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Die Familie der Fürstin

Die herzoglichen Häuser der Pommern und Sachsen im 16. Jahrhundert: Erziehung, Bücher, Briefe

von Dörthe Buchhester (Autor:in)
©2015 Dissertation 342 Seiten

Zusammenfassung

Die Familie der Fürstin beschreibt das Wirken Marias von Sachsen (1515–1583) als Herzogin von Pommern im Kreis ihrer Kernfamilie hinsichtlich der Erziehung ihrer Kinder, des Aufbaus der ersten nachgewiesenen pommerschen Hofbibliothek und des weitgespannten Netzwerks von Korrespondenzen. Bezogen auf die Bereiche Erziehung, Bücher und Briefe werden die Handlungsspielräume einer bisher kaum wahrgenommenen Fürstin im Reformationszeitalter in ihrem Wirken für ihre Familie transparent. Dabei arbeitet Dörthe Buchhester unter anderem die Möglichkeiten eigenhändiger weiblicher Korrespondenz unter Anwendung der Systemtheorie von Niklas Luhmann heraus.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Dank
  • Kapitel A: Einführung
  • 1. Zwei Dynastien – eine Familie: Greifen und Ernestiner
  • 1.1 Das Familienporträt: der Greifswalder Croÿ-Teppich
  • 1.2 Die dynastischen Grundlagen des Greifenhauses im 16. Jahrhundert
  • 2. Forschungsstand und Ziele der Untersuchung
  • 2.1 Die fürstliche Familie: externe und interne Kommunikationsstrukturen
  • 2.1.1 Erziehung und (Aus-)Bildung
  • 2.1.2 Außerhöfische Kontakte und familiäre Netzwerke
  • 2.2 Soziologische und lerntheoretische Basiskonzepte
  • 2.2.1 Soziale Systeme
  • 2.2.2 Soziales, ökonomisches und kulturelles Kapital
  • 2.2.3 Kulturtransfer – Kulturkontakt
  • 2.2.4 Lernen vom Freund und vom Gegner
  • 3. Die Quellen
  • Kapitel B: Die fürstliche Familie am Hof Erziehung – (Aus-)Bildung – Bildungsstand
  • 1. Einführung: Erziehung und Schrift
  • 2. Koedukation: Sozialisationsinstanz Frauenzimmer
  • 2.1 Maria von Sachsen
  • 2.2 Erziehung zwischen Koedukation und Katechismus
  • 2.2.1 Der normative Rahmen für das pommersche Frauenzimmer
  • 2.2.2 Räumliche Struktur und Ausstattung des Frauenzimmers
  • 2.2.3 Der Tagesablauf im Frauenzimmer
  • 2.2.4 Inhalte der Erziehung im Frauenzimmer
  • 2.3 Ergebnis
  • 3. Geschlechtsspezifische Erziehung: die Fürstentöchter
  • 3.1 Georgia von Pommern
  • 3.2 Frauenerziehung und die fehlende Schriftlichkeit
  • 4. Geschlechterspezifische Erziehung: die Fürstensöhne
  • 4.1 Memorial vndt Bericht wie sich herzog Johans Wilhelm an dem Pommerschen hofe halten vnnd erzeigen soll (1549)
  • 4.2 Die auswärtige Erziehung der pommerschen Fürstensöhne
  • 4.2.1 Die Erziehung Herzog Bogislaws X. zwischen Tradition und Legende
  • 4.2.2 Impulse durch Sachsen
  • 4.2.3 dann der herr ist an pfalzgraue Ludwigs hoff [...] wol erzogenn
  • 4.3 Erziehungsdiskurs am Hof: die Söhne Philipps I.
  • 4.3.1 Ziele der Erziehung
  • 4.3.2 Frauenzimmererziehung versus Präzeptorenerziehung
  • 4.3.2.1 Vorgaben
  • 4.3.2.2 Umsetzung
  • 4.3.3 Die Vorbereitung auf die Universität
  • 4.3.3.1 Vorgaben
  • 4.3.3.2 Umsetzung
  • 4.3.4 Der Universitätsbesuch in Greifswald
  • 4.3.4.1 Vorgaben
  • 4.3.4.2 Umsetzung
  • 4.3.5 Zäsur: der Tod des Vaters
  • 4.4 noch nymanden von meinen freunden yst zu myr kumen – der Aufenthalt Johann Wilhelms von Sachsen in Pommern (1549–1552)
  • 4.5 Ergebnis: Erziehung am Hof
  • 5. Die lesende Herzogin
  • 5.1 Die Leserin im Bild
  • 5.2 Ene lade myt boken: die Anfänge
  • 5.3 Aufbewahrung der Bücher – Leseorte – Lesepraxis
  • 5.4 Verbrannt, geschenkt, vererbt, gekauft, verliehen: Buchbesitz und Buchgebrauch
  • 5.5 Ergebnis: die Bücher der Herzogin
  • 6. Die herzoglichen Bibliotheken
  • 6.1 Die so genannte »Bibliothek« Philipps I. von Pommern
  • 6.2 Wege der Bücher in die Sammlung
  • 6.2.1 Buchgeschenke
  • 6.2.2 Dedikationen
  • 6.2.3 Kauf
  • 6.3 Datierung des ersten überlieferten Bücherverzeichnisses
  • 6.4 Bewertung der Sammlung
  • 6.5 Die Wolgaster hoffbibliotheca
  • 6.5.1 Sammelschwerpunkt 1: theologisch-reformatorisches Schriftgut
  • 6.5.2 Sammelschwerpunkt 2: Geschichte
  • 6.6 Funktion der Bibliothek und Lektürepraxis
  • 6.7 Ergebnis: die »Familienbibliothek«
  • Kapitel C: Die eigene Stimme hinaustragen Der Kontakt nach Sachsen und Anhalt
  • 1. unnd kann doch leyter zu e. l. nicht kumenn: die Briefe Geor­gias von Pommern an ihre Mutter Margarethe von Brandenburg
  • 2. und schreib uns bald antwort: die Briefe Marias von Sachsen
  • 2.1 Quellen und Überlieferung
  • 2.2 Äußeres Erscheinungsbild der Briefe
  • 2.3 Supplikative Gebärden? Stil und Sprache in den Briefen Marias von Sachsen
  • 2.4 Bedingungen des Schreibens am Hof
  • 2.5 Korrespondenzpartner, Kommunikationsachsen und Netzwerkpflege
  • 2.6 Funktionen der Briefe
  • 2.6.1 Die formale Anschlussfähigkeit
  • 2.6.2 Fallbeispiel 1: mit ganz bekümmerten herzen – die Sorge um Prinzessin Amalie
  • 2.6.3 Fallbeispiel 2: wiewohl bei Gott ist kein ding unmöglich – religiöse Rhetorik und Gottvertrauen
  • 2.6.4 Fallbeispiel 3: das löbliche hauss zu Sachsen – der Briefkontakt mit dem Neffen Johann Wilhelm
  • 2.7 Kommunikations- und Handlungsräume Marias von Sachsen: ein Befund
  • 3. Das mich e. l. mit irer hantschrift besuchen wolle[n]: eigen­hän­di­­ge Schreiben in der Fürstenfamilie
  • 4. Fazit: familiäre Verbundenheit im Brief
  • Kapitel D: Ergebnisse
  • Anhang
  • 1. Edition
  • 1.1 Memorial zum Aufenthalt Herzog Johann Wilhelms von Sachsen in Pommern (1549)
  • 1.2 Autograph Herzog Bogislaws X. von Pommern (ca. 1503)
  • 2. Die in der Arbeit meist genannten Fürstinnen und Fürsten im genealogischen Zusammenhang
  • 2.1 Die Herzoginnen und Herzöge von Sachsen: Ernestiner
  • 2.2 Die Herzoginnen und Herzöge von Pommern: Greifen
  • 3. Quellenverzeichnis
  • 3.1 Ungedruckte Quellen
  • 3.2 Gedruckte Quellen
  • 4. Literaturverzeichnis
  • 5. Personenregister
  • Reihenübersicht

Vorwort

Mit der hier vorgelegten Studie, einer Greifswalder Dissertation, öffnet sich unsere Reihe, nach Abschluß des gemeinsamen, von den Universitäten Groningen und Münster getragenen Projekts, das sich die Erforschung der Spezifika des „Übergangs vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit“, also der heute vielfach so genannten „Sattelzeit“ zum Ziel gesetzt hatte1, nun Arbeiten, die außerhalb unseres Forschungsverbundes entstanden, aber thematisch die gleichen Ziele verfolgen.

Für die hier publizierte Arbeit gilt dies in ganz besonderem Maße: Sie untersucht in sehr differenzierter, überzeugender Weise, welche Vorstellungen zwei bedeutende nord- und mitteldeutsche Dynastien, die Herzöge von Pommern (Greifen) und von Sachsen (Ernestiner) im 16. Jahrhundert von Erziehung und Bildung ihrer Nachkommen hatten. Das bedeutet ebenso die Beschäftigung mit den verschiedenen Formen geschlechtsspezifischer Erziehung wie mit der „Sozialisationsinstanz“ Frauen-Zimmer, mit Lese- und Schreibfähigkeit sowohl der Eltern, wie der Kinder (gut zu erkennen an der Familienkorrespondenz), mit Bucherwerb und Bibliotheksaufbau bzw. -besitz. All dies wird, dank einer verhältnismäßig guten Überlieferung, in reichem Detail und stets von den Quellen ausgehend, dargestellt. Die Arbeit leistet so, wie wir meinen, einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der vor allem intellektuellen Veränderungen und Herausforderungen, denen sich Adel und Fürsten im 15. und vor allem 16. Jahrhundert zu stellen hatten, wenn sie im Wettstreit mit anderen Geschlechtern ihre gesellschaftliche wie politische Position wahren wollten.

Groningen und Berlin, im April 2015,

Martin Gosman und Volker Honemann ← 11 | 12 → ← 12 | 13 →

1Siehe dazu das Vorwort zu Bd. 1 der Reihe (Rudolf Suntrup / Jan Veenstra [Hgg.], Tradition and Innovation in an Era of Change / Tradition und Innovation im Übergang zur Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 2001, S. 3 und 9–15).

Dank

Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des DFG-Projektes »Kulturtransfer an deutschen Fürstenhöfen in der Umbruchszeit vom späten Mittelalter zur Frühen Neuzeit«. Gutachter waren em. Prof. Dr. Karl-Heinz Spieß (Greifswald) und Prof. Dr. Udo Friedrich (Köln).

Dank gebührt zunächst der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Förderung im Rahmen des oben genannten Projektes und der Fritz-Senss-Stiftung (Leipzig), die mich mit einem Folgestipendium großzügig unterstützte.

Für freundliche Aufnahme vor Ort und hilfreiche Unterstützung bei meinen Quellenrecherchen danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Geheimen Staatsarchivs und der Staatsbibliothek, beide Preußischer Kulturbesitz, in Berlin, der Landeshauptarchive in Dessau und Schwerin, der Alten Universitätsbibliothek in Greifswald, des Generallandesarchivs in Karlsruhe, des Thüringischen Hauptstaatsarchivs in Weimar, den Staatsarchiven in Nürnberg und Hannover, der Herzog Ernst August Bibliothek in Wolfenbüttel, des Francisceums in Zerbst und insbesondere des Archivum Państwowe in Stettin.

Das erste Kapitel meiner Arbeit erhielt viel Anregung durch die Arbeit von Kollegen und Freunden zu vielen bekannten und unbekannten Damen aus der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte. Genannt seien hier vor allem Dr. André Thieme (Dresden) mit seinen Arbeiten zu Herzogin Elisabeth von Rochlitz und Dr. Uwe Tresp (Potsdam/Düsseldorf) mit seinen umfangreichen Kenntnissen zum jagiellonischen Königshaus. Gedankt sei auch em. Prof. Dr. Heide Wunder (Kassel); ihre Studien zu Frauen in der Frühen Neuzeit waren wegweisend und voller Inspiration für mich, sich auf das pommersche Fürstenpaar Maria und Philipp einzulassen.

Über Jahre begleitet hat die Arbeit em. Prof. Dr. Volker Honemann (Berlin/Münster). Ihm möchte ich herzlich danken für die unzähligen Gespräche und Denkanstöße und für sein aufmerksames Lesen insbesondere der Teilkapitel zur Bibliothek. Ihm und Prof. Dr. Martin Gosmann (Groningen) danke ich zudem für die freundliche Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe »Medieval to Early Modern Culture – Kultureller Wandel vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit«. Mein herzlicher Dank gilt auch Hannes Lemke M. A. (Zerbst) – Projektmitarbeiter, Kollege, Freund. Er hat das Entstehen der Arbeit von Anfang an begleitet.

Dass es mir gelang, Luhmann zu lieben, liegt an Dr. Lars-Arne Dannenberg (Königsbrück), PD Dr. Jan Hirschbiegel (Kiel) und nicht zuletzt an ← 13 | 14 → Prof. Dr. Stefan Wehmeier (Greifswald). Letzterem danke ich zudem für die aufmerksame Durchsicht des zweiten Kapitels der Arbeit.

Im März 2011 konnte ich auf Einladung von Dr. Daniel Gehrt Teilergebnisse meiner Forschungen in Gotha vorstellen (Tagung: »Fürstinnen und Konfession. Beiträge protestantischer Herrscherinnen zu Religionspolitik und Bekenntnisbildung«), dafür sei ihm und den anderen Veranstaltern herzlich gedankt. Die Beiträge des derzeit im Druck befindlichen Bandes zur Tagung konnten in der vorliegenden Arbeit leider nicht mehr berücksichtigt werden.

Abschließend sei meiner Familie gedankt, die mich unablässig unterstützte, und den Freunden von damals und heute: Prof. Dr. Stephan Buchhester (Leipzig), Karsten Gamper (Hamburg), Manuela Keller (Hamburg), Suse Malachow (Berlin), Svenja Nielson (Hamburg), PD Dr. Reimund B. Sdzuj (Greifswald) sowie Mascha K., Paula L. und Inge Krupp (Berlin).

Gewidmet sei die Arbeit Elisabeth maior und Elisabeth minor und natürlich Albrecht. ← 14 | 15 →

Kapitel A

Einführung

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1.Zwei Dynastien – eine Familie: Greifen und Ernestiner

1.1Das Familienporträt: der Greifswalder Croÿ-Teppich

Im Jahre 1556 wurde ein Gobelin fertig gestellt, der bis heute die Betrachter, die ihn im Pommerschen Landesmuseum Greifswald im gewebeschonenden Halbdunkel ansehen, in seinen Bann zu ziehen vermag1. Durch das Vermächtnis Ernst Bogislaws von Croÿ in den Besitz der Universität Greifswald gelangt2, ist er heute der Glanzpunkt einer Dauerausstellung zur pommerschen Geschichte. Dieser heute als Croÿ-Teppich bekannte monumentale Wandteppich, der im Nachlassinventar Philipps I. von Pommern vom 25. Februar 1560 als Die Tauffe Christi mit den Sechsischen und Pommerischen Herrn auch der gelarten Konterfey, zu Stettin gemacht aufgeführt ist3, unterlag vielfältigen Interpretationen4. In der neueren Forschung wird der Teppich vor allem als reformatorisches Bekenntnisbild verstanden5. Noch deutlicher wird die Aussage des Teppichs, wenn man ihn beschreibt als ein Bekenntnisbild im Rahmen der dynastischen Verbindung des pommerschen Herzogshauses mit den ernestinischen Kurfürsten infolge der Torgauer Hochzeit von 15366, der Eheschließung Philipps I. von Pommern mit Maria von Sachsen, einer Schwester des sächsischen Kurfürsten Johann Friedrichs des Älteren, genannt der Großmütige. Maria, geboren 1515, entstammt der (zweiten) Ehe Johanns des Beständigen von Sachsen mit Margarethe von Anhalt. Johann Friedrich der Großmütige, der spätere Kurfürst, stammt dagegen aus der (ersten) Ehe Herzog Johanns mit Sophie von Mecklenburg, einer Nichte Bogislaws X. von Pommern7. ← 17 | 18 →

In der Mitte des Teppichs befindet sich Luther, der von einer Kanzel herab predigt8. Zu seiner Rechten, also auf der linken Bildhälfte, sind die Ernestiner zu sehen: die drei Kurfürsten Friedrich der Weise, Johann der Beständige mit seiner zweiten Ehefrau Margarethe von Anhalt und Johann Friedrich der Großmütige mit seiner Frau Sibylla von Jülich-Kleve-Berg. Neben diesem Letztgenannten stehen sein jüngerer Bruder Johann Ernst von Sachsen-Coburg und seine drei Söhne Johann Friedrich der Mittlere, Johann Wilhelm und Johann Friedrich der Jüngere. Hinter den Prinzen steht Philipp Melanchthon. Zur Linken Luthers finden sich die Greifen. Beginnend mit den Brüdern Georg I. und Barnim IX. von Pommern, gefolgt von Georgs Sohn Philipp I., steht hinter ihnen Johannes Bugenhagen, es schließen sich mit Amalie von der Pfalz und Anna von Braunschweig-Lüneburg die Ehefrauen Georgs und Barnims an. Ganz außen befindet sich Philipps Frau Maria von Sachsen. In erster Reihe stehen die Kinder Philipps und Marias: Johann Friedrich, Ernst Ludwig, Bogislaw XIII., Barnim X. und ihre Tochter Amalie.

Mit der Darstellung der genannten Gelehrten werden nicht nur wichtige Vertreter der Reformation aufgeführt, sondern mit Luther und Bugenhagen sind auch diejenigen benannt, die an der Torgauer Hochzeit 1536 und den vorangehenden Heiratsabsprachen beteiligt waren.9 Der Croÿ-Teppich zeigt mit den Sechsischen und Pommerischen Herrn10 bedeutende, zum Teil herausragende Reformationsfürsten11. Darüber hinaus verdeutlicht er noch etwas anderes: eine klare Vorstellung von Familie12. ← 18 | 19 →

imagea

Abbildung 1. Croÿ-Teppich (Ausschnitt), entstanden um 1554, Wirker: Peter Heymans, Maße: 446 x 690 cm, Basselisse-Wirktechnik. Greifswald, Akademische Kunstsammlung der Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Kustodie, Inventar-Nr.: KU000006, gegenwärtig ausgestellt in Greifswald, Pommersches Landesmuseum (Fotografie: Grzegorz Solecki). ← 19 | 20 →

Diese wird vor allem dann ersichtlich, wenn man überlegt, wer auf der Darstellung fehlt. Sophie von Mecklenburg, die erste Frau Johanns des Beständigen und Mutter Johann Friedrichs des Älteren, fand ebenso wenig Aufnahme wie Katharina von Braunschweig-Grubenhagen, die Frau des bereits 1553 verstorbenen Johann Ernst von Sachsen-Coburg. Auf Seiten der Pommern haben die 1553 und 1554 geborenen Töchter Philipps und Marias, Anna und Margarethe, keine Aufnahme mehr gefunden. Ganz offensichtlich fehlen jedoch Philipps Schwestern Margarethe und Georgia, sowie seine Stiefmutter Margarethe von Brandenburg. Auch die überlebenden Töchter Barnims IX. und Annas von Braunschweig-Lüneburg sind nicht abgebildet. Die Gründe für die Auswahl lassen ein Familienkonzept erkennen, das durch das Brautpaar der Torgauer Hochzeit, Philipp von Pommern und Maria von Sachsen, seine Rahmung erhält. Auf dem Croÿ-Teppich finden in symmetrischer Darstellung auf beiden Seiten jeweils drei Generationen Platz: zwei Brüder, der nachfolgende Sohn und dessen Kinder. Es ist die jeweils engste Familie, die dargestellt wurde und die fast ausschließlich zwei Häusern zuzurechnen ist: den Greifen und den Ernestinern. Die über die genannten Ehefrauen bestehenden dynastischen Beziehungen zu den Welfen, Mecklenburgern und Brandenburgern sind nicht Thema der Darstellung. Hier werden, ausgehend von Philipp und Maria, Eltern, Kinder und Geschwister gezeigt. Unliebsame Stiefmütter, nach außen verheiratete Schwestern und auch ein wichtiger Verwandter wie Bogislaw X. von Pommern fehlen in diesem Bildprogramm. Bogislaws Fehlen lässt sich nicht mit seiner Abneigung gegenüber der Reformation erklären, denn auch Philipps altgläubiger Vater Georg I. hat Aufnahme gefunden, sondern mit der Verwandtschaftsbeziehung.13 Bogislaw X. als Großvater Herzog Philipps ließ sich nicht in die Drei-Generationen-Komposition einfügen. Während die Gesamtkonzeption des Gobelins auf die Cranach-Werkstatt zurückgeht, oblag die Auswahl der dargestellten Personen dem Auftraggeber, und das war Philipp I. von Pommern14. Gemeinsam mit seiner Frau Maria von Sachsen präsentiert er sich hier im Kreise der Familie, die über die dynastischen Verflechtungen durch ihr reformatorisches Glaubensbekenntnis verbunden wird15. ← 20 | 21 →

Familie meint hier zwei Dinge. Zum einen geht es um Philipp von Pommern und Maria von Sachsen mit ihren Kindern und damit im Sinne von Karl-Heinz Spieß um die Kernfamilie als besonderes emotionales Bezugssystem zwischen Eltern und Kindern16. Da die mittelalterlichen Quellen für dieses Sozialgebilde keinen spezifischen Begriff kennen, gibt es in der Forschung durchaus Skepsis gegenüber dieser Bezeichnung17. Nach Auffassung von Spieß hat erst die zunehmende Herauslösung der Kernfamilie aus größeren Zusammenhängen wie dem Sozialverband des Hauses oder der Verwandtschaft die Notwendigkeit für eine neue Begrifflichkeit geschaffen.18 Seit dem 18. Jahrhundert wird das aus dem französischen stammende Wort »Familie« im heutigen Sinne gebraucht. Spieß empfiehlt, keine »unbefangene Übertragung der heutigen Vorstellung von Familie in das Mittelalter« vorzunehmen, er versteht jedoch das emotionale Beziehungssystem zwischen Familienangehörigen als eine Konstante, die sich deutlich von der Bindung an Mägde und Knechte, Hofleute und entfernte Verwandte unterscheidet.19 Die von mir untersuchten Quellen, insbesondere die Korrespondenzen, legen die Annahme eines solchen emotionalen Bezugssystems nahe und machen damit die Verwendung des Begriffs der Kernfamilie plausibel.

Die Ehe von Philipp und Maria dauerte 24 Jahre. Von zehn gemeinsamen Kindern erreichten acht das Erwachsenenalter. Martin Wehrmann schreibt, dass diese Familie als einzige pommersche Herzogsfamilie etwas »Anziehendes und Gewinnendes an sich hat« und dass ihre Darstellung auf dem Croÿ-Teppich »Teilnahme« beim Betrachter auslöst20. Die Durchschnittsdauer einer Ehe im Hochadel belief sich den Untersuchungen von Karl-Heinz Spieß zufolge auf etwa 16 Jahre21. Die Ehen von Philipps Großvater Bogislaw X. als auch die seines Vaters Georg I. von Pommern liegen mit maximal zwölf Jahren unter diesem Wert.22 ← 21 | 22 →

1.2Die dynastischen Grundlagen des Greifenhauses im 16. Jahrhundert

Roderich Schmidt versteht den Croÿ-Teppich als »Familienbild, das die Verbundenheit der beiden Häuser […] aber auch ihre Verwurzelung im Evangelium, öffentlich bekunden soll«.23 Familienstrukturen können nicht losgelöst von den Verwandtschaftssystemen analysiert werden.24 Wie bereits Martin Wehrmann herausstellte, ist es Bogislaw X., der Beziehungen mit den Reichsfürsten suchte, die über die traditionellen Verbindungen zu den benachbarten Herrschaften hinausliefen25. Insbesondere geht mit der von ihm unternommenen großen Reise von 1496 bis 1498 eine Zäsur einher. Diese ursprünglich als Kriegszug konzipierte, dann zur Pilger- und Hofreise umfunktionierte Reise, die den Pommernherzog durch das Reich und Italien ins Heilige Land führte26, brachte ihn auch an verschiedene Höfe und ließ neue Kontakte entstehen, die in den folgenden Jahren durch Heiratsbeziehungen verstetigt wurden.27 Damit setzte sich eine Tendenz fort, die durch Bogislaws Hochzeit mit der jagiellonischen Königstochter Anna im Februar 1491 ihren Anfang genommen hatte. Die nachfolgenden Heiratsbeziehungen der Söhne und des Enkels Bogislaws verbinden die Greifen im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts neben den traditionellen Allianzen mit den Brandenburgern und Welfen nun auch mit den pfalzgräflichen Wittelsbachern und den Wettinern.28 ← 22 | 23 →

Bereits vor der Torgauer Hochzeit war durch Vermittlung Friedrichs des Weisen eine Ehe gestiftet worden, die als erste Verbindung der beiden Häuser gelten kann29. Der sächsische Kurfürst empfahl die Heirat seiner Nichte Anna von Braunschweig-Lüneburg mit Philipps Onkel Barnim IX. von Pommern30. Mit der Torgauer Hochzeit kam es sowohl zu einer Verstetigung der dynastischen Beziehungen zwischen Ernestinern und Greifen als auch zu einer Erweiterung der protestantischen Partei31, denn bereits 1537 traten beide Herzöge von Pommern dem Schmalkaldischen Bund bei32. Dies wird auch durch die Rolle Bugenhagens bestätigt, der in einem Brief an Marias Bruder, den sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich den Großmütigen, schreibt, das ihm wol zu wunschen were, das ich oft wurde solch ein Coppeler, wie mich e. F. g. zu Torgau gnediglich heis.33Initiiert durch Bogislaw X., bestanden somit verwandtschaftliche Verbindungen in alle weltlichen Kurfürstenhäuser und zugleich Beziehungen zu den wichtigsten Dynastien Mittel- und Osteuropas. Für die Zeit des Bogislawenkels Philipp gibt ← 23 | 24 → der Croÿ-Teppich die Richtung vor. Familie und Verwandtschaft konstituiert sich hier mit Blick auf das ernestinische Sachsen. Philipp von Pommern schreibt seinem Schwager Johann Friedrich dem Großmütigen: das wir bedacht sind, in einer tapet E. L. vnnd vnser geschlecht wirkenn zulassen.34

Entferntere verwandtschaftliche Kontakte zu den Wettinern gab es bereits infolge der 1479 geschlossenen Ehe Bogislaws X. mit Margarethe von Brandenburg35, verstärkt wurden diese jedoch infolge der Reise des Herzogs. So stellte Cordula Nolte neben dem Austausch von humanistischen Gelehrten zwischen Bogislaw X. und Friedrich dem Weisen auch den sächsischen Einfluss auf den Beginn der pommerschen Landesgeschichtsschreibung heraus36. Dabei verwies sie mit Hinblick auf die Achse Sachsen – Pommern auf das bestehende Forschungsdesiderat37. Dieses wurde bisher in kleineren Einzeldarstellungen aufgegriffen, wenn es etwa um den Wiederaufbau des Wolgaster Schlosses mithilfe sächsischer Baumeister ging38. Die familiären Verflechtungen und Kontakte, die aus der Torgauer Hochzeit resultierten, standen bisher noch nicht im Fokus der Forschung. Insbesondere die Fürstin Maria von Sachsen ist ein bisher unbeschriebenes Blatt. Dabei haben jüngste Untersuchungen zunehmend auf die Bedeutung fürstlicher Frauen in der Pflege familiärer Netzwerke und Kontakte verwiesen.39 ← 24 | 25 →

1Siehe die Abb. des Teppichs (Ausschnitt) im Anhang dieser Arbeit; vollständige Abbildungen und Detailaufnahmen in Schmidt: Der Croÿ-Teppich der Universität Greifswald. Die auf dem Teppich angegebene Jahreszahl 1554 meint die Fertigstellung des Kartons, der Vorlage für den Teppich. Schroeder: Der Croÿ-Teppich der Universität Greifswald, S. 23.

2Schroeder: Der Croÿ-Teppich der Universität Greifswald, S. 45.

3Archivum Pánstwowe w Szczecinie, AKS, Pars 1/1917, fol. 15v. Vgl. dazu auch Mueller: Neue Beiträge zur Kunst und ihrer Denkmäler in Pommern, S. 245 ff.

4Vgl. dazu die Darstellung bei Schroeder: Der Croÿ-Teppich der Universität Greifswald, Kapitel IV: Die Tauffe Christi, S. 30–33 und Schmidt: Der Croÿ-Teppich der Universität Greifswald, S. 92.

5Thümmel: Der Greifswalder Croÿ-Teppich, S. 19 f.

6Schmidt: Die Torgauer Hochzeit als Beispiel für Rechtsform und Rechtsanschauung, S. 372–382.

7Siehe Stichart: Margaretha von Anhalt, zweite Gemahlin Johanns des Beständigen, S. 162–166.

8Vgl. dazu im Folgenden ausführlich: Schroeder: Der Croÿ-Teppich der Universität Greifswald, S. 34–42. Zum Bildprogramm siehe Schmidt: Der Croÿ-Teppich der Universität Greifswald, S. 92 f.

9Schmidt: Die Torgauer Hochzeit als Beispiel für Rechtsform und Rechtsanschauung, S. 369 f.

Zur dreistufigen Annäherung der einander unbekannten Brautleute, des Brautbildes, der Besichtigung und des gegenseitigen Gefallens bei einer Begegnung vgl. Spieß: Unterwegs zu einem fremden Ehemann, S. 17.

10Archivum Pánstwowe w Szczecinie, AKS, Pars I/1917, fol. 15v.

11Zu den sächsischen Kurfürsten vgl. Schirmer: Die ernestinischen Kurfürsten bis zum Verlust der Kurwürde, S. 39–54.

12Die darauf abgebildeten Personen sind zum Teil noch während seiner Anfertigung verstorben. Auf Seiten der Ernestiner lebten nur noch die drei Söhne Johann Friedrichs des Großmütigen und Melanchthon, auf Seiten der Pommern zählten Philipp und Maria und ihre fünf Kinder sowie Barnim IX. und Anna von Braunschweig-Lüneburg zu den noch lebenden Familienangehörigen. Ihre Präsenz war wichtig für das Selbstverständnis der Familie, wie sie am Wolgaster Hof in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts tatsächlich gelebt wurde.

13Zu den hier besprochenen Familienmitgliedern siehe die genealogische Übersicht im Anhang dieser Arbeit.

14Ein Schreiben Philipps von Pommern, in dem er seinen Schwager Johann Friedrich den Großmütigen von Sachsen um Bilder von dessen Gemahlin und des jüngsten Sohnes bittet, ist die einzige Nachricht über die Anfertigung des Croÿ-Teppichs: Gegeben zu Jasenitz, 7. Juni 1553. ThHStA Weimar, Reg. C, Nr. 744, fol. 439. Ediert von Schroeder: Der Croÿ-Teppich der Universität Greifswald, S. 23. Vgl. ebenda, S. 26 f.

15Schmidt: Pommern und Sachsen in der Zeit der Reformation, S. 67.

Details

Seiten
342
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653054972
ISBN (ePUB)
9783653970807
ISBN (MOBI)
9783653970791
ISBN (Hardcover)
9783631660836
DOI
10.3726/978-3-653-05497-2
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Juni)
Schlagworte
Reformation Kulturtransfer Kommunikationstheorie Genderforschung fürstliche Höfe
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 342 S., 9 s/w Abb., 2 Graf.

Biographische Angaben

Dörthe Buchhester (Autor:in)

Dörthe Buchhester studierte Rechtswissenschaften, Geschichte und Germanistik (Lehramt Gymnasium) in Greifswald, wo sie auch an der Philosophischen Fakultät promoviert wurde. Die Autorin ist Leiterin der Koordinierungsstelle Lehramt und Geschäftsführerin des Centrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung an der Stiftung Universität Hildesheim.

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