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Bewältigung von Masseneinsprüchen

Die Teileinspruchsentscheidung gem. § 367 Abs. 2a AO

von Mirko Daniels (Autor:in)
©2015 Dissertation XIV, 236 Seiten

Zusammenfassung

Die Studie analysiert die Möglichkeit der Finanzbehörden, das Einspruchsverfahren mittels Teileinspruchsentscheidungen vorzeitig zu Lasten des Steuerpflichtigen zu beenden. Der Autor untersucht, weshalb die Teileinspruchsentscheidung in der bisherigen Regelungssystematik des steuerlichen Einspruchsverfahrens ein Fremdkörper bleibt und beleuchtet die sich aus der unzureichenden Integration der Regelung ergebenden Probleme. Schwerpunkte bilden die Sachdienlichkeit der Entscheidung und das Spannungsfeld zu verfahrensrechtlichen Alternativen. Auf Rechtsfolgenseite wird die Effektivität der Teileinspruchsentscheidung im Hinblick auf die Möglichkeit der Herbeiführung einer sachverhaltsbezogenen Bestandskraft kritisch überprüft.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Problemaufriss
  • I. Das Instrument der Teileinspruchsentscheidung
  • II. Die Teileinspruchsentscheidung in der Rechtsprechung
  • III. Gang der Untersuchung
  • IV. Bedürfnis nach Kodifizierung der Teileinspruchsentscheidung
  • 1. Grundsatz der einheitlichen Vollüberprüfung
  • 2. Möglichkeit der Teileinspruchsentscheidung vor dem JStG 2007?
  • 3. Verhältnis von Zwangsruhe und vorläufiger Steuerfestsetzung
  • a. Möglichkeiten der Finanzbehörden
  • b. Nachteile der Verfahrensbeendigung unter Rückgriff auf § 165 I 2 Nr. 3 AO
  • c. Verfahrensrechtliche Lückenschließung
  • V. Fazit
  • B. Die Teileinspruchsentscheidung
  • I. Die Voraussetzungen der Teileinspruchsentscheidung
  • 1. Wirksame Einspruchseinlegung
  • 2. Teilbarkeit
  • a. Parallelen im finanzgerichtlichen Verfahren
  • b. Folgerungen für die Teileinspruchsentscheidung
  • c. Kritik
  • 3. Das Tatbestandsmerkmal der Sachdienlichkeit
  • a. Zweckrichtung des Einspruchsverfahrens
  • b. Intention bei der Einführung der Teileinspruchsentscheidung
  • c. Begriff der Sachdienlichkeit
  • d. Entscheidungsreife
  • e. Unabhängigkeit von der Schlussentscheidung
  • f. Sachdienlichkeit als unbestimmter Rechtsbegriff
  • g. Systematisierung der für eine Teileinspruchsentscheidung in Betracht kommenden Fallkostellationen
  • aa. Teileinspruchsentscheidung ohne Streitfrage – (keine) Begrenzung auf die streitbefangene Frage
  • (1) Grammatikalische Auslegung
  • (2) Historisch-teleologische Auslegung
  • (a) Grundsätzliche Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen im Wege einer Abwägungsentscheidung
  • (b) Keine unzulässige Einschränkung des Rechtsschutzes durch Ausschluss unbenannter Einwendungen
  • (c) Zusätzliche Berücksichtigung objektiver Kriterien
  • (d) Zwischenergebnis
  • (3) Systematische Folgerichtigkeit
  • (a) Regelungszusammenhang mit anderen Änderungen durch das JStG 2007
  • (b) Vereinbarkeit mit Vollüberprüfungsgrundsatz
  • (c) Umfassende Verfahrensruhe keine Alternative
  • (d) Problematik der „antizipierten Schlussentscheidung“
  • (4) Ankündigung der Teileinspruchsentscheidung und Präklusion
  • (5) Zwischenergebnis
  • bb. Sachdienlichkeit bei Vorbehaltsfestsetzungen
  • (1) Zweckfortfall einer Teileinspruchsentscheidung bei fortbestehenden Änderungsmöglichkeiten?
  • (2) Erhöhte Verfahrensanforderungen aufgrund geminderter Effektivität
  • (3) Erstmalige Vorläufigkeit in der Teileinspruchsentscheidung
  • (4) Zwischenergebnis
  • cc. Sachdienlichkeit bei vorläufiger Steuerfestsetzung
  • (1) Differenzierung nach dem Musterverfahren: Anhängigkeit beim BFH
  • (a) Rechtsschutzproblematik bei einfachgesetzlichen Streitfragen
  • (b) Relevanz des verfolgten Rechtsschutzbegehrens
  • (c) Erleichterungen und Grenzen aufgrund von Teileinspruchsentscheidungen
  • (d) Reichweite der Verfahrensruhe und konkreter Umfang der Teileinspruchsentscheidung – restriktives Verständnis von § 363 II 2 HS 2 AO
  • (2) Differenzierung nach dem Musterverfahren: Anhängigkeit beim BVerfG
  • (3) Differenzierung nach Umfang des Vorläufigkeitsvermerks
  • (4) Offene Problemfälle
  • (5) Zwischenergebnis
  • dd. Wegfall einer Aussetzung der Vollziehung gem. § 361 AO
  • h. Zwingende Bestimmung der Reichweite
  • i. Ergebnis
  • II. Rechtsfolgen
  • 1. Ermessensentscheidung und Vorprägung durch die Sachdienlichkeit
  • 2. Teilabhilfe als Alternative zur Teileinspruchsentscheidung
  • 3. Reichweite der Bestandskraft
  • a. Begriff und Wesen der Bestandskraft
  • aa. Formelle Bestandskraft
  • bb. Materielle Bestandskraft
  • cc. Besonderheiten bei Vorbehaltsfestsetzungen und vorläufigen Steuerbescheiden
  • (1) Keine Auswirkung auf den Eintritt der formellen Bestandskraft
  • (2) Auswirkung auf die materielle Bestandskraft
  • b. Der Streit um die Bestandskraft von Besteuerungsgrundlagen
  • aa. Teilbestandskraft und Teilanfechtung
  • (1) Grundsatz der Vollanfechtung
  • (2) Möglichkeit der Teilanfechtung
  • (3) Rechtsfolgen einer Teilanfechtung
  • (a) Prüfungsumfang
  • (b) Änderungsbefugnis
  • bb. Besonderheiten aufgrund von §§ 354 Ia, 362 Ia AO
  • cc. Zwischenergebnis
  • c. Folgerungen für die Teileinspruchsentscheidung
  • aa. Normtextauslegung
  • bb. Systematische Erwägungen
  • cc. Verbleibender Handlungsspielraum des Einspruchsführers nach Teileinspruchsentscheidung
  • 4. Ergebnis
  • III. Verhältnis der Teileinspruchsentscheidung zur abschließenden Entscheidung
  • 1. Regulärer Verfahrensabschluss
  • 2. Kein nachträglicher Wegfall der Teileinspruchsentscheidung
  • a. Vergleichbarkeit mit Änderungsbescheid nach herkömmlicher Einspruchsentscheidung
  • b. Anwendung dieser Grundsätze auf die Teileinspruchsentscheidung
  • 3. Verböserungsmöglichkeit
  • a. Verböserung der Steuerfestsetzung durch Teileinspruchsentscheidung
  • b. Verböserung der Teileinspruchsentscheidung
  • aa. Verbleibender regulärer Änderungsrahmen und Beginn der Verböserungswirkung
  • bb. Restriktive Anwendung des § 367 II 2 AO nach Teileinspruchsentscheidung
  • 4. Ergebnis
  • IV. Rechtsschutz
  • 1. Anfechtbarkeit der Teileinspruchsentscheidung
  • a. Isolierte Anfechtbarkeit aufgrund formeller Mängel
  • aa. Umfang und Maßstab der gerichtlichen Überprüfung
  • (1) Volle Überprüfung des Kriteriums der Sachdienlichkeit
  • (2) Eingeschränkte Überprüfung im Übrigen
  • bb. Rechtsfolgen einer isolierten Aufhebung
  • b. Sachliche Unrichtigkeit der Teileinspruchsentscheidung
  • c. Beschränkung der gerichtlichen Überprüfung auf die bereits vom Finanzamt beschiedenen Rechtsfragen
  • 2. Bindung der Parteien durch rechtskräftige Entscheidung
  • a. Stattgebende Urteile
  • b. Klageabweisung
  • 3. Einheitliche Entscheidung nach Anfechtung sämtlicher Teilentscheidungen
  • 4. Ergebnis
  • V. Fazit
  • C. Die Allgemeinverfügung gem. § 367 IIb AO
  • I. Voraussetzungen und Anwendungsbereich
  • II. Zuständigkeit und Bekanntgabefiktion
  • III. Rechtsfolgen
  • 1. Ermessensentscheidung
  • 2. Partielle verfahrensbeendigende Wirkung
  • 3. Keine Umsetzung von Reformvorschlägen zur Abkehr vom Vollüberprüfungsgrundsatz
  • 4. Bestandskraftwirkung
  • IV. Aliud zur Teileinspruchsentscheidung
  • V. Rechtsschutz
  • VI. Entsprechende Anwendung auf schlichte Änderungsanträge
  • VII. Fazit
  • D. Gesamtergebnis und Resümee
  • I. Zusammenfassung der Ergebnisse
  • II. Resümee und Ausblick – Desiderata
  • Literaturverzeichnis

A.Problemaufriss

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Voraussetzungen und Rechtsfolgen der im Rahmen des Jahressteuergesetzes 20071 eingeführten Möglichkeit der Teileinspruchsentscheidung.

I.Das Instrument der Teileinspruchsentscheidung

Vor dem Hintergrund stetig steigender Einspruchszahlen2 und der damit einhergehenden zunehmenden Arbeitsbelastung in den Steuerbehörden hat der Gesetzgeber Ende 2006 die Norm des § 367 AO um die Absätze IIa und IIb ergänzt. Frühere Versuche, der Flut an Einsprüchen insbesondere durch die breite Verwendung von Vorläufigkeitsvermerken einzudämmen, waren gescheitert, da die Steuerpflichtigen ihnen keine ausreichende Schutzwirkung beimaßen oder die Einleitung eines Rechtsbehelfsverfahrens aus anderen Gründen für vorteilhaft hielten. Die neu implementierten Vorschriften sollen es der Finanzverwaltung ermöglichen, über Einsprüche möglichst frühzeitig und umfassend zu entscheiden.

§ 367 IIa AO dient dazu, über abtrennbare und entscheidungsreife Teile eines Einspruchs unter bestimmten Umständen vorab zu entscheiden. Die Norm wird flankiert durch § 367 IIb AO, der es erlaubt, Einsprüche in dem Umfang durch Allgemeinverfügung zurückzuweisen, wie dies in einem obergerichtlichen Verfahren geschehen ist.

Damit hat die Finanzverwaltung nunmehr neben dem Teilabhilfebescheid nach §§ 172 I Nr. 2a, 367 II 3 AO, mit dem sie über entscheidungsreife Streitfragen zugunsten des Steuerpflichtigen entscheiden kann, mit der Teileinspruchsentscheidung auch die Möglichkeit, entscheidungsreife Streitfragen zu Lasten des Steuerpflichtigen vorab aus dem Einspruchsverfahren herauszulösen. Die Finanzverwaltung hat diese willkommene Neuregelung umfassend genutzt und zur Bewältigung der Einspruchsflut eingesetzt. Ein Hauptaugenmerk der Finanzämter lag dabei darauf, sog. „Massenrechtsbehelfe“ einzudämmen und durchzuentscheiden. In diesen Fällen wendet sich der Steuerpflichtige nicht (nur) gegen Fehler bei der individuellen Steuerfestsetzung, sondern bezieht sich in seiner Einspruchsbegründung (ggf. ausschließlich) auf anhängige Musterver ← 1 | 2 → fahren3, die die Verfassungsmäßigkeit oder einfachgesetzliche Auslegung einer Steuernorm betreffen4. Der verbreitete Einsatz dieses neuen Instruments bei der Handhabung solcher Einsprüche hat jedoch mehr und mehr zu Kritik bei den Steuerpflichtigen und in der Literatur sowie nunmehr auch in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung geführt. Hierbei zeigt sich, dass die Finanzämter Zweck und Reichweite der Neuregelung deutlich großzügiger interpretieren als weite Teile der Literatur und einige Finanzgerichte.

Streitig sind insbesondere zwei Fragenkomplexe, welche für die betroffenen Steuerpflichtigen jedoch von herausragender Bedeutung sind. Zunächst stellt sich Frage, ob eine Teileinspruchsentscheidung auch in Frage kommt, um Einsprüche insoweit als unbegründet zurückzuweisen, als der Einspruchsführer keine individuellen Einwendungen gegen den Steuerbescheid erhoben hat5, sich also in seiner Einspruchsbegründung ausschließlich auf vor Obergerichten anhängige Verfahren beruft. Die Handhabe dieser Fälle hat erhebliche Auswirkungen auf den im Rahmen des Einspruchsverfahrens verbleibenden Handlungsspielraum beider Seiten. Bisher konnte ein Einspruchsverfahren nur einheitlich und grundsätzlich erst dann abgeschlossen werden, wenn sämtliche Streitfragen entschieden waren. Die Einführung der Möglichkeit einer Teileinspruchsentscheidung stellt die Fortgeltung dieses Grundsatzes jedoch in Frage. Die Strategie des Steuerpflichtigen im Umgang mit den sich im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens bietenden Reaktionsmöglichkeiten ist daher stark vom konkreten Anwendungsbereich und der Reichweite der Teileinspruchsentscheidung abhängig. Anhaltspunkte für eine Lösung bieten hier insbesondere eine Analyse der vom Gesetzgeber verfolgten Zweckrichtung sowie die Frage, ob eine Teileinspruchsentscheidung ohne Streitfrage mit der Systematik des Einspruchsverfahrens vereinbar ist. Tatbestandlich ist diese Streitfrage bei der Sachdienlichkeit der Teileinspruchsentscheidung zu verorten. Die Finanzbehörden6 und ein ← 2 | 3 → Teil der Literatur7 halten die Möglichkeit der Teileinspruchsentscheidung ohne Streitfrage für gegeben. Sie verweisen insbesondere auf den verfahrensbeschleunigenden und vereinfachenden Charakter der Norm. Ein Großteil der Literatur8 tritt dem jedoch entgegen und bezweifelt, dass es sachdienlich sei, über unstreitige Teile des Einspruchs vorab zu entscheiden.

Zum anderen ist umstritten, welche konkreten Rechtsfolgen sich an eine bestandskräftige Teileinspruchsentscheidung knüpfen. Hier stellt sich insbesondere die Frage, ob die Bestandskraft – wie im Regelfall üblich – nur den Steuerbetrag oder unter Durchbrechung des Grundsatzes aus § 157 II AO auch die der Entscheidung zugrunde liegende Besteuerungsgrundlage erfasst. Es ist daher zu diskutieren, ob es dem Gesetzgeber gelungen ist, mit der Einführung des § 367 IIa AO eine sachverhaltsbezogene Bestandskraft zu etablieren. Die divergierenden Auffassungen werden vor allem im Rahmen der Fortsetzung des übrigen Einspruchsverfahrens relevant. Hier stellt sich vor allem die Frage, inwiefern ein Vorbringen des Steuerpflichtigen, das in inhaltlichem Zusammenhang zu dem bereits vorab entschiedenen Sachverhalt steht, nach Ergehen der Teileinspruchsentscheidung noch berücksichtigt werden kann. Spiegelbildlich stellt sich die Frage nach den Verböserungsmöglichkeiten der Finanzbehörden im Nachgang einer Teileinspruchsentscheidung. Auch auf Rechtsfolgenseite kommt damit dem Systemverständnis des Einspruchsverfahrens entscheidende Bedeutung zu.

II.Die Teileinspruchsentscheidung in der Rechtsprechung

Die bisherige Rechtsprechung zeigt, dass viele Facetten des neuen Instruments der Teileinspruchsentscheidung noch ungeklärt sind und bietet ebenfalls Anlass für eine eingehende Beschäftigung mit der Thematik.

So versucht das Finanzgericht Niedersachsen9 dem extensiven Gebrauch der Norm Einhalt zu gebieten und hat die Praxis der Finanzverwaltung, auch ohne konkrete Streitfrage Teileinspruchsentscheidungen zu erlassen, als rechtswidrig angesehen. Nachdem das Finanzgericht Niedersachsen die Revision zum Bundesfinanzhof wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hat, haben sowohl ← 3 | 4 → Verwaltung als auch Steuerpflichtiger die Möglichkeit einer ersten höchstrichterlichen Klärung ergriffen und Revision eingelegt10. Auch das Finanzgericht Düsseldorf hat in einer neueren Entscheidung angedeutet, dass es eine Teileinspruchsentscheidung im Hinblick auf die Interessen des Steuerpflichtigen regelmäßig für ermessensfehlerhaft hält, wenn über nicht entscheidungserhebliche Punkte vorab entschieden werde11.

Demgegenüber hat das Finanzgericht Hamburg geurteilt12, dass § 367 IIa AO auch die Fälle umfasse, in denen nicht weiter begründete Teile eines Einspruchs durch Teileinspruchsentscheidung entschieden werden. Es vertritt mithin im Wesentlichen die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung. Auch in diesem Fall hat das Finanzgericht die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen13.

Eine höchstrichterliche Entscheidung hat lange auf sich warten lassen. Zwischenzeitlich hat sich der Bundesfinanzhof mit einer Anfang 2011 veröffentlichten Entscheidung14 erstmals zum Problemkreis der Teileinspruchsentscheidung geäußert. Im Revisionsverfahren zur vorzitierten Entscheidung des Finanzgerichts Niedersachsen hat der dritte Senat in der Frage der Sachdienlichkeit eine eher großzügige Auffassung vertreten. Erst kürzlich hat der Bundesfinanzhof im Nachgang zu der Entscheidung des Finanzgerichts Hamburg erstmals zum Teilkomplex der Sachdienlichkeit einer Teileinspruchsentscheidung ohne Streitfrage entschieden und sich der Auffassung der Finanzbehörden angeschlossen15. Dennoch ist die Problematik kritisch zu beleuchten und das Ergebnis zu hinterfragen.

Aufgabe der Dissertation wird es daher sein, sich mit den verschiedenen Auffassungen umfassend auseinander zu setzen und ihre jeweiligen argumentativen Stärken und Schwächen darzulegen und zu analysieren. Die Arbeit wird aufzeigen, welche gegenläufigen Interessen zwischen Finanzbehörden und Steuerpflichtigen bestehen und welche Möglichkeiten zu einer interessengerechten Handhabung gegeben sind. Dabei wird auch herauszuarbeiten sein, wo der praktischen Umsetzung Grenzen zu setzen sind. ← 4 | 5 →

III.Gang der Untersuchung

Die Arbeit wird sich im Rahmen einer Heranführung an die Thematik zunächst mit dem bisherigen Umgang mit der Teileinspruchsentscheidung vor ihrer gesetzlichen Kodifizierung beschäftigen. Hierbei wird insbesondere herausgestellt, welche Nachteile und Rechtsschutzdefizite mit der bisherigen lückenhaften Gesetzeslage einhergingen und wie die sich hieraus ergebenden Spielräume durch die Steuerpflichtigen und die Finanzbehörden genutzt wurden.

Im Folgenden wendet sich die Arbeit unmittelbar der Norm des § 367 IIa AO zu. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit den Entscheidungsvoraussetzungen wird die Teilbarkeit der Entscheidung beleuchtet. In diesem Zusammenhang werden Parallelen zum finanzgerichtlichen Verfahren erörtert und hieraus Schlussfolgerungen für die Teileinspruchsentscheidung gezogen.

Das Tatbestandsmerkmal der Sachdienlichkeit bildet einen für die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Teileinspruchsentscheidung zentralen Punkt. Dementsprechend wird es im Anschluss an die Ausführungen zur Teilbarkeit in seinen verschiedenen Facetten eingehend dargestellt. Eingangs werden Sinn und Zweck der Norm behandelt, um im Anschluss daran einzelne Kriterien wie die Entscheidungsreife und die Unabhängigkeit von der Schluss­entscheidung herauszuarbeiten, anhand derer der unbestimmte Rechtsbegriff der Sachdienlichkeit konkretisiert werden kann.

Im Folgenden wendet sich die Arbeit zwei besonders problematischen Streitfällen im Zusammenhang mit der Sachdienlichkeit zu. Zunächst wird auf Basis der bisherigen Ausführungen die kontrovers diskutierte Frage der Sachdienlichkeit einer Teileinspruchsentscheidung ohne Streitfrage behandelt. Im Rahmen verschiedener Auslegungsmethoden wird die Problematik unter Berücksichtigung des Wortlauts, von Sinn und Zweck sowie der Gesetzessystematik erläutert. Hierbei kommen der Abwägung gegenläufiger Interessen, Rechtsschutzgesichtspunkten, der Vereinbarkeit mit dem Vollüberprüfungsgrundsatz und der Befassung mit bestehenden Alternativmöglichkeiten besondere Bedeutung zu. Der weitere Sonderfall der Sachdienlichkeit bei Vorbehaltsfestsetzungen bzw. bei vorläufigen Steuerfestsetzungen wird im Anschluss thematisiert. Einen Schwerpunkt bildet hierbei insbesondere die Differenzierung nach verschiedenen Arten von Musterverfahren. Abschließend wird auf das zwingende Erfordernis der Bestimmung der Reichweite eingegangen.

Nach der Befassung mit den Entscheidungsvoraussetzungen wendet sich die Arbeit in dem nun folgenden Kapitel der Rechtsfolgenseite einer Teileinspruchsentscheidung zu. Den Schwerpunkt bilden hier die Ausführungen zur Reichweite der Bestandskraft. In diesem Zusammenhang werden auch der Grundsatz ← 5 | 6 → der Vollanfechtung sowie Möglichkeiten und Rechtsfolgen einer Teilanfechtung diskutiert, um hieraus systematische Argumente zu gewinnen. Zudem wird auf weitere gesetzlich vorgesehene Fälle sachverhaltsbezogener Bestandskraft eingegangen und diese analysiert.

Im Anschluss daran wird das Verhältnis von Teileinspruchsentscheidung und abschließender Entscheidung beleuchtet, bevor sich die Arbeit im Folgenden den Rechtsschutzmöglichkeiten und der Anfechtbarkeit der Teileinspruchsentscheidung zuwendet. Hierzu wird zunächst herausgearbeitet, dass es sich bei der Sachdienlichkeit um einen unbestimmten Rechtsbegriff mit Ermessensspielraum handelt. Hierauf aufbauend wird sodann der gerichtliche Überprüfungsumfang diskutiert und auf mögliche Ermessensfehler eingegangen. In den folgenden Ausführungen werden verschiedene Aspekte der Anfechtbarkeit unter wechselnden Blickwinkeln erläutert und so ein umfassendes Bild von den im Zusammenhang mit Rechtsschutzfragen auftauchenden Problemen gezeichnet.

Im folgenden Teil setzt sich die Arbeit mit der zeitgleich zur Teileinspruchsentscheidung eingefügten Möglichkeit der Allgemeinverfügung gem. § 367 IIb AO auseinander. Der Regelungszusammenhang zwischen den beiden Instrumenten wird erläutert und im Anschluss auf den Anwendungsbereich und die Tatbestandsvoraussetzungen eingegangen. Einen Schwerpunkt der Befassung bilden die Rechtsfolgen sowie Ausführungen zum Verhältnis von Allgemeinverfügung und Teileinspruchsentscheidung.

Die Arbeit schließt mit einem zusammenfassenden Resümee, in dem noch einmal erörtert wird, ob die gesetzgeberischen Ziele mit den Neuregelungen erreicht werden konnten, sowie mit einem Ausblick, der konkreten Handlungsbedarf für den Gesetzgeber aufzeigt.

An den vorgenannten beiden Kernfragen – der Sachdienlichkeit einer Teil­einspruchsentscheidung ohne Streitfrage und der Frage nach der Reichweite der Bestandskraft – soll sich der Gang der Untersuchung orientieren und versuchen, die mit ihnen verbundenen Probleme aufzuzeigen und einer Lösung zuzuführen. Allein die steigende Anzahl von Einsprüchen und Musterprozessen zeigt die Bedeutung, welche die ins Auge gefasste Thematik hat.

IV.Bedürfnis nach Kodifizierung der Teileinspruchsentscheidung

Die Implementierung der Teileinspruchsentscheidung im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2007 kam spät. Bereits lange vor der Neuregelung hatte das Verhältnis von Vollüberprüfungsgrundsatz und gesetzlicher Verfahrensruhe Anlass zu Diskussionen gegeben. ← 6 | 7 →

1.Grundsatz der einheitlichen Vollüberprüfung

Die Anfechtung mit dem Einspruch führt gem. § 367 II 1 AO zu einer erneuten und umfassenden Überprüfung des angefochtenen Bescheides.

Das Einspruchsverfahren ist als verlängertes Verwaltungsverfahren darauf ausgerichtet, die Überprüfung des Steuerbescheids in vollem Umfang zu gewährleisten. Daher ist es auch nicht allein durch eine Rechtmäßigkeitsprüfung gekennzeichnet. Neben der gesetzlich durch § 367 II 1 AO angeordneten Überprüfung in rechtlicher Hinsicht ermöglicht die Einspruchseinlegung es der zuständigen Finanzbehörde auch, den Bescheid auf seine Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen. Von seiner Konzeption her war das Einspruchsverfahren bisher auf eine einheitliche Überprüfung des angefochtenen Bescheids angelegt, an deren Ende die – gegebenenfalls auch nur teilweise – Abhilfe oder aber die Zurückweisung des Einspruchs mittels förmlicher Einspruchsentscheidung gem. § 367 II 3 AO stand.

Kommt die Behörde zum Ergebnis, dass dem Begehren des Steuerpflichtigen nur teilweise zu entsprechen ist, so kann sie hinsichtlich des begründeten Teils einen (Teil-)Abhilfebescheid auf Grundlage von § 172 I Nr. 2a AO erlassen, während der restliche Teil durch förmliche Einspruchsentscheidung als unbegründet zurückgewiesen werden muss. Das Einspruchsverfahren wird dabei erst mit Erlass der Einspruchsentscheidung oder durch eine Erledigungserklärung des Einspruchsführers beendet. Der Teilabhilfebescheid wird dagegen nach § 365 III AO Teil des laufenden Einspruchsverfahrens und kann – nach entsprechendem behördlichen Hinweis – in der abschließenden Einspruchsentscheidung auch noch verbösert werden16. Da das bisherige Einspruchsverfahren fortgeführt wird und der Teilabhilfebescheid an die Stelle des ursprünglich angefochtenen Bescheides tritt, ist gegen ihn ein erneuter Einspruch nicht möglich17.

2.Möglichkeit der Teileinspruchsentscheidung vor dem JStG 2007?

Bereits vor Inkrafttreten des JStG 2007 war die Möglichkeit einer Teileinspruchsentscheidung umstritten18. Dabei ging es im Kern um die Frage, ob die Abgabenordnung eine gesetzliche Grundlage für eine solche Entscheidung bereitstellte. Aus § 367 II 1 AO war die Behörde verpflichtet, den Steuerbescheid auf den Einspruch hin vollumfänglich zu überprüfen. Eine dem heutigen § 367 IIa AO ver ← 7 | 8 → gleichbare Regelung existierte nicht. Daher wurde die Möglichkeit einer Teileinspruchsentscheidung nach damaliger Rechtslage auch überwiegend abgelehnt19. Ein Hinweis auf die Möglichkeit von Teileinspruchsentscheidungen konnte jedoch aus den Vorschriften über die zwangsweise Verfahrensruhe nach § 363 II 2 AO abgeleitet werden. Die Regelung sah (und sieht auch weiterhin) nach ihrem Wortlaut eine Verfahrensruhe nur vor, soweit ein entsprechendes Musterverfahren vor einem der genannten Gerichte anhängig ist. Umfang und Reichweite der Verfahrensruhe waren damit begrenzt. Die Vertreter der Gegenauffassung leiteten aus dieser Formulierung die Möglichkeit einer Teileinspruchsentscheidung ab20. Mit der Fassung der Norm durch das Grenzpendlergesetz21, nach der das Verfahren nur „insoweit“ ruht, als es um die in dem Gerichtsverfahren anhängige Rechtsfrage geht, sei zugleich zwingend die Möglichkeit der Teileinspruchsentscheidung über den nicht ruhenden Teil eingeführt worden.

Auch wenn der Wortlaut der Norm verunglückt und missverständlich ist22, wird dennoch hinreichend deutlich klar, dass die Verfahrensruhe nur die vom Musterverfahren betroffenen Rechtsfragen betrifft. Soweit argumentiert wird, die Beschränkung der Reichweite der Verfahrensruhe sei ein Redaktionsversehen23, so ist dem entgegenzutreten. Es mag angehen, dass die entsprechende Formulierung auf einen Referentenentwurf eines AOÄndG 199224 zurückgeht, welcher schon die Möglichkeit einer Teileinspruchsentscheidung vorsah, später aber nicht Gesetz wurde. Die Streichung der entsprechenden Passage mag spä ← 8 | 9 → ter dann schlichtweg vergessen worden sein25. Diese Erkenntnis kann aber nicht dazu führen, dass der Gesetzestext ignoriert wird. Die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe über die Bedeutung der Bestimmung ist gerade nicht entscheidend26. Der Wortlaut zeigt klar die Reichweite der Zwangsruhe auf und bildet hier die Grenze der Auslegung27. Eine Ausdehnung der Verfahrensruhe auf das gesamte Verfahren kann § 363 II 2 AO daher nicht entnommen werden und folglich mit ihr auch nicht gerechtfertigt werden. Sie würde sich vielmehr als ein Fall unzulässiger Rechtsfortbildung entpuppen. Die von den Musterverfahren nicht betroffenen Streitpunkte blieben daher von den Rechtswirkungen der Zwangsruhe unberührt28.

Hiervon zu trennen ist allerdings die Frage, welche Auswirkung diese Erkenntnis auf die Frage nach der Möglichkeit einer Teileinspruchsentscheidung unter Geltung der alten Rechtslage hat. Fest steht zunächst lediglich, dass der nicht betroffene Teil für Verfahrenshandlungen offen ist. Welche dies sein können, bestimmt sich jedoch nach den allgemeinen Regeln, da § 363 II 2 AO hierzu keine Aussage trifft29. Die Norm regelt allein die Voraussetzungen und Rechtsfolgen im Zusammenhang mit der Verfahrensruhe. Die gesetzliche Anerkennung von Teileinspruchsentscheidung und Teilbestandskraft ist hiermit jedoch nicht verbunden. Hier ist § 367 II AO die deutlich sachnähere Norm, welche durch die Vorschriften über die Verfahrensruhe nicht ausgehebelt werden kann30. Sie sah vor Inkrafttreten des JStG 2007 jedoch gerade keine Teileinspruchsentscheidung vor und ging weiter vom Postulat der einheitlichen Vollüberprüfung aus. Die vom Steuerpflichtigen begehrte Vollüberprüfung kann jedoch nicht beendet werden und ist daher insgesamt nicht möglich, solange das Einspruchsverfahren auch nur teilweise ruht. Die zwingende Verfahrensruhe stand somit auch ← 9 | 10 → dem nur teilweisen Abschluss des Einspruchsverfahrens entgegen31. Hätte der Gesetzgeber eine solche Möglichkeit beabsichtigt, wäre eine klarere und deutlichere Regelung erforderlich gewesen.

Festzuhalten ist demnach, dass vor Inkrafttreten des JStG 2007 keine Möglichkeit zum Erlass von Teileinspruchsentscheidungen bestand. Dem haben sich auch der Bundesfinanzhof32 und die Finanzverwaltung angeschlossen. Die in ihrem Umfang nur beschränkte Verfahrensruhe führte im Übrigen dazu, dass hinsichtlich des nicht ruhenden Teils weitere Verfahrenshandlungen möglich blieben. Durch das Festhalten am Postulat der Vollüberprüfung ausgeschlossen war lediglich jede Form des Verfahrensabschlusses während der Verfahrensruhe. Damit war auch die teilweise Verfahrensbeendigung durch den Erlass einer Teileinspruchsentscheidung nicht möglich. Die Finanzbehörden waren jedoch nicht gehindert, das Verfahren im Übrigen weiter zu betreiben und dem Einspruch teilweise abzuhelfen oder den angefochtenen Bescheid zu ändern33. Diese Fälle hatten keine Auswirkung auf das laufende Einspruchsverfahren, da jegliche Änderungsbescheide gem. § 365 III AO an die Stelle der angefochtenen Bescheide traten. Im Gegensatz zu einer Teileinspruchsentscheidung trat also gerade keine verfahrensbeendigende Wirkung ein, da das ursprüngliche Verfahren fortgesetzt wurde.

Details

Seiten
XIV, 236
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653051551
ISBN (ePUB)
9783653970388
ISBN (MOBI)
9783653970371
ISBN (Paperback)
9783631658659
DOI
10.3726/978-3-653-05155-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Dezember)
Schlagworte
Sachdienlichkeit Streitfrage Einspruchsverfahren sachverhaltsbezogene Bestandskraft
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. XIV, 235 S.

Biographische Angaben

Mirko Daniels (Autor:in)

Mirko Daniels studierte im Anschluss an seine Ausbildung im gehobenen Dienst der Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen Rechtswissenschaften an der Universität Düsseldorf. Im Rahmen seines Referendariats war er in Düsseldorf und Oslo tätig und arbeitet derzeit als Syndikus in einem Unternehmen.

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Titel: Bewältigung von Masseneinsprüchen
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