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Rechtsprobleme des fremdfinanzierten Immobilien- und Anteilserwerbs

Widerruf und Schadensersatz nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 25. Oktober 2005

von Andrea Bergmann (Autor:in)
©2015 Dissertation 332 Seiten

Zusammenfassung

Nach den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen Schulte und Crailsheimer Volksbank aus dem Jahr 2005 atmeten viele Kleinanleger auf: Das Gericht entschied, dass eine Bank bei unterbliebener Belehrung über das Widerrufsrecht die Folgen der Verwirklichung der Risiken zu tragen habe, die mit der finanzierten Kapitalanlage verbunden waren. Mit dieser europäisch vorgegebenen Verbraucherschutzlinie verbanden viele Darlehensnehmer die Hoffnung, von den Verbindlichkeiten der gescheiterten Anlage freigestellt zu werden. Doch wie lässt sich der Inhalt der europäischen Urteile im deutschen Recht umsetzen? Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Ausübung des Widerrufsrechts und der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen und nimmt zudem verjährungsrechtliche Fragestellungen in den Blick.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Gliederung
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Teil: Einleitung
  • A. Einführung in die Problematik
  • B. Gang der Untersuchung
  • 2. Teil: Folgen einer unterbliebenen Widerrufsbelehrung
  • A. Die Ausgangslage
  • B. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Heininger
  • C. Die Reaktion der deutschen Gerichte und des deutschen Gesetzgebers
  • D. Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen Schulte und Crailsheimer Volksbank
  • E. Die Widerrufsbelehrung
  • F. Widerruf des Darlehensvertrags
  • I. Das Widerrufsrecht gem. § 312 Abs. 1 BGB
  • 1. Anwendbarkeit des § 312 Abs. 1 BGB bei Nichtbelehrung durch den Unternehmer
  • a) Realkreditvertrag vor Einführung des Widerrufsrechts
  • aa) Geltung der neuen Verbraucherschutznormen für Altverträge
  • bb) Verhältnis von Art.229 § 5 S. 2 und § 9 EGBGB
  • cc) Europarechtskonforme Auslegung für Altverträge
  • (1) Richtlinienkonforme Auslegung der §§ 491 Abs. 3 Nr. 1 BGB a. F., 3 Abs. 2 Nr. 2 VKrG a. F.
  • (2) Richtlinienkonforme Auslegung der §§ 5 Abs. 2 HWiG, 312a BGB a. F.
  • (aa) Auslegungsfähigkeit der §§ 5 Abs. 2 HWiG, 312a BGB a. F.
  • (bb) Gibt es einen der europarechtskonformen Auslegung entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers?
  • (cc) Auswirkungen eines dem Europarecht entgegenstehenden Willens des nationalen Gesetzgebers
  • (dd) Zwischenergebnis
  • b) Personalkreditvertrag und Verträge im Geltungsbereich des § 355 Abs. 3 S. 1 BGB a. F.
  • aa) Richtlinienkonforme Auslegung des § 7 Abs. 2 VKrG oder § 355 Abs. 3 S. 1 BGB a. F.
  • bb) Richtlinienkonforme Auslegung des § 312a BGB a. F.
  • 2. § 312 Abs. 1 BGB bzw. § 3 HWiG und ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung nach Verbraucherdarlehensrecht
  • 3. § 312 Abs. 1 BGB und Fiktion der Nichtausübung gem. § 7 Abs. 3 VKrG
  • 4. Zusammenfassung
  • II. Tatbestandsvoraussetzungen des § 312 Abs. 1 BGB
  • 1. Haustürgeschäft
  • a) Bereich der Privatwohnung
  • b) Zum Vertragsabschluss bestimmt worden sein
  • aa) Europarechtskonforme Auslegung bei überschießender Umsetzung
  • bb) Zusammenhang zwischen Überrumpelung und Vertragsschluss
  • c) Zurechnung analog § 123 Abs. 2 BGB
  • 2. Erlöschen des Widerrufsrechts infolge Fristablaufs
  • 3. Erlöschen des Widerrufsrechts mit Ablauf eines Monats nach beiderseits vollständiger Erbringung der Leistung
  • a) Die Rechtssache Hamilton am OLG Stuttgart
  • b) Das EuGH-Urteil in der Rechtssache Hamilton (C-412/06)
  • c) Stellungnahme
  • aa) Fehlende Europarechtskonformität des § 2 Abs. 1 S. 4 HWiG
  • bb) Möglichkeit einer europarechtskonformen Auslegung des § 2 Abs. 1 S. 4 HWiG
  • (1) Europarechtskonformes Verständnis des § 2 Abs. 1 S. 4 HWiG durch verbundspezifische Auslegung des Begriffs der „Leistung“
  • (2) Das Merkmal der Kenntnis oder Kenntnisnahmemöglichkeit des Verbrauchers als Weg zur Europarechtskonformität des § 2 Abs. 1 S. 4 HWiG
  • d) Erlöschen des Widerrufsrechts infolge beiderseitiger Erbringung der Leistung nach Abschaffung des § 2 Abs. 1 S. 4 HWiG
  • e) Zwischenergebnis
  • 4. Verwirkung des Widerrufsrechts
  • III. Rechtsfolgen des Widerrufs des Darlehensvertrags
  • 1. Rückabwicklung von verbundenen Verträgen gem. §§ 358, 357, 346 BGB bzw. gem. § 9 VKrG i. V. m. §§ 361a, 346 BGB a. F.
  • a) Der Begriff der wirtschaftlichen Einheit
  • b) Annahme einer wirtschaftlichen Einheit
  • aa) Darlehen zum Erwerb von Fondsanteilen bei einem Abschluss der Verträge nach dem 1. August 2002
  • (1) Kenntnis des Darlehensgebers von der Mitwirkung des Unternehmers
  • (2) Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft
  • (a) Auswirkungen auf das bilaterale Rückabwicklungsverhältnis zwischen Verbraucher und Darlehensgeber
  • (b) Vereinbarkeit der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft mit der Haustürgeschäfterichtlinie
  • bb) Darlehen zum Erwerb eines Grundstücks (Abschluss nach dem 1. August 2002)
  • (1) Verschaffen des Grundstücks oder grundstücksgleichen Rechts gem. § 358 Abs. 3 S. 3 Var. 1 BGB
  • (a) Personenidentität
  • (b) Rechtliche oder wirtschaftliche Identität
  • (c) Eigene Position: Verschaffen durch Vermittlungstätigkeit
  • (2) Über die Darlehensgewährung hinausgehende Erwerbsförderung gem. § 358 Abs. 3 S. 3 Var. 2 BGB
  • (a) Zu-Eigen-Machen der Veräußerungsinteressen gem. § 358 Abs. 3 S. 3 Var. 2 Fall 1 BGB
  • (b) Funktionsübernahme im Bereich von Planung, Werbung oder Durchführung des Projekts gem. § 358 Abs. 3 S. 3 Var. 2 Fall 2 BGB
  • (aa) Projektplanung gem. § 358 Abs. 3 S. 3 Var. 2 Fall 2 Unterfall 1 BGB
  • (bb) Projektwerbung gem. § 358 Abs. 3 S. 3 Var. 2 Fall 2 Unterfall 2 BGB
  • (cc) Projektdurchführung gem. § 358 Abs. 3 S. 3 Var. 2 Fall 2 Unterfall 3 BGB
  • (c) Einseitige Begünstigung des Veräußerers gem. § 358 Abs. 3 S. 3 Var. 2 Fall 3 BGB
  • (d) Ausschluss der wirtschaftlichen Einheit durch Aufklärung seitens des Darlehensgebers
  • cc) Realkreditverträge (Abschluss vor dem 1. August 2002)
  • (1) Der Ausschlusstatbestand des § 3 Abs. 2 Nr. 2 VKrG a. F. bzw. § 491 Abs. 3 Nr. 1 BGB a. F.
  • (2) Die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes
  • (3) Das verbundene Geschäft analog § 9 VKrG oder gem. § 242 BGB
  • c) Weitere (mögliche) Rechtsfolgen des Widerrufs beim verbundenen Geschäft: Einwendungsdurchgriff und der sog. Rückforderungsdurchgriff
  • aa) Einwendungsdurchgriff
  • bb) Rückforderungsdurchgriff
  • d) Rückabwicklung bei teilweiser Eigenfinanzierung
  • 2. Isolierte Rückabwicklung gem. §§ 357, 346 BGB
  • a) Rückabwicklung gem. §§ 357, 346 Abs. 1 BGB
  • b) Wegfall der Verpflichtung zur Rückzahlung des Darlehensbetrags gem. §§ 357 Abs. 3 S. 3, 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB
  • c) Rückabwicklung gem. §§ 357, 346 BGB i. V. m. einer Ausnahme von der Saldotheorie oder Treu und Glauben
  • d) Zahlung von Zinsen durch den Verbraucher
  • e) Sofortige Rückzahlbarkeit der Darlehensvaluta
  • aa) Im Schrifttum vertretene Auffassungen
  • bb) Eigene Positionen: Stundungseinrede und Stundungsgewährungspflicht
  • (1) Stundungseinrede des Verbrauchers
  • (2) Pflicht des Darlehensgebers zur Stundungsgewährung
  • 3. Fazit zur Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung im deutschen Widerrufsrecht
  • G. Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Belehrungspflicht
  • I. Pflichtverletzung durch Nichterteilung der Widerrufsbelehrung
  • II. Schaden
  • III. Ursächlichkeit der Belehrungspflichtverletzung für den Schadenseintritt
  • 1. Die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens
  • 2. Das Erfordernis der hypothetischen Vermeidungsmöglichkeit
  • 3. Eigene Position: Vermutung belehrungsrichtigen Verhaltens und Prüfung des Einzelfalls
  • IV. Vertretenmüssen
  • 1. Verschuldensunabhängige Haftung
  • 2. Bestimmung eines abweichenden Haftungsmaßstabs (§ 276 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB)
  • 3. Strengerer Haftungsmaßstab aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses (§ 276 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB)
  • 4. Fahrlässiges Verhalten des Darlehensgebers (§ 276 Abs. 1 BGB)
  • 5. Eigene Position
  • V. Fazit zur Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung im deutschen Schadensersatzrecht unter Anknüpfung an die Verletzung der Belehrungspflicht
  • H. Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht
  • I. Bestehen einer Aufklärungspflicht hinsichtlich der Immobilienkapitalanlage
  • 1. Konkreter Wissensvorsprung des Darlehensgebers
  • a) Institutionalisiertes Zusammenwirken und widerlegliche Vermutung der Kenntnis der Bank
  • aa) Voraussetzungen für ein institutionalisiertes Zusammenwirken
  • (1) Institutionalisiertes Zusammenwirken aufgrund einer ständigen Geschäftsbeziehung
  • (a) Ausfüllung des Merkmals durch die Rechtsprechung
  • (b) Probleme in der juristischen Praxis
  • (c) Kritik
  • (2) Arglistige Täuschung
  • (a) Anforderungen an das Merkmal der arglistigen Täuschung
  • (b) Arglistige Täuschung als zwingendes Erfordernis?
  • (3) Evidenz der Unrichtigkeit der Angaben
  • (a) Grob falsche Angaben
  • (b) Aufdrängen des Sich-Verschließens
  • bb) Rechtsfolge: Widerlegliche (tatsächliche) Vermutung der Kenntnis der Bank
  • cc) Verhältnis von institutionalisiertem Zusammenwirken und verbundenem Geschäft gem. § 358 BGB bzw. § 9 VKrG
  • b) Abschließende Beurteilung
  • 2. Schaffen oder Aufrechterhalten eines besonderen Gefährdungstatbestands
  • a) Funktionsweise und Rechtsnatur einer Mieteinnahmegesellschaft
  • b) Das Verlangen des Beitritts zu einer Mieteinnahmegesellschaft als Schaffen eines Gefährdungstatbestands
  • aa) Die Rechtsauffassung des OLG Celle und das Echo des Bundesgerichtshofs
  • bb) Stellungnahme
  • cc) Der Mietpool als spezifisches Risiko nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung
  • c) Übertragbarkeit der Grundsätze zur widerleglichen Vermutung der Kenntnis als Folge institutionalisierten Zusammenwirkens
  • 3. Bestehen einer aufklärungsbedürftigen Interessenkollision
  • 4. Gravierende Rollenüberschreitung des Darlehensgebers
  • II. Ursächlichkeit der Aufklärungspflichtverletzung für den konkreten Schadenseintritt
  • 1. Kausalitätsprüfung in der Fallgruppe des Wissensvorsprungs
  • 2. Kausalitätsprüfung im Fall der Beitrittsklausel zu einem Mietpool
  • a) Die Rechtsprechung des OLG Celle und die gegenteilige Auffassung des Bundesgerichtshofs
  • b) Stellungnahme
  • III. Vertretenmüssen
  • I. Schadensersatzanspruch wegen arglistiger Täuschung
  • J. Fazit zur Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung im deutschen Schadensersatzrecht unter Anknüpfung an die Verletzung einer Aufklärungspflicht
  • 3. Teil: Verjährung der Ansprüche des Verbrauchers
  • A. Verjährung des durch den Haustürwiderruf entstandenen Rückzahlungsanspruchs des Verbrauchers
  • B. Verjährung von Schadensersatzansprüchen des Verbrauchers
  • I. Kein Beginn des Verjährungsfristlaufs bei fehlender Zumutbarkeit der Klageerhebung
  • II. Ersatzanspruch wegen Verletzung der Belehrungspflicht
  • III. Ersatzanspruch wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht
  • 1. Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände
  • 2. Unzumutbarkeit der Klageerhebung vor dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. Mai 2006?
  • 4. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen
  • Literaturverzeichnis

← 16 | 17 →1. Teil: Einleitung

A. Einführung in die Problematik

Der Abschluss eines Darlehensvertrags zur Finanzierung eines Erwerbs ist ein ganz alltäglicher Vorgang. Ist der Erwerb jedoch auf eine Immobilie gerichtet, so handelt es sich bei dem Abschluss des dazugehörigen Finanzierungsvertrags angesichts der Höhe der Verpflichtung und der Laufzeit des Vertrags um eines der wichtigsten Rechtsgeschäfte überhaupt, die ein Mensch in seinem Leben eingeht.1 Für viele bleibt dies ein einmaliger Akt.2 Angesichts der Bedeutung eines solchen Rechtsgeschäfts und des regelmäßig bestehenden Informationsgefälles zwischen der Erwerber- und der Veräußerer-/Finanziererseite sind klare zivilrechtliche Regelungen zu den (Gestaltungs-)Rechten und Pflichten der Vertragspartner unabdingbar. Sie finden sich heute unter anderem in den §§ 312, 312a, 355, 357-360, 488-503 BGB.

Die Tragweite des Geschäfts und die Unerfahrenheit der Kleininvestoren erfordern in ganz besonderem Maße, dass vor Abschluss der Verträge über alle relevanten Umstände aufgeklärt wird und dem Anleger genug Zeit bleibt, um sich nötige Informationen selbst zu beschaffen. Anfang der 90er Jahre setzte sich in Deutschland jedoch ein Geschäftsmodell durch, das gerade dies verhinderte. Breite Schichten von Anlegern wurden an ihrer Haustüre eingeworben; ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit spielte damals dank der Möglichkeit der Vollfinanzierung durch Kreditinstitute eine sekundäre Rolle.3 Der nach der deutschen Wiedervereinigung ausgelöste Immobilienboom war nicht nur die große Stunde von Gründern, Initiatoren, Bauträgern, Vermittlern und Baulöwen aller Art4, sondern auch die Zeit (heute) missbilligter Vertriebssysteme, die für die ersten Kontaktgespräche auf den unangekündigten Besuch in den Privaträumen der potenziellen Neukunden setzten. Eine Belehrung über ein aus dieser Haustürsituation resultierendes Widerrufsrecht fand häufig nicht statt. Nach Schätzungen von Verbraucherexperten sollen etwa 300.000 Anleger bundesweit auf diese Weise Vermögen angelegt und zu großem Teil verloren ← 17 | 18 →haben.5 Die Gesamtsumme der Kredite zur Finanzierung der Kapitalanlagen bewegt sich etwa im zweistelligen Milliardenbereich.6

Was kann ein Verbraucher tun, der – in seinem privaten Umfeld überrumpelt – auf schmaler Informationsbasis die Entscheidung zum Abschluss einer fremdfinanzierten Immobilienkapitalanlage getroffen hat, die sein gesamtes Leben finanziell negativ beeinflussen wird und an der er sich wirtschaftlich verhoben hat? Anfang der 90er Jahre nicht viel. Ein Widerrufsrecht war nach allgemeiner Auffassung und Rechtsprechung trotz Haustürsituation ausgeschlossen. Dem Informationsgefälle zwischen Kleinanleger und Vertriebsmitarbeiter, das in einer Haustürsituation angesichts der Überrumpelung in deutlicherem Maße bestand als in einer Situation, in der sich der potenzielle Erwerber vorbereiten konnte, wurde nicht mit einer Pflicht zur Belehrung über die Widerruflichkeit des Vertrags begegnet. Dabei konnte für den Verbraucher nicht nur das Kapitalanlageobjekt als solches, sondern auch die gewählte Finanzierungsform mit Nachteilen behaftet sein.7

In der grundsätzlichen Problemkonstellation gibt es bis zu vier Akteure: den Verbraucher auf der einen Seite, das Vertriebsunternehmen, das ihn in seinem Privatbereich anspricht und zum Abschluss der Verträge bewegt, das Finanzierungsinstitut sowie den Fondsinitiator oder Immobilienverkäufer. Mit der Frage, wie eine in einer Haustürsituation zustande gekommene gescheiterte fremdfinanzierte Immobilienkapitalanlage abzuwickeln ist, haben sich nicht nur deutsche Gerichte umfassend beschäftigt. In der europäischen Rechtsprechungsgeschichte gibt es mit den Entscheidungen, die unter den Namen „Heininger“, „Schulte“ und „Crailsheimer Volksbank“ bekannt geworden sind, drei Urteile des Europäischen Gerichtshofs, denen sich Grundsätze zur Behandlung dieser Fälle im Lichte der Europäischen Haustürgeschäfterichtlinie (RL 85/577/EWG) entnehmen lassen.

Die vorliegende Arbeit versteht sich als Vorschlag, wie die Entscheidungen umzusetzen sind. Sie setzt sich mit Reaktionen aus Literatur und nationaler Rechtsprechung auf die europäische Linie auseinander und formuliert eigene Thesen.

← 18 | 19 →B. Gang der Untersuchung

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Möglichkeit des Verbrauchers, einen zur Finanzierung einer fehlgeschlagenen Immobilienkapitalanlage abgeschlossenen Darlehensvertrag zu widerrufen und/oder Schadensersatz zu verlangen. Der erste Teil der Untersuchung widmet sich der Möglichkeit und den Rechtsfolgen eines Widerrufs für den Fall, in dem die Belehrung über das Bestehen des Widerrufsrechts unterblieben ist. Sodann wird erörtert, ob und in welchem Umfang aufgrund einer unterbliebenen Widerrufsbelehrung Schadensersatzansprüche bestehen können. Schließlich werden mögliche Schadenersatzansprüche aufgrund der Verletzung einer Aufklärungspflicht in den Fokus genommen.

Die gesamte Untersuchung der Gestaltungsrechte und möglichen Ansprüche des Verbrauchers erfolgt vor dem Hintergrund der Urteile des Europäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen Schulte und Crailsheimer Volksbank. Angesichts des langen Zurückliegens einer Vielzahl der betroffenen Sachverhalte widmet sich der dritte Teil der Arbeit der Frage der Verjährung, ehe am Ende der Dissertation eine Zusammenfassung der erarbeiteten Ergebnisse in Thesen stattfindet.← 19 | 20 →

_______

1 Knops in Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, Kapitel 9 Rn. 1.

2 Knops aaO.

3 Vgl. Derleder NZM 2006, 449 (449); Lechner NZM 2005, 921 (921).

4 Vgl. Derleder aaO.

5 Süddeutsche Zeitung, Artikel vom 2. Juni 2005, abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/europaeischer-gerichtshof-kompromiss-im-verfahren-um-schrottimmobilien-1.899716.htm

6 Süddeutsche Zeitung aaO.

7 Hofmann WM 2006, 1847 (1851 ff.).

← 20 | 21 →2. Teil: Folgen einer unterbliebenen Widerrufsbelehrung

Die Folgen des Unterbleibens einer Widerrufsbelehrung bei Abschluss oder Anbahnung einer fremdfinanzierten Immobilienkapitalanlage in einer Haustürsituation haben sich durch Rechtsprechung und durch Gesetzesänderungen verändert.

A. Die Ausgangslage

Für Verbraucherdarlehensverträge, die in einer Haustürsituation zur Finanzierung des Erwerbs einer Immobilie abgeschlossen und grundpfandrechtlich abgesichert wurden, war in Deutschland lange Zeit kein Widerrufsrecht vorgesehen. § 3 Abs. 2 Nr. 2 des Verbraucherkreditgesetzes und seine Nachfolgevorschrift § 491 Abs. 3 Nr. 1 BGB a. F. schlossen die Widerrufsbestimmungen in einem solchen Fall aus.8 Der Grund hierfür lag darin, dass das Vertragsmodell aufgrund der taggenau kalkulierten Refinanzierung als „widerrufsfeindlich“ galt.

Während das Widerrufsrecht nach dem Verbraucherdarlehensrecht also nicht bestand – die Anwendung des § 495 BGB bzw. § 7 des Verbraucherkreditgesetzes wurde ausgeschlossen –, regelte § 5 Abs. 2 des Haustürwiderrufsgesetzes bzw. § 312a BGB a. F., dass das Verbraucherdarlehensrecht für Verbraucherdarlehensverträge Vorrang habe, auch wenn diese in einer Haustürsituation abgeschlossen worden seien.9 Damit war auch kein Widerrufsrecht nach dem Haustürgeschäfterecht gegeben.

← 21 | 22 →Ein eventuell abweichendes Ergebnis wurde durch § 355 Abs. 3 S. 1 BGB verhindert. Die Vorschrift bestimmte damals (wie heute in Absatz 4 geregelt), dass ein etwaig bestehendes Widerrufsrecht generell sechs Monate nach Vertragsschluss erlischt, wobei ein Erlöschen heute nur dann eintreten soll, wenn eine Belehrung über das Widerrufsrecht in Textform gem. § 360 Abs. 1 BGB erfolgt ist.

Waren Verbraucherdarlehensverträge nicht durch ein Grundpfandrecht gesichert, bestand zwar ein Widerrufsrecht nach den Verbraucherdarlehensvorschriften (§ 495 Abs. 1 BGB a. F. bzw. § 7 Abs. 1 VKrG). Es gab jedoch Vorschriften, aufgrund derer das Widerrufsrecht erlosch: Auch bei Nichtbelehrung ging das Widerrufsrecht nach dem Verbraucherkreditgesetz spätestens ein Jahr nach Abgabe der zum Vertragsschluss führenden Willenserklärung seitens des Verbrauchers oder ggf. früher mit vollständiger beiderseitiger Leistungserbringung unter (§ 7 Abs. 2 VKrG). Die Vorschrift entfiel mit der Einführung des § 355 BGB als Widerrufs-Blankettnorm im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 97/7/EG10. Nach der zentralen Neuregelung des Widerrufsrechts in § 355 BGB trat ein Erlöschen des Widerrufsrechts spätestens nach sechs Monaten unabhängig davon ein, ob der Unternehmer über das Recht zum Widerruf belehrt hatte oder nicht. Die Norm, die im Wesentlichen eine Beibehaltung des § 361a BGB a. F. darstellt und die Regelungen über das Widerrufsrecht bündelt, wurde insoweit dem § 7 Abs. 2 VKrG, einer der Vorgängervorschriften des § 361a BGB, nicht angepasst.

Darüber hinaus lag bis zum 1. August 2002 ein weiterer Stolperstein auf dem Weg des Verbrauchers zum Widerruf: Die Widerrufserklärung galt gem. § 495 Abs. 2 BGB a. F.11 als nicht abgegeben, wenn der Verbraucher das Darlehen nicht binnen zwei Wochen zurückgezahlt hatte. Die sog. Nichtausübungsfiktion des § 7 Abs. 3 VKrG wurde damit zunächst ins Bürgerliche Gesetzbuch integriert. Wegen der eindeutigen Vorschrift in § 312a BGB a. F.12 war es dem Vertragspartner der Bank dann trotz Haustürsituation verwehrt, sich auf ein Widerrufsrecht gem. § 312 Abs. 1 BGB13 zu berufen.

← 22 | 23 →B. Die Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Heininger

Diese Rechtslage, nach der Haustürgeschäfte über Kleinstgegenstände widerruflich waren, finanziell bedeutsame Verträge über Immobilien jedoch nicht, provozierte unzählige Rechtsstreitigkeiten. Eine davon war die „Rechtssache Heininger14“: Die Kläger, das Ehepaar Georg und Helga Heininger, verlangten vor dem Elften Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Rückzahlung von Zins-und Tilgungsleistungen sowie die Erstattung von Aufwendungen aus einem Darlehensvertrag von der finanzierenden Bank. Sie trugen vor, zum Vertragsschluss mit der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG sei es dadurch gekommen, dass sie mehrfach unaufgefordert zu Hause von einem ihnen bekannten Immobilienmakler aufgesucht worden seien, der freiberuflich für die Beklagte tätig war. Im Rahmen dieser Besuche seien sie zum Kauf einer Wohnung und zum Abschluss eines Darlehensvertrags überredet worden. Die Absicherung des Darlehens erfolgte über eine Grundschuld, eine Belehrung über ein Recht zum Widerruf blieb aus. Knapp fünf Jahre nachdem sie den Vertrag abgeschlossen hatten, widerriefen die Heiningers ihre Erklärung gem. § 1 HWiG.

Der Streit landete vor dem Europäischen Gerichtshof. Er befasste sich erstmals mit einem grundpfandrechtlich abgesicherten Verbraucherdarlehen zur Finanzierung eines Grundstücksgeschäfts, also mit einem Immobiliardarlehen, das, so nahm man jedenfalls bis dato an15, in Deutschland unter den Voraussetzungen eines Haustürgeschäfts zustande gekommen war.

Am 13. Dezember 2001 urteilte das Gericht, dass die Haustürgeschäfterichtlinie, die den europarechtlichen Boden für das Widerrufsrecht gem. § 312 Abs. 1 BGB bereitet, auch für Immobiliardarlehensverträge gilt. Dieses Ergebnis stützt sich im Wesentlichen auf zwei Erwägungen: Zum einen solle durch die Gewährung eines Widerrufsrechts dem Überraschungsmoment begegnet werden, das infolge der Überrumpelung an der Haustür geschaffen wird.16 Dem Verbraucher ← 23 | 24 →müsse die Möglichkeit eingeräumt werden, seine Entscheidung zu überdenken und Angebote am Markt zu vergleichen.17 Diese Zielsetzung bestehe gleichermaßen bei Darlehensverträgen, die durch ein Grundpfandrecht abgesichert werden.

Zum anderen machte das Gericht deutlich, dass eine Anwendung der Ausnahmevorschrift aus Art. 3 Abs. 2a RL 85/577/EWG18 nicht in Betracht komme. Nach dieser Vorschrift werden bestimmte Verträge, unter anderem solche über Rechte an Immobilien, aus dem Anwendungsbereich der europäischen Haustürgeschäfterichtlinie ausgenommen. Ein Immobiliardarlehensvertrag sei jedoch kein Vertrag über Rechte an Immobilien im Sinne der Vorschrift und falle daher nicht aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie. Dies wird zutreffend damit begründet, dass er ausschließlich die Gewährung von Kapital zum Gegenstand habe und die grundpfandrechtliche Absicherung unabhängig davon bestehe.19 Ebenfalls überzeugend weist der Europäische Gerichtshof darauf hin, dass der Schutzzweck der Haustürgeschäfterichtlinie durch die Absicherung eines Vertrages durch ein Grundpfandrecht nicht entbehrlich werde.20

Insgesamt hat sich der Europäische Gerichtshof auch in einem anderen Verfahren dahingehend positioniert, dass den Verbraucherschutz beschränkende Vorschriften eng auszulegen seien.21 Damit in Einklang steht, auch durch Verbraucher abgeschlossene Realkreditverträge aus dem Anwendungsbereich der Haustürgeschäfterichtlinie nicht herauszunehmen. Zudem verstoße eine nationale Befristungsregelung, die das Erlöschen des Widerrufsrechts ein Jahr nach Vertragsabschluss unabhängig vom Vorliegen einer Belehrung vorsehe, gegen Art. 4 der Richtlinie.22 Hinter der Befristung stehende Motive wie die Gewährleistung von Rechtssicherheit müssten angesichts der Bedeutung des Widerrufsrechts als Schutz vor den Gefahren des Vertragsabschlusses außerhalb von Geschäftsräumen zurücktreten.23

Details

Seiten
332
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653052619
ISBN (ePUB)
9783653971903
ISBN (MOBI)
9783653971897
ISBN (Paperback)
9783631660201
DOI
10.3726/978-3-653-05261-9
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (März)
Schlagworte
Widerrufsbelehrung Rückabwicklung Belehrungspflicht
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 332 S.

Biographische Angaben

Andrea Bergmann (Autor:in)

Andrea Bergmann ist Volljuristin. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, wo sie auch anschließend als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig war. Nach Stationen in Berlin, Barcelona und Düsseldorf arbeitet sie nun als Richterin am Landgericht Münster.

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