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Die Firmenbeteiligungen der ARBED im Osteuropa der Nachkriegszeit

Luxemburger Wirtschaftsdiplomatie im Kalten Krieg

von Marc Birchen (Autor:in)
©2015 Dissertation XVI, 482 Seiten

Zusammenfassung

Der Zweite Weltkrieg und die unmittelbare Nachkriegszeit hatten tiefgreifende Auswirkungen auf die Industrieunternehmen Mittel- und Osteuropas. Die Studie beschäftigt sich mit den Bemühungen des luxemburgischen ARBED-Konzerns zur Wahrung seiner dortigen Kapitalbeteiligungen. Neben einem exemplarischen Einblick in die Handlungsspielräume westlicher Unternehmen im sowjetisch dominierten Teil Europas der Nachkriegszeit erlaubt die Studie Einsichten in das Verhältnis der ARBED zur luxemburgischen Diplomatie, sowie in die Funktions- und Handlungsmechanismen luxemburgischer Außen- und Außenwirtschaftspolitik des 20. Jahrhunderts. So wird deutlich, wie es dem Konzern gelang, elementare diplomatische Aufgaben zu erfüllen und maßgebliche außen- und außenwirtschaftspolitische Impulse zu setzen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Abbildungsverzeichnis
  • Danksagung
  • Abkürzungen
  • Einleitung
  • I. Gegenstand und Forschungsproblem
  • II. Der Forschungsstand
  • 1. Stand der internationalen und pluridisziplinären Forschung zu den tangierten Forschungsfeldern
  • 2. Luxemburgforschung zu den tangierten Forschungsfeldern
  • III. Leitende Fragestellungen
  • IV. Methodik, Quellen und Grenzen der Untersuchung
  • V. Gang der Darstellung
  • I. Vorgeschichte
  • Einleitung zu Kapitel I
  • I.1 Die Öffnung Luxemburgs
  • I.1.1 Die luxemburgische Außenpolitik in den 40er Jahren: Von der Neutralität zur Integration
  • I.1.2 Zwischen Tradition und Moderne: der luxemburgische auswärtige Dienst seit den 20er Jahren bis in die Nachkriegszeit
  • Die „embryonische Struktur“ des Auswärtigen Dienstes
  • Die Zusammenarbeit zwischen dem MAEL und der Schwerindustrie seit den 20er Jahren
  • Das System Bech
  • I.2 Die Arbed in Osteuropa von 1919 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges
  • I.2.1 Auf dem Weg zur „internationalsten Stahlgesellschaft ihrer Zeit“
  • I.2.2 Die Felten und Guilleaume Carlswerk AG – das Tor zum Osten
  • I.2.3 Die Arbed und ihre Kapitalbeteiligungen in Osteuropa während des Zweiten Weltkrieges
  • Erste Einschränkungen der unternehmerischen Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit der Arbed
  • Die Arbed und die Besetzung Luxemburgs
  • Die Arbed nach der faktischen Eingliederung Luxemburgs ins Deutsche Reich
  • Berufliche und private Kontakte zwischen Arbed und der F&G-Gruppe während des Krieges
  • Fazit von Kapitel I
  • II. Die Arbed-Beteiligungen im Osteuropa der Nachkriegszeit
  • Einleitung zu Kapitel II
  • II.1 Die internationalen Bestimmungen hinsichtlich des deutschen Vermögens
  • II.2 Das deutsche und alliierte Industrievermögen im sich konsolidierenden Ostblock
  • II.2.1 Demontagen
  • II.2.2 Verstaatlichungen
  • Konfiszierungen
  • Enteignungen
  • Sowjetische Unternehmensstrukturen
  • Gemischt-staatliche Aktiengesellschaften mit sowjetischer Beteiligung
  • Sowjetische Aktiengesellschaften (SAG)
  • II.3 Die F&G-Gruppe im Untersuchungsraum in der unmittelbaren Nachkriegszeit
  • Fazit von Kapitel II
  • III. Die Wahrung der indirekten Arbed-Beteiligungen in Osteuropa in der Nachkriegszeit
  • Einleitung zu Kapitel III
  • III.1 Die Wahrung der Arbed-Beteiligungen in der SBZD/DDR
  • III.1.1 Erste Situationsberichte
  • III.1.2 Die Bemühungen der britischen Treuhänder
  • III.1.3 Die luxemburgischen Bemühungen im Rahmen des Referendums in Sachsen
  • III.1.4 Die Anfänge der aktiven Beteiligung der Arbed bei der Wahrung ihrer Kapitalbeteiligungen
  • III.1.5 Der Einsatz der GFCC für die Arbed-Beteiligungen in der SBZD
  • III.1.6 Erste erfolgreiche Präzedenzfälle, die Zunahme der Interventionen und Forderungen der Arbed-Leitung
  • III.1.7 Die Wahrung der Arbed-Interessen in der DDR – luxemburgische Alleingänge und gemeinsames Handeln im Rahmen internationaler Organisationen
  • III.1.8 Die Association luxembourgeoise pour la défense des droits, biens et intérêts alliés en Allemagne und ihre Bemühungen im Rahmen der Wahrung der Arbed-Interessen in der SBZD/DDR
  • III.1.9 Die Wahrung der Arbed-Beteiligungen nach Anerkennung der DDR
  • III.2 Die Wahrung der Arbed-Beteiligungen in Ungarn
  • III.2.1 Die Wahrung der Arbed-Beteiligungen in Ungarn durch die französische Militäradministration in Österreich und das MAEL
  • III.2.2 Die Wahrung der Arbed-Beteiligungen im Rahmen der UEBL
  • Das Globalentschädigungsabkommen
  • Die belgisch-luxemburgische Sonderkommission
  • Die Bemühungen um die Arbed-Interessen im Rahmen des Entschädigungsabkommens
  • Ein weiterer Entschädigungsvertrag für die verlorenen Arbed-Interessen in Ungarn
  • Interventionen bei den sowjetischen Behörden
  • III.3 Die Wahrung der Arbed-Beteiligungen in Bulgarien
  • III.4 Die Wahrung der Arbed-Beteiligungen in der SBZÖ
  • III.4.1 Die französischen Bemühungen um die Wahrung der Konzern-Beteiligungen in Österreich
  • III.4.2 Die Bemühungen um die Befreiung des Wiener Werkes
  • III.5 Die Wahrung der Arbed-Beteiligungen in Polen
  • III.5.1 Die luxemburgischen Interventionen bei den polnischen Behörden
  • III.5.2 Die Bemühungen um die Vertretung der Arbed-Beteiligungen durch belgische Initiativen
  • III.5.3 Das Entschädigungsabkommen zwischen der UEBL und Polen
  • III.6 Die Wahrung der Arbed-Beteiligungen in Jugoslawien
  • III.6.1 Die luxemburgischen Interventionen bei den jugoslawischen Behörden
  • III.6.2 Die Verteidigung der Arbed-Beteiligungen durch das belgische Industriekonsortium
  • III.7 Die Wahrung der Arbed-Beteiligungen in der Tschechoslowakei
  • III.8 Die Evaluierung der Interessenwahrung
  • III.8.1 Die Vorgehensweise
  • III.8.2 Argumentation und Resultate
  • Fazit von Kapitel III
  • IV. Die Akteure
  • Einleitung zu Kapitel IV
  • IV.1 Die Beweggründe und Motivation der Arbed und der luxemburgischen Regierung
  • IV.1.1 Arbed
  • IV.1.2 Die luxemburgische Regierung
  • IV.2 Das Verhältnis zwischen Arbed und MAEL
  • IV.2.1 Das Verhältnis auf der Ebene der institutionellen Akteure
  • Der Informationsaustausch
  • Die Arbed als Impulsgeber
  • Der Realisierungsprozess
  • IV.2.2 Die individuellen Akteure
  • Joseph Bech (*17. Februar 1887 in Diekirch; † 8. März 1975 in Luxemburg-Stadt)
  • Albert Wehrer (*30. Januar 1895; † 31. Oktober 1967 jeweils in Luxemburg-Stadt)
  • René Blum (*17. Februar 1889 in Esch-Alzette; † 25. Dezember 1967 in Bridel)
  • Guillaume Konsbruck (*3. September 1909 in Hostert; † 3. Oktober 1983 in Luxemburg)
  • Félix Chomé (*23. Oktober 1888 in Brüssel, † 6. Januar 1972 in Luxemburg)
  • Allgemeine Beobachtungen zu den individuellen Akteuren
  • IV.2.3 Eine differenzierte Antwort auf die Kernfrage
  • Fazit von Kapitel IV
  • V. Die Wahrung der Arbed-Beteiligungen im internationalen Kontext
  • Einleitung zu Kapitel V
  • V.1 Die Bemühungen um die Arbed-Beteiligungen vor dem Hintergrund des Ost-West-Konfliktes
  • V.2 Die Wahrung der Vermögenswerte der Arbed im Untersuchungsraum, ein Sonderfall?
  • Fazit von Kapitel V
  • Ergebnisse und Forschungsperspektiven
  • Zwischen Reparationspolitik und Konsolidierung des Ostblocks
  • Der Einfluss der Arbed auf die luxemburgische Außenwirtschaft
  • Kontinuität und Wandel
  • Pragmatismus und Realpolitik
  • Forschungsperspektiven
  • Anhang
  • I. Kleine Geschichte der Unternehmen der F&G-Gruppe
  • 1. SBZ/DDR
  • Kabelwerk Wilhelminenhof AG
  • Bleichert Transportanlagen GmbH (Bta)
  • Bleichert Fahrzeuganlagen GmbH
  • AW Mackensen Maschinenfabrik & Eisengießerei GmbH
  • Gummiwerke Ballenstedt GmbH
  • Gummiwerke „Elbe“ AG
  • Messapparatefabrik Schlotheim
  • 2. Ungarn
  • 3. Bulgarien
  • 4. SBZÖ
  • 5. Polen
  • Kabelwerk Bromberg AG
  • Kabelwerk Ożarów AG
  • 6. Jugoslawien
  • 7. Sonderfall Tschechoslowakei
  • II. Die Beteiligungsstruktur der Arbed über die F&G Carlswerk AG im Untersuchungsraum (Stand: 31. Dezember 1944)
  • III. Befehl Nr. 124 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militärverwaltung und Oberbefehlshabers der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland den 30. Oktober 1945, Berlin
  • IV. Final Act of the Paris Conference on Reparation, Resolution regarding Property in Germany belonging to United Nations or their Nationals.
  • V. ANLux, AE-08391, Memorandum über die Interessen der Arbed an der Kabelwerk Bromberg AG, 12. August 1946, 1 S.
  • VI. ANLux, AE-AA-305, Erklärung zur Beteiligung der Arbed an der Bta, 5. November 1947, unterzeichnet von Konsbruck, Chomé (beide Arbed) und Dupong (lux. Regierung), 1 S.
  • Bibliographie
  • 1. Quellenverzeichnis
  • 1.1 Unveröffentlichte Quellen
  • 1.1.1 Archives nationales du Luxembourg (ANLux)
  • Nicht inventarisierter Rbed-Fonds
  • Bestand Columeta
  • Bestand „Luxemburgisches Außenministerium“
  • Bestand aus dem Mutterhaus
  • Bestand: Luxemburgische diplomatische Vertretungen in Deutschland
  • Bestand: Luxemburgische Vertretung in Paris
  • Bestand: Luxemburgische Vertretung in Washington
  • Nicht edierter Bestand der luxemburgischen Vertretung in Moskau
  • Bestand: Société des Nations
  • 1.1.2 Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv Köln (RWWA)
  • Bestand Felten und Guilleaume
  • 1.1.3 Service public fédéral Affaires étrangères, Commerce extérieur et Coopération au développement. Direction des archives. Archives diplomatiques et archives africaines, Brüssel
  • 1.1.4 Archives du Secrétariat Général du Benelux, Brüssel
  • 1.1.5 Online Archive
  • 1.2 Gedruckte Quellen (Dokumente, zeitgenössische Literatur und Memoiren Zeitungen und Zeitschriften)
  • 1.2.1 Amtsblätter
  • 1.2.2 Zeitschriften
  • Luxemburgische Zeitschriften und Zeitungen
  • Deutsche Zeitungen
  • Schweizer Zeitungen
  • Amerikanische Zeitungen
  • 1.2.3 Pressemitteilungen
  • 1.2.4 Quellensammlungen, Dokumente
  • 1.2.5 Reden und Texte zeitgenössischer hoher Persönlichkeiten, Memoiren
  • 1.2.6 Quellenverzeichnisse, Untersuchungen zu Quellenfonds
  • 2. Literaturverzeichnis

| XI →

Abbildungsverzeichnis

| XIII →

Danksagung

Mein aufrichtiger Dank gilt all jenen, die maßgeblich zur Realisierung dieser langjährigen Forschungsarbeit beigetragen haben.

Ein erster Dank gilt meinem Doktorvater, Professor René Leboutte, der die Arbeit von Beginn an betreut und begleitet hat. Seine Anregungen, Nachfragen und Kritiken halfen mir eine wissenschaftliche Problematik herauszuarbeiten und diese, angesichts der Masse an Quelleninformationen, nicht aus den Augen zu verlieren. Des Weiteren danke ich Robert Harmson sowie Denis Scuto, die zusammen mit Professor Leboutte das mich begleitende Doktorantenkommittee bildeten. Robert Harmson danke ich, weil er mir den Blick auf meinen Untersuchungsgegenstand aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive eröffnete, Denis Scuto, wegen seiner wertvollen Hinweise auf meine Problematik begleitenden institutionellen und innenpolitischen Entwicklungen.

Die vorliegende Untersuchung beruht auf einer breiten Auswahl an Akten und sonstigen amtlichen Schriftzeugnissen. Mein aufrichtiger Dank gilt daher den Archivaren, die mir die Einsicht in diese Dokumente ermöglichten und mich auf mir unbekannte Bestände aufmerksam machten: Serge Hoffmann und Gilles Regener (Luxemburgisches Nationalarchiv); Françoise Peemans (Archiv des belgischen Außen- und Außenhandelsministeriums); Christian Hillen, Ulrich Soénius (Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv Köln); Fabienne Decuyper (Generalsekretariat der Benelux) und Marcelle Mangen (Archiv des luxemburgischen Außenministeriums).

Die Studie ist auch das Resultat des wissenschaftlichen Austauschs mit Kollegen und Freunden des Institut d’histoire der Universität Luxemburg. Aus dem Privileg, Teil dieser wachsenden Gemeinschaft zu sein, eröffneten sich mir eine Vielzahl unterschiedlicher Forschungsansätze, Methoden, und Anknüpfungspunkte. So danke ich Vincent Artuso, Andrea Binsfeld, Laure Caregari, Thierry Grosbois, Sonja Kmec, Benoît Majerus, Michel Margue, Pit Péporté, Hérold Pettiau, Martin Uhrmacher, Renée Wagener… Ein besonderer Dank gelten Norbert Franz und Michel Pauly, die nicht nur die mühselige Aufgabe des Korrekturlesens bereitwillig übernahmen, sondern mir auch für die Strukturierung der Arbeit wertvolle Tipps mit auf den Weg gaben.

Zu großem Dank bin ich auch meinen Doktorantenkollegen und Freunden der Forschungseinheit Identités. Politiques, Sociétés, Espaces (IPSE) der Universität Luxemburg verpflichtet. Im täglichen Kontakt sowie in regelmäßigen Doktorantenseminaren entstand hier ein enger interdisziplinärer Austausch zwischen ← XIII | XIV → jungen Forschern. Für die Realisierung der historischen Karte danke ich besonders Marie-Line Glaesener.

Bei der Forschungseinheit IPSE möchte ich mich zudem für die finanzielle Förderung bei der Drucklegung der Arbeit bedanken.

Die Verwirklichung der Forschungsarbeit wäre ohne privaten Rückhalt schlichtweg unmöglich gewesen. Mein tiefer Dank gilt daher meiner Familie sowie Marie-Cécile Charles, für ihre bedingungslose Unterstützung und das Aushalten meiner, von der Arbeit abhängigen Gemütslage.

| XV →

Abkürzungen

| 1 →

Einleitung

I. Gegenstand und Forschungsproblem

„Wat fir d’ARBED gudd ass, ass och gudd fir d’Land“.1

Dieses in Luxemburg noch heute weit verbreitete Diktum verdeutlicht eindrucksvoll die allgemeine öffentliche Wahrnehmung der Stahlgesellschaft ARBED in Luxemburg im 20. Jh., und verweist auf die Abhängigkeit der luxemburgischen Wirtschaft vom Unternehmen.

1911 aus einer Fusion dreier Unternehmen hervorgegangen, unternahm die Aciéries Réunies Burbach-Eich-Dudelange Anfang der 20er Jahre den Schritt zu einer stärkeren Internationalisierung. Das Unternehmen konnte durch eine innovative Verkaufsstruktur, eine schnelle Anpassung an die technologischen Fortschritte der Stahlindustrie und eine kluge Expansionspolitik seine Auslandsbeteiligungen schrittweise steigern. Neben aufsehenerregenden Investitionen in Südamerika verfügte die Gesellschaft auch über weniger bekannte Anlagen im sowjetisch dominierten Mittel- und Osteuropa der Nachkriegszeit. Tatsächlich besaß die ARBED seit 1920 über ihre rheinische Tochtergesellschaft FELTEN UND GUILLEAUME CARLSWERK AG (F&G CARLSWERK AG) indirekte oder sogar doppelt und mehrfach indirekte2 Aktienbeteiligungen in fast allen mittel- und osteuropäischen Ländern sowie in den 1945 geschaffenen sowjetischen Besatzungszonen Deutschlands und Österreichs.3 Während diese Beteiligungen im Verlauf des Zweiten Weltkrieges größtenteils unangetastet blieben, wurden sie in der unmittelbaren Nachkriegszeit Opfer grundlegender ← 1 | 2 → politischer und wirtschaftlicher Umwälzungen im Zeichen eines Sozialismus’ unter sowjetischen Vorzeichen.

Die Beteiligungsstruktur der ARBED in Mittel- und Osteuropa bildet den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. In den Fokus der Untersuchung rücken die Bemühungen, die auf luxemburgischer Seite von der Regierung und der ARBED unternommen wurden, um die Beteiligungen des Konzerns in Mittel- und Osteuropa zu schützen. Indem sie die äußeren Faktoren und die institutionellen wie strukturellen Rahmenbedingungen, die diesen Bemühungen Grenzen setzten, untersucht, zielt die vorliegende Studie auf ein Desiderat der historischen Erforschung der luxemburgischen Außenpolitik. Insbesondere beleuchtet sie das Verhältnis von luxemburgischer Regierung und ARBED in einem außenpolitischen Kontext und lotet Ausmaß und Form der Kontakte Luxemburgs über den sogenannten „Eisernen Vorhang“4 hinweg aus.

Bei Aufnahme der Bemühungen um die Firmenbeteiligungen der ARBED im September 1945 konnte freilich von einem sich konsolidierenden Ostblock, der sich hinter einem „Eisernen Vorhang“ abschottete, noch keine Rede sein. Die schrittweise Entfremdung der Alliierten hin zu einer Herausbildung zweier sich antagonistisch gegenüberstehenden Machtblöcke unter der Vorherrschaft der beiden Supermächte USA und UdSSR, stand erst am Anfang. Doch bereits damals sahen sich international oder transnational operierende Wirtschaftsakteure wie die ARBED, in den von der UdSSR befreiten oder besetzten Gebieten Ost- und Mitteleuropas mit ersten Einschränkungen konfrontiert. Im Sommer 1945 war vielerorts der Kontakt zu den Tochtergesellschaften der ARBED erschwert oder gar abgebrochen. Der Zustand der Fabriken im stark verwüsteten Osteuropa war der Konzernleitung in Luxemburg oftmals unbekannt oder konnte erst allmählich in Erfahrung gebracht werden.

In dieser Zeit gerieten die Besitzverhältnisse des luxemburgischen Konzerns durch zwei verschiedene, jedoch stark miteinander verwurzelten Entwicklungen, in Gefahr:

So wurden die Eigentumsverhältnisse der Industrie von alliierten und nationalen Reparationsbestimmungen getroffen, welche eine Übertragung bestimmter Vermögenskategorien als sogenanntes Feindvermögen zu Reparationszwecken ← 2 | 3 → an die Siegermächte vorsahen.5 Daneben führten auch der wirtschaftliche Umbruch des Untersuchungsraumes und die Anpassung der einzelnen osteuropäischen Wirtschaften an ein stalinistisches Planwirtschaftsmodell zu einer systematischen Verstaatlichung der dortigen Industrien.6

Von den Verstaatlichungsmaßnahmen war auch ausländisches Vermögen betroffen. Sofern es sich um Eigentümer handelte, die aus Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen stammten, sogenannte „alliierte Besitzer“ also, konnten diese meist mit einer Entschädigung rechnen.

Die Aktienbeteiligungen der ARBED bildeten allerdings einen Sonderfall: So war das Unternehmen nicht selber in Besitz der Aktien, sondern übte seine Beteiligung indirekt über seine Aktienbeteiligung in der F&G CARLSWERK AG aus. Bei der F&G CARLSWERK AG handelte es sich ausgerechnet um eine deutsche Aktiengesellschaft. Gerade deutsches Vermögen hatte, im Untersuchungsraum allgemein als Feindvermögen interpretiert, einen schweren Stand und unterlag dadurch zumeist einer entschädigungslosen Beschlagnahmung. Das Los der Unternehmen, an denen die ARBED indirekt im Untersuchungsraum beteiligt war, hing damit vor allem von der Interpretation dieses Beteiligungsverhältnisses durch die verantwortlichen Behörden ab. Bei einer Nichtanerkennung, riskierte das luxemburgische Unternehmen den entschädigungslosen Verlust seiner Beteiligungen.

Die Gefahr eines Verlustes der Vermögenswerte bildete den Auftakt jahrzehntelanger Bemühungen der luxemburgischen Regierung und der ARBED um den Schutz der ARBED-Beteiligungen im sogenannten Ostblock. Über zwei Jahrzehnte intervenierten das Ministère des Affaires étrangères et du Commerce extérieur luxembourgeois (MAEL) gemeinsam mit der ARBED bei den verschiedensten Behörden in osteuropäischen und westlichen Ländern zugunsten der Konzernbeteiligungen im Ostblock – in der UdSSR, bei den Westmächten, der belgischen Regierung und privaten Interessensverbänden. Die Beteiligung des luxemburgischen Konzerns an der Verteidigung seiner Interessen in Osteuropa hatte entscheidenden Anteil an den von luxemburgischer Seite angewandten Maßnahmen. Der Sachverhalt bildet dadurch einen Einblick in das Zusammenwirken des Konzerns mit der luxemburgischen Regierung im Bereich der Außen- und Außenwirtschaftspolitik. Die Arbeit greift somit die auch in der luxemburgischen Historiographie behandelte Problematik des Einflusses ← 3 | 4 → der ARBED auf die luxemburgische Politik auf und bietet anhand eines konkreten empirischen Fallbeispiels eine teils differenzierte Sicht.7

Die Bemühungen um die Interessen des Konzerns vollzogen sich vor dem Hintergrund bedeutender politischer und wirtschaftlicher Veränderungen. Die Verteidiger der Konzerninteressen mussten sich immer wieder neuen Gegebenheiten stellen. Als Gründungsmitglied verschiedenster internationaler militärischer, politischer, und wirtschaftlicher Vereinigungen war das Großherzogtum fest in den Konsolidierungsprozess der westlichen Hemisphäre eingebunden. Daher hatte die Konfrontation der beiden Machtblöcke im Zuge des Kalten Krieges auch Auswirkungen auf die Verteidigung der Interessen der ARBED im Ostblock. In diesem Zusammenhang sind gerade Ausmaß und Form der Kontakte, die sich zwischen Luxemburg und den osteuropäischen Ländern entwickelten, besonders aufschlussreich. Sie erlauben Rückschlüsse über Handlungsspielräume und Aktionsradius der luxemburgischen Akteure im Rahmen des Ost-West-Konfliktes. So ordnet sich die Untersuchung in eine Reihe jüngst erschienener Studien ein, deren Fokus auf den Austausch zwischen Ost und West gerichtet ist.8

Die Interessenwahrung der ARBED berührte zudem die Außenhandels- und Außenwirtschaftspolitik. Gerade hier konnten die Vertreter des Großherzogtums nicht eigenständig agieren: Seit 1920 war Luxemburg mit Belgien in einer Wirtschaftsunion (Belgisch-Luxemburgische Wirtschaftsunion/Union économique belgo-luxembourgeoise/UEBL) verbunden. Handels- und Wirtschaftsabkommen mit Drittstaaten wurden in der Nachkriegszeit im Namen der UEBL und unter belgischer Leitung geschlossen.9 Nach luxemburgischem Verständnis fielen auch die Globalentschädigungsabkommen mit Ostblockstaaten in diesen Rahmen, da sie Entschädigungen für verlorenes Eigentum vorsahen und diese Leistungen an Wirtschaftsvereinbarungen koppelten. Die Wahrung der Konzerninteressen der ARBED ist somit auch vor dem Hintergrund der Beteiligung Luxemburgs an der UEBL zu sehen.

Eine eingehende Untersuchung der Firmenbeteiligungen der ARBED in Mittel- und Osteuropa und ihre Wahrung in der unmittelbaren Nachkriegszeit berühren demnach sehr unterschiedliche historische Forschungszweige. Die Untersuchung verbindet Elemente der Diplomatiegeschichte, der Geschichte der Internationalen Beziehungen, der Wirtschaftsgeschichte und der Unternehmensgeschichte. ← 4 | 5 →

II. Der Forschungsstand

1. Stand der internationalen und pluridisziplinären Forschung zu den tangierten Forschungsfeldern

Allgemein gelten die Bemühungen um den Schutz ausländischer Vermögenswerte der Industrie in Osteuropa als weitgehend unerforscht. Die spärlichen Informationen, die sich in der Literatur finden lassen, entsprangen sowohl den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften als auch unterschiedlichen Zweigen der Geschichtsforschung und verorten dadurch die Problematik an einer Schnittstelle verschiedenster Forschungszweige. Freilich hat sich bisher keine Disziplin dazu berufen gefühlt, dem Sachverhalt eingehend auf den Grund zu gehen.

Das ist insofern erstaunlich, da die Problematik um den ausländischen Besitz in Unternehmen im Ostblock in direkter kausaler und thematischer Nähe zu den offenen oder vermeintlich offenen Vermögensfragen10 im ehemaligen Ostblock verortet ist, welche bis zum heutigen Tag nichts an ihrer Brisanz verloren haben. Solch offenen Vermögensfragen lassen sich eine ganze Reihe von Sachverhalten, welche teilweise miteinander verbunden sind, zuordnen, wie etwa die Frage der Zwangsmigration11, die Problematik um das Raub- und Beutegut im Ostblock oder auch das Schicksal des jüdischen Vermögens. ← 5 | 6 →

Offene Vermögensfragen sind zudem mit einer gewissen Regelmäßigkeit Gegenstand des öffentlichen Diskurses und stellen bisweilen sogar zwischenstaatliche Beziehungen auf die Probe.12 Damit einher gehen bis heute Klagen oder Forderungen nach Wiedergutmachung, Restitutionen oder Reparationen13, welche von einzelnen Bürgern, von privaten oder staatlichen Interessensverbänden oder auch von Regierungen eingereicht bzw. geäußert werden.14 ← 6 | 7 → Gerade der Fall der Berliner Mauer und der Zusammenbruch der UdSSR haben hier lange schwelende internationale vermögensrechtliche Fragen wieder aufgeworfen.15 ← 7 | 8 →

Neben dem Politikum dieser Fragen berühren offene Vermögensfragen verschiedene Rechtsnormen sowohl der staatlichen als auch der überstaatlichen Rechtsordnung. Daher verwundert es nicht, dass den verschiedenen Sachverhalten vor allem in der Rechtswissenschaft besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Die aus dem Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit resultierenden internationalen vermögensrechtlichen Veränderungen und Kontroversen im ehemaligen Ostblock waren vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit häufig Untersuchungsgegenstand der Rechtswissenschaften.16 In Westdeutschland wurde die Thematik in zwei Fachzeitschriften aufgegriffen.17

Untersuchungsgegenstand der rechtswissenschaftlichen Untersuchungen waren in erster Linie nationale wie internationale Gesetzestexte und Beschlüsse. Der Fokus lag weniger auf den Rahmenbedingungen und die im Vorfeld der Gesetzestexte stattgefundenen Verhandlungen.

In der relevanten rechtswissenschaftlichen Literatur lassen sich verschiedene Schwerpunkte feststellen:

Details

Seiten
XVI, 482
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653053203
ISBN (ePUB)
9783653971583
ISBN (MOBI)
9783653971576
ISBN (Hardcover)
9783631660362
DOI
10.3726/978-3-653-05320-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Februar)
Schlagworte
Kalter Krieg Industrieunternehmen Diplomatie Außenwirtschaftspolitik
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. XVI, 482 S., 3 farb. Abb., 2 s/w Abb.

Biographische Angaben

Marc Birchen (Autor:in)

Marc Birchen studierte Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn sowie an der Universität Luxemburg, wo er 2013 promoviert wurde. Seine Forschungsinteressen umfassen die Luxemburger Unternehmensgeschichte und Außenpolitik sowie die Geschichte des Kalten Krieges.

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