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Tarifrechtliche Kontrollverfahren vor den Arbeitsgerichten

Die Verfahren nach §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 ArbGG und § 9 TVG

von Annika Hesser (Autor:in)
©2015 Dissertation 282 Seiten

Zusammenfassung

Die Autorin setzt sich vor dem Hintergrund des CGZP-Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 2010 mit den als tarifrechtliche Kontrollverfahren zu bezeichnenden Verfahren nach § 97 ArbGG und § 9 TVG auseinander. Beide Verfahren sind aufgrund ihrer Verfahrensgegenstände unweigerlich eng miteinander verbunden. Annika Hesser ermittelt deren Charaktereigenschaften und untersucht die jeweiligen Verfahrensvoraussetzungen sowie Entscheidungswirkungen, um hieraus Folgerungen für eine Vielzahl im Buch behandelter, für die Praxis relevanter prozessualer Fragen abzuleiten. Dabei arbeitet sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Verfahren heraus, um ausgehend hiervon der Frage nachzugehen, ob eine systemgerechte Behandlung tarifrechtlicher Streitigkeiten vor den Arbeitsgerichten möglich ist.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Teil 1. Einführung
  • A. Problemstellung
  • B. Gang der Untersuchung
  • Teil 2. Tarifrechtliche Grundlagen
  • A. Doppelnatur des Tarifvertrags und prozessuale Durchsetzung
  • I. Schuldrechtlicher Teil
  • 1. Inhalt und Wirkungsweise
  • 2. Prozessuale Durchsetzung von Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche
  • 3. Prozessuale Durchsetzung von Einwirkungsansprüchen vor dem Hintergrund des § 9 TVG
  • a) Statthafte Klageart
  • b) Vorherige rechtskräftige Entscheidung nach § 9 TVG?
  • aa) Auffassung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg
  • bb) Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
  • cc) Kritische Würdigung der Rechtsprechung
  • (1) Erfordernis des Feststellungsinteresses bei § 9 TVG
  • (2) Unzureichende Wirkung eines Urteils nach § 9 TVG
  • (3) Verfahrensverzögerung
  • (4) Zumutbarkeit Einwirkungspflicht ohne gesonderte Feststellung
  • dd) Ergebnis
  • II. Normativer Teil
  • 1. Teil der objektiven Rechtsordnung
  • a) Einordnung als Rechtsnormen und tarifrechtliche Verfahren
  • b) Einordnung als Rechtsnorm im prozessualen Einzelfall
  • 2. Teil des Privatrechts
  • 3. Prozessuale Durchsetzung
  • a) Tarifvertragsparteien untereinander
  • aa) Leistungsklage
  • bb) Feststellungsklage
  • b) Tarifvertragspartei und Dritte
  • aa) Leistungsklage
  • bb) Feststellungsklage
  • III. Überblick prozessuale Durchsetzung tariflicher Streitigkeiten
  • 1. Rechtsstreitigkeiten aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen sowie einzelner Normen
  • a) Inzidentprüfung
  • b) Unmittelbare Geltendmachung
  • 2. Feststellung Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit
  • B. Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzungen
  • I. Tariffähigkeit
  • 1. Voraussetzungen der Tariffähigkeit
  • 2. Rechtsfolgen bei fehlender Tariffähigkeit
  • II. Tarifzuständigkeit
  • 1. Bestimmung der Tarifzuständigkeit
  • 2. Rechtsfolgen bei fehlender Tarifzuständigkeit
  • III. Qualifikation des Verhältnisses von Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit
  • 1. Wortlaut des §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 Abs. 5 S. 1 ArbGG
  • 2. Begriff der Tarifzuständigkeit
  • 3. Inhalt, Voraussetzungen und Zweck
  • 4. Auswirkungen einer Vermengung
  • IV. Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit als Statusbegriffe?
  • 1. Begriff des Status
  • 2. Beurteilung von Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit
  • V. Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit von Spitzenverbänden an Hand der Untersuchung des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 2010 (Az. 1 ABR 19/10)
  • 1. Hintergrund der Entscheidung
  • a) CGZP als Spitzenorganisation
  • b) Ablehnung der Tariffähigkeit der CGZP
  • 2. Inhalt der Entscheidung
  • a) Anschluss an die Delegationstheorie
  • b) Aufstellung tarifrechtlicher Voraussetzungen
  • c) Anwendung der tarifrechtlichen Voraussetzungen für Spitzenorganisationen von Arbeitgeberverbänden
  • 3. Auswirkungen des CGZP-Beschusses sowie dessen Folgeentscheidungen
  • a) Anforderungen an die Tariffähigkeit von Spitzenorganisationen
  • aa) Kritik der Literatur
  • bb) Verhältnis von Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit
  • (1) Verstoß gegen tarifrechtliche Systematik
  • (2) Rechtstatsächliche Auswirkungen
  • (3) Fazit
  • b) Wirksamkeit der abgeschlossenen Tarifverträge
  • aa) Systematik
  • bb) Vertrauensschutz
  • cc) Fazit
  • c) Aussetzungspflicht nach § 97 Abs. 5 ArbGG
  • d) Anschlussrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
  • e) Fazit
  • Teil 3. Das besondere Beschlussverfahren nach §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 ArbGG
  • A. Streitgegenstand und Rechtsnatur des Verfahrens
  • I. Verfahrensgegenstand
  • 1. Abstraktes und konkretes Verfahren
  • 2. Feststellung der Anforderungen an eine Rechtsetzung im Rahmen der staatlichen Ordnung durch Tarifvertrag
  • 3. Verhältnis zum Verfahren nach § 9 TVG
  • II. Statusverfahren
  • III. Normenkontrollverfahren
  • 1. Begriff
  • 2. Das besondere Beschlussverfahren als Normenkontrolle?
  • a) Streitgegenstand
  • b) Entscheidungswirkungen
  • c) Systematik
  • d) Sinn und Zweck
  • e) Fazit
  • IV. Besonderheiten
  • 1. Zuweisung zum Beschlussverfahren
  • 2. „Besonderes“ Beschlussverfahren
  • B. Wirkung der Entscheidung
  • I. Bedeutung der Rechtskraft
  • II. Subjektive Grenzen der materiellen Rechtskraft
  • 1. Meinungsstand zur erweiterten Bindungswirkung
  • 2. Vorliegen einer erweiterten Bindungswirkung
  • 3. Bindungswirkung gegenüber jedermann
  • 4. Dogmatische Begründung der Bindungswirkung
  • a) Keine analoge Anwendung § 9 TVG
  • b) Ausnahmefall der ungeschriebenen Drittbindung
  • III. Zeitliche Grenzen der materiellen Rechtskraft
  • IV. Ergebnis
  • C. Verfahrensrechtliche Fragen des Beschlussverfahrens nach §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 ArbGG
  • I. Besetzung der Gerichte
  • II. Beteiligte am besonderen Beschlussverfahren
  • III. Beteiligungsbefugnis durch unmittelbare Betroffenheit
  • 1. Unmittelbare Betroffenheit bei obersten Landes- und Bundesbehörden
  • a) Tarifzuständigkeit begrenzt auf ein Unternehmen
  • aa) Differenzierung zwischen Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit
  • bb) Vergleich mit anderen Normenkontrollverfahren
  • b) Länderübergreifende Tarifzuständigkeit
  • 2. Besonderheit der unmittelbaren Betroffenheit bei konkretem Beschlussverfahren
  • 3. Unmittelbare Betroffenheit anderer Vereinigungen
  • a) (Potentielle) Tarifvertragspartner
  • b) Konkurrierende Vereinigungen
  • c) Spitzenorganisationen
  • 4. Einschränkung der Beteiligung bei Vertretung durch eine Spitzenorganisation
  • a) Vertretung durch Spitzenorganisationen
  • aa) Rechtsprechung zur Repräsentation durch Spitzenorganisationen
  • bb) Erfordernis zumindest mittelbarer Legitimation
  • b) Möglichkeit des Verfahrens nach § 9 TVG zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes?
  • aa) Verschiedene Streitgegenstände
  • bb) Beeinträchtigung der Wahlfreiheit
  • cc) Keine Option für potentielle Tarifvertragsparteien und konkurrierende Vereinigungen
  • dd) Zwischenergebnis
  • c) Prozessökonomie
  • aa) Grundsätze
  • bb) Vergleich mit verfassungsrechtlichen Normenkontrollen
  • cc) Vergleich mit verwaltungsrechtlicher Normenkontrolle
  • dd) Stellungnahme
  • IV. Antragsbefugnis
  • 1. Grundsatz
  • 2. Besonderheit bei konkretem Beschlussverfahren
  • 3. Besonderheit bei obersten Landes- und Bundesarbeitsbehörden
  • a) Oberste Arbeitsbehörde des Bundes
  • b) Oberste Arbeitsbehörden der Länder
  • c) Ergebnis
  • V. Ordnungsgemäße Antragsstellung
  • VI. Antragshäufung
  • 1. Anfängliche subjektive Antragshäufung
  • 2. Nachträgliche subjektive Antragshäufung
  • 3. Sonderfall der Rücknahme des eigenen Antrags und Anschluss an ein bereits rechtshängiges Verfahren
  • a) Grundsatz des gesetzlichen Richters
  • aa) Verstoß gegen Grundsatz des gesetzlichen Richters
  • bb) Lösung durch Heranziehung Vorschriften zum Parteibeitritt?
  • cc) Vergleich mit Verfahrensverbindung nach § 147 ZPO
  • b) Doppelte Rechtshängigkeit
  • 4. Fazit
  • VII. Beteiligung sonstiger Personen
  • VIII. Feststellungsinteresse
  • 1. Erfordernis eines Feststellungsinteresses
  • 2. Voraussetzungen
  • a) Rechtliches Interesse
  • b) Maßstab
  • 3. Fallgruppen
  • a) Vergangenheitsbezogene Anträge
  • b) Anträge von konkurrierenden Vereinigungen und rechtsmissbräuchliches Verhalten
  • c) Besonderheiten bei obersten Arbeitsbehörden
  • d) Konkretes Beschlussverfahren
  • 4. Ergebnis
  • IX. Keine anderweitige Rechtshängigkeit
  • 1. Identität der Beteiligten
  • a) Folge der inter omnes Wirkung
  • b) Grenze des Rechtsmissbrauchs
  • 2. Identität der Streitgegenstände
  • a) Rechtsprechung zum Streitgegenstand bei gegenwartsbezogenen Anträgen
  • b) Kritische Würdigung der Rechtsprechung
  • 3. Ergebnis
  • D. Aussetzungspflicht nach § 97 Abs. 5 ArbGG
  • I. Ausgangsverfahren
  • II. Vorgreiflichkeit der Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit
  • III. Zweifel an Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit
  • 1. Streit oder allgemein bekannte Bedenken
  • 2. Keine rechtskräftige Entscheidung
  • IV. Aussetzungsproblematik im Zusammenhang mit dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 2010 (Az. 1 ABR 19/10)
  • 1. Aussetzung des Verfahrens selbst?
  • 2. Aussetzung der Folgeverfahren?
  • V. Rechtsfolgen Aussetzungsbeschluss
  • VI. Ergebnis
  • Teil 4. Das Verfahren nach § 9 TVG
  • A. Rechtsnatur des Verfahrens nach § 9 TVG
  • I. Verfahrenszweck
  • II. Verbandsklage
  • III. Feststellungsklage / Normenkontrollverfahren
  • 1. Eigenständige Klageart
  • a) Historie
  • b) Wortlaut
  • c) Systematik
  • d) Sinn und Zweck
  • 2. Vergleich mit öffentlich-rechtlichen Normenkontrollverfahren
  • IV. Statusverfahren
  • V. Ergebnis
  • B. Streitgegenstand
  • I. Bestimmung des Streitgegenstands
  • 1. Ansicht des Reichsarbeitsgerichts
  • 2. Stellungnahme
  • a) Ablehnung des Rückgriffs auf den Inhalt der Schuldverhältnisse
  • b) Vorschlag der Modifikation des § 256 Abs. 1 ZPO
  • 3. Ergebnis
  • II. Einzelfälle
  • 1. Einzelne Tarifnormen
  • 2. Beendigung Tarifvertrag mit Nachwirkung
  • 3. Beendigung Tarifvertrag ohne Nachwirkung
  • 4. Schuldrechtlicher Teil
  • 5. Transformierte Normen nach § 613a BGB
  • a) Kollektivrechtliche Fortgeltung
  • b) Fortgeltung gemäß § 612a Abs. 1 S. 2 BGB
  • 6. Allgemeinverbindlichkeit
  • III. Rechtsstreitigkeiten
  • C. Wirkung der Entscheidung
  • I. Rechtliche Einordnung
  • 1. Bindungswirkung nach § 318 BGB
  • 2. Materiell-rechtliche Bindungswirkung
  • 3. Auslegung des § 9 TVG
  • a) Historische Entwicklung
  • b) Wortlaut
  • c) Systematik
  • aa) Unterschiede zu öffentlich-rechtlichen Normenkontrollen
  • bb) Eigenschaft als Statusverfahren
  • cc) Bindung Dritter
  • dd) Nebenintervention und Veröffentlichungspflicht
  • d) Sinn und Zweck
  • 4. Einordnung als subjektive Rechtskrafterstreckung
  • II. Umfang
  • 1. Grundlage der Bindung
  • 2. Sachlicher Umfang
  • 3. Persönlicher Umfang
  • a) Rechtsstreitigkeiten zwischen tarifgebundenen Parteien
  • b) Rechtsstreitigkeiten zwischen tarifgebundenen Parteien und Dritten
  • aa) Geltung kraft individualrechtlicher Bezugnahmeklausel
  • (1) Auslegung des § 9 TVG
  • (2) Anforderungen an die Bezugnahme des Tarifvertrags
  • bb) Keine vertragliche Beziehung
  • cc) Mehrgliedriger Tarifvertrag
  • c) Rechtsstreitigkeiten zwischen Außenseitern
  • 4. Zeitlicher Umfang
  • a) Änderung der tatsächlichen Umstände
  • b) Wiederaufnahme des Verfahrens
  • III. Adressaten
  • IV. Folgen der Bindungswirkung
  • D. Verfahrensrechtliche Fragen des Verfahrens nach § 9 TVG
  • I. Verfahrensart
  • 1. Vergleich mit § 97 ArbGG
  • a) Gemeinsamkeiten der Verfahren
  • b) Unterschiede der Verfahren
  • c) Fazit
  • 2. Schiedsgerichte
  • II. Parteien des Verfahrens
  • 1. Tariffähigkeit
  • 2. Mehrgliedriger Tarifvertrag
  • III. Klageantrag
  • 1. Klagehäufung und Zwischenfeststellungsklage
  • 2. Zulässige Prozessanträge
  • 3. Ergebnis
  • IV. Feststellungsinteresse
  • 1. Zivilprozessuale Grundsätze
  • 2. Meinungsstand
  • 3. Ablehnung einer Lockerung der Voraussetzungen
  • a) Rechtsnatur des Verfahrens
  • b) Wortlaut
  • c) Vergleich mit § 97 ArbGG und Normenkontrollverfahren
  • d) Zwischenergebnis und Folgen
  • 4. Anforderungen an Streit
  • 5. Einzelfragen des Feststellungsinteresses
  • a) Beendigung Tarifvertrag
  • b) Praktische Bedeutung des Rechtsstreits
  • c) Gewährung von Vertrauensschutz
  • V. Beteiligung Dritter
  • 1. Arbeitsvertragsparteien
  • a) Einfache Nebenintervention
  • aa) Differenzierung nach Art der Tarifbindung?
  • bb) Einschränkung des rechtlichen Interesses?
  • (1) Vergleich mit Verbandsklagen nach dem Unterlassungsklagengesetz
  • (2) Prozessökonomie
  • (3) Fazit
  • b) Streitgenössische Nebenintervention
  • aa) Rechtsprechung Bundesarbeitsgericht
  • bb) Normierung des Rechtsverhältnisses
  • cc) Einschränkung
  • 2. Mehrere Tarifvertragsparteien
  • a) Einheitstarifvertrag
  • b) Mehrgliedriger Tarifvertrag im engeren Sinne
  • aa) Interventionsgrund
  • bb) Einwirken der Entscheidung auf Rechtsverhältnis
  • 3. Spitzenverbände
  • 4. Ergebnis
  • E. Verfahrensaussetzung
  • I. Aussetzung nach § 97 Abs. 5 ArbGG
  • II. Aussetzung anderer Verfahren
  • 1. De lege lata
  • 2. De lege ferenda
  • Teil 5. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und Schlussbetrachtung
  • A. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
  • Teil 2. Tarifrechtliche Grundlagen
  • Teil 3. Das besondere Beschlussverfahren nach §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 ArbGG
  • Teil 4. Das Verfahren nach § 9 TVG
  • B. Schlussbetrachtung
  • Literaturverzeichnis

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Teil 1. Einführung

A. Problemstellung

Das Tarifvertragsrecht nimmt in der arbeitsrechtlichen Praxis eine erhebliche Bedeutung ein. Insbesondere bestimmen Tarifverträge faktisch den Großteil der Bedingungen, unter denen die meisten Arbeitnehmer in Deutschland ihre Arbeitsleistung erbringen,1 und bilden eine zentrale Quelle des Arbeitsrechts2. So wurden alleine im Jahr 2012 insgesamt 5.266 neue Tarifverträge abgeschlossen.3 Insgesamt bestehen über 67.800 Tarifverträge in Deutschland.4 Auch wenn in den letzten Jahren die Anzahl der Tarifgebundenen etwas zurückgegangen ist, ist die Bedeutung von Tarifverträgen nicht zu überschätzen. 2011 arbeiteten immer noch 51% der Beschäftigten in Betrieben mit Bindung an einen Verbandstarifvertrag (im Jahr 2010 waren es 52%), 8% in Betrieben mit Firmentarifvertrag (2010 waren es ebenfalls 8%).5 31% aller Arbeitnehmer waren 2011 an einen Tarifvertrag gebunden.6 Hinzukommend orientierten sich 30% der Arbeitsverträge an bestehenden Tarifverträgen.7 Tarifverträge entfalten außerdem eine über die messbare Bind­ungswirkung hinausgehende Breitenwirkung, die persönlich und sachlich nicht auf einzelne Arbeitsverhältnisse beschränkt ist, sondern Unternehmen, Betriebsparteien und die Belegschaften als solche ansprechen und beeinflussen kann.8 ← 21 | 22 →

Grundlage des Tarifwesens ist die im Rahmen der Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie.9 Der Schutz der Koalitionsfreiheit erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen und umfasst damit auch die Tarifautonomie,10 ist doch das Aushandeln und der Abschluss von Tarifverträgen das historisch gewachsene, zentrale Betätigungsfeld der Koalitionen.11

Bereits in seiner ersten Entscheidung zur Koalitionsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht eine staatliche Verpflichtung zur Bereitstellung eines funktionsfähigen Tarifvertragssystem aus Art. 9 Abs. 3 GG betont.12 Nur so können die Tarifvertragspartner ihre Aufgabe – die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen – wirkungsvoll erfüllen.13 Um dies zu gewährleisten, ist es notwendig, dass die abgeschlossenen Vereinbarungen auch tatsächlich durchsetzbar sind.14 Ihnen muss eine unmittelbare und zwingende Wirkung zukommen.15 Innerhalb des Betätigungsfelds der Tarifvertragsparteien im Rahmen ← 22 | 23 → ihrer Aufgabe – insbesondere beim Abschluss von Tarifverträgen – enthält sich der Staat grundsätzlich einer Einflussnahme und überlässt es den Tarifvertragsparteien, die ihnen übertragene Materie in eigener Verantwortung sinnvoll zu ordnen.16 Daher kommt einem Tarifvertrag eine sogenannte Richtigkeitsgewähr zu, die eine richterliche Tarifzensur ausschließt.17

Vor dem Hintergrund der praktischen Bedeutung und der verfassungsrechtlich geschützten unmittelbaren und zwingenden Wirkung von Tarifverträgen in einem im Wesentlichen von staatlicher Einwirkung freigelassenen Raum18 drängt sich die Frage auf, inwiefern Tarifverträge gerichtlich überprüft werden können. Während eine gerichtliche Inhaltskontrolle im Sinne einer Zweckmäßigkeits- oder Billigkeitskontrolle auf Grund des verfassungsrechtlichen Schutzes nicht möglich ist, da dies einer nach Art. 9 Abs. 3 GG verbotenen Tarifzensur gleich käme,19 ist eine Rechtskontrolle von Tarifverträgen unverzichtbar.

Die vorliegende Arbeit setzt sich dabei insbesondere mit den prozessualen Problemen einer Überprüfung der Wirksamkeit von Tarifverträgen beziehungsweise einzelner Tarifnormen auseinander. Auf Grund der in § 1 Abs. 1 TVG geregelten Gegenstände eines Tarifvertrags kommt nahezu in allen Rechtsstreitigkeiten die Anwendung eines Tarifvertrags oder einzelner tarifrechtlicher Bestimmungen in Betracht.20 Anlass für die Verfahren können dabei sowohl individuelle als auch kollektive Rechtsstreitigkeiten sein.21 Individuelle Tarifstreitigkeiten liegen vor, wenn nur die Arbeitsvertragsparteien beteiligt sind.22 Sofern eine oder mehrere Koalitionen beteiligt sind, handelt es sich um eine kollektive Tarifstreitigkeit.23 Insbesondere die Arbeitsgerichte – aber auch Gerichte anderer Gerichtszweige – sind daher regelmäßig mit der Überprüfung ← 23 | 24 → tarifvertragsrechtlicher Fragestellungen befasst. Auf Grund der Doppelnatur24 eines Tarifvertrags kommen sowohl Streitigkeiten über den schuldrechtlichen als auch den normativen Teil des Tarifvertrags in Betracht.25 Die Gerichte treffen die Entscheidungen über den normativen Teil des Tarifvertrags in der Regel inzident.26 Vor dem Hintergrund der grundsätzlich inzidenten Überprüfung der tarifvertraglichen Normen nimmt die Vorschrift des § 9 TVG eine Sonderstellung ein. Diese ermöglicht es, Rechtsstreitigkeiten zwischen Tarifvertragsparteien aus dem Tarifvertrag oder über das Bestehen oder Nichtbestehen des Tarifvertrags unmittelbar von den Gerichten klären zu lassen. Die Einordnung der Besonderheit des Verfahrens nach § 9 TVG unter Berücksichtigung der Doppelnatur des Tarifvertrags in das Gesamtsystem der gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten tarifvertraglicher Streitigkeiten ist daher neben der Erörterung einzelner prozessualer Fragestellungen ein Ziel dieser Arbeit.

In engem Zusammenhang mit der Frage nach einer gerichtlichen Überprüfung von Tarifverträgen steht auch, inwiefern Gerichte die einzelnen Tarifvertragsvoraussetzungen, insbesondere Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit, überprüfen können und wie diese Kontrollmöglichkeiten ausgestaltet sind. Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit sind zentrale Zugangsfragen für die Tätigkeit im Bereich des Tarifvertragswesens.27 Diese sind als Wirksamkeitsvoraussetzungen unverzichtbar für den Abschluss eines Tarifvertrags mit der damit verbundenen Möglichkeit zur Normsetzung. Die Tariffähigkeit verleiht das Recht, Partei eines Tarifvertrags zu sein.28 Diese ist eng mit der Tarifzuständigkeit verknüpft, da durch die satzungsautonom erfolgende Definition der Tarifzuständigkeit das Gebiet festgelegt wird, in dem die tarifliche Normkompetenz ausgeübt werden kann.29 Die inhaltlichen Anforderungen an diese Wirksamkeitsvoraussetzungen, die sich – insbesondere bezüglich der Tariffähigkeit – ständig im Wandel befinden, werden in dieser Arbeit nicht vertieft behandelt. Vielmehr wird den Fragen nachgegangen, wie diese Begriffe und deren Verhältnis zueinander zu qualifizieren ist und wie deren Vorliegen als Voraussetzung zur Setzung normativer Regelungen überprüft werden kann. Ähnlich wie das Vorliegen eines wirksamen Tarifvertrags werden Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit häufig in Verfahren, ← 24 | 25 → in denen es um tarifrechtliche Fragen geht, inzident überprüft. Doch auch hier sieht das arbeitsrechtliche Prozessrecht durch das besondere Beschlussverfahren nach §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 ArbGG eine gesonderte gerichtliche Kontrolle vor. Die Vorschriften ermöglichen eine ausdrückliche Entscheidung über die Tariffähigkeit und die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung. Auch hier sind die prozessualen Voraussetzungen, unter denen eine solche Entscheidung möglich ist, zu überprüfen.

Im Fokus dieser Arbeit stehen daher das besondere Beschlussverfahren nach §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 ArbGG sowie das Verfahren nach § 9 TVG. Die Verfahren stehen in engem Zusammenhang.30 Beide Verfahren zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine gesonderte Überprüfung der Handlungsmöglichkeit des Tarifvertrags und deren Voraussetzungen ermöglichen, die grundlegend für die Ausübung der grundrechtlich geschützten Privatautonomie ist. Der Zusammenhang zwischen den Verfahren zeigt sich auch in prozessualer Hinsicht. So ist beispielsweise ein Verfahren zur Überprüfung der Wirksamkeit eines Tarifvertrags auszusetzen, wenn die Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer der Vertragsparteien umstritten ist, vgl. § 97 Abs. 5 ArbGG.31 Die rechtliche Qualifizierung der Begriffe Tarifvertrag, Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit ist dabei unerlässlich für die Einordnung und Erörterung der jeweiligen gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten. Diese Qualifizierung ist daher, wie auch die Darstellung des Gesamtsystems der gerichtlichen Kontrollmöglichkeiten in diesem Bereich, Teil dieser Arbeit.

Neben dieser Gemeinsamkeit weisen das Verfahren nach §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 ArbGG und das Verfahren nach § 9 TVG darüber hinaus die Besonderheit auf, dass den Entscheidungen in beiden Verfahren eine bindende Wirkung zukommt, die über die am Verfahren beteiligten Personen hinausgeht. Im Verfahren zur Feststellung der Wirksamkeit oder des Inhalts eines Tarifvertrags ist dies ausdrücklich durch § 9 TVG vorgegeben. Im Verfahren zur Feststellung von Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit war eine erweiterte Bindungswirkung zwar lange Zeit nicht ausdrücklich angeordnet, jedoch sowohl von Schrifttum als auch Rechtsprechung seit jeher angenommen.32 Mit Einführung des Tarifautonomiestärkungsgesetzes vom 11. August 2014 wurde die erweiterte Bindungswirkung in § 97 Abs. 3 S. 1 ArbGG nun ausdrücklich normiert.33 Die erweiterte Bindungswirkung ist ein Grund dafür, weshalb in Teilen der Literatur das Verfahren ← 25 | 26 → nach § 9 TVG als Normenkontrolle charakterisiert wird.34 Ob dies zutreffend ist oder ob zumindest Ähnlichkeiten mit einer solchen bestehen, und ob dies auch für das besondere Beschlussverfahren angenommen werden muss, gilt es zu erörtern. Dies ist erforderlich, da eine Einordnung als Normenkontrolle auch Einfluss auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Verfahrens, wie beispielsweise das Feststellungsinteresse, haben könnte. Für das besondere Beschlussverfahren wird dahingegen häufig die Bezeichnung als Statusverfahren verwendet.35 Ob dieser Begriff das besondere Beschlussverfahren zutreffend charakterisiert, muss überprüft werden. Ferner ist zu erwägen, ob das Verfahren nach § 9 TVG als Statusverfahren einzuordnen ist. Die dadurch getroffene prozessuale Qualifikation der Verfahren ist anschließend bei der Untersuchung der jeweiligen gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund soll eine rechtliche Einordnung beider Verfahren erfolgen. Insbesondere wird der Frage nachgegangen, ob es sich um tarifrechtliche Status- und Normenkontrollverfahren vor den Arbeitsgerichten handelt oder ob zumindest Ähnlichkeiten mit solchen bestehen.

Wie noch weiter ausgeführt wird, ist die erweiterte Bindungswirkung zum einen Ausfluss der praktischen Bedeutung des Tarifvertrags, aber zum anderen auch Auslöser einer Vielzahl von prozessualen Fragen. Zu berücksichtigen ist, dass die Entscheidungen in den jeweiligen Verfahren für weitere – insbesondere individualrechtliche – Rechtsstreitigkeiten von allgemeiner Bedeutung sind.36 Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass Entscheidungen in beiden Verfahren jeweils an die zuständige oberste Landesbehörde und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales übermittelt werden müssen, § 63 ArbGG. Vor diesem Hintergrund ist zu erörtern, in wie weit möglicherweise eine Aussetzung von Rechtsstreitigkeiten, die von einer Entscheidung im Rahmen eines Verfahrens nach §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 ArbGG oder § 9 TVG betroffen sind, zu erfolgen hat. Eine weitere aus der erweiterten Bindungswirkung resultierende Problematik ist die bereits angesprochene grundsätzliche Frage der rechtlichen Qualifikation der beiden Verfahren sowie deren Entscheidungen. Denn auch die rechtliche Einordnung der jeweiligen erweiterten Bindungswirkungen ist umstritten.37 Weiterhin stellt sich die Frage, wie die Interessen der von der Entscheidung betroffenen ← 26 | 27 → Personen gewahrt werden können. Denn es darf nicht übersehen werden, dass die Erstreckung der rechtlichen Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen auf verfahrensunabhängige Beteiligte unter dem Vorbehalt des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf rechtliches Gehör und des Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes stehen.38 Aus diesem Grund sind die prozessualen Voraussetzungen der beiden Verfahren insbesondere auch unter Beachtung der Rechte Dritter zu untersuchen. Dafür ist die rechtliche Einordnung der erweiterten Bindungswirkung unerlässlich.

Bemerkenswert ist, dass die Verfahren trotz der angesprochenen Gemeinsamkeiten unterschiedlichen arbeitsgerichtlichen Verfahrensarten zugewiesen werden. In der Arbeitsgerichtsbarkeit sind grundsätzlich zwei Verfahrensarten zu unterscheiden, zum einen das Urteilsverfahren nach §§ 2, 46 ff. ArbGG und zum anderen das Beschlussverfahren nach §§ 80 ff. ArbGG. Das Beschlussverfahren steht dabei – anders als das Urteilsverfahren – nur für die Beilegung kollektiver Rechtsstreitigkeiten zur Verfügung.39 Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Verfahrensarten besteht darin, dass nur im Beschlussverfahren der Untersuchungsgrundsatz gilt, § 83 ArbGG. Die Abgrenzung zwischen den beiden Verfahrensarten wird an Hand des Streitgegenstands, also des prozessualen Begehrens des Rechtsschutzsuchenden, vorgenommen.40 Die Zuweisung der jeweiligen Streitgegenstände zu einer der beiden Verfahrensarten erfolgt durch die enumerativen Aufzählungen in § 2 ArbGG und § 2a ArbGG. Während die Feststellung der Wirksamkeit oder des Inhalts eines Tarifvertrags im Urteilsverfahren erfolgt (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG), wird das Verfahren zur Feststellung von Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit im Beschlussverfahren durchgeführt (§ 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG). Hierfür ist das sogenannte Beschlussverfahren „in besonderen Fällen“ einschlägig, vgl. § 97 ArbGG. Welche Auswirkungen die Durchführung eines solchen besonderen Beschlussfahrens hat, ist auch Gegenstand dieser Arbeit. Ebenfalls ist fraglich, ob die divergierende Zuordnung der beiden Verfahren zu verschiedenen Verfahrensarten auf Grund bestehender Gemeinsamkeiten gerechtfertigt ist und welche Folgen sich hieraus ergeben. Bereits an dieser Stelle sei angemerkt, dass die Wahl der Verfahrensart insbesondere Einfluss auf die Beteiligung von Dritten sowie auf die Anforderungen an die Voraussetzung des Feststellungsinteresses haben kann. ← 27 | 28 →

Vor allem das Verfahren nach § 9 TVG ist im Schrifttum bislang wenig bearbeitet worden und wird in der Regel nur auf Fragen im Zusammenhang mit dem Betriebsverfassungsrecht näher untersucht.41 Aber auch das besondere Beschlussverfahren nimmt in der arbeitsrechtlichen Lehre eine eher untergeordnete Rolle ein. Anlass für eine Untersuchung der beiden Verfahren bietet neben der bislang zurückhaltend erfolgten Auseinandersetzung in der Literatur auch der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 2010 (Az. 1 ABR 19/10). Das Bundesarbeitsgericht hat im besonderen Beschlussverfahren nach §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 ArbGG über die Tariffähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) entschieden. Brisanz erlangte dieser Beschluss insbesondere auf Grund der Branche, für welche die Entscheidung erfolgte. Die Arbeitnehmerüberlassung steht bereits seit langer Zeit in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion.42 Durch den Beschluss vom 14. Dezember 2010 und den damit im Zusammenhang stehenden weiteren Entscheidungen sind insbesondere die arbeits- und sozialrechtlichen Auswirkungen von Entscheidungen im Tarifvertragswesen in den Mittelpunkt der Diskussionen gerückt. In arbeitsrechtlicher Hinsicht besteht die Relevanz dieses Beschlusses und der nachfolgende Rechtsprechung insbesondere hinsichtlich der Geltendmachung von sogenannten Equal-Pay-Ansprüchen der Zeitarbeitnehmer gegenüber Personaldienstleistern.43 Auf sozialversicherungsrechtlicher Ebene steht die Verpflichtung von Verleihern – und gegebenenfalls auch Entleihern – zur Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Vergangenheit im Fokus der Diskussionen.44

Der Beschluss vom 14. Dezember 2010 und seine Folgeentscheidungen sind jedoch nicht nur wegen ihrer praktischen Auswirkungen hinsichtlich der Leiharbeitnehmerbranche von Interesse. Fast beiläufig wurde durch das Aufstellen neuer Anforderungen an die Tariffähigkeit von Spitzenorganisationen durch das Bundesarbeitsgericht das Verhältnis der beiden Tarifvertragsvoraussetzungen Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit in Frage gestellt. Weiterhin setzt sich das Bundesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang auch mit einer Vielzahl wichtiger verfahrensrechtlichen Fragen auseinander. Das Verfahren ← 28 | 29 → zur Feststellung der Tariffähigkeit der CGZP selbst wurde dabei im besonderen Beschlussverfahren durchgeführt. Da jedoch die Auswirkungen einer nach Abschluss eines Tarifvertrags festgestellten Tarifunfähigkeit – wie noch weiter ausgeführt wird45 – in der arbeitsrechtlichen Diskussion umstritten sind, stellte sich auch die Frage nach den Auswirkungen der Entscheidung auf die bereits von der CGZP abgeschlossenen Tarifverträge. Dies sollte im Verfahren nach § 9 TVG überprüft werden. Dabei stand im Mittelpunkt der Diskussion, für welchen Zeitraum eine Tarifunfähigkeit der CGZP angenommen werden konnte, da das Bundesarbeitsgericht in seinem Beschluss vom 14. Dezember 2010 zunächst nur Aussagen für die Gegenwart und nicht für die Vergangenheit getroffen hat. Durch die Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem CGZP-Verfahren hat daher eine Vielzahl von Fragestellungen hinsichtlich der gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten im Bereich des Tarifwesens an Aktualität gewonnen. Die aufgeworfenen systematischen und prozessualen Probleme bei tarifrechtlichen Streitigkeiten sind jedoch trotz der Aufmerksamkeit, die der Rechtsprechung im Zusammenhang mit der CGZP geschenkt wurde, bisher kaum beachtet worden.

Die praktische Bedeutung des Tarifwesens, die neu gewonnene Aktualität durch den CGZP-Beschluss sowie die zurückhaltende Auseinandersetzung in der Wissenschaft mit prozessualen Fragestellungen in diesem Bereich geben daher Anlass, sich näher mit den gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten im Bereich des Tarifvertragswesens zu beschäftigen. In diesem Zusammenhang stehen insbesondere die Verfahren nach §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 ArbGG und § 9 TVG im Mittelpunkt. Diese sind in das Gesamtsystem der gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten im Tarifwesen einzuordnen. Es stellt sich weiterhin die Frage, ob die beiden Verfahren als tarifrechtliche Status- und Normenkontrollverfahren vor den Arbeitsgerichten zu bewerten sind und wie sich deren jeweilige Qualifizierung auf die gerichtliche Geltendmachung auswirkt. Darüber hinaus sind die Entscheidungswirkungen näher zu untersuchen. Unter Berücksichtigung der prozessualen Einordnung der Verfahren und ihrer Entscheidungen werden einzelne verfahrensrechtliche und systematische Probleme, die insbesondere – aber nicht ausschließlich – im Zusammenhang mit dem CGZP-Verfahren in Erscheinung getreten sind, erörtert. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei auch der Anspruch auf rechtliches Gehör von Dritten, die von der Bindungswirkung der Entscheidung umfasst werden. Darüber hinaus wird der Versuch angestrengt, die beiden wesentlichen Verfahren des Tarifvertragsrechts in Zusammenhang zu stellen. ← 29 | 30 →

B. Gang der Untersuchung

Die vorliegende Darstellung der Fragestellungen im Rahmen der gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten im Tarifvertragswesen ist wie folgt strukturiert:

Dieser Einführung schließt sich im zweiten Teil der Arbeit eine Darstellung der Grundlagen des Tarifrechts an. Dabei wird auf das Wesen des Tarifvertrags und dessen prozessuale Durchsetzungsmöglichkeiten eingegangen. Dies soll ermöglichen, die Verfahren nach §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 ArbGG und § 9 TVG sowie deren Besonderheiten in das Gesamtsystem gerichtlicher Überprüfungsmöglichkeiten im Tarifvertragsrecht einzuordnen. Weiterhin ist eine Auseinandersetzung mit den Begriffen Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit erforderlich. Insbesondere in diesem Punkt hat die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Rahmen des CGZP-Verfahrens hinsichtlich der Tariffähigkeit von Spitzenorganisationen für viel Klärungsbedarf gesorgt. Dies soll zum Anlass genommen werden, die Begriffe Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit sowie deren Verhältnis zueinander zu qualifizieren.

Der dritte Teil der Arbeit befasst sich mit dem besonderen Beschlussverfahren nach §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 ArbGG. Dabei wird ein Schwerpunkt auf dessen rechtliche Charakterisierung und Entscheidungswirkungen gelegt. Dies ist erforderlich für die anschließende Erörterung der Zulässigkeitsvoraussetzungen und weiterer prozessualer Fragestellungen. Maßgebliche Frage in diesem Zusammenhang ist, ob es sich bei dem Verfahren um ein Status- oder Normenkontrollverfahren handelt oder ob es möglicherweise in beide Verfahrensarten einzuordnen ist. Im Anschluss ist zu untersuchen, wie sich die getroffene Qualifizierung auf die Durchführung des Verfahrens auswirkt.

Der vierte Teil widmet sich dem Verfahren nach § 9 TVG. Auch hier wird neben der Erörterung diverser Zulässigkeitsprobleme ein Schwerpunkt darin liegen, dessen Rechtscharakter durch Vergleiche mit anderen Verfahren zu ermitteln und die Frage zu beantworten, ob es sich hierbei um ein Status- und/oder Normenkontrollverfahren handelt. Die Beurteilung der Bindungswirkung der Entscheidung ist ebenfalls ein zentraler Aspekt. Um ein umfassendes Bild der gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten im Tarifvertragswesen zu erhalten, wird dabei auch der Zusammenhang mit dem besonderen Beschlussverfahren beachtet und näher beleuchtet.

Die Arbeit endet in einem fünften Teil mit der Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und einer Schlussbetrachtung.

1 ErfK/Franzen, § 1 TVG Rn. 1.

2 Wiedemann/Thüsing, TVG, § 1 Rn. 27.

3 Vgl. WSI-Tarifarchiv 2013, Statistisches Taschenbuch Tarifpolitik, http://www.boeckler.de/pdf/p_ta_tariftaschenbuch_2013.pdf.

4 Vgl. WSI-Tarifarchiv 2013, Statistisches Taschenbuch Tarifpolitik, http://www.boeckler.de/pdf/p_ta_tariftaschenbuch_2013.pdf.

5 WSI-Tarifarchiv 2013, Statistisches Taschenbuch Tarifpolitik, http://www.boeckler.de/pdf/p_ta_tariftaschenbuch_2013.pdf; WSI-Tarifarchiv 2012, Statistisches Taschenbuch Tarifpolitik, http://www.boeckler.de/pdf/p_ta_tariftaschenbuch_2012.pdf.

6 WSI-Tarifarchiv 2012, Statistisches Taschenbuch Tarifpolitik, http://www.boeckler.de/pdf/p_ta_tariftaschenbuch_2012.pdf.

7 WSI-Tarifarchiv 2012, Statistisches Taschenbuch Tarifpolitik, http://www.boeckler.de/pdf/p_ta_tariftaschenbuch_2012.pdf.

8 Wiedemann/Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 1.

9 BVerfG, 29.12.2004 – 1 BvR 2283/03, NZA 2005, 153, 154; 24.4.1996 – 1 BvR 712/86, NJW 1997, 513, 513; 2.3.1993 – 1 BvR 1213/85, NJW 1993, 1379, 1379 f.; 26.6.1991 –1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549, 2549; HWK/Henssler, Einl. TVG Rn. 5; Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 158; Maschmann, Tarifautonomie im Zugriff des Gesetzgebers, S. 7; Thüsing/Braun/Thüsing, Tarifrecht, 1. Kap. Rn. 2; Waltermann, ZfA 2000, S. 53, 59.

10 BVerfG, 29.12.2004 – 1 BvR 2283/03, NZA 2005, 153, 154; 24.4.1996 – 1 BvR 712/86, NJW 1997, 513, 513; 26.06.1991 – 1 BvR 779/85, NJW 1991, 2549, 2549; Thüsing/Braun/Thüsing, Tarifrecht, 1. Kap. Rn. 2.

Details

Seiten
282
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653053395
ISBN (ePUB)
9783653973242
ISBN (MOBI)
9783653973235
ISBN (Paperback)
9783631659366
DOI
10.3726/978-3-653-05339-5
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (März)
Schlagworte
CGZP-Beschluss tarifrechtliche Streitigkeiten tarifrechtliche Kontrollverfahren
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 282 S.

Biographische Angaben

Annika Hesser (Autor:in)

Annika Hesser ist Volljuristin. Sie studierte Rechtswissenschaften mit Begleitstudium Europäisches Recht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und promovierte an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Seit 2012 arbeitet sie als Rechtsanwältin in einer Kanzlei in Frankfurt am Main.

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Titel: Tarifrechtliche Kontrollverfahren vor den Arbeitsgerichten
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