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Wege zur späten Lyrik von Elisabeth Langgässer

Übersinnliches erfahren im sinnlich Wahrnehmbaren

von Niels Kranemann (Autor:in)
©2015 Monographie 135 Seiten

Zusammenfassung

Elisabeth Langgässer (1899–1950) war in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine der literarischen Hoffnungsträgerinnen in Deutschland. Doch nachdem sie 1936 als Halbjüdin im NS-Staat Schreibverbot erhalten hatte, musste sie unter ständigen Schikanen und Bedrohungen leiden. In ihren letzten fünf Lebensjahren entstand eine Reihe von Gedichten, die sie unter dem Titel Metamorphosen herausgeben wollte. Ihr früher Tod vereitelte jedoch diese Absicht. Acht der Metamorphose-Gedichte werden in diesem Band interpretiert. Die Textanalysen zeigen, dass Langgässer «das Sinnliche für das Übersinnliche, die Natur für das Jenseits-aller-Natur transparent» zu machen verstand, wie ihr Ehemann W. Hoffmann einmal schrieb. Sie zeigen aber auch, welch breiten Varianten-Spielraum es in diesen aus Naturbeobachtung, antiker Mythologie und christlichem Glauben geschaffenen Textmontagen gibt. Die Gedichte zählen zu den virtuosesten, bilder- und gedankenreichsten Sprachkunstwerken des 20. Jahrhunderts.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Vorbemerkungen
  • Elisabeth Langgässer: Sommerende
  • „Soviel berauschende Vergänglichkeit“
  • Elisabeth Langgässer: Arachne
  • „Da haben Sie meine Situation“
  • Elisabeth Langgässer: Frühling 1946
  • „wie deutlich die Hand und der Finger Gottes“
  • Elisabeth Langgässer: Winterwende
  • O Crux, ave, spes unica
  • Elisabeth Langgässer: Demetrische Hymne
  • Mit dem Mythos im Dialog
  • Elisabeth Langgässer: Lisieux
  • „Demütig und maßlos“
  • Elisabeth Langgässer: Späte Zeit
  • „Meine Verse sind Teile einer Liturgie“
  • Elisabeth Langgässer: Daphne an der Sonnenwende
  • „Mythopoetische Montagetechnik als konstitutives Formprinzip einer christlichen Dichtung“
  • Nachwort

← 10 | 11 → Vorbemerkungen

Längst hat sich die Dunkelheit des Vergessens auf viele Personen, Ereignisse und Ideen des 20. Jahrhunderts gesenkt.

Auch von dem, was damals in den Künsten geschaffen wurde, ist ein großer Teil selbst heutigen Kunstliebhabern nicht mehr bekannt, obwohl es noch vor weniger als einem Jahrhundert, also zu Lebzeiten zahlreicher älterer Mitbürger, das Denken, Fühlen und Handeln vieler Menschen beeinflusst und damit das geistige Leben des zwanzigsten Jahrhunderts bestimmt hat.

Solches Vergessen-Werden ist wohl notwendig. Nicht alles, was einmal gedacht, geschrieben, gestaltet worden ist, kann auf ewig lebendiger Besitz der Menschheit bleiben. Aber immer wieder wird man sich einzelne Personen, Entdeckungen, Erfindungen, Werke oder Ideen in Erinnerung rufen und sie vor dem Hintergrund der eigenen Zeit zum Anlass der Neu-Orientierung oder Selbst-Vergewisserung nehmen und ihnen auf diese Weise neue Aktualität verleihen.

Gedenktage können Anlass für solche Rückbesinnungen sein, neue Problemstellungen im Leben Einzelner oder ganzer Völker, auch Geburts- oder Sterbedaten von Politikern, Philosophen, Wissenschaftlern oder Künstlern.

Mit Blick auf ein Datum ist auch dieses Buch entstanden: mit Blick nämlich auf den 25. Juli 2015. An diesem Tag jährt sich zum 65. Mal der Sterbetag einer deutschen Dichterin, einer Halbjüdin, einer Katholikin, die in Deutschlands dunkelster Zeit lebte, schrieb und litt und während der zwölf Jahre des Nazi-Terrors im Verborgenen an ihrem literarischen Oeuvre arbeitete.

Am 25. Juli dieses Jahres gedenken wir der am 25. Juli 1950 verstorbenen Schriftstellerin Elisabeth Langgässer. Doch – wer war Elisabeth Langgässer?

Geboren wurde sie am 23. Februar 1899 in Alzey als Tochter eines zum Katholizismus konvertierten jüdischen Vaters und einer katholischen Mutter.

Als sie zehn Jahre alt war, starb der Vater. Die Witwe zog mit ihren Kindern nach Darmstadt, wo die Tochter Elisabeth das Gymnasium besuchte und eine Ausbildung zur Lehrerin absolvierte. Bis 1928 war sie dann in Hessen im Schuldienst tätig.

Am 1. Januar 1929 kam ihre erste Tochter, Cordelia, zur Welt. Sie entstammte einer kurzen Liebesbeziehung mit dem deutsch-jüdischen Staatswissenschaftler Hermann Heller. Er musste 1933 emigrieren. Elisabeth Langgässer verließ ← 11 | 12 → Hessen und ging nach Berlin, um dort eine Dozentur für Pädagogik und Methodik an der sozialen Frauenfachschule zu übernehmen.

1935 heiratete sie in Berlin Wilhelm Hoffmann, einen Philosophen mit Staatsexamen in katholischer Theologie, der eine Zeit lang Novize bei den Benediktinern in Maria Laach und Beuron gewesen war und bei Heidegger über Augustinus promoviert hatte. Aus dieser Ehe gingen drei Töchter hervor.

Nach den sogenannten „Nürnberger Gesetzen“ des NS-Staates galt die Ehe des „arischen“ Philosophen mit der katholisch getauften „Halbjüdin“ als „privilegierte Mischehe“. Die drei dieser Ehe entstammenden Töchter, die drei „arische Großelternteile“ besaßen und nur ein jüdisches, galten als „viertel-jüdisch“, die voreheliche Tochter Cordelia hingegen, die drei jüdische Großelternteile hatte, als „jüdisch“. Im Jahre 1936 wurde Elisabeth Langgässer aus der „Reichsschrifttumskammer“ ausgeschlossen und erhielt Publikationsverbot. Für Wilhelm Hoffmann bedeutete die Ehe mit der „Halbjüdin“, dass es für ihn keine Möglichkeit gab, jemals eine Professur zu übernehmen. Stattdessen war er gezwungen, seine Familie mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser zu halten.

Den Zweiten Weltkrieg erlebte die Familie Hoffmann-Langgässer bis zum bitteren Ende in Berlin.

1944 wurde die Tochter Cordelia, die bereits seit 1941 den „Judenstern“ tragen musste, über Theresienstadt nach Auschwitz deportiert. Sie überlebte das Kriegsende und gelangte nach Schweden. Im Januar 1946 erhielt Elisabeth Langgässer Nachricht von Cordelias Rettung und konnte nach einiger Zeit brieflichen Kontakt mit der Tochter aufnehmen.

1949 besuchte Cordelia, die mittlerweile einen Schweden geheiratet hatte, mit ihrem Mann und dem ersten Kind ihre Mutter in Rheinzabern, wohin die Familie Hoffmann-Langgässer ein Jahr zuvor gezogen war.

Am 25. Juli 1950 starb Elisabeth Langgässer an Multipler Sklerose.

„Wer ist diese Frau? Vergessen. Vergessen die größte deutsche Schriftstellerin unseres Jahrhunderts“. Luise Rinser schrieb diese Sätze 1981 im Nachwort zur Ullstein-Werkausgabe des Romans Märkische Argonautenfahrt von Elisabeth Langgässer. Die Wirkungsgeschichte der Dichterin ist in der Tat auf eine dramatische Weise von Höhen und Tiefen geprägt.1

1931 erhielt sie für ihre Erzählung Proserpina den Literaturpreis des deutschen Staatsbürgerinnenverbandes. Bereits 1924 war der Gedichtzyklus Wendekreis ← 12 | 13 → des Lammes erschienen; bis 1936 folgten mehrere Publikationen, u. a. ein weiterer Gedichtzyklus, die Tierkreisgedichte, sowie die Erzählung Gang durch das Ried.

Trotz des Schreibverbotes während der NS-Zeit arbeitete sie im Verborgenen an ihrem großen Roman Das unauslöschliche Siegel. Als er nach dem Kriege im Jahre 1946 erscheinen konnte, war die Autorin für kurze Zeit eine der am meisten diskutierten und gelobten deutschen Schriftstellerinnen der Nachkriegszeit. Doch nach ihrem frühen Tod ließ das Interesse an ihren Werken bald deutlich nach. Das lag wohl vor allem an der komplexen Faktur ihrer epischen und lyrischen Werke. Auch ihre religiöse und mythische Deutung der Welt und der Geschichte, gerade der unmittelbaren Vergangenheit, fand immer weniger Anklang, so dass Luise Rinser recht zu geben ist, wenn sie schreibt, Elisabeth Langgässer sei um 1980 so gut wie vergessen gewesen.

Im Jahre 1986 erschien ein Buch, das rasch ein Bestseller wurde: Gebranntes Kind sucht das Feuer. Verfasserin war Cordelia Edvardson, die älteste Tochter der Dichterin, die durch die Hölle von Theresienstadt und Auschwitz gehen musste.2 Ihr Bericht ließ erkennen, dass sich die Mutter in der Tragödie, die die Tochter ins Konzentrationslager führte, weder so umsichtig noch so heldenhaft verhielt, wie eine schwarzweißmalende Legendenbildung es gern gehabt hätte. Ihr zögerliches Verhalten zu der Zeit, als eine Emigration der Tochter vielleicht noch möglich gewesen wäre, und lähmend-tödliches Entsetzen bei dem entscheidenden Gestapo-Verhör haben das Schicksal der Tochter mitbestimmt.

Das war Grund genug für einige Zeitgenossen, Elisabeth Langgässer „zum Sündenbock für deutsche Schuld“ zu machen, wie Ruth Klüger in einer Rezension für die FAZ im Jahre 1997 schrieb. In ihrem Beitrag wies Frau Klüger darauf hin, dass Cordelia Edvardson sich stets gegen solche Schuldzuweisung von deutscher Seite gewehrt und daran erinnert habe, „dass nicht die Mutter es war, die das Kind verschleppte, dass man vielmehr denen die Schuld zu geben hat, die einer Mutter ein solches Dilemma aufzwingen“.3 Statt über Schuld oder Unschuld einer auf den Tod geängstigten Mutter in der Zeit der Diktatur zu debattieren, sei es angemessener, dass man die Erzählungen, Romane und Gedichte der Schriftstellerin „abstaubt, sichtet und dem kritischen Urteil der Gegenwart unterzieht“, schrieb Ruth Klüger, die als dreizehnjähriges Kind mit ihrer Mutter selbst in Theresienstadt und Auschwitz inhaftiert war.

← 13 | 14 → Abstauben, sichten, dem Urteil der Leser anheimstellen: Eben dies soll im Folgenden am Beispiel von acht Gedichten aus Elisabeth Langgässers letztem, unvollendetem Gedichtzyklus Metamorphosen geschehen.

Die Dichterin selbst war sich der Schwierigkeiten, die dem Verständnis ihrer Werke entgegenstehen, durchaus bewusst, wenngleich sich in ihren Briefen auch Äußerungen finden wie: „Lies meine Gedichte … ganz und gar wörtlich, einfach und einfältig. Vielleicht magst Du sie dann“.4

Details

Seiten
135
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653052473
ISBN (ePUB)
9783653970005
ISBN (MOBI)
9783653969993
ISBN (Hardcover)
9783631658888
DOI
10.3726/978-3-653-05247-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (März)
Schlagworte
Mysterientheologie Renouveau catholique Naturlyrik
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 135 S., 5 s/w Abb.

Biographische Angaben

Niels Kranemann (Autor:in)

Niels Kranemann studierte Germanistik, Katholische Theologie, Philosophie und Musikwissenschaft in Münster. In Germanistik wurde er mit einer wortkundlichen Studie promoviert. Nach einer Unterrichtstätigkeit an einem Gymnasium des Bistums Münster war er Leiter der Abteilung Religionspädagogik im Bischöflichen Generalvikariat, anschließend Leitender Regierungsschuldirektor zunächst im Schulkollegium beim Regierungspräsidenten in Münster, dann in der Bezirksregierung. Er publizierte in zahlreichen Fachzeitschriften.

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