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Topik und Thema

Untersuchungen zur Informationsstruktur in deutschen und ungarischen Erzähl- und Berichtstexten

von Bernadett Modrián-Horváth (Autor:in)
©2016 Dissertation 259 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch stellt ein kognitiv fundiertes konstruktionsbasiertes Modell der Informationsstruktur vor, das die Satz- und Textebene gleichermaßen berücksichtigt. Jeder Satz drückt eine spezielle Perspektive aus, realisiert durch Schemakomplexe aus Komponenten wie pronominaler und morphologischer Topikmarkierung, Wortfolge, Prosodie und Thematyp. Besonders drei Schematypen – die Themasetzung, das ereigniszentrierte Schema und die Topikkontinuierungsschema – zeigen sich theoretisch und empirisch relevant. Das Modell wird in einer deutsch-ungarischen Korpusanalyse erprobt. Die ermittelten Grundschemata weisen Korrelationen mit Texttyp, Satztyp und Inhaltstyp auf. Weitere Analysen betreffen diverse grammatische Phänomene, wie die Klammerstruktur oder die satzinitiale Stellung des schwachen Pronomens.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einführung
  • 1.1 Themenangabe und zentrale Gegenstände der Arbeit
  • 1.2 Zielsetzungen und Fragestellungen
  • 1.3 Der kontrastive Aspekt: strukturell-typologische Eigenschaften der untersuchten Sprachen
  • 1.4 Theoretischer Hintergrund
  • 1.5 Methoden der empirischen Untersuchungen
  • 1.6 Zum Aufbau der Arbeit
  • 2. Forschungsüberblick
  • 2.1 Einfache und mehrfache informationsstrukturelle Gliederung
  • 2.2 Formal orientierte informationsstrukturelle Modelle
  • 2.3 Funktional orientierte informationsstrukturelle Modelle
  • 2.3.1 Neuinterpretationen des Aboutness-Begriffs
  • 2.3.2 Kognitiver Status
  • 2.3.3 Topik als Referenzpunkt
  • 2.3.4 Thema als Ausgangspunkt
  • 2.3.5 Diskurstopik und Topikkontinuität
  • 2.4 Textlinguistisch orientierte Ansätze
  • 3. Theoretische Grundlegung
  • 3.1 Die Grundlagen des informationsstrukturellen Modells
  • 3.2 Satzstruktur und Informationsstruktur
  • 3.2.1 Kommunikative Einbettung
  • 3.2.2 Der elementare Satz als grundlegende Einheit der Informationsvermittlung
  • 3.2.3 Der Fokus und das informationsstrukturelle Prädikat
  • 3.2.3.1 Die Bestimmung des Fokus als Aussagekern
  • 3.2.3.2 Der Aspekt der Sprecherintention
  • 3.2.4 Das Konzept des informationsstrukturellen Prädikats
  • 3.2.4.1 Verbalsätze
  • 3.2.4.2 Nichtverbale und nichtfinite Sätze
  • 3.3 Satzstruktur und Informationsstruktur
  • 3.3.1 Sätze mit implizitem Aboutness-Thema
  • 3.3.2 Die Grenze zwischen Thema und ISP
  • 3.3.3 Thema, Fokus, Tail: Die informationsstrukturelle Dreiteilung des Satzes
  • 3.4 Kognitive Grundlagen der Topikinterpretation
  • 3.4.1 Kognitiver Status und Aboutnessrelation
  • 3.4.2 Aufmerksamkeit und Salienz: Figur-Grund-Gliederung vs. Fokus-Hintergrund-Gliederung
  • 3.4.3 Perspektivierung und Informationsstruktur
  • 3.5 Topik und Topikkontinuität
  • 3.5.1 Topikkontinuität und Perspektivierung
  • 3.5.2 Topiks und andere Diskursreferenten
  • 3.5.3 Unmarkiertheit und morphologische Markierung des Topiks
  • 3.5.4 Topik und Thema: Dynamik der Aufmerksamkeit auf der Satz- und Textebene
  • 3.6 Zusammenfassung
  • 4. Interpretationsmuster auf den Satzanfang bezogen
  • 4.1 Die Emergenz von Perspektivierungsmustern
  • 4.2 Das Konzept der informationsstrukturellen Schemata
  • 4.2.1 Ludger Hoffmanns ‚Funktionskomplexe‘
  • 4.2.2 Die vier Instruktionstypen in Vallduví/Engdahl (1996)
  • 4.3 Die Konstitution der Satzperspektivierung
  • 4.3.1 Intonation
  • 4.3.2 Thematypen
  • 4.3.2.1 Hallidays Theme-Auffassung
  • 4.3.2.2 Umdeutung der Thematypen
  • 4.3.3 Satzthema: Die Bedeutung der Reihenfolge
  • 4.3.4 Die Rolle der grammatikalisierten Satzstrukturen
  • 4.3.4.1 Verbzweit- bzw. ‚strukturelles Thema‘-Fokus-Sätze
  • 4.3.4.2 Die grammatikalisierte Struktur in Verbletztsätzen
  • 4.3.4.3 Verberststrukturen (Inversion) im Deutschen und im Ungarischen
  • 4.4 Globale Informationsstrukturierung
  • 4.4.1 Das Thema in Fragesätzen
  • 4.4.2 Das Thema in Aufforderungen
  • 4.5 Perspektivierungsmuster in Aussagesätzen
  • 4.5.1 Ereigniszentrierte Schemata
  • 4.5.2 Ereigniszentriertheit mit Topikkontinuität
  • 4.5.3 Themasetzung
  • 4.5.4 Übergang: Rahmensetzungselemente oder interpersonelle Themata am Satzanfang
  • 4.5.5 Die illokutive Kraft und Informationsstrukturierung von Nebensätzen
  • 4.6 Zusammenfassung
  • 5. Korpusanalyse
  • 5.1 Die Analyse von Erzähl- und Berichtstexten
  • 5.1.1 Vorstellung des Korpus
  • 5.1.2 Analyse der Topikkontinuität
  • 5.1.2.1 Probleme der Koreferenzanalyse
  • 5.1.2.2 Grammatische Mittel der Realisierung von Diskursreferenten in den untersuchten Sprachen
  • 5.1.2.3 Ergebnisse der Topikkontinuitätsanalyse
  • 5.2 Befunde bezüglich der Topikkontinuität
  • 5.2.1 Grammatische Ausdrucksmittel des kontinuierlichen Topiks
  • 5.2.2 Implizite Perspektivierung
  • 5.2.3 Lexikalische Ausdrucksmittel
  • 5.3 Analyse hinsichtlich der informationsstrukturellen Schemata
  • 5.3.1 Beschreibung der Schematypen
  • 5.3.2 Methodische Probleme der Analyse
  • 5.3.3 Ergebnisse der Analyse der Satzperspektivierung
  • 5.3.4 Auswertung der Ergebnisse
  • 5.3.5 Themasetzung nach schwach betonten Pronomina
  • 5.4 Ergebnisse bezüglich der Satzperspektivierung
  • 5.4.1 Das Topikkontinuierungsschema
  • 5.4.2 Themasetzung trotz Topikkontinuität
  • 5.4.3 Ereigniszentrierte Sätze
  • 5.4.4 Die Rolle verschiedener informationsstruktureller Aspekte beim Konstruieren der Schemata
  • 5.5 Pilotuntersuchungen in elektronischen Korpora: Begrenzte Kompatibilität der Schemata mit kommunikativen Inhalten
  • 5.5.1 Die Analyse
  • 5.5.2 Konsequenzen: Eingeschränkte Kombinierbarkeit von kommunikativen Inhalten mit den Schematypen
  • 5.6 Zusammenfassung
  • 6. Zusammenfassung und Ausblick
  • 6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
  • 6.2 Mögliche Anwendungsbereiche der Ergebnisse
  • 6.3 Offene Fragen
  • Quellenverzeichnis der Korpora
  • Abkürzungen
  • Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
  • Literaturverzeichnis
  • Sachregister

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1. Einführung

1.1  Themenangabe und zentrale Gegenstände der Arbeit

Das Thema meiner Doktorarbeit ist die Rolle der linken Satzperipherie bei der informationsstrukturellen Verarbeitung des elementaren Satzes (vereinfachend: Teilsatzes)1 im Deutschen und im Ungarischen sowie die Rolle des auf der textuellen Ebene definierten Topiks bei der Satzperspektivierung.

Unter Informationsstruktur im engeren Sinn wird ein komplexes Phänomen der Strukturierung versprachlichter Inhalte auf verschiedenen Organisationsebenen der Sprache (Handlungsebene, textuelle Organisation und (Teil)Satzebene) verstanden. Die Informationsstruktur – auch auf der Teilsatzebene, die hier vorrangig untersucht wird – entsteht aus der Zusammenwirkung verschiedener Faktoren, so der Bezogenheit (Aboutness), des kognitiven Status (Bekanntheit, mentale Aktiviertheit und diesbezügliche Phänomene) sowie der Perspektivierung (Darstellung von kognitiven Inhalten, hier: Ereignissen, von einem bestimmten Ausgangspunkt heraus), die sich aus der funktionalen Bestimmtheit der Sprach- und Informationsstruktur ergeben (s. 1.4).

Bei den Untersuchungen soll folgenden Aspekten besondere Prominenz eingeräumt werden:

  1. Der Möglichkeit der kontextuellen Eingliederung des Satzes in den Text, mit besonderem Hinblick auf die Topikkontinuität (kontinuierliche und wiederholte Bezugnahme auf Diskursreferenten);
  2. Der Möglichkeit der frühen Erkennung und Identifizierung illokutiver Intentionen;
  3. Der Einbeziehung diskursstruktureller Strategien (z. B. mit Hilfe von Konjunktionen, modalen Elementen oder Partikeln ausgedrückt) in die informationsstrukturelle Beschreibung der Sätze, die
  4. innerhalb und aufgrund von Texten als natürlichen sprachlichen Produkten erfolgen soll, sowie
  5. der Perspektivierung von Äußerungen und von größeren Diskurseinheiten.

Als Motivation dieser Arbeit gilt die Tatsache, dass noch kein zusammenfassendes Werk in der Literatur der Funktionalen Satzperspektive (vor allem in der ← 13 | 14 → Germanistik) existiert, das mit einem funktionalen Herangehen und auf empirischer Grundlage versucht hätte, die obigen Inhalte in die Beschreibung der Informationsstruktur von Sätzen (vor dem Hintergrund textlinguistisch relevanter Erkenntnisse) zu integrieren. Natürlich bedeuten bei dieser Integration die grundlegenden Monographien der jüngeren Fachliteratur mit jeweils anderen Schwerpunkten (wie Molnár 1991, Welke 1993, Lambrecht 1994/96) wichtige Meilensteine, doch diese müssen mit wesentlichen Aspekten ergänzt, auf empirische Grundlagen gestellt und aus einer übergreifenden Perspektive beleuchtet werden.

1.2  Zielsetzungen und Fragestellungen

Der Satzanfang oder mit anderem Terminus die linke Satzperipherie gehört entgegen seiner Bezeichnung keineswegs zu den „peripheren“ Teilen des Satzes, sondern ganz im Gegenteil, er ist aufgrund der zeitlich-linearen Gestaltung der Sprache dessen unabdingbarer Kernbereich.2 Die Arbeit geht wohl der Mehrheit der Linguisten (u. a. Halliday (1994)) folgend davon aus, dass der Satzanfang ausschlaggebend für die Interpretation des Satzes ist; das Thema wird als Ausgangspunkt für die mentale Verarbeitung des (Teil)Satzes interpretiert (die Präzisierung dieses Begriffs erfolgt im Wesentlichen im 3. und 4. Kapitel), während unter ‚Topik‘ das Diskurstopik verstanden wird, d. h. eine Einheit, die sich im Textzusammenhang als Figur hervorhebt und im Fokus der Aufmerksamkeit steht. Die Erfassung der Informationsstruktur als Perspektivierungstrategie ist der zentrale Aspekt der Arbeit, wobei auf andere, bei der Beschreibung unverzichtbare Aspekte wie der kognitive Status (Aktiviertheit), Bezogenheit (Aboutness) u. a. kontinuierlich zurückgegriffen und Bezug genommen wird.

Wie der Satzanfang und die viel diskutierten informationsstrukturellen Größen „Topik“, „Thema“ etc. zur Interpretation des Satzes genau beitragen, ist die zentrale Fragestellung dieser Arbeit. Insbesondere sind folgende Fragen klärungs-bzw. präzisierungsbedürftig:

  1. Wie interagieren die grammatische und informationsstrukturelle Gestaltung miteinander? Kann die grammatische Satzstruktur überhaupt ohne Rückgriff auf die Informationsstruktur beschrieben werden?
  2. Wie verhält es sich mit der kategorialen Bedeutung der am Satzanfang auftretenden Elemente, unter besonderer Berücksichtigung des Verbs und der ← 14 | 15 → undeklinierbaren Wortarten? Was ist die informationsstrukturelle Bedeutung dieser in der Fachliteratur oft nicht als Topik/Thema geltenden Elemente/Kategorien (Ausnahme: systemisch-funktionale Linguistik)?
  3. Mit welchem Modell können nichtdeklarative Satzmodi informationsstrukturell erfasst werden?

Diese Fragestellungen sollen auch zur Behebung der Desiderate der Fachliteratur beitragen. Solche Defizite sind vor allem die Unstimmigkeit bezüglich der Topikbegriffe, die Ignorierung vieler Wortarten bei der Informationsstruktur, die die Diskurssteuerung maßgeblich prägen, sowie der Mangel an empirischen Arbeiten, die das Funktionieren der informationsstrukturellen Organisation in dessen natürlicher Umgebung untersuchen.3

Das Ziel der Arbeit ist der Entwurf eines informationsstrukturellen Modells, das die unterschiedlichen Perspektivierungsformen der Sätze unter Einbeziehung der oben genannten insgesamt acht Punkte beschreiben, und diese Beschreibung auch bei der Analyse von Textkorpora nutzbar machen kann. Im Rahmen der Untersuchung werden, wie erwähnt, die sprachspezifischen Ausdrucksmittel der Informationsstrukturierung in beiden untersuchten Sprachen erfasst; dabei werden als primäre Anzeiger der globalen Informationsstrukturierung der Satzanfang und die Intonation vermutet. Aufgrund der früheren Arbeiten zu diesem Thema ist zu erwarten, dass diese und andere zu ermittelnde Komponenten sich in Schemata zusammenfassen lassen. Diese sind bei der möglichst schnellen Erfassung der Informationsstruktur des Satzes von Bedeutung, besonders im Fall von (konzeptionell und medial, s. Koch/Oesterreicher 1985) schriftsprachlichen Texten, welche als prototypisch geplante Texte in der Regel auch informationsstrukturell komplexer sind.4

In vorliegender Arbeit wird im ersten Anlauf die Modellierung der Informationsstruktur in der Schriftsprache versucht, doch es besteht durchaus die Notwendigkeit der Erweiterung bzw. Übertragung dieser Beschreibung auf die gesprochene Sprache. Das entwickelte Modell soll auch Unterschiede in den Perspektivierungsstrategien zwischen den untersuchten Textsorten, sowie zwischen ← 15 | 16 → grammatischen Satztypen (satzeröffnende Hauptsätze, Koordination und Subordination) zutage bringen. Wie sich die Realisierungsformen der Perspektivierungsmuster in den kontrastierten Sprachen zueinander verhalten, soll im Laufe der Untersuchungen auch in groben Zügen geklärt werden.

Als zusätzliche Zielsetzung und übergreifende Perspektive der Untersuchungen kommt der kontrastive Gesichtspunkt hinzu: Der kontrastive Gesichtspunkt ist bei der Erforschung der Informationsstruktur besonders vielversprechend, wobei laut Breul (2010) entweder die Form- oder die Funktionsseite der informationsstrukturellen Einheiten als tertium comparationis für die Kontrastierung dienen kann. Wie der Autor formuliert, „contrastive information structure analysis may be one of the factors that help information structure theory to reach the next stage in its development“ (Breul 2010: 287). Anhand der Kontrastierung der Ergebnisse und Modelle für die deutsche und ungarische Sprache wird danach gefragt, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten hinsichtlich der informationsstrukturellen Gliederung in beiden Sprachen zu finden, und worauf diese zurückzuführen sind; dabei werden kognitive und einzelsprachspezifische Erklärungen in Erwägung gezogen.

1.3  Der kontrastive Aspekt: strukturell-typologische Eigenschaften der untersuchten Sprachen

Die als Ziel gesetzte Präzisierung der informationsstrukturellen Theorien mittels empirischer Analysen erfolgt unter einem kontrastiven Aspekt: Deutsche und ungarische Texte in bestimmten schriftlichen Textsorten werden syntaktisch, intonatorisch und textlinguistisch untersucht. Diese Vorgehensweise bedarf weiterer Explikationen.

Die Kontrastsprachen Deutsch und Ungarisch vertreten Sprachen der indogermanischen bzw. finnougrischen Sprachfamilie, sind also genetisch nicht verwandt. Aus sprachtypologischer Sicht gehört das Deutsche zu den flektierenden, das Ungarische hingegen zu den agglutinierenden Sprachen, was natürlich ein Ergebnis einer groben morphosyntaktischen Klassifikation ist.

Ein weiterer typologischer Aspekt, der in Bezug auf die informationsstrukturelle Gliederung oft zitiert wird, ist die Wortstellungstypologie (vgl. v. a. Greenberg (1963); für eine informationsstrukturelle Anwendung s. z. B. Hinterhölzl (2009), Speyer (2010)). Auf dem heutigen Stand der Forschung lässt sich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit feststellen, zu welchem Typ das Deutsche und das Ungarische gehören, bzw. ob dieser Ansatz geeignet ist für die Beschreibung von stärker informationsstrukturell geprägten Sprachen wie das Deutsche oder das Ungarische. Die Schwierigkeiten der Zuordnung dieser Sprachen sind auf ← 16 | 17 → unterschiedliche Gründe zurückzuführen: Im Fall des Deutschen, wo in Haupt-und Nebensätzen zweifelsohne die Subjekterststellung dominiert, bereitet die Frage des Primats des Verbzweitsatzes oder des Verbletztsatzes (d. h. SVO oder SOV) Probleme, in anderen Ansätzen die unterschiedliche Platzierung der verschiedenen verbalen Bedeutungskategorien (der Analytisierungstendenz entsprechend das Finitum hauptsächlich als Träger der Bedeutungskategorien Tempus, Modus, Numerus und Person, die infiniten Teile als Träger der idiosynkratischen Verbbedeutung).5 Für das Ungarische ergibt sich die Unsicherheit bezüglich dieser Einordnung daraus, dass in den generativen Theorien für die syntaktische Grundstruktur mehrere potenzielle Topikpositionen postuliert werden, die mit beliebigen Argumenten besetzt werden können. Da diese ‚Topiks’ gleichrangig behandelt werden, wird gern über die statistische Tatsache hinweggesehen, dass die Subjekterststellung bei weitem der häufigste syntaktische Erscheinungstyp ist – sowohl in Sätzen mit einem syntaktisch definiertem Topik (vgl. É. Kiss/Kiefer/Siptár 1998 u. a.) als auch in Sätzen ohne ‚Topikposition‘. (Auf die syntaktischen und anderen Definitionsmöglichkeiten wird in Kap. 2 und 3 näher eingegangen.) Andererseits ist die Satzgliedrolle der dem Topik folgenden Konstituente auch nicht syntaktisch festgelegt, als nächstes kann ein ins Prädikat inkorporiertes Objekt oder das rhematisierte Verb auftreten (dies ergäbe eine prototypische Satzstruktur SOV oder SVO). Schließlich ist die Häufigkeit der Sätze ohne strukturelles Topik auch außerordentlich hoch (50–75%), so dass hier häufig auch rhematische Konstituenten (inkorporiertes Objekt, rhematisches Verb oder rhematisches Subjekt) am Satzanfang stehen, gefolgt vom Verb und anderen Hintergrundelementen (Folge OVS, VSO oder SVO).

Diese kurze Überlegung deutet schon an, dass die Greenberg’sche Wortstellungstypologie im Fall der untersuchten Sprachen wahrscheinlich keine adäquate Einordnungsmöglichkeit bietet. Der Grund dafür liegt in der stark pragmatischen Regelung der beiden Sprachen. Die pragmatische (d. h. hier: informationsstrukturelle) vs. grammatische Geregeltheit der Wortfolge wird gewöhnlich im Rahmen der Typologie der subjektprominenten vs. topikprominenten (subjektstrukturellen und themenstrukturellen) Sprachen beschrieben (Li/Thompson 1976). Nach der Erwägung der relevanten grammatischen und informationsstrukturellen Eigenschaften (É. Kiss 1981a, Lötscher 2006b) kann davon ausgegangen werden, dass sowohl die ungarischen als auch die deutschen ← 17 | 18 → Satzstrukturen grammatisch und informationsstrukturell geregelt sind, wobei es zwischen den beiden Sprachen graduelle Unterschiede gibt. Auf jeden Fall ist die wichtigste strukturelle Parallele hier festzuhalten: In der Fachliteratur beider Sprachen beziehen sich schon sehr frühe syntaktische Beschreibungen auf die informationsstrukturelle Zweiteilung des Satzes (seitens des Deutschen: Drach (1937), Boost (1955); seitens des Ungarischen: Fogarasi (1838), Kicska (1891), Brassai (1860; 1863)), indem eine klar abgrenzbare Position mit speziellen informationsstrukturellen Funktionen am Satzanfang beobachtet bzw. postuliert wurde. Die unbestreitbare Wichtigkeit des Satzanfangs für potenzielle Aboutness-Topiks und andere informationsstrukturell relevante Größen sowie die relative Abgegrenztheit von dem Prädikationsteil (im Ungarischen: durch die hauptakzentuierte Konstituente, im Deutschen durch das Finitum) liefert aber auch die teilweise theoretische und empirische Vergleichbarkeit der untersuchten Sprachen für die vorliegende Arbeit.

1.4  Theoretischer Hintergrund

Als theoretischer Hintergrund zur vorliegenden Arbeit dient die Funktionale Grammatik – insbesondere die Arbeiten von Halliday (1994), Halliday/Matthiessen (2004), Dik (1989; 1997), Welke (1993; 2005) und Hoffmann (2003b; 2013), ergänzt mit Einsichten der funktional-kognitiven Grammatik (bes. Tolcsvai Nagy (2001; 2002), Langacker (1999; 2008; 2009)). Die Prinzipien der funktionalen Grammatik bilden dabei ständig die Basis: An eine funktionale Theorie werden Anforderungen wie funktionale und empirische sowie soziale und kognitive Adäquatheit, Berücksichtigung der kontextuellen und situationellen Einbettung gestellt (vgl. die zitierten Werke sowie Barlow/Kemmer (2000), Ladányi (2005), Tolcsvai Nagy (2005), Dér (2008), Ladányi/Tolcsvai Nagy (2008)). Für die Sprachbetrachtung ist charakteristisch, dass die Sprache nicht als autonomes System, sondern als Mittel der Kognition und Kommunikation aufgefasst wird. Lexikalische und grammatische Ausdrucksmittel werden gleichermaßen als sprachliche Einheiten mit einem phonologischen (formalen) und einem funktionalen (inhaltlichen) Pol betrachtet und dargestellt. Die Unterschiede zwischen ihnen – diese sind Unterschiede in der Schematizität der Darstellung – sind gradueller Natur, grammatische und lexikalische Ausdrücke bilden daher ein Kontinuum, das sog. Lexikogrammatik. Typisch für funktionale Sprachbeschreibungen ist, dass sie meistens nicht regelbasiert sind, sondern u. a. mit Schemata arbeiten. In der vorliegenden Arbeit werden die globalen Mittel der Informationsstrukturierung eingehend untersucht, die mit Konstruktionen ← 18 | 19 → (Schemata) aus abstrakten Komponenten wie prosodische Mittel oder Thematyp zu beschreiben sind (s. Kap. 4).

Aus der funktionalen Sichtweise ergibt sich auch, dass Pragmatik nicht als eine gesonderte Komponente im/zusätzlich zum sprachlichen System betrachtet wird, sondern der Sprachgebrauch als natürliches Medium und Motivation für die Gestaltung der Sprache gilt (zur Auffassung der Pragmatik als überdachende Perspektive vgl. Verscheuren (1999) und Tátrai (2011)). Die künstliche Trennung von Kompetenz und Performanz wird aufgehoben, die Sprache wird in ihrer natürlichen Erscheinungsform untersucht. Von großer Wichtigkeit für die vorliegende Arbeit sind auch Einsichten der emergent grammar (Hopper 1987, Bybee/Hopper 2001). Als Grundgedanke dieses linguistischen Ansatzes gilt, dass die sprachliche Form immer im Gebrauch entsteht bzw. geformt wird. Auf die „pragmatische“ Gliederung der Sätze – dem Thema dieser Arbeit – bezogen bedeutet dies, dass die Informationsstruktur nicht als eine, vom Sprachgebrauch unabhängig existierende Komponente betrachtet wird (Näheres dazu s. Kap. 4). Da im aktuellen Sprachgebrauch kein Satz ohne illokutive Intentionen, Perspektivierung und kommunikative Gewichtung zustande gebracht wird, gestalten diese durch den ständigen Gebrauch die möglichen Satztypen mit. Mit anderen Worten: die „grammatische“ Struktur, das Realisierungspotenzial der Sätze entsteht und wird geformt in der Kommunikation, durch das Produzieren pragmatisch „gefüllter“ Äußerungen. Die Relevanz und Frequenz bestimmter Muster spielt bei der Herausbildung und Etablierung von verschiedenen Äußerungsschemata auch eine entscheidende Rolle. Die informationsstrukturellen Muster (Schemata) bekommen somit Platz in einer funktionalen, gebrauchsbasierten Grammatik (vgl. Bybee 2013), die die Verwendungshäufigkeit als wichtigen Faktor der Entstehung und Veränderung der sprachlichen Stukturen ansieht. ← 19 | 20 →6

Details

Seiten
259
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653054231
ISBN (ePUB)
9783653972702
ISBN (MOBI)
9783653972696
ISBN (Hardcover)
9783631659717
DOI
10.3726/978-3-653-05423-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Dezember)
Schlagworte
morphologische Topikmarkierung Wortfolge Prosodie Thematyp
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 259 S., 27 s/w Abb., 16 Tab.

Biographische Angaben

Bernadett Modrián-Horváth (Autor:in)

Bernadett Modrián-Horváth ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Katholischen Péter-Pázmány-Universität Budapest und Mitglied der funktional-kognitiven Forschungsgruppe DiAGram. Ihr Spezialgebiet sind korpusgestützte, funktionale Untersuchungen zu grammatisch verankerten Phänomenen im Deutschen und im Ungarischen.

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