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Haftung für terroristische Anschläge

Ökonomische Analyse einer Allokation terroristischer Risiken durch Haftung, Versicherung und Entschädigung

von Linda Souren (Autor:in)
©2015 Dissertation 286 Seiten

Zusammenfassung

Terrorismus ist nicht nur eine sicherheitspolitische Fragestellung, sondern hat auch eine privatrechtliche Dimension, der dieses Werk nachgeht. Bei einem terroristischen Anschlag rückt eine Haftung der Attentäter und ihres unterstützenden Umfeldes, aber des Weiteren auch die Verantwortung fahrlässiger Mitverursacher, wie beispielsweise Flugunternehmen und Sicherheitsfirmen in den Blick. Eine ökonomische Analyse des Haftungsregimes sowie konkurrierender Lösungen zur Schadensabnahme und -verteilung zeigt: Jenseits des berechtigten Interesses, katastrophale Schäden durch eine Entschädigung nach Art des September 11th Victim Compensation Fund zu vergemeinschaften, ist es wichtig, die verhaltenssteuernde Wirkung des Deliktsrechts zu erhalten, um terroristische Anschläge zu vermeiden.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Abschnitt: Einführung
  • § 1 Problemstellung
  • § 2 Terrorismus
  • A) Terrorismusforschung
  • I. Typologie des Terrorismus
  • II. Definitorische Merkmale
  • 1. Terrorismus als Strategie
  • 2. Gewaltanwendung
  • 3. Publizität
  • 4. Reaktionen
  • III. Abgrenzung
  • 1. Krieg
  • 2. Guerilla- und Partisanenkampf
  • 3. Organisierte und „gewöhnliche“ Kriminalität
  • B) Rechtliche Einordnung
  • I. Internationale Übereinkommen
  • II. Maßnahmen auf europäischer Ebene
  • III. Deutsches Recht
  • 1. Strafrecht
  • 2. Versicherungsrecht
  • C) Terrorismus im Haftungsrecht
  • I. Die Intention des Terroristen im Haftungsrecht
  • II. Der terroristische Gewaltakt als Haftungsgrund
  • III. Die terroristische Strategie im Haftungsrecht
  • IV. Terrorismus zwischen Kriminalität und Krieg
  • § 3 Risikoallokation durch Haftung
  • A) Effizienz
  • B) Ökonomische Analyse des Rechts
  • C) Ökonomische Analyse des Haftungsrechts
  • D) Effiziente Risikoallokation
  • E) Allokation terrorismusbedingter Risiken – Gang der Darstellung
  • 2. Abschnitt: Haftung für terrorismusbedingte Schäden
  • § 4 Die Haftung der Täter
  • A) Haftung des terroristischen Anschlagstäters
  • I. Haftung gem. § 823 Abs. 1 BGB
  • II. Haftung gem. § 826 BGB
  • III. Haftung gem. § 823 Abs. 2 BGB
  • IV. Rechtsdurchsetzung
  • B) Im Hintergrund der Terroristen: unterstützende Individuen und Organisationen
  • I. Haftung terroristischer Vereinigungen
  • 1. Ausstattung terroristischer Vereinigungen mit Rechtspersönlichkeit
  • a) Die Terrororganisation im US-amerikanischen Zivilprozess
  • b) Die Terrororganisation im deutschen Gesellschaftsrecht
  • aa) Aufbau terroristischer Vereinigungen und §§ 21 ff. BGB
  • bb) Terrororganisationen als fehlerhafte Gesellschaften
  • c) Die Terrororganisation als kollisionsrechtliche Fragestellung
  • aa) Personalstatut der Terrororganisation
  • bb) Die nach keiner staatlichen Rechtsordnung verfasste ausländische Gruppierung ohne bekannten Verwaltungssitz
  • 2. Zugriff auf eingefrorenes Vermögen terroristischer Vereinigungen
  • II. Finanzierungsvereine und private Sponsoren des Terrorismus
  • III. Ergebnis
  • C) Haftung Terrorismus fördernder Staaten
  • I. Staatenimmunität
  • 1. Restriktive Immunitätstheorie
  • 2. Ausnahme von der Immunität bei völkerrechtswidrigem Verhalten
  • 3. Ausnahmen von der Immunität bei Deliktshandlungen
  • a) Immunitätsgesetze mit Deliktsausnahme
  • b) Völkergewohnheitsrecht
  • 4. Ausnahmen von der Immunität bei Terroranschlägen
  • II. Haftung Terrorismus fördernder Staaten als außenpolitische Problemstellung
  • D) Zusammenfassung und Ausblick
  • § 5 Staatshaftung der Bundesrepublik
  • § 6 Haftung für terrorismusanfällige Infrastrukturen
  • A) Einführung
  • I. Fahrlässigkeitshaftung für Terrorschäden nach deutschem Recht
  • II. Fahrlässigkeitshaftung für Terrorschäden nach amerikanischem Recht
  • 1. Air Disaster at Lockerbie
  • 2. Oklahoma City Bombing
  • 3. World Trade Center Bombing 1993
  • 4. Anschläge vom 11. September 2001
  • B) Besonderheiten einer Haftung wegen fahrlässiger Verursachung eines Terroranschlags
  • I. Problemaufriss
  • II. Verkehrspflichten zum Schutz vor terroristischen Anschlägen
  • 1. Funktion der Verkehrspflichten im Haftungstatbestand
  • 2. OLG Celle NJW 2005, 3647
  • 3. Verkehrspflichten für Drittverhalte
  • a) Abgrenzung allgemeiner Hilfspflichten von Verkehrspflichten
  • b) Verkehrspflichten auch für drittveranlasste Risiken
  • 4. Prävention durch Haftung bei terroristischen Anschlägen
  • a) Prävention bei unwägbarem Haftungsrisiko
  • aa) Unsicherheit hinsichtlich terroristischer Risiken
  • bb) Fehlinterpretation terroristischer Risiken
  • cc) Zusammenfassung
  • b) Prävention bei existenzvernichtender Haftung
  • c) Ergebnis und gegenläufige Effekte
  • III. Unterbrechung des Kausalitäts- und Zurechnungszusammenhangs bei terroristischen Anschlägen
  • 1. Kausalität und Zurechnung beim Dazwischentreten Dritter
  • a) Unterbrechung des Kausalzusammenhangs
  • b) Adäquanz
  • c) Herausforderung
  • d) Schutzzweck der Norm
  • 2. Kausalität und Zurechnung bei terroristischen Anschlägen
  • a) Terrorismus im herrschenden Konzept von Kausalität und Zurechnung
  • b) Kausalität und Zurechnung terroristischer Anschläge im ökonomischen Modell
  • IV. Summenmäßige Haftungsbeschränkungen
  • 1. Haftungsbeschränkung wegen Existenzvernichtung
  • a) Haftungsbeschränkung de lege lata
  • b) Haftungsbeschränkung de lege ferenda
  • 2. Haftungsbeschränkung bei terroristischen Anschlägen
  • a) Aspekt der Existenzvernichtung: Summenmäßige Haftungsbeschränkung bei terroristischen Anschlägen
  • b) Aspekt des geringen Verursachungsbeitrages: Proportionalhaftung bei terroristischen Anschlägen
  • V. Terrorismus als Gegenstand spezialgesetzliche Haftungstatbestände
  • 1. Haftung bei Anschlägen auf Kernanlagen
  • a) Haftung nach Art. 3 (a) PÜ i.V.m. § 25 AtomG
  • b) Bewertung
  • 2. Haftung bei Terroranschlägen auf den Luftverkehr
  • a) Haftung für Schäden von Passagieren
  • aa) Haftung für Personenschäden
  • (1) Terroristische Anschläge als Unfall im Luftverkehr
  • (2) Terrorismus als luftfahrtspezifische Gefahr
  • bb) Haftung für Sachschäden
  • b) Haftung des Luftfahrzeughalters für Bodenschäden
  • aa) Haftung gem. § 33 LuftVG
  • bb) Modernisierung des Römer Haftungsübereinkommens
  • 3. Zusammenfassung
  • C) Ergebnisse
  • 3. Abschnitt: Rahmenbedingungen einer Haftung für terroristische Anschläge
  • § 7 Versicherung terrorismusbedingter Risiken
  • A) Wechselbezüge von Haftung und Versicherung
  • B) Versicherung terrorismusbedingter Risiken
  • I. Versicherbarkeit terroristischer Risiken
  • 1. Schätzbarkeit des Schadens
  • 2. Schadensgröße
  • 3. Unabhängigkeit
  • 4. Zufälligkeit
  • 5. Eindeutigkeit
  • 6. Ergebnis
  • II. Rückzug der Versicherer aus der Terrorismusversicherung
  • 1. Kündigungen, Ausschlüsse und Deckungslimits
  • a) Luftfahrtversicherung
  • b) Andere Versicherungszweige
  • 2. Ausschluss des Terrorismusrisikos über Kriegsklauseln
  • 3. Engpass bzw. Versagen des Versicherungsmarktes
  • III. Staatliche Intervention auf dem Versicherungsmarkt
  • IV. Terrorismusrisiko in der Haftpflichtversicherung
  • C) Konsequenzen für die Risikoallokation durch Haftung und Versicherung
  • § 8 Prozessuale Durchsetzung
  • A) Kostensenkung durch verfahrensbündelnde Effekte
  • B) Klagebereitschaft
  • C) Kostensenkung durch alternative Streitbeilegung
  • D) Ergebnisse
  • § 9 Haftung für terrorismusbedingte Schäden im Kontext von Versicherung und prozessualer Durchsetzung
  • A) Gesamte Schadenskosten bei der Allokation des Terrorismusrisikos durch Haftung
  • B) Terrorismusrisiko in der Opfersphäre
  • C) Terrorismusprävention durch Gefahrenabwehr und Ordnungsrecht
  • I. Hoheitliche Gefahrenabwehr statt Haftpflicht
  • II. Ordnungsrechtliche Regulierung statt Haftpflicht
  • D) Ausblick
  • 4. Abschnitt: Haftungsergänzende und -ersetzende Entschädigung
  • § 10 Schadensabnahme durch Entschädigung
  • § 11 Private Entschädigung
  • § 12 Staatliche Entschädigung
  • A) Entschädigung terrorismusbedingter Schäden im In- und Ausland
  • I. Entschädigungsfonds für die Opfer des 11. September 2001 in den USA
  • II. Israel
  • III. Deutschland
  • 1. Entschädigungsfonds für deutsche Opfer von im Ausland begangenen terroristischen Gewalttaten
  • 2. Opferentschädigungsgesetz
  • 3. Tumultschadensgesetze
  • B) Rechtfertigung einer Terrorismusopferentschädigung
  • I. Begründung des OEG
  • 1. Rechtspflicht zur Opferentschädigung
  • 2. Sachliche Gründe einer Opferentschädigung
  • II. Begründung des September 11th Victim Compensation Fund
  • III. Begründung israelischer Entschädigungsgesetze
  • IV. Sachlicher Gründe für eine Terrorismusopferentschädigung
  • 1. Systematische Haftungslücken
  • 2. Staatliche Gefährdungshaftung
  • 3. Soziale Bedingtheit
  • 4. Stabilisierung der Lebensumstände
  • C) Art und Umfang einer Terrorismusopferentschädigung
  • I. Haftungsersetzende oder -ergänzende Entschädigung
  • II. Dauerhafte oder ad hoc-Entschädigung
  • III. Entschädigung bei Sachschäden
  • D) Leitlinien einer effizienten Terrorismusopferentschädigung
  • 5. Abschnitt: Schlussbetrachtung
  • § 13 Allokation terroristischer Risiken
  • Literaturverzeichnis

1.  Abschnitt: Einführung

§ 1  Problemstellung

Die Strategie terroristischer Gewaltanwendung ist nicht neu. Für die 90er Jahre registrierte das State Department der Vereinigten Staaten jährlich durchschnittlich 380 Anschläge pro Jahr, die dem internationalen Terrorismus zugerechnet wurden1. Mit dem Bombenanschlag in der Londoner Innenstadt nahe des NatWest-Towers, der einen versicherten Sachschaden von 907 Mio. USD zur Folge hatte, sowie der Bombenexplosion in der Tiefgarage des World Trade Centers, dessen versicherter Sachschaden mit 725 Mio. USD beziffert wurde, markierte das Jahr 1993 einen vorläufigen Höhepunkt terroristischer Gewalttaten, bei denen insgesamt über 1.000 Menschen verletzt und sieben getötet wurden2. Die Anschläge des Terror-Netzwerks Al Qaida vom 11. September 2001 auf die Türme des World Trade Centers und das Pentagon gaben dem Phänomen jedoch eine neue Dimension: 3.000 Menschen wurden getötet, 2.250 Menschen verletzt. Der geschätzte versicherte Gesamtschaden betrug 40 Mrd. USD, und stellt damit die bisher größte von Menschen verursachte Katastrophe dar3. Die Attentäter hatten vier Flugzeuge entführt, zwei der Flugzeuge in das World Trade Center gesteuert, ein weiteres in das Pentagon. Die vierte Maschine stürzte über Pennsylvania ab. Die Konsequenzen dieses Ereignisses waren weitreichend. Zwei ← 13 | 14 → Kriege wurden unter dem Banner des „War on Terrorism“ begonnen und weltweit avancierte die Terrorismusbekämpfung zum wichtigen politischen Tagesordnungspunkt.

Man schnürte Sicherheitspakete und erzielte in der Tat den einen oder anderen Erfolg darin, zu allem bereite Fanatiker der Planung oder Beteiligung an Terroranschlägen zu überführen4. Wenngleich das Ausmaß und die Auswirkungen der Anschläge vom 11. September 2001 bis dato singulär geblieben sind, lässt die Kontinuität, in der sich Terroranschläge seither ereignet haben, das ungebrochene Bedrohungspotential erkennen. Besonders auch jene Anschläge auf Touristenzentren5 sowie in den europäischen Metropolen Madrid6 und London7 erregten die öffentliche Aufmerksamkeit und gaben Anlass, die Bewertung und den Umgang mit der von Terroristen gesetzten Gefahr zu diskutieren.

Mehrere Faktoren deuten darauf hin, dass der moderne Terrorismus als Schadensursache nicht überschätzt werden kann: Terrororganisationen operieren zunehmend global und bedienen sich neuester technischer Möglichkeiten, um gezielt Anschläge vorzubereiten oder für ihre Anliegen zu werben. Zu einer zunehmenden Eskalation terroristischer Gewalt trägt die fortschreitende Immunisierung der öffentlichen Wahrnehmung gegenüber weniger signifikanten Anschlägen etwa in instabilen Regionen bei. „Um im ‚Wettbewerb‘ um das internationale Rampenlicht zu bestehen, sind in der Zukunft dramatische Anschläge wahrscheinlich“ resümierte daher bereits in den 1980er Jahren Jeffrey Simon ← 14 | 15 → vom Institute for National Strategic Studies, Washington D.C.8 Hinzu tritt, dass die politischen und militärischen Konflikte, die im Kontext terroristischer Gewaltanwendung stehen, ihrer Lösung weiterhin harren. Die oft vielschichtigen Ursachen von Terrorismus sind zudem weder gänzlich durchdrungen noch mit einer Lösungsperspektive versehen.

Die Aktualität, die Terrorismus seit den Anschlägen vom 11. September 2001 gewonnen hat, hat nicht nur die legislative Befassung mit dieser Problematik im Rahmen der Bekämpfung des Terrorismus befördert, sondern auch dessen rechtswissenschaftliche Aufarbeitung, die seit dem Ausklingen des RAF-Terrorismus Anfang der achtziger Jahre nicht mehr stattgefunden hatte. Im Zentrum der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Terrorismus steht insoweit das öffentliche Sicherheitsrecht, dominiert von der Frage nach der Rechtsstaatlichkeit und effektiver Gefahrenabwehr im Hinblick auf terroristische Anschläge. Anlass hierfür boten in der Vergangenheit die Ausweitung von Eingriffen zur Erlangung sicherheitsrelevanter Informationen, der Einsatz der Bundeswehr im Innern oder der Abschuss von entführten Flugzeugen im Rahmen des Luftsicherheitsgesetzes9. Von besonderer Brisanz aus völkerrechtlicher Sicht hat sich die Billigung der grenzüberschreitenden Terrorismusbekämpfung durch die Völkergemeinschaft unter Berufung auf das Recht zur Selbstverteidigung erwiesen10.

Dass Terrorismus allerdings nicht allein für das öffentliche Gefahrenabwehrrecht oder Strafrecht von Bedeutung ist, zeigt eindrücklich die im Jahr 2001 eingetretene Verunsicherung der Versicherungswirtschaft und die daran anschließende auch versicherungsrechtliche Fragestellung nach der Versicherbarkeit terroristischer Risiken11. Nach dem Anschlag auf das World Trade Center hat die US-amerikanische Regierung sich zügig daran gemacht, mit Hilfe des ← 15 | 16 → Air Transportation Safety and System Stabilization Act (ATSSSA) sowie des Terrorism Risk Insurance Act (TRIA) den Anschlägen ihre privatwirtschaftliche Dimension zu nehmen, indem eine summenmäßige, am Umfang des verfügbaren Versicherungsschutzes gemessene Haftungsbeschränkung zugunsten der Luftfahrtindustrie sowie anderer möglicher Deliktsschuldner beschlossen, ein Entschädigungsfonds für die Opfer der Anschläge eingerichtet sowie die vorübergehende staatliche Lenkung des Versicherungsmarktes zugunsten einer Versicherbarkeit terroristischer Risiken einerseits und der Bereitstellung staatlicher Rückversicherung andererseits in Gang gesetzt wurde12. Diese in kürzester Frist von der U.S. Regierung in Kraft gesetzte Regelung hat in den darauffolgenden Jahren nicht wenige Kritiker gefunden, die sowohl die materiale Gerechtigkeit als auch die Notwendigkeit des politischen Tätigwerdens in Zweifel gezogen haben13.

Dies legt den Blick frei auf jene, den Gang der folgenden Darstellung bestimmende Fragestellung: Welche Möglichkeiten und Grenzen bietet das Privatrecht, anhand der Individualhaftung für terrorismusbedingte Schäden deren sachgerechte Bewältigung nach geltendem Haftungsrecht zu gewährleisten und welche besonderen Anforderungen ergeben sich insoweit? Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der Qualität konkurrierender Gegenentwürfe, die für eine Schadensabnahme oder -verteilung in Betracht kommen. Dies ist im Zusammenhang mit Terrorismus von besonderer Bedeutung, weil nicht nur politischer Aktionismus, sondern jedenfalls im Nachgang des 11. Septembers 2001 auch die wenigstens vorübergehende Kapitulation der Privatwirtschaft vor dem immensen Schadenspotential des Terrorismus zu einer Entrechtlichung oder wenigstens Sozialisierung des Risikos animierten. Es wird dementsprechend auch darum gehen, das Verhältnis der Individualhaftung im Zusammenhang mit Terrorismus zu den Möglichkeiten eines vergemeinschafteten Ausgleichs zu klären.

§ 2  Terrorismus

Die Definition des Terrorismus ist eine disziplinenübergreifende Herausforderung. Neben den Rechtswissenschaften hat sie vor allem in der politikwissenschaftlichen Literatur ihre Spuren hinterlassen14. Besonders die zunehmenden ← 16 | 17 → Zahl von internationalen Übereinkommen, Verträgen und Gesetzen, die Terrorismus zum Gegenstand haben15, macht die Kenntnis darüber, was sich hinter dem Begriff des Terrorismus verbirgt, unerlässlich.

Gleichwohl ließen sich dahingehende Erfolge lange Zeit nicht erkennen. Zum einen liegt das an der Vielgestaltigkeit der als terroristischer Akt eingeordneten Ereignisse16. Denn die Erscheinungsformen reichen von Bombenanschlägen, Geiselnahmen und Attentaten bis hin zur Freisetzung biologischer Kampfstoffe. Und die sich ändernden gesellschaftlichen und technischen Voraussetzungen lassen immer neue – nach Ursachen, Zielsetzungen und Verhaltensweise unterschiedliche – Varianten zu. Der allgemeine Sprachgebrauch geht darüber noch weit hinaus, wenn etwa von Telefonterror und Medienterror die Rede ist oder undifferenziert Aktivitäten von regierungsfeindlichen Dissidenten, einer Regierung selbst, kriminellen Vereinigungen und militanten Demonstranten dem Terrorismus zugerechnet werden17. Die Schwierigkeit, eine konsensfähige Definition zu finden, liegt des weiteren – auf internationaler Ebene – an dem Ansinnen einiger Staaten, eine Verurteilung eines „legitimen Selbstbestimmungs- oder Freiheitskampfes“, wie er etwa von PLO und ANC beansprucht wird, als terroristische Gewaltakte zu verhindern18. Dem entsprechend blieb den Beratungen der Vereinten Nationen im Jahr 1972, veranlasst durch den Anschlag auf die Olympischen Spiele 1972 in München, ein durchgreifender Erfolg bei der Definition von Terrorismus verwehrt. Und noch 1999 grenzte die Organisation der Islamischen Konferenz in ihrer „Convention on Combating International ← 17 | 18 → Terrorism“ den bewaffneten Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung und gegen Fremdherrschaft, Aggression und Kolonialismus streng von Terrorismus ab. Dieses unterschiedliche Verständnis der politischen Ereignisse und Zustände behinderte eine international einheitliche Definition nachhaltig. Schließlich trägt auch der Wandel, dem der Begriff des Terrorismus in der Vergangenheit unterlag und auch in der Zukunft noch unterliegen mag, zu seiner Unsicherheit bei. Ursprünglich bezeichnete Terrorismus während der Französischen Revolution ein Instrument zur Durchsetzung von Ordnung in einer von Anarchie geprägten Phase nach den Unruhen von 1789. Erst mit diesem Ereignis fand der aus dem Lateinischen stammende Begriff, wo er für „Schrecken/Angst“ steht, Eingang in die deutsche Sprache, und war dementsprechend zunächst als Staatsterrorismus, d.h. ein Instrument der Herrschaftssicherung und Festigung der Macht einer Regierung, gedacht. Nach und nach etablierte sich der Begriff aber zunehmend, um die Aktivitäten oppositioneller extremistischer Gruppen oder Einzelpersonen zu beschreiben, denen es um den Sturz oder die Erschütterung einer bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung geht19. Beispielhaft hierfür ist der von der RAF verbreitete Schrecken in der Bundesrepublik während der siebziger Jahre.

Verbreitet findet sich deshalb die Feststellung, dass es an einer allgemein gültigen Definition des Terrorismus bislang fehle20. Mit dem Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus21 scheint der Schritt zu einem konsensfähigen Begriffsverständnis gleichwohl getan zu sein. Danach ist Terrorismus „eine … Handlung …, die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson oder einer anderen Person, die in einem bewaffneten Konflikt nicht aktiv an den Feindseligkeiten teilnimmt, herbeiführen soll, wenn diese Handlung auf Grund ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt, eine ← 18 | 19 → Bevölkerungsgruppe einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen.“

A)  Terrorismusforschung

In der Terrorismusforschung ist die Auffassung verbreitet, dass eine vollständige definitorische Erfassung des Terrorismus nicht zu bewältigen sei22. Der Sozialwissenschaftler Alex P. Schmid etwa untersuchte mit dem Ziel einer allgemeingültigen Definition von Terrorismus 101 bestehende Definitionen und ermittelte daraus 22 definitorische Merkmale. Nicht eines dieser Merkmale ließ sich in allen untersuchten Definitionen wiederfinden23. Daher ist einer Annäherung an den Begriff über Typologie, Ursachen und Abgrenzung vielfach der Vorzug gegeben worden24.

Zunächst lassen sich aber einige begriffliche Unschärfen dadurch beseitigen, dass eine Unterscheidung zwischen Terrorismus einerseits und Terror andererseits vorgenommen wird. Letzterer umschreibt eine staatliche Schreckensherrschaft in Form des Staatsterrorismus, wie er Robespierres beispielhaftem „régime de la terreur“ Ende des 18. Jahrhundert entspricht25. Zwar stand der geübte Terror in einem revolutionären Kontext, maßgeblich war aber, dass es sich um ein Mittel der Regierung handelte, das durch die Verbreitung von Angst und Schrecken dem Machterhalt diente. Demgegenüber beschreibt „Terrorismus“ im nunmehr gebräuchlichen Sinne ein revolutionäres, gewaltsames Streben substaatlicher Entitäten in Richtung gegen einen Staat26. Nicht immer lässt sich Terror und Terrorismus allerdings in diesem Sinne trennscharf gegeneinander ← 19 | 20 → abgrenzen. Dies gilt namentlich dann, wenn ein Staat Terroristen zu seinen eigenen Zwecken einsetzt, unterstützt oder duldet27.

I.  Typologie des Terrorismus

Statt einer Definition des Terrorismus ist einer Typisierung nach Wirkungskreis, Motivation und Mitteln in der politikwissenschaftlichen Literatur vielfach der Vorzug gegeben worden.

Dementsprechend erfolgt eine verbreitete Differenzierung hinsichtlich terroristischer Aktivitäten nach dem (tatsächlichen und intendierten) Wirkungskreis der Täter und führt dabei zu den Kategorien des nationalen wie des internationalen Terrorismus. Während der nationale Terrorismus Zielsetzung und Aktionsradius auf das Territorium eines bestimmten Staates beschränkt, bezieht der internationale Terrorismus eine besondere Öffentlichkeitswirkung aus dem Umstand, dass er entweder einen nationalen Konflikt in einen an sich unbeteiligten Schauplatz trägt – eine Strategie, die die PLO in den siebziger Jahren erfolgreich praktizierte – oder global operierend auf eine Änderung der Weltordnung hinzuwirken sucht28. Bislang ist nur eine Terrororganisation bekannt geworden, die die zuletzt genannten Eigenschaften aufweist. Es handelt sich hierbei um das sowohl von seiner Organisationsstrukturen als auch seinen Zielsetzungen weltweit aktive Netzwerk Al Qaida („Die Basis“)29. Mit dem internationalen Terrorismus wird zugleich ein gesteigertes Risikopotential verbunden30. Nicht nur ist durch die weltweite Vernetzung ein wesentlich größerer Aktions- und Koordinationsrahmen verbunden, sondern auch eine Notwendigkeit, sich durch drastischere Vorgehensweisen auf dem internationalen Parkett Gehör zu verschaffen31. ← 20 | 21 →

Andererseits lassen sich anhand der Ursachen und Motive verschiedene Formen des Terrorismus benennen. Dazu zählen vor allem ethnisch-nationalistisch und separatistisch motivierte Formen des Terrorismus sowie religiöser und sozialrevolutionärer Terrorismus32. Allerdings ist diese Unterscheidung nicht immer stichhaltig, zum einen, weil etwa religiöse Motive auch in ethnisch-nationalistischen Konflikten eine Rolle spielen können. Eine sowohl religiöse als auch politische Komponente weisen vor allem die Terroranschläge von PLO und IRA auf33. Zum anderen werden bisweilen die im Hintergrund stehende Motive – profane Interessen an Rohstoffen, Drogen und finanziellen Ressourcen – durch einen religiösen oder ethnisch-nationalistischen Vorwand verschleiert oder aufgewertet. Weiterhin lassen insbesondere die jüngsten Terroranschläge ihre Motivation weitestgehend im Dunklen, da die Taten weder mit konkreten Forderungen verbunden waren noch eine unzweifelhafte Zielrichtung erkennen ließen. So kann bis heute über die eigentlichen Interessen, die mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verbunden waren, nur spekuliert werden34. Und schließlich lassen sich nicht alle Terroranschläge diesem Dreiklang unterordnen, weil, wenn auch lediglich vereinzelt, sogar Tierschützer, Abtreibungs- oder Globalisierungsgegner zu terroristischen Strategien greifen35. Trotz der genannten Unwägbarkeiten besteht Einigkeit dahingehend, dass die Mehrzahl der gegenwärtig verübten Anschläge einem religiösen, weil fundamental-islamisch begründeten, Terrorismus zuzurechnen sind, der zugleich besonders eng mit dem Phänomen des Selbstmordattentäters verbunden ist.

Schließlich kann eine Kategorisierung an die von den Terroristen gewählte Begehungsweise anknüpfen. Einen Überblick über jene Mittel, die von Terroristen in der Vergangenheit eingesetzt wurden oder deren Einsatz allgemein für möglich gehalten wird, geben Art. 1 des Rahmenbeschlusses des Rats der Europäischen Union vom 22. Juni 200236 sowie die entsprechenden Katalogstraftaten ← 21 | 22 → des § 129 a StGB. Sie lassen sich untergliedern in Mittel des konventionellen Terrorismus, NBC-Terrorismus und Cyberterrorismus37. Die Mehrzahl terroristischer Anschläge lässt sich dem konventionellen Terrorismus zuordnen, der sich auf die Benutzung von Schusswaffen und Bomben konzentriert. Er verwirklicht sich in gezielten Attentaten gegen Einzelpersonen, Geiselnahmen, Selbstmordattentaten, gefahrenträchtigen Einwirkungen auf Verkehrsmittel und –wege oder Sprengstofffallen. Die Einschätzung dessen, wie wahrscheinlich hingegen ein Angriff von Terroristen mit nuklearen, biologischen oder chemischen Waffen ist, geht auseinander38, obwohl bereits im Jahr 1995 in Japan eine Anschlagsserie mit dem tödlichen Kampfstoff Sarin auf das U-Bahn-System der Stadt Tokio verübt wurde. Auch der Angriff auf das World Trade Center zeigt durch das Ausmaß der von den Tätern angestrebten und erreichten Zerstörung sowie der umfangreichen Planung und Koordination, mit der die Täter dabei vorgingen, dass das Szenario eines Terrorismus mit Massenvernichtungswaffen nicht gänzlich fernliegend sein dürfte. Der in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem 11. September 2001 stehende Versand von Milzbrandviren ließ zwar die Frage über seine Urheberschaft offen, er unterstrich aber die Verfügbarkeit und die Gefährlichkeit massenvernichtender Kampfstoffe aufs Deutlichste. Gleichermaßen steigt mit dem vermehrten Einsatz neuer Medien durch Terrororganisationen, ← 22 | 23 → wodurch sie ihre Botschaften verbreiten oder ihre Mitglieder vernetzen, die Plausibilität, dass das Internet auch zum Angriffsziel terroristischer Handlungen werden könnte und damit ein Cyber-Terrorismus Platz greift39.

II.  Definitorische Merkmale

1.  Terrorismus als Strategie

Eine grundlegende Erkenntnis über die Logik terroristischer Gewalt geht dahin, dass es sich hierbei um eine Strategie handelt, die in einem asymmetrischen Kräfteverhältnis wurzelt und dieses zu ihrem eigenen Vorteil wendet40. Terrorismus ist insofern ein Vorgehen, das relativ schwache Gruppen nutzen, denen es nicht möglich wäre, in einem offenen Konflikt der bestehenden staatlichen Ordnung entgegenzutreten. Deshalb sind sie gezwungen durch überraschende Gewalttaten aus dem Untergrund ihre relative Machtlosigkeit zu kompensieren41. Diese Kompensation gelingt dadurch, dass die eingesetzte Gewalt in besonderem Maße destabilisierend wirkt. Dazu trägt zum einen bei, dass durch das Wirken im Untergrund die Schlagkraft einer Terrororganisation stets eine Unbekannte ist, der man sich lediglich über Spekulationen nähern kann. Dies führt nicht selten dazu, dass die eigentlichen Möglichkeiten der Akteure überschätzt werden42. Das plötzliche, willkürliche Auftreten der gewaltsamen Täter schafft zum anderen aber regelmäßig auch ein besonderes Bedrohungsgefühl, das aus der bloßen Sorge um die Wiederholbarkeit der Ereignisse erwächst und unter Umständen – allein aus diesem Grund – weitreichende gesellschaftliche und wirtschaftliche Nachteile nach sich zieht. Terrorismus ist seinem Wortsinn nach die Verbreitung von Angst und Schrecken. Genau genommen besteht die terroristische Strategie in einem interdependenten Zusammenspiel von Gewaltanwendung oder -androhung einerseits und den intendierten Reaktionen auf die Tat in der Allgemeinheit, bei politischen Gegnern sowie Sympathisanten andererseits. ← 23 | 24 →

2.  Gewaltanwendung

Im Vordergrund der Wahrnehmung von Terrorismus steht die Gewaltanwendung durch seine Protagonisten. Die Art der Gewaltanwendung ist jedoch unspezifisch. Bestimmte Formen der Gewalt haben sich in der Vergangenheit als von Terroristen bevorzugt erwiesen, so etwa Geiselnahmen und Bombenattentate. Immer wieder hat sich jedoch auch gezeigt, dass Terrorismus mit einem enormen Innovationspotential verbunden ist. Begreift man Terrorismus als „Verlegenheitsstrategie“, erschließt sich daraus auch der Grund dafür, dass es einen abgeschlossenen Katalog terroristischer Vorgehensweisen nicht gibt. Terroristen agieren aus dem Untergrund und verfügen im Gegensatz zu ihren staatlichen Gegenspielern nur über deutlich begrenztere Kontingente an Personal, Kapital und Technologie. Daher ist Terrorismus, um sein Schadenspotential in Gänze zu entfalten, darauf angewiesen, vorhandene Infrastrukturen für sich nutzbar zu machen43. Besonders eindrückliches Zeugnis hiervon legen die Anschläge vom 11. September 2001 ab, als es den Tätern gelang, die zivilen Linienflugzeuge der Fluggesellschaften United und American Airlines als massenvernichtende Waffen zum Einsatz gelangen zu lassen. Verschärfte Sicherheitsbedingungen etwa im Luftverkehr tragen ihrerseits dazu bei, dass Terrorismus einem kontinuierlichen Anpassungsprozess unterliegt, der die Vorgehensweise und Mittel verändert44.

Noch ein weiterer Umstand bewirkt, dass sich die terroristische Gewalt immer wieder – nicht nur in einem quantitativen, sondern auch qualitativen – Sinne neu erfinden und Risiken neuer Art und neuen Ausmaßes schaffen kann. Dies liegt darin begründet, dass der Zweck der Gewalthandlung weniger in seinen physischen als in einem psychischen Auswirkungen liegt45. Terroristische Gewalt zielt nicht auf die Eroberung von Territorium, die Zerstörung bestimmter Güter oder Verletzung bestimmter Personen, sondern auf die symbolische Wirkung der Gewalthandlung selbst ab46. Nur dieses Phänomen ermöglichte es der PLO, ihren territorialen Konflikt mit Israel an denkbar weit entfernte Schauplätze zu tragen. Dadurch dass das terroristische Kalkül nicht von einer physischen Zweck-Mittel-Relation bestimmt wird, lässt sich das Wie und Wann eines terroristischen Anschlags kaum antizipieren und eine Prävention gestaltet sich schwierig. ← 24 | 25 →

Mehrfach ist gefordert worden, zu einer Definition des Terrorismus ohne die Inbezugnahme der Täter und ihrer Ziele zu gelangen und das Wesen der Tat als entscheidendes Charakteristikum zu betrachten47. Ein berechtigtes Anliegen, das den Vorzug der zweifelsfreieren Erkenntnisgrundlagen auf seiner Seite hätte. Gegen einen rein objektiven Zugang spricht jedoch neben den bereits genannten Unwägbarkeiten die fehlende Möglichkeit, anhand rein objektiver Umstände Terrorismus von anderen Risiken zu unterscheiden. Ein Terrorist kann Mörder, Brandstifter oder Geiselnehmer sein, ohne dass seine Tat signifikant terroristischer Natur ist. Denn tatsächlich unterscheidet sich der Gewaltakt terroristischer Täter isoliert betrachtet regelmäßig nicht von den Gewalthandlungen, die auf das Konto eines Amokläufers, gewöhnlicher Krimineller oder einer Guerillaorganisation gehen48.

Erst der Kontext der Tat und ihre strategische Bedeutung zeichnen das Wesen terroristischer Gewaltanwendung überhaupt aus49. Ihre Aufgabe ist es vornehmlich, Botschaft oder Forderung der Täter breitenwirksam zu transportieren50. Um dies in besonders wirksamer Weise in die Tat umzusetzen, bedienen sich Terroristen schließlich jener Mittel, die durch ihre Symbolkraft, ihre Grausamkeit oder den scheinbar fehlenden Zusammenhang zwischen Tatziel und Opfer geeignet sind, die weitreichendste Verunsicherung zu veranlassen. Schon die Verwendung des Begriffs der Gewalt im Zusammenhang mit terroristischen Methoden kann schließlich nur im weitesten Sinne verstanden werden, denn im Repertoire terroristischer Handlungen ist zum Teil bereits die Drohung ein effektives Instrument, um Verunsicherung zu schaffen und sich der öffentlichen Aufmerksamkeit zu versichern, derer es zum Transport der terroristischen Botschaft bedarf.

3.  Publizität

Da das strategische Mittel des Terrorismus in Zusammenhang steht mit der fehlenden Möglichkeit, aktiv und gestalterisch auf die Änderung der Lebensumstände oder gesellschaftliche Ordnung einzuwirken, muss er sich darauf verlegen, Reaktionen von Staat und Bevölkerung zu provozieren, die geeignet sind, den Weg für die Belange der Terroristen zu ebnen. Peter Waldmann definiert Terrorismus dementsprechend als „planmäßig vorbereitete, schockierende ← 25 | 26 → Gewaltanschläge gegen eine politische Ordnung aus dem Untergrund. Sie sollen allgemeine Unsicherheit und Schrecken, daneben aber auch Sympathie und Unterstützungsbereitschaft erzeugen.“51 Das Primäre Handlungsziel terroristischer Gewalttäter muss dementsprechend die Publizität der Tat sein52. Dies gelingt, indem eine besonders willkürliche, grausame oder symbolträchtige Tat gewählt wird, die die allgemeine Aufmerksamkeit herzustellen geeignet ist.

Insbesondere im Zeitalter globaler Medien spielt dieser Aspekt eine große Rolle. Gleichwohl ist er schon den frühesten Formen des Terrorismus zu Eigen gewesen. Die Zeloten, Anhänger einer religiöse Sekte, die sich in den Jahren 66 bis 73 nach Christus in einem Widerstandskampf gegen die Römische Besatzung befanden, verübten Anschläge auf römische Legionäre und Kollaborateure der Römer, sollen aber auch Brunnen und Kornspeicher vergiftet und die Wasserversorgung Jerusalems sabotiert haben53, unzweifelhaft mit dem über den konkreten Handlungserfolg hinausweisenden Ziel, sich der Aufmerksamkeit der Bevölkerung und der Besatzungsmacht zu versichern. Als eine weitere terroristische Vereinigung in diesem Sinne können die Assassinen des 13. Jahrhunderts gelten, deren Name noch heute in dem Begriff des Attentäters (engl. assassin) fortwirkt. Ihr Ziel, die Wiederherstellung des Kalifat, verfolgten sie durch stets überraschende, öffentliche Angriffe auf politische Personen, die mit der Zeit zu einer allgegenwärtigen Bedrohung wurden54.

Die Globalisierung der Medien und des Terrorismus bewirkt aber auch, dass es für Terrororganisationen zunehmend schwierig ist, die erwünschte Publizitätswirkung zu erzielen. Der „Wettbewerb um das internationale Rampenlicht“ mag daher auch Ursache für eine stets wachsende Brutalität und Dramatik der inszenierten Ereignisse sein, um ein gleichbleibendes Maß an Aufmerksamkeit für die eigenen Belange zu erregen55. Gelingt es den Terroristen jedoch, dann werden durch die Herstellung öffentlicher Präsenz und die Verbreitung eines allgemeinen Bedrohungsgefühls die Interessen einer Minderheit zum Mehrheitsbelang. Zum Teil erschöpft sich die Intention der Täter bereits in der so ← 26 | 27 → vollzogenen Verkündung einer gewaltsamen Protestbotschaft56. Terrorismus erweist sich dabei letztlich als eine gewaltsame Kommunikationsform57.

4.  Reaktionen

In vielen Fällen reichen die Möglichkeiten terroristischer Gewalt jedoch über das eines Kommunikationsmediums heraus. Ein Terroranschlag vermittelt durch seine schockierende und verunsichernde Wirkung wirtschaftliche Nachteile, die sich beispielhaft bei Anschlägen in touristischen Zentren abzeichnen. Die Anschläge im ägyptischen Luxor im Jahr 1997 und in der Türkei im Jahr 1999 zogen jeweils Einbußen der dortigen Tourismusbranche nach sich, weil sich der Tourismus in der Folge in solche Regionen verlagerte, die im Hinblick auf mögliche Terroranschläge als sicherer erachtet wurden58. Bei einem Anschlag des Ausmaßes vom 11. September 2001 gehen die wirtschaftlichen Folgen weit darüber hinaus. Nicht nur lassen sich eine Vielzahl Branchen benennen, die durch unmittelbare Schäden betroffen waren, sondern auch die mittelbaren Auswirkungen durch einen nachhaltigen Nachfrageschock und erhöhte Transaktionskosten infolge einer verschärften Sicherheitspolitik wurden deutlich spürbar59. Die wirtschaftliche Destabilisierung einer Region oder gar des Welthandels sind neben der Vernichtung menschlicher Existenzen jene Kosten, die nunmehr in die ökonomische Entscheidung über die Fortsetzung einer Politik einfließen und deren Vorhandensein den staatlichen Akteur zu einem Richtungswechsel zwingen soll60.

Aber neben der Möglichkeit, den politischen Gegner in Form konkreter oder konkludenter Forderungen zu erpressen, transportiert ein Terroranschlag auch eine Provokation, die der Entmachtung des kräftemäßig überlegenen Gegners zuträglich ist61: Der staatliche Gegenspieler der Terroristen droht, durch überzogene Gegenreaktionen seine Legitimität einzubüßen oder andererseits seine Handlungsunfähigkeit hinsichtlich einer effektiven Vermeidung terroristischer ← 27 | 28 → Anschläge eingestehen zu müssen62. Deutlich zeichnet sich dieses Vorgehen im Irak ab. Nach der Absetzung des Diktators Saddam Hussein im Jahre 2003 konterkarierte eine Vielzahl von Terroranschlägen die Bemühungen der neuen Regierung, das Land zu befrieden und damit das staatliche Gewaltmonopol zu beanspruchen. Die Anschläge auf irakische Zivilisten, Sicherheitskräfte und Vertreter internationaler Hilfsorganisationen wiesen das Bestreben aus, auf lange Sicht die politische und infrastrukturelle Entwicklung des Landes zu blockieren, um der als Kollaborateur der Besatzungsmacht stigmatisierten Regierung die Anerkennung durch eine Mehrheit in der Bevölkerung zu verwehren.

Details

Seiten
286
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653050509
ISBN (ePUB)
9783653973488
ISBN (MOBI)
9783653973471
ISBN (Paperback)
9783631656815
DOI
10.3726/978-3-653-05050-9
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (November)
Schlagworte
Terrorismus Deliktshaftung Terrorismusopferentschädigung Terrorversicherung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 285 S.

Biographische Angaben

Linda Souren (Autor:in)

Linda Souren studierte Rechtswissenschaften an der Universität Bonn. Sie war dort am Institut für Zivilprozessrecht sowie dem Rheinischen Institut für Notarrecht tätig. Derzeit ist sie Richterin am Amtsgericht in Aachen.

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Titel: Haftung für terroristische Anschläge
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