragmatischer Phraseologismen, obgleich die phraseologischen Kriterien der Polylexikalität, Stabilität und Idiomatizität bei den pragmatischen Phraseologismen nicht immer erfüllt werden. Ziel der Ausführungen im Kapitel 3 ist es, die Charakteristika der pragmatischen Phraseologismen zu erörtern. Behandelt werden außer den syntaktischen, semantischen und funktionalen Eigenschaften und Klassifikationen der Routine- und Gesprächsformeln auch definitorische Fragen (3.1) sowie Fragen der klassifikatorischen Grenzziehungen im phraseologischen Bereich (Kap. 3.2), Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Bereich der pragmatischen Phraseologismen (Kap. 3.3), Formelhaftigkeit auf Textebene (Kap. 3.4) sowie der Stand der Forschung (Kap. 3.5). Anschließend wird im Kapitel 4 auf übersetzungsbezogene Aspekte und potenzielle übersetzerische Probleme bei den pragmatischen Phraseologismen – und zwar auf Idiomatizität, Kulturgebundenheit, dialektale und soziolektale Faktoren, Situationsspezifik, sprachspielerische Elemente und Polyfunktionalität – eingegangen, und es wird ein Blick über die Vielfalt der möglichen Übersetzungslösungen im Bereich der pragmatischen Phraseologismen geworfen.

Details

Seiten
387
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653052824
ISBN (ePUB)
9783653969641
ISBN (MOBI)
9783653969634
ISBN (Hardcover)
9783631659106
DOI
10.3726/978-3-653-05282-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Januar)
Schlagworte
Elektronische Wörterbücher Muttersprachler Sprachbenutzer Uebersetzungswörterbücher
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 387 S., 11 s/w Abb., 16 Tab.

Biographische Angaben

Anna Ruusila (Autor:in)

Anna Ruusila studierte Germanistik, Romanistik, Literaturwissenschaft und Translationswissenschaft an der Universität Helsinki (Finnland). Sie forscht an der Universität Tampere (Finnland).

Zurück

Titel: Pragmatische Phraseologismen und ihre lexikografische Darstellung
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
390 Seiten