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Nachgelagerte Besteuerung der betrieblichen Altersversorgung

Eine Untersuchung der geltenden Regelungen aus steuersystematischer Sicht

von Nicole Hellberg (Autor:in)
©2015 Dissertation 208 Seiten

Zusammenfassung

Die Besteuerung der Alterssicherung beim Arbeitnehmer orientiert sich seit der grundlegenden Reform durch das Alterseinkünftegesetz an der sogenannten nachgelagerten Besteuerung. Dies gilt grundsätzlich auch für die betriebliche Altersversorgung. Derzeit setzt das Einkommensteuerrecht die nachgelagerte Besteuerung jedoch nicht für alle fünf Durchführungswege der betrieblichen Altersversorgung mit gleicher Konsequenz um. Diese Untersuchung zeigt Wertungswidersprüche im geltenden Recht auf und beschäftigt sich mit der Frage, wie die Regelungen steuersystematisch korrekt ausgestaltet werden können.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einführung
  •  I. Anlass und Gegenstand der Untersuchung
  • II. Gang der Untersuchung
  • B. Begriffsbestimmungen
  •   I. Betriebliche Altersversorgung
  •  II. Nachgelagerte (und vorgelagerte) Besteuerung
  • III. Deferred compensation
  • IV. Intertemporale Korrespondenz
  • C. Belastungswirkungen vorgelagerter und nachgelagerter Besteuerung
  •   I. Belastungswirkungen der nachgelagerten Besteuerung im Vergleich zur „traditionellen“ vorgelagerten Besteuerung
  • 1. Berechnungsbeispiel
  • 2. Implizite Steuerfreistellung der marktüblichen Verzinsung durch nachgelagerte Besteuerung
  • 3. Nachgelagerte Besteuerung als „Steuerstundung“?
  • 4. Belastungsgleichheit vorgelagerter und nachgelagerter Besteuerung bei Verzicht auf Ertragsanteilsbesteuerung
  •  II. Progressionseffekte
  • III. Zusammenfassung Teil C
  • D. Steuersystematische Grundlagen der nachgelagerten Besteuerung
  •   I. Kapitaleinkommensteuer versus Konsumeinkommensteuer
  •  II. Nachgelagerte Besteuerung als Einstieg in eine generelle konsumorientierte Besteuerung?
  • III. Anknüpfungsmöglichkeiten der nachgelagerten Besteuerung von (Alters-)Einkünften im System des geltenden Einkommensteuerrechts
  • 1. Allgemeines zur Ermittlung von Einkünften
  • 2. Steuersystematische Anknüpfungspunkte der nachgelagerten Besteuerung
  • IV. Grundlegendes zum Zufluss von Einnahmen
  • 1. Einnahmen in Form von Geld oder geldwerten Gütern
  • 2. Zufluss beim Steuerpflichtigen durch Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht (objektive Bereicherung)
  • 3. Zurechnung zu einer der Überschusseinkunftsarten
  •   V. Bedeutung des Leistungsfähigkeitsprinzips
  • VI. Formen des Zuflusses und zivilrechtliche Anknüpfungspunkte
  • 1. Zivilrechtliche Erfüllung als „Referenzbegriff“ des steuerlichen Zuflusses
  • a) Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
  • b) Schlussfolgerungen
  • 2. Zufluss durch Rechtshandlungen
  • a) Erlass, Verzicht
  • b) Novation (Schuldumwandlung)
  • 3. Zufluss von Arbeitslohn
  • a) Allgemeines zum Arbeitslohnzufluss
  • b) Arbeitslohnzufluss durch Gutschrift in den Büchern des Arbeitgebers
  • c) Arbeitslohnzufluss durch Zahlung an Dritte (Lohnverwendungsabrede)
  • d) Arbeitslohnzufluss durch Abtretung einer Forderung des Arbeitgebers
  • e) Arbeitslohnzufluss und Zukunftssicherungsleistungen
  • VII. Zusammenfassung Teil D
  • E. Arbeitsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten betrieblicher Versorgungszusagen
  •   I. Allgemeines
  • 1. Historische Entwicklung
  • 2. Heutige Bedeutung und Verbreitung
  •  II. Durchführungswege
  • 1. Direktzusage, § 1 Abs. 1 BetrAVG
  • a) Vorsorgephase
  • b) Versorgungsphase
  • c) Rückgedeckte Direktzusage
  • 2. Unterstützungskasse, § 1b Abs. 4 BetrAVG
  • a) Vorsorgephase
  • b) Versorgungsphase
  • c) Rückgedeckte Unterstützungskasse
  • 3. Direktversicherung, § 1b Abs. 2 BetrAVG
  • a) Vorsorgephase
  • (1) Widerrufliches Bezugsrecht
  • (2) Unwiderrufliches Bezugsrecht
  • (3) Gespaltenes Bezugsrecht
  • b) Versorgungsphase
  • 4. Pensionskasse, § 1b Abs. 3 Var. 1 BetrAVG
  • a) Vorsorgephase
  • b) Versorgungsphase
  • 5. Pensionsfonds, § 1b Abs. 3 Var. 2 BetrAVG
  • a) Vorsorgephase
  • b) Versorgungsphase
  • III. Zusagearten
  • 1. Leistungszusage, § 1 Abs. 1 BetrAVG
  • 2. Beitragsorientierte Leistungszusage, § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG
  • 3. Beitragszusage mit Mindestleistung, § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG
  • a) Reine (im Betriebsrentengesetz nicht vorgesehene) Beitragszusagen
  • b) Beitragszusage mit Mindestleistung
  • IV. Entgeltumwandlung
  • 1. Formen arbeitnehmerfinanzierter betrieblicher Altersversorgung
  • a) Entgeltumwandlung, §§ 1 Abs. 2 Nr. 3 und 1a Abs. 1 BetrAVG
  • b) Eigenbeiträge des Arbeitnehmers, § 1 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG
  • 2. Zivilrechtliche Einordnung der Entgeltumwandlung
  • a) Keine Novation
  • b) Keine Entgeltverwendungsabrede
  • c) Kein Erlassvertrag
  • d) Keine Leistung an Erfüllungs statt
  • e) Entgeltumwandlung als Schuldänderungsvereinbarung
  • 3. Zeitliche Eingrenzung des „künftigen Entgeltanspruchs“
  • a) Erfordernis einer allgemeinen Rechtsgrundlage
  • b) „Künftiger“ Anspruch
  • c) Zivilrechtliche Eingrenzung
  • d) Exkurs: Steuerliche Eingrenzung
  •   V. Sicherheit der Versorgung
  • 1. Unverfallbarkeit
  • 2. Gesetzliche Insolvenzsicherung, §§ 7 ff. BetrAVG
  • a) Sicherungsfälle
  • b) Gesicherte Personen und Zusageformen
  • c) Anspruchsumfang
  • 3. Unverfallbarkeit und gesetzliche Insolvenzsicherung bei Entgeltumwandlung
  • VI. Zusammenfassung Teil E
  • F. Derzeitige Besteuerung der betrieblichen Altersversorgung
  •   I. Kein einheitliches Besteuerungskonzept
  •  II. Zentrale Vorschriften zur Besteuerung der Zukunftsvorsorge beim Arbeitnehmer
  • 1. § 19 Abs. 1 EStG
  • a) Herkömmliche Rechtslage, § 19 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG
  • b) § 19 Abs. 1 Nr. 3 EStG
  • c) Gesetzliche Festschreibung einer steuersystematisch fragwürdigen Rechtspraxis
  • 2. § 2 Abs. 2 Nr. 3 LStDV
  • a) Regelungsinhalt
  • b) Methodische Mängel der Vorschrift
  • III. Besteuerung der „internen“ betrieblichen Altersversorgung
  • 1. Keine Besteuerung in der Vorsorgephase
  • 2. Besteuerung der Versorgungsleistungen nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 EStG
  • IV. Besteuerung der „externen“ betrieblichen Altersversorgung
  • 1. Vorsorgephase
  • a) Steuerbarkeit der Vorsorgebeiträge nach § 19 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG
  • b) Begrenzte Steuerfreistellung der Vorsorgebeiträge
  • (1) § 3 Nr. 63 EStG
  • (2) § 3 Nr. 56 EStG
  • c) Besonderheiten bei Altzusagen
  • 2. Versorgungsphase
  • a) Leistungen, die auf geförderten Beiträgen beruhen
  • b) Leistungen, die auf nicht geförderten Beiträgen beruhen
  • (1) Rentenzahlungen
  • (2) Kapitalzahlungen
  •   V. Exkurs: Besteuerung der betrieblichen Altersversorgung beim Arbeitgeber
  • 1. Direktzusage, § 6a EStG
  • 2. Unterstützungskasse, § 4d EStG
  • 3. Direktversicherung, § 4b EStG
  • 4. Pensionskasse, § 4c EStG
  • 5. Pensionsfonds, § 4e EStG
  • G. Beurteilung der derzeitigen Besteuerung der betrieblichen Altersversorgung unter Zuflussgesichtspunkten
  •   I. Zufluss bei Entgeltumwandlung
  • 1. Kein Zufluss durch die Entgeltumwandlungsabrede
  • 2. Zufluss richtet sich nach gewähltem Durchführungsweg
  •  II. Zufluss bei direkter Versorgung durch den Arbeitgeber
  • 1. Vorsorgephase
  • a) Kein Zufluss durch Erteilung der Direktzusage
  • b) Kein Zufluss durch Eintritt der Unverfallbarkeit
  • c) Kein Zufluss durch Bildung einer Pensionsrückstellung
  • d) Kein Zufluss durch Abschluss einer Rückdeckungsversicherung
  • 2. Versorgungsphase
  • a) Kein Zufluss durch Eintritt des Versorgungsfalls
  • b) Zufluss mit Auszahlung der Versorgungsleistungen
  • 3. Besteuerungszeitpunkt bei Direktzusagen ist zutreffend
  • III. Zufluss bei Versorgung unter Beteiligung Dritter - derzeitige Rechtspraxis
  • 1. Auffassung der Rechtsprechung
  • a) Direktversicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds
  • b) Unterstützungskasse
  • 2. Umsetzung durch den Gesetzgeber
  • 3. Auffassung der Finanzverwaltung
  • IV. Wertungswidersprüche und Inkonsequenzen bei der Anwendung des Kriteriums des Rechtsanspruchs
  • 1. Unterstützungskasse
  • 2. Direktversicherung mit widerruflichem Bezugsrecht
  • 3. Laufende Beiträge zur umlagefinanzierten betrieblichen Altersversorgung
  • 4. Sonderzahlungen in Zusammenhang mit der umlagefinanzierten betrieblichen Altersversorgung
  •  V. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die steuerliche Behandlung von Sonderzahlungen – Vorlagebeschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 14. November
  • 1. Verfassungsrechtliche Beurteilung von § 19 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG
  • a) Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Gegenwertzahlungen nach § 19 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG
  • b) Verfassungsmäßigkeit der Bevorzugung von Sanierungsgeldern
  • 2. Verfassungsrechtliche Beurteilung von § 40b Abs. 4 EStG
  • 3. Fazit
  • VI. Rechtsanspruch gegen Versorgungseinrichtung entscheidendes Kriterium für Zufluss?
  • 1. Zufluss aufgrund der Zustimmung des Arbeitnehmers?
  • 2. Gedanke der Lohnverwendung
  • 3. Zufluss aufgrund des Erwerbs des Versicherungsschutzes?
  • 4. Erwerb des Rechtsanspruchs kein geeignetes Zuflusskriterium
  •  VII. Zufluss erst mit Auszahlung der Versorgungsleistungen
  • 1. Geschuldeter Erfolg als Orientierungsrahmen
  • 2. Geschuldeter Erfolg besteht in der Versorgung
  • 3. Fazit
  • 4. Einkunftsart, Höhe der Einkünfte
  • VIII. Ergebnis der Beurteilung der derzeitigen Besteuerung der mittelbaren Durchführungswege und Schlussbetrachtung
  • H. Zusammenfassung
  • Literaturverzeichnis

← 10 | 11 → A. Einführung

I. Anlass und Gegenstand der Untersuchung

Wie in vielen anderen Ländern ruht auch in Deutschland die Alterssicherung auf drei Säulen - den öffentlich-rechtlichen Pflichtsystemen (gesetzliche Rentenversicherung, Beamtenversorgung, Alterssicherung der Landwirte sowie berufsständische Versorgungswerke), der betrieblichen Altersversorgung und der privaten Altersvorsorge.1 Die Besteuerung der verschiedenen Vorsorgeformen war traditionell sehr unterschiedlich ausgestaltet. Die Variationsbreite reichte von der teils steuerfreien privaten Vermögensbildung über die Ertragsanteilsbesteuerung der Leibrenten bis hin zur vollständigen nachgelagerten Besteuerung, beispielsweise von Beamtenpensionen. Durch das zum 1. Januar 2005 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz - AltEinkG)2 ist die Besteuerung von Alterseinkünften grundlegend umgestaltet und teils vereinheitlicht worden. Die Altersbesteuerung orientiert sich nunmehr generell an der nachgelagerten Besteuerung.

Den entscheidenden Anstoß für die Reform durch das Alterseinkünftegesetz hat das sog. Rentensteuer-Urteil3 des Bundesverfassungsgerichts vom 6. März 20024 gegeben. Das Gericht befand, dass die unterschiedliche Besteuerung von Beamtenpensionen und Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und damit verfassungswidrig war. Es gab dem Gesetzgeber auf, spätestens mit Wirkung zum 1. Januar 2005 eine verfassungskonforme Neuregelung zu treffen, ohne ihm jedoch ein „Besteuerungssystem“ (vorgelagerte und/oder nachgelagerte Besteuerung) zwingend vorzugeben.

← 11 | 12 → Der Bundesminister der Finanzen setzte daraufhin zunächst die „Sachverständigenkommission zur Neuordnung der steuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen“ ein, nach ihrem Vorsitzenden Bert Rürup auch als „Rürup-Kommission“ bezeichnet. Aufgabe der Kommission war es, innerhalb des dem Gesetzgeber durch das Bundesverfassungsgericht zugebilligten - recht weiten - Handlungsspielraums einen umfassenden Lösungsvorschlag zur steuerlichen Behandlung von Renten und Pensionen zu entwickeln. Der Lösungsvorschlag sollte „zu einer systematisch schlüssigen, folgerichtig durchgeführten Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen führen, (…) gesamtwirtschaftlich und sozial tragfähig sein und unter Nutzung von generalisierenden, typisierenden und pauschalierenden Regelungen sowohl der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen wie der Notwendigkeit einfacher und praktikabler Handhabung Rechnung tragen“. Die der Rürup-Kommission übertragene Aufgabe kam damit - wie die Kommission in ihrem Abschlussbericht5 selbst betont - in ihrer Komplexität der Quadratur eines Kreises gleich. Der entsprechend umfangreiche Reformvorschlag beruhte wesentlich auf dem Gedanken, bei der steuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen durchgängig zur nachgelagerten Besteuerung überzugehen.6 Das zu diesem Zweck von der Rürup-Kommission entwickelte „Drei-Schichten-Modell“ betraf nicht nur die gesetzliche Alterssicherung als „eigentlichen“ Gegenstand der Entscheidung/des Reformauftrags des Bundesverfassungsgerichts, sondern bezog auch die betriebliche Altersversorgung sowie die private kapitalgedeckte Altersversorgung mit ein.

Mit dem Alterseinkünftegesetz ist der Gesetzgeber weitgehend den Vorschlägen der Rürup-Kommission gefolgt. Die „international bewährte, sog. nachgelagerte Besteuerung“ wird dabei in der Gesetzesbegründung7 als „tragendes Element der Neuordnung“ bezeichnet. Diese Lösung sichere, so heißt es weiter, die „gleichmäßige, verfassungskonforme und generationengerechte Besteuerung während und nach der Erwerbsphase“. Ferner würden durch „eine langfristige Übergangsregelung untragbare Haushaltsrisiken vermieden“. Gleichzeitig würden „Zweifachbesteuerungen weitgehend ausgeschlossen und der Übergang in das nachgelagerte System (…) für alle Beteiligten erleichtert“.

← 12 | 13 → Entsprechend dem „Drei-Schichten-Modell“ wird die erste Schicht oder Basisversorgung, die neben den Sozialversicherungsrenten, der berufsständischen Versorgung und der Alterssicherung der Landwirte auch neu geschaffene private kapitalgedeckte Leibrentenversicherungen (heute üblicherweise als „Basis-­Renten“ oder „Rürup-Renten“ bezeichnet8) umfasst, nach Ablauf einer langfristigen Übergangszeit vollständig nachgelagert besteuert. Ebenfalls der nachgelagerten Besteuerung unterliegt, wenn auch nur in bestimmten Grenzen, die zweite Schicht, die kapitalgedeckte Zusatzversorgung. Hierzu zählen die betriebliche Altersversorgung, die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst - etwa durch die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) - sowie die sog. „Riester-Rente“.9 Kapitalanlageprodukte, die „auch der Altersvorsorge dienen können“10 (dies also nicht notwendigerweise tun11), wie etwa Sparpläne und Kapitallebensversicherungen, aber auch private Rentenversicherungen, die die Kriterien der Basisversorgung nicht erfüllen (beispielsweise weil es an einer Vererblichkeit der Ansprüche fehlt12), werden dagegen rein vorgelagert besteuert.13

Lobenswert ist zunächst, dass sich der Gesetzgeber bei der Umgestaltung durch das Alterseinkünftegesetz nicht auf die gesetzliche Alterssicherung beschränkt, sondern - über den eigentlichen Reformauftrag des Bundesverfassungsgerichts hinausgehend - auch die betriebliche und die private Altersversorgung in die Reform einbezogen hat. Denn gerade wegen des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes darf bei einer Neuordnung (und ebenso bei späteren Anpassungen) das Alterssicherungssystem in seiner Gesamtheit nicht aus den Augen verloren werden.14 Darüber hinaus erscheint ein Besteuerungssystem, das sich für alle Vorsorgeformen an einem einheitlichen Leitbild orientiert, allein schon aus Gründen der Transparenz und der Praktikabilität erstrebenswert.

Sehr zu begrüßen ist zudem die mit der Reform verbundene grundsätzliche gesetzgeberische Entscheidung für eine nachgelagerten Besteuerung von Alterseinkünften. Der Gesetzgeber ist damit einer Forderung nachgekommen, die in der (Steuer-)Politik, in den verschiedenen steuerwissenschaftlichen Disziplinen - in der Finanzwissenschaft, der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre und ← 13 | 14 → der Steuerrechtswissenschaft - seit langem erhoben wurde.15 Eine nachgelagerte Besteuerung bewirkt intertemporale Neutralität und führt zu einer Inflationsbereinigung der Besteuerung.16 Zudem bietet die nachgelagerte Besteuerung einen Anreiz zur privaten Vorsorge und fördert so das gesellschaftspolitische Ziel einer verbesserten Absicherung für das Alter. Zunächst wirkt sich der im Vergleich zum „regulären“ Arbeitseinkommen spätere Steuerzugriff positiv auf die Entwicklung des Sparkapitals aus; zu erwarten sind darüber hinaus für den Steuerpflichtigen günstige Progressionseffekte.

Auch seitens der EU-Kommission wird eine möglichst allgemeine nachgelagerte Besteuerung der (betrieblichen) Altersversorgung befürwortet.17 Innerhalb der Europäischen Union ist im Bereich der betrieblichen Altersversorgung die nachgelagerte Besteuerung - international auch als EET-System18 bezeichnet - weit verbreitet. Zu Recht hat die Kommission daher darauf hingewiesen, dass eine verstärkte Orientierung an dem EET-System helfen könne, die durch ← 14 | 15 → das Nebeneinander verschiedener Besteuerungssysteme bedingte Doppel- und Nichtbesteuerung bei der grenzüberschreitenden betrieblichen Altersversorgung zu verringern; zudem sei das EET-System in Anbetracht der steigenden Lebenserwartung zweckmäßig, da es zwar die gegenwärtigen Steuereinnahmen reduziere, dafür aber später, wenn die demografischen Verhältnisse wesentlich ungünstiger seien, für höhere Steuereinnahmen sorge.19

Trotz der positiven Aspekte der Reform weist die Besteuerung der Alterssicherung in Deutschland immer noch Mängel auf, die auch durch Nachfolgeänderungen zum Alterseinkünftegesetz, namentlich das Jahressteuergesetz 2007,20 nicht behoben worden sind; teilweise wurden bereits bestehende Unstimmigkeiten sogar noch verschärft und neue hinzugefügt. Aus Sicht des Bürgers erscheint die Besteuerung von Alterseinkünften vor allem wegen des nach wie vor bestehenden Nebeneinanders von vorgelagerter und nachgelagerter Besteuerung intransparent. Ökonomisch betrachtet sind beide Konzepte zudem nur unter bestimmten engen Voraussetzungen gleichwertig.21 Die steuerliche Behandlung der betrieblichen Altersversorgung richtet sich zwar grundsätzlich nach dem System der nachgelagerten Besteuerung, doch ist dieses Konzept auch hier nicht mit völliger Konsequenz verwirklicht. Schuld daran sind vor allem Limitierungen und Lohnzuflussfiktionen.22

Doch wie wäre die Besteuerung der betrieblichen Altersversorgung „richtigerweise“ auszugestalten? Ausgangspunkt solcher Überlegungen sollte die Frage sein, was im steuerlichen Sinne überhaupt „Einkommen“ ist. Denn auch die Besteuerung der (betrieblichen) Altersversorgung sollte sich vorrangig an den steuerrechtlichen Systemgrundsätzen ausrichten, die wiederum die Grundlage für eine dem allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG entsprechende Besteuerung bilden.23 Einen Beitrag zu den entsprechenden steuersystematischen Überlegungen möchte die nachfolgende Untersuchung leisten.

← 15 | 16 → II. Gang der Untersuchung

Den Ausgangspunkt dieser Untersuchung bildet in Teil B die Legaldefinition der betrieblichen Altersversorgung in § 1 Abs. 1 BetrAVG, die nicht nur für das Arbeitsrecht, sondern auch für das Steuerrecht maßgeblich ist. Ebenfalls definiert werden der Begriff der nachgelagerten Besteuerung sowie der Gegenbegriff der vorgelagerten Besteuerung. Eingegangen wird auch auf die in diesem Zusammenhang immer wieder genannten verwandten Begriffe „deferred compensation“ und „intertemporale (vor- bzw. nachgelagerte) Korrespondenz“.

Teil C setzt sich mit den Auswirkungen der nachgelagerten Besteuerung auf die Steuerbelastung auseinander. Dabei werden die überperiodischen Belastungswirkungen der nachgelagerten Besteuerung im Vergleich zur „traditionellen“ vorgelagerten Besteuerung anhand von Berechnungsbeispielen betrachtet und die systemimmanenten Gründe für Belastungsunterschiede aufgezeigt. Eingegangen wird auch auf mögliche Progressionseffekte.

In Teil D wird nach möglichen steuersystematischen Anknüpfungspunkten für die nachgelagerte Besteuerung von (Alters-)Einkünften gesucht. Es wird die Frage gestellt, ob und inwieweit sich die nachgelagerte Besteuerung als Element oder gar Einfallstor für eine dem geltenden Einkommensteuerrecht eher systemfremde konsumorientierte Besteuerung begreifen lässt. Benannt werden außerdem mögliche steuersystematische Anknüpfungspunkte für die nachgelagerte Besteuerung innerhalb des Systems des geltenden Einkommensteuerrechts.

Es schließen sich grundsätzliche Überlegungen zum Thema des Zuflusses von Einnahmen an, insbesondere auch zu der Bedeutung des Leistungsfähigkeitsprinzips in diesem Zusammenhang. Untersucht werden zudem mögliche Parallelen zwischen steuerlichem Zufluss und zivilrechtlichen Wertungen bzw. Gestaltungen. Die zivilrechtliche Erfüllung wird dabei gleichsam als „Regelfall des steuerlichen Zuflusses“ identifiziert. Geprüft wird aber auch, inwieweit Rechtshandlungen wie der Erlass, der Verzicht und die Novation (Schuldumwandlung) einen steuerlichen Zufluss bewirken können. Es folgen erste Betrachtungen zum Zufluss bei in Zusammenhang mit der Besteuerung der betrieblichen Altersversorgung bedeutenden Anwendungsfällen (Arbeitslohn, Zukunftssicherungsleistungen).

Da der steuerliche Zufluss nicht ohne ein Verständnis der jeweiligen zivilrechtlichen Rechtsverhältnisse beurteilt werden kann, werden in Teil E die arbeitsrechtlichen und versicherungsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten betrieblicher Versorgungszusagen dargestellt. Eingegangen wird dabei auf die historische Entwicklung und die heutige Bedeutung und Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung, unmittelbare und mittelbare Durchführungswege, ← 16 | 17 → Zusagearten, Regelungen zur Unverfallbarkeit und gesetzliche Insolvenzsicherung sowie auf die arbeitnehmerfinanzierte Altersversorgung (Entgeltumwandlung, Eigenbeitragszusage). Einen besonderen Schwerpunkt bilden dabei die Themen der zivilrechtsdogmatischen Einordnung der Entgeltumwandlung und der zeitlichen Eingrenzung des „künftigen Entgeltanspruchs“, die wegen der insoweit bestehenden engen Beziehung zwischen Zivilrecht und Steuerrecht letztlich auch steuerlich bedeutsam sind.

Mit der derzeitigen Besteuerung der (betrieblichen) Altersversorgung beschäftigt sich Teil F. Dabei werden die Einzelheiten der derzeitigen Besteuerung der betrieblichen Altersversorgung beim Arbeitnehmer behandelt, für die - trotz der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers für die nachgelagerte Besteuerung - nach wie vor ein einheitliches Besteuerungskonzept fehlt. Unterscheiden lässt sich dabei einerseits die Besteuerung der sog. „internen“ betrieblichen Altersversorgung (Direktzusage, Unterstützungskasse), andererseits die Besteuerung der „externen“ betrieblichen Altersversorgung (Direktversicherung, Pensionskasse, Pensionsfonds). Der Vollständigkeit halber wird im Rahmen eines Exkurses auch die Besteuerung der verschiedenen Formen der betrieblichen Altersversorgung beim Arbeitgeber dargestellt.

In Teil G wird die geltende Besteuerung der betrieblichen Altersversorgung unter Gesichtspunkten des Zuflusses beurteilt. Jeweils gesondert betrachtet werden dabei der Zufluss bei Entgeltumwandlung, der Zufluss bei einer direkten Versorgung durch den Arbeitgeber (Direktzusage) sowie der Zufluss bei der Versorgung unter Beteiligung Dritter (Unterstützungskasse, Direktversicherung, Pensionskasse, Pensionsfonds). Eingegangen wird dabei auch auf die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die steuerliche Behandlung von Sonderzahlungen durch § 19 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ff. und § 40b Abs. 4 EStG sowie die Vorlagebeschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 14. November 201324 zu dieser Thematik.

Abschließend werden in Teil H die Ergebnisse betreffend die Besteuerung beim Arbeitnehmer noch einmal in Thesenform zusammengefasst.

← 17 | 18 →

__________

1 Vgl. Birk/Wernsmann, in: Ruland/Rürup, Alterssicherung und Besteuerung, § 9, Rn. 1; Hey, in: Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, 21. Aufl. (2013), § 8 Rn. 564; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II, 2. Aufl. (2003), S. 743 f.

2 Gesetz v. 5. Juli 2004, BGBl. 2004 I, 1427.

3 Dorenkamp, DStZ 2002, 668 (668).

4 BVerfG v. 6. März 2002, 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73.

Details

Seiten
208
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653048827
ISBN (ePUB)
9783653974300
ISBN (MOBI)
9783653974294
ISBN (Paperback)
9783631656334
DOI
10.3726/978-3-653-04882-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Oktober)
Schlagworte
Besteuerung Arbeitsrecht Belastungswirkungen Steuersystematik
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 208 S.

Biographische Angaben

Nicole Hellberg (Autor:in)

Nicole Hellberg ist promovierte Rechtsanwältin und arbeitet im Bereich Steuern bei einer führenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Nach ihrem Studium der Rechts- und Steuerwissenschaften war sie zunächst als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Finanz- und Steuerrecht der Universität Osnabrück tätig.

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