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Das Gesellschaftskollisionsrecht im Spannungsverhältnis zur Rom I- und II-VO

Eine Untersuchung zur Reichweite des Gesellschaftsstatuts in Abgrenzung zu den Kollisionsregeln der Rom I- und II-VO

von Christoph Rödter (Autor:in)
©2014 Dissertation 268 Seiten

Zusammenfassung

Die Arbeit befasst sich mit der Reichweite des Gesellschaftsstatuts und seiner Abgrenzung zu den Kollisionsregeln der Rom I- und II-Verordnung. Beide Verordnungen finden auf gesellschaftsrechtliche Sachverhalte keine Anwendung. Dabei untersucht der Verfasser zunächst, ob das Gesellschaftsstatut nationalem oder unionsrechtlichem Kollisionsrecht unterliegt, um anschließend allgemeine Kriterien zur Abgrenzung von Kollisionsregeln des nationalen Rechts gegenüber Kollisionsregeln des Unionsrechts herauszuarbeiten. Auf Grundlage dieser allgemeinen Kriterien untersucht der Verfasser die Abgrenzung des Gesellschaftsstatuts gegenüber den Kollisionsregeln der Rom I- und II-Verordnung sowie der EuInsVO.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • Teil 1: Einführung
  • § 1 Gegenstand und Gang der Untersuchung
  • § 2 Das Gesellschaftsrecht im Internationalen Privatrecht („IPR“)
  • A. Die Lehre des Einheitsstatuts – Umfang des Gesellschaftsstatuts
  • B. Theorien zur Bestimmung des Gesellschaftsstatuts
  • Teil 2: Das Gesellschaftskollisionsrecht im Spannungsfeld zur Rom I und II-VO
  • § 1 Gesetzliche Grundlage des Gesellschaftsstatuts
  • A. Keine unionsrechtliche Regelung des Gesellschaftsstatuts
  • B. Völkerrechtliche Abkommen der EU-Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftskollisionsrechts
  • C. Nationales Gesellschaftskollisionsrecht
  • § 2 Folgen für das Gesellschaftskollisionsrecht – Spannungsverhältnis zur Rom I und II-VO
  • A. Anwendungsvorrang unionsrechtlicher Kollisionsregeln
  • B. Folgen für die Auslegung des Gesellschaftskollisionsrechts
  • C. Resümee
  • § 3 Zusammenfassung
  • Teil 3: Gesellschaftsbezogene Anknüpfungsfragen im Spannungsverhältnis des Gesellschaftsstatutes zur Rom I und II-VO
  • § 1 Die Gründung einer Gesellschaft
  • A. Stadien der Gesellschaftsgründung – Begriffsbestimmung
  • B. Kollisionsrechtliche Behandlung des Gründungsvorgangs
  • § 2 Formstatut
  • A. Begriff der gesellschaftsrechtlichen Rechtshandlung – Reichweite des Ausschlusses des Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO
  • B. Geltungsbereich des Art. 11 Rom I-VO
  • § 3 Haftung der Gesellschafter und Organmitglieder
  • A. Qualifikation der Haftungsverfassung
  • B. Gesellschafter- / Organhaftung wegen Verletzung gesellschaftsbezogener Pflichten
  • C. Abgrenzung des Gesellschafts- zum Insolvenz- und Deliktsstatut am Beispiel der Existenzvernichtungshaftung
  • D. Zusammenfassung
  • § 4 Firmenrecht
  • A. Grundsätzliche Qualifikation des Firmenrechts
  • B. Grenzen der gesellschaftsrechtlichen Qualifikation des Firmenrechts durch die Rom II-VO
  • C. Zusammenfassung
  • Teil 4: Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit
  • Literaturverzeichnis

Teil 1:  Einführung

§ 1  Gegenstand und Gang der Untersuchung

Die nachfolgende Arbeit befasst sich mit der Schnittstelle zwischen Gesellschaftsrecht, Internationalem Privatrecht und Europarecht. Durch die grundlegenden Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Centros1, Überseering2 und Inspire Art3 zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften hat sich das deutsche Internationale Gesellschaftsrecht zumindest teilweise einem grundlegenden Wandel unterzogen. Die hierdurch ermöglichte Mobilität von Gesellschaften innerhalb Europas hat unter anderem zur Gründung zahlreicher Unternehmen unter der englischen Rechtsform der private company limited by shares („Limited“) geführt, deren wirtschaftliche Tätigkeit sich ausschließlich auf Deutschland beschränkt4, wodurch das Internationale Gesellschaftsrecht erheblich an praktischer Bedeutung gewonnen hat5.

Für die Bestimmung des anwendbaren Sachrechts auf Sachverhalte im Umfeld von Gesellschaften ist in erster Linie das Gesellschaftsstatut maßgeblich. Obwohl der Umfang des Gesellschaftsstatuts vom BGH allumfassend dahingehend umschrieben wird, dass sämtliche Regelungen erfasst sein sollen, die bestimmen nach welchen Regeln eine Gesellschaft entsteht, lebt und wieder vergeht6, stellt sich auch die Frage der Maßgeblichkeit anderer Kollisionsregeln. Inhaltlich geht es um die Abgrenzung des Gesellschaftsstatuts zu anderen Kollisionsregeln, was ← 19 | 20 → gerade an der Schnittstelle zum Insolvenz- und Deliktsstatut erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Diese Schwierigkeiten rühren in erster Linie daher, dass sich Abgrenzungsfragen zwischen dem Gesellschaftsstatut und anderen Kollisionsnormen bislang in der Praxis regelmäßig nicht stellten, da sie in der Regel zu identischen Ergebnissen kamen. Erst mit der vom EuGH erzwungenen Abkehr von der Sitztheorie gegenüber EU-Auslandsgesellschaften, wodurch Gesellschaften aus EU-Mitgliedschaften innerhalb der EU Mobilität ermöglicht wurde7, erlangte die Frage der maßgeblichen Kollisionsnorm für Sachverhalte im Umfeld von Gesellschaften an praktischer Bedeutung.

Diese Abgrenzungsfragen haben mit Inkrafttreten der Rom I und II-VO8 eine weitere Dimension erlangt, indem beide Verordnungen nahezu umfassend das Kollisionsrecht für vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse regeln. Ausgeschlossen sind jedoch stets gesellschaftsrechtliche Sachverhalte (Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom II-VO), weshalb deren Behandlung einer genaueren Untersuchung bedarf. Hierbei geht es nicht um die bereits mehrfach behandelte Frage der grundsätzlichen Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts9, vielmehr ist insbesondere im Hinblick auf die Rom I und II-VO aber auch der EuInsVO10 die Reichweite des Gesellschaftsstatuts zu untersuchen. Es geht um die Frage, wie sich das Gesellschaftsstatut in die sonstigen, nun größtenteils durch die Rom I- und II-Verordnungen geregelten Kollisionstatbestände einfügt. Da das Gesellschaftsstatut weiterhin Gegenstand nationalen Rechts ist, in der Rom I und II-VO weite Teile des Internationalen Privatrechts nun jedoch unionsrechtlich geregelt sind, bedarf die Bestimmung der Reichweite des Gesellschaftsstatuts einer neuen Untersuchung. ← 20 | 21 →

Die Reichweite des Gesellschaftsstatuts unter Berücksichtigung der Rom I und II-VO soll in der vorliegenden Arbeit untersucht werden, indem im Anschluss an die Einführung (Teil 1) das Spannungsverhältnis zwischen dem Gesellschaftsstatut und der Rom I und II-VO aufgezeigt wird (Teil 2) und gesellschaftsbezogene Qualifikationsfragen in diesem Spannungsverhältnis im Einzelnen untersucht werden (Teil 3).

§ 2  Das Gesellschaftsrecht im Internationalen Privatrecht („IPR“)

Bei Sachverhalten mit Auslandsberührung stellt sich regelmäßig die Frage, nach welcher Rechtsordnung der zu entscheidende Sachverhalt zu beurteilen ist. Hierfür trifft das IPR Bestimmungen darüber, welcher Rechtsordnung die Normen zur privatrechtlichen Beurteilung eines solchen Sachverhalts zu entnehmen sind, vgl. Art. 3 EGBGB11. Das deutsche und auch das unionsrechtliche IPR enthalten dafür Kollisionsnormen, die mit Hilfe bestimmter Anknüpfungspunkte das in der Sache anzuwendende Recht bestimmen12. Aufgabe dieser Kollisionsnormen ist es, diejenige Rechtsordnung zu ermitteln, mit der der zu beurteilende Sachverhalt die engste Verbindung aufweist13. Vorbehaltlich einer Rück- oder Weiterverweisung wird anhand dieser Rechtsordnung der Sachverhalt einer rechtlichen Würdigung unterzogen14. Das hiernach zur Anwendung berufene Sachrecht bezeichnet man als Sachstatut15. Hinsichtlich der gesellschaftsrechtlichen Regelungen spricht man gemeinhin vom Gesellschaftsstatut16. ← 21 | 22 →

A.  Die Lehre des Einheitsstatuts – Umfang des Gesellschaftsstatuts

Die Bestimmung des Sachstatuts bedeutet nicht, dass auf einen Sachverhalt zwingend nur eine Rechtsordnung Anwendung findet, vielmehr können für die Beurteilung einzelner Systembereiche eines einheitlichen Sachverhalts jeweils andere Rechtsordnungen zur Anwendung berufen sein. Ein solches Nebeneinander verschiedener Rechtsordnungen zur Beurteilung eines Sachverhaltes tritt z.B. im Rahmen der sog. Vorfrage auf, wenn einzelne Tatbestandsmerkmale einer Regelung einem anderen Statut unterfallen, so dass für deren Beurteilung auf die durch dieses andere Statut berufene Rechtsordnung abzustellen ist17. Andererseits können auch nur verschiedene Teile des zu beurteilenden Sachverhalts verschiedenen Statuten unterworfen sein (sog. Teilfrage), wie dies beispielsweise bei der Trennung des in den Art. 3 ff. Rom I-VO geregelten Vertragsstatuts und des in Art. 11 Rom I-VO geregelten Formstatuts der Fall ist18.

Ohne dass das Internationale Gesellschaftsrecht bislang jemals Gegenstand einer gesetzlichen Regelung in Deutschland war, herrscht – unabhängig von der Frage nach welchen Kriterien die Bestimmung des Gesellschaftsstatuts erfolgen soll – nahezu Einigkeit darüber, dass grundsätzlich sämtliche gesellschaftsrechtlichen Fragen nach demselben Statut zu beurteilen sind (sog. Einheitsstatut)19. Damit soll verhindert werden, dass eine Gesellschaft als einheitliches Gebilde von unterschiedlichen Regelungen beherrscht wird20. Während die auf eine Gesellschaft anwendbaren Regelungen innerhalb einer Rechtsordnung regelmäßig aufeinander abgestimmt sind, insbesondere Regelungen des Innenverhältnisses gegenüber Regelungen des Außenverhältnisses, kann bei der kumulativen ← 22 | 23 → Anwendung verschiedener Rechtsordnungen hiervon nicht ausgegangen werden, was zwangsläufig Anpassungsprobleme hervorruft21.

Art. 10 Abs. 2 EGBGB-E des Referentenentwurfs zum Internationalen Gesellschaftsrecht vom 7. Januar 2008 enthält zur Bestimmung des Umfangs des Gesellschaftsstatuts eine nicht abschließende Aufzählung von Sachverhalten, die unter das Gesellschaftsstatut fallen sollen. Eine solche Aufzählung erscheint jedoch wenig hilfreich, wenn sogar in der Entwurfsbegründung davon die Rede ist, dass z.B. die Abgrenzung des Gesellschaftsstatuts zum Deliktsstatut im Zusammenhang mit Haftungsfragen der Rechtsprechung überlassen sei22. Darüber hinaus stellt sich die Frage der Bedeutung einer Festlegung der Reichweite des Gesellschaftsstatuts durch den nationalen Gesetzgeber, wenn die angrenzenden Kollisionsnormen etwa des Deliktsstatuts oder des Insolvenzstatuts mit Art. 4 Rom II-VO bzw. Art. 4 EuInsVO dem Europarecht entstammen23.

B.  Theorien zur Bestimmung des Gesellschaftsstatuts

Neben der Reichweite des Gesellschaftsstatuts ist auch die Frage der Bestimmung des Gesellschaftsstatuts von zentraler Bedeutung. Zur Bestimmung des richtigen Anknüpfungsmerkmals für die Ermittlung des Gesellschaftsstatuts stehen sich im Wesentlichen die Sitz- und Gründungstheorie gegenüber. Da beide Theorien für die Bestimmung des Gesellschaftsstatuts unterschiedliche Anknüpfungspunkte verwenden, können sie bei der Ermittlung des anwendbaren Rechts zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Daneben werden in der Literatur, insbesondere seit den Entscheidungen des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften nach Art. 49 Abs. 1, 54 AEUV (ex Art. 43 Abs. 1, 48 EG)24, verschiedene Anknüpfungsmerkmale zur Bestimmung des Gesellschaftsstatuts diskutiert, die in der Praxis jedoch nie Berücksichtigung gefunden haben. ← 23 | 24 →

I.  Sitztheorie

1.  Grundlage und Inhalt der Sitztheorie

Die Sitztheorie, deren Ursprung in Kontinentaleuropa, insbesondere in Frankreich und Belgien liegt25, verfolgt das ordnungspolitische Ziel der Kontrollmöglichkeit des Staates, in dem die Gesellschaft vorwiegend tätig wird, insbesondere hinsichtlich der Ausgestaltung von haftungsbegrenzten Kapitalgesellschaften und den damit verbundenen Fragen des Gläubigerschutzes26. Um diese ordnungspolitische Zielsetzung zu erreichen, erfolgt, anders als etwa bei der Bestimmung des Vertragsstatuts, die nach Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO grundsätzlich einer Parteivereinbarung zugänglich ist, die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts auf Grundlage der Sitztheorie streng nach dem Interessenmittelpunkt der Gesellschaft27.

2.  Bestimmung des Interessenmittelpunktes der Gesellschaft

Als Interessenmittelpunkt der Gesellschaft gilt der tatsächliche bzw. effektive Verwaltungssitz der Gesellschaft, unabhängig vom Ort des Satzungssitzes28, wobei die Bestimmung des effektiven Verwaltungssitzes unterschiedlich erfolgt. Teilweise wird auf den Schwerpunkt der wirtschaftlichen Betätigung der Gesellschaft abgestellt29, während die h.M. in Anschluss an Sandrock30 auf den Tätigkeitsort der Geschäftsführung abstellt, also den Ort, an dem die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden31. Kritiker der Sitztheorie wenden dagegen ein, dass im Zuge der Globalisierung der effektive Verwaltungssitz nicht mehr lokalisiert werden kann, da sich – etwa aufgrund heutiger Kommunikationsmöglichkeiten ← 24 | 25 → – die Geschäftsführer theoretisch an völlig unterschiedlichen Orten aufhalten und trotzdem miteinander die Geschäftsführung ausüben können32.

3.  Folgen der Sitztheorie für die Ermittlung des Gesellschaftsstatuts

Hinsichtlich der Folgen der Sitztheorie ist zwischen zwei Konstellationen zu unterscheiden.

Befindet sich der Verwaltungssitz einer Gesellschaft im Staat, nach dessen Recht die Gesellschaft errichtet wurde, gilt das Recht dieses Staates.

Anderes kann jedoch gelten, wenn sich der Verwaltungssitz in einem anderen Staat als dem Gründungsstaat befindet. In einem solchen Fall ist auf die Gesellschaft zunächst das Recht dieses anderen Staates anzuwenden33. Welche Rechtsordnung in einem solchen Fall letztlich das Gesellschaftsstatut darstellt, hängt jedoch davon ab, ob man die Kollisionsregeln als Gesamtnormverweisung oder Sachnormverweisung erachtet. In letztgenanntem Fall erfolgt ein Verweis lediglich auf das am effektiven Verwaltungssitz geltende Sachrecht34, so dass auf die Gesellschaft sodann das am Ort des effektiven Verwaltungssitzes geltende Gesellschaftsrecht Anwendung findet. Geht man von einer Gesamtnormverweisung aus35, ist für die Bestimmung des Gesellschaftsstatuts auch das IPR der am ← 25 | 26 → Ort des effektiven Verwaltungssitzes geltenden Rechtsordnung zu berücksichtigen36. Folgt diese Rechtsordnung ebenfalls der Sitztheorie, findet im Ergebnis das am Ort des effektiven Verwaltungssitzes geltende Sachrecht Anwendung. Hingegen ist das Gründungsrecht die maßgebliche Rechtsordnung, wenn das Recht am Ort des effektiven Verwaltungssitzes der Gründungstheorie folgt37. In einem solchen Fall erfolgt ein Rückverweis (Renvoi).

II.  Gründungstheorie

1.  Grundlage und Inhalt der Gründungstheorie

Anders als bei der Sitztheorie, untersteht eine Gesellschaft grundsätzlich dem Recht des Staates, nach dem sie gegründet wurde38. Das Anknüpfungsmoment kann sich dabei im Einzelfall unterscheiden und hängt von der Ausgestaltung der jeweiligen Kollisionsregel ab. Neben dem pauschalen Verweis auf das Gründungsrecht39, wird etwa auch auf den Ort der Registereintragung abgestellt40

Die Gründungstheorie hat ihren Ursprung in England41. Ziel war es, die überseeischen Wirtschaftsaktivitäten in den englischen Kolonien zu schützen42. Durch die Gründungstheorie war es für Handelsgesellschaften englischen Rechts möglich, ihrer Geschäftstätigkeit in den Kolonien nachzugehen, ohne ihren Charakter als Gesellschaft englischen Rechts aufzugeben bzw. Gesellschaften englischen Rechts in den Kolonien zu gründen43. ← 26 | 27 →

2.  Folgen der Gründungstheorie für die Ermittlung des Gesellschaftsstatuts

Auch bei der Ermittlung des Gesellschaftsstatuts nach der Gründungstheorie ist zwischen verschiedenen Konstellationen zu unterscheiden.

Aus Sicht der Rechtsordnung, nach der die Gesellschaft errichtet ist, stellt diese Rechtsordnung bei Anwendung der Gründungstheorie stets das Gesellschaftsstatut dar. Dies gilt unabhängig davon, an welchem Ort sich der effektive Veraltungssitz der Gesellschaft befindet. Mithin ändert sich das Gesellschaftsstatut durch eine rein tatsächliche Verlegung des Verwaltungssitzes nicht44.

Fallen das Gründungsrecht und die Rechtsordnung am Ort des effektiven Verwaltungssitzes auseinander, kann anderes gelten. Auf Grundlage der Gründungstheorie erfolgt ein Verweis auf das Gründungsrecht. Geht man von einer Sachnormverweisung aus45, entspricht das Gründungsrecht dem Gesellschaftsstatut. Im Falle einer Gesamtnormverweisung ist hingegen auch das IPR des Gründungsrechts zu berücksichtigen46. Folgt das Gründungsrecht der Gründungstheorie, ist auch im Falle einer Gesamtnormverweisung das Gründungsrecht als Gesellschaftsstatut anzusehen. Folgt das Gründungsrecht hingegen der Sitztheorie, findet im Wege des Rückverweises (Renvoi) das Sachrecht am Ort des effektiven Verwaltungssitzes an.

III.  Mischformen

Um einen Ausgleich zwischen den mit der Sitztheorie verfolgten staatlichen Kontrollinteressen47 und dem hinter der Gründungstheorie stehenden Interesse nach möglichst großer Freiheit im Zusammenhang mit der Mobilität von Gesellschaften48 zu schaffen, wurden in der Literatur verschiedene Lösungen vorgeschlagen, die sowohl Elemente der Sitztheorie als auch der Gründungstheorie aufweisen. Gemeinsam ist den nun darzustellenden Vorschlägen ihr Ausgangspunkt in der Gründungstheorie49.

1.  Überlagerungstheorie

Die Überlagerungstheorie geht von dem die Gründungstheorie prägenden Grundsatz aus, dass eine ausländische Gesellschaft prinzipiell als wirksam ← 27 | 28 → errichtet anzusehen ist, auch wenn sich ihr Verwaltungssitz nicht im Gründungsstaat befindet50. Das Gründungsrecht wird jedoch vom Sitzrecht insoweit verdrängt bzw. überlagert, wie zwingende gesellschaftsrechtliche Vorschriften des Sitzstaates dies erforderlich machen51.

2.  Kombinationslehre

Nach der Kombinationslehre ist zwischen ausländischen Gesellschaften zu unterscheiden, die einen substantiellen Auslandsbezug aufweisen und solchen, deren Auslandsbezug allein in der Wahl der ausländischen Rechtsform zu sehen ist (Scheinauslandsgesellschaft)52. Bei letzteren Gesellschaften bestehe kein schutzwürdiges Interesse, von national zwingenden Normen abzuweichen, so dass die maßgebliche Rechtsordnung diejenige des Ortes des Verwaltungssitzes ist53. Weist die Gesellschaft hingegen einen substantiellen Auslandsbezug auf, ist grundsätzlich das Gründungsrecht die maßgebliche Rechtsordnung54. Dies hat zur Konsequenz, dass sich bei nachträglichem Wegfall einer solchen Auslandsberührung das Gesellschaftsstatut wandelt55. Die Begründung für diese differenzierende Betrachtungsweise wird in Art. 27 Abs. 3 EGBGB a.F. gesucht, der die Rechtswahlfreiheit hinsichtlich sachrechtlich zwingender Bestimmungen des Staates, zu dem allein relevante Beziehungen bestehen, an einen über die Rechtswahl hinausgehenden Auslandsbezug knüpft56.

3.  Differenzierungstheorie

Die Differenzierungslehre trennt zwischen Innen- und Außenverhältnis von Gesellschaften57. Während für das Innenverhältnis der Gesellschaft stets das Gründungsrecht maßgeblich sein soll, müssen Fragen des Außenverhältnisses ← 28 | 29 → nicht zwingend nach dem Gründungsrecht zu beurteilen sein58. Teilweise wird eine differenzierte Anknüpfung des Außenverhältnisses vorgenommen59 oder auch hier der Grundsatz der Parteiwahl herangezogen60, während andere aus Rechtsklarheitsgründen im Außenverhältnis stets das Recht des Tätigkeitsorts heranziehen wollen61.

4.  Europarechtliche Ansätze

Neben diesen klassischen Ansätzen zur Verbindung von Teilen der Sitz- und Gründungstheorie wurden infolge der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften nach Art. 49 Abs. 1, 54 AEUV (ex Art. 43 Abs. 1, 48 EG)62 verschiedene Ansätze zur Kombination von Sitz- und Gründungstheorie diskutiert63. Gemeinsamer Hintergrund sämtlicher Ansätze der Kombination von Sitz- und Gründungstheorie ist die Frage, inwieweit die Entscheidungen des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften die Anwendung des Gründungsrechts vorgeben64.

In Folge der Inspire Art Entscheidung des EuGH65 wird für Zuzugsfälle von EU-Auslandsgesellschaften vertreten, dass sich alle die Grundlagen einer Gesellschaft betreffenden Dinge, nach dem Recht des Gründungsstaates richten, während darüber hinaus kein Anspruch auf Geltung des Gründungsrechts bestehe66. Als die Grundlagen einer Gesellschaft betreffenden Dinge werden dabei die Entstehung, die Verfassung, das Erlöschen und die Umwandlung angesehen67. Im Hinblick auf das gläubigerschützende Außenrecht einer Gesellschaft sei hingegen eine Alternativanknüpfung an den Ort des tatsächlichen unternehmerischen ← 29 | 30 → Schwerpunkts und an den Gründungsort nach dem Günstigkeitsprinzip statthaft68. Eine Modifikation dieser Anknüpfung sei jedoch dann geboten, soweit das Recht am Ort des tatsächlichen unternehmerischen Schwerpunkts in seinen Auswirkungen zum Nachteil der in Anspruch genommenen Gesellschafter oder Geschäftsleiter über das ebenfalls anwendbare Gläubigerschutzrecht des Gründungsstaates hinausgeht69. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trage der Betroffene70. Auf dieser Grundlage obliege es dem Gericht zu prüfen, ob von einer Anwendung inländischen Rechts zu Gunsten des Gründungsstatuts Abstand zu nehmen oder bei Zweifeln an der Verhältnismäßigkeit der Anwendung inländischen Rechts gegebenenfalls eine Vorlage an den Gerichtshof erforderlich ist71.

IV.  Bewertung der Theorien und Zusammenfassung

Mit Ausnahme der Kombinationslehre haben die vorgeschlagenen Theorien eine gemeinsame Schwäche. Durch die kumulative Anwendung verschiedener Gesellschaftsrechte wird die Einheit des Gesellschaftsstatuts durchbrochen, was mit der Lehre vom Einheitsstatut72 gerade vermieden werden soll73.

Daneben spricht gegen die Überlagerungstheorie, dass auch bei ihr die Verlegung des Verwaltungssitzes zumindest faktisch eine Neugründung nach dem Recht des Zuzugsstaates erforderlich macht. Zwar wird die zugezogene Gesellschaft als solche anerkannt, gleichwohl hat sie die am Ort des Verwaltungssitzes geltenden Regeln betreffend die Verfassung der Gesellschaft zu beachten, da es sich bei diesen regelmäßig um zwingendes Recht handelt. Die Differenzierungstheorie ist vor allem deshalb unpraktikabel, weil es nicht möglich ist, das Innenverhältnis einer Gesellschaft von deren ← 30 | 31 → Außenverhältnis getrennt anzuknüpfen, da beide ineinander übergehen74. Am ehesten überzeugt die Kombinationslehre, da sie die Einheit des Gesellschaftsstatuts wahrt. Abgesehen von der Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit bleibt jedoch die Frage unbeantwortet, wann eine Gesellschaft als Scheinauslandsgesellschaft zu behandeln ist. Soll dies von einer bestimmten Dauer der Existenz der Gesellschaft abhängig sein oder gar von einem bestimmten Umfang der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft im Gründungsstaat? Im Hinblick auf die Lehre vom Einheitsstatut bleibt festzuhalten, dass eine differenzierende Anknüpfung gesellschaftsrechtlicher Regelungen nicht sinnvoll ist. Ohnehin stellt sich die Frage, ob nicht mit dem im IPR zur Verfügung stehenden Instrumentarium des ordre public75 oder der Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen76 den vom Sachrecht verfolgten Interessen in hinreichendem Maße Geltung verschafft wird.

Allein die Gründungstheorie gewährleistet eine einheitliche Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts, die zugleich im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften aus EU-Mitgliedstaaten steht und ist daher vorzuziehen77. Dies gilt ausweislich der jüngsten Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften zwar lediglich für den Zuzug von Gesellschaften aus EU-Mitgliedstaaten78. Die Gründungstheorie sollte, wie von Art. 10 Abs. 1 EGBGB-E des Referentenentwurfs zum Internationalen Gesellschaftsrecht vom 7. Januar 2008 vorgesehen und auch von § 4a GmbHG / § 5 AktG impliziert79, jedoch auf inländische Gesellschaften ← 31 | 32 → aus Gründen der Gleichbehandlung im Verhältnis zu ausländischen Gesellschaften erstreckt werden80.

Da in vorliegender Arbeit das Spannungsverhältnis zwischen dem Gesellschaftskollisionsrecht und der Rom I und II-VO untersucht werden soll, bei dem es um die Reichweite des Gesellschaftsstatuts, nicht jedoch um dessen Anknüpfung geht, soll auf die Frage der Anknüpfung nachfolgend nur insoweit eingegangen werden, als sich hieraus Auswirkungen auf das Spannungsverhältnis des Gesellschaftsstatuts zur Rom I und Rom II-VO ergeben könnten. ← 32 | 33 →

                                                   

1.    EuGH Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459.

2.    EuGH Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919.

3.    EuGH Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155.

4.    Vgl. hierzu die Übersicht bei Niemeier, Status: Recht, 07–08/2009, 165 sowie Bayer/Hoffmann, GmbHR 2007, 414 ff.; Eidenmüller, ZGR 2007, 168 ff.; Happ ZHR 169 (2005), 6 ff.; Knöfel, BB 2006, 1233 ff.; Römermann, NJW 2006, 2065 ff.; Rönnau, ZGR 2005, 832 ff.; Westhoff, GmbHR 2006, 525 ff.; Westhoff, GmbHR 2007, 474 ff.

5.    Siehe die zahlreichen zum internationalen Gesellschaftsrecht erschienenen oder in Erscheinung befindlichen Praxishandbücher wie etwa Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht; Spahlinger/Wegen (Hrsg.), Internationales Gesellschaftsrecht in der Praxis; Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften; Leible/Reichert (Hrsg.), Münch. Hdb. GesR VI.

6.    BGH NJW 1957, 1433, 1434.

Details

Seiten
268
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653049367
ISBN (ePUB)
9783653974003
ISBN (MOBI)
9783653973990
ISBN (Hardcover)
9783631656518
DOI
10.3726/978-3-653-04936-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (August)
Schlagworte
Niederlassungsfreiheit Existenzvernichtungshaftung Firmenrecht Internationales Privatrecht
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 268 S.

Biographische Angaben

Christoph Rödter (Autor:in)

Christoph Rödter studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München Rechtswissenschaften und forschte anschließend in den Bereichen des Europarechts sowie des Internationalen Privatrechts mit einem besonderen Schwerpunkt im Internationalen Gesellschaftsrecht an der Universität Freiburg im Breisgau.

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