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Das europäische Emissionshandelssystem in der dritten Handelsperiode unter Berücksichtigung der Einbeziehung des Luftverkehrs

Eine umfassende Darstellung und Evaluation der europäischen Rechtsgrundlagen des Emissionshandels

von Catherine Weinberg (Autor:in)
©2015 Dissertation 338 Seiten

Zusammenfassung

In diesem Buch wird das europäische Emissionshandelssystem in der dritten Handelsperiode unter Berücksichtigung des Luftverkehrs umfassend dargestellt und evaluiert. Es werden die internationalen und europäischen Rechtsgrundlagen des nunmehr europäisierten Emissionshandels und die dabei auftretenden aktuellen rechtlichen und politischen Fragestellungen erläutert. Im Rahmen einer umfassenden Evaluation werden Stärken und Schwächen des bestehenden Systems aufgezeigt und neue Vorschläge entwickelt. Das Buch soll Rechtswissenschaftlern und Praktikern einen detaillierten Einblick in das neue Emissionshandelssystem ab 2013 geben.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • 1. Teil: Einleitung
  • A. Problemstellung
  • B. Gegenstand der Arbeit und Untersuchungsmethode
  • C. Gang der Untersuchung
  • 2. Teil: Grundlagen des Emissionshandels
  • A. Naturwissenschaftliche Grundlagen
  • B. Ökonomische Grundlagen
  • 3. Teil: Internationales Klimaregime im Überblick
  • A. Rechtsrahmen
  • I. Einführung in die Klimarahmenkonvention
  • 1. Ziele und Grundsätze
  • 2. Vertragsparteien
  • 3. Verpflichtungen
  • a) Verpflichtungen für alle Vertragsparteien
  • b) Spezifische Verpflichtungen
  • c) Zwischenergebnis
  • 4. Organe und Beschlussfassung
  • a) Konferenz der Vertragsparteien
  • b) Beschlussfassung und Rechtsverbindlichkeit
  • c) Weitere Organe
  • 5. Mechanismen
  • a) Internationaler Emissionshandel und Gemeinsame Umsetzung
  • b) Erfüllungskontrolle und Finanzierungsmechanismus
  • 6. Schlussbestimmungen
  • 7. Zwischenergebnis
  • II. Einführung in das Kyoto-Protokoll
  • 1. Ziele und Grundsätze
  • 2. Vertragsparteien
  • 3. Verpflichtungen
  • a) Sachlicher und stofflicher Anwendungsbereich
  • b) Verpflichtungszeiträume
  • c) Emissionsbegrenzungs- und Emissionsreduktionsverpflichtungen
  • d) Weitere Verpflichtungen
  • 4. Organe und Beschlussfassung
  • a) Tagung der Vertragsparteien und Beschlussfassung
  • b) Weitere Organe
  • 5. Marktwirtschaftliche Mechanismen
  • a) Projektbezogene Mechanismen
  • b) Gemeinsame Erfüllung
  • c) Internationaler Emissionshandel
  • (1) Ergänzendes Instrument
  • (2) Teilnehmer
  • (3) Zugeteilte Menge
  • (4) Handelbare Kyoto-Zertifikate
  • (5) Reserve
  • (6) Register
  • (7) Banking
  • (8) Abgabe von AAU
  • (9) Zusammenfassung
  • 6. Erfüllungskontrolle und Finanzierungsmechanismus
  • 7. Abwicklung abgelaufener Verpflichtungsperioden
  • 8. Schlussbestimmungen
  • 9. Zwischenergebnis
  • B. Weiterführung des Klimaregimes
  • I. Doha-Beschluss
  • II. Neues Klimaschutzabkommen
  • C. Ergebnis
  • 4. Teil: Europäischer Emissionshandel
  • A. Vorbemerkungen
  • I. Entstehungsgeschichte
  • II. Grundlagen
  • III. Verknüpfung mit dem internationalen Klimaregime
  • IV. Emissionshandel im Kontext der klimapolitischen Ziele der EU
  • V. Wesentliche Änderungen ab 2013
  • VI. Aufbau der Richtlinie 2003/87/EG
  • B. Funktionsweise und Evaluation des anlagenbezogenen Emissionshandels
  • I. Vorbemerkungen
  • 1. Entstehungsgeschichte
  • 2. Diskussion um die Überschüsse
  • II. Anlagenbezogener Emissionshandel
  • 1. Anwendungsbereich
  • a) Sachlicher Anwendungsbereich
  • b) Stofflicher Anwendungsbereich
  • c) Persönlicher Anwendungsbereich
  • d) Geographischer Anwendungsbereich
  • e) Opt-in und Opt-out
  • f) Evaluation
  • g) Handlungsempfehlungen
  • 2. Cap
  • a) Berechnung
  • b) Evaluation
  • (1) Akzeptanz
  • (2) Reduktionsanreiz
  • c) Handlungsempfehlungen
  • 3. Kostenlose Zuteilung
  • a) Grundlagen
  • b) Rechtsrahmen
  • c) Zuteilung an Bestandsanlagen
  • (1) Zuteilungsverfahren
  • (2) Zuteilungsregeln im Überblick
  • (3) Zuteilungselemente
  • (4) Produktbenchmark
  • (5) Wärmebenchmark
  • (6) Brennstoffbenchmark
  • (7) Prozessemissionen
  • (8) Historische Aktivitätsrate
  • (9) Kürzungsfaktoren
  • (10) Besondere Regelungen
  • d) Zuteilung an neue Marktteilnehmer und nachträgliche Anpassung
  • (1) Reserve für neue Marktteilnehmer
  • (2) Zuteilung für Neuanlagen
  • (3) Zuteilung bei wesentlicher Kapazitätserweiterung
  • (4) Kürzung der Zuteilung bei wesentlicher Kapazitätsverringerung
  • (5) Betriebseinstellung
  • (6) Teilweise Betriebseinstellung
  • (7) Jährliche Mitteilung
  • e) Evaluation
  • (1) Reduktionsanreiz
  • (2) Akzeptanz
  • (3) Rechtliche Unangreifbarkeit des Beschlusses 2011/278/EU
  • (a) Formelle Rechtmäßigkeit
  • (b) Materielle Rechtmäßigkeit
  • (c) Zwischenergebnis
  • f) Handlungsempfehlungen
  • 4. Zuteilung durch Versteigerung
  • a) Grundlagen
  • b) Festlegung der Versteigerungsmenge
  • c) Verwendung der Erlöse
  • d) Versteigerungsregeln
  • e) Anpassung der Versteigerungsmenge
  • f) Backloading
  • g) Geplante Anpassungen bei Versteigerungen
  • h) Evaluation
  • (1) Akzeptanz der Versteigerungsregeln
  • (2) Rechtliche Unangreifbarkeit des Beschlusses 1359/2013/EU
  • (a) Formelle Rechtmäßigkeit
  • (b) Materielle Rechtmäßigkeit
  • (c) Zwischenergebnis
  • (3) Akzeptanz des Verschiebens von Versteigerungen
  • (4) Akzeptanz im Hinblick auf die Einführung einer Stabilitätsreserve
  • i) Handlungsempfehlungen
  • 5. Kontrollmechanismen
  • a) Pflichten der Anlagenbetreiber
  • (1) Abgabepflicht
  • (2) Genehmigungs-, Überwachungs- und Berichtspflichten
  • b) Sanktionen
  • c) Evaluation
  • 6. Handel
  • a) Grundlagen
  • b) Unionsregister
  • c) Gültigkeit der Zertifikate
  • d) Verknüpfung mit weiteren Emissionshandelssystemen
  • e) Evaluation
  • (1) Akzeptanz
  • (2) Reduktionsanreiz
  • f) Handlungsempfehlung
  • III. Ergebnis
  • 1. Reduktionsanreiz
  • 2. Akzeptanz
  • 3. Rechtliche Unangreifbarkeit
  • 4. Wirksame Kontrollmechanismen
  • 5. Zusammenfassung und Ausblick
  • C. Funktionsweise und Evaluation der Einbeziehung des Luftverkehrs
  • I. Vorbemerkungen
  • 1. Entstehungsgeschichte
  • 2. Grundlagen und Besonderheiten
  • 3. Widerstand der Drittstaaten
  • 4. Wiederbelebung des ICAO-Prozesses und Reaktionen der EU
  • 5. Gültigkeitsvorlage an den EuGH
  • II. Besonderheiten des Luftverkehrs
  • 1. Anwendungsbereich
  • a) Sachlicher Anwendungsbereich
  • b) Stofflicher Anwendungsbereich
  • c) Persönlicher Anwendungsbereich
  • d) Geographischer Anwendungsbereich
  • (1) Ursprünglich festgelegter geographischer Anwendungsbereich
  • (2) Anpassung durch Stop the Clock
  • (3) Anpassung durch die Verordnung 421/2014
  • e) Opt-in und Opt-out
  • f) Evaluation
  • (1) Reduktionsanreiz
  • (2) Akzeptanz
  • (3) Rechtliche Unangreifbarkeit
  • (a) Art. 1 Chicagoer Abkommen
  • (b) Art. 11 ChA
  • (c) Art. 15 Abs. 3 Satz 2 ChA
  • (d) Art. 24 ChA
  • (e) Zwischenergebnis
  • g) Handlungsempfehlungen
  • 2. Cap
  • a) Berechnung
  • b) Evaluation
  • (1) Reduktionsanreiz
  • (2) Akzeptanz
  • c) Handlungsempfehlungen
  • 3. Zuteilung
  • a) Grundlagen
  • b) Grundzuteilung
  • c) Zuteilung aus der Sonderreserve
  • d) Versteigerung
  • e) Evaluation
  • f) Handlungsempfehlungen
  • 4. Kontrollmechanismen
  • a) Pflichten der Luftfahrzeugbetreiber
  • (1) Abgabepflicht
  • (2) Genehmigungs-, Überwachungs- und Berichtspflichten
  • b) Sanktionen
  • c) Evaluation
  • 5. Handel
  • a) Besonderheiten des Handels
  • b) Evaluation
  • III. Ergebnis
  • 1. Reduktionsanreiz
  • 2. Akzeptanz
  • 3. Rechtliche Unangreifbarkeit
  • 4. Wirksame Kontrollmechanismen
  • 5. Zusammenfassung und Ausblick
  • 5. Teil: Schlussbemerkungen
  • 6. Teil: Gesamtergebnis
  • A. Ermittelte Erfolge
  • I. Ortsfeste Anlagen und Luftverkehr
  • II. Ortsfeste Anlagen
  • III. Luftverkehr
  • B. Ermittelte Defizite
  • I. Ortsfeste Anlagen
  • II. Luftverkehr
  • C. Handlungsempfehlungen
  • I. Ortsfeste Anlagen
  • II. Luftverkehr
  • Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1.  Teil: Einleitung

A. Problemstellung

Die globale Erwärmung der Erde ist ein Problem von besonderer Aktualität und Dringlichkeit. In dem fünften Sachstandsbericht 2013/20141 des International Panel on Climate Change (IPCC)2 kommen die Wissenschaftler des IPCC zu dem Schluss, dass die Indizien für den menschlichen Einfluss auf das Klima seit dem letzten Sachstandsbericht aus dem Jahr 2007 weiter zugenommen haben und dass es insgesamt äußerst wahrscheinlich ist, dass der menschliche Einfluss die Hauptursache der beobachteten Erwärmung seit Mitte des 20. Jahrhunderts war.3 In der Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger des Berichts heißt es weiter: „Die Erwärmung des Klimasystems ist eindeutig, und viele dieser seit den 1950er Jahren beobachteten Veränderungen sind seit Jahrzehnten bis Jahrtausenden nie aufgetreten. Die Atmosphäre und der Ozean haben sich erwärmt, die Schnee- und Eismengen sind zurückgegangen, der Meeresspiegel ist angestiegen und die Konzentrationen der Treibhausgase haben zugenommen.“4 ← 21 | 22 → Die wissenschaftlichen Erkenntnisse liefern immer mehr Beweise für die anthropogen verursachte Klimaerwärmung und viele Skeptiker haben sich inzwischen von neuen Erkenntnissen und Forschungsergebnissen überzeugen lassen.5

Die Antwort der internationalen Staatengemeinschaft auf die Gefahren des Klimawandels war die Verabschiedung des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen6 (Klimarahmenkonvention, KRK) von 1992 und des Protokolls von Kyoto zum Rahmenübereinkommen7 (Kyoto-Protokoll, KP) von 1997. Auch die Europäische Union (EU) versucht durch die Einführung neuer Mechanismen der globalen Erwärmung der Erde zu begegnen. Zentrales Instrument des europäischen Klimaschutzes ist das europäische Emissionshandelssystem (EU Emissions Trading Scheme, EU-ETS), das im Jahr 2005 als unternehmensbezogener Handel mit Treibhausgaszertifikaten startete. Rechtliche Grundlage dieses Klimaschutzinstruments ist die Richtlinie 2003/87/EG8 über ein System für den Handel mit Treibhausgaszertifikaten (Richtlinie 2003/87/EG, RL 2003/87/EG), die am 25.10.2003 in Kraft getreten ist.

Grundgedanke des Emissionshandels ist, der kostenlosen Nutzung des Allgemeinguts „Atmosphäre“ durch das Emittieren von Treibhausgasen einen Preis zu geben und die Gesamtemissionen zu deckeln, um das gewünschte Klimaschutzziel zu erreichen.9 Jede Tonne Kohlendioxid (oder Kohlendioxidäquivalent bei anderen Treibhausgasen) entspricht einem Zertifikat, mit dem gehandelt werden kann und für das der Markt einen Preis bestimmt. Der Emissionshandel basiert auf dem Cap-and-Trade-Mechanismus10: Das sog. ← 22 | 23 → Cap legt eine Obergrenze für das Emittieren von Treibhausgasen fest. Dadurch wird dem bis dahin schrankenlosen Emittieren von Treibhausgasen ein Ende gesetzt. Trade bedeutet, dass mit den Zertifikaten Handel betrieben werden kann. Durch einen Allokationsmechanismus werden entsprechende Zertifikate des Caps an die Teilnehmer des Emissionshandels verteilt. Dort wo Emissionen eingespart werden können, werden Zertifikate frei und können verkauft werden, und da, wo Emissionseinsparungen betriebswirtschaftlich oder technisch nur schwer zu realisieren sind, können Zertifikate hinzugekauft werden. Durch dieses Instrument sollen Emissionsminderungen dort vorgenommen werden, wo die Vermeidungskosten am geringsten sind.11

In der Vergangenheit wurden in der europäischen Umweltpolitik vor allem ordnungsrechtliche Ansätze verfolgt und zur Behebung von Umweltproblemen überwiegend Ge- und Verbote erlassen.12 Die ordnungsrechtlichen Instrumentarien stoßen jedoch an ihre Grenzen, wenn die Regelungsmaterie durch starke Komplexität und Multikausalität geprägt ist und die gesteckten Ziele in erster Linie durch Innovationen zu erreichen sind.13 Mit dem Emissionshandel kommt in der europäischen Umwelt- und Klimapolitik erstmals ein internationales Instrument der indirekten Verhaltenssteuerung zur Anwendung,14 das auf dem Cap-and-Trade-Prinzip beruht.15 Die Vorteile des Emissionshandelssystems liegen auf der Hand: Durch das Cap können die Emissionsreduktionsziele punktgenau festgelegt werden und den Emittenten wird durch den Handel die notwendige Flexibilität zu neuen und kostengünstigen Innovation gegeben.16 ← 23 | 24 →

In der Europäischen Union beginnt – nach einer Pilotphase von 2005 bis 2008 und einer zweiten Handelsperiode von 2008 bis 2012 – ab 2013 die dritte Handelsperiode. Inzwischen konnten viele Erfahrungen mit diesem Instrument gesammelt und Verbesserungen durchgeführt werden. Da die Probephase nun lange vorbei ist und der Emissionshandel nicht mehr in den Kinderschuhen steckt, muss er sich als klimapolitisches Instrument bewähren und seine Wirksamkeit zur Bekämpfung des globalen Klimawandels unter Beweis stellen.17

Ziel dieser Arbeit ist, zum einen die Funktionsweise und die rechtlichen Grundlagen des Emissionshandels in der Europäischen Union in der dritten Handelsperiode darzustellen und zum anderen zu untersuchen, wie ein europäisches Emissionshandelssystem ausgestaltet werden muss, um effektiv zum Klimaschutz beizutragen. Die Darstellung des Systems und der Rechtsgrundlagen in der dritten Handelsperiode ist vor allem deshalb wichtig, weil die Komplexität des Systems immer weiter zugenommen hat und es an Arbeiten fehlt, die das aktuelle Gesamtgefüge beschreiben. Da der Emissionshandel sich nur dann als Klimaschutzinstrument dauerhaft durchsetzen kann, wenn er zur Reduzierung des globalen Ausstoßes von Treibhausgasen beiträgt, soll die Effektivität der emissionshandelsrechtlichen Regelungen evaluiert werden. Etwaige Stärken und Schwächen des bestehenden Systems sollen aufgezeigt und Vorschläge de lege ferenda entwickelt werden.

B. Gegenstand der Arbeit und Untersuchungsmethode

Gegenstand der Arbeit ist die umfassende Darstellung der Funktionsweise des Emissionshandels in der dritten Handelsperiode und die Untersuchung der Effektivität des europäischen Emissionshandels zur Bekämpfung des Klimawandels. Durch eine Evaluation sollen Stärken und Schwächen des Emissionshandels identifiziert und daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet werden.

Zur Darstellung der Funktionsweise des Emissionshandels werden die rechtlichen Grundlagen unter Rückgriff auf die juristischen Auslegungsmethoden18 beschrieben. Die Beurteilung der Effektivität des Emissionshandels soll anhand ← 24 | 25 → von vorab entwickelten Prüfkriterien erfolgen. Damit ein fundiertes Untersuchungsergebnis ermittelt wird und die Bewertung des europäischen Emissionshandels nicht im „luftleeren“ Raum erfolgt, soll die Beurteilung einer wissenschaftlichen Methodik folgen. Da der Emissionshandel natur-, politik-, wirtschafts- und rechtwissenschaftliche Fragestellungen beinhaltet, liegt es nahe, Bewertungsmethoden aus anderen Disziplinen heranzuziehen.19 Zur Beurteilung der Effektivität des Emissionshandels ist die in den Politik- und Sozialwissenschaften entwickelte Evaluationsforschung besonders geeignet.20 Die Evaluationsforschung beschäftigt sich mit den Wirkungen von Politiken und Programmen und hat hierfür verschiedene Überprüfungsmethoden entwickelt.21

Um zu einem fundierten Untersuchungsergebnis zu gelangen, erscheint die in der Evaluationsforschung häufig verwendete Methode des Soll-Ist-Vergleichs als besonders geeignet.22 Hierfür müssen zunächst der ideale Sollzustand sowie die nicht hinwegzudenkenden Bedingungen dieses Sollzustands, d.h. die Erfolgsbedingungen, vorab definiert werden. Durch diese Methode können besonders komplexe Instrumente, wie der Emissionshandel, einer systematischen Untersuchung unterzogen werden. Gleichzeitig kann der Umfang der Analyse auf wesentliche und vorab festgelegte Aspekte beschränkt werden. Im Rahmen dieser Evaluation wird überprüft, inwieweit der Emissionshandel die vorab definierten Erfolgsbedingungen erfüllt. In den Bereichen, in denen das Emissionshandelssystem den zuvor skizzierten Sollzustand nicht erreicht, werden Handlungsempfehlungen entwickelt.

Zunächst ist die Frage zu beantworten, wie der ideale und effektive Emissionshandel, d.h. der Sollzustand, zu definieren ist.23 Der ideale Emissionshandel aus betriebswirtschaftlicher Sicht würde z. B. vom besten Verhältnis von Kosten ← 25 | 26 → und Nutzen eines Teilnehmers am Emissionshandel ausgehen.24 In rechtlicher Hinsicht dürften die Rechtsgrundlagen nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen und aus politischer Perspektive müssten die Regelungen vor allem transparent, reaktionsfähig, konsensfähig und beteiligend sein.25 Die Forschungsarbeit von Huitema u. a. untersucht die in der Klimapolitik angewandten Evaluationskriterien und kommt zu dem Ergebnis, dass Wissenschaftler in den letzten Jahren dieses Politikfeld anhand von zehn Hauptkriterien und 50 Unterkriterien untersucht haben.26 Eine derart umfassende Evaluierung kann jedoch in dieser Arbeit nicht vorgenommen werden. Vielmehr wird die Prüfung sich auf einige wichtige Untersuchungskriterien beschränken. Angesichts der Besonderheiten des zu beurteilenden Themas sind die Methoden der Evaluationsforschung nicht schematisch anzuwenden.27 Die Prüfkriterien und der Sollzustand werden daher an das hier zu untersuchende Themengebiet angepasst.

Ausgangspunkt für die Ermittlung des Sollzustands ist das in Art. 1 RL 2003/87/EG entwickelte Hauptziel, nämlich die Verringerung von Treibhausgasen und der Klimaschutz.28 Idealerweise sollte der europäische Emissionshandel derart ausgestaltet sein, dass er innerhalb der Europäischen Union den Klimaschutz vorantreibt. Gleichzeitig bietet ein ideales Emissionshandelssystem auch einen Anreiz für globalen Klimaschutz und ist offen für Verknüpfungen mit anderen Emissionshandelssystemen. Ein ideales Emissionshandelssystem muss einen weiten Anwendungsbereich haben und offen sein für die Anerkennung anderer Emissionshandelssysteme und für die Aufnahme weiterer Staaten. Je größer der Anwendungsbereich ist, desto mehr Reduktionspotentiale können genutzt werden und desto mehr klimaschädliche ← 26 | 27 → Emissionen werden erfasst.29 Und je mehr Emissionen erfasst werden und einem Reduktionspfad zugeführt werden, desto effektiver ist der Klimaschutz und desto geringer sind die Wettbewerbsverzerrungen zwischen dem emissionshandelspflichtigen und dem nicht emissionshandelspflichtigen Sektor.30 Dreh- und Angelpunkt eines idealen Emissionshandels ist ein niedriges und gleichzeitig realistisches Cap, damit ein tatsächlicher Anreiz zur Reduktion von Treibhausgasen besteht. Gleichzeitig müssen Investitionen in treibhausgasarme Technologien durch das System gefördert werden. Nur wenn genügend Emissionen erfasst werden, wenn das Cap knapp genug ist und wenn das System klimaschützende Investitionen fördert, können in dem Emissionshandelssystem die vorhandenen Reduktionspotentiale genutzt werden.31 Da diese Bedingungen gleichzeitig erfüllt sein müssen, werden sie unter der Erfolgsbedingung „Reduktionsanreiz“ zusammengefasst.

Im Sollzustand muss ein Emissionshandelssystem so ausgestaltet werden, dass es von den Teilnehmern akzeptiert wird (Kriterium der Akzeptanz). Hierfür sind klare und transparente Teilnahmeregeln erforderlich. Die Teilnahmeregeln sind dann klar und transparent, wenn die Regelungen konsistent und aus sich heraus verständlich sind und keine Systembrüche enthalten. In einem idealen Emissionshandel wird den Teilnehmern durch transparente Regelungen die erforderliche Planungssicherheit gegeben, damit sie aufgrund der in vielen Sektoren häufig langen Investitionszyklen frühzeitig in treibhausgasarme Technologien investieren können. Das Kriterium der Akzeptanz ist hingegen dann nicht erfüllt, wenn z. B. Regelungen mehrfach kurzfristig geändert werden oder wenn der Anwendungsbereich einer Ausnahmevorschrift größer ist als der des Regelfalls. Für die Akzeptanz ist es schließlich förderlich, wenn die Teilnehmer bei der Formulierung der Regelungen beteiligt werden. Fehlt es an den oben genannten Voraussetzungen, ist es wahrscheinlich, dass die Teilnehmer versuchen werden, das System tatsächlich und gegebenenfalls auch rechtlich anzugreifen. Dies kann zu Vertrauensverlusten und im schlimmsten Fall sogar zur Rücknahme von Politiken führen. Zusammenfassend gilt das Kriterium der „Akzeptanz“ dann als erfüllt, wenn die Regelungen klar, transparent, konsistent, nicht diskriminierend, ← 27 | 28 → beteiligend und einheitlich sind. Dieses Kriterium wird nicht eingehalten, wenn die Rechtsvorschriften diese Voraussetzungen nicht erfüllen und wenn sie zu viele Ausnahmevorschriften und Systembrüche enthalten.

Da die Rechtsgrundlagen des Emissionshandels vor Gerichten angefochten werden können, ist deren Rechtmäßigkeit für die Stabilität, das Vertrauen und die Akzeptanz des Emissionshandels von besonderer Bedeutung und sollte daher eine eigenständige Erfolgsbedingung bilden (Kriterium der rechtlichen Unangreifbarkeit). So können der Europäische Gerichtshof (EuGH) oder das Gericht (EuG) Handlungen europäischer Organe im Wege der Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 und Art. 264 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) für nichtig erklären.32 Darüber hinaus kann der EuGH Handlungen europäischer Organe im Rahmen einer Gültigkeitsvorlage nach Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV für ungültig erklären. Auch wenn die Wirkung von Vorabentscheidungsurteilen nicht explizit im AEUV geregelt wird, so ist die Bindung erga omnes von Ungültigkeitserklärungen inzwischen anerkannt.33 Neben dem EuGH oder dem EuG können internationale Gremien bspw. die Einbeziehung des internationalen Luftverkehrs in den Emissionshandel auf die Vereinbarkeit mit Völkerrecht überprüfen.34 Die Rechtmäßigkeit der Handlungen der europäischen Organe ist für einen funktionierenden Emissionshandel von besonderer Wichtigkeit und sollte daher eine eigenständige Erfolgsbedingung bilden. Aufgrund der Komplexität des Emissionshandels und der damit einhergehenden Vielzahl von Richtlinien, Verordnungen und Beschlüssen werden nur diejenigen Handlungen auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft, die für den Emissionshandel in der ← 28 | 29 → dritten Handelsperiode von besonderer Bedeutung sind und denen, wegen ihrer Auswirkungen auf den gesamten Emissionshandel, eine gewisse Systemrelevanz zukommt. Für den hier formulierten Sollzustand der rechtlichen Unangreifbarkeit des Emissionshandelssystems reicht es aus, wenn nur angreifbare Rechtsakte auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden, da rechtwidrige, aber rechtlich nicht mehr angreifbare Rechtsakte35 kaum geeignet sind, das Emissionshandelssystem zu gefährden. Ergibt die Evaluation, dass ein systemrelevanter Rechtsakt mit höherrangigem Völker- und/oder Europarecht vereinbar ist, dann ist das Kriterium der rechtlichen Unangreifbarkeit erfüllt und der Sollzustand erreicht.

Ein Emissionshandelssystem muss im Sollzustand effektive Kontrollmechanismen vorsehen, um zu gewährleisten, dass die Teilnehmer ihren Pflichten aus dem Emissionshandel nachkommen. Die Kontrollmechanismen müssen den zuständigen Behörden die Möglichkeit geben, die Teilnehmer zur Einhaltung ihrer Pflichten anzuhalten und bei Nichtbefolgung repressive Sanktionsmaßnahmen zu ergreifen. Diese Voraussetzung werden im Rahmen der Erfolgsbedingung „wirksame Kontrollmechanismen“ evaluiert.

Der in dieser Arbeit zugrunde gelegte Sollzustand erfüllt folgende vier wichtige Erfolgsbedingungen:

  • –  Reduktionsanreiz (niedriges Cap, weiter Anwendungsbereich, Möglichkeiten zu Verknüpfungen oder zur Erweiterung des Anwendungsbereichs, Investitionsanreiz in treibhausgasarme Technologien),
  • –  Akzeptanz (klare, transparente, konsistente, nicht diskriminierende, beteiligende und einheitliche Regelungen, die keine Systembrüche, Ungereimtheiten und zu viele Ausnahmetatbestände enthalten)
  • –  Rechtliche Unangreifbarkeit (Rechtmäßigkeit der systemrelevanten Rechtsvorschriften und Vereinbarkeit mit höherrangigem Völker- und Europarecht)
  • –  wirksame Kontrollmechanismen (Gewährleistung wirksamer Vollzugs-, Kontroll- und Sanktionsmechanismen).

Um beide Hauptziele der Arbeit – die Darstellung der Funktionsweise des Emissionshandels und die kritische Evaluation – zusammenzubringen, beginnt die Arbeit zunächst mit dem deskriptiven Teil. Nach der Erläuterung der Grundlagen des Emissionshandels und der Beschreibung des internationalen Emissionshandels wird die Funktionsweise des Emissionshandels in der dritten Handelsperiode dargestellt. Nach jedem thematischen Abschnitt erfolgt eine Evaluation der beschriebenen Bestimmungen. Dafür wird der Sollzustand beschrieben und ← 29 | 30 → geprüft, inwieweit der Istzustand mit dem Sollzustand übereinstimmt und inwieweit die in diesem Abschnitt infrage kommenden Kriterien erfüllt sind. Bei der Evaluation werden nur diejenigen Kriterien herangezogen, die zu dem zuvor geschilderten Sollzustand passen. So wird z. B. nach der Beschreibung des Anwendungsbereichs des Emissionshandels vor allem das Kriterium des Reduktionsanreizes relevant sein. Bei der Beschreibung der Zuteilungsregeln ist die Frage der Akzeptanz und der rechtlichen Unangreifbarkeit von Bedeutung, da das Emissionshandelssystem nur dann unangreifbar ist, wenn die Regelungen von den Teilnehmern akzeptiert werden und wenn die infrage kommenden Vorschriften mit höherrangigem Recht vereinbar sind.

Ein Erfolg liegt dann vor, wenn der Sollzustand erfüllt ist. Ein Defizit im System wird dann angenommen, wenn der Sollzustand nicht oder nur teilweise erreicht wird und wenn es hierfür keinen genügenden sachlichen Grund gibt. Aus den ermittelten Erfolgen und Defiziten werden nach der Evaluation konkrete Handlungsempfehlungen entwickelt.

Details

Seiten
338
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653055481
ISBN (ePUB)
9783653970524
ISBN (MOBI)
9783653970517
ISBN (Paperback)
9783631661024
DOI
10.3726/978-3-653-05548-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juli)
Schlagworte
Klimaschutz Europarecht Umweltrecht
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 337 S.

Biographische Angaben

Catherine Weinberg (Autor:in)

Catherine Weinberg ist im Justitiariat der Deutschen Emissionshandelsstelle für die rechtlichen Angelegenheiten des Emissionshandels und die Einbeziehung des Luftverkehrs zuständig. Sie studierte Rechtswissenschaft und Umweltmanagement an der Freien Universität Berlin und der Université de Genève.

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